Für den Blick auf die
Entwicklung unserer Bevölkerung sind beobachtbare Fakten eine
wichtige Voraussetzung. Deshalb wundert der schlampige bis
tendenziöse Umgang in der öffentlich geführten Diskussion.
Negative Entwicklungen werden übertrieben dargestellt, positive
weitgehend ausgeblendet. Aber auch vor bewussten oder
unbewussten Falsch-Darstellungen wird selten zurückgeschreckt.
Hauptsache es dient der Dramatisierung!
An vorderer
Front dieser Fakten-Verdreher stehen der FAZ-Herausgeber
Schirrmacher („Das Methusalem-Komplott“) und das Magazin „Der
Spiegel“. Am 6.3. dieses Jahres mussten wir neue Beispiele für
ihre, manipulierende Darstellungsart im Spiegel erleben. In
einem Artikel und einem Interview mit Frank Schirrmacher aus
Anlass der Herausgabe seines neuen Buches „Minimum“ wurde wieder
kräftigst dramatisiert und dabei manche Tatsache völlig
verfälscht.
Meine
Bemerkungen beziehen sich ausschließlich auf die statistischen
und logischen Verdrehungen, über die merkwürdigen politischen
Erklärungen und Folgerungen mögen sich Berufener auslassen. Ich
möchte die Fehler in der Arbeitsweise der Autoren nur von meiner
Profession, der Statistik und Mathematik, also der Faktenwelt
und der Logik aus betrachten.
Matthias Matusek u. a. - Unter Wölfen
Zuerst zum Artikel der
Spiegels (Autoren Gatterburg, Matussek und Wolf, S. 76 bis 84):
Interessanterweise
werden die gesundheitlichen Probleme von Kindern ausführlich
beschrieben - zu ergänzen wäre vielleicht noch der frühe
Konsum von Alkohol, Tabak und anderen Drogen schon in der
Wachstumsphase. Aber Folgen für die weitere Entwicklung der
Lebenserwartung scheinen sich weder Schirrmacher noch der
Spiegel vorstellen zu können.
SPIEGEL:
„... die Risiken einer Scheidung vor dem
Familiengericht will kaum noch einer auf sich nehmen.“ (deshalb
„Ehestreik“)
Maßlos übertrieben! 2004
haben sich 791.984 Menschen das Ja-Wort gegeben, in den
letzten zehn Jahren waren es über 8 Millionen. Merkwürdiger
Streik.
Auch im Detail gibt es
viele Fehler: Mal werden die Babyboomer in den fünfziger Jahren
geortet, mal wird übersehen, dass die Geburtenrate in
Westdeutschland seit 1970 annähernd konstant ist, mal wird das
Statistische Bundesamt mit seiner Wanderungsprognose falsch
(Absicht?) zitiert.
Auf die
vielen unklar, aber tendenziös formulierte Fakten bin ich nicht
eingegangen. Sie sind halt nicht nachweisbar falsch, erzielen
nur den gewünschten, dramatisierenden Gesamteindruck.
Frank Schirrmacher im Spiegel-Interview
Schirrmacher bringt in
seinem Interview (S. 85 bis 88) eigentlich keine Fakten, es ist
halt nicht sein Metier Tatsachen zu beschreiben und daraus
Schlussfolgerungen zu ziehen. Erstaunlich ist die Logik seiner
Argumentation und Schlussweise.
SPIEGEL-Interview:
„..., ich bin ein optimistischer, aber
auch sehr realistischer Mensch.“ (S. 85) “Aber irgendwo in der
Ferne kommt noch einmal eine Weiche, und die können wir
umstellen.“ (S. 85) Und auf der anderen Seite: “Der Zug ist
abgefahren.“ (S. 86) „Wir wurden umprogrammiert“ (S. 85 und 87)
Erst in der Ferne etwas
änderbar? Biologische Umprogrammierung gegen Kinderzeugung in
ein bis zwei Generationen?? Und das soll optimistisch sein?
Aber, wenn er sich mal auf
Fakten einlässt wird es gar grausig:
SPIEGEL-Interview:
„..., denn um Frauen wird gekämpft werden
müssen in der Zukunft, weil sie knapp werden!“ (S. 88)
Aus welcher
Horror-Geschichte hat er denn das? Insgesamt gibt es deutlich
mehr Frauen als Männer, alleine durch die höhere
Lebenserwartung. Und was die Zukunft der jungen Leute in
Deutschland angeht - darauf war die Bemerkung bezogen: Der
männliche Anteil an den Geburten liegt seit 1945 zwischen 51,3
und 51,9 Prozent, in den letzten 15 Jahren dabei am unteren
Ende (51,3 bis 51,4 Prozent). Die heutigen jungen Männer
müssen sogar weniger „um die Frauen“ kämpfen, allerdings
statistisch unerheblich.
SPIEGEL-Interview:
„Die muselmanische Reconquista hat
demografische Ursachen, die Geburtenrate wird in diesen Ländern
noch bis 2020 wachsen.“ (S. 88)
Natürlich ist unklar
welche Länder, Bevölkerungsteile er meint. Auch der Begriff
Geburtenrate ist nicht eindeutig. Aber die Kinderzahl pro Frau
geht seit längerem in den meisten Ländern zurück. Nur die Höhe
des Rückganges, bzw. die Frage, ob es unter dem rechnerischen
Bestandserhaltungsniveau sinkt, wird diskutiert. Also, für
heute ist die Bemerkung sicherlich falsch. Und woher
Schirrmacher das Gebärverhalten der Zukunft in diesen Ländern
kennen will, möchte ich gerne wissen. Aber vielleicht
verwechselt er ja Geburtenrate mit Bevölkerungszahl, für die
diese Prognose evtl. gelten könnte. Dann sollte er bei den
Formulierungen mal weniger auf die Angst machende Absicht
achten und mehr auf den Wahrheitsgehalt.
Erstaunlich ist auch
Schirrmachers Ausflug in die Katastrophentheorie. Zwei Beispiele
beweisen ihm die Überlegenheit der Familie. Und was ist mit den
vielen anderen Katastrophen??? Zwei Beispiele finde ich für jede
Theorie, von einem aussagekräftigen Beleg ist das aber
meilenweit entfernt.
Wie schon
gesagt: Hier wird nur der Umgang mit Fakten beleuchtet, die
politisch gewollten Implikationen sind genauso fragwürdig. Das
Alles hat mich an meine Zeit als Berater des Wissenschaftlichen
Dienstes des Deutschen Bundestages erinnert. Auch dort wollten
die Politiker nur die Fakten, die zu ihrer Meinung passten, nur
zur Not auch verdreht.
Zum Schluss in eigener Sache
Natürlich sind mehr Kinder
eine Bereicherung. Aber bevor wir über die Geburtenrate jammern,
sollten wir die heute existierenden Kinder und Jugendlichen gut
versorgen: Mit Plätzen in KiTas und Kindergärten, mit
ausreichend Lehrern in modernen Schulen, mit genügend
qualifizierten Ausbildungsstellen und Hochschulen, in denen
Platz ist und der Lehrkörper auch mal Zeit für Gespräche mit den
Studenten hat. Das würde die Jugend „zukunftsfest“ für ihre
späteren Versorgungsaufgaben machen. Daraus könnte eine
optimistische Generation erwachsen, die anders über Kind Sein
und Kinder bekommen denkt.
Oder umgekehrt ausgedrückt: Schlecht ausgebildete Kinder und
Jugendliche werden in 20 bis 30 Jahren große Probleme haben die
Gesellschaft zu stemmen. Das liegt dann aber nicht an der
Demografie, sondern ist Konsequenz verfehlter Politik!
Kontakt: Prof. Dr.
Gerd Bosbach, Fachhochschule Remagen,
bosbach@rheinahrcampus.de