|
Vorbemerkung
Die mediale Berichterstattung zur
Geburtenentwicklung richtet sich nicht nach der Faktenlage,
sondern nach politischen Interessen. Um diese deutlich zu machen
werden in dieser Bibliografie ab heute (02.07.2012) nach und
nach ausgewählte Medienberichte und Literatur zum Thema
chronologisch dokumentiert. Die Kommentare entsprechen jeweils
dem Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, falls nichts
anderes vermerkt ist.
Aus der nachfolgenden
Tabelle sind die endgültigen Kinderzahlen der Frauenjahrgänge ab
1930 ersichtlich. Der Frauenjahrgang 1965 hat 1551 Kinder pro
1000 Frauen zur Welt gebracht. Das entspricht einer
Kohortenfertilität ("Geburtenrate"; engl.: Cohort Fertility
Rate, abgekürzt: CFR) von 1,551 Kindern pro Frau des
Geburtsjahrgangs 1965.
Die
Entwicklung der endgültigen Kinderzahl der Frauenjahrgänge 1930
- 1968 in Deutschland
Tabelle 1: Endgültige
durchschnittliche Kinderzahl der
Frauenkohorte (Lebendgeborene je 1000 Frauen des
Geburtsjahrgangs |
Geburtsjahrgang |
Deutschland |
Früheres
Bundesgebiet1 |
Neue
Länder2 |
1930 |
2 121 |
2 141 |
. |
1931 |
2 164 |
2 163 |
. |
1932 |
2 201 |
2 200 |
. |
1933 |
2 224 |
2 225 |
. |
1934 |
2 221 |
2 240 |
. |
1935 |
2 167 |
2 173 |
. |
1936 |
2 132 |
2 135 |
. |
1937 |
2 108 |
2 108 |
2 082 |
1938 |
2 069 |
2 070 |
2 044 |
1939 |
2 026 |
2 025 |
2 016 |
1940 |
1 977 |
1 971 |
1 983 |
1941 |
1 917 |
1 903 |
1 952 |
1942 |
1 864 |
1 850 |
1 900 |
1943 |
1 830 |
1 810 |
1 891 |
1944 |
1 801 |
1 778 |
1 874 |
1945 |
1 795 |
1 775 |
1 862 |
1946 |
1 795 |
1 780 |
1 866 |
1947 |
1 770 |
1 752 |
1 834 |
1948 |
1 750 |
1 729 |
1 826 |
1949 |
1 735 |
1 715 |
1 802 |
1950 |
1 724 |
1 701 |
1 790 |
1951 |
1 693 |
1 658 |
1 795 |
1952 |
1 686 |
1 647 |
1 802 |
1953 |
1 675 |
1 629 |
1 808 |
1954 |
1 657 |
1 606 |
1 809 |
1955 |
1 673 |
1 622 |
1 816 |
1956 |
1 670 |
1 619 |
1 813 |
1957 |
1 659 |
1 603 |
1 825 |
1958 |
1 660 |
1 605 |
1 821 |
1959 |
1 660 |
1 603 |
1 819 |
1960 |
1 657 |
1 603 |
1 796 |
1961 |
1 633 |
1 580 |
1 762 |
1962 |
1 613 |
1 564 |
1 724 |
1963 |
1 588 |
1 543 |
1 679 |
1964 |
1 567 |
1 527 |
1 638 |
1965 |
1 551 |
1 518 |
1 604 |
1966 |
1 526 |
1 497 |
1 562 |
1967 |
1 501 |
1 473 |
1 548 |
1968 |
1 492 |
1 471 |
1 517 |
|
Quelle:
Statistisches Bundesamt
(Website:
https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/
GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Geburten/Tabellen/
EndgueltigeKinderzahl.html (Zugriff: 28.03.2018)
Anmerkungen:
1 Seit 2001 ohne Berlin-West.
2 Seit 2001 ohne Berlin-Ost, für die Jahre 1930 bis 1936
liegen keine vollständigen Angaben vor.
. = Zahlenwert unbekannt oder geheim zu halten. |
Die
Entwicklung der zusammengefassten Geburtenziffer von 1990 - 2016
in Deutschland
Tabelle 2:
Zusammengefasste Geburtenziffer
(TFR) in Deutschland |
Jahr |
Deutschland |
Früheres
Bundesgebiet1 |
Neue
Länder2 |
1990 |
1 454 |
1 450 |
1 518 |
1991 |
1 332 |
1 422 |
977 |
1992 |
1 292 |
1 402 |
830 |
1993 |
1 278 |
1 393 |
775 |
1994 |
1 243 |
1 347 |
772 |
1995 |
1 249 |
1 339 |
838 |
1996 |
1 316 |
1 396 |
948 |
1997 |
1 369 |
1 441 |
1 039 |
1998 |
1 355 |
1 413 |
1 087 |
1999 |
1 361 |
1 406 |
1 148 |
2000 |
1 378 |
1 413 |
1 215 |
2001 |
1 349 |
1 382 |
1 231 |
2002 |
1 341 |
1 371 |
1 238 |
2003 |
1 340 |
1 364 |
1 264 |
2004 |
1 355 |
1 372 |
1 307 |
2005 |
1 340 |
1 355 |
1 295 |
2006 |
1 331 |
1 341 |
1 303 |
2007 |
1 370 |
1 375 |
1 366 |
2008 |
1 376 |
1 374 |
1 404 |
2009 |
1 358 |
1 353 |
1 405 |
2010 |
1 393 |
1 385 |
1 459 |
2011* |
1 364 |
1 357 |
1 433 |
2011** |
1 391 |
1 381 |
1 461 |
2012 |
1 406 |
1 395 |
1 483 |
2013 |
1 419 |
1 412 |
1 493 |
2014 |
1 475 |
1 470 |
1 544 |
2015 |
1 502 |
1 503 |
1 561 |
2016*** |
1 590 |
1 600 |
1 640 |
2017*** |
1 570 |
1 580 |
1 610 |
|
Quelle:
Statistisches Bundesamt Bevölkerung und
Erwerbstätigkeit. Zusammenfassende Übersichten
Eheschließungen, Geborene und Gestorbene
(Stand: 13.01.2019)
Anmerkungen:
1 Seit 2001 ohne Berlin-West.
2 Seit 2001 ohne Berlin-Ost
* Geburtenziffer ohne Zensusbereinigung
** Geburtenziffer ab 2011 auf Basis Zensus 2011
*** Geburtenziffer ist gerundet! |
Die
Entwicklung der Geburtenzahlen in Deutschland
|
Tabelle: Schätzungen und vorläufige/tatsächliche
Geburtenzahlen
gemäß Pressemeldungen
des Statistischen Bundesamts |
|
Quelle:
Statistisches Bundesamt; * Zahlen aus dem Heft 12
Wirtschaft und Statistik; ** Zahl DESTATIS-Datenbank
(Abruf: 31.10.2018) |
|
Kommentierte Bibliografie (2000 - 2003)
2000
SCHROETER, Johannes (2000):
Eine Frage der Zeit.
Die Lasten der Kindererziehung
sind privatisiert, der Nutzen seit langem sozialisiert: die
Ursachen des drastischen Geburtenrückgangs,
in:
Rheinischer Merkur Nr.47 v. 24.11.
Während
andere Autoren die Ursachen des Geburtenrückgangs bei den
68ern suchen, geht SCHROETER noch einmal 100 Jahre zurück.
Seine zentrale These ist, dass der
Geburtenrückgang eine "unbewältigte Folge des Übergangs von der
Agrar- zur Industriegesellschaft" ist. Die bäuerliche Familie
ist für SCHROETER das Gegenbild zur Kleinfamilie der
Industriegesellschaft. Der "Pillenknick" ist eine
"Lappalie
und völlig harmlos im Vergleich zu dem, was die Frauen der
Geburtsjahrgänge zwischen 1865 und 1900 verursachten. Zum einen
erstaunt, dass sie ihre Kinderzahl gegenüber der vorherigen
Generation um zirka 60 Prozent absenken konnten - ohne sichere
Verhütungsmittel."
Das Problem der Vereinbarkeit
von Beruf und Familie kam mit der Industriegesellschaft in die
Welt. Im Kern ist es ein Problem der "Wohlstandsdifferenz
zwischen Elternschaft und Kinderlosigkeit", das auf zwei Wege
gelöst werden kann: Senkung des Aufwandes durch öffentliche
Einrichtungen oder Erhöhung des Nutzens von Kindern durch
Erziehungsgehalt, höheres Kindergeld usw.
Der Ansatz von SCHROETER ist
lobenswert, zeigt er doch, dass es sich bei dem Problemkomplex
"Geburtenrückgang" um ein Phänomen handelt, das sich im
historischen Kontext relativiert, gleichzeitig mangelt es
SCHROETER an einer kritischen Reflexion bezüglich der
statistischen Daten und deren Interpretierbarkeit.
Der Soziologe Hans BERTRAM hat
in seinem Beitrag Arbeit, Familie und Bindungen (2000)
den Vergleich zwischen den 1920er Jahren und heute angestellt
und kommt zu dem Fazit:
"Der Geburtenrückgang in
Deutschland seit 1968 ist im wesentlichen auf das Verschwinden
der Drei- und Mehr-Kinder-Familien zurückzuführen. Die
zunehmende Kinderlosigkeit von Frauen spielt demgegenüber nur
eine untergeordnete Rolle".
Wichtiger als dies ist jedoch
die Tatsache, dass BERTRAM den Familienbegriff der amtlichen
Statistik in Frage stellt. Es ist davon auszugehen,
"daß die handelnden Subjekte
sich nicht mehr den staatlichen Ordnungsvorstellungen, wie sie
in dieser Statistik zum Ausdruck kommen, unterwerfen".
Wenn dies der Fall ist, dann
müssten alle amtlichen Daten einer umfassenden Neuinterpretation
unterzogen werden...
Im
Maghreb, den ehemaligen französischen Kolonien Algerien, Marokko
und Tunesien hat in den letzten 30 Jahren ein dramatischer
Geburtenrückgang stattgefunden: von 7,5 Kinder auf etwas mehr
als 2 Kinder pro Frau. Alice SCHWARZER
müsste neidisch sein auf diesen "Gebärstreik" und den deutschen
Familienpolitikern sollten die Argumente ausgehen.
Modernisierungsschub durch die 68er?
Der Verfasser wundert sich über
den Widerspruch zwischen gestiegenen Single-Haushalten und
steigender Geburtenrate. Die hilflose Erklärung: die
geburtenstarken Jahrgänge sind schuld. Dies ist jedoch nur die
halbe Wahrheit. 44,7% Single-Haushalte klingt nur hoch, wenn man
Haushaltszahlen mit Einwohnerzahlen verwechselt. Würden sich
Journalisten angewöhnen die Zahlen für die Einwohner anzugeben,
dann könnte man zwar keine Dramatisierung des Geburtenrückgangs
betreiben, dafür müsste man sich dann nicht mehr über die
Tatsache wundern, dass selbst München eine Familienstadt ist.
Noch ein Wort zu Prognosen. In
den 1950er Jahren gab es keine einzige mir bekannte Prognose,
die einen Geburtenrückgang im heutigen Ausmaß vorhersagte, weil
Prognosen meist simple Fortschreibungen des
Es-geht-immer-so-weiter sind. Und die Treffsicherheit heutiger
Prognosen muss sich erst noch beweisen.
HUMMEL, Katrin (2003): Kinder, Kinder,
Kinder.
Im
Landkreis Cloppenburg wären die Renten noch sicher - wenn es den
Rest Deutschlands nicht gäbe,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 11.01.
Katrin HUMMEL berichtet aus
Emstek, dem kinderreichsten Ort in ganz Deutschland. 189
Neugeborene bei 10.250 Einwohnern im Jahr 2000 meldet HUMMEL.
Gleichzeitig ist dort die Arbeitslosenquote am niedrigsten, aber
es herrscht Überproduktion von Schweinefleisch ("jede Stunde
werden 600 Schweine geschlachtet"). Ob die Renten sicher wären,
wäre jedoch keineswegs ausgemacht, denn wer sollte denn das
ganze Schweinefleisch essen, wenn es Restdeutschland nicht gäbe?
Die FR dokumentiert
eine Erwiderung des emeritierten Politikwissenschaftlers
Dieter OBERNDÖRFER, der erster
Vorsitzender des Deutschen Rats für Migration ist. Er
vernimmt in Herwig BIRGs Gutachten "die Grundmelodie für den
bevorstehenden Wahlkampf". OBERNDÖRFER
stimmt mit
BIRG
bezüglich der Faktenlage zur demografischen Entwicklung
überein und kritisiert deswegen nur dessen Kritik am
Zuwanderungsgesetz. Gemeinsam
ist den beiden Wissenschaftlern die
Singlefeindlichkeit,
die sich aus dem Ziel einer "energischen Familienpolitik"
herleitet.
Frankreich hält auch OBERNDÖRFER für das
familienpolitische Musterland. Seine Einschätzung des
bevorstehenden Verteilungskonfliktes liest sich
folgendermaßen:
"Der Aufbau einer
wirklich wirksamen Familienpolitik wäre überaus
kostspielig und wird daher ganz neue und tief greifende
wirtschaftliche Umverteilungen notwendig machen. Er wird
in einer Gesellschaft der 'Singles', in der Familien mit
Kindern schon seit längerem als politische Lobby eine
ungeliebte Minderheit geworden sind, nur gegen
hinhaltenden politischen Widerstand durchsetzbar sein."
OBERNDÖRFER setzt Familie
mit der
Haushaltsfamilie
gleich, d.h. Familienpolitik soll sich zukünftig auf eine
einzige Lebensphase im Familienbildungsprozess
konzentrieren. Die familieninternen Generationenbeziehungen
der Familienmitglieder werden damit weiter aufgelöst und
staatlich normiert, d.h. die Individualisierung der Familie
wird forciert. Eine solche Familienpolitik, die eine einzige
Generation fördert, forciert den Generationenkonflikt.
OBERNDÖRFER dramatisiert die Bevölkerungsentwicklung,
indem er im Vergleich der Geburtenraten von Deutschland und
Frankreich bewusst unterschiedliche Definitionen der
betrachteten Bevölkerungsgruppen gegenüberstellt
und somit die
Kinderlosigkeit in Deutschland höher erscheint, um
Frankreich als Vorbild darstellen zu können:
"Seit Ende der 70er
Jahre betrug die jährliche Geburtenrate Deutschlands (...)
nur 1,35 bis 1,3. Sie lag damit weit unter der
Bestandszahl. Ohne die Zuwanderung von Ausländern und
deutschstämmigen Aussiedlern hätte sich die Bevölkerung
Deutschlands schon bis heute um zirka drei bis vier
Millionen verringert. Auch wenn es gelänge, die derzeitige
Geburtenzahlen allmählich auf das höhere Niveau
Frankreichs von 1,7 anzuheben, wären die Auswirkungen auf
die ab 2005 sich beschleunigende Schrumpfung der
Bevölkerung gering."
Aus der Darstellung muss
man davon ausgehen, dass OBERNDÖRFER hier die Geburtenrate
"deutscher" Frauen (statt der Geburtenrate in Deutschland)
mit denen "französischer" Frauen vergleicht. Dies ist jedoch
nicht der Fall. Das geht erst aus einer Passage hervor, die
sich eine Seite weiter befindet:
"Wenn »Ausländer« nicht
allein nach ihren Pässen, sondern auch nach der
ausländischen Herkunft der Wohnbevölkerung definiert
werden, fällt Deutschland in der Rangordnung der
Aufnahmeländer Europas auch noch weit hinter Frankreich,
Großbritannien und die Niederlande zurück. Ihre Zuwanderer
kamen zum großen Teil aus ehemaligen Kolonialgebieten und
wurden daher in der nationalen Statistik nicht unter der
Rubrik »Ausländer« registriert. Zudem verringerte sich die
Zahl ihrer Pass-Ausländer kontinuierlich durch großzügige
Einbürgerungsregelungen. So beläuft sich inzwischen auch
die Zahl der moslemischen Franzosen auf 5,5 Millionen bei
einer Gesamtbevölkerung von nur 58 Millionen (Deutschland
2,3 Millionen Moslems, die meisten aber sind im
Unterschied zu Frankreich nicht eingebürgert)."
Aus dieser Passage lässt
sich die Schlussfolgerung ziehen, dass die Geburtenrate
"deutscher" Frauen im Vergleich mit "französischen" Frauen
gar nicht so niedrig ist, wie sie eingangs von OBERNDÖRFER
dargestellt wird.
Singles werden aufgrund
argumentationsstrategischer Überlegungen zum Buhmann
gemacht. Während nämlich BIRG mit seinen Ausführungen
belegen wollte, dass die Geburtenrate der deutschen Frauen
ohne Zuwanderer auf ein ausreichendes Niveau zurückzuführen
wäre, bestreitet OBERNDÖRFER gerade dies. Um zu zeigen, dass
Zuwanderung notwendig ist, muss er deshalb die
Bevölkerungsentwicklung noch stärker dramatisieren als BIRG
dies tut, z.B. indem er den betrachteten Zeitraum ausweitet
und zur
Rhetorik des
Aussterbens
greift.
Beiden Wissenschaftlern
sind die Belange der Singles in der Phase vor der Gründung
eines Familienhaushalts bzw. nach Auszug der Kinder
gleichgültig. Sie sind das Bauernopfer im Familienwahlkampf.
Die Dramatisierung gilt der Durchsetzung einer als
Familienpolitik getarnten Bevölkerungspolitik. Die
Bevölkerungsprognosen divergieren durchaus, weswegen es
aufschlussreich ist, die Prognosen verschiedener Institute
zu vergleichen. Das Eurostaat-Jahrbuch 2001
ermöglicht einen Überblick. Wenig erstaunlich: Die nationale
Statistik von Deutschland ist jene, die mit den niedrigsten
Geburtenraten operiert.
DRIBBUSCH,
Barbara (2001): Viel Job, wenig Liebe.
Die
Leistungsgesellschaft führt zum
heimlichen Gebärstreik. Jede dritte
35-Jährige ist kinderlos - die meisten
bleiben es,
in:
TAZ v. 02.02.
"Der
Kanadier Jerry Steinberg hatte
die Nase voll. All seine Kumpels
hatten geheiratet, in seinem
Freundeskreis wurde nur noch
über Babys geschwafelt.
Steinberg gründete 'No
Kidding!'."
Was DRIBBUSCH hier als
Beispiel für die Zunahme der Kinderlosen
präsentiert, ist eher ein Indiz dafür, dass
Kinderlose eine Minorität sind. Der Versuch
Kinderlose auszugrenzen, wie es z.B. in der
sozialpolitischen Debatte immer sichtbarer wird,
führt dazu, dass Kinderlose gezwungen werden, sich
zu organisieren.
Diese
"Ghettoisierung" ist
nicht die Ursache, sondern die
Folge der angeblichen
Polarisierungen, die Demografen
wie Jürgen DORBRITZ zwar theoretisch
postulieren, aber nicht beweisen können. Der Begriff
"Gebärstreik" weist dabei auf die Wurzeln dieser Position.
Wenn man von einem
dramatischen Geburtenrückgang reden kann, dann nicht
in Deutschland, sondern im Maghreb. Dagegen
verblasst das Gerede vom Aussterben hierzulande (siehe
L'Express v. 25.01.2001).
Wenn man dort die Geburtenrate
wie bei uns hochrechnen würde,
dann müsste dort die
Bevölkerung lange vor den
Deutschen vollkommen ausgestorben
sein, aber vielleicht stimmt ja
etwas mit den Berechnungen
nicht.
Ein Blick auf die Geburtenstatistik
zeigt, dass die Anzahl der Geburten im früheren Bundesgebiet
1999 höher war als in den Jahren 1973 - 1987.
Elisabeth
HÖFL-HIELSCHER
scheint den Mythen von der
"Single-Gesellschaft" nicht mehr zu
glauben:
"Manche erklären den
Babyboom nun damit, dass jetzt die geburtenstarken Jahrgänge
der 60-er Jahre ins Elternalter gekommen seien. Das kann
aber so nicht stimmen: Die wären nämlich, auch wenn die
»erstgebärenden Mütter« immer älter werden, schon Mitte der
90-er Jahre dran gewesen. Das Rätsel müssen nun die
Fachleute knacken. Bei denen galt es bislang ja als
ausgemacht, dass in der Single- und Yuppie-Metropole kein
Platz für Kinder sei. Eine Zeit lang rauschte sogar die
Nachricht durch den Blätterwald, München sei die Stadt mit
der niedrigsten Geburtenrate der Welt. Und jetzt das! Sogar
die Zahl der »Familienhaushalte« und der Großfamilien nimmt
trotz der hohen Lebenshaltungskosten zu".
Solche
Analysen passen einfach nicht zum kommenden
Familienwerte-Wahlkampf , in denen
Apokalyptiker und
Polarisierer das Wort haben...
SPIEGEL-Titelgeschichte: Zurück zur Familie.
Verfassungsgericht
verurteilt die Politik |
Das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts in der Debatte
LEVINE, Tom (2001):
Praktizierte Gleichberechtigung - größere Kinderzahl.
Familienpolitik -
Kinder oder Inder oder was? Deutschland ist angesichts der
sinkenden Geburtenzahlen aus jahrzehntelanger Lethargie erwacht.
Manche Staaten sind längst munterer,
in:
Berliner Zeitung v. 14.04.
Der Bevölkerungsstatistiker Ron
Lesthaeghe kritisiert, dass die deutschen Statistiker dem
Umstand, dass Frauen immer später in ihrem Leben Kinder kriegen,
nicht genügend Beachtung schenken würden.
"Betrachte man - anders als die
deutsche Statistik - nicht nur die aktuelle Geburtenentwicklung
pro Jahr, sondern das jeweilige Verhalten von
Frauen-Altersgruppen (so genannten 'Kohorten'), so werde
deutlich, dass der Geburtenrückgang langfristig weniger
dramatisch sein dürfte. Die Frauen der Jahrgänge 1957 bis 1961
etwa hätten zwar viel später mit dem Kinderkriegen angefangen
als ihre Vorgängerinnen, aber dann aufgeholt: Die Geburtenrate
ihrer Altersgruppe liegt bei rund 1,6 Kindern pro Frau;
verglichen mit 1,8 für die Jahrgänge 1942-1946. Die heute 35-
bis 40-Jährigen hätten bereits jetzt eine Rate von 1,5 erreicht
- obwohl sie sich durchschnittlich noch länger Zeit gelassen
hätten, bevor das erste Baby kam."
"In einer auf Flexibilität und
Selbstverwirklichung angelegten Zeit stellt die Entscheidung für
ein Kind eine langfristige Festlegung dar, die für Frauen mit
erheblichen beruflichen Risiken verbunden ist. Besonders gut
ausgebildete Frauen wollen sich diesem Risiko oft nicht
aussetzen, weshalb der Prozentsatz der Frauen, die innerhalb
eines Jahrganges kinderlos bleiben, in nur acht Jahren von 15
Prozent (Geburtsjahrgang 1950) auf 23 Prozent (Geburtsjahrgang
1958) empor geschnellt ist",
schreibt STEINMEIER.
Dies ist nicht erstaunlich,
aber es hat weniger mit der viel beschworenen
Selbstverwirklichung zu tun, sondern mit der Tatsache, dass
Mitte der 70er Jahre die Vollbeschäftigungsgesellschaft ihr Ende
fand. Jugend- und Akademikerarbeitslosigkeit wurden zu den
Schlagworten jener Zeit und das "Ende der Arbeit" wurde
debattiert.
Die Ausnahme war der Baby-Boom
der Wirtschaftswunderzeit und nicht der "Geburtenrückgang", den
STEINMEIER nicht als Rückgang der Kinderzahl pro Frau, sondern
als Rückgang der Frauen, die überhaupt Kinder gebären,
beschreibt. STEINMEIER suggeriert damit aber auch, dass sich
dieser Rückgang im gleichen Masse fortsetzen wird. Dies ist
jedoch fraglich.
JÄHNER, Harald (2001): Das
Glück schien machbar.
Heute vor vierzig Jahren wurde
die Anti-Baby-Pille erstmals in der Bundesrepublik verkauft,
in: Berliner
Zeitung v. 01.06.
"In
Westdeutschland fiel trotz steigender sexueller Aktivität die
Geburtenrate
zwischen 1964 und 1978 um 46 Prozent.
Nach dem statistischen Pillenknick, zeitlich identisch mit der
so genannten sexuellen Revolution,
stieg die Geburtenrate wieder kontinuierlich an."
JÄHNER meint offensichtlich
nicht die GeburtenRATE, sondern die GeburtenZAHLEN. Die
GeburtenRATE hatte ihr Minimum Mitte der 80er Jahre erreicht.
SPIEGEL-Titelgeschichte:
Der neue Mutterstolz.
Kinder
statt Karriere |
BEYER, Susanne & Marianne WELLERSHOFF (2001): Comeback der
Mutter.
Die Emanzipation steckt in
einer Krise: Überraschend viele Frauen suchen neuerdings ihre
Erfüllung nicht mehr im Beruf, sondern im Zusammenleben mit
Kindern. Die Rolle des Superweibs, das locker Karriere und
Familie verbindet, überfordert sie. Triumph althergebrachter
Mütterlichkeit?
in: Spiegel
Nr.29 v. 16.07.
Am 23.10.2000 wurde im Spiegel der Single verabschiedet,
am 19.04.2001 titelte der Spiegel
Zurück zur
Familie als Konsequenz des
Urteils vom Bundesverfassungsgericht zur Pflegeversicherung
und jetzt ist die Frau im Spiegel zur stolzen Mutter
geworden. Von der Verabschiedung des Singles bis zur
Mutterschaft dauerte es fast genau 9 Monate! Wie konnte es
soweit kommen?
"Als die Hausfrau und
Mutter Cölsch-Limbacher vor kurzem zum Arbeitsamt in
Schwäbisch Hall ging, weil sie einen Job als Soziologin
suchte, antwortete der Berater: »Ich schlage vor, Sie
kriegen noch mehr Kinder. Sie wissen ja, dass die Deutschen
aussterben, und Vollzeit-Mutter zu sein ist eine ehrenvolle
Aufgabe.« Eine Arbeit hat der Mann ihr nicht angeboten."
Der Spiegel ist also
bei der Diskriminierungs- und Rezessions-Kultur angelangt. In
Zeiten der Rezession und des Nachwuchsmangels wird klar:
"Kinder gelten plötzlich
nicht als Belastung, sondern als Glücksversprechen. Selbst
das Zeitgeistmagazin »Max« (...) warb kürzlich mit einem
properen Windelbaby zwischen den schlanken Frauenbeinen für
das »Abenteuer Kind«.
Das mythische Ideal der Mutterschaft kehrt jedenfalls zurück
-, »back to the fifties«. Allenfalls damals wurden Frauen,
die ein Kind zur Welt bringen, so hoch geschätzt wie heute.
»Die Mutter ist wieder das vorherrschende Frauenbild«".
Belegt wird das nicht
anhand statistischer Zahlen, sondern es werden die üblichen
Prominenten angeführt, um das Spiegel-Frauenleitbild
als plausibel darzulegen.
"Back to the fifties". Es
ist offensichtlich, dass damit nicht die Familienrealität der
1950er Jahre gemeint ist, sondern jenes Familienideal, das
erst durch die Medien konstruiert wurde, nachdem in den
1960ern die Familie in Frage gestellt worden war. Leitbilder
sind Ausdruck von Kulturkämpfen:
"Der Imagewandel ist
radikal: Heute, so gibt das neue, alte Leitbild es vor, ist
eine Frau erst mit Kind vollständig. In den siebziger Jahren
dagegen galten Kinder vielen Feministinnen als »schwere
Ketten« der Frauen."
Die Spiegel-Autorinnen zitieren
hier den
Kulturkampf zwischen kinderlosen Karrierefrauen und
berufstätigen Müttern, der seit
Mitte der 1970er Jahre die Frauenbewegung prägt. Mit der
Realität in Deutschland hat das nichts zu tun, denn:
"im Topmanagement gibt es
nur noch mickrige 3,5 Prozent Frauen".
Davon sind die Hälfte sogar
Mütter! Die kinderlose Powerfrau ist also genauso wie Hera
LINDs Superweib
keine statistisch relevante gesellschaftliche Größe. Wenn die
Autoren deshalb einen Wertewandel konstatieren, dann scheint
dies - wenn überhaupt - nur ein Wertewandel der Elite zu sein.
Die Proklamierung des
Spiegel-Frauenleitbilds "50er-Jahre-Vollzeitmutter" ist
bevölkerungspolitisch motiviert:
"Ob die aktuelle Wandlung
des kulturellen Leitbildes - von der Powerfrau zur
Brutpflegerin - am Ende zu einem neuen Kindersegen führt?"
fragen sich die Autorinnen
bange. Das
Emma-Frauenbild ist dagegen die kinderlose
Karrierefrau: Gebärstreik
titelte deshalb die Frauenzeitschrift von Alice SCHWARZER in
der Juli/August-Ausgabe. Nicht die Vollzeitmutter, sondern die
berufstätige Karrieremutter ist das Mutterleitbild von Alice
SCHWARZER.
Die Autorinnen gehen aber
noch weiter. Nicht nur Frausein ist defizitär, sondern auch
das Alleinerziehen. Dies ist die Rückkehr der "unvollständigen
Familie". Die Kinder von Alleinerziehenden werden als
"Risikokinder" bezeichnet, da sie oftmals als Partnerersatz
dienten.
Hier werden Alleinerziehende
fälschlicherweise mit alleinerziehenden Partnerlosen
gleichgesetzt. Die amtliche Statistik sagt jedoch über die
Partnerschaftssituation von Alleinerziehenden gar nichts aus.
Die genaue Zahl von alleinerziehenden Partnerlosen ist
unbekannt. Alleinerziehende können nach der Definition des
Statistischen Bundesamtes durchaus mit einem Partner
zusammenwohnen. Der Status des Alleinerziehens wird dadurch
nicht beeinträchtigt. Ob der Partner in der Praxis mit
erzieht, das interessiert nicht. Die Kategorie
"Alleinerziehende" ist deshalb für die Beschreibung der
Lebensverhältnisse dieser Mütter und Väter völlig
unzureichend.
EMMA -Titelgeschichte: Gebärstreik.
Warum Frauen immer weniger Kinder
kriegen |
SCHWARZER, Alice (2001):
Gebärstreik.
Sterben die Deutschen aus?
in:
Emma,
Juli/August
2002
FR (2002):
"Von Zuwanderung profitiert vor allem der Migrant, nicht der
Staat".
Was der Bielefelder Bevölkerungsforscher Herwig Birg im Auftrag
des Landes Bayern herausgefunden hat / Die Zusammenfassung
seines Gutachtens
in:
Frankfurter Rundschau
v. 18.01.
Die FR
dokumentiert Herwig
BIRGs Gutachten für die Bayrische Landesregierung. Die
zentrale Aussage ist:
"Die bis 2020 nur mäßige
Abnahme des Arbeitskräftepotenzials um rd. 8 Prozent bietet den
benötigten zeitlichen Spielraum zur Vorbereitung und
Durchführung einer von Zuwanderungen unabhängigen, demographisch
orientierten Familienpolitik zur Anhebung der Geburtenrate. Dies
bedeutet, dass das Ziel, langfristig zu einer demographisch
nachhaltigen Bevölkerungsentwicklung zurückzukehren, nicht
unerreichbar ist."
Der Begriff "demographisch
orientierte Familienpolitik" ist die neudeutsche Sprachregelung
für Bevölkerungspolitik. Wie ist dies zu erreichen?
"Um das Ziel einer
bestandserhaltenden Geburtenrate von zwei Kindern pro Frau zu
erreichen, müsste sich die Familienpolitik vor allem auf einen
Abbau der lebenslangen Kinderlosigkeit konzentrieren."
Eine solche Zielsetzung läuft
zwangsläufig auf eine Verschärfung der Kontroverse "Familien
contra Singles" hinaus.
Frankreich ist
BIRGs Vorbild. Obwohl dort Bevölkerungspolitik eine lange
Tradition hat, ist die dortige Geburtenrate kaum höher als in
Deutschland. Da Frankreich länger als Deutschland ein Agrarstaat
war, dürfte dort der Geburtenrückgang erst noch bevorstehen.
Dreh- und Angelpunkt des
Überfremdungsarguments ist der angebliche Zuwanderungsdruck aus
den Mittelmeeranrainerstaaten:
"Wer über Zuwanderung spricht,
muss auch die demographische Entwicklung in den potenziellen
Herkunftsländern berücksichtigen. In unmittelbarer Nachbarschaft
zu Deutschland und Europa - in den südlichen Anrainerstaaten des
Mittelmeers von Marokko über Algerien, Tunesien, Libyen und
Ägypten bis zur Türkei".
Gerade diese Länder zeigen
jedoch, dass die Bevölkerungsentwicklung nicht so voraussehbar
ist, wie BIRG das gerne behauptet. Im Maghreb, den ehemaligen
französischen Kolonien Algerien, Marokko und Tunesien hat nach
einem Bericht des französischen
Nachrichtenmagazins
L'Express vom 25.01.2001 in den
letzten 30 Jahren ein dramatischer Geburtenrückgang
stattgefunden: von 7,5 Kinder auf etwas mehr als 2 Kinder pro
Frau. Würde man BIRGs Prinzipien einer linearen Fortschreibung
von Geburtenraten auf diese Länder anwenden, dann gäbe es dort
in 30 Jahren eine Region ohne Volk. Keiner würde jedoch so etwas
für realistisch halten. Aber genau nach diesem Grundmuster sind
BIRGs Prognosen für Deutschland gestrickt!
SUZ (2002): Zahl der Kinder
weiter gesunken.
Geburtenrückgang hält an. Mehr
Familien leben vom Staat,
in:
Tagesspiegel v. 16.07.
RÜHLE, Alex (2002):
Ein Rock durch Deutschland.
Der
Volkskörper taucht aus dem Sprachschlamm auf,
in: Süddeutsche Zeitung v. 30.08.
Katastrophen sind angeblich
gut für die Geburtenrate, was RÜHLE zur Prognose veranlasst:
"Schon
jetzt spricht man im Osten davon, dass die Zusammenarbeit der
Einheimischen mit den Bundeswehrregimentern Hand in Hand gehe
mit intensiven Formen der Völkerverständigung: In neun Monaten
erwartet man entlang der Deiche einen Babyboom."
MEHLITZ, Johannes
(2002): "Die Bevölkerung wird unterschätzt".
Demografie. Neue Grundlagen. Selbst eine höhere Geburtenrate
kann die Folgen des demografischen Wandels nicht beheben,
in: Rheinischer Merkur Nr.49 v. 05.12.
Interview mit Axel
BÖRSCH-SUPAN, Mitglied der "Rürup"-Kommission.
HANIKA, Iris (2002): Kinder: Mehr als "Humankapital",
in: Signale -
Gedanken zur Zeit. Sendung des DeutschlandRadio v. 26.12.
Iris HANIKA rechnet mit
der fortschreitenden Ökonomisierung der Familie anhand des
Beitrags von Hans-Werner SINN in der Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung ab:
"Weil an Weihnachten
einmal die Kinder selbst gemeint sind, ist dies auch die
einzige Zeit des Jahres, wo, wer keine Kinder hat, mit
Mitleid rechnen kann, denn an Weihnachten begreifen auch
hart kalkulierende Eltern, daß ohne Kinder zu sein ziemlich
traurig ist, auch wenn man dabei möglicherweise ein bißchen
Geld spart. Den Rest des Jahres wird auf die Kinderlosen
munter eingeschlagen",
meint HANIKA und
widmet sich der Gleichsetzung von Reproduktion mit
Kapitalbildung bei SINN. HANIKA geht dabei nicht nur bis zum
"Ganzen Haus" zurück, sondern zur
Sklavenhaltergesellschaft:
"Der Begriff
»Humankapital« ist eigentlich nicht die modernisierte Form
des Begriffs »Menschenmaterial«, der im Ersten Weltkrieg in
den sich in Massengräber verwandelnden Schützengräben
entstand, vielmehr ist »Humankapital« tatsächlich ein
wirtschaftswissenschaftlicher Fachausdruck. Es ist für den
Volkswirt das, was der Mensch selbst mitbringt oder aus sich
selbst macht. (...). Nach der Theorie bilden auch Kinderlose
Humankapital - indem sie sich bilden. Bei der Nonchalance
jedoch, mit der Hans-Werner Sinn die bloße Reproduktion mit
Kapitalbildung gleichsetzt, geht die technische Bedeutung
dieses Begriffs verloren. Der Laie muß an dieser Stelle, wo
Humankapital und Realkapital einander als qualitativ
gleichwertig entgegengesetzt werden, Humankapital als das
verstehen, als was Sklavenhalter ihre Arbeitssklaven
verstehen: als Gelderzeugungsmaschinen in menschlicher
Gestalt. Dabei können Kinder auch wirtschaftlichen Schaden
anrichten, etwa indem sie später drogensüchtig oder
kriminell oder allgemein Nichtsnutze werden und nur Kosten
verursachen, statt etwas von dem in sie investierten Kapital
zurückgeben."
2003
ZEIT-Serie:
Land ohne Leute (Teil
1) |
NIEJAHR, Elisabeth (2003): Land ohne
Leute.
Die vergreiste Republik.
Deutschland verliert jährlich 200000 Einwohner, da mehr Menschen
sterben als geboren werden. Es wächst ein demografisches Problem
ungeheuren Ausmaßes heran, doch die Politiker ignorieren es,
in: Die ZEIT Nr.2 v. 02.01.
Elisabeth NIEJAHR ist
unter die Apokalyptiker gegangen.
Mit ihrer Krisenrhetorik und dem
Bedauern, dass eine pronatalistische, d.h. eine direkt
geburtenfördernde, Politik noch nicht allgemein durchgesetzt
ist, folgt sie den "konservativen Revolutionären"
Arnulf BARING und
Meinhard MIEGEL.
Die Krise ist die Stunde
der Exekutive. Es muss gehandelt werden. Demokratische
Gepflogenheiten und Interessensätze werden machtpolitisch
hinweggefegt. MACHIAVELLI und Carl SCHMITT sind die Paten
dieses antidemokratischen Politikstils. Krisenrhetorik dient
der Einschränkung von Denkalternativen und damit der
Perspektivenverengung. Zweifel dürfen gar nicht erst
aufkommen. In diesem Sinne präsentiert NIEJAHR den Super Gau
der Bevölkerungsentwicklung.
Während der
Bevölkerungswissenschaftler Herwig BIRG
den ideologischen Charakter bevölkerungswissenschaftlicher
Prognosen erst gar nicht leugnet, plappert NIEJAHR lediglich
jene Slogans nach, mit denen Demografen die Prognosefähigkeit
ihrer Wissenschaft behaupten:
"Einwohnerzahlen sind
leichter zu prognostizieren als beispielsweise der
Klimawandel. Die Alten von morgen sind schließlich heute
schon auf der Welt".
Das mag - abgesehen vom
Ausbleiben nicht erwünschter lokaler Katastrophen - stimmen,
aber wieviel Junge bis dahin auf die Welt kommen werden, das
steht genauso wenig fest wie die nicht weniger entscheidende
Frage, wo diese Menschen leben werden.
Vor
einigen Tagen hat der österreichische
Bevölkerungswissenschaftler
Wolfgang LUTZ in einem FAS-Interview
die angeblich so treffsicheren UN-Prognosen der Vergangenheit
als unzutreffend bezeichnet. Die prognostizierte
Bevölkerungsexplosion der Weltbevölkerung findet nicht statt.
Noch schlimmer: der zentrale Glaubenssatz der Demografen,
wonach der Entwicklungsstand einer Nation eng mit der
Geburtenrate verknüpft ist, ist in dieser simplen Form nicht
aufrecht zu erhalten. Die Gleichung arm = viele Geburten &
reich = wenige Geburten stimmt so nicht. "Simplify
your life" mag ja ein gesellschaftlicher Trend sein, wenn es
jedoch um wissenschaftliche Glaubwürdigkeit geht, dann sollte
man diesen monokausalen Erklärungsmythen misstrauen.
In dem 1997
erschienenen Buch
Familie leben rechnet der
Familiensoziologe Hans BERTRAM mit der Ideologie von Meinhard
MIEGEL ab. MIEGEL hat seine Thesen zur Bevölkerungsentwicklung
nicht erst in dem Buch Die deformierte Gesellschaft
niedergeschrieben, sondern bereits 1994 zusammen mit Stefanie
WAHL das Ende des Individualismus prophezeit. Die
empirischen Daten der Längsschnittuntersuchung des Deutschen
Jugendinstituts stützen MIEGELs Kritik an der hedonistischen
und individualistischen Kultur in Deutschland nicht.
Postmaterialistische Werte verhindern nicht per se, dass aus
Singles Eltern werden. Die Frage,
"unter welchen
Umständen Postmaterialisten bereit sind, Kinder zu bekommen"
ist deshalb nicht
so einfach zu beantworten wie sich das MIEGEL und Konsorten
wünschen.
Christine CARL hat zum Thema gewollte Kinderlosigkeit ein Buch
veröffentlich, das die Problemvielfalt aufzeigt.
Axel
BÖRSCH-SUPAN hält die typische neoliberale Lösung parat.
Diese ist jedoch zu kurz gegriffen, wie Leander
SCHOLZ ("Schuld
hat, wen es trifft";
Freitag Nr.3, 10.01.2003) und
Iris
HANIKA zeigen.
Ein typisches Beispiel für die absurde neoliberale Phraseologie:
"Die
statische Betrachtung, es gebe eine feste Arbeitsmenge ist
falsch (...). Bis 2030 fehlen acht Millionen Arbeitnehmer, das
ist nicht zu ersetzen".
ABI (2003): Bezirk der schönen Mütter.
Die
Ausnahme: In Prenzlauer Berg gibt es einen Baby-Boom,
in: Tagesspiegel v. 01.03.
DESTATIS (2003): Geringfügig weniger
Geburten, mehr Sterbefälle im Jahr 2002,
in:
Pressemitteilung Statistisches
Bundesamt Wiesbaden v. 26.03.
"Im Jahr 2002 wurden 725 000
Kinder lebend geboren, 5 000 oder 0,7% weniger als 2001. Die
Zahl der Geburten geht seit 1991, mit Ausnahme der Jahre 1996
und 1997, zurück. Allerdings hat sich die Abnahme jetzt deutlich
abgeschwächt: Von 2000 auf 2001 hatte der Rückgang etwa 4%
betragen", meldet das Statistische Bundesamt zur
Geburtenentwicklung.
PETERSEN, Anne (2003): Comeback des
Kindersegens.
In jungen
und schicken Ecken Deutschlands lösen Kinderwagen Cabrios als
Statussymbol ab. Familiensinn ist wieder in: Reportage über
einen hoffnungsvollen Trend,
in: Welt am Sonntag v. 25.05.
Wann ist ein
Trend ein Trend? Wenn immer mehr Journalisten voneinander
abschreiben und sich dann immer auch die entsprechenden Experten
finden. Anne PETERSEN berichtet nun über den "Club der schönen
Mütter" (Fehlfarben) u. a. im Szene-Bezirk Prenzlauer Berg, dem
das Berliner Stadtmagazin zitty bereits eine
Titelgeschichte gewidmet hat.
"Ungeachtet der
unsicheren Wirtschaftslage scheint sich in den Großstädten -
allen voran die Avantgarde aus Berlins Mitte - ein
Retrotrend zur Familie zu etablieren. Nachwuchs gilt den
neuen Bürgern, den so genannten Bobos (Bourgeois Bohemians),
nicht länger als Armutsrisiko, sondern als Steigerung des
hedonistischen Vergnügens. Die Frage »Spaß oder Familie?«
ist nicht mehr aktuell",
behauptet PETERSEN.
Single-generation.de berichtet über diese
Family-Gentrifier
in Dienstleistungsmetropolen bereits seit einigen Jahren.
Dieser Trend ist auch keineswegs ganz neu. Auch PETERSEN
liefert Zahlen, die bereits älter sind, aber nicht breit
publiziert wurden:
"Dass Frauen viele
Kinder bekommen, wenn sie dadurch nicht ihren Beruf aufgeben
müssen und die Kinderbetreuung sichergestellt ist, zeigt
sich auch daran, dass es in den letzten zehn Jahren bei den
Wohlhabenden zu einem Anstieg der Kinderzahl gekommen ist.
Ab einer gewissen Einkommensgrenze können die nötigen
Dienstleistungen bezahlt werden. Bezeichnend sind die hohen
Geburtenzahlen in den teuren Hamburger Stadtteilen. In
Harvestehude stieg die Zahl der Geburten von 1997 bis zum
Jahr 2001 um 27,3 Prozent, in Blankenese um 26,7 Prozent."
Untergangspropheten
benötigen niedrige Geburtenraten, um die geplanten
sozialpolitischen Einschnitte bei Singles zu rechtfertigen.
PETERSEN nennt dagegen Gründe, warum die derzeit niedrige
Geburtenrate keine Zukunft haben wird:
"Der
Familien-Nihilismus der 68er hat Raum geschaffen für neue
Formen wie Patchwork-Familien und allein Erziehende. So
verliert die Traditionsfamilie zwar ihre kulturdominante
Macht, doch die Geburtenrate von derzeit 1,4 in Deutschland
wird wieder steigen, sagen die Experten. Dafür sorgt auch
eine steigende Zahl an »Spätgebärenden«. Heute gibt es in
den westlichen Ländern mehr Schwangere zwischen 35 und 39
Jahren als bei den unter 35-Jährigen. Immer mehr Menschen
bekommen ihre Kinder spät, und besonders die Großstadteltern
entwickeln heute vielfältige, flexible Betreuungsmodelle,
sie engagieren Babysitter oder Au-pair-Mädchen, »mieten«
sich eine Oma oder sprechen sich innerhalb von
Hausgemeinschaften ab."
PETERSEN nennt auch noch
ein paar prominente Schriftstellerinnen, die den neuen Typus
der Family-Gentrifier repräsentieren sollen:
"Schriftstellerinnen
wie Judith Hermann oder Alexa Henning von Lange, die
kürzlich noch für die Ich-Bezogenheit einer
wohlstandsverwahrlosten Generation standen, bekennen sich
jetzt mit glänzenden Augen zur Familienverantwortung und
schreiben in Magazinen wie »Kid's Wear«, der neuen
Mode-Bibel für das Kind. Vor zehn Jahren noch hätte niemand
geglaubt, dass ausgerechnet die vermeintlich
konsumorientierte und partyversessene Generation der
jetzigen Thirtysomething antritt, um das demographische Loch
zu stopfen."
Im Gegensatz zum
Mutterstolz-Spiegel-Titel
handelt es sich bei den Family-Gentrifier nicht um ein
Comeback der Hausfrauenfamilie, sondern um eine moderne Form
der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
KERNER, Regina (2003): "Das Miefige der
Kleinfamilie ist weg".
Trendforscher sehen
neue Lust zum Leben mit Kindern. Geburtenrate von 1,7 erwartet,
in: Berliner Zeitung v. 03.06.
Nach
zitty und Welt am Sonntag berichtet nun auch Regina
KERNER über den Baby-Boom in den Schickimicki-Vierteln der
deutschen Dienstleistungsmetropolen.
KERNER
stellt der skeptischen Perspektive von Elisabeth
BECK-GERNSHEIM die optimistische Perspektive von Matthias HORX
(in der Welt am Sonntag nur als Experte tituliert)
entgegen:
"Trendforscher Matthias Horx, Mitautor der Studie »Future
Living«. Er prognostiziert Deutschland eine Steigerung der
Geburtenrate in den nächsten fünf Jahren von derzeit 1,4 auf
1,7 Kinder pro Frau. Er verweist auf die skandinavischen
Länder und Frankreich, wo es einen solchen Anstieg schon
längst gegeben hat."
BECK-GERNSHEIM wird mit dem Satz zitiert:
"Es gibt
keinen Bevölkerungswissenschaftler, der glaubt, dass die
Geburtenrate in den nächsten Jahren steigen wird".
Das wäre auch
wirklich zu viel erwartet! Bereits in den 1960er Jahren wurden
die Bevölkerungswissenschaftler vom Wandel des
Geburtenverhaltens überrascht. Die simple Fortschreibung von
Trends der Vergangenheit in die Zukunft - das Geschäft von
Bevölkerungswissenschaftlern - führt unweigerlich dazu, dass
Wendepunkte im generativen Verhalten "verschlafen" werden. So
schreibt z.B. Hermann KORTE über die
Bevölkerungsvorausberechnungen in den 1960er Jahren:
"Einige
Bevölkerungsstatistiker glaubten (...), der seit dem Beginn
der Industrialisierung beobachtete stetige Rückgang der
Geburtenziffer habe sein Ende gefunden. Es ist daher nicht
verwunderlich, daß 1966 in Interpretation des Anstiegs
zwischen 1955 und 1964 bis zum Jahre 2000 eine
Bevölkerungszunahme um 14 Millionen errechnet wurde. Sechs
Jahre später prophezeite eine neue Prognose dann schon,
wieder in recht linearer Interpretation des Rückgangs
zwischen 1969 und 1971, einen Rückgang um 5 Millionen
Menschen bis zum Jahr 2000."
(aus: Hermann Korte "Bevölkerungsstruktur und -entwicklung",
1983, S.20)
"In
Deutschland wird sich das zahlenmäßige Verhältnis zwischen
älteren und jüngeren Menschen in den nächsten Jahrzehnten
erheblich verschieben: Im Jahr 2050 wird – nach der neuesten
Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes –
die Hälfte der Bevölkerung älter als 48 Jahre und ein
Drittel 60 Jahre oder älter sein. Auch die Einwohnerzahl in
Deutschland wird – selbst bei den angenommenen
Zuwanderungssalden aus dem Ausland – langfristig abnehmen.
Dies berichtete der Präsident des Statistischen Bundesamtes,
Johann Hahlen, heute in Berlin bei der Vorstellung der
Ergebnisse der 10. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes
bis zum Jahr 2050.
Derzeit hat Deutschland rund 82,5 Millionen Einwohner. Nach
der "mittleren Variante" der Vorausberechnung, auf die sich
die nachstehenden Ergebnisse beziehen, wird die
Bevölkerungszahl nach einem geringen Anstieg auf 83
Millionen ab dem Jahr 2013 zurückgehen und bis zum Jahr 2050
auf das Niveau des Jahres 1963 (gut 75 Millionen Einwohner)
sinken. Der "mittleren Variante" liegen folgende Annahmen zu
Grunde: Konstante Geburtenhäufigkeit von durchschnittlich
1,4 Kindern pro Frau; Erhöhung der Lebenserwartung bei
Geburt bis zum Jahr 2050 für Jungen auf 81,1 Jahre und für
Mädchen auf 86,6 Jahre und ein jährlicher positiver
Wanderungssaldo von rund 200 000 Personen. Zu einem
langfristigen Bevölkerungsrückgang kommt es, weil in
Deutschland – wie schon seit 30 Jahren – auch in den
nächsten fünf Jahrzehnten stets mehr Menschen sterben
werden, als Kinder zur Welt kommen. Wegen des zu
unterstellenden anhaltend geringen Geburtenniveaus wird die
heutige jährliche Geburtenzahl von ca. 730 000 auf etwa 560
000 im Jahr 2050 sinken und dann nur noch halb so hoch sein
wie die Zahl der jährlich Gestorbenen, das "Geburtendefizit"
wird etwa 580 000 betragen (2001: 94 000). Das niedrige
Geburtenniveau wird dazu führen, dass die jüngeren
Altersjahrgänge (bis etwa zum 50. Lebensjahr) generell
schwächer besetzt sind als die älteren. Die Zahl der unter
20-Jährigen wird von aktuell 17 Millionen (21% der
Bevölkerung) auf 12 Millionen im Jahr 2050 (16%)
zurückgehen. Die Gruppe der mindestens 60-Jährigen wird mehr
als doppelt so groß sein (28 Millionen bzw. 37%). 80 Jahre
oder älter werden im Jahr 2050 9,1 Millionen Personen und
damit 12% der Bevölkerung sein (2001: 3,2 Millionen bzw.
3,9%)",
meldet das
Statistische Bundesamt angesichts der
10.
koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung.
"Die
Unterschiede zur letzten 9. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung aus dem Jahr 2000, die auf dem
Bevölkerungsstand zum 1.1.1998 basierte, bestehen vor allem
in den Annahmen zur Lebenserwartung"
sagt
Johann HAHLEN zur neuesten Bevölkerungsvorausberechnung.
Die Vorausberechnung basiert auf Daten vom 31.12.2001 und die
Geburtenrate ist eine schlichte Fortschreibung der
Vergangenheit, welche in den Medien nicht als solche kenntlich
ist. Kommentatoren wie MÖLLER behaupten sogar: "Die
Geburtenrate wird weiter sinken". Das muss der Journalist
nicht begründen und es lässt sich auch nicht begründen,
sondern ist reine Spekulation.
Genauso gut könnte sich die Geburtenrate auf 1,7 erhöhen wie
HORX dies vermutet. Dafür gäbe es
ebenfalls Gründe.
Eine
Vorausberechnung über eine Zeitspanne von 50 Jahren dient in
erster Linie ideologischen Zwecken. Dies wird deutlich, wenn
alle Medien die Vorausberechnung im Zusammenhang mit der
Rentenreform zitieren.
Der
Präsident des Statistischen Bundesamtes, Johann HAHLEN
schildert die
Entwicklung des Altenquotienten auf der Pressekonferenz
folgendermaßen:
"Auch der
Altenquotient – hier in der Abgrenzung 60 Jahre betrachtet –
entwickelt sich ungleichmäßig. Von 2001 (44) bis 2010 (46)
wird eine Erhöhung um lediglich 2 Personen im Alter ab 60
Jahren je 100 Menschen im Alter zwischen 20 und 59 Jahren
erwartet. Danach kommt es von 2010 (46) bis 2020 (55) zu
einem deutlichen Anstieg um 9 Personen und von 2020 bis 2030
(71) zu einer sprunghaften Zunahme um weitere 16 Personen.
Anschließend wird der Altenquotient nicht mehr so stark
ansteigen. Von 2030 auf 2040 (73) erhöht er sich nur
geringfügig, im letzten Jahrzehnt der Vorausberechnung nimmt
er dann noch einmal zu (2050: 78), wobei diese Veränderungen
nicht mehr das frühere Ausmaß erreichen. Rückblickend hatte
sich im letzten Jahrzehnt bereits ein deutlicher Anstieg des
Altenquotienten ergeben – von 35 im Jahr 1990 auf 44 im Jahr
2001; vor 50 Jahren hatte er nur 27 betragen. Die Alterung
wird also nicht erst in 50 Jahren zu Problemen führen,
sondern bereits in den nächsten beiden Jahrzehnten eine
große Herausforderung für Wirtschaft, Gesellschaft sowie vor
allem für die sozialen Sicherungssysteme darstellen. Diese
Entwicklung ist vorgegeben und unausweichlich: Im Jahr 2024
werden die 1964 Geborenen, der geburtenstärkste Jahrgang
Deutschlands, 60 Jahre alt."
DRIBBUSCH, Barbara (2003): Deutsche sehen alt aus.
Statistisches Bundesamt legt neue
Vorausberechnung zur Bevölkerung vor. Im Jahr 2050 kommt auf
zwei Personen im Erwerbsalter ein Rentner. Ursachen liegen in
der niedrigen Geburtenrate,
in: TAZ v. 07.06.
"Derzeit
werden in Deutschland 560.000 Babys im Jahr geboren",
behauptet Barbara DRIBBUSCH. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Beim
Präsidenten des Statistischen Bundesamtes, Johan HAHLEN, heißt
es anlässlich der
Vorstellung der 10. Bevölkerungsvorausberechnung dagegen:
"Wegen des zu
unterstellenden anhaltend geringen Geburtenniveaus wird die
heutige jährliche Geburtenzahl von ca. 730 000 auf etwa 560 000
im Jahr 2050 sinken".
Es macht
einen gewaltigen Unterschied, ob heute 560.000 oder ca. 730.000
Babys geboren werden! Die 560.000 Babys sind erst im Jahr 2050
zu erwarten und auch nur dann, wenn die Geburtenrate in jedem
Jahr nur 1,4 Kinder pro gebärfähiger Frau beträgt. Ob dieses
Szenario überhaupt realistisch ist, das darf angesichts des
Erklärungsnotstandes der Bevölkerungswissenschaft bezüglich des
generativen Verhaltens bezweifelt werden.
MEISTER, Martina (2003): Zurück in den Kreißsaal.
Der medial
inszenierte Baby-Boom verhält sich umgekehrt proportional zur
Geburtenrate,
in: Frankfurter Rundschau v. 16.07.
"Der medial
inszenierte Baby-Boom, das ist seine innere Logik, verhält
sich umgekehrt proportional zu den Geburtenraten. Man kann
es auch so formulieren: Es steht mit dem Verhältnis von
Bildern und Berichten über Schwangere zu den wirklichen
Geburten wie um das Verhältnis vom Prenzlauer Berg zum Rest
der bundesrepublikanischen Welt: Inmitten des unfruchtbaren
Landes findet sich ein kleines, phantastisches Eiland
segensreicher Vermehrung",
behauptet Martina
MEISTER und versucht sich im Kampf ums Überleben auf dem
Zeitungsmarkt
gegenüber der
Springer-Presse
abzugrenzen. "Die
Statistik spricht die wahre Sprache", während Medien
inszenieren! Wie naiv muss eine Journalistin sein, um so etwas
zu behaupten?
Geburtenraten müssen
INTERPRETIERT werden! Und diesen Spielraum der Interpretation
nutzen Polarisierer, die wie MEISTER das Aussterben
herbeiphantasieren. Nicht nur Arbeitslosenstatistiken werden
geändert, auch die Erfassung und Erfassbarkeit von Geburten
unterliegt historischen Veränderungen. Um den Wert
statistischer Daten einschätzen zu können, empfiehlt sich
Jürgen LINKs
Versuch über den Normalismus.
Dort wird die Produktion von Normalität in einer
zahlengläubigen Gesellschaft erörtert.
Die Veröffentlichung
statistischer Daten zur Bevölkerungsentwicklung ist Teil
postmoderner Normalitätsproduktion.
Dass hierüber bislang
keinerlei Forschung existiert, sagt etwas über die
Machtverhältnisse in dieser Republik aus, aber nichts über die
Wahrheit der statistischen Sprache.
GÜRTLER, Detlef (2003): Kinderland in
Sicht.
Die Generation
der Kinderlosen wird demnächst erfahren, wie verdammt hart es
ist, allein alt zu werden. So hart, daß keine der folgenden
Generationen diesen Fehler wiederholen wird,
in: Das Magazin, August
Man muss kein Prophet sein,
um zu wissen, wohin zukünftig die öffentlichen Meinung
tendieren wird. Detlef GÜRTLER beschreibt wie in Zukunft
Kinderlose stigmatisiert werden.
Selbst die Lifestyle-Soziologie, die
Trends erst dann ausruft, wenn sie auch in der letzten
Provinzzeitung nachzulesen sind, hat inzwischen auf den Wandel
reagiert. In dem Artikel
Auslaufmodell Single? in der
Publikation beziehungsweise Nr.13 v. 26.06 des
österreichischen Institut für Familienforschung) ist jener
Trend zusammengefasst, der bei single-generation.de
bereits vor 3 Jahren nach zu lesen war. Eine
Kritik an der
allzu simplen These vom "Wandel des
Wertewandels" muss zu
allererst daran ansetzen, dass es sich hier um einen
Generationenaspekt handeln soll.
Tatsächlich handelt es sich beim
medial inszenierten Babyboom
um einen Effekt, bei dem Demographie und Lebensphaseneffekte
die Hauptrolle spielen. Wenn
GÜRTLER, die in den 1960er Jahren Geborenen als
"Antibaby-Jahrgänge" charakterisiert, dann arbeitet er selbst
mit am sozialpopulistischen Bild dieser Generation. Und
ob "Einsamkeit
im Alter" tatsächlich die Regel werden wird, das ist mehr als
fraglich, denn selbst jene Generation, die nie allein gelebt
hat, kommt mit dem Alleinleben besser zurecht als es das
Klischee möchte.
Zwischen dem öffentlichen
Bild vom Single und dem wirklichen Leben der Singles wird
zukünftig eine große Lücke klaffen,
die sich nur schließen ließe, wenn Singles endlich ein
Bewusstsein ihrer Lage entwickeln würden und dem politischen
Druck eine Single-Bewegung entgegen setzen würden. Eine solche
Entwicklung ist - im Gegensatz zur USA - hierzulande jedoch
nicht absehbar. Wie
schlimm es um Deutschlands Partnerlose steht, ist daran zu
erkennen, dass sich selbst eine Journalistin nur unter dem
Pseudonym Nora Nordpol ("Das ABC der partnerlosen Frau", 2002)
traut über die partnerlose Karrierefrau zu schreiben.
Selbstbewusstsein: Fehlanzeige!
GÜRTLER, Detlef (2003):
Gerontokratie? Nichts da! Bald kommt der Baby-Boom.
Warum sich Statistiker,
Demographen und Schwarzseher irren, und was daraus folgt,
in: Welt v. 19.08.
Was
single-generation.de seit über 2 Jahren den deutschen
Demografen immer wieder vorwirft - nämlich zu niedrige
Geburtenziffern für Deutschland zu berechnen
- das beweist nun Detlef GÜRTLER in diesem Artikel. Auch
der Vorwurf, dass absichtlich Handlungsdruck erzeugt wurde,
klingt bei GÜRTLER an. Es ist zu hoffen, dass die
Bevölkerungswissenschaftler nun zur Stellungnahme gezwungen
werden und auch andere Journalisten Druck ausüben.
taz-Dossier:
Deutsche, wollt ihr ewig leben?
Arbeit,
Rente, Gesundheit: Der Nation gehen die Jungen aus. Ein Dossier
zum demografischen Wandel der Gesellschaft |
Ulrike WINKELMANN lässt das Who-is-Who der
deutschen Bevölkerungswissenschaft zu Wort kommen.
Überraschungen sind dadurch nicht zu erwarten. Internationale Experten sind dagegen
Fehlanzeige. Kritik
soll gar nicht erst aufkommen. Bevor die anstehenden Reformen
nicht durchgepeitscht worden sind, wird in Deutschland kein
Widerspruch zu hören sein. Dafür garantieren die Mitte-Medien...
Michael KLEIN, der eine Agentur für
Nachrichten aus den Sozialwissenschaften betreibt, ist leider
bezüglich der Geburtenrate von Frauen der Generation Ally
nicht auf dem aktuellen Stand. Statt der von
Jürgen DORBRITZ
bereits 2001 errechneten 27 % (und sehr wahrscheinlich
aufgrund der zunehmenden Zahl von Spätgebärenden noch zu hoch
geschätzt) für die
1965 Geborenen
werden von ihm "mindestens" 33 % ausgewiesen.
Bei den
Vergünstigungen für Familien greift KLEIN auf die Daten von
Astrid
ROSENSCHON zurück, die hier auf
single-generation.de bereits vor einiger Zeit vorgestellt
worden sind.
KLEIN sorgt sich vor allem
um das
"down-breeding",
das durch finanzielle Anreize gefördert wird:
"diejenigen, die sich fortpflanzen
(...) (gehören) nicht" unbedingt zur geistigen Elite ihrer
Gesellschaft".
Mit diesem Argument hat die derzeitige
Familienministerin Renate SCHMIDT
schon vor Jahren ihre Politik für die Mütterelite begründet
und sich damit gegen die Erhöhung des Kindergeldes und für die
Förderung der Kinderbetreuung ausgesprochen.
Mit Verweis
auf den Volkswirt Norbert BERTHOLD erklärt KLEIN, dass die
Sicherheit der zukünftigen Renten nicht in erster Linie von
einem Baby-Boom abhängt, sondern von Erwerbstätigen, die
Beiträge zahlen, statt als Arbeitslose die Sozialkassen
zusätzlich zu belasten.
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