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Thema des Monats

 
       
   

Der Geburtenrückgang der Berliner Republik

 
       
   

Warum der Nationalkonservatismus gerade jetzt zum Endkampf bläst

 
       
     
       
   
     
 

Deutschland am Abgrund?

Im März des Jahres 2006 lag wieder einmal Endzeitstimmung über dem Land. Frank SCHIRRMACHER veröffentlichte sein Buch Minimum und die Mitte-Presse steuerte untertänigst den Untergang Deutschlands mit Hilfe gefakter statistischer Daten über die demographische Lage bei.

Jeder für sich

"Es ist ist die Altersgruppe zwischen 20 und 45, die Familien gründet, oder auch nicht. Bei uns tat sie es immer weniger. Und sie gab ihr Modell der Kinderknappheit weiter an die nächste Generation, die nun noch weniger Kinder kriegt, denn das ist bewiesen: Es braucht Kinder, um zum Kinderkriegen zu ermutigen."
(Matthias Matussek u.a. im Spiegel vom 06.03.2006, S.80)

Im Spiegel-Aufmacher vom 6. März sahen sich Matthias MATUSSEK u. a. bereits Unter Wölfen.

Am 14. März legten Uwe MÜLLER und Joachim PETER in der Welt dann noch nach und verkündeten:

Wenn das Volk schrumpft

"Nach Prognosen des Statistischen Bundesamtes kamen 2005 nur rund 676 000 Kinder auf die Welt. Gegenüber dem Vorjahr, als es noch knapp 706 000 Geburten waren, würde das ein Minus von über vier Prozent bedeuten - es wäre der gewaltigste Einbruch der letzten 15 Jahre."
(Uwe Müller und Joachim Peter in der Welt vom 14.03.2006)

An dieser Meldung stimmt nicht einmal die Behauptung, dass dies der "gewaltigste Einbruch der letzten 15 Jahre" sei. Vielmehr wurden im Jahr 2000 noch 766.999 Kinder in Deutschland geboren, während ein Jahr später nur noch 734.475 Kinder zur Welt kamen. Dies entspricht einem Rückgang um ca. 4,2 %. Einen Tag später gibt das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung eine Pressekonferenz, um das Buch Die demografische Lage der Nation in Szene zu setzen. Spiegel Online skandiert daraufhin:

Der Osten verliert, der Süden profitiert

"Die Geburtenrate in Deutschland ist auf dem niedrigsten Stand seit 1945, die Kinderzahl pro Kopf ist die niedrigste der Welt. »Das heißt, wir sind in der schwierigsten Lage weltweit«, sagte Reiner Klingholz, Leiter der Studie."
(Miriam Schröder im Spiegel Online, 15.03.2006)

Über Vorabmeldungen der Nachrichtenagenturen verbreiten sich die Zahlen von MÜLLER & PETER wie ein Lauffeuer. Bild titelt Baby-Schock! und behauptet, dass die Deutschen in 12 Generationen ausgestorben sind. Die linke Tageszeitung junge Welt zitiert die Welt gar so, dass 2005 noch weniger als 676.000 Kinder zur Welt kamen. Die katholische Zeitung Die Tagespost schreibt dagegen einen Tag später vorsichtiger:

Demographisch im Kriegszustand

"Die Zeitung »Die Welt« hatte Zahlen des Statistischen Bundesamtes hochgerechnet und kam nur auf 676 000 Neugeborene. Das Amt selbst will erst im Sommer seine Daten für 2005 bekannt geben, nennt aber jetzt eine Größenordnung von 680 000 bis 690 000."
(Martina Fietz in der Tagespost vom 16.03.2006)

Am gleichen Tag wiederholen MÜLLER & PETER noch einmal ihre eigenen Zahlen mit der Schlagzeile Es droht Einwohnerkannibalismus. Sie schreiben:

Es droht Einwohnerkannibalismus

"Am Dienstag hatte die WELT exklusiv über eine interne Prognose des Statistischen Bundesamtes berichtet, wonach 2005 nur 676 000 (Vorjahr: 706 000) Babys geboren wurden." [mehr]
(Uwe Müller und Joachim Peter in der Welt vom 16.03.2006)

Erst am 17. März klärt Björn SCHWENTKER über die Falschmeldungen auf - nicht etwa in der Print-ZEIT wie sich das gehört hätte, nein, nur in der Online-Ausgabe wird darauf hingewiesen:

Der Kinderschock

"Auf einem »Tiefstand« sieht die Berliner Studie die deutsche Geburtenrate bei derzeit 1,36 Kindern pro Frau angekommen. In der FAZ gesellt sich dazu die Äußerung von Hans Fleisch, dem Vorstandsvorsitzenden des Berlin-Instituts, dies sei »der niedrigste Wert auf der Welt außer dem Vatikan«. Doch Minimum-Weltrekordler sind die Deutschen - so steht es zumindest in der Berliner Studie, und vielleicht meinte das auch Hans Fleisch - in der Zahl der Geburten je tausend Einwohner, und das schon seit dreißig Jahren. Diese Ziffer sagt aber nichts über die Geburtenzahl je Frau aus, die in einigen Ländern Europas niedriger ist als in Deutschland.
Die Verwechslung zeugt von einem Verständnisdefizit angesichts der verwirrenden Statistik, könnte man meinen. Doch nahtlos geht es weiter. Auch für die weitere Geburtenentwicklung wird ein pessimistisches Bild an die Wand gemalt: Im Jahr 2005 seien in Deutschland nur noch 680.000 Kinder geboren worden, die niedrigste Zahl seit 1945. Bis 2050 sei zu erwarten, dass sich diese Zahl halbiere, zitieren die Zeitungen Reiner Klingholz, den Direktor des Berlin-Instituts.
Ein kurzer Anruf beim Statistischen Bundesamt hätte genügt, um nicht nur zu erfahren, dass die Kinderzahl für 2005 eine vorläufige Schätzung ist, die zwischen 680.000 und 690.000 liegt. Aber in der deutschen Demografie-Debatte ist es ja ohnehin schon lange Usus, nur Minimalwerte zu zitieren."

(Björn Schwentker auf ZEIT Online vom 17.03.2006)

Die Zahlen, die SCHWENTKER nennt, wurden in der Welt bereits am 21. Januar veröffentlicht. Woher hatten also MÜLLER & PETER ihre Zahlen, die noch um 4000 Geburten unter den Schätzungen des Statistischen Bundesamtes lagen?

Auf single-generation.de widerlegte der Bevölkerungsstatistiker Gerd BOSBACH am 20. März Aussagen, die im Spiegel-Titel zur demografischen Lage gemacht wurden . Erst Tage später durfte er seine Kritik auch in der Mitte-Presse äußern. Matthias KAMANN, der am 21. Januar die Schätzung des Statistischen Bundesamtes zur Geburtenentwicklung in der Welt kommentierte, kritisierte die Praxis der Welt indirekt in einer Buchbesprechung:

Kritik am Meinungskartell

"Es gibt sie, die Tendenz zur inzestuösen Meinungsbildung in jenen Informationseliten, die seit gut fünf Jahren eine Radikalkur für unsere Wirtschaft und Sozialsysteme fordern. Gerade diejenigen, die unablässig über Korporatismus und soziale Kartelle klagen, haben selbst ein korporatives Kartell aufgebaut, in dem einer dem andern die Reformthesen und Krisenbeschwörungen nachspricht. So kamen jüngst pünktlich zum Erscheinen des neuen Demographie-Buches von FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher plötzlich die passenden Studien zum Geburtenrückgang daher, und die Medien überboten einander mit Serien über die alternde Gesellschaft und die Krise der Rentenversicherung." [mehr]
(Matthias Kamann im DeutschlandRadio vom 07.04.2006)

Wer stoppt also diesen Betrug unserer Medienelite an der deutschen Öffentlichkeit? Im Juni werden voraussichtlich die offiziellen Zahlen zur Geburtenentwicklung im Jahr 2005 bekannt gegeben. Wiederholt sich dann diese Medienkampagne, weil das Gedächtnis so kurz ist? Immerhin steht die reibungslose Durchsetzung des Elterngeldes auf der politischen Agenda.

single-generation.de berichtet exklusiv weiter

Am 19. Juli und am 15. August 2006 veröffentlichte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung 2005. Was zum Zeitpunkt dieses Beitrags lediglich ein begründeter Verdacht war, ist nun Gewissheit: Die tatsächlichen Geburtenzahlen 2005 liegen um ca. 10.000 Geburten höher als von MÜLLER & PETER im März behauptet. Im Buch Die Single-Lüge wird aufgezeigt, dass dies kein Zufall oder Einzelfall war, sondern Teil der nationalkonservativen Strategie ist.

Die Ruhe vor dem nationalkonservativen Sturm

Seit dem Pflegeurteil im April 2001 haben die Medienkampagnen ständig an Schärfe gewonnen und die Taktfrequenz der Kampagnen hat sich erhöht. Es spricht einiges dafür, dass die Kampagne im März nicht der Höhepunkt, sondern nichts als die Ruhe vor dem Sturm war. Am 16. März betitelte die Süddeutsche Zeitung ein Interview mit dem Nationalkonservativen Franz-Xaver KAUFMANN schlicht mit dem Wort Abwärts. Im Vorspann müssen die Zahlen von MÜLLER & PETER als Beleg herhalten. Das ist Qualitätsjournalismus, aber nach Gutsherrenart! Der Soziologe Franz-Xaver KAUFMANN hat mit seinem Buch Schrumpfende Gesellschaft nichts weniger als eine THEOLOGIE DES BEVÖLKERUNGSRÜCKGANGS verfasst. Man muss Anhänger dieser Glaubensgemeinschaft sein, um den Vorstellungen von KAUFMANN etwas abgewinnen zu können.

Schrumpfende Gesellschaft

"Der Umstand, daß demographische Veränderungen in der Regel nicht ein einzelnes, sondern mehrere gesellschaftliche Teilsysteme in ihrer raum-zeitlichen Lagerung einigermaßen gleichzeitig betreffen, legt die Frage nach mittelbaren gesellschaftlichen Wirkungen des demographischen Wandels nahe. (...).
          
Das Wirtschaftswachstum kann durch Innovationen und durch Export stimuliert werden; Produktivitätssteigerungen erscheinen weit stärker von unternehmerischen Maßnahmen als von der Personalwirtschaft abhängig; Nachfrageausfälle im basalen Bereich lassen sich durch Verschiebung der Nachfrage in Bereich superiorer Güter und Dienstleistungen kompensieren; Geburtenausfälle lassen sich durch Zuwanderung kompensieren usw. Auch wenn somit die (...) Befunde nicht geleugnet werden, so behaupten die verharmlosenden Diskurse, daß die demographischen Effekte im Vergleich zu anderen Wirkungsgrößen bescheiden bleiben und angesichts der Langsamkeit ihrer Entfaltung unschwer durch Anpassungsmaßnahmen kompensiert werden können.
          
(...).
Die hier vertretene Gegenthese (...) hebt (...) auf die gleichsinnige Wirkungsrichtung des demographischen Wandels mit Bezug auf nahezu alle Gesellschaftsbereiche ab."
(2005,S.111ff.)

KAUFMANN verlässt mit dem Buch jedenfalls den Boden wissenschaftlicher Seriosität und entwirft eine "Theorie" des Zusammenhangs von Wohlstand und Geburtenentwicklung. Von welchen Prämissen das nationalkonservative Paradigma ausgeht, das wird im Buch Die Single-Lüge. Eine Kritik der Argumentationsmuster im Zeitalter der Demografiepolitik von Bernd KITTLAUS beschrieben. Das Buch ist im Mai erschienen .

KAUFMANN macht im Interview mit der Süddeutschen Zeitung unmissverständlich klar, dass kein Weg daran vorbeiführen wird, "Kinderlose" zu bestrafen:

Abwärts

"Ich gestehe zu, dass die Forderung nach einem Altersvorsorgezwang für Personen, die - manchmal aus für sie tragischen Gründen - keine Elternverantwortung übernehmen, noch als politisch unkorrekt gilt. Es ist aber praktisch unmöglich, Familien ausreichend zu fördern, ohne die ökonomischen Vorteile der Kinderlosigkeit abzubauen.
          
Diese Einsicht wird sich durchsetzen. Was die Politik daraus macht, ist schwer zu sagen."]
(SZ 16.03.2006)

Das nationalkonservative Paradigma bevorzugt sozial unausgegorene Instrumente wie die Rente nach Kinderzahl , die sowohl die Unternehmen als auch die Spitzenverdiener aus der Verantwortung für die Nachwuchssicherung entlassen und eine eindeutige Umverteilung von unten nach oben bedeuten. Die Sympathisanten dieser Lösung warten nur noch auf den richtigen Zeitpunkt. So schreibt z.B. Felix BERTH in der Süddeutschen Zeitung:

Sehnsucht nach Familie

"Wer heute auf Nachwuchs verzichtet, muss im Alter keine Risiken fürchten. Diese Trittbrettfahrer des Systems stärker zu belasten wäre sinnvoll - schließlich verfügen sie über Geld und Zeit, die andere zur Kindererziehung benötigen."
(SZ 04.02.2006)

Was BERTH jedoch verschweigt: Die Rentenansprüche sind für Jüngere bereits jetzt um 1/3 gekürzt worden. Dabei sind die Sozialsysteme noch nicht einmal vom demografischen Wandel betroffen. Allein die Wiedervereinigung, die hohe Arbeitslosigkeit, die Zunahme sozialversicherungsfreier Jobs sowie die Praxis der Frühverrentung haben die Sozialsysteme ruiniert (siehe Stern 23.03.2006 und FAZ 03.04.2006).

Bislang ging es in erster Linie um die Bestandssicherung der 68er-Generation. Dabei hat die Geburtselite der Generation Golf, z.B. Susanne GASCHKE, wertvolle Dienste geleistet  . Es kommt sogar noch dicker. Die 68er profitieren als "Generation Enkellos" (Jakob WEIZSÄCKER & Robert FENGE) zusätzlich noch davon, dass die jüngeren Generationen weniger Kinder bekommen haben ("Der Rentengewinn der Generation Enkellos", FAZ 20.04.2006). Die Jüngeren haben dagegen das Nachsehen.

Angesichts der Tatsache, dass zudem eine erhebliche Ausweitung von Niedriglöhnen - speziell im Bereich der haushaltsbezogenen Dienstleistungen - geplant ist, muss gefragt werden, wie junge Kinderlose der Generation Praktikum in die Lage versetzt werden sollen, einerseits ihre Altersvorsorge aufzubauen und andererseits Partnerwahl und Familiengründung unter den Bedingungen des globalen Arbeitsmarktes hinzubekommen . Man könnte es zynisch formulieren: Erfolglose sollen eben keine Kinder kriegen! Der Kern der Argumentation von KAUFMANN läuft jedenfalls darauf hinaus, dass es nicht wirklich zu wenig Kinder in Deutschland gibt, sondern dass die Falschen die Kinder bekommen. Dieses nationalkonservative Credo hat vor kurzem der einstige Popliterat Joachim BESSING auf den Punkt gebracht:

Klasse statt Masse

"Wer, um seine Kinder großzuziehen, auf die Hilfe des Staates angewiesen ist, der hat von der kulturell entwickelten Lebensform Familie nämlich rein gar nichts begriffen. (...).
          
 Geburtenschwäche hat vor allem seelische Gründe, denen mit Zahlungen schwer zu behelfen sein wird. Gefördert werden muß nicht die Masse an Kindern, sondern das Bewußtsein jener Klasse, deren Nachwuchs wir dringend benötigen. Nicht die ohnehin bereits am staatlichen Tropf hängen, sollen die Kinderlein kommen lassen. Wir brauchen starke Familien, die Werte vermitteln können. Wir brauchen ein reproduktives Bürgertum. (...).
Die Zukunft unserer Kinder wird - zwingend wie jemals zuvor - nach Herkunft, Möglichkeit und Situation sortiert werden."
(Welt 19.04.2006)

Mit dem Nationalkonservatismus steht uns der Rücksturz in die Vormoderne bevor.

Warum gerade jetzt?

Nationalkonservative und ihre Sympathisanten warten nur noch auf den richtigen Zeitpunkt. Dieser scheint nun gekommen zu sein, denn die GeburtenZAHLEN werden in den nächsten Jahren rückläufig sein, selbst wenn die GeburtenRATE steigt. Diesen Sachverhalt, der durch den kurzzeitigen Übergang von den geburtenstarken zu den geburtenschwachen Jahrgängen verursacht wird, versuchen nun Nationalkonservative für weitere unsoziale Reformen zu missbrauchen.

 Schaubild 1

Quelle: Jahrbücher des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden

Das obige Schaubild zeigt den Rückgang der weiblichen Geborenen zwischen 1968 und 1973. In diesem Zeitraum war in Deutschland der stärkste Geburtenrückgang zu verzeichnen. Aus dem Schaubild ist auch erkennbar, dass der Rückgang in der DDR erst später einsetzte. In den alten Bundesländern erfolgte der stärkste Rückgang 1969/1970, in den neuen Bundesländern dagegen erst 1971/1972.

In den letzten Jahren stand vor allem der westdeutsche Frauenjahrgang 1965 unter Beobachtung. Es war der erste Jahrgang des westdeutschen Geburtenrückgangs Für Florian ILLIES war dies der erste Jahrgang der Generation Golf, für Katja KULLMANN der erste Jahrgang der Generation Ally.

 Schaubild 2

Quelle: Jahrbücher des Statistischen Bundesamtes in
Wiesbaden; eigene Berechnungen. Bei den Zahlen ab
dem Jahr 2000 handelt es sich um Schätzungen, da
lediglich Zahlen für Deutschland vorhanden waren.
 Für die alten Bundesländer wurde ein Anteil von 78,9 %
der Geburten angenommen. Dieser Wert dürfte eher zu
niedrig angenommen sein, weil der Anteil der
Spätgebärenden in Ostdeutschland niedriger ist.

Betrachtet man das Schaubild, dann wird deutlich, dass dieser Frauenjahrgang inzwischen nicht mehr viel zum Geburtenaufkommen beiträgt. Seinen größten Beitrag lieferte dieser Jahrgang Anfang bis Mitte der 1990er Jahre. Es war gleichzeitig jene Zeit, in der in Westdeutschland die Individualisierungsthese des Soziologen Ulrich BECK zum dominanten Erklärungsmuster wurde . Im Jahr 2000 erreichte der erste Jahrgang der Generation Ally das Alter von 35 Jahren und wird damit zu den Spätgebärenden gerechnet. Das Geburtenniveau des Frauenjahrgangs 1965 lag im Jahr 2000 noch bei fast 50 % des Höchstwerts. Der Anteil der 35Jährigen des Frauenjahrgangs 1955 lag dagegen noch über 5 % niedriger. Betrachtet man gar den Frauenjahrgang 1945, dann lag der Beitrag der 35Jährigen zum Geburtenniveau gar über 50 % niedriger.

Der Nationalkonservatismus und seine Sympathisanten wird unter den gegebenen Umständen die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Rückgang der GeborenenZAHLEN lenken, um dadurch die entscheidende  Größe - die GeburtenRATE der jüngeren Generationen  - unter den Tisch fallen zu lassen. Die Medienkampagne im März zeigt, dass diese Rechnung aufgehen kann. Als erste Gegenmaßnahme zur nationalkonservativen Strategie empfiehlt sich also, den Blick auf die GeburtenRATE der jüngeren Generationen zu lenken, denn hinter dem Rückgang der Geborenenzahlen könnte sich ein neuer Babyboom verbergen. Wenn also Nationalkonservative nur über die GeborenenZAHLEN sprechen möchten, dann sollten sie gezwungen werden, zur GeburtenRATE Stellung zu beziehen. Darüber sprechen Nationalkonservative jedoch ungern. Die Veröffentlichungen von Nationalkonservativen erkennt man insbesondere daran, dass dort gerne mit völlig veralteten Daten gearbeitet wird bzw. Indikatoren benutzt werden, die sich besonders zur Dramatisierung eignen.

Christoph Keese - Der Mann, der den Mund zu voll nahm

Im Jahr 2004 veröffentlichte der einstige Chefredakteur der Financial Times Deutschland und jetzige Chefredakteur der Welt am Sonntag das Buch Rettet den Kapitalismus! Sätze mit appellativem Charakter sind das Markenzeichen unserer neuen Werteeliten. In seinem Buch propagiert KEESE ein ehrgeiziges Ziel:

Rettet den Kapitalismus!

"Das Ziel muss lauten, hunderttausend mehr Babys pro Jahr zur Welt zu bringen. (...). Hunderttausend Babys mehr bedeutet, dass 820.000 neue Deutsche pro Jahr auf die Welt kommen würden. Das entspräche genau dem Schnitt der letzten zwanzig Jahre - kein unerreichbares Ziel.
Fast 25 Millionen Menschen sind heute zwischen zwanzig und fünfundvierzig Jahre alt, was ungefähr zwölf Millionen potenzielle Paare ausmacht. (...). Wenn jedes Jahr 0,8 Prozent dieser zwölf Millionen Paare, also jedes 125zigste Paar, ein Baby bekäme, wäre das Ziel von hunderttausend zusätzlichen Geburten erreicht."

(2004, S.227)

Keine 2 Jahre später ist offensichtlich, dass dieses Ziel vollkommen unrealistisch ist. Statt die Hürde von 800.000 Geburten zu nehmen, wird voraussichtlich im Jahr 2005 selbst die Hürde von 700.000 unterboten werden. Dies ist wenig verwunderlich, denn im Jahr 2005 erreichte der Frauenjahrgang 1975 das 30. Lebensjahr. Im Jahr 1965 wurden in Deutschland noch über 40 % mehr Mädchen geboren als im Jahr 1975. Unter diesen Voraussetzungen war also ein fortgesetzter Rückgang der Geborenenzahlen ungleich wahrscheinlicher als ein Anstieg. Herr KEESE dagegen, wurde am 19. März geradezu ausfällig. Er bezichtigte die jungen Generationen des Versagens vor dem Leben. In welche Richtung die Debatte vorangetrieben werden soll, das machen die folgenden Sätze deutlich:

Das Versagen einer Generation vor dem Leben

"Wir zeugen nicht nur ungern Kinder, wir treiben sie auch noch gern ab. Vergangenes Jahr wurden 124 000 Kinder während der Schwangerschaft getötet. Die Zahl der Abtreibungen lag höher als das Geburtendefizit. Sprich: Hätten wir die abgetriebenen Kinder zur Welt gebracht, wäre die Bevölkerung nicht geschrumpft."
(Welt am Sonntag 19.03.2006)

Wenn ein Abtreibungsverbot nicht fruchtet, was dann? Verbot von Kondomen oder Pille? Der Weg scheint vorgezeichnet: Einschränkung der Geburtenkontrolle. Verstärkter Druck auf Gebär- und Zeugungsunwillige statt gezielte Förderung jener, die sich Kinder wünschen. Offenbar ist man der Ansicht, dass dies billiger ist. Warum sollte man eigentlich viel Geld für Familienpolitik ausgeben, wenn es auch ohne geht?

Fazit

Die beschriebenen Tendenzen weisen darauf hin, dass in den nächsten Jahren nicht nur Kinderlose, sondern auch Kinderarme zunehmend unter Beschuss geraten werden. Treibende Kraft ist ein erstarkender Nationalkonservatismus, der einen engen Zusammenhang zwischen gesellschaftlichem Wohlstand und Geburtenentwicklung behauptet. Die Medienkampagne im Zusammenhang mit den Veröffentlichungen von Frank SCHIRRMACHER und dem Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat gezeigt, wie das nationalkonservative Medienkartell funktioniert. Im Sommer werden wir Genaueres wissen über die Geburtenentwicklung im Jahr 2005. Lässt sich dann dieses Spektakel wiederholen, weil das öffentliche Gedächtnis zu kurz ist oder formiert sich doch noch Widerstand gegen das neue Patriarchat?

Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte

"Dies ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt. Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
          
 Es wird aufgezeigt, dass sich die nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen."

 
     
 
       
   

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Bernd Kittlaus
webmaster@single-generation.de Erstellt: 22. April 2006
Update: 22. November 2018