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Frau
Mayer hat unrecht!
Seit Monaten streiten Wissenschaftler und Sozialexperten aller Parteien
um die Neugestaltung des Rentensystems. Allen, auch der Bevölkerung, ist
klar: Ein „Weiter so“ gibt es nicht. Tiefgreifende Reformen müssen her, um
für weite Teile der Bundesbürger die Gefahr der Altersarmut abzuwenden. Seit Wochen haben wir uns an die Einzelmeinungen und Expertenstimmen aus
der Rürup-Kommission gewöhnt, die genauso regelmäßig wie sie auftauchen,
von Stimmen aus Politik, Medien oder Kollegenkreis begrüßt, kommentiert
oder abgelehnt werden.
Jetzt hat auch die Sozialexpertin der „Zeit“,
Susanne Mayer, die Gelegenheit gefunden, sich in die Diskussion
einzuschalten. Danke Frau Mayer! Begeistert von dem geoffenbarten ökonomischen Tiefsinn erheben wir
unser Haupt über die soziale Stammtischkante in Frau Mayers
Kinderkrippenruheraum und denken nach:
„Kinderlose sollten höhere Beiträge zahlen - oder eine Halbierung ihrer
Ansprüche hinnehmen.“ So steht es in besagtem Artikel. Hat Frau Merkel
gesagt. Die Dame, von der man zuweilen nicht weiß, ob sie der CDU Konrad
Adenauers und Ludwig Erhards vorsteht oder ein Revival der Ost-CDU
betreibt. Was heißt höher? - und ist die Hälfte eines Anspruches, wie hoch
der auch immer sein mag, nicht die Hälfte zuviel?
Mensch, Ihr Kinderlosen,
kommet und zahlet, gebet dem Staate was Steuerklasse I Euch noch lässt!
Lohnsteuer, Kirchensteuer, Krankenversicherung, Pflegeversicherung,
Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, alles nur Geschwätz,
Ausflüchte um sich vor der gesellschaftlichen Verantwortung zu drücken.
Kinderlose brauchen weniger Wohnraum, kleinere Autos, weniger Arbeit.
Das Gesetz des steigenden Fixkostenanteils
bei kleinen Betriebsgrößen gilt für Kinderlose nicht. Aber in
Fachbegriffe wollten wir uns ja nicht verlieren.
Unserer Gesellschaft fehlen Kinder und damit sich das ändert, sollten
die Kinderlosen endlich etwas tun. Fangen wir am besten mit den
Arbeitslosen an.
Daran hätten die Herren Clement, Hartz und Gerster nun
wirklich schon längst denken können. Eine Kinderprämie für Arbeitslose,
warum nicht? Die Ämter sind entlastet und die Betreffenden haben gut
zu tun.
Nehmen wir zum Beispiel unseren Betrieb: Ein
Metallbaubetrieb mit über 30 Mitarbeitern, im Oktober Insolvenz
angemeldet, von den 14 im Insolvenzverfahren verbliebenen Mitarbeitern
sind sieben kinderlos. Was machen sie? Sie führen den Betrieb nach Kräften
weiter und suchen für den Fall der Fälle einen neuen Job. Und schädigen so die nächste Generation. Wären sie nicht so
selbstsüchtig, würden sie sich weniger mit Stellenanzeigen und mehr mit
Fortpflanzungsbiologie befassen und ihrer gesellschaftlichen Pflicht
genüge tun. Stellen finden sie sowieso keine. Die in Frage kommenden
Unternehmen klagen lieber über schlechte Auftragslagen, Konkurrenz aus dem
Ausland und zu hohe Lohnnebenkosten. Aber Fachbegriffe, wie gesagt, lassen
wir hier weg.
Kinder sind unsere Zukunft und hätten wir nur genug Kinder, bräuchten
wir keine Rentenversicherung. Sagt Frau Mayer.
Funktioniert leider nicht,
sagen die Chinesen. Auch die Inder und die Staaten Afrikas haben an dieser
Stelle gewisse Zweifel. Souverän entgegnen wir, das sind andere Kulturen
mit anderer Vergangenheit. Die Chinesen freut das, denn sie hatten schon
das Papiergeld erfunden, als die Germanen noch nach Worten suchten. Zum
Glück fanden sie einige. Zum Beispiel entdeckte vor ungefähr 150 Jahren
ein gewisser Karl Marx den Begriff „Das Kapital“. In einer dicken, meist
unverständlich geschriebenen Schwarte schreibt er über den Drang von
Kapitalisten zum Einsatz arbeitssparender Produktionsverfahren, heute
technischer Fortschritt genannt. Derweil beschreibt sein Freund Friedrich
Engels das Paradies der kinderreichen Arbeiterfamilien Englands, wo
die Kinder zur Verzückung ihrer Eltern das tun was sie sollen: Sie
arbeiten, um ihren Erzeugern wenigstens das Erreichen des Rentenalters zu
ermöglichen. Einzige Spielverderber im englischen Arbeiterparadies sind
die eingewanderten Iren, die mit ihrer Anzahl und Armut die Löhne so tief
drücken, dass selbst die Kinderarbeit kaum zu auskömmlichen Einkommen
verhilft. Marx macht das Verhältnis von Bevölkerungswachstum zu
technischem Fortschritt für das Entstehen einer industriellen Reservearmee
verantwortlich, die letztlich die dauernde Verelendung des Proletariats
begründet.
Ein Standpunkt, den man durchaus relativieren kann. Immerhin
genießen die Kinder der Favellas in Rio de Janeiro und der Townships in
Kapstadt das Aufenthaltsrecht in den schönsten Städten der Welt, während
die Wohlstandsgesellschaft in Europa mit dem welterschütternden Thema der
Kinderlosigkeit auseinandersetzen muss.
„Um 16 Millionen wird die Zahl der Erwerbsfähigen in den kommenden
Jahren absinken.“ Um mit den Worten einer Molkereifachkraft - auch
Milchmädchen genannt - zu sprechen, wird in 50 Jahren jeder Arbeitslose
von heute dreimal so schnell arbeiten müssen, wie er es einmal täte, wenn
er nur könnte. Wenn ihm nicht der technische Fortschritt in die Quere
kommt. Aber den haben wir bis dahin sicher abgeschafft.
Schon heute
wandern die Firmen in Scharen ins Ausland ab, werden innovative
Arbeitsplätze aus Kostengründen mit Hilfe vernetzter Datentechnik in so genannte Niedriglohnländer verlagert.
Warum sollte auch nicht ein chinesischer
Journalist, der sich in mehrjährigem Studium durch die deutsche Sprache
gequält hat und aufgrund des Lohnniveaus in seinem Heimatland nur einen
Bruchteil der in Deutschland üblichen Vergütung erhält in einer deutschen
Zeitung über die Vorzüge des Kinderreichtums philosophieren können? Weil
er in China wohnt und die Landesverhältnisse nicht kennt, Punkt.
Vielleicht beurteilt er aber gerade deshalb die wirtschaftlichen
Verhältnisse hierzulande realistischer als seine deutsche Kollegin.
Vielleicht findet er eine andere Würdigung für fünfzig Jahre Aufbauarbeit
eines in Trümmern liegenden Landes. Vielleicht hat er eine andere
Definition für Kinderfeindlichkeit, Gruppenegoismus, soziale
Verantwortung. Vielleicht haben chinesische Kinder noch ein anderes
Bewusstsein, eine andere Wertschätzung für Markenkleidung, Lebensmittel,
Schulbildung.
Jawohl, auch Schulbildung. Denn Schulbildung gibt es in Deutschland
aller Verunglimpfungen und Notwendigkeiten zur Verbesserung zum Trotz, frei und kostenlos. Wie vieles andere in diesem Staat. Gewöhnlich werden
solche Errungenschaften eines Landes Infrastruktur genannt.
Fachworte
wollten wir eigentlich nicht gebrauchen. Dennoch soll der in einem Artikel
obligatorische Experte nicht unerwähnt bleiben. Seit Jahren wirbt der
Rentenexperte Prof. Bernd Raffelhüschen für das Konzept der
Generationenbilanz als Grundlage für ein neues Rentensystem. Dabei
geht es um die Frage, „Wie viel zahlt jemand während seiner Lebenszeit an
den Staat und wie viel bekommt er aus öffentlichen Kassen als
Gegenleistung heraus?“
Eine komplizierte Frage, schwierig zu berechnen,
in jedem Fall unangenehm in der Beantwortung, weil sie manchen polemisch
aufgeblähten, sozialstaatlichen Mythos unbarmherzig seiner
gruppenegoistischen Verkleidung entblößt. Wollen wir den Sozialstaat erhalten, ist die Generationenbilanz als
ehrliche Inventur der gegenwärtigen und Grundlage der künftigen
Verteilungspolitik unabdingbar. Sie macht den Sozialstaat transparent und
versachlicht ungeheuerliche Behauptungen der Machart: jeder Kinderlose mit
sozialem und ehrenamtlichem Engagement sei ein Egoist, der weder Geld,
noch Zeit, noch Kraft mit anderen teile. Und sie erfüllt eine noch wichtigere Aufgabe: Sie beantwortet die Frage
des kinderlosen Steuerzahlers der mittleren Generation mit unsicherer
Rentenerwartung, steigenden Beitragsleistungen und nicht überschaubarer
beruflicher Perspektive:
Habe ich noch eine Zukunft in diesem Land? Die Abstimmung über die
Glaubwürdigkeit der Antwort findet mit Flugscheinen statt!
Ein
Kommentar von Dagmar Brandt
für Kai Schlesingers engagierte
Kritik zu „Strafsteuer für Kinderlose“ möchte ich die
NACHDENKSEITEN (http://www.nachdenkseiten.de/)
empfehlen, die davon sprechen, „ein Gespenst geht um … das der
Demographie“. Dort wird ebenfalls der Unsinn vom Kindermangel
in einem von Arbeitslosigkeit gebeutelten Land beschrieben. Dort
wird herausgearbeitet, dass die leeren Rententöpfe der
Arbeitslosigkeit und der Plünderungspolitik der Kohl-Ära zu
verdanken sind.
Also: Könnte eine Verantwortungsethik
nicht sogar zu dem Schluss kommen, dass angesichts des
technologischen Fortschritts, wie bei Karl Marx beschrieben, es oberste Bürgerpflicht ist, KEINE KINDER in die Welt zu
setzen. Nicht weil Kinder an sich arm machen (das glaubte in
den 1840er Jahren Robert Malthus und schimpfte über die Armut
der Hunger leidenden Iren), das tun sie bei arbeitslosen
Familien auch, sondern weil diese Wirtschaft den Menschen nur
als Konsumenten braucht, nicht aber als Produzenten. Der Sinn
des Lebens besteht aber nicht im Konsumieren sondern in tätiger
Teilhabe, also in Arbeit, die den Erwerbslosen als ihnen nicht
zustehender Luxus vorenthalten wird. Im Übrigen, wie sollen denn
Arbeitslose für die Rentenkassen Beiträge entrichten, sie tun es
genauso wenig wie Maschinen.
Die Finanzkatastrophe für
die heute 40- bis 50-Jährigen kommt in 20 Jahren, wenn die
privaten Kapital bildenden Versicherungsverträge mit weit
weniger Gewinn ausgezahlt werden als noch Anfang der 90er Jahre
versprochen wurde, wenn die ererbten oder mühsam abbezahlten
Häuser nur noch zu Schleuderpreisen veräußert werden können.
Nicht etwa weil es zu wenig Kinder gibt, sondern zuwenig
Nachfrager mit ausreichend Einkommen.
Gerade am Konsumgut Haus
wird sich zeigen, dass diese in der Gesellschaft äußerst
begehrte Ware keine Abnehmer mehr findet – die Vorboten des
Preisverfalls sind bereits in meinem Wohnviertel da. Bis zu zwei
Jahren dauert es nach Wegzug der Altbesitzer ins Altersheim oder
nach ihrem Sterben, bis die Erben diese Immobilien mit
Preisnachlass verkauft haben.
KEINE KINDER in die Welt zu
setzen ist eine klitzekleine Form des Protestes gegen
lebensfeindliche Verhältnisse. Ein Protest, der nicht auf
Straßen und Plätzen stattfindet, sondern leise und privat. Aber
selbst das können die mit Abgeordneten-Diäten gesättigten
Demokraten nicht hinnehmen. Sie teilen gegen Kinderlose aus,
aber leider nicht das, was Kinder zum Leben brauchen, sondern
nichts als leere Worte.
KEINE KINDER, das muss das
Motto einer Gesellschaft ohne Zukunft werden. |
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