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Einführung
Die Veröffentlichungen des
Statistischen Bundesamtes zur Geburtenentwicklung in Deutschland
sind derzeit weitgehend zum Erliegen gekommen. Für das Jahr 2016
gibt es nur spärliche Informationen, sodass sich Einschätzungen
weitgehend mit dem Stand 2015 begnügen müssen.
Mitte der Nuller Jahre
wähnte sich Deutschland am Abgrund. Frank SCHIRRMACHER und
Matthias MATUSSEK fachten eine Hysterie um die zukünftige
demografische Entwicklung an, der weite Teile unserer Eliten nur
umso bereitwilliger folgten. Deutschland wurde zur endlos
schrumpfenden Gesellschaft stilisiert. So legte z.B. Cordula TUTT nahe, dass die
Bevölkerungsvorausberechnungen
noch viel zu
optimistisch seien und Deutschland noch dramatischer schrumpfe
als bis dahin angenommen:
Das große Schrumpfen
"In
den nächsten 50 Jahren wird die Bevölkerung in
Deutschlands jährlich um knapp 200.000 Menschen
schrumpfen, wenn man den Vorhersagen glaubt. Zunächst
geschieht das langsamer, dann schneller. (...). Folgt man
den Zahlen des Statistischen Bundesamtes, dann leben zur
Mitte des Jahrhunderts nur noch 69 bis 74 Millionen
Menschen in Deutschland statt der heute rund 82 Millionen
Einwohner. Die amtlichen Prognostiker haben ihre früheren
Voraussagen immer wieder nach unten korrigiert, manche
internationalen Berechnung gehen von noch weniger Menschen
im Land aus." (2007, S.17)
|
Deutschland holte die
Abrissbirne hervor und zerstörte Wohnung um Wohnung, um den
angeblich drohenden Preisverfall in den
ostdeutschen Städten aufzuhalten. Es begann ein rasanter
Wettlauf um die schnellste Schließung von Kindergärten und
Schulen sowie anderen öffentlichen Einrichtungen, die wegen der
endlosen Schrumpfung Deutschlands für immer überflüssig sein
sollten. Deutschland bereitete sich auf sein baldiges Aussterben
vor. Der Spiegel posaunte ins Land hinaus, dass die
Geburtenrate auf Jahrzehnte vorprogrammiert sei:
Der letzte Deutsche
"In
Wahrheit ist die Geburtenrate der nächsten Jahrzehnte
weitgehend programmiert. Weil die Zahl der potenziellen
Mütter bereits seit langem sinkt und Ungeborene nun mal
keine Nachfahren in die Welt setzen".
[mehr]
(Spiegel v. 05.01.2004) |
Tatsächlich ist die Geburtenrate
seit den 1970er Jahren scheinbar relativ konstant. Berechnet man
jedoch - wie der Ökonom Detlef GÜRTLER das getan hat - die
Geburtenrate nicht für alle gebärfähigen Frauen, sondern pro
Frauenjahrgang, dann lässt sich daraus eine Trendwende ablesen.
Die
Generation Golf ist
gebärfreudiger als dies z.B. Susanne GASCHKE behauptet, während
die 68er - also jene, die lautstark die jetzige Debatte
dominieren - Teil des Problems sind
.
Das war der Kommentar von
single-dasein.de und single-generation.de zum
damaligen Spiegel-Titel.
Der Ökonom Detlef GÜRTLER
hat bereits im
Jahr 2003 darauf hingewiesen, dass die Kohortenfertilität
der in den 1970er Jahre geborenen Frauen höher ist als jene der
vorangegangenen Frauenjahrgänge
. Dies aber deutet darauf hin,
dass keineswegs erst das 2007 eingeführte Elterngeld für die steigende
Geburtenrate, die nun keiner mehr leugnen kann, verantwortlich
ist. In seinem Artikel
Gerontokratie? Nichts da! Bald kommt
der Baby-Boom schrieb Detlef GÜRTLER:
Gerontokratie? Nichts da! Bald kommt der Baby-Boom
"Auf die
Jahrgänge 1967 bis 1969 entfallen die absoluten
Minima der altersspezifischen Geburtenziffern;
in den jüngeren Jahrgängen steigen die
Geburtenzahlen wieder an. So hatten 1000 Frauen
des Jahrgangs 1968 bis zu ihrem 25. Geburtstag
382 Kinder geboren - beim Jahrgang 1973 waren es
zum gleichen Zeitpunkt bereits 421."
( Welt 19.08.2003)
|
Es dauerte also fast 15
Jahre, bis nun auch das Statistische Bundesamt den
Geburtenanstieg nicht mehr leugnen kann, wie das Jürgen DORBRITZ
und Olga PÖTZSCH als die Verwalter der zukünftigen
Geburtenentwicklung weiterhin tun. Diese Geschichte wird erst
geschrieben werden, wenn Deutschland von der Geburtenentwicklung
der nächsten Jahre überrollt wird.
Denn: Zehn Jahre später wächst
Deutschland - gegen alle Prognosen - und viele Großstädte
platzen aus allen Nähten. Wohnungsnot rufen nun jene, die
aufgrund der demografischen Heilslehre noch vor wenigen Jahren
die gähnende Leere im Wolfsland verkündet haben. Obwohl die
Bevölkerung seit über einem halben Jahrzehnt wächst,
geben immer
noch die "Schrumpfologen" den Takt vor. Das jetzige Wachstum, so
ihr Mantra, sei nur eine kurze Episode, bevor Deutschland mit
dem Wegsterben der Babyboomer seiner Schrumpfung mit schnellen
Schritten entgegen geht. Und zumindest die Vergreisung ist
gewiss. Aber was ist, wenn alles anders kommt?
Deutschland ist auf eine steigende
Geburtenrate nicht vorbereitet
Die Geburtenentwicklung in
Deutschland wird seit Jahren in den koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes zu
niedrig eingeschätzt. Noch in der letzten 13. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung wurde von einer konstanten
Geburtenrate von 1,4 Kindern pro Frau bis zum Jahr 2060
ausgegangen. Auf dieser Website hieß es dazu
im November
2015:
"Die Fortschreibung von
1,4 Kindern pro Frau bis 2030 oder gar 2060, könnte zukünftig
ganz unerwartet ebenfalls zu einer Verringerung der
Treffsicherheit von Bevölkerungsvorausberechnungen führen."
Zwei Jahre später ist
dieser Fall bereits eingetreten. Der in den Medien
weitgehend ignorierte Demografiebericht der Bundesregierung
Jedes Alter zählt vom Februar 2017 weist auf einen
Anstieg der Geburten auf bis zu 1,6 Kinder pro Frau hin:
Jedes Alter zählt
"Bei
der Entwicklung der Geburtenrate deutet sich
eine Veränderung an. Dafür spricht der Anstieg
bei der sogenannten endgültigen Kinderzahl von
Frauenjahrgängen. Bis zum Geburtsjahrgang 1968
ist der Wert jahrzehntelang kontinuierlich
zurückgegangen. Der Geburtsjahrgang 1968 hat mit
1,49 Kindern je Frau die niedrigste Kinderzahl.
Dieser Rückgang scheint nun gestoppt.
Vorausberechnungen zeigen, dass Frauen, die in
den 1970er Jahren geboren sind, wieder etwas
mehr Kinder zur Welt bringen, 1973 Geborene etwa
1,56. Für die nachfolgenden Jahrgänge bis 1980
zeichnet sich ein weiterer Anstieg auf knapp 1,6
Kinder ab".
(2017, S.4) |
In der Revision der 13.
koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung (Variante 2A) wurde
die Kinderzahl erstmalig bei einer mittleren Variante auf 1,5 Kinder pro Frau bis 2060 konstant
gesetzt. Dies kommt einer Nachholung des bereits erfolgten
Geburtenanstiegs gleich, bleibt aber weiterhin hinter dem
tatsächlichen Anstieg zurück. Im August 2016 hatte Olga PÖTZSCH in
ihrem Beitrag
(Un-)Sicherheiten der Bevölkerungsvorausberechnungen
noch die
Annahmen mit 1,4 Kindern pro Frau folgendermaßen verteidigt:
(Un-)Sicherheiten
der Bevölkerungsvorausberechnungen
"Für die
Ableitung der Annahmen wurden
bis zur 11.
koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung vor
allem Ergebnisse der Geburtenstatistik zur
Entwicklung der perioden- und kohortenbezogenen
Geburtenziffern verwendet. Ab der 12.
koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung hat
sich die
Datengrundlage für die
Fertilitätsannahmen verbessert. Zum einen
standen ab 2008 Ergebnisse zur
Verteilung der
Frauenjahrgänge nach der Parität zur Verfügung,
das heißt nach der Zahl der geborenen Kinder.
Daraus wurden Trends in der Kinderlosigkeit und
in der Verteilung der Mütter nach der Zahl der
geborenen Kinder ermittelt. Zum anderen wurde
die Geburtenstatistik seit 2009 um die
Geburtenfolge aller Kinder einer Frau erweitert
– unabhängig von ihrem Familienstand. Auf dieser
Grundlage konnten die Abstände zwischen den
Geburten einer Frau und die zusammengefasste
Geburtenziffer nach der Geburtenfolge berechnet
und analysiert werden. (...).
Die Fertilitätsannahmen in der 13. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung beruhten auf der
neuen Datengrundlage unter Berücksichtigung der
Ergebnisse des Zensus 2011. Die zusammengefasste
Geburtenziffer 2011 ist infolge der durch den
Zensus 2011 nach unten korrigierten
Bevölkerungszahl um 2 % gestiegen. In den
Folgejahren 2012 und 2013 stieg die
Geburtenhäufigkeit weiter leicht an. Der Trend
zu späterer Familiengründung und höherer
Kinderlosigkeit setzte sich zugleich fort. Aus
der Perspektive des Jahres 2013 war der leichte
Anstieg der Periodenfertilität der Ausdruck des
sich intensivierenden »Nachholens« der im
jüngeren Alter nicht realisierten Geburten durch
die Frauenkohorten zwischen 30 und 40 Jahren.
Unter Berücksichtigung der altersspezifischen
Geburtentrends und der Entwicklungen in der
Kohortenfertilität wurden zwei Annahmen
getroffen. Bei der Annahme G1 »annähernde
Konstanz« setzen sich die Trends der letzten
Jahrzehnte fort (Statistisches Bundesamt, 2015).
Die Annahme G2 »leichter Anstieg« ging von
theoretisch realisierbaren Veränderungen im
Geburtenverhalten aus, auf welche allerdings nur
wenige noch nicht verfestigte Tendenzen
hinwiesen."
(2016, S.40f.) |
Die von PÖTZSCH erwähnte
Annahme G2 (Varianten 5 - 8) spielte in keiner einzigen
Berichterstattung und auch in Publikationen keine Rolle. Bei
dieser Annahme wurde von einem Anstieg der Geburtenrate auf 1,62
im Jahr 2028 ausgegangen. Alle Beiträge zu politischen
Maßnahmen, die sich auf die Bevölkerungsvorausberechnung
bezogen, beriefen sich nur auf die Annahme einer Konstanz von
1,4 Kindern pro Frau bis 2060. Die nachfolgende Tabelle zeigt,
dass selbst die Annahme G2, die gemäß PÖTZSCH eigentlich die
"theoretisch realisierbaren Veränderungen im Geburtenverhalten"
berücksichtigen sollte, hinter der tatsächlichen Entwicklung
zurückblieb:
Tabelle 1:
Vergleich der 13. koordinierten
Bevölkerungs-
vorausberechnungen
des Statistischen Bundesamtes
mit der tatsächlichen
Geburtenentwicklung |
|
Wie konnte es zu einer
solch gravierenden Fehleinschätzung kommen, obwohl doch PÖTZSCH
angeblich die altersspezifischen Geburtenziffern und weitere
Faktoren berücksichtigte? Die Zuwanderung kann es jedenfalls
nicht allein gewesen sein, denn bereits die Zahlen für 2014 lagen
oberhalb der prognostizierten Entwicklung. Die Varianten 6 und 8
weisen lediglich für das Jahr 2016 ca. 1.000 Geburten mehr aus,
was zur Erklärung der Steigerung auch nicht beiträgt. Erklärbar
wird diese Abweichung eher dadurch, dass die Veränderungen des
Geburtengeschehens nicht ausreichend berücksichtigt wurden - und
zwar aus ideologischen Gründen.
Die Kontroverse um die endgültige
Kinderzahl der jüngeren Frauenjahrgänge in Deutschland
Olga PÖTZSCH hat in
etlichen früheren Beiträgen ihre defensive Sicht auf die
Geburtenentwicklung in Deutschland dargelegt. Zusammen mit
Jürgen DORBRITZ muss sie zu jenen Kräften gezählt werden, die in
der Kinderlosigkeit das Hauptproblem der Geburtenentwicklung in
Deutschland sehen wollen. Dies führt zu einer Unterschätzung des
Geburtengeschehens. In dem Beitrag
Wie
wirkt sich der Geburtenaufschub auf die Kohortenfertilität in
West und Ost aus? kritisiert PÖTZSCH den Ansatz über
tempobereinigte Geburtenzahlen zur Schätzung der endgültigen
Kinderzahlen zu kommen:
Wie wirkt sich der Geburtenaufschub auf die
Kohortenfertilität in West und Ost aus?
"Eine
teilweise Übereinstimmung zwischen den
tempobereinigten Periodenwerten und der
Kohortenfertilität ist aufgrund des stark
formalisierten Bereinigungsverfahrens nach
Bongaards und Feeney mehr oder weniger zufällig
und beruht auf einer relativ stetigen
Fertilitätsentwicklung. (...). Bei den
Überlegungen zur künftigen
Fertilitätsentwicklung sind deshalb die Analysen
der Kohortenfertilität der Tempobereinigung von
Periodenwerten vorzuziehen." (2013, S.100)
|
Rückschlüsse vom
vergangenen Geburtenverhalten der Frauenjahrgänge auf das
zukünftige Geburtenverhalten sind jedoch ebenfalls heikel:
Wie wirkt sich der Geburtenaufschub auf die
Kohortenfertilität in West und Ost aus?
"Bereits
um die endgültige Kinderzahl der Kohorte 1977 zu
schätzen, mussten mehrere Annahmen getroffen
werden. Die Frauen dieser Kohorte werden ihr 50.
Lebensjahr im Jahr 2026 erreichen. Da eine
Bevölkerungsvorausberechnung aber in der Regel
über einen Zeithorizont von etwa 50 Jahren
reicht, müssten dafür Annahmen zur
Kohortenfertilität der Mädchen getroffen werden,
die etwa im Ausgangsjahr der Vorausberechnung
geboren wurden."
(2013, S.98)
|
Dies wäre ein Argument
gegen langfristige Bevölkerungsvorausberechnungen. Auf diese
will die Politik jedoch nicht verzichten, weil sie bestens
instrumentalisiert werden können. PÖTZSCH nennt zwei Punkte, die
für ihre Sicht auf die Geburtenentwicklung entscheidend sind,
nämlich einerseits die Entwicklung der Kinderlosigkeit und
andererseits die Entwicklung
der Paritätsverteilung:
Wie wirkt sich der Geburtenaufschub auf die
Kohortenfertilität in West und Ost aus?
"Die aktuelle
endgültige Kinderzahl von rund 1,6 Kindern je
Frau kommt demzufolge zustande, weil etwa 80 %
der Frauen eines Jahrgangs im Durchschnitt zwei
Kinder geboren haben. Steigt die endgültige
Kinderlosigkeit um weitere 3 bis 4
Prozentpunkte, ohne dass sich die
durchschnittliche Kinderzahl je Mutter
verändert, würde dies zum Absinken der
endgültigen Kinderzahl auf 1,5 Kinder je Frau
führen. Für die künftige Entwicklung der
Kohortenfertilität sind deshalb folgende zwei
Fragen von entscheidender Bedeutung: Wird der
Anteil der Frauen ohne Kind weiter steigen? Und:
bleibt die Struktur der Mütter nach der Zahl der
Kinder weiterhin stabil?"
(2013, S.98) |
PÖTZSCH beurteilt den
Aufschub der Elternschaft skeptisch, da er zum Anstieg
"ungewollter" Kinderlosigkeit führen könnte. Im Grunde ist die
Position von PÖTZSCH darauf gerichtet, die negativen
Entwicklungsmöglichkeiten in den Vordergrund zu rücken, während
die positiven Entwicklungsmöglichkeiten ausgeblendet werden.
Dies beruht vor allem auf den Erfahrungen mit dem
zurückliegenden Geburtengeschehen der Frauenjahrgänge bis 1968.
Die jüngeren Frauenjahrgänge werden vor diesem Hintergrund
betrachtet. In dem genannten Beitrag legt PÖTZSCH ihre eigene
Vorgehensweise dar, um die endgültige Kinderzahl der jüngeren
Frauenjahrgänge abzuschätzen:
Wie wirkt sich der Geburtenaufschub auf die
Kohortenfertilität in West und Ost aus?
"In der
folgenden Analyse werden die Veränderungen im
Geburtenverhalten der Frauen im Westen und Osten
Deutschlands zuerst anhand der endgültigen und
kumulierten durchschnittlichen Kinderzahlen der
aufeinanderfolgenden Frauenkohorten
nachvollzogen. Mithilfe eines von Tomas Frejka
entwickelten Ansatzes zur Analyse von Aufschub
und Nachholen von Geburten wird dann versucht,
für die künftige Entwicklung relevante Tendenzen
zu identifizieren und eine Obergrenze für die
Kohortenfertilität der heute 34-Jährigen zu
schätzen."
(2013, S.88) |
Für PÖTZSCH gelten Frauen,
die 40 Jahre alt sind, als lebenslang kinderlos, weshalb sie die für
die 40-Jährigen geschätzte Zahl mit der endgültigen Kinderzahl
gleichsetzt:
Wie wirkt sich der Geburtenaufschub auf die
Kohortenfertilität in West und Ost aus?
"Nach dem
Alter von 40 Jahren verändert sich die Kohortenfertilität nur
marginal (aktuell um etwa 1,2 %), sodass die Entwicklung der bis
zum Alter von 40 Jahren erreichten Kinderzahl als repräsentativ
für die Kohortenfertilität insgesamt betrachtet werden kann. Die
(endgültige) Kinderzahl im Alter von 44 und 49 Jahren ist
praktisch identisch."
(2013, S.89) |
Eine solche Sicht
vernachlässigt die Tatsache, dass die Akademikerinnen sehr oft
noch nach dem 40. Lebensjahr Kinder bekommen. Da Akademikerinnen
in den jüngeren Frauenjahrgängen bis zu 30 % des
Geburtengeschehens ausmachen (siehe die folgende Tabelle), führt eine
Vernachlässigung dieses Faktors zu einer Unterschätzung der
Geburtenrate.
Tabelle 2: Der Anteil der
Akademikerinnen an den jüngeren Frauenjahrgängen in
Deutschland im
Jahr 2016 |
|
Frauenjahrgang
1972 - 1976 |
Frauenjahrgang
1977 - 1981 |
Frauenjahrgang
1982 - 1986 |
Frauenjahrgang
1987 - 1991 |
in Tausend |
in % |
in Tausend |
in % |
in Tausend |
in % |
in Tausend |
in % |
Gesamtzahl der
Frauen |
2.298 |
100,0 |
2.319 |
100,0 |
2.287 |
100,0 |
1.885 |
100,0 |
Anzahl der
Nicht-Akademikerinnen |
1.818 |
79,1 |
1.751 |
75,5 |
1.672 |
73,1 |
1.476 |
78,3 |
Anzahl der
Akademikerinnen |
480 |
20,9 |
568 |
24,5 |
615 |
26,9 |
409 |
21,7 |
|
Quelle:
Broschüre
Kinderlosigkeit, Geburten und Familien,
Tabellen 3.7 und 3.8; eigene Berechnungen |
Aufgrund ihren Annahmen
geht PÖTZSCH davon aus, dass die endgültige Kinderzahl nur bis
zum Frauenjahrgang 1973 steigen wird
Wie wirkt sich der Geburtenaufschub auf die
Kohortenfertilität in West und Ost aus?
"Der
Jahrgang 1967 hat das 50. Lebensjahr zwar noch
nicht erreicht. Es ist jedoch bereits absehbar,
dass die endgültige Kinderzahl dieses Jahrgangs
auf das bisher vorübergehend niedrigste Niveau
sinken wird. Danach kann von einem leichten
Anstieg der Kohortenfertilität ausgegangen
werden. Dieser wird sich voraussichtlich etwa
bis zur Kohorte 1973 fortsetzen." (2013, S.90) |
Diese Fehleinschätzung
ergibt sich durch ihre Methode, die zum einen auf einem Index
der nachgeholten Geburten und zum anderen auf einer
Referenzkohorte beruht. PÖTZSCH sieht als Referenzkohorte für
das frühere Bundesgebiet den Frauenjahrgang 1946 (West) und für
die neuen Bundesländer den Frauenjahrgang 1960 (Ost) geeignet.
Die genaue Argumentation kann hier ignoriert werden, stattdessen
soll das Ergebnis von PÖTZSCH mit dem tatsächlichen
Geburtengeschehen verglichen werden. Im Gegensatz zu PÖTZSCH
liegen nicht nur die Ergebnisse des Jahres 2011, sondern
inzwischen diejenigen des Jahres 2015 vor. PÖTZSCH ging von
folgenden Annahmen für die Frauenjahrgänge 1967, 1973 und 1977
in West und Ost aus:
Tabelle 3:
Die Schätzung der endgültigen Kinderzahl der
Frauenjahrgänge 1967, 1973
und 1977 für West- und Ostdeutschland im Vergleich mit
tatsächlichen Entwicklung
der gesamtdeutschen Kinderzahl |
|
Kohorten (West) |
Kohorten (Ost) |
Kohorten (Deutschland |
1967 |
1973 |
1977 |
1967 |
1973 |
1977 |
1967 |
1973 |
1977 |
Alter 2011 |
44 |
38 |
34 |
44 |
38 |
34 |
44 |
38 |
34 |
Kinderzahl
mit 34 Jahren |
1209 |
1233 |
1199 |
1391 |
1253 |
1219 |
1252 |
1232 |
1189 |
Kinderzahl 2011 |
1470 |
1466 |
1199 |
1546 |
1441 |
1219 |
1499 |
1489 |
1189 |
CFT-Schätzung
(unten) |
1470 |
1540 |
1540 |
1550 |
1560 |
1560 |
|
|
|
CFT-Schätzung (oben |
1550 |
1560 |
1580 |
|
|
|
Alter 2015 |
|
|
|
|
|
|
48 |
42 |
38 |
CFT 2015 |
|
|
|
|
|
|
1500 |
1551 |
1449 |
|
|
Vom Statistischen
Bundesamt werden lediglich für Deutschland Angaben zur
altersspezifischen Geburtenziffer gemacht, die zum Vergleich
herangezogen werden.
Die gesamtdeutschen
Geburtenziffern liegen in der Regel zwischen den Werten von West
und Ost.
Für die Frauenjahrgänge 1973 und 1977 ist das jedoch nicht der
Fall. Abweichungen sind der Tatsache geschuldet, dass für die
gesamtdeutsche Kohortenfertilität (CFT) auf die Zahlen von
PÖTZSCH im Beitrag
Kohortenfertilität: Ein Vergleich der Ergebnisse der amtlichen
Geburtenstatistik und der Mikrozensuserhebung 2008
(Tabelle 3, S.183) zurückgegriffen wurde und diese durch die
Zahlen der Fachserie (Natürliche Bevölkerungsbewegung) und das
Statistische Jahrbuch 2017 für die Jahre bis 2015 ergänzt
wurden. Möglicherweise liegt das an unterschiedlichen
Gebietsabgrenzungen. Berlin wird von manchen Autoren dem Osten
zugerechnet. In den 1990er Jahren wurde Westberlin dem Westen
und Ost-Berlin dem Osten zugeordnet. Andere wiederum haben
Berlin nicht berücksichtigt. Wodurch diese Unstimmigkeiten
entstanden sind, lässt sich hier nicht klären.
Außerdem muss
berücksichtigt werden, dass die
Zahlen von PÖTZSCH die Zensusberichtungen nicht enthalten. In
dem Beitrag
Fertility in Germany before and after the 2011 Census: Still no
Trend Reversal in Sight (Stand: 30.06.2016) geht PÖTZSCH
den Auswirkungen des Zensus 2011 auf die Geburtenrate nach.
Durch den Zensus reduzierte sich die Anzahl der gebärfähigen
Frauen, was zur Erhöhung der Geburtenrate führt. Dies hat z.B. für
das Land Berlin zu einem Rückgang um 5,9 Prozent geführt, im
Vergleich zu 1,8 Prozent im Bundesdurchschnitt (vgl. 2016,
Schaubild 2, S.93). PÖTZSCH betrachtet die Auswirkungen jedoch
als minimal. Der Aufsatz erschien mittlerweile als
Demografisches Bild der Fertilität in Deutschland vor und nach
dem Zensus 2011: Noch keine Trendwende in Sicht
(Publikation: 22.08.2017) auch auf Deutsch. Dort heißt es zur
Entwicklung der Kohortenfertilität:
Demografisches Bild der Fertilität in Deutschland vor und
nach dem Zensus 2011: Noch keine Trendwende in Sicht
"Es ist
bereits absehbar, dass die endgültige Kinderzahl
der späten 1960er Jahrgänge weiter auf circa
1,49 Kinder je Frau sinken wird. Danach ist eine
leichte Erholung der abgeschlossenen
Kohortenfertilität zu erwarten (Pötzsch
2010a; Goldstein/ Kreyenfeld 2011;
Sobotka 2011). Zu dieser Erholung trägt
einerseits bei, dass sich die kumulierte
Kohortenfertilität bis zum Alter von 29 Jahren
bei den Jahrgängen 1969 bis 1973 stabilisierte.
Andererseits stieg aber die Geburtenhäufigkeit
dieser Kohorten im Alter ab 30 Jahren
kontinuierlich weiter. Zusammen haben diese
beiden Effekte für eine günstige Konstellation
gesorgt, die sich jedoch ab dem Jahrgang 1974
nicht mehr fortsetzt. Zwischen den Jahrgängen
1974 und 1984 nahm die kumulierte Fertilität bis
zum Alter von 29 Jahren wieder kontinuierlich
ab. Wie sie sich im höheren Alter entwickeln
wird, ist zwar noch offen, da diese Jahrgänge
derzeit das Ende der gebärfähigen Phase noch
nicht erreicht haben. Einige Hinweise darauf
können allerdings aus der Analyse des Aufschubs
und des Nachholens der Geburten, des sogenannten
Postponement & Recuperation-Prozesses
(P&R-Prozess), gewonnen werden (Frejka/Calot
2001; Sobotka et al. 2011; Frejka
2012; Pötzsch 2013)." (2017, S.85) |
Das Statistische Bundesamt
hat
auf seiner Website die aktuellen Zahlen zur
Kohortenfertilität unter der Rubrik Altersspezifische
Geburtenziffern nach Frauenkohorten bereitgestellt. Außerdem
liegen die
endgültigen Kinderzahlen bis zum Frauenjahrgang 1966 (1526
Kinder pro 1000 Frauen) vor. Auf der Website des Statistischen Bundesamtes
ergeben sich für den
Frauenjahrgang 1966 1525,5 Kinder pro 1000 Frauen. Die
Frauenjahrgänge 1967 - 1971 haben bislang folgende Kinderzahlen
erreicht:
Tabelle 4: Die
realisierte Kinderzahl der Frauenjahrgänge
1967 - 1971 bis zum Jahr 2015 |
Frauenjahrgang
|
Alter im Jahr
2015 |
Kinder pro 1000
Frauen |
1967 |
48 Jahre |
1497,6 |
1968 |
47 Jahre |
1488,3 |
1969 |
46 Jahre |
1491,0 |
1970 |
45 Jahre |
1503,6 |
1971 |
44 Jahre |
1510,8 |
|
Quelle:
DESTATIS-Datenbank, Rubrik
Altersspezifische
Geburtenziffern
nach Frauenkohorten; eigene
Berechnungen |
Die Zahlen belegen, dass
die Trendwende beim Frauenjahrgang 1968 liegt. Die
altersspezifischen Geburtenziffern der Frauenjahrgänge ab 1972
werden in der Datenbank derzeit noch nicht aufgeführt, weshalb
sie nur durch Rückgriff auf die weiter oben bereits erwähnten
Publikationen bestimmt werden können. Für die Frauenjahrgänge
1972 bis 1985 ergibt sich folgendes Bild:
Tabelle 5: Realisierte
Kinderzahlen der Frauenjahrgänge 1972-1985 im Jahr 2015 |
Frauenjahrgang |
Alter im Jahr 2015 |
CFT gemäß
PÖTZSCH
im Jahr 2008 |
CFT der
Jahre
2009 bis
2015 |
CFT im Jahr 2015 |
1972 |
43 Jahre |
1342 |
183,1 |
1525,1 |
1973 |
42 Jahre |
1303 |
248,2 |
1551,2 |
1974 |
41 Jahre |
1225 |
320,7 |
1545,7 |
1975 |
40 Jahre |
1131 |
397,1 |
1528,1 |
1976 |
39 Jahre |
1024 |
467,1 |
1491,1 |
1977 |
38 Jahre |
916 |
532,6 |
1448,6 |
1978 |
37 Jahre |
818 |
592,1 |
1410,1 |
1979 |
36 Jahre |
708 |
641,3 |
1349,3 |
1980 |
35 Jahre |
603 |
667,6 |
1270,6 |
1981 |
34 Jahre |
503 |
679,0 |
1182,0 |
1982 |
33 Jahre |
409 |
673,3 |
1082,3 |
1983 |
32 Jahre |
323 |
640,3 |
963,3 |
1984 |
31 Jahre |
255 |
599,3 |
854,3 |
1985 |
30 Jahre |
196 |
543,7 |
739,7 |
|
Quelle:
DESTATIS-Datenbank, Rubrik
Altersspezifische
Geburtenziffern nach Frauenkohorten;
eigene Berechnungen;
Olga Pötzsch H.1/2010, Tabelle 3, S.183 |
In der neueren Analyse der
Kohortenfertilität nimmt PÖTZSCH ihren Ausgang nicht mehr bei
den West-Ost-Unterschieden wie im Jahr 2013, sondern beim
gesamtdeutschen Frauenjahrgang 1962, der 1,61 Kinder pro Frau
erreichte. Das Ergebnis ihrer Analyse fasst PÖTZSCH
folgendermaßen zusammen:
Demografisches Bild der Fertilität in Deutschland vor und
nach dem Zensus 2011: Noch keine Trendwende in Sicht
"Für die
Jahrgänge 1969 und 1973 verdeutlicht diese
Darstellung die bereits beschriebene günstige
Konstellation aus der Verstetigung der
kumulierten CFR im Alter unter 30 Jahren
einerseits und des verstärkten Nachholens im
Alter zwischen 30 und 40 Jahren andererseits.
Dadurch wird die endgültige Kinderzahl leicht
steigen. Ab der Kohorte 1974 sinkt die
Fertilität im Alter unter 30 Jahren
kontinuierlich, was eine erneute Zunahme des
Geburtenaufschubs bedeutet." (2017 S.87) |
PÖTZSCH sieht diesen
erneuten Geburtenaufschub skeptisch. Doch möglicherweise ist
dieser Geburtenaufschub teilweise nur eine kurzfristige Folge
der Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007 (z.B.
Mitnahmeeffekte) und der Finanzkrise und keine dauerhafte
Veränderung des Geburtengeschehens an sich. Das Elterngeld setzt
jedoch auch zusätzliche Anreize für die späte Mutterschaft und
könnte dadurch auch langfristige Effekte haben. Beide Aspekte
müssten bei Analysen betrachtet werden. Solche Ursachenanalyse
fehlt jedoch bei PÖTZSCH, stattdessen schließt sie aus dem
vergangenen Geburtenmuster auf zukünftige Bedingungen für einen
dauerhaften Geburtenanstieg. Dazu gehören Annahmen zur
notwendigen Paritätsverteilung:
Demografisches Bild der Fertilität in Deutschland vor und
nach dem Zensus 2011: Noch keine Trendwende in Sicht
"Eine künftig
stabile Paritätsverteilung setzt (...) voraus,
dass sich das Geburtenverhalten im höheren
fertilen Alter ändert und der Anteil der Mütter
zunimmt, die eine Familie in ihren Dreißigern
gründen und anschließend trotzdem noch drei oder
mehr Kinder bekommen." (2017 S.90) |
PÖTZSCH beruft sich bei
ihren Annahmen noch auf den Mikrozensus 2012, während inzwischen
neuere Daten aus dem Mikrozensus 2016 vorliegen. Während PÖTZSCH von einem weiteren Anstieg der Kinderlosigkeit ausgegangen
ist,
kann dies inzwischen als widerlegt gelten. Dadurch müssen auch
die Annahmen zur notwendigen Paritätsverteilung als obsolet
gelten. Die Voraussetzungen für einen Geburtenanstieg der
Frauenjahrgänge ab 1974 haben sich dadurch verbessert.
Die Kinderlosigkeit ist nicht der
Hauptgrund der niedrigen Geburtenrate in Deutschland
PÖTZSCH kann - auf Basis
des Mikrozensus 2012 - keine
Trendwende bei der Kinderlosigkeit erkennen. Ihre Argumentation
lautet folgendermaßen:
Demografisches Bild der Fertilität in Deutschland vor und
nach dem Zensus 2011: Noch keine Trendwende in Sicht
"In der
Kohorte 1971, die im Jahr 2012 das Alter von 41
Jahren erreicht hat, sind 22 % der Frauen
kinderlos geblieben. Die Kinderlosenquote war
damit um 10 Prozentpunkte höher als in den
Kohorten 1940 bis 1946 (12 %). Zwischen den
Jahrgängen 1946 und 1971 nahm die
Kinderlosenquote, abgesehen von einzelnen
kleinen Schwankungen, fast linear zu (Abb. 14).
Inwieweit und wie lange die endgültige
Kinderlosenquote in Zukunft steigen wird, ist
noch offen. Einerseits gibt es positive Impulse,
wie zum Beispiel bei den westdeutschen Frauen
mit akademischen Bildungsabschlüssen. Ihre
endgültige Kinderlosenquote hat sich zuletzt bei
29 % (nach der zensusjustierten Hochrechnung)
stabilisiert und wird in den nächsten Jahren
voraussichtlich sogar leicht sinken (Statistisches
Bundesamt 2013: 37; Statistisches Bundesamt
2015c). Andererseits deuten einige Befunde
darauf hin, dass das Maximum der Kinderlosigkeit
noch nicht erreicht ist. Dazu gehört u.a. der
steigende Anteil der Frauen mit
Hochschulbildung, die eine überdurchschnittlich
hohe Kinderlosigkeit aufweisen. In den neuen
Ländern sowie bei westdeutschen Frauen ohne
akademische Bildung wird die Kinderlosenquote in
den kommenden Jahren voraussichtlich weiter
zunehmen. Dadurch würde auch das Gesamtniveau
der Kinderlosigkeit weiter steigen.
Sozioökonomische, biomedizinische und kulturelle
Faktoren sprechen ebenfalls eher für eine
Trendfortsetzung als für eine Trendwende in der
Kinderlosigkeit. Durch die Einführung des
Elterngelds und den Ausbau der Kinderbetreuung
wurden familienpolitische Schritte unternommen,
die diesem Trend entgegen wirken könnten (Bonin
et al. 2013). Allerdings ist das Problem der
Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie damit
noch lange nicht gelöst (Bujard/Lück
2015a). Das immer weitere Aufschieben der
Erstgeburt führt außerdem auch aus
biomedizinischen Gründen dazu, dass nicht alle
auf später aufgeschobenen Wünsche für mindestens
ein Kind realisiert werden können (Beier et
al. 2012; te Velde et al. 2012).
Zugleich zeigt die jüngste Forschung zu
Familienleitbildern, dass die lebenslange
Kinderlosigkeit zu einem attraktiven
Lebensentwurf geworden ist und »kaum noch als
Defizit wahrgenommen« wird (Dorbritz/Diabaté
2015: 131)." (2017 S.93f.) |
Das Statistische Bundesamt
hat
auf seiner Website die Kinderlosenanteile für die
Altersgruppen der 35 - 49-jährigen Frauen in Deutschland zu den
Zeitpunkten 2008, 2012 und 2016 bereitgestellt, die aus der
folgenden Tabelle ersichtlich sind:
Tabelle 6:
Die Kinderlosenquoten der Jahre 2008, 2012 und 2016 für
drei
Altersgruppen der 35- 49-jährigen Frauen in Deutschland |
Altersgruppe
|
Mikrozensus
2008 |
Mikrozensus
2012 |
Mikrozensus
2016 |
35 - 39 Jahre |
26 % |
26 % |
25 % |
40 - 44 Jahre |
20 % |
22 % |
21 % |
45 - 49 Jahre |
17 % |
20 % |
20 % |
|
Es ist daraus zu sehen,
warum PÖTZSCH aufgrund der Analyse der Daten aus dem Jahr 2012
zum Schluss kommt, dass die Kinderlosigkeit in Deutschland
weiter ansteigt. Dagegen weisen die Daten aus dem Jahr 2016 auf
eine Trendwende hin.
Trotz dieser Belege hat
Alexander HAGELÜKEN kürzlich in zwei Artikeln der
Süddeutschen Zeitung mit Verweis auf eine kürzlich veröffentlichte Studie
behauptet, dass ein Studium die Wahrscheinlichkeit von Nachwuchs
um 25 % reduzieren würde. Diese Behauptung wird aus dem Kontext
einer Untersuchung zum Geburtengeschehen der Frauenjahrgänge
1956 - 1975 gerissen, die für das heutige Geburtengeschehen nur
noch von geringer Bedeutung sind. Tatsächlich liegt der Anteil
der Kinderlosen mit Hochschulabschluss bei den in den 1970er
Jahren geborenen Frauen lediglich rund 5 % über dem Anteil der
Kinderlosen ohne Hochschulabschluss, wie aus der nächsten
Tabelle ersehen werden kann:
Tabelle
7: Die Anzahl der Kinderlosen und Mütter
(Nicht-Akademikerinnen /
Akademikerinnen)
der
Frauenjahrgänge 1967 - 1976 im Jahr 2016 |
|
Jahrgang 1967-1971 |
Jahrgang 1972-1976 |
in Tausend |
in % |
in Tausend |
in % |
Gesamtzahl der
Frauen |
2.912 |
|
2.298 |
|
Gesamtzahl der
Nichtakademikerinnen |
2.412 |
100,0 |
1.818 |
100,0 |
Anzahl der
Mütter ohne Hochschulabschluss |
1.943 |
80,6 |
1.450 |
79,8 |
Anzahl der
Kinderlosen ohne Hochschulabschluss |
469 |
19,4 |
368 |
20,2 |
Gesamtzahl der
Akademikerinnen |
500 |
100, 0 |
480 |
100,0 |
Anzahl der
Mütter
mit Hochschulabschluss |
373 |
74,6 |
359 |
74,8 |
Anzahl der
Kinderlosen mit Hochschulabschluss |
127 |
25,4
|
121 |
25,2
|
|
Quelle:
Broschüre
Kinderlosigkeit, Geburten und Familien,
Tabellen 3.7 und 3.8; eigene Berechnungen |
Richtig ist, dass
ein Studium zum vermehrten Geburtenaufschub in spätere
Lebensalter beiträgt. In welchem Ausmaß die lebenslange
Kinderlosigkeit dadurch begünstigt wird, ist dagegen viel schwieriger zu
beantworten. Dies gilt auch für die Vereinbarkeit von Karriere
und Kind. Dafür müssten z.B. auch Faktoren wie Partnerlosigkeit
und gesetzliche Rahmenbedingungen betrachtet werden.
Schwarz-Weiß-Malerei à la HAGELÜKEN ist da eher kontraproduktiv.
Ein Vergleich der gleichaltrigen Akademikerinnen 2012 und 2016
zeigt den Rückgang der Kinderlosigkeit in allen Altersgruppen
noch deutlicher (vgl.
DESTATIS 2017, S.16):
Tabelle
8:
Der Anteil der Kinderlosen in der gleichen
Altersgruppe zum Zeitpunkt 2012 und 2016 |
Altersgruppe
|
Mikrozensus
2012 |
Mikrozensus
2016 |
30 - 34 Jahre |
61 % |
58 % |
35 - 39 Jahre |
36 % |
33 % |
40 - 44 Jahre |
28 % |
25 % |
45 - 49 Jahre |
27 % |
26 % |
|
Die Kinderlosigkeit der
Nicht-Akademikerinnen verharrt dagegen auf dem Niveau des Jahres
2012. Das Elterngeld hat insofern zur Polarisierung in
Deutschland beigetragen.
Damit ist sozusagen der
erste Teil der Argumentation von PÖTZSCH weggebrochen, sodass
die Betrachtung der Paritätsverteilung eine andere Bedeutung
erlangt. Das
Statistische Bundesamt führt dazu in seiner Broschüre
Kinderlosigkeit, Geburten und Familien folgendes aus:
Kinderlosigkeit, Geburten und Familien
"Trotz der
nach wie vor hohen Kinderlosigkeit werden auch
heute etwa 80 % aller Frauen im Laufe ihres
Lebens Mutter. Der Mikrozensus liefert
Informationen über die Struktur der Mütter nach
Zahl der geborenen Kinder und über die
Entwicklung der durchschnittlichen Kinderzahl je
Mutter.
Zwischen 2008 und 2016 stieg der Anteil der
Mütter mit 1 Kind bei den Müttern im Alter
zwischen 45 und 49 Jahren von 29 % auf 32 %.
Gleichzeitig sanken die Anteile der Mütter mit 2
Kindern von 49 % auf knapp 48 % und der Mütter
mit 3 oder mehr Kindern von 22 % auf 20 % (...).
Die endgültige durchschnittliche Kinderzahl je
Mutter fiel dabei leicht von 2,03 auf 1,96
Kinder je Mutter.
Bei den jüngeren Müttern im Alter zwischen 35
und 44 Jahren hat sich dagegen die
durchschnittliche Kinderzahl je Mutter
stabilisiert. Zu dieser Entwicklung haben vor
allem die in Deutschland geborenen oder als Kind
zugewanderten Mütter der 1970er und der frühen
1980er Jahrgänge beigetragen. Ob sie dann
schließlich im Durchschnitt mehr Kinder zur Welt
bringen werden als die heute 45- bis 49-jährigen
Mütter, ist noch offen." (2017 S.21) |
Die revidierte Sicht des
Statistischen Bundesamtes deutet darauf hin, dass - im Gegensatz
zur Sicht von PÖTZSCH - nicht mit einem Rückgang der
Geburtenrate gerechnet werden muss, sondern einem weiteren
Anstieg stehen keine Hindernisse entgegen.
Auch die
weiter oben aufgeführten
realisierten Kinderzahlen des Jahres 2015 zeigen, dass der Frauenjahrgang 1977 entgegen den Schätzungen von PÖTZSCH die Geburtenrate des
Jahrgangs 1973 erreichen kann, wenn die Frauen bis zum Alter von
44 Jahren genauso viele Kinder bekommen wie die Jahrgänge 1972
bis 1976 im Jahr 2015. Bislang bekamen die Frauen jeweils sogar
mehr Kinder. Im Frauenjahrgang 1965 bekamen die 40-jährigen und
älteren Frauen nur 44,4 Kinder je 1000 Frauen. Der
Frauenjahrgang 1973 kam dagegen bereits auf 57,1 Kinder pro 1000
Frauen im Alter von 40 - 42 Jahren. Dies bedeutet, dass immer
mehr Kinder noch von den Frauen über 40 Jahren nachgeholt
werden.
Die Gegenposition zu
PÖTZSCH hat bereits 2013 das Max-Planck-Institut für demografische
Forschung in der Pressemitteilung
Endgültige Geburtenraten werden steigen vertreten. Die
Autoren sind der Meinung, dass der Geburtenanstieg
mindestens bis zum Frauenjahrgang 1979 anhält:
Endgültige Geburtenraten werden steigen
"»Mit den
Frauen, die in den 1970ern geboren wurden, kommt
die Trendwende«, sagt Joshua Goldstein. Im Osten
markiert der Jahrgang 1971 das Ende des
Rückgangs: Dessen Frauen werden endgültig 1,51
Kinder geboren haben. Danach steigen die Werte,
und die 1979 geborenen Frauen werden bereits
1,58 Kinder zur Welt gebracht haben. Im Westen
erreicht die Talsohle schon der 1968er-Jahrgang
mit endgültig 1,46 Kindern. Die nur elf Jahre
jüngeren Frauen des Jahrgangs 1979 werden
hingegen auf 1,57 gekommen sein, wenn sie 50
Jahre alt sind." (2013)
|
Eine
Kohortenfertilität von 1,5 Kinder pro Frau für die
Frauenjahrgänge bis Mitte der 1980er Jahre entspricht einer sehr
pessimistischen Sicht. Trotz steigendem Erstgebäralter haben die
Frauenjahrgänge bis 1980 im Alter von 35 Jahren fast genauso
viele Kinder zur Welt gebracht wie die Ende der 1960er Jahre
geborenen Frauen. Zugleich aber haben die altersspezifischen
Geburtenziffern bislang im Alter über 35 Jahren zugenommen.
Können die
jüngeren Frauenjahrgänge eine Kohortenfertilität von 1,6 pro
Frau erreichen? Dazu kann man wie PÖTZSCH den Frauenjahrgang
1962 mit 1,61 Kindern pro Frau heranziehen, dann ergibt sich
folgendes Bild:
Tabelle 9: Die realisierten
Kinderzahlen der jüngeren Frauenjahrgänge in Deutschland
im Vergleich mit dem Frauenjahrgang 1962 |
Frauenjahrgang |
CFT 35
Jahre |
CFT
36-39 Jahre |
CFT
40-44 Jahre |
CFT 50
Jahre |
1962 |
1466,4 |
111,2 |
31,9 |
1613,5 |
1966 |
1343,8 |
133,9 |
44,8 |
1525,3 |
1967 - 1970 |
1282,6 - 1308,4
(niedrig - hoch) |
141,3 - 163,4
(Anstieg + 22,1) |
47,9 - 57,6
(Anstieg + 10,3) |
|
1971 - 1975 |
1274,0 - 1303,0
(niedrig - hoch) |
173,2 - 209,4
(Anstieg + 36,2) |
60,4 |
|
1976 - 1980 |
1267,0 - 1274,6
(niedrig - hoch) |
216,5 |
|
|
|
Quelle:
DESTATIS-Datenbank, Rubrik
Altersspezifische
Geburtenziffern nach Frauenkohorten;
eigene Berechnungen |
Bis zum Alter
von 35 Jahren schwanken die altersspezifischen Geburtenziffern,
d.h. es ist weder ein kontinuierlicher Anstieg, noch ein
kontinuierlicher Rückgang zu verzeichnen. So erreichte z.B. der
Frauenjahrgang 1973 einen Höchststand von 1303 Kinder pro 1000
Frauen. Danach ging die altersspezifische Geburtenziffer bis zum
Frauenjahrgang 1977 zurück, um dann beim Frauenjahrgang 1978
wieder auf über 1270 Kinder pro 1000 Frauen zu steigen. Die
Frauenjahrgänge 1978 - 1980 erreichten also eine höhere
Kinderzahl als der Frauenjahrgang 1977, den PÖTZSCH in ihrer
Studie fälschlicherweise als Rückgang interpretierte. Die
Geburtsjahrgänge 1981 - 1985 haben das Alter von 35 Jahren
dagegen bis 2015 noch nicht erreicht.
Geht man für
eine Schätzung von einer pessimistischen Sicht aus, und nimmt
an, dass die altersspezifische Geburtenziffer auf dem Niveau
verharrt, den der letzte Frauenjahrgang im jeweiligen Alter
realisiert hat, dann würde der Geburtsjahrgang 1985 eine
Geburtenrate von 1,55 Kinder pro Frau erreichen. Bislang gibt es
jedoch keinerlei Anzeichen dafür, dass die altersspezifischen
Geburtenziffern nicht weiter steigen. Geht man also von einer
positiven Sicht aus, und nimmt an, dass die altersspezifischen
Geburtenziffern im Durchschnitt der Steigerung der letzten 5
Jahre ansteigen, dann ergibt sich für den Frauenjahrgang
folgendes Bild im Vergleich zur pessimistischen Annahme:
Tabelle 10: Die
mögliche Kohortenfertilität des Frauenjahrgangs 1985 bei
unterschiedlichen Annahmen
zum Anstieg der altersspezifischen Geburtenziffern
|
Frauenjahrgang 1985
(Alter in Jahren) |
CFT
(Frauenjahrgang, der
diese CFT erreicht hat) |
CFT
bei Anstieg im
Durchschnitt der letzten
5 Frauenjahrgänge, die
diese Geburtenzahl
realisiert haben |
CFT
bei Fortschreibung
des durchschnittlichen
Anstiegs (angenähertes
Szenario) |
30
Jahre |
739,7
(1985) |
739,7
(1985) |
739,7
(1985) |
31
Jahre |
110,1
(1984) |
112,0
(1980 - 1984/+ 1,9) |
112,0 |
32
Jahre |
109,1
(1983) |
111,2
(1979 - 1983/ + 2,1) |
111,2 |
33
Jahre |
105,4
(1982) |
108,0
(1978 - 1982/ + 2,6) |
108,0 |
34
Jahre |
97,1
(1981) |
99,3
(1977 - 1981/ + 2,2) |
99,3 |
35
Jahre |
87,8
(1980) |
89,9
(1976 - 1980/ + 2,1) |
92,0
(1981 - 1984/ + 4,2) |
36
Jahre |
76,6
(1979) |
78,5
(1975 - 1979/ + 1,9) |
80,4 |
37
Jahre |
62,6
(1978) |
64,5
(1974 - 1978/ + 1,9) |
66,4 |
38
Jahre |
50,3
(1977) |
51,9
(1973 - 1977/ + 1,6) |
53,5 |
39
Jahre |
39,6
(1976) |
41,2
(1972 - 1976/ + 1,6) |
42,8 |
40
Jahre |
30,0
(1975) |
31,3
(1971 - 1975/ + 1,3) |
33,9
(1981 - 1984/ + 3,9) |
41
Jahre |
20,3
(1974) |
20,9
(1970 - 1974/ + 0,6) |
22,1 |
42
Jahre |
11,8
(1973) |
12,3
(1969 - 1973/ + 0,5) |
13,3 |
43
Jahre |
6,6
(1972) |
6,9
(1968 - 1972/ + 0,3) |
7,5 |
44
Jahre |
3,6
(1971) |
3,8
(1967 - 1971/ + 0,2) |
4,2 |
45
Jahre |
1,8
(1970) |
1,9
(1966 - 1970/ + 0,1) |
2,2
(1981 - 1984/ + 0,4) |
46
Jahre |
0,9
(1969) |
1,0
(1965 - 1969/ + 0,1) |
1,3 |
47
Jahre |
0,4
(1968) |
0,4
(1964 - 1968/ 0) |
0,4 |
48
Jahre |
0,2
(1967) |
0,2
(1963 - 1967/ 0) |
0,2 |
49
Jahre |
0,1
(1966) |
0,1
(1962 - 1966/ 0) |
0,1 |
Endgültige Kinderzahl |
1.553,6 |
1.575,0 |
1.602,6 |
|
Quelle:
DESTATIS-Datenbank, Rubrik
Altersspezifische
Geburtenziffern nach Frauenkohorten;
eigene Berechnungen |
Der
Frauenjahrgang 1985 könnte eine Geburtenrate von 1,58 Kindern pro Frau
erreichen, wobei lediglich ein durchschnittlicher Anstieg der
letzten 5 Frauenjahrgänge angenommen wurde, die diese
Kohortenfertilität tatsächlich bereits realisiert haben. Würde
man dagegen den Anstieg jeweils für die Frauenjahrgänge 1980 -
1984 fortschreiben, dann würde das z.B. bedeuten, dass die
altersspezifische Geburtenziffer im Alter von 35 Jahren nicht
nur um 2,1, sondern um 4,2 höher läge. Im Alter von 40 Jahren
läge sie nicht nur um 1,3, sondern um 3,9 höher. Bei dieser
durchaus möglichen Entwicklung läge die Geburtenrate dann sogar
über 1,6 Kindern pro Frau. Die letzte Spalte stellt eine
Annäherung an diese mögliche Entwicklung dar und kann als Untergrenze
betrachtet werden.
Welche
Entwicklung der Frauenjahrgang 1985 tatsächlich nimmt, dafür
bietet die nächste Tabelle Anhaltspunkte, sobald die entsprechenden
Zahlen für die nähere Zukunft vorliegen. Geht man für den
Frauenjahrgang 1980 von den obigen Annahmen aus, dann ergibt
sich das folgende Bild:
Tabelle 11: Die
mögliche Kohortenfertilität des Frauenjahrgangs 1980 bei
unterschiedlichen Annahmen
zum Anstieg der altersspezifischen Geburtenziffern
|
Frauenjahrgang 1980
(Alter in Jahren) |
CFT
(Frauenjahrgang, der
diese CFT erreicht hat) |
CFT
bei Anstieg im
Durchschnitt der letzten
5 Frauenjahrgänge, die
diese Geburtenzahl
realisiert haben |
CFT
bei Fortschreibung
des durchschnittlichen
Anstiegs (angenähertes
Szenario) |
35
Jahre |
1270,6
(1980) |
1270,6
(1980) |
1270,6
(1980) |
36
Jahre |
76,6
(1979) |
78,5
(1975 - 1979/ + 1,9) |
78,5 |
37
Jahre |
62,6
(1978) |
64,5
(1974 - 1978/ + 1,9) |
64,5 |
38
Jahre |
50,3
(1977) |
51,9
(1973 - 1977/ + 1,6) |
51,9 |
39
Jahre |
39,6
(1976) |
41,2
(1972 - 1976/ + 1,6) |
41,2 |
40
Jahre |
30,0
(1975) |
31,3
(1971 - 1975/ + 1,3) |
32,6
(1976 - 1980/ + 2,6) |
41
Jahre |
20,3
(1974) |
20,9
(1970 - 1974/ + 0,6) |
21,5 |
42
Jahre |
11,8
(1973) |
12,3
(1969 - 1973/ + 0,5) |
12,8 |
43
Jahre |
6,6
(1972) |
6,9
(1968 - 1972/ + 0,3) |
7,2 |
44
Jahre |
3,6
(1971) |
3,8
(1967 - 1971/ + 0,2) |
4,0 |
45
Jahre |
1,8
(1970) |
1,9
(1966 - 1970/ + 0,1) |
2,0
(1976 - 1980/ + 0,2) |
46
Jahre |
0,9
(1969) |
1,0
(1965 - 1969/ + 0,1) |
1,1 |
47
Jahre |
0,4
(1968) |
0,4
(1964 - 1968/ 0) |
0,4 |
48
Jahre |
0,2
(1967) |
0,2
(1963 - 1967/ 0) |
0,2 |
49
Jahre |
0,1
(1966) |
0,1
(1962 - 1966/ 0) |
0,1 |
Endgültige Kinderzahl |
1.575,4 |
1.585,5 |
1.588,6 |
|
Quelle:
DESTATIS-Datenbank, Rubrik
Altersspezifische
Geburtenziffern nach Frauenkohorten;
eigene Berechnungen;
Olga Pötzsch H.1/2010, Tabelle 3, S.183 |
Die
endgültige Kinderzahl des Frauenjahrgangs 1980 könnte je nach
Entwicklung also zwischen 1,57 und 1,59 liegen. Die Variante 2A
des Statistischen Bundesamts bleibt hinter dieser möglichen
Entwicklung zurück, die durchaus realistisch ist. Sollte die
Kinderlosigkeit bei gleich bleibender Paritätsverteilung weiter
sinken, dann könnten gar noch höhere Geburtenraten erreicht
werden. Auch eine Zunahme von Müttern mit 3 und mehr Kindern
würde zu noch höheren Geburtenraten führen.
Die Entwicklung der Geburten erster
Kinder in den Jahren 2009 - 2015
Seit dem Jahr
2009 werden nicht wie zuvor nur die Kinder innerhalb einer Ehe
richtig gezählt, sondern es wird die so genannte biologische
Geburtenfolge erfasst. Bis 2009 waren nur Schätzungen möglich,
sodass die Geburtenentwicklung in Deutschland falsch
eingeschätzt wurde. Die Kinderlosigkeit wurde deshalb als
Hauptproblem angesehen, weil sie überschätzt wurde.
Die
lebenslange Kinderlosigkeit wurde teilweise auf ein Drittel geschätzt.
Erst mit dem Mikrozensus 2008 wurde die Kinderlosigkeit
empirisch erfasst. Dies erfolgt seitdem im 4-Jahres-Rythmus.
In den Nuller
Jahren galten 40-jährige Frauen als lebenslang Kinderlose. Auch
dies führte zu einer Fehleinschätzung der Kinderlosigkeit. Aus
der nachfolgenden Tabelle ist die Entwicklung für die
40-jährigen und älteren Frauen ersichtlich:
Tabelle 12: Die
Entwicklung der Geburten erster Kinder bei den über
40-jährigen Frauen in Deutschland 2009 - 2015 |
|
2009 |
2010 |
2011 |
2012 |
2013 |
2014 |
2015 |
40-Jährige |
3.530 |
3.929 |
3.958 |
3.783 |
3.254 |
4.004 |
4.109 |
41-Jährige |
2.212 |
2.866 |
2.637 |
2.667 |
2.086 |
2.576 |
2.811 |
42-Jährige |
1.227 |
1.674 |
1.638 |
1.649 |
1.363 |
1.724 |
1.580 |
43-Jährige |
680 |
965 |
970 |
981 |
788 |
1.092 |
988 |
44-Jährige |
393 |
479 |
505 |
539 |
420 |
528 |
607 |
45- bis 49-Jährige |
323 |
525 |
545 |
613 |
498 |
732 |
799 |
40- bis 49 Jährige
|
8.365 |
10.438 |
10.253 |
10.232 |
8.409 |
10.656 |
10.894 |
Gesamtzahl der
Erstgeborenen |
331.444 |
335.862 |
329.952 |
332.233 |
337.175 |
353.178 |
360.355 |
Anteil der 40-Jährigen
und Älteren |
2,5 % |
3,1 % |
3,1
% |
3,1
% |
2,5
% |
3,0
% |
3,0
% |
Anteil der
Erstgeborenen an allen Kindern |
49,8 % |
49,5 % |
49,8
% |
49,4
% |
47,2
% |
49,5
% |
49,0
% |
|
Quelle:
2009: DESTATIS FS 1
Reihe 1.1 Natürliche Bevölkerungsbewegungen, S.91;
2010-2015: Statistische Jahrbücher 2012-2017;
eigene Berechnungen |
2,5 bis 3,1 %
der Frauen bekommen noch ihr erstes Kind im Alter über 40 Jahre.
Dies mag vernachlässigbar erscheinen. Da es sich bei diesen
Frauen jedoch vermutlich in erster Linie um Akademikerinnen
handelt, könnte das erklären, warum gerade die
Kinderlosigkeit der Akademikerinnen besonders überschätzt
wurde.
Unter den
Frauenjahrgängen 1972 - 1976 gab es 2016 nur 480.000 Akademikerinnen
(siehe oben). Das waren
ca. 96.000 Akademikerinnen pro Jahrgang. Frauen des Jahrgangs
1972, die 1916 45-Jahre alt wurden, bekamen als über 40-Jährige rund 10.000 Kinder. Nimmt man
an, dass die sehr späten Mütter alle Akademikerinnen waren, dann wären das über 9
%. Diese wären bis 2008 als kinderlos gezählt worden, obwohl sie
Mütter eines Kindes waren. Eine spezielle Gruppe
übertrifft jedoch sogar dieses Ausmaß an sehr späten Müttern.
Die
Hotspots der Kinderlosigkeit und die Rede von einer Kultur der
Kinderlosigkeit
Die
hysterische Berichterstattung zur Kinderlosigkeit in Deutschland
hat ihre Hochphase zwischen zwei Ereignissen gehabt, die diesen
Zeitraum prägten: zum einen das Pflegeurteil des
Bundesverfassungsgerichts vom April 2001 und zum anderen die
Einführung des Elterngeldes 2007. In dieser Periode fand eine
Radikalisierung der öffentlichen Debatte statt, die durch die
Zuspitzung auf die kinderlose Akademikerin gekennzeichnet war.
Diese Debatte hat einen wahren Kern, denn ausgerechnet die
Meinungsführer der öffentlichen Debatten: westdeutsche SpitzenpolitikerInnen, westdeutsche WissenschaftlerInnen und
westdeutsche JournalistInnen gehören zu jenen Berufsgruppen, in
denen der Anteil Kinderloser und Kinderarmer besonders hoch war
und noch ist. In der Broschüre
Geburten in Deutschland 2012
wird der Anteil Kinderloser im Alter zwischen 35 und 49 Jahren
in der Publizistik mit 40 % angegeben (vgl. 2012, S.37). Die
Daten wurden im Jahr 2008 erhoben und betreffen damit die
Frauenjahrgänge 1959 bis 1973.
In dem
Buch
Wissenschaft als Lebensform - Eltern unerwünscht? aus
dem Jahr 2009 berichten Sigrid METZ-GÖCKEL u.a. über eine
Vollerhebung des wissenschaftlichen Personals in
Nordrhein-Westfahlen, die die Situation 1994 und 2004 darstellt.
Das Buch zeigt, dass es im Wissenschaftsbetrieb viele Kinderlose
und späte Mütter gab und immer noch gibt.
Für die
Kinderlosigkeit der Spitzenpolitikerinnen steht stellvertretend
die Bundeskanzlerin und die öffentliche Inszenierung von
Schwangerschaften und Geburten insbesondere von
Grünen-Politikerinnen und Ministerinnen.
Die
Radikalisierung der Debatte geht einher mit einer Umdeutung von
Kinderlosigkeit. Was vor der
Debatte um die Vereinbarkeit von
Beruf und Familie als ungewollte Kinderlosigkeit begriffen
wurde, das galt nun als gewollte Kinderlosigkeit. Eine
Steigerung erfuhr diese Debatte durch die Rede von einer
Kultur der
Kinderlosigkeit, von "low-fertility-trap" und "lowest-low-fertility"-Ländern,
also Niedrigfertilitätsländern. Dazu heißt es in einem
Arbeitspapier von Hans-Peter KOHLER u.a.:
Low Fertility in Europe
"European
countries with traditionally low fertility, such
as Austria (1.34), Switzerland (1.4), and
Germany (1.31), are candidates that may soon
join the group of lowest-low fertility countries" (2006,
S.8)
|
Die Grenze
zwischen Low Fertility und Lowest Low Fertility wurde bei einer
zusammengefassten Geburtenrate von 1,3 gezogen, obwohl solch
eine Grenzziehung willkürlich ist. In Westdeutschland lag die
zusammengefasste Geburtenrate 1984 und 1985 bereits unter 1,3.
In Ostdeutschland lag die zusammengefasste Geburtenrate sogar
zwischen 1991 und 2003 unter 1,3, in den Jahren 1991 bis 1996
sogar unter 1,0. Eine "low-fertility-trap", also eine
Niedrigfertilitäts-Falle, läßt sich aus diesen beiden
empirischen Fällen nicht ableiten und dennoch wurden diese
Deutungsmuster prägend für die Debatte.
Die Geburtenrate
1,31 wurde im wiedervereinigten Deutschland überhaupt nur 1996
mit 1,316 erreicht, wenn man diese ab- statt aufrundet. Der
Artikel gibt als Quelle eine Publikation des Europarats an. Die
Zahl soll sich auf das Jahr 2002 beziehen. Damals lag die
Geburtenziffer aber bei 1,34. Die Ansichten von KOHLER wurden
vom einflussreichen Flaggschiff des Neoliberalismus, dem
britischen Economist verbreitet ("The
fertility bust") und wurden entsprechend
in Deutschland ebenfalls schnell verbreitet. In Wirklichkeit lag die
Geburtenrate im Jahr 2006 bei 1,66, weil damals erst der
Frauenjahrgang 1957 seine endgültige Kinderzahl erreicht hatte.
Selbst der Tiefstpunkt beim Frauenjahrgang 1968 liegt bei rund
1,5 Kindern pro Frau.
In den Jahren
der Hysterie war ein Deutungskampf um die Geburtenentwicklung
entbrannt, der seine Grundlage in der Blockade gehaltvoller
empirischer Forschung hatte. Diese Jahre wären ein lohnendes
Feld für Historiker. Dass die Aufgabe der Blockadehaltung mit
der Einführung des Elterngeldes zu tun hat, ist ein offenes
Geheimnis. Angeblich hatte die Blockade etwas mit der deutschen
Vergangenheit zu tun. Dies ist offensichtlich falsch, denn sonst
gäbe es keinen Grund dafür, warum die Verbesserung der Datenlage
in kurzer Zeit durchgesetzt werden konnte. Welche politischen
Interessen hinter dieser Blockade und welche Konfliktlinien
diese aufrechterhalten haben, das wäre Aufgabe der
politikwissenschaftlichen Forschung. Da Geschichtsschreibung
immer die Geschichtsschreibung der Sieger ist, wird die
Aufarbeitung je nach zukünftiger Entwicklung des
Geburtenanstiegs, schneller oder langsamer verlaufen oder sogar
verhindert werden.
Die
Sachbuchliteratur seit Anfang des Jahrtausends bietet außerdem
reichlich Material für Fallstudien zu der Kontroverse und den
Motiven bzw. Interessenlagen der Protagonisten. Auf dieser
Website wurden bereits etliche Bücher unter einem
biografietheoretischen Aspekt betrachtet: z.B. Susanne GASCHKE ("Die
Emanzipationsfalle"), Katja KULLMANN ("Generation
Ally"), Bettina WÜNDRICH ("Einsame
Spitze") und Susanne FISCHER ("Ansichten
einer späten Mutter"). Anders als in Frankreich, wo
Soziologen wie Didier ERIBON Gesellschafts- und Biografieanalyse
miteinander verbinden, gibt es in Deutschland keine solche
Tradition. Vielmehr gilt die strikte Trennung zwischen Werk und
Person als Ausweis von Wissenschaftlichkeit. In
populärwissenschaftlichen Werken wie
Das ganz
normale Chaos der Liebe von Ulrich BECK & BECK-GERNSHEIM
scheinen jedoch auch persönliche Motive durch. Die Kontroverse
zwischen Eltern und Kinderlosen wird in Deutschland besonders
emotional geführt. Hier stehen sich die Verfechter der "reinen
Lehre" unversöhnlich gegenüber. Meist wird dabei nur das eigene
Lebensmodell zum einzig Wahren verklärt und die anderen
Lebensmodelle zugleich abgewertet. Dies hängt auch damit
zusammen, dass das Private politisch ist - nicht etwa erst in der
Nachfolge der 68er-Generation, sondern seit Bestehen des
Sozialstaats, der die Lebensformen sanktioniert - ob im
positiven oder im negativen Sinne.
Der Konflikt
zwischen Eltern und Kinderlosen ist derzeit - im Vergleich zur
hysterischen Periode 2001 bis 2006 - ruhig gestellt,
nichtsdestotrotz ist der Konflikt weiterhin vorhanden. Bücher
wie
Vögeln fürs Vaterland? Nein danke! Bekenntnisse einer
Kinderlosen von Kerstin HERRNKIND und
Der tiefe Riss.
Wie Politik und Wirtschaft Eltern und Kinderlose gegeneinander
ausspielen von Susanne GARSOFFKY & Britta SEMBACH -
beide dieses Jahr erschienen, zeigen dass das Thema weiterhin
aktuell ist. Durch den Erfolg der nationalkonservativen
Alternative für Deutschland ist davon auszugehen, dass die
Kontroverse in verschärfter Form wieder aufzuflammen droht. Von
daher ist es dringlicher denn je, dass das Thema
Geburtenentwicklung in Deutschland versachlicht wird, denn in
den Debatten wird gerne auf Zahlen zurückgegriffen, die dann als
alternativlos begriffen werden. Dieser Beitrag will dagegen
aufzeigen, dass die Entwicklungen der nächsten Jahre und
Jahrzehnte keineswegs
vorprogrammiert sind.
Vom sterilen Berlin zu den Prenzlauer
Berg-Müttern
Berlin galt
bereits zu Zeiten der Entdeckung des Geburtenrückgangs Anfang
des 20. Jahrhunderts als Hotspot der Unfruchtbarkeit. Der Ökonom Felix A. THEILHABER beschrieb in seinem 1913 erschienenen Buch Das
sterile Berlin den bürgerlichen Stadtteil Charlottenburg als
Zentrum der Unfruchtbarkeit. Anfang des Jahrtausends lag dieses
Zentrum im Prenzlauer Berg, das aufgrund der Gentrifizierung zum
neubürgerlichen Stadtteil aufgestiegen war. Damals entbrannte
ein Deutungskampf um die Frage, ob es dort einen Babyboom gibt
oder nicht. Je nach Verwendung des Indikators (Geburtenzahl,
zusammengesetzte oder altersspezifische Geburtenziffer) fiel
das Urteil anders aus.
Eine andere Frage drehte sich darum, ob
diese Prenzlauer Berg-Mütter als Vorbilder für die unfruchtbare
Republik taugen. Als nationalkonservatives Gegenmodell wurde der
kinderreiche Landkreis Cloppenburg präsentiert. Nachdem das
Elterngeld eingeführt war, erfand der Journalist Henning SUßEBACH den wenig schmeichelhaften Begriff "Bionade-Biedermeier"
für das Biotop der Prenzlauer Berg-Mütter. Andere sprachen von
"Latte macchiato-Müttern". Die Linksalternativen kritisierten,
dass diese Mütter nicht das Ideal der Doppelkarriere-Familie
verkörpern. Selbstmitleid im Szenecafé hieß ein
bösartiger Artikel. Nach der Scheidung droht der Abstieg und das
ist richtig so - war die Botschaft einer Reihe von Artikeln.
Ostmütter wie Anja MAIER blickten teils neidvoll, teils hämisch
auf dieses Milieu. Es waren die Jahre, in denen dem Elterngeld
die Wirksamkeit abgesprochen wurde. Auch in dieser Zeit erzeugte
der Sozialstaat Polarisierungen statt Versöhnungen. Statt um die
Anerkennung von Vielfalt, ging und geht es darum, das eigene
Lebensmodell zur Norm zur erklären.
Vor kurzem
ist das Arbeitspapier
Kleinräumliche Fertilitätsdifferenzierungen in Berlin und ihre
Ursachen von Jürgen DORBRITZ u.a. erschienen. Dort heißt
es zur Geburtenentwicklung:
Kleinräumliche Fertilitätsdifferenzierungen in Berlin und
ihre Ursachen
"Berlin ist
seit der Mitte der 1990er Jahre durch ein
steigendes Fertilitätsniveau gekennzeichnet. Die
zusammengefasste Geburtenziffer ist von Werten
zwischen 1,0 und 1,1 auf durchschnittlich 1,45
Kinder je Frau im Jahr 2015 angewachsen (Abb.
1). Die sehr niedrigen Werte in der ersten
Hälfte der 1990er Jahre erklären sich aus der
generell niedrigeren Fertilität in den
Stadtstaaten sowie dem Fertilitätseinbruch in
der ehemaligen DDR, von dem auch Ostberlin
betroffen war. Sowohl im Zuge des Wiederanstiegs
der Geburtenhäufigkeit in den neuen
Bundesländern als auch in Folge des positiven
Fertilitätstrends in Deutschland generell sind
die Geburtenziffern auch in Berlin auf das
heutige Niveau gestiegen. Im Vergleich mit den
anderen Bundesländern weist Berlin nach dem
Saarland und Bremen das drittniedrigste
Geburtenniveau auf. Allerdings sind die
Differenzen zwischen den Bundesländern
außerordentlich niedrig.
Als Universitätsstadt mit vielen studierenden
jungen Frauen ist die Berliner
Fertilitätssituation stark durch Kinderlosigkeit
geprägt. Ca. 30 % der Frauen des Jahrgangs 1967
haben (noch) keine Kinder bekommen.
Dementsprechend sind Frauen mit drei oder mehr
Kindern (ca. 9 %) eine Ausnahme. Mit 32 % ist
die Zwei-Kind-Familie die am häufigsten
vorkommende Lebensform. Sieht man sich nur die
deutsche Bevölkerung an, dann sind es sogar 34 %
aller Frauen dieses Geburtsjahrgangs, die keine
Kinder bekommen haben. Zum Vergleich: Der Anteil
Kinderloser bei Frauen mit Migrationshintergrund
beträgt nur etwa 17 %."
(2017,
S.14)
|
Prenzlauer
Berg wird in Nord und Süd untergliedert. Der nördliche Teil
weist eine TFR von 0,97-1,14 auf, während es im südlichen Teil
1,15 - 1,27 sind. Dabei handelt es sich um Durchschnittswerte
für die Jahre 2012 - 2014 (vgl. 2017, S.17). Beide Teile weisen
das höchste Gebäralter auf: 32-33 Jahre. Es werden 6
Fertilitätsmuster durch die Kombination von Geburtenniveau und
Gebäralter gebildet. Es gibt keinen Zusammenhang
dahingehend, dass ein hohes Gebäralter mit niedriger Fertilität
einhergehen muss. Wer spät ein erstes Kind zur Welt bringt, der
muss nicht kinderarm bleiben - eine gängige Argumentation, die
z.B. die skeptische Sicht von PÖTZSCH prägt. Die Autoren sehen
in den nachfolgenden Ergebnissen neue Erkenntnisse:
Kleinräumliche Fertilitätsdifferenzierungen in Berlin und
ihre Ursachen
"Einige der
ermittelten Ergebnisse gelten als überraschend. Dazu zählen:
1.
Die Existenz von Regionen mit hoher Teenagerfertilität bei
unverheirateten Deutschen. Ergebnis ist eine atypische
Verteilung der altersspezifischen Geburtenziffern.
2. Es
bestehen in Berlin Regionen, in denen die Fertilität der
Deutschen höher ist als die der Ausländer.
3. Es konnten
Regionen aufgefunden werden, in denen die nichteheliche
Fertilität der Ausländer ein höheres Niveau erreicht hat als die
eheliche Fertilität."
(2017, S.52)
|
Bei solchen
Untersuchungen stellt sich jedoch immer die Frage, inwiefern
diese relevant sind, denn aufgrund der Mobilität sind die
Erkenntnisgewinne eher mager. Während DORBRITZ u.a. die
zusammengefasste Geburtenziffer zur Grundlage machte, haben
BUJARD & SCHELLER in ihrem Beitrag
Einfluss regionaler Faktoren auf die Kohortenfertilität: Neue
Schätzwerte auf Kreisebene in Deutschland die
Verzerrungen einer solchen Herangehensweise zum Thema gemacht.
Für die Jahre 1999-2003 haben BUJARD & SCHELLER für Berlin eine
Differenz von 193 Kindern pro 1000 Frauen gefunden (TFR: 1,174;
CFR 1969-1972: 1,367) Aufgrund der Methodik handelt es sich
dabei nur um Schätzungen. Es können daraus jedoch Tendenzen zur
Überschätzung der Kinderlosigkeit bzw. der Unterschätzung der
späten Mütter in bestimmten Regionen gefolgert werden. BUJARD &
SCHELLER schreiben dazu:
Einfluss regionaler Faktoren auf die Kohortenfertilität:
Neue Schätzwerte auf Kreisebene in Deutschland
"Die
Unterschiede der geschätzten kreisspezifischen
CTFR für die Kohorten 1969- 72 sind enorm: Die
Spannbreite liegt zwischen 2,01 in Cloppenburg
und 1,05 in Passau. Die niedrigste
durchschnittliche Kinderzahl haben Frauen in
Großstädten. In 44 Kreisen liegt sie bei über
1,7, vor allem im Allgäu, in der Odenwaldregion,
in Südfranken und im westlichen Niedersachsen.
Die kreisspezifische Verteilung der CTFR
unterscheidet sich fundamental von der
Verteilung der TFR für vergleichbare Jahre (BBSR
2015); der Korrelationskoeffizient beträgt
lediglich 0,56. Der Vergleich beider Indikatoren
auf Kreisebene verdeutlicht, dass der der TFR
immanente Timing-Effekt insbesondere in
Ostdeutschland die Fertilität unterschätzt. Auch
die niedrige TFR in Studentenstädten ist ein
statistisches Artefakt, da Studenten temporär
den Nenner für bestimmte altersbedingt noch
kinderlose Gruppen erhöhen. Während bspw. die
Heidelberger TFR viele Jahre um die 1,0
oszillierte, liegt die CTFR bei 1,36."
(2017, S.124)
|
Es zeigt sich
somit, dass die zusammengesetzte Geburtenziffer (TFR), die
meistens als Indikator zur Geburtenentwicklung benutzt wird
(z.B. DORBRITZ) zu Fehlschlüssen führt.
Die Entwicklung der Geburten in Berlin
von 2009 - 2016 und die Auswirkungen auf den Schulbereich
Nachfolgend
soll gefragt werden, was es bedeutet, dass Deutschland den
Geburtenanstieg verschlafen hat. Aus der folgenden Tabelle ist
ersichtlich, dass die Geburtenentwicklung und die
prognostizierten Geburtenzahlen der Kultusministerkonferenz
immer weiter auseinanderklaffen.
Tabelle 13: Die
Entwicklung der Geburten in Berlin 2009 - 2015 im
Vergleich zur
aktuellen
Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK) |
Jahr |
2009 |
2010 |
2011 |
2012 |
2013 |
2014 |
2015 |
Gesamtzahl |
32.104 |
33.393 |
33.075 |
34.678 |
35.038 |
37.368 |
38.030 |
1. Kinder |
fehlt |
fehlt |
fehlt |
18.351
(52,9 %) |
18.408
(52,5 %) |
19.419
(52,0 %) |
19.664
(51,7 %) |
2. Kinder |
fehlt |
fehlt |
fehlt |
11.110
(32,0 %) |
11.292
(32,2 %) |
12.135
(32,5 %) |
12.253
(32,2 %) |
3. Kinder |
fehlt |
fehlt |
fehlt |
3.341
(9,6 %) |
3.550
(10,1 %) |
3.807
(10,2 %) |
4.015
(10,6 %) |
4. Kinder |
fehlt |
fehlt |
fehlt |
1.160
(3,3 %) |
1.078
(3,1 %) |
1.220
(3,3 %) |
1.292
(3,4 %) |
5. Kinder |
fehlt |
fehlt |
fehlt |
433
(1,3 %) |
408
(1,2 %) |
457
(1,2 %) |
464
(1,2 %) |
6. u. w. Kinder |
fehlt |
fehlt |
fehlt |
283
(0,8 %) |
302
(0,9 %) |
330
(0,9 %) |
342
(0,9 %) |
Geburtenrate
(TFR gemäß
STB 2009-15) |
1.302,3 |
1.346,7 |
1.313,7 |
1344,0 |
1.332,7 |
1.459,0* |
1.454,4* |
Geburtenrate
(TFR gemäß
Lange Reihe**) |
1.299,7 |
1343,9 |
1393,9* |
1.418,1* |
1399,2* |
1.455,9* |
1449,9* |
Geburtenrate
(TFR gemäß
STJ 2017) |
|
1.344 |
1.394* |
1.418* |
1.399* |
1.456* |
1.450* |
KMK-Prognose |
|
31.600 |
31.000 |
31.000 |
30.400 |
30.300 |
30.300 |
Differenz |
|
+ 1.793 |
+ 2.075 |
+ 3.678 |
+ 4.638 |
+ 7.068 |
+ 7.730 |
|
Quelle:
Amt für
Statistik Berlin-Brandenburg: Statistische Berichte
Eheschließungen, Geborene und
Gestorbene 2009 - 2015;
Vorausberechnung der Kultusministerkonferenz
Anmerkungen: * Zusammengefasste Geburtenziffer auf
Basis des Zensus 2011;
STJ 2017 = Statistisches Jahrbuch 2017; **
Website Amt für Statistik Berlin-Brandenburg: Home -
Statistiken - Bevölkerung - Natürliche
Bevölkerungsbewegung - Lange Reihen (Stand 2015; Abruf:
16.12.2017) |
Bis 2012
wurden in den Berliner Statistischen Berichten nur die
Geburtenfolge innerhalb einer Ehe veröffentlicht, obwohl sie
seit 2009 nach der biologischen Geburtenfolge vorliegt. Die
zensuskorrigierten Geburtenziffern wurden erst 2014 publiziert.
2011 lag die Differenz bei rund 80 Kindern pro 1000 Frauen. In
Deutschland wird die Geburtenentwicklung in der Statistik
stiefmütterlich behandelt. Während die Abtreibungsquoten
quartalsweise per Pressemitteilung veröffentlicht werden, ist das bei den
Geburtenzahlen nicht der Fall. Auch darin kommt zum Ausdruck,
dass Deutschland aufs Aussterben und Schrumpfen fixiert ist,
statt auf Wachstum.
Von Januar
bis November 2016 wurden in Berlin 37.372 Kinder geboren. Der
Dezember war in den vergangenen Jahren der geburtenstärkste
Monat, d.h. es wurden in Berlin 2016 über 40.000 Kinder geboren
(KMK-Prognose für 2016: 30.200). Sollte dieser Anstieg in den
nächsten Jahren anhalten, dann ist schon bald ein enormer
Lehrermangel im Primarschulbereich zu erwarten, denn wenn nicht
rechtzeitig in die Ausbildung von Lehrern investiert wird,
müssen Seiteneinsteiger rekrutiert werden und die Konkurrenz
zwischen den einzelnen Bundesländern führt zu hohen Kosten.
Aus der
folgenden Tabelle ist die Differenz zwischen der
prognostizierten und tatsächlichen Entwicklung der Schulanfänger
in Berlin sichtbar.
Tabelle 14: Die
Entwicklung der Schulanfänger in Berlin 2011 - 2016 im
Vergleich zur
aktuellen
Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK) |
Jahr |
2011 |
2012 |
2013 |
2014 |
2015 |
2016 |
KMK-Prognose |
27.402 |
28.170 |
29.370 |
29.990 |
29.890 |
30.410 |
tatsächliche Zahl der
Schulanfänger |
27.843 |
28.639 |
29.967 |
30.975 |
31.431 |
32.205 |
|
Quelle:
DESTATIS
Fachserie Bildung und Kultur - allgemeinbildende Schulen
Schuljahre
2010/11 - 2016/2017;
Vorausberechnung der Kultusministerkonferenz |
Aus der
Prognose der Kultusministerkonferenz wird der Lehrerbedarf
abgeleitet. Die Bertelsmann-Stiftung hat deshalb im Juli die Broschüre
Demographische Rendite ädé veröffentlicht. Klaus KLEMM &
Dirk ZORN kritisieren darin, dass der kommende Lehrerbedarf aufgrund der
Prognosen zur Geburtenentwicklung falsch eingeschätzt wird:
Demographische Rendite ädé
"Ziel dieser
Studie ist es, diese Entwicklung für den
Zeitraum von 2015 bis 2030 zu analysieren und in
ihren Konsequenzen für die allgemeinbildenden
Schulen zu untersuchen. Wie dringend
erforderlich das ist, zeigt ein vergleichender
Blick auf die letzte veröffentlichte
Schülerzahlenprognose der
Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 2013 (KMK
2013) und die Schätzdaten, die in den folgenden
Abschnitten der hier vorgelegten Studie
entwickelt werden: Für das Jahr 2025 liegt die
KMK mit ihrer Prognose in der Primarstufe um
575.000 und in der Sekundarstufe I um 450.000
unter den in diesem Gutachten erwarteten
Schülerzahlen."
(2017, S.10)
|
KLEMM & ZORN
beziehen sich auf die KMK-Prognose, deren Zahlen auch hier
verwendet werden. Ihre Annahmen zur Geburtenentwicklung könnten
die tatsächliche Entwicklung sogar noch unterschätzen. Die
Autoren haben die aktualisierte Variante 2A der 13.
koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung um jeweils 4,5 %
erhöht gegenüber den Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Für
2016 sind sie von 81.092 Geburten ausgegangen. Diese Schätzung
liegt also fast 11.000 Geburten niedriger als die Mitte November
gemeldeten vorläufigen Zahlen für 2016. Die von KLEMM & ZORN
ermittelte Zahl für das Jahr 2025 liegt in der Nähe des
Szenarios das
weiter unten für eine Kohortenfertilität von 1,6 ermittelt
wurde.
Neben den
Geburten erhöht auch die Zuwanderung die Schülerzahlen, sodass
sich gemäß der Bertelsmann-Stiftung für die Zahl der
unter-1-Jährigen im Jahr 2016 eine Jahrgangsstärke von ca.
788.000 Kindern ergibt. Auch diese zusammengefasste
Jahrgangsstärke bleibt unter der vorläufigen Geburtenzahl des
Jahres 2016. Dass bereits in den ersten Lebensjahren die
Zuwanderung den Geburtenanstieg verstärkt, ist aus der nächsten
Tabelle erkennbar. In der 'Tabelle werden auch die Unterschiede
der Prognosen von Statistischem Bundesamt und der
Bertelsmann-Stiftung deutlich:
Tabelle
15: Vergleich der Entwicklung der
Geburtenzahlen und der unter 1-Jährigen in Deutschland
gemäß BVB Variante 2 A und der Schätzung der
Bertelsmann-Stiftung |
Jahr |
Anzahl
der Geburten
(BVB
Variante 2A) |
Anzahl der unter
1-Jährigen
(BVB
Variante 2A) |
Geburten gemäß
Schätzung der
Bertelsmann-
Stiftung |
tatsächliche
Geburtenzahl |
Anzahl der unter
1-Jährigen gemäß
Schätzung der
Bertelsmann-
Stiftung |
2016 |
747.300 |
754.000 |
781.092 |
792.000 |
788.000 |
2017 |
754.800 |
759.000 |
|
|
793.000 |
2018 |
758.600 |
762.000 |
|
|
796.000 |
2019 |
759.800 |
762.000 |
|
|
796.000 |
2020 |
758.900 |
761.000 |
|
|
795.000 |
2021 |
756.000 |
757.000 |
|
|
791.000 |
2022 |
751.800 |
753.000 |
|
|
787.000 |
2023 |
746.500 |
748.000 |
|
|
782.000 |
2024 |
740.300 |
742.000 |
|
|
775.000 |
2025 |
733.300 |
735.000 |
|
|
768.000 |
2026 |
725.500 |
727.000 |
|
|
760.000 |
2027 |
717.300 |
719.000 |
|
|
751.000 |
2028 |
708.700 |
710.000 |
|
|
742.000 |
2029 |
698.800 |
701.000 |
|
|
732.000 |
2030 |
689.000 |
691.000 |
|
|
722.000 |
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KLEMM & ZORN
leiten aus diesen Entwicklungen einen zusätzlichen Bedarf an
Grundschulen und Lehrkräften ab, der sich aus ihrer Sicht
folgendermaßen darstellt:
Demographische Rendite ädé
"Ein
Blick in die Vergangenheit macht das Ausmaß
dieses zusätzlich entstehenden Bedarfs an
Grundschulen besonders deutlich: Von 2000 bis
2015 hat sich die Zahl der Grundschulen in
Deutschland um 1.792 verringert. Der in den
Jahren von 2015 bis 2025 entstehende
Zusatzbedarf von bis zu 2.360 Grundschulen liegt
damit oberhalb der Zahl der in den vergangenen
15 Jahren geschlossenen Grundschulen (...).
Der Bedarf an Stellen für Lehrkräfte steigt in
der Grundschule schon kurzfristig bis 2020 um
etwa 6.300 und bis 2025 um insgesamt etwa
24.100; danach sinkt er wieder auf »nur« noch
etwa 21.100 zusätzliche Stellen."
(2017, S.20f.)
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Noch vor den
Problemen im Primarschulbereich, entstehen Probleme im Bereich
der Kinderbetreuung. Deutschland hat durch seine Fixierung auf
den fernen Rückgang der Geburtenzahlen den Anstieg der Geburten
der letzten Jahre verschlafen und droht deshalb von einem
weiteren Anstieg überfordert zu werden. Durch das Mantra, dass
es keine Trendwende in Deutschland gibt, wurde der
Geburtenanstieg verniedlicht. Wenn Trendwenden im Bereich der
Geburtenentwicklung sicher erkannt werden können, dann ist es
für ein angemessenes, politisches Umsteuern bereits zu spät.
Weil nur die Alterung der Gesellschaft als Herausforderung
begriffen und bewusst gemacht wurde, droht Deutschland nun an
der Herausforderung der gestiegenen Geburtenzahlen zu scheitern.
Die Geburtenentwicklung könnte deshalb ausgebremst werden, weil
sich die Menschen im mittleren Lebensalter aufgrund der
fehlenden Infrastruktur wieder vermehrt gegen Kinder entscheiden
könnten.
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