Bestandsschutz für die
68er-Generation und hohe Sonderbeiträge für Kinderlose und die
nachfolgenden Generationen? Nein!
Die überregionalen Tagesszeitungen
heizen mit Beiträgen zur "demographischen Zeitbombe" die
Stimmung im Vorfeld der Rentenreform auf. Mit Wie viele
Kinder hast du? wird von Volker WÖRL in der Süddeutschen Zeitung der Krieg gegen Kinderlose auf die
Agenda gesetzt (SZ 12.08.2003).
Die Staffelung der Rente nach Kinderzahl (Hans-Werner Sinn),
bei der die bislang politisch unorganisierte Minderheit der
lebenslang Kinderlosen - unabhängig von ihrer sozialen Lage -
die Hauptlast der Reform tragen soll, setzt hierbei einen
Eckpunkt der Debatte um einen Sonderbeitrag der Kinderlosen zur
nachhaltigen Sicherung der Altersversorgung.
Susanne Gaschke und ihre Vorstellung von
Generationengerechtigkeit
Mit
Wo sind die Kinder?
möchte Susanne GASCHKE in einem Leitartikel der Zeit
der Generationengerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen. Ihr
Maßstab ist die "bevölkerungspolitisch korrekte Vermehrung" der
Generationen:
Wo sind die
Kinder?
"Alle Deutschen, die 60 Jahre und älter
sind - von der Generation der Achtundsechziger aufwärts -, haben
beide Verpflichtungen eingehalten: Sie haben für die Eltern die
Rente gezahlt, und sie haben sich bevölkerungspolitisch korrekt
vermehrt."
(Die Zeit 14.08.2003) |
Dazu präsentiert sie auch eine
Statistik, die dies beweisen soll:
Wo sind die
Kinder?
"1964 brachte eine Frau, statistisch
gesehen, 2,54 Kinder zur Welt. Die Nettoreproduktionsrate lag
bei 1,18 - das heißt, dass diese Eltern durch ihre Kinder mehr
als ersetzt wurden."
(Die Zeit 14.08.2003) |
Was plausibel erscheint, das ist es nicht!
GASCHKE belegt damit jedoch nicht, was
sie beweisen möchte. Sie argumentiert mit der
Gesamtfruchtbarkeitsziffer (TFR) und der
Nettoreproduktionsziffer. Beide Zahlen sagen jedoch nichts über
die Zugehörigkeit zu einer Generation aus. Hierzu wird die
durchschnittliche Kinderzahl (CFR) eines Mütterjahrgangs
benötigt.
Die Gesamtfruchtbarkeitsziffer wird aus allen
gebärfähigen Altersgruppen des Jahres 1964 errechnet. Zum
damaligen Babyboom haben aber junge und ältere Mütter in
unterschiedlichem Ausmaß beigetragen.
Das Buch Bevölkerungsgeschichte
Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert von Peter MARSCHALCK
aus dem Jahre 1984 klärt darüber auf:
Bevölkerungsgeschichte Deutschlands im 19. und 20.
Jahrhundert
"Die um 1955 beginnende
neue Phase in der Fruchtbarkeitsentwicklung der Bundesrepublik
ist durch einen Anstieg der Gesamtfruchtbarkeit (von 2,13 auf
2,54 im Jahre 1964) und eine Verkürzung des
Generationenabstandes um weitere zwei Jahre gekennzeichnet. Ihr
wesentliches Merkmal dürfte aber eine Fruchtbarkeitswelle sein,
die deutliche Vermehrung der Zahl der Geburten für die Jahrgänge
1926 - 1933 und der ebenso deutliche Rückgang der Fruchtbarkeit
der Jahrgänge 1934 - 1941."
(1984, S.95) |
Die 70- bis 77-Jährigen waren also die
letzten Jahrgänge, die ihren
"bevölkerungspolitisch korrekten" Beitrag geleistet haben.
Ansonsten gilt, dass ab 1900 fast immer die Kinderzahl einer
Generation unterhalb des Bestandserhaltungsniveau lag
.
Die
Gnade des günstigen Altersaufbau
Nur einem günstigen Altersaufbau war es
nach MARSCHALCK zu verdanken, dass nicht bereits nach der
vorletzten Jahrhundertwende ein Geburtenrückgang zu verzeichnen
war:
Bevölkerungsgeschichte Deutschlands im 19. und 20.
Jahrhundert
"Bei
einem anderen Altersaufbau (...) wäre es (...) mindestens
seit Beginn der 1920er Jahre, sehr wahrscheinlich aber
auch schon während des ersten Weltkriegs - früh zu
Sterbeüberschüssen gekommen. (...). Mit anderen Worten,
die langfristige Bestandserhaltung der deutschen
Bevölkerung aus natürlicher Reproduktion (ohne
Zuwanderung) war schon seit dem Ersten Weltkrieg nicht
mehr gewährleistet; das reale Wachstum war das Ergebnis
sehr geringer Fruchtbarkeit bei einer für die Reproduktion
außerordentlich günstigen Altersstruktur".
(1984, S.69) |
Bereits 1978 wies der Soziologe Erwin
K. SCHEUCH darauf hin, dass die Altersstruktur - jenseits eines
Wandels des individuellen Zeugungsverhaltens - einen
langfristigen Einfluss auf die Bevölkerungsentwicklung hat.
Kein
"Pillenknick". Der Geburtenrückgang ist Ausdruck
eines veränderten Zeugungsverhaltens
"Als Folge zweier
Weltkriege und der Weltwirtschaftskrise war in Deutschland der
Altersaufbau der Bevölkerung im 20. Jahrhundert schon immer
gestört. So wurden auch nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst
wenig Kinder geboren - vor allem weil den Frauen im Alter der
höchsten Geburtenzahlen der Partner fehlte. Diese Nichtgeborenen
fallen dann 20 bis 25 Jahre später als mögliche Eltern aus.
Damit müssen die Geburtenzahlen dann auch schwanken, wenn sich
das Zeugungsverhalten nicht ändert. Diese Einflüsse auf die
Geburtenraten werden durch Ziffern, welche die Zahl der
Lebendgeborenen in Bezug setzt zur Gesamtbevölkerung eines
Landes, nicht deutlich."
(aus: Schrumpfende Bevölkerung 1978, S.45) |
Den heutigen Generationen droht im
Gegensatz zu früheren Generationen das Erbe einer ungünstigen
Altersstruktur.
Das Bestandserhaltungsargument, mit dem GASCHKE
argumentiert, erledigt sich dagegen in den nächsten Jahren -
aufgrund des Aussterbens der sich bevölkerungspolitisch korrekt
vermehrenden Rentner - von selbst.
Das Märchen vom drastischen Fruchtbarkeitsrückgang bei jungen
Frauen
Die jungen Frauen sind jedoch gar nicht
so gebärfaul wie das die deutschen Statistiker und Demografen
behaupten.
Kürzlich machte Detlef GÜRTLER auf den
Skandal aufmerksam, dass die deutsche Geburtenrate - aus
politischen Gründen - zu niedrig ausgewiesen wird.
Detlef GÜRTLER
hinterfragt kritisch diese Praxis der deutschen Statistiker:
Gerontokratie? Nichts da! Bald kommt der Babyboom
"Das
Statistische Bundesamt (...) hat zwar diverse unterschiedliche
Wanderungs- und Lebenserwartungsszenarien beschrieben, die
Geburtenrate aber konstant bei 1,4 belassen. Warum? Unter
anderem um »den Handlungsdruck auf die Politik
aufrechtzuerhalten«, wie einer der Beteiligten ebenso freimütig
wie anonym zugab."
(Welt 19.08.2003)
|
Der renommierte Demograf John BONGAARTS
("The End of the Fertility Transition in the Developed World" in
der Zeitschrift Population and Development Review vom September 2002) hat
für mehrere Länder einen "Tempoeffekt" nachgewiesen. Durch
den rasanten Anstieg von Spätgebärenden ist die
Gesamtfruchtbarkeitsziffer kein brauchbarer Indikator für die
Kinderzahl von Frauen
.
Die Ausrichtung der deutschen Statistik
auf die lebenslange Ehe verhindert einfache internationale
Vergleiche
Für Deutschland konnte BONGAARTS
aufgrund der Ausrichtung der deutschen Statistik auf die
lebenslange Ehe (ledige und geschiedene Mütter durften in
der politisch korrekten Statistik lange nicht vorkommen!
Erstmals 1982 forderte Charlotte HÖHN eine Konzepterweiterung
)
keine Zahlen für einen europäischen Vergleich liefern. GÜRTLER hat nun erste Zahlen für die Bonner
Republik geliefert, die jedoch die Kinderlosigkeit gleichfalls
noch zu hoch ansetzen.
Die
Fakten zeigen, dass der Vorwurf der Gebärfaulheit nicht im
behaupteten Maße zutrifft
Fakt ist: Die jungen Frauen tragen - im
Vergleich zu früheren Generationen - wesentlich mehr zum
Bestandserhalt bei.
Da die deutsche Statistik keine verlässliche
Daten liefern kann, sind die Vorwürfe an die Adresse der
Jungen zu aller erst nicht belegbare Unterstellungen in einem
heftigen Verteilungskampf. Weder das Bestandserhaltungsargument, noch die
Forderung nach Generationengerechtigkeit können hohe
Sonderbeiträge von Kinderlosen und der jungen Generation
rechtfertigen.
Die Internationalisierung der
Debatte um den demografischen Wandel
Das Problem des Geburtenrückgangs Ende
der 1960er Jahre ist kein deutsches Phänomen, sondern betrifft in
ähnlicher Weise alle westlichen Industrieländer.
Von daher kann es kaum verwundern, dass GASCHKEs
Vorwurf auch in Österreich aufgegriffen worden ist. Dort hat die
Ministerin Elisabeth GEHRER mit Verweis auf Susanne GASCHKE
dieselben Vorwürfe erhoben:
"Eine
Neidhammel-Diskussion"
Gehrer: »Kinder sind die
beste Zukunftssicherung, darüber muss man reden.« Deshalb
plädiert die Ministerin für den Beginn einer Wertediskussion.
»Was macht das Leben lebenswert? Etwa wenn man von Party zu
Party rauscht, ist es das Single-Leben?«
(...).
Tatsache ist für Gehrer jedenfalls, dass es den heute
30-Jährigen nichts nützt, wenn die gegenwärtigen Pensionisten
mit einer Strafsteuer belegt werden. Das helfe ihnen in drei
oder vier Jahrzehnten, wenn sie dann selbst in den Ruhestand
treten, wenig. Das Resümee der Unterrichtsministerin: »Die
Wahrheit ist: Die Zukunft ist gesichert, wenn ein Land Kinder
hat.«"
(Die Presse vom 23.08.2003)
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Auch in Österreich wurde GEHRER
vorwiegend mit den falschen Argumenten widersprochen. Einzig der österreichische Sozialforscher Bernd
MARIN wies darauf hin, dass die junge Generation nicht so
gebärfaul ist wie das in den Medien behauptet wird:
Die Leiden der
jungen Werte
"Die
heutige Generation der unter 40-Jährigen erfüllt ihr Plansoll
bei der Reproduktion genauso viel oder so wenig wie ihre Eltern
und Großeltern".
(Profil vom 01.09.2003)
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Das Schweigekartell von Wissenschaft,
Politik und Medien
Offenbar existiert sowohl in
Deutschland als auch in Österreich ein Schweigekartell von
Wissenschaft, Politik und Medien.
Aufgrund der bevorstehenden Reformen sollen die
jetzigen Rentnergenerationen - aus vorgeschobenen
verfassungsrechtlichen Gründen - geschont werden.
GASCHKE hat nun versucht diesen Bestandsschutz
auch mit demografischen Fakten zu begründen. Dies mag zwar
politisch korrekt sein, aber den Tatsachen der
Geburtenentwicklung wird dies nicht gerecht.
Dass GASCHKEs Beitrag in Deutschland
unwidersprochen bleibt - obwohl Zeitungsmachern bekannt ist,
dass GASCHKE unredlich argumentiert, ist ein Armutszeugnis für
die Debattenkultur dieses Landes. Investigativer Journalismus?
Fehlanzeige!
Fazit: Die jungen Generationen lassen sich von der politischen
Klasse artig über den Tisch ziehen
Solange die jungen Generationen
unhinterfragt dem sozialpopulistischen Gerede über den
demografischen Wandel Glauben schenken, werden sie von den
älteren Generationen - ganz eigennützig - über den Tisch
gezogen. Herwig BIRG gibt
im Spiegel Online-Interview
Sterben die Deutschen aus? sogar ganz unverblümt zu, dass
die Demografiepolitik auch mit unredlichen Prognosen
durchgesetzt werden soll:
Sterben die
Deutschen aus?
"man
(müsste) ein 'Bevölkerungsbewusstsein' schaffen, so wie in den
siebziger Jahren das Umweltbewusstsein mit viel Aufklärung,
aber auch mit schierer Propaganda erzeugt worden ist."
(Spiegel Online v. 26.01.2001)
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Kommentare zur Replik
Detlef Gürtler (Autor von "Vorbild Deutschland"):
Eine kleine
Richtigstellung zu Ihrer ansonsten großartigen Replik auf
Gaschkes Zeit-Pamphlet:
Gaschke behauptet, die Grenze für die Erfüllung des
Generationenvertrages liege bei den 60jährigen. Sie sagen, die
Grenze liege bei den 70jährigen. Die Wahrheit liegt, wie
meistens, in der Mitte - bei den 65jährigen. Je nachdem, wie
hoch man das Reproduktionsniveau ansetzt, war der letzte es
erreichende Jahrgang der Geburtsjahrgang 1937 oder 1938. Die
altersspezifischen Geburtenziffern für die fraglichen
Jahrgänge sind wie folgt (Zahlen wie üblich für das frühere
Bundesgebiet):
Jahrgang Kinder pro Frau
1933 2,22
1934 2,24
1935 2,17
1936 2,14
1937 2,11
1938 2,07
1939 2,02
1940 1,97
1941 1,90
1942 1,85
1943 1,81
In den zehn Jahrgängen
von 1934 bis 1943 ist der Rückgang der Geburtenrate als etwa
doppelt so hoch wie in den zwanzig folgenden Jahrgängen! Die
68er sind also in jedem Fall Teil des Problems, nicht der
Lösung.
Anmerkung von
single-generation.de: Auf single-generation.de werden die
Jahrgänge 1937 - 1947 zur 68er-Generation zusammengefasst
. In
der Literatur gibt es dazu abweichende
Altersgruppenbestimmungen. Jutta Stich hat in ihrer
Untersuchung Die Alleinleben
- Chance oder Defizit nur die
Jahrgänge 1943 - 1947 zu den 68ern gezählt. Heinz Bude
("Das
Altern einer Generation") zählt
dagegen die Jahrgänge 1938 - 1948 zu den 68ern.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
"Dies
ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem
nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend
die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt.
Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard
Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die
Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank
Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster
Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der
Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
Es wird aufgezeigt, dass sich die
nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles
im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die
nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen.
Die Rede von der "Single-Gesellschaft"
rechtfertigt gegenwärtig eine Demografiepolitik, die
zukünftig weite Teile der Bevölkerung wesentlich
schlechter stellen wird. In zahlreichen Beiträgen, die
zumeist erstmals im Internet veröffentlicht wurden,
entlarvt der Soziologe Bernd Kittlaus gängige
Vorstellungen über Singles als dreiste Lügen. Das Buch
leistet damit wichtige Argumentationshilfen im neuen
Verteilungskampf Alt gegen Jung, Kinderreiche gegen
Kinderarme und Modernisierungsgewinner gegen
Modernisierungsverlierer." |