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Vorbemerkung
Die mediale Berichterstattung zur
Geburtenentwicklung richtet sich nicht nach der Faktenlage,
sondern nach politischen Interessen. Um diese deutlich zu machen
werden in dieser Bibliografie ab heute (02.07.2012) nach und
nach ausgewählte Medienberichte und Literatur zum Thema
chronologisch dokumentiert. Die Kommentare entsprechen jeweils
dem Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, falls nichts
anderes vermerkt ist.
Kommentierte Bibliografie (Teil 14: 2017)
2017
MILUPA (2017):Aktuelle Milupa Geburtenliste zeigt:
Geburtenrate 2016 in Deutschland um rund 6 Prozent gestiegen,
in: Pressemitteilung der
Milupa Nutricia GmbH
v. 11.01.
"Die Ergebnisse zeigen,
dass es im vergangenen Jahr 760.652 Geburten in deutschen
Kliniken gab. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Geburtenrate in
Deutschland somit um 6,08 Prozent gestiegen", heißt es in der
Pressemitteilung.
KREYENFELD, Michaela & Dirk KONIETZKA (2017)(Hrsg.):
Childlessness in Europa. Contexts, Causes, and
Consequences, Springer Verlag
SOBOTKA, Tomáš (2017): Childlessness
in Europe: Reconstructing Long-Term Trends Among Women Born in
1900 -1972. In:
Michaela
Kreyenfeld & Dirk Konietzka (Hrsg.) Childlessness in Europa:
Contexts, Causes, and Consequences, Springer, S.17-53
Tomáš SOBOTKAs Beitrag befasst
sich mit den langfristigen Entwicklungen der Kinderlosigkeit
von Frauen der Jahrgänge 1900 - 1972 in 30 Ländern. Für die
Frauen des Jahrgangs 1968 kommt er auf folgende Anteile von
lebenslang Kinderlosen in den 5 Ländern mit den niedrigsten
bzw. höchsten Anteilen von Kinderlosen:
Übersicht:
Kinderlosenanteile des Frauenjahrgangs 1968 in den
europäischen Ländern mit den niedrigsten/höchsten
Anteilen |
Land |
Kinderlosenanteil im Frauenjahrgang 1968 |
Bulgarien |
7,8 % |
Tschechien |
7,8 % |
Russland |
7,9 % |
Litauen |
9,3 % |
Ungarn |
10,9 % |
Europäischer Durchschnitt |
14,5 % |
Irland |
19,0 % |
Finnland |
19,7 % |
Italien |
19,8 % |
Schweiz |
20,9 % |
Deutschland |
23,1 % |
|
Quelle:
SOBOTKA 2017, Schaubild 2.7, S.37 |
Die Zahlen für
Deutschland stammen aus den
Mikrozensen der Jahre 2008 und 2012. Die Frauen des
Jahrgangs 1968 waren bei diesen Erhebungen 40 bzw. 44 Jahre
alt waren.
Der Zusammenhang zwischen der
Kohortenfertilität (CFR) und der Höhe der Kinderlosigkeit ist
gemäß SOBOTKA von Land zu Land unterschiedlich:
"Previous research has
suggested that among women who were born in the early and
mid-1960s, there is a weak correlation between low fertility
rates and high levels of childlessness (Dorbritz
and Ruckdeschel 2007: Figure 9, Miettinen et al. 2015:
Figure 10c). In Fig. 2.8 we can see that among women who
were born in 1968, the strength of this correlation varies
by region: no correlation can be observed in the CEE
countries (or if there is a correlation, it runs in the
opposite direction), while in the rest of Europe the
expected correlation is found, but it is not very strong.
The main outlier is Ireland, which has both a high completed
fertility rate (2.17) and a relatively high childlessness
rate (19 %)." (2017, S.36)
Deutschland/Italien und
Irland stellen beim Frauenjahrgang 1968 die Pole dieses
Zusammenhangs dar. Inwiefern sich dieser Zusammenhang bei den
jüngeren Frauenjahrgängen ändert, das wäre eine empirisch zu
klärende Frage.
DESTATIS (2017): 2.268 Babys von Frauen ab 45 Jahre im Jahr
2015 geboren,
in:
Pressemitteilung des
Statistischen Bundesamts v. 24.01.
"Im Jahr 2015 wurden
2.268 Kinder von Frauen geboren, die 45 Jahre oder älter
waren. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter
mitteilt, waren das 0,3 % aller lebend geborenen Babys
dieses Jahres. Ähnlich viele Geburten hatten Mütter ab 45
Jahre bereits vor 50 Jahren gehabt. Im Jahr 1965 hatten sie
2.491 Babys zur Welt gebracht, was 0,2 % aller Geborenen
entsprochen hatte. Danach hat nicht nur die Zahl der
Geburten insgesamt, sondern auch die Zahl der Geburten von
älteren Müttern abgenommen. Im Jahr 2000 hatten 706
Neugeborene eine Mutter, die 45 Jahre oder älter war (0,1 %
aller Geburten). Seitdem stiegen die Geburten in dieser
Altersgruppe kontinuierlich und haben sich bis 2015 mehr als
verdreifacht",
heißt es zur Zahl der Woche
des Statistischen Bundesamtes. Nicht mitgeteilt wird uns
jedoch die Anzahl der Mütter, die 1965 Kinder geboren haben.
Diese ist um einiges größer als heutzutage gewesen, d.h.
heutzutage gibt es relativ mehr späte Mütter über 45 Jahre als
1965, auch wenn das Statistische Bundesamt eher das Gegenteil
suggeriert.
Zieht man die
altersspezifischen Geburtenziffern der Frauen von 45 und
mehr Jahren zur Rate, dann stieg die Geburtenziffer dieser
Frauen von 2,5 im Jahr 2011 auf 3,4 im Jahr 2015. Damit ist
die Geburtenzahl dieser Frauen inzwischen genauso hoch wie
jene der 15 und 16-jährigen Frauen
Viel interessanter ist
dagegen der Anstieg der Geburtenzahlen bei den über
40-jährigen Frauen.
Diese Frauen wurden noch Mitte der Nuller Jahre zu den
lebenslang Kinderlosen gezählt. Diese Geburtenziffer lag
im Jahr 2011 bei 59,3 und ist seitdem auf 75,7 gestiegen.
Würden die über 40-jährigen Frauen heutzutage bei der
Geburtenrate nicht mitberücksichtigt, dann würde sie für das
Jahr 2015 nicht bei 1,50 Geburten pro Frau liegen, sondern nur
bei 1,42.
DESTATIS (2017): Bevölkerung in Deutschland voraussichtlich
auf 82,8 Millionen gestiegen,
in:
Pressemitteilung des
Statistischen Bundesamts v. 27.01.
"Die Einwohnerzahl
Deutschlands steigt aufgrund der überdurchschnittlich hohen
Wanderungsgewinne seit 2012 wieder an. Das Statistische
Bundesamt (Destatis) geht nach einer Schätzung derzeit davon
aus, dass Ende 2016 etwa 82,8 Millionen Menschen hier gelebt
haben. Am Jahresende 2015 waren es 82,2 Millionen Menschen
gewesen. Damit würde Ende 2016 der bisherige Höchststand vom
Jahresende 2002 von gut 82,5 Millionen Personen übertroffen
werden",
erklärt uns das
Statistische Bundesamt. In Wirklichkeit sind die Zahlen von
2002 und 2016 nicht vergleichbar, weil dazwischen der Zensus
2011 lag, der zur
Korrektur der Bevölkerungszahlen um ca. 1,5 Millionen nach
unten führte, d.h. die heutige Bevölkerungszahl läge
bereits seit längerem über jener des Jahres 2002.
"Für 2016 wird der
Schätzung nach mit 730.000 bis 770.000 Geburten"
gerechnet.
Letztes Jahr prognostizierte das Statistische Bundesamt
705.000 bis 730.000 Geburten. Tatsächlich waren es dann
737.575 Geburten.
ASTHEIMER,
Sven (2017): In Deutschland leben so viele Menschen wie noch
nie.
Durch Zuwanderung steigt
die Zahl auf fast 83 Millionen - für den demographischen
Wandel hat das Folgen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
v. 28.01.
Sven
ASTHEIMER nutzt die gestrige Veröffentlichung des
Statistischen Bundesamtes zur Bevölkerungsentwicklung zur
Demografisierung gesellschaftlicher Probleme.
"Gerechnet wird mit einem
leichten Anstieg der neugeborenen Kinder auf bis zu 770.000
und einer annähernd gleichbleibenden Zahl an Todesfällen mit
bis zu 940.000. Daraus ergibt sich ein anhaltend negatives
Geburtendefizit von mindestens 150.000",
erzählt uns ASTHEIMER. Was
wäre dann eigentlich ein positives Geburtendefizit? Da käme
ASTHEIMER wohl in Erklärungsnot. Diese Sicht ist zudem
normativ, weil dabei die "natürliche" der "unnatürlichen"
Bevölkerungsbewegung (Wanderungen) gegenübergestellt wird. Der
Betrachtung liegt ein statisches Bevölkerungsideal zugrunde,
das wohl eher einer geschlossenen als einer offenen
Gesellschaft angemessen ist.
Zuletzt kommt die 13.
koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung ins Visier, der erst
im Jahr 2018 eine neue Bevölkerungsvorausberechnung folgen
soll, obwohl deren Annahmen sowohl zu Geburten als auch zu den
Wanderungen
bereits bei ihrer Veröffentlichung überholt waren und nun
Jahr für Jahr immer krasser von der Realität abweichen.
So liegt der
Wanderungsüberschuss für 2016 selbst in der hohen Variante
2 um 350.000 Personen zu niedrig, was fast 90 Prozent daneben
ist. Auch im letzten Jahr sah es nicht besser aus. Die Zahl
der Geburten wird für 2016 mit 697.000 angegeben und liegt
damit gemäß der jetzt veröffentlichten Schätzung um mindestens
33.000 (bei 770.000 sogar um 73.000) zu niedrig.
BUNDESMINISTERIUM DES INNERN (2017): Jedes Alter zählt.
"Für mehr Wohlstand und
Lebensqualität aller Generationen". Eine demografiepolitische
Bilanz der Bundesregierung zum Ende der 18. Legislaturperiode,
in:
bmi.bund.de
v. 01.02.
Auf
dieser Website wird schon seit Jahren kritisiert, dass in den
Bevölkerungsvorausberechnungen die Geburtenentwicklung in
Deutschland und die Zuwanderung nicht angemessen
berücksichtigt wird.
Noch im August letzten Jahres hat Olga PÖTZSCH die
Bevölkerungsvorausberechnung vehement gegen jegliche Kritik
verteidigt. Vorausberechnungen sollen keine Wirklichkeit
abbilden, sondern dabei helfen die notwendige Politik
durchzusetzen, so ihre Verteidigungslinie.
Nun also hat die Politik
eine Kehrtwende vollzogen, die längst überfällig war, denn die
13. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des
Statistischen Bundesamtes war schon bei ihrer Veröffentlichung
überholt, wie
auf dieser Website kritisiert wurde.
"Bei der Entwicklung der
Geburtenrate deutet sich eine Veränderung an. Dafür spricht
der Anstieg bei der sogenannten endgültigen Kinderzahl von
Frauenjahrgängen. Bis zum Geburtsjahrgang 1968 ist der Wert
jahrzehntelang kontinuierlich zurückgegangen. Der
Geburtsjahrgang 1968 hat mit 1,49 Kindern je Frau die
niedrigste Kinderzahl. Dieser Rückgang scheint nun gestoppt.
Vorausberechnungen zeigen, dass Frauen, die in den 1970er
Jahren geboren sind, wieder etwas mehr Kinder zur Welt
bringen, 1973 Geborene etwa 1,56. Für die nachfolgenden
Jahrgänge bis 1980 zeichnet sich ein weiterer Anstieg auf
knapp 1,6 Kinder ab",
verkündet nun der
Demographiebericht.
Dabei wird auf den Aufsatz
Mehr Kinderlose oder weniger Kinderreiche? von BUJARD
& SULAK im Septemberheft der Kölner Zeitschrift für
Soziologie und Sozialpsychologie verwiesen. Tatsächlich
ist jedoch schon viel länger bekannt, dass die endgültige
Kinderzahl (CFR) höher liegt als diejenige der Geburtenrate (TFR).
Bislang wurde jedoch von Olga PÖTZSCH immer bestritten, dass
die Frauenjahrgänge in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre
eine höhere Geburtenrate aufweisen als diejenigen
Frauenjahrgänge, die Anfang der 1970er Jahre geboren wurden.
Warum
jetzt also dieser Sinneswandel, obwohl doch keinerlei neue
Fakten zur Geburtensituation auf den Tisch gelegt wurden?
Nachdem nun alle sozialpolitischen Forderungen erfolgreich mit
Hinweis auf die schlimme demografische Lage abgeschmettert
wurden, kann man sich nun in tollen Prognosen sonnen, ohne
dass noch mit angemessenen Gesetzen reagiert werden müsste!
ASTHEIMER, Sven (2017): Deutschland schrumpft nicht mehr.
Die Regierung geht davon
aus, dass mehr Einwanderer und Kinder die Bevölkerungszahl
stabilisieren. Ein großes Risiko bleibt aber bestehen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
v. 02.02.
Ausgerechnet das IW Köln,
das Bevölkerungsvorausberechnungen nach Gutsherrenart betreibt
und je nach Zielsetzung zu völlig konträren Einschätzungen der
demografischen Lage kommt, nennt Sven
ASTHEIMER als Kritiker der amtlichen
Bevölkerungsvorausberechnung.
Dabei hatte das
IW Köln fast gleichzeitig mit dem Statistischen Bundesamt eine
Prognose veröffentlicht, um die überhöhten Zuwanderungszahlen
der amtlichen Statistiker zu kritisieren.
ASTHEIMER, Sven (2017): Von wegen schrumpfen.
Kommentar,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
v. 02.02.
"Endlich
hat auch die amtliche Statistik zur Kenntnis genommen, dass
mehr Geburten und der Zustrom von Migranten keine
Kurzzeitphänomene sind",
meint Sven
ASTHEIMER.
SPECHT,
Frank (2017): Die Arbeitskräfte verschwinden.
Demografie: Nur mit 400.000
Zuwanderern pro Jahr könnte Deutschland die Zahl der
Erwerbspersonen bis 2060 stabil halten - doch das erscheint
unrealistisch,
in:
Handelsblatt v.
17.02.
Frank
SPECHT gibt den IAB-Kurzbericht von Johann FUCHS, Doris
SÖHNLEIN und Brigitte WEBER wieder, ohne dessen überholten
Grundannahmen zu kritisieren. So wird in der Projektion eine
konstante Geburtenrate von 1,427 angenommen, obwohl diese
inzwischen schon bei 1,5 liegt. Der aktuelle Demografiebericht
geht von einem Geburtenanstieg auf 1,6 aus. Allein ein solcher
Anstieg würde zu rund 1 Million Erwerbspersonen mehr führen.
Bereits bei einem Wanderungssaldo von 300.000 wäre die Anzahl
der Erwerbspersonen nahezu konstant.
Fazit: Von einem
demografiebedingten Arbeitskräftemangel kann keine Rede sein.
DOWIDEIT, Anette (2017): 3 sind die
neuen 2.
Essay: Besonders in der
Mittelschicht scheint das Dogma der Zweikindfamilie ins Wanken
zu geraten. Das dritte Kind ist eine Adelung der eigenen
Leistungsfähigkeit. Aber es steckt noch weit mehr dahinter,
in:
Welt v. 18.02.
Erst
letztes Jahr entdeckte die Bevölkerungsforschung, dass es zu
wenige Drei-Kind-Familien gibt. Und welch ein Wunder entdeckt
die Welt nun, dass die Drei-Kind-Familie die neue Norm
in der Welt der Akademiker sei. Weil jedoch die gefühlte
Geburtenrate nichts zählt, werden uns gleich noch Zahlen des
Statistischen Bundesamtes präsentiert, die die gefühlte
Geburtenrate von Anette DOWIDEIT bestätigen sollen:
"Laut Statistischem
Bundesamt wurden 2015 genau 84.036 Babys geboren, die für
die Mutter das dritte Kind waren - zwölf Prozent mehr als im
Jahr 2009. Die Zahl der Drittgeborenen legte damit deutlich
stärker zu als die der Kinder insgesamt."
Wenn die Zahl der
gebärfähigen Frauen steigt, dann steigt auch die Zahl der
Drei-Kind-Familien ohne dass sich der Anteil der Frauen mit 3
Kindern erhöhen muss. Die Zahlen, die uns DOWIDEIT liefert,
belegen nicht das, was sie behauptet.
Der Trugschluss wird klar,
wenn man auf der Seite des Statistischen Bundesamtes
nachschaut: 2015 brachten lediglich 11,5 Prozent der Frauen in
Deutschland ein drittes Kind zur Welt (2010 lag der Anteil bei
11,4 Prozent; vgl. Fachserie 1, Reihe 1.1, 2010, S.90). Und
wie hoch der Anteil von Akademikerinnen war, bleibt zudem noch
dahingestellt.
DESTATIS (2017): 43 Millionen Privathaushalte im Jahr 2035,
in:
Pressemitteilung des
Statistischen Bundesamts v. 28.02.
GERSEMANN, Olaf (2017): Sieben
Millionen Zuwanderer bis 2040?
Europäische Statistiker
haben neue Bevölkerungsprognosen vorgelegt. Demnach kommen
deutlich mehr Einwanderer nach Deutschland als erwartet,
in:
Welt v. 01.03.
Olaf
GERSEMANN ist entsetzt über die neuen
Bevölkerungsvorausberechnungen, weil den Neoliberalen
plötzlich die Argumente wegbrechen. Seit Jahrzehnten wird das
neoliberale Mantra heruntergebetet, dass der Sozialstaat wegen
dem demografischen Wandel nicht tragbar sei. Nun klagt
GERSEMANN:
"Wenn sich in Deutschland
und anderen EU-Ländern die demografischen Herausforderungen
relativeren, dann verlieren jene ein wichtiges Argument, die
für eine Sanierung der Staatsfinanzen werben."
Bereits der
Anfang Februar
veröffentlichte Demografiebericht der Bundesregierung wies
die neue Richtung, was die Springer-Presse einfach totschwieg.
Nun geht das nicht mehr:
"Das Statistische
Bundesamt und auch die europäische Statistikbehörde
operieren seit dieser Woche mit Daten, denen zufolge die
schleichende Verzwergung ausbleibt. In Deutschland würden
demnach noch über Jahrzehnte hinweg annähernd 80 Millionen
Menschen leben.
Besonders kühn ist die Eurostat-Prognose, die das Amt am
Montagnachmittag in seine frei zugängliche Online-Dabenbak
eingestellt hat. Ihr zufolge werden sogar mehr als 84
Millionen Menschen in der Bundesrepublik leben - und das
über einen langen Zeitraum hinweg, nämlich von 2022 bis
2041."
Dabei ist das was uns
GERSEMANN eröffnet, kalter Kaffee, denn das Statistische
Bundesamt hat zwar
eine Variante seiner Bevölkerungsvorausberechnung aktualisiert,
die jedoch weiterhin hinter den Annahmen des
Demografieberichts zurückbleibt. Dass sich die Behörde nun
überhaupt zu einer Veröffentlichung entschlossen hat, weist
darauf hin, dass die Kritik an der
Bevölkerungsvorausberechnung nicht mehr weiter ignoriert
werden konnte.
Fazit: GERSEMANNs Bericht
bleibt weit hinter den
Annahmen des Demografieberichts der Bundesregierung zur
Bevölkerungsentwicklung zurück. Das ganze Ausmaß der
Fehleinschätzung wird weiterhin geleugnet, weil dies den
neoliberalen Interessen entgegenlaufen würde. Man darf also
gespannt sein wie lange diese Leugnung noch durchzuhalten sein
wird, denn die EUROSTAT-Zahlen, die vehement angegriffen
werden, stimmen eher mit den Annahmen des Demografieberichts
überein als mit den Zahlen des Statistischen Bundesamtes, das
immer noch defensiv agiert.
Eine Online-Version des
Artikels findet sich
hier.
EUROSTAT (2017): Über 5 Millionen Neugeborene im Jahr 2015 in
der EU.
Frauen bei Geburt ihres
ersten Kindes im Schnitt knapp 29 Jahre alt,
in:
Pressemitteilung des
statistischen Amt der Europäischen Union v. 08.03.
Aus der Pressemitteilung
ergeben sich folgende Geburtenzahlen und zusammengefasste
Geburtenziffern für die 28 EU-Länder im Jahr 2015:
Land |
Geburtenzahl |
Geburtenrate (TFR) |
Belgien |
122.274 |
1,70 |
Bulgarien |
65.950 |
1,53 |
Tschechien |
110.764 |
1,57 |
Dänemark |
58.205 |
1,71 |
Deutschland |
737.575 |
1,50 |
Estland |
13.907 |
1,58 |
Irland |
65.537 |
1,92 |
Griechenland |
91.847 |
1,33 |
Spanien |
418.432 |
1,33 |
Frankreich |
799.671 |
1,96 |
Kroatien |
37.503 |
1,40 |
Italien |
485.780 |
1,35 |
Zypern |
9.170 |
1,32 |
Lettland |
21.979 |
1,70 |
Litauen |
31.475 |
1,70 |
Luxemburg |
6.115 |
1,47 |
Ungarn |
92.135 |
1,45 |
Malta |
4.325 |
1,45 |
Niederlande |
170.510 |
1,66 |
Österreich |
84.381 |
1,49 |
Polen |
369.308 |
1,32 |
Portugal |
85.500 |
1,31 |
Rumänien |
197.491 |
1,58 |
Slowenien |
20.641 |
1,57 |
Slowakei |
55.602 |
1,40 |
Finnland |
55.472 |
1,65 |
Schweden |
114.870 |
1,85 |
Großbritannien |
776.746 |
1,80 |
DOERFLER, Kordula (2017): Zuzug hält
Deutschland jung.
Der Demografiegipfel
befasst sich kaum mit den Chancen der Zuwanderung,
in:
Frankfurter Rundschau
v. 17.03.
Kordula
DOERFLER ist offenbar hinsichtlich der
Bevölkerungsvorausberechnung nicht auf dem Laufenden, denn sie
zitiert noch aus der Variante 2 der 13. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung vom April 2015, obwohl
das Statistische Bundesamt seine
Vorausberechnung kürzlich aktualisiert hat. Die Zahlen für
die erwerbsfähige Bevölkerung für das Jahr 2060 wurden um
ca.1,7 Millionen erhöht. Bei dieser Berechnung ist jedoch die
steigende Geburtenrate immer noch nicht angemessen
berücksichtigt. Sollte diese weiter steigen, ist auch die
jetzige Aktualisierung hinfällig.
HEIDENREICH, Ulrike (2017): Oma
schafft das.
Eine Studie weiß: Gebildete
Großmütter bekommen mehr Enkel,
in:
Süddeutsche Zeitung
v. 10.04.
Die
Demografin Maria Rita TESTA ist bekannt dafür dem Zeitgeist
hinterher zu hecheln. Rief sie noch Mitte der Nuller Jahre mit
ihren Zunftkollegen die
Niedrigfertilitäts-Falle aus (die von Frank "Panik"
SCHIRRMACHER im Buch "Minimun" popularisiert wurde), wonach
die Geburtenrate zwangsläufig immer stärker sinken müsse, weil
sich eine Kultur der Kinderlosigkeit unter den Hochgebildeten
gebildet habe, so erklärt sie uns nun - welch ein Wunder - das
genaue Gegenteil: Hochgebildete sollen nun mehr Kinder als die
Ungebildeten bekommen.
Genauso wie die
Niedrigfertilitäts-Falle ist das nur zeitgeistiger Unsinn,
denn TESTA hat lediglich KinderWÜNSCHE untersucht, die
bekanntlich wenig über die tatsächliche Kinderzahl aussagen -
und Ursachenerklärungen lassen sich mit Querschnittsdaten
sowieso nicht belegen!
NEIßE, Wilfried
(2017): Bevölkerungsprognose schwierig.
Enquetekommission informiert sich über die Geheimnisse der
Einwohnerentwicklung,
in:
Neues Deutschland v.
13.05.
Wilfried NEIßE berichtet
über eine Sitzung der Enquetekommission
Zukunft der ländlichen Regionen vor dem Hintergrund des
demografischen Wandels in Brandenburg, in der es um
die Bevölkerungsprognose ging und der Abteilungsleiter Rudolf
FROESE vom Statistikamt Berlin-Brandenburg Rede und Antwort
stand.
"Deutliche Abweichungen
gab es bei den Geburten: im Jahr 2014 wurden in Brandenburg
etwa 1.000 Kinder mehr geboren als erwartet.",
berichtet NEIßE, der
ansonsten die Fehleinschätzungen hinsichtlich der
Bevölkerungsentwicklung in Brandenburg herunterspielte, indem
er darauf verweist, dass die falsch eingeschätzten Entwicklung
auch der Zuwanderung an der Grundtendenz wenig ändere:
"Insgesamt gehen die
Einwohnerzahlen in Brandenburg zurück. 1990 gab es mehr als
2,6 Millionen Einwohner, jetzt sind es noch 2,4 Millionen."
Bevölkerungsvorausschätzungen spielen jedoch z.B. in der
Debatte um die geplante Gebietsreform in Brandenburg eine
große Rolle.
"Die Opposition verweist
auf aktuelle ermittelte höhere Geburtenraten und schließt
daraus, dass die Grundlagen für die Reform erschüttert
seien. SPD und LINKE dagegen beharren, dass die
Gesamtannahme nicht verändert werde, wenn in den Landkreisen
jetzt einige Dutzend Kinder mehr geboren werden als
ursprünglich angenommen."
Das Chaos bei den
Statistikämtern kommt den Verteidigern mit ihren
Niedergangsszenarien gerade recht. Denn neue Zahlen zur
Bevölkerungssituation 2016 verzögern sich bis nach der
Bundestagswahl im Jahr 2018. Es kann davon ausgegangen werden,
dass sie - nicht nur in Brandenburg - ungünstig für jene
ausfallen, die mit demografischen Argumenten die letzten
Jahrzehnten neoliberale Politik als alternativlos darstellen
konnten.
DESTATIS (2017): Geburtenziffer in Deutschland weiterhin unter
EU-Durchschnitt,
in:
Pressemitteilung des
Statistischen Bundesamts v. 15.05.
Einem Schaubild der
Pressemitteilung lässt sich folgende Rangfolge der EU-Länder
entnehmen:
Tabelle:
Die zusammengefassten Geburten-
ziffern der 28 EU-Länder im Jahr 2015 |
Rang |
Land |
Geburtenrate (TFR) |
1 |
Frankreich |
1,96 |
2 |
Irland |
1,92 |
3 |
Schweden |
1,85 |
4 |
Großbritannien |
1,80 |
5 |
Dänemark |
1,71 |
6 |
Belgien |
1,70 |
|
Lettland |
1,70 |
|
Litauen |
1,70 |
9 |
Niederlande |
1,66 |
10 |
Finnland |
1,65 |
11 |
Estland |
1,58
(EU-Durchschnitt) |
|
Rumänien |
1,58 |
13 |
Tschechien |
1,57 |
|
Slowenien |
1,57 |
15 |
Bulgarien |
1,53 |
16 |
Deutschland |
1,50 |
17 |
Österreich |
1,49 |
18 |
Luxemburg |
1,47 |
19 |
Ungarn |
1,45 |
|
Malta |
1,45 |
21 |
Kroatien |
1,40 |
|
Slowakei |
1,40 |
23 |
Italien |
1,35 |
24 |
Griechenland |
1,33 |
|
Spanien |
1,33 |
26 |
Zypern |
1,32 |
|
Polen |
1,32 |
28 |
Portugal |
1,31 |
|
Quelle:
Statistisches Bundesamt 2017 |
SCHÄFER, Christoph (2017): Putzleute haben viele Kinder,
Bäcker wenige.
Für die Kinderzahl spielen
Bildung, Migrationshintergrund, Geld und Zeit eine Rolle,
in:
Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 16.05.
Christoph SCHÄFER stellt
eine berufsgruppenspezifische Analyse der Geburtenrate von
Christian SCHMITT (DIW) auf Basis des SOEP vor. Das Klischee
Je höher der Bildungsgrad, desto niedriger die
durchschnittliche Kinderzahl stimmt nicht einmal für die
Akademikerinnen. Für die Männer ist es sogar vollkommen
wirklichkeitsfremd.
Aber auch die
berufsgruppenspezifische Analyse ist aufgrund ihrer zu kleinen
Stichprobe (lediglich 20.000 Befragte im Gegensatz zu ca.
830.000 Befragten der amtlichen Statistik, die 1 % der
Bevölkerung repräsentieren) nicht in der Lage die ganze
Spannbreite der Faktoren zu bestimmen, da sich in
Berufsgruppen immer auch die unterschiedlichen
sozioökonomischen Dimensionen widerspiegeln, sodass gerade
heterogen zusammengesetzte Berufsgruppen dazu führen, dass die
Vielfalt der Faktoren durch das Forschungsdesign nivelliert
und dadurch ausgeblendet werden. Eine Berufsgruppe, die 50
Prozent Frauen und Männer aufweisen würde, könnte z.B. darüber
hinwegtäuschen, dass Frauen viel mehr Kinder bekommen als die
Männer oder umgekehrt.
Der Einfluss des
unterschiedlichen Durchschnittsalters von Berufsgruppen findet
z.B. keinen Eingang in die Analyse obwohl junge Beschäftigte
zwangsläufig weniger Kinder als ältere Beschäftigte haben. Und
wenn, dann bleibt dieser Aspekt zumindest unerwähnt, obgleich
er doch erwähnenswert wäre.
ASTHEIMER, Sven (2017): Deutsche
bekommen wieder mehr Kinder,
in:
Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 16.05.
Sven
ASTHEIMER kommentiert das Schaubild der
gestrigen Pressemitteilung des
Statistischen Bundesamtes.
KAUFMANN,
Stephan (2017): Verdreht, geschönt, bearbeitet.
Arbeitslose, Flüchtlinge,
Reiche: Mit Zahlentricksereien wird Politik gemacht, wie
Statistik-Professor Bosbach zeigt,
in:
Frankfurter Rundschau
v. 08.07.
Stephan
KAUFMANN zeigt, wie mittels Statistik die Vergleichbarkeit von
Fakten verhindert werden kann. So werden Arbeitslose in
Deutschland seit Jahren wegdefiniert, indem einfach die
Definition von Arbeitslosigkeit geändert wurde. Auch beim
Vergleich der Erwerbstätigen wird gerne geschummelt, z.B. im
derzeit beliebten Vergleich mit Frankreich. Misst man jedoch
nicht die Köpfe, sondern die gearbeitete Arbeitszeit, dann
steht Frankreich besser da als Deutschland.
Ein
beliebter Trick, das gewünschte Ergebnis zu erzielen, ist die
Wahl des Vergleichsjahres. So wird gerne publiziert, dass sich
die Geburtenzahlen im Vergleich mit 1964 halbiert hätten.
Dagegen werden seit 41 Jahren durchschnittlich 774.627 Kinder
in Deutschland geboren. Die Geburtenzahl des Jahres 2015 liegt
lediglich 37.052 Kinder niedriger als dieser langjährige
Durchschnitt. Es kann also gar keine Rede sein, dass die
Alterslast des Minibabybooms in Deutschland nicht zu tragen
ist. Länder wie die USA oder Japan haben einen wesentlich
größeren Babyboom zu bewältigen. Neoliberale picken sich also
jene Zahlen heraus, die besonders gut zu ihrer politischen
Ideologie passen.
EUROSTAT (2017): EU-Bevölkerung zum 1. Januar 2017 auf knapp
512 Millionen gestiegen,
in:
Pressemitteilung des
statistischen Amt der Europäischen Union v. 10.07.
Eurostat veröffentlicht heute
Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung Ende 2016, wobei es für
Deutschland nur Schätzungen gibt. So wird die Anzahl der
Geburten in Deutschland für das Jahr 2016 mit 770.000
angegeben. Dies entspricht der
Obergrenze der Schätzung des Statistischen Bundesamtes vom
Januar.
BERTELSMANNSTIFTUNG (2017): Schüler-Boom: Zehntausende
zusätzliche Lehrer und Klassenräume notwendig,
in:
Pressemitteilung der
Bertelsmannstiftung v. 12.07.
Am 26. Juli wird das
Statistische Bundesamt eine
Pressekonferenz zu Kinderlosigkeit, Geburten und Familien
veranstalten, denn nur alle 4 Jahren werden mit dem
Mikrozensus brauchbare Daten über die Entwicklung der Geburten in Deutschland veröffentlicht -
ganz sicher nicht zufällig vor den Bundestagswahlen. Und ist
es ein Zufall, dass die Ankündigung just dann kommt, als die
Bertelsmannstiftung die Broschüre
Demographische Rendite adé präsentiert. Geplant war
bislang, dass Zahlen zur Geburtenentwicklung 2016 erst im
Herbst veröffentlicht werden. Hat also das Statistische
Bundesamt die Veröffentlichung vorgezogen, weil die
Bertelsmannstiftung mit ihrer Broschüre Druck ausübt?
Auf dieser Website wird
schon seit Jahren darauf hingewiesen, dass die
Geburtenentwicklung in Deutschland in den
Bevölkerungsvorausberechnungen nicht angemessen berücksichtigt
wird. Wenn jetzt die Bertelsmannstiftung plötzlich behauptet
nun gäbe es dringenden Handlungsbedarf wegen steigender
Schülerzahlen, dann ist das nichts als neoliberale
Verlogenheit. Das Problem war schon seit Jahren erkennbar und
nicht erst jetzt. In der Studie der neoliberalen
Bertelsmannstiftung heißt es:
"Im
Jahr 2015 legte das Statistische Bundesamt die 13.
koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung »Bevölkerung
Deutschlands bis 2060« (Statistisches Bundesamt 2015) vor.
Diese Vorausberechnung, die sich auf die Basisdaten zum 31.
Dezember 2013 stützt, enthält insgesamt acht
unterschiedliche Varianten, zwei davon stellten die Autoren
in den Mittelpunkt der Präsentation. Beide Varianten nahmen
für den gesamten Prognosezeitraum konstant bleibende
zusammengefasste Geburtenziffern an. (...).
Ein Vergleich mit den Prognosewerten der 13. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung zeigt, dass die
Vorausberechnung den Wanderungssaldo für 2014 um etwa 50.000
und den für 2015 um mehr als 600.000 unterschätzt.
Gleichfalls unterschätzte diese Vorausberechnung die
Geburtenzahlen: Für 2014 und 2015 wurden 685.000 bzw.
691.000 Geburten erwartet. Tatsächlich wurden für diese
Jahre 715.000 bzw. 738.000 gezählt (vgl. Tabelle A3).
Angesichts dieser Abweichungen der tatsächlichen Entwicklung
von den Prognosewerten hat das Statistische Bundesamt im
Frühjahr 2017 im Rahmen der Vorbereitung seiner
Studie zur
Entwicklung der Privathaushalte bis 2035 eine
Aktualisierung der 13. koordinierten
Bevölkerungsvorausschätzung erarbeitet und vorgelegt
(Statistisches Bundesamt 2017c). Diese Aktualisierung
(Variante 2-A der 13. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung) stützt sich auf die Basisdaten
zum 31. Dezember 2015 und arbeitet mit Wanderungssalden, die
von 750.000 im Jahr 2016 auf 250.000 im Jahr 2020 und auf
200.000 für die Jahre ab 2021 zurückgehen (...).
Des Weiteren arbeitet die aktualisierte Prognose des
Statistischen Bundesamtes mit den für 2015 ermittelten
altersspezifischen Geburtenziffern, die angeben, wie viele
lebendgeborene Kinder jeweils 1.000 Frauen der einzelnen
Altersjahrgänge im Jahr 2015 bekommen haben. Die daraus
abgeleiteten zusammengefassten Geburtenziffern werden in der
Vorausschätzung des Statistischen Bundesamtes über den
gesamten Prognosezeitraum konstant gehalten.
Aber auch die so aktualisierte Bevölkerungsvorausberechnung
unterschätzt unserer Auffassung nach hinsichtlich der
angenommenen Geburtenzahlen die tatsächliche Entwicklung des
Jahres 2016. Für dieses erste Prognosejahr erwartet diese
Vorausberechnung 747.000 Geburten und – in Folge der
Zuwanderung auch in diesem Altersjahrgang – insgesamt
754.000 unter Einjährige. Amtliche Daten zur Geburtenzahl
des Jahres 2016 liegen noch nicht vor und werden wohl
frühestens zum Ende des Jahres 2017 mitgeteilt werden. Das
Statistische Bundesamt (2017b) gibt daher nur eine erwartete
Bandbreite an: Es schätzt, dass die Geburtenzahl 2016
zwischen 730.000 und 770.000 liegen wird. Wir gehen – wie
der folgende Abschnitt zeigt – davon aus, dass es 2016 in
etwa 781.000 Geburten gab und dass die Altersgruppe der
unter Einjährigen noch durch etwa 7.000 zugewanderte Kinder
dieser Altersgruppe verstärkt wurde." (2017, S.12f.)
Bereits Anfang Februar
erschien der
Demografiebericht der Bundesregierung, der von den
Mainstreammedien - bis auf die FAZ - völlig ignoriert wurde und der
von einem Anstieg der Geburtenrate auf 1,6 Kinder pro Frau
ausging. Auch das war damals schon längst bekannt, aber in den
Mainstreammedien für die gute Nachrichten schlechte
Nachrichten sind, wurde das nur selten erwähnt.
Dass Neoliberale bislang
keinerlei Interesse an der Publizierung des veränderten
Geburtenverhaltens hatten, zeigt insbesondere der Artikel von
Olaf GERSEMANN in der Welt von
Anfang März.
Doch der demografische
Wandel hat ganz andere Auswirkungen, die einer
Demoagogisierung mittels Horrorszenarien zuwiderlaufen wie sie
Neoliberale betreiben. Es hat deshalb so lange gedauert bis
dieser Widerspruch nun auch das neoliberale Lager mit der
Bertelsmannstiftung erreicht hat, weil es bislang bequem war
zu leugnen, dass die Geburtenentwicklung positiver verläuft
als behauptet. Die Kollateralschäden dieser
Vogel-Strauß-Politik werden nun sichtbar und es dürfte nicht
lange dauern bis gefragt werden wird, warum man dies nicht
früher erkannt hatte.
HEUZEROTH, Thomas
(2017): Schüler, Schüler, Schüler.
Bildungsexperten haben sich
verschätzt. In wenigen Jahren drängen eine Million mehr Kinder in die
Schulen als gedacht. Die Institutionen sind überfordert,
in:
Welt v. 13.07.
"Bislang geht die
Kultusministerkonferenz (KMK) von 7,2 Millionen Schülern für das Jahr
2025 aus. (...) Tatsächlich werden (...) 8,3 Millionen Kinder und
Jugendliche an die Schulen drängen. (...).
Tatsächlich beruht die offizielle Schülerprognose der
Kultusministerkonferenz von 2013 noch auf Zahlen aus dem Jahr 2012.
Seitdem sind fünf Mal in Folge die Geburtenzahlen angestiegen. In der
Studie wurden die aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes
(2015) mit noch aktuelleren Zahlen des Babynahrung-Herstellers Milupa
für ihre Berechnungen genutzt. Das Unternehmen verfügt über
Geburtenzahlen aller deutschen Geburtsstationen der Krankenhäuser des
Jahres 2016",
erklärt uns Thomas HEUZEROTH. Zu
der Milupa-Geburtenliste 2016 heißt
es in der Studie:
"Die Milupa Nutricia GmbH
veröffentlicht seit 1999 jährlich die Milupa Geburtenliste (Milupa
2017). Diese Liste erfasst alle Geburten in deutschen Kliniken. Die
Ergebnisse dieser Erfassung liegen daher grundsätzlich unter den
endgültigen Geburtenzahlen, da Hausgeburten und Geburten in
Geburtshäusern nicht einbezogen werden. So wurden in der Milupa
Geburtenliste für 2014 insgesamt 693.400 Geburten gemeldet. Das waren
97 Prozent der tatsächlich für 2014 für Deutschland berichteten
714.927 Geburten. Für 2015 meldet die Geburtenliste 717.020 Geburten;
das entspricht 97,2 Prozent der für 2015 insgesamt in Deutschland
gezählten 737.575 Geburten. Tatsächlich liegen also die Werte der
Geburtenliste unterhalb, gleichwohl aber dicht bei den tatsächlichen
Geburtenzahlen. Ein weiterer Vergleich der Daten der Geburtenliste mit
den tatsächlich berichteten Geburten belegt, dass diese Liste
belastbare Daten für die Abschätzung der Gesamtzahl der Geburten in
Deutschland liefert: Von 2014 nach 2015 ergibt sich aus den Milupa
Geburtenlisten dieser beiden Jahre ein Geburtenanstieg auf 103,4
Prozent (717.020 gegenüber 693.400). Bei den für Deutschland insgesamt
für diese beiden Jahre gemeldeten Geburtenzahlen findet sich ein
Anstieg auf 103,2 Prozent (737.575 gegenüber 714.927)." (2017, S.29)
Die Autoren der Studie gehen
deshalb von folgenden Geburtenzahlen aus:
"Für die Schätzung der
Geburtenzahlen wird davon ausgegangen, dass die Geburtenzahlen in
Deutschland im Jahr 2016 um 5,9 Prozent (nach Korrektur des in der
Milupa Geburtenliste berichteten prozentualen Anstiegs um 0,2
Prozentpunkte) höher lagen als 2015 und damit von 737.575 (2015) auf
781.092 (2016) angestiegen sind. In dieser prozentualen Steigerung ist
die vom Statistischen Bundesamt in seiner Vorausschätzung erwartete
Geburtensteigerung von 1,3 Prozent enthalten. Somit ergibt sich für
die hier vorgelegte eigene Vorausberechnung eine höhere Annahme der
Geburtenentwicklung zwischen 2015 und 2016 gegenüber der
Vorausberechnung des Statistischen Bundesamtes von 4,5 Prozent."
(2017, S.30)
Ein Vergleich der tatsächlichen
Geburtenzahlen mit der Variante 2 und 2A der 13. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung (BVB) vom April 2015 bzw. März 2017
ergibt folgendes Bild:
Tabelle:
Vergleich der 13. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnungen
des Statistischen Bundesamtes mit der tatsächlichen
Geburtenentwicklung |
Jahr |
BVB
2015
(Variante 2) |
BVB 2017
(Variante 2a) |
tatsächliche
Geburtenzahl |
Bertelsmann-
Schätzung |
Differenz
zu BVB 2015 |
2014 |
685.000 |
|
714. 927 |
|
ca. 31.000 |
2015 |
691.000 |
737.600 |
737.575 |
|
ca. 46.500 |
2016 |
697.000 |
747.300 |
|
781.092 |
ca. 84.000 |
|
|
SAUER, Stefan
(2017): In den Schulen wird es eng.
Studie der Bertelsmann-Stiftung
sagt bis 2030 dramatischen Zuwachs der Schülerzahlen voraus,
in:
Frankfurter Rundschau v. 13.07.
"Grundlage der neuen Berechnungen
ist zum einen der unverhoffte Geburtenanstieg in den letzten Jahren.
2014 und 2015 kamen
zusammengenommen gut 1,45 Millionen Babys in Deutschland zur Welt. Das
waren fast 80.000 mehr als vom Statistischen Bundesamt 2013 angenommen.
Für 2016 geht die Studie von einem nochmaligen Anstieg auf 781.000
Geburten aus. Die Bevölkerungsvorausberechnung von 2013 hatte konstant
etwa 710.000 Geburten pro Jahr angenommen",
erzählt uns der Märchenonkel der
FR. Weder ist das Veröffentlichungsdatum richtig, noch stimmt es,
dass die Geburtenzahl als konstant angenommen wurde, sondern lediglich
die Geburtenrate. Denn nach der Bevölkerungsvorausberechnung wäre die
Geburtenzahl bis 2020 auf 706.000 angestiegen, um danach
kontinuierlich zurückzugehen (2030: 639.000; 2040: 581.000; 2050:
553.000).
DESTATIS (2017): Die Kinderlosigkeit in Deutschland ist nicht weiter
gestiegen,
in:
Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts v. 26.07.
Aus der Broschüre
Kinderlosigkeit, Geburten und Familien zur
Pressekonferenz des Statistischen Bundesamtes ergibt sich eine
Kinderlosigkeit für den westdeutschen Geburtsjahrgang 1965 von 21,5 %
(vgl. 2017, Tabelle 1.5, S.40).
Noch Mitte der Nuller Jahre wurde die Kinderlosigkeit dieses
Frauenjahrgangs von nationalkonservativen Bevölkerungswissenschaftlern
um Herwig BIRG auf über 32 % geschätzt. Dieser Wert liegt um 50 % über
der tatsächlichen Kinderlosenquote und führte zu einer hysterischen
Bücher- und Medienkampagnenflut, die
Deutschland am
Abgrund sahen. Die bevölkerungspolitische Hysterie gipfelte in der
Rede von einer Kultur
der Kinderlosigkeit und der These von der
Niedrigstfertilitätsfalle. Beides war jedoch nur das Resultat einer
Medienhysterie, die mit der Realität nichts zu tun hatte. Man kann
sogar behaupten, dass die
Verengung der
bevölkerungspolitischen Debatte auf die Kinderlosigkeit der
Akademikerinnen dazu führte, dass der Geburtenrückgang nicht
früher gestoppt wurde.
Erst im letzten Jahr zog das
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung sozusagen die Notbremse und
verkündet seitdem das Gegenteil dessen, was zwei Jahrzehnte die
Doktrin der Bevölkerungspolitik in Deutschland war: Nicht die
Kinderlosigkeit ist der Grund für die niedrige Geburtenrate in
Deutschland, sondern der Rückgang der kinderreichen Familien.
"Für eine zukünftige leichte
Erhöhung der TFR spricht (...) die Entwicklung der Kohortenfertilität
(die endgültige Kinderzahl pro Frauenjahrgang), bei der die Trendwende
inzwischen relativ deutlich absehbar ist. (...). Auch die Reformen der
Familienpolitik könnten zu einer Reduzierung von Kinderlosigkeit und
einem leichten Anstieg der Geburtenrate beitragen. Allerdings wäre für
einen Anstieg deutlich über 1,6 auch eine Zunahme kinderreicher Frauen
notwendig, da ihr Rückgang der stärkste Treiber des Geburtenrückgangs
war".
(Martin Bujard &
Kai Dreschmitt "Szenarien der Bevölkerungsentwicklung bis 2060" in:
Gesellschaft · Wirtschaft · Politik, Heft 3, S.340)
STALA SACHSEN-ANHALT (2017): Geburtenanstieg in Sachsen-Anhalt,
in:
Pressemitteilung des Statistischen Landesamts Sachsen-Anhalt v.
26.07.
"Der Trend steigender
Geburtenzahlen setzt sich in Sachsen-Anhalt seit dem Jahr 2014
weiterhin fort. Im 1. Halbjahr 2016 wurden in Sachsen-Anhalt 8 633
Kinder lebend geboren. Wie das Statistische Landesamt in Halle (Saale)
mitteilte, waren das 269 Neugeborene bzw. 3,2 Prozent mehr als im 1.
Halbjahr 2015.
Die Entwicklung verlief regional unterschiedlich. Der Saalekreis und
der Salzlandkreis verzeichneten gegenüber dem 1. Halbjahr 2015
Steigerungen um 11 bzw. 10 Prozent, die kreisfreie Stadt Dessau-Roßlau
registrierte eine Zunahme von 6 Prozent. Die beiden einwohnerreichsten
Städte Halle (Saale) und Magdeburg verbuchten Geburtenzunahmen von 5
bzw. 4 Prozent.
In den Landkreisen Altmarkkreis Salzwedel, Anhalt-Bitterfeld, Harz und
Wittenberg nahmen die Geburtenzahlen gegenüber dem 1. Halbjahr 2015
ab", heißt es in der Pressemitteilung.
REINSCH,
Melanie
(2017): Aufatmen - ein wenig.
Leidartikel: Die Kinderlosigkeit
steigt nicht weiter. Das ist ein Erfolg. Die angestrebte Trendwende
gibt es aber nicht. Wie lässt sie sich erreichen?
in: Frankfurter
Rundschau
v. 27.07.
"Ein Blick in die Nachbarländer zeigt: Deutschland bildet mit der
Schweiz, Italien und Finnland das Schlusslicht. Nirgendwo sonst in
Europa leben mehr Frauen ohne Baby",
erklärt uns Melanie REINSCH. Die
Demografin Michaela KREYENFELD hat in ihrem Blog folgende Zahlen zur
Kinderlosigkeit des Frauenjahrgangs 1965 in 21 europäischen Ländern
veröffentlicht. Betrachtet man zugleich die EUROSTAT-Zahlen zur
Geburtenentwicklung in diesen Ländern, dann ergibt sich folgende
Übersicht:
Land |
Anteil der Kinderlosen des Frauenjahrgangs 1965 (CFT)
(Seitenabruf: 02.08.2017) |
Geburtenrate im Jahr 2015
(TFR) |
Schweiz |
22 % |
1,54 |
Westdeutschland |
22 % |
1,50 |
Österreich |
21 % |
1,49 |
England/Wales |
21 % |
|
Finnland |
19 % |
1,65 |
Niederlande |
18 % |
1,66 |
Italien |
18 % |
1,35 |
Griechenland |
16 % |
1,33 |
Ostdeutschland |
16 % |
1,56 |
Spanien |
15 % |
1,33 |
Schweden |
13 % |
1,85 |
Portugal |
13 % |
1,31 |
Frankreich |
13 % |
1,96 |
Rumänien |
12 % |
1,58 |
Norwegen |
12 % |
|
Dänemark |
12 % |
1,71 |
Slowakei |
11 % |
1,40 |
Ungarn |
10 % |
1,45 |
Slowenien |
9 % |
1,57 |
Tschechien |
7 % |
1,57 |
Bulgarien |
4 % |
1,53 |
Auf den ersten Blick ist
deutlich, dass ein hoher Anteil von Kinderlosen nicht
gleichbedeutend mit einer niedrigen Geburtenrate (TFR) ist und
umgekehrt ein niedriger Anteil von Kinderlosen nicht gleichbedeutend
mit einer hohen Geburtenrate. So hat Bulgarien trotz niedrigstem
Kinderlosenanteil von 4 % eine kaum höhere Geburtenrate als
Deutschland. Niederlande und Finnland haben dagegen trotz hoher
Kinderlosigkeit eine vergleichsweise hohe Geburtenrate.
AMT FÜR STATISTIK BERLIN-BRANDENBURG (2017): Mehr Geburten im ersten
Halbjahr 2016,
in:
Pressemitteilung Amt für Statistik Berlin-Brandenburg v. 02.08.
"Im ersten Halbjahr 2016 wurden
in Berlin 19.800 Kinder geboren, 10.100 Jungen und 9.700 Mädchen. Nach
Mitteilung des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg waren es
insgesamt 1.600 Neugeborene bzw. 8,8 Prozent mehr als im gleichen
Zeitraum des Vorjahres. Andererseits sind 17.400 Menschen verstorben,
annähernd genau so viele wie im Vergleichszeitraum 2015. Damit ergibt
sich ein Geburtenüberschuss von 2.400 Personen.
Im Land Brandenburg erblickten 10.100 Kinder in den ersten sechs
Monaten des Jahres 2016 das Licht der Welt, davon 5.200 Jungen und
4.900 Mädchen. Das waren fast 1.000 Kinder bzw. 10,9 Prozent mehr als
im ersten Halbjahr 2015. Verstorben sind 16.100 Menschen und damit
etwas weniger als im Vergleichszeitraum. Dennoch bedeutet dies ein
Geburtendefizit von 6.000 Personen", meldet das Amt für Statistik
Berlin-Brandenburg.
UHLMANN, Stefan (2017): Mehr Kinder.
Geburten: Die Zahl der Neugeborenen
pro Frau in Deutschland steigt wieder an, liegt aber weiter unter der
der Sterbefälle. Im europäischen Vergleich ist der Zuwachs eher
bescheiden,
in:
Das Parlament Nr.32-33 v. 07.08.
EUROSTAT (2017): Teenage and older mothers in the EU,
in:
Pressemitteilung des statistischen Amt der Europäischen Union
v. 08.08.
Nach der EUROSTAT-Definition
gehören alle unter-20-Jährigen zur Kategorie "Teenagermütter". Der
Anteil der unter 15-Jährigen spielt dabei keine Rolle. In der
gesamten EU gab es lediglich 193 Mütter, die jünger als 15 Jahre alt
waren (Gesamtzahl der Geburten: ca. 2,34 Millionen). Aus der
folgenden Übersicht ist der Anteil der Teenagermütter in den 28
EU-Ländern ersichtlich:
Land |
Rang |
Anteil der
Teenagermütter
(in Prozent) im
Jahr 2015 |
Rumänien |
1 |
12,3 % |
Bulgarien |
2 |
11,9 % |
Ungarn |
3 |
9,0 % |
Slowakei |
4 |
8,4 % |
Lettland |
5 |
5,5 % |
Großbritannien |
6 |
5,4 % |
Litauen |
6 |
5,4 % |
Polen |
8 |
4,8 % |
Estland |
9 |
4,4 % |
Malta |
10 |
4,3 % |
Kroatien |
11 |
4,2 % |
Portugal |
12 |
3,7 % |
Frankreich |
13 |
3,6 % |
Irland |
14 |
3,3 % |
Tschechien |
14 |
3,3 % |
Deutschland |
16 |
3,0 % |
Griechenland |
17 |
2,9 % |
Österreich |
18 |
2,8 % |
Spanien |
19 |
2,7 % |
Finnland |
20 |
2,5 % |
Belgien |
20 |
2,5 % |
Luxemburg |
22 |
2,0 % |
Zypern |
22 |
2,0 % |
Schweden |
24 |
1,4 % |
Dänemark |
24 |
1,4 % |
Slowenien |
26 |
1,3 % |
Niederlande |
26 |
1,3 % |
Italien |
28 |
1,2 % |
STRAUBHAAR, Thomas (2017): Mehr
Kinder machen glücklich(er)!
Kolumne,
in:
Welt v. 09.08.
Thomas STRAUBHAAR will uns
einreden, die persönliche Zufriedenheit hänge von der Höhe der
Geburtenrate eines Landes ab. Dies widerspricht seiner
Eingangsthese:
"Der Grund liegt nicht so sehr
bei ökonomischen Faktoren. Es ist die Freiheit, unabhängig von Zwang
und Rahmenbedingungen selbständig große Lebensentscheidungen zu
fällen".
Das aber hieße auch, dass
Kinderlosigkeit genauso wie das Kinderhaben - ob eines, zwei oder
mehr - als gleichwertige Lebensentwürfe gelten müssten. Die
Geburtenrate ist dafür kein Maßstab. Aus der folgenden Übersicht
lassen sich die Geburtenrate, Anteil der Kinderlosen mit dem Ranking
des
World Happiness Report 2017 (S.20ff.) vergleichen:
Land |
Rang im World
Happiness Report
2017 (2014-2016) |
Anteil der Kinderlosen des Frauenjahrgangs 1965 (CFT)
(Seitenabruf: 02.08.2017) |
Geburtenrate im Jahr 2015
(TFR) |
Schweiz |
4 |
22 % |
1,54 |
Westdeutschland |
16 |
22 % |
1,50 |
Österreich |
13 |
21 % |
1,49 |
England/Wales |
19 |
21 % |
|
Finnland |
5 |
19 % |
1,65 |
Niederlande |
6 |
18 % |
1,66 |
Italien |
48 |
18 % |
1,35 |
Griechenland |
87 |
16 % |
1,33 |
Ostdeutschland |
16 |
16 % |
1,56 |
Spanien |
34 |
15 % |
1,33 |
Schweden |
10 |
13 % |
1,85 |
Portugal |
89 |
13 % |
1,31 |
Frankreich |
31 |
13 % |
1,96 |
Rumänien |
57 |
12 % |
1,58 |
Norwegen |
1 |
12 % |
|
Dänemark |
2 |
12 % |
1,71 |
Slowakei |
40 |
11 % |
1,40 |
Ungarn |
75 |
10 % |
1,45 |
Slowenien |
62 |
9 % |
1,57 |
Tschechien |
23 |
7 % |
1,57 |
Bulgarien |
105 |
4 % |
1,53 |
Das Beispiel
Frankreich steht im
krassen Gegensatz zur These von STRAUBHAAR. Trotz hoher Geburtenrate
liegt Frankreich bei der Zufriedenheit weit hinter Deutschland. Die
Schweiz
rangiert auf Platz 4 bei der Zufriedenheit, obwohl Geburtenrate und
Kinderlosigkeit dort ähnlich hoch sind wie in Deutschland. Die
südeuropäischen Krisenstaaten,
die alle eine ähnliche Geburtenrate aufweisen, belegen weit
auseinander liegende Plätze: Sie reichen von Spanien (34) bis
Portugal (89). In Osteuropa
liegen Tschechien und Slowenien bei der Geburtenrate gleichauf,
liegen aber bei der Zufriedenheit auf Platz 23 bzw. 40 - hinter
Ostdeutschland, das bei ähnlicher Geburtenrate auf Platz 16 liegt.
Überhaupt Deutschland: hier unterscheidet sich die Geburtenrate
beträchtlich zwischen Ost und West. Müssten dann nicht
unterschiedliche Zufriedenheitswerte angegeben werden?
HERGERT, Stefani (2017): Städte
von Welt.
Grafik des Tages: Deutschlands
Metropolen wachsen rasant - vor allem, weil sie für Menschen ohne
deutschen Pass attraktiver werden. In der bayerischen
Landeshauptstadt haben schon fast drei von zehn Menschen nicht oder
nicht nur die deutsche Staatsbürgerschaft. In den größten deutschen
Städten werden seit ein paar Jahren aber auch wieder viel mehr
Kinder geboren,
in:
Handelsblatt v. 22.08.
Stefani HERGERT kennt nur 6
deutsche Metropolen, die aus der folgenden Übersicht ersichtlich
sind:
Metropolen |
Einwohner
(2010) |
Einwohner
(2016) |
Geburtenanstieg
(2010 - 2015) |
Geburtenanstieg
(2010 - 2016) |
Berlin |
3,39
Mio. |
3,67
Mio. |
+
13,9 % (5)
(4) |
|
Hamburg |
1,79
Mio. |
1,86
Mio. |
+
13,8 % (6)
(5) |
|
München |
1,35
Mio. |
1,54
Mio. |
+
20,4 % (1)
(siehe Text) |
+
26,0 % (1) |
Köln |
1,03
Mio. |
1,08
Mio. |
+
17,1 % (2)
(siehe Text) |
+
22,0 % (2) |
Frankfurt a/M |
656.427 |
729.624 |
+
16,8 % (3)
(siehe Text) |
+
21,5 % (3) |
Düsseldorf |
600.068 |
635.704 |
+
10,0 % (6)
(siehe Text) |
+
15,7 % (4) |
Die Übersicht zeigt, dass die
Zahlen nicht alle auf dem aktuellen Stand sind, weshalb sich die
Frage ergibt, warum nicht das Jahr 2015 gewählt wurde? Dann wäre
jedoch nicht Düsseldorf, sondern Stuttgart die sechste Stadt
gewesen. Für Stuttgart liegen jedoch noch keine Zahlen für 2016 vor.
Auch was den Geburtenanstieg
angeht, ist auf den ersten Blick sichtbar, dass die Zahlen nicht
vergleichbar sind. Seriöser wäre es deshalb gewesen alle
Geburtenzahlen für das Jahr 2015 auszuweisen.
In München gab es 2016 einen Zuwachs um 5,6 %, d.h. bis 2015
hätte es einen Anstieg von 20,4 % gegeben.
In Köln wurden 2010 nur 9.682 Kinder geboren, während es 2015 11.810
Kinder waren, was einem Anstieg um 17,1 % entspricht. In
Frankfurt a/M stieg die Zahl der Lebendgeborenen von 2010 (7.300;
vgl. Statistisches Jahrbuch 2016, S.41) bis 2015 (8.526)
um 16,8 %. In Düsseldorf stieg die Zahl der Lebendgeborenen (vgl.
Statistischen Daten Düsseldorf 2016, S.43) von 2010 (5.950) bis
2015 (6.545) nur um 10 %. 2016 waren es 6.886 Lebendgeborene.
Fazit: Durch die Grafik des Tages
wird die Geburtenentwicklung verfälscht, denn Düsseldorf lag 2015
auf Platz 6, während es beim Handelsblatt so scheint, dass
Düsseldorf bei der Geburtenentwicklung vor Berlin und Schlusslicht
Hamburg liegt. Berlin hat
vor kurzem für das 1. Halbjahr 2016 eine Steigerung der Geburten
um 8,8 Prozent gemeldet. Von daher wird das Ergebnis von Düsseldorf
sicher übertroffen.
THÜRINGER LANDESAMT FÜR STATISTIK (2017): 1. Halbjahr 2016:
Einwohnerrückgang in Thüringen,
Nur noch leichtes Zuzugsplus
gegenüber dem Ausland, aber mehr Fortzüge in andere Bundesländer
in:
Pressemitteilung Thüringer Landesamt für Statistik v. 20.09.
"Von Januar bis Juni 2016 wurden
in Thüringen 8.914 Kinder geboren. (...). Im 1. Halbjahr 2015 kamen
8.113 Lebendgeborene in Thüringen zur Welt", meldet das Thüringer
Landesamt für Statistik.
IT NRW (2017): NRW-Einwohnerzahl auf nahezu 17,9 Millionen gestiegen,
Nur noch leichtes Zuzugsplus
gegenüber dem Ausland, aber mehr Fortzüge in andere Bundesländer
in:
Pressemitteilung Information und Technik Nordrhein-Westfalen v. 21.09.
Gemäß der Pressemitteilung wurden
im ersten Halbjahr 2016 in Nordrhein-Westfalen 83.381 Kinder geboren.
NEUES
DEUTSCHLAND-Tagesthema: Alt und jung.
In der einen Stadt sind die
Familien jung, traditionell und kinderreich. In der anderen altern
die Alten und die Jungen sind ausgewandert. Zwei Porträts über
Cloppenburg, das sein Kinderglück kaum fassen kann, und Dessau,
das zum Rentnerparadies werden will
|
WEIERMANN, Sebastian (2017):
Heile Welt rund um den Pfanni-Turm.
Die niedersächsische Kleinstadt
Cloppenburg ist jung und konservativ,
in:
Neues Deutschland v. 02.10.
Cloppenburg steht für Westdeutsche
eher für einen Alptraum, aber nicht für die heile Welt: eine
skandalträchtige Agrarindustrie mit Massentierhaltung und ein
Familienbild wie es heutzutage nur noch CSU und AfD predigen ist das
Markenzeichen.
"Cloppenburg ist konservativ und
damit eine sichere Bank für die CDU. Seit der ersten Bundestagswahl
hat sie jedes Mal das Direktmandat geholt. So auch bei der letzten
Bundestagswahl. Silvia Breher trat zum ersten Mal für die Union an
und wurde mit 57,7 Prozent der Erststimmen gewählt. So ein gutes
Ergebnis hat sonst kein Direktkandidat erzielt",
erklärt uns Sebastian WEIERMANN.
Verschwiegen wird jedoch der Wahlerfolg der AfD, die in Cloppenburg
gemäß
Zweckverband Kommunale Datenverarbeitung Oldenburg immerhin
auf ein Zweitstimmenergebnis von 11,05 % kam und damit drittstärkste
Kraft wurde (Spitzenwert 27,49 % im Wahlbezirk 028 Kindergarten "Die
Arche", wo sie sogar mehr Stimmen als die CDU bekam). In Molbergen
kam die AfD sogar auf 15,19 % (Spitzenwert: 33,83 % im Wahlbezirk
010 Molbergen Nord-Ost). Zu Molbergen heißt es bei WEIERMANN nur:
"Einer der Gründe für die vielen
jungen Menschen in Cloppenburg ist zweifellos der Lebensstil der
Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion. In der Gemeinde
Molbergen bekommt eine Frau im Durchschnitt 2,5 Kinder. Molbergen
ist der einzige Ort in Deutschland, der ohne Zuwanderung wachsen
würde."
In Molbergen leben "viele
Anhänger der Pfingstbewegung" wie WEIERMANN erwähnt, die in einer
"Parallelwelt" leben.
STATISTIK BAYERN (2017): Höchste Geburtenzahl seit
18 Jahren.
Deutliche Zunahme der
Lebendgeburten in Bayern,
in:
Pressemitteilung des
Bayerischen Landesamt für Statistik v. 14.11.
"Im Jahr 2016 wurden laut
vorläufigen Zahlen des Landesamts für Statistik in Bayern insgesamt
rund 125.700 Kinder lebend geboren. Das entspricht gegenüber dem
Vorjahr (mit 118.228 Geborenen) einem Plus von ca. 7.470 Geborenen
(+6,3 Prozent). Damit gehört das Jahr 2016 zu den geburtenstärksten
Jahrgängen der letzten 20 Jahre. Nur in den Jahren 1996 bis 1998
wurden mehr Geborene registriert als im vergangenen Jahr 2016.
Im gleichen Zeitraum verstarben in Bayern etwa 129.580 Menschen, was
einem Rückgang von circa 4.000 Sterbefällen (-3,0 Prozent) gegenüber
dem Vorjahr 2015 entspricht (2015: 133.536 Verstorbene). Somit liegt
zwar noch immer ein Überschuss der Sterbefälle über die Zahl der
Geborenen vor, dieser befand sich aber im vergangenen Jahr auf dem
niedrigsten Niveau seit 2001", meldet das Bayerische Landesamt für
Statistik.
DESTATIS (2017): Mehr Geburten und weniger Sterbefälle im Jahr 2016,
in:
Pressemitteilung des Statistischen
Bundesamts v. 15.11.
"Im Jahr 2016 wurden in
Deutschland 792.000 Kinder lebend geboren. Wie das
Statistische Bundesamt (Destatis) nach vorläufigen
Ergebnissen weiter mitteilt, waren das 55.000 Neugeborene
oder 7,4 % mehr als im Jahr 2015 (738 000).
Im Jahr 2016 starben 911.000 Menschen, gegenüber dem Vorjahr
ist die Zahl der Sterbefälle um 1,5 % gesunken (2015:
925.000). Seit 1972 starben somit jährlich mehr Menschen,
als Kinder geboren wurden. 2016 lag die Differenz bei
118.000, im Jahr 2015 hatte sie 188.000 betragen",
meldet das Statistische
Bundesamt. Die tatsächliche Anzahl der Geburten in Deutschland
liegt damit sogar über der
Schätzung der Bertelsmann-Stiftung vom Juli diesen Jahres.
Die Schätzung lag um rund 11.000 Geburten niedriger (781.092)
als die jetzt gemeldete Geburtenzahl. Und sie liegt sogar um
rund 37.000 Geburten über der
erst in diesem Jahr nachgebesserten
Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes
(754.000). Die erst
im April 2015
erstellte 13. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung,
die auf dieser Website bereits damals heftig kritisiert wurde
- lag mit 697.000 Geburten sogar um rund 95.000 Geburten
daneben. Treffsicherheit sieht anders aus und wurde inzwischen
auch aus dem Kriterienkatalog für
Bevölkerungsvorausberechnungen gestrichen.
Am Ende der Meldung
befinden sich deshalb keine Fakten, sondern eine ideologische
Einschätzung, wenn es heißt:
"Der Anstieg der Geburten
und der Rückgang der Sterbefälle im Jahr 2016 bedeuten
nicht, dass der demografische Wandel, den eine zunehmende
Alterung der in Deutschland lebenden Bevölkerung
kennzeichnet, gestoppt ist. Die durch Jahrzehnte
entstandenen Ungleichgewichte in der Altersstruktur der
Bevölkerung bleiben bestehen.
Unter Berücksichtigung der demografischen Strukturen ist
derzeit nicht vorauszusehen, dass die Zahl der Geburten auf
lange Sicht weiter ansteigt. Hingegen wird die Zahl der
Sterbefälle voraussichtlich nicht zurückgehen."
Demographismus nennt der Politikwissenschaftler Christian
RADEMACHER einen solchen Begriff von demographischem Wandel,
den hier das Statistische Bundesamt, das eine "Unterabteilung"
des Innenministeriums ist, benutzt. Der demografische Wandel
wird in dieser Sicht zu einem bewerteten Phänomen.
Demografische Entwicklungen sind jedoch Vorgänge, die jede
Bevölkerungsentwicklung bezeichnen. Wenn nur die als negativ
angesehenen Entwicklungen als "demografischer Wandel"
bezeichnet werden, dann haben wir es mit einer Ideologie zu
tun.
Geburten und Todesfälle
werden in der nationalkonservativen Bevölkerungswissenschaft
als "natürliche Bevölkerungsbewegung" bezeichnet, als ob
Wanderungen in offenen Gesellschaften wie Deutschland ein
unnatürlicher Vorgang wäre. Der Demographismus beinhaltet
immer auch eine territoriale Machtvorstellung. Mit der
Wiedervereinigung hat sich z.B. die Bevölkerungsstruktur von
heute auf morgen geändert - ohne natürliche
Bevölkerungsbewegungen - allein durch politische
Entscheidungen. Die Folgen dieser Entscheidung werden
nonchalant durch Demographismus naturalisiert und uns nun als
"demografische Fakten" präsentiert.
Fazit: Die angebliche
Alternativlosigkeit von "demografischen Fakten" verschleiert,
dass politische Interessen hinter solchen Meldungen stehen,
die besonders dann zutage treten, wenn
Bevölkerungsvorausberechnungen - auf die sich das Statistische
Bundesamt ja bei seiner Einschätzung beruft, ungeahnte
Nebenfolgen haben, was man z.B. in Brandenburg oder Sachsen
studieren kann.
STALA
BW (2017): Höchste Geburtenzahl seit 1999.
Baden-Württemberg: In immerhin 19
der 44 Stadt- und Landkreise gab es im Jahr 2016 mehr Geborene
als Gestorbene,
in:
Pressemitteilung des
Statistischen Landesamt Baden-Württemberg v. 15.11.
"In Baden‑Württemberg
wurden im vergangenen Jahr nach vorläufigen Ergebnissen des
Statistischen Landesamtes rund 107.500 Kinder lebend geboren
und damit ca. 7.200 mehr als 2015. Somit lag die Zahl der
Lebendgeborenen zum fünften Mal in Folge höher als im
jeweiligen Vorjahr. Die Ursache für diesen positiven Trend
wird in der in den vergangenen Jahren enorm angestiegene
Zuwanderung gesehen, die auch zu einer Zunahme der Zahl der
Frauen im gebärfähigen Alter geführt hat. Hinzu kommt, dass
nun Kinder der geburtenstarken Jahrgänge Anfang der
1960er-Jahre, die so genannten Babyboomer, selbst wieder
Kinder bekommen. Schließlich ist in den vergangenen Jahren
auch die Geburtenrate, also die durchschnittliche Kinderzahl
je Frau, angestiegen.
Gleichzeitig sank im vergangenen Jahr die Zahl der Gestorben
gegenüber 2015 um etwa 1.400 auf knapp 106.700. Damit lag die
Zahl der Sterbefälle erstmals wieder seit dem Jahr 2005
nierdiger als die Geburtenzahl.
Stadt- und Landkreise: Aufgrund der gestiegenen
Geborenenzahlen konnten im vergangenen Jahr immerhin 19 der
44 Stadt- und Landkreise Baden‑Württembergs ein Geburtenplus
erzielen; im Jahr zuvor gab es diese günstige Konstellation
lediglich in 8 Kreisen. Die Spitzenstellung beim
Geburtenüberschuss nahm im Jahr 2016 die Landeshauptstadt
Stuttgart ein (1.591 mehr Geborene als Gestorbene), gefolgt
vom Landkreis Böblingen (+743) und dem Stadtkreis Freiburg im
Breisgau (+730). Dagegen wiesen 25 Stadt- und Landkreise im
Südwesten weniger Geborene als Gestorbene auf. Die höchsten
Geburtendefizite waren 2016 im Zollernalb- und im
Rhein‑Neckar-Kreis sowie im Landkreis Karlsruhe zu beobachten.
Die unterschiedliche Bilanz aus der Zahl der Geborenen und der
der Gestorbenen in den einzelnen Kreisen wird wesentlich durch
die Altersstruktur der Bevölkerung beeinflusst. Aber auch die
Geburtenhäufigkeit – also die durchschnittliche Kinderzahl je
Frau – und die unterschiedliche Lebenserwartung in den
einzelnen Teilräumen bestimmen das Verhältnis von Geburten zu
Sterbefällen", meldet das Statistische Landesamt
Baden-Württemberg.
STALA
THÜRINGEN (2017): 2016: Mehr Geburten, weniger Sterbefälle und mehr
Eheschließungen in Thüringen – dennoch Sterbefallüberschuss von 9 841
Personen.
Neuer Höchststand bei den Geburten
und Eheschließungen seit 1991,
in:
Pressemitteilung des
Statistischen Landesamt Thüringen v. 15.11.
"In Thüringen liegen nach einer
vorläufigen Auswertung die ersten Ergebnisse der natürlichen
Bevölkerungsstatistiken für das Jahr 2016 vor. Nach Mitteilung des
Thüringer Landesamtes für Statistik wurden 18.474 Geburten, 28.312
Sterbefälle und 10.115 Eheschließungen registriert. Somit gab es 2016
mehr Geburten, weniger Sterbefälle und mehr Eheschließungen als im
Jahr 2015. Bei den Geburten und Eheschließungen stellten diese
Ergebnisse zudem neue Höchststände seit 1991 dar. In Zahlen
ausgedrückt gab es in Thüringen ein Plus von 540 Geburten (+3,0
Prozent) und einen Rückgang um 518 Sterbefälle (-1,8 Prozent) im
Vergleich zum Jahr 2015. Die ansteigende Zahl an Geburten bei
gleichzeitigem Rückgang an Sterbefällen führte 2016 zu einem
deutlichen Rückgang des Sterbefallüberschusses. Dieser lag dennoch bei
-9.841 Personen, aber um 1.055 Personen (-9,7 Prozent) niedriger als
noch 2015. Bei den Eheschließungen gab es im Vergleich zu 2015 ein
Plus von 381 Hochzeiten (+3,9 Prozent)", meldet das Statistische
Landesamt Thüringen.
STALA
SACHSEN-ANHALT (2017): Geburtenanstieg und weniger Sterbefälle 2016 in
Sachsen-Anhalt,
in:
Pressemitteilung des
Statistischen Landesamt Sachsen-Anhalt v. 15.11.
"Erstmals seit 15 Jahren wurden
wieder mehr als 18.000 Babys in Sachsen-Anhalt geboren (2001: 18.073).
Wie das Statistische Landesamt in Halle (Saale) mitteilte, kamen nach
vorläufigen Angaben im Jahr 2016 insgesamt 18.093 Kinder zur Welt, das
waren 678 bzw. 3,9 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Entwicklung
verlief regional sehr unterschiedlich. Im Saalekreis und in der
Landeshauptstadt Magdeburg erhöhte sich die Zahl der Lebendgeborenen
gegenüber dem Jahr 2015 um 9,6 bzw. 9,2 Prozent. Einen starken Anstieg
verzeichneten ebenfalls der Landkreis Stendal mit 7,4 Prozent sowie
der Salzlandkreis und die kreisfreie Stadt Dessau-Roßlau mit je 6,8
Prozent. Rückläufige Geburtenzahlen wurden im Altmarkkreis Salzwedel
und im Landkreis Harz mit jeweils 1,8 Prozent sowie im Landkreis
Anhalt-Bitterfeld mit 1,0 Prozent beurkundet. Im Jahr 2016 starben
nach vorläufigen Ergebnissen 31 453 Sachsen-Anhalter und
Sachsen-Anhalterinnen. Das waren 916 bzw. 2,8 Prozent weniger als im
Jahr 2015. Auf der Ebene der kreisfreien Städte und Landkreise wurden
überwiegend rückläufige Sterbefälle registriert. Der Landkreis Börde
und die kreisfreie Stadt Halle (Saale) verbuchten sogar Rückgänge um
6,9 bzw. 6,0 Prozent. Nur in der kreisfreien Stadt Dessau-Roßlau, der
Landeshauptstadt Magdeburg und im Landkreis Mansfeld-Südharz stieg die
Zahl der Gestorbenen im Vergleich zum Vorjahr. Aufgrund steigender
Geburtenzahlen und rückläufiger Sterbefälle verminderte sich das
Geburtendefizit gegenüber dem Jahr 2015 um 1.594 auf 13.360 Personen",
meldet das Statistische Landesamt Sachsen-Anhalt.
ALA/DPA/AFP (2017): Mehr Babys - aber nicht genug.
In Deutschland wurden 2016 deutlich
mehr Kinder geboren als im Jahr zuvor. Auch die Sterbefälle
gingen zurück - dennoch können die Demografen langfristig
keine Entwarnung geben,
in:
Spiegel Online v. 15.11.
In den meisten deutschen
Leitmedien herrscht am Tag nach der
Pressemeldung des Statistischen Bundesamtes Stillschweigen über die Geburtenentwicklung
in Deutschland. Vor zehn Jahren war das dagegen ganz anders, da wurden
dreimal im Jahr die Geburtenzahlen vermeldet. Das Elterngeld war gerade eingeführt worden und die Familienministerin
Ursula von der LEYEN stand unter Erfolgszwang. Doch die Geburtenzahlen
entsprachen nicht den Erwartungen, weshalb das Vermelden von
Quartalszahlen schnell wieder außer Mode kam.
Dass dieses Jahr die Geburtenzahlen
ausgerechnet den entscheidenden Sondierungsgesprächen um die Renten-
und Familienpolitik in die Quere kommen, ist sicherlich ein Grund für
die Zurückhaltung der Medien. Optimistische Zahlen zum demografischen
Wandel wären da Gift für die neoliberale Neuausrichtung. Den Tenor
gibt Spiegel Online vor: Mehr Babys - aber nicht genug
lautet die Schlagzeile, die sich an die Hauptzielgruppe der deutschen
Bevölkerungspolitik richtet: das Akademikermilieu.
Die Kinderlosigkeit der
Akademikerinnen war das Megathema des letzten Jahrzehnts, erst in
letzter Zeit hat die Bevölkerungswissenschaft das Fehlen der
Kinderreichen auf die politische Agenda gesetzt. Das ging mit einem
personellen Wechsel von
Jürgen DORBRITZ zu Martin BUJARD einher. Dass seit den 1990er Jahren die
Kinderlosigkeit überschätzt wurde, lag an fatalen Fehleinschätzungen
aufgrund der
populären Individualisierungsthese, die als Popsoziologie punktete
und dadurch oftmals empirische Forschung ersetzte. Der Konflikt
zwischen alter (Verteidigung
der traditionellen Familie) und neuer Mitte (Vereinbarkeit
von Karriere und Familie) führte zur politisch motivierten
Blockade der empirischen Forschung. Der nationalkonservative
Bevölkerungswissenschaftler
Herwig BIRG bestimmte mit seiner Propaganda die Debatte um die
Geburtenentwicklung. Erst die Mikrozensuserhebungen
2008 und 2012 brachten erstes Licht in das Dunkel. Nur noch
stramme Rechte und Nationalkonservative meinen heutzutage noch, dass
die
Kinderlosigkeit das Hauptproblem der niedrigen Geburtenrate in
Deutschland ist.
Was bedeutet es, dass das
Statistische Bundesamt von falschen Annahmen in seinen
Bevölkerungsvorausberechnungen bei der Geburtenentwicklung ausging?
Vor ziemlich genau 8 Jahren wurde die
12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung (kurz: 12. BVB) des
Statistischen Bundesamtes veröffentlicht. Die mittlere Variante wurde
als Untergrenze und Obergrenze ausgewiesen. Ein Vergleich mit der
tatsächlichen Entwicklung von Geburten und Sterbefällen zeigt, wie
schon nach weniger als 10 Jahren die Abweichungen aus dem Ruder
laufen.
Tabelle:
Abweichungen zwischen der 12. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung des
Statistischen Bundesamtes und der tatsächlichen Entwicklung
von Geburten, Todesfällen
und Geburtendefizit zwischen 2008 und 2016
|
Jahr |
12. BVB |
Tatsächliche
Entwicklung |
12. BVB |
Tatsächliche
Entwicklung |
12. BVB |
Tatsächliche
Entwicklung |
Abweichung |
Lebendgeborene |
Gestorbene |
Geburtendefizit |
2008 |
|
682.514 |
|
844.439 |
|
- 161.925 |
|
2009 |
666.000 |
665.126 |
848.000 |
854.544 |
- 182.000 |
- 189.418 |
+
7.418 |
2010 |
662.000 |
677.947 |
862.000 |
858.768 |
- 200.000 |
- 180.821 |
-
19.179 |
2011 |
660.000 |
662.685 |
871.000 |
852.328 |
- 211.000 |
- 189.643 |
-
21.357 |
2012 |
660.000 |
673.544 |
882.000 |
869.582 |
- 222.000 |
- 196.038 |
-
25.962 |
2013 |
660.000
661.000 |
682.069 |
892.000 |
893.825 |
- 231.000
- 232.000 |
- 211.756 |
-
19.244
- 20.244 |
2014 |
661.000
662.000 |
714.927 |
901.000 |
868.356 |
- 239.000
- 240.000 |
- 153.429 |
-
85.571
- 86.571 |
2015 |
662.000
663.000 |
737.575 |
910.000 |
925.200 |
- 247.000
- 248.000 |
- 187.625 |
-
60.375
- 59.375 |
2016 |
663.000
665.000 |
792.000 |
919.000 |
911.000 |
- 254.000
- 256.000 |
- 118.000 |
-
136.000
(46,1 %)
- 138.000
(46,5 %) |
|
|
Innerhalb von nur 8 Jahren haben sich
fast 50 % Abweichung zwischen der
Bevölkerungsvorausberechnung und der tatsächlichen Entwicklung beim
Geburtendefizit ergeben.
Abweichungen beim Geburtendefizit können sich durch gleichläufige
Entwicklungen erhöhen oder durch gegenläufige Entwicklungen
verringern. So gab es im Jahr 2015 zwar rund 75.000 Geburten mehr,
aber dafür starben auch 15.000 Menschen mehr. Das Geburtendefizit fiel
deshalb geringer aus, während dieses Jahr die Geburten stark zunahmen
und gleichzeitig die Todesfälle abnahmen. Im Gegensatz zur Suggestion
von Bevölkerungsvorausberechnungen, dass die
Entwicklung von Bevölkerungen einer Parabel gleicht, die nach dem
Scheitelpunkt dem Abgrund entgegengeht, schwanken realistische,
langfristige Bevölkerungsbewegungen zwischen Aufwärts- und
Abwärtstrends.
An den Abweichungen
sind nicht nur tatsächliche Ereignisse wie Geburten- und Sterbefälle,
sondern auch statistische Korrekturen aufgrund des Zensus 2011 schuld.
Zahlen für das Jahr 2050 oder 2060 sind letztlich nichts als
Kaffeesatzleserei und haben deshalb lediglich eine ideologische
Funktion: Sie sollen die Durchsetzung von Politiken erleichtern.
Die Nebenfolgen dieser Art von
Politikdurchsetzung können jedoch verhängnisvoll sein, wenn
Wachstumschancen dadurch verbaut werden. Dies ist mittlerweile der
Fall, wenn Schulen und Betreuungseinrichtungen sowie das Lehrpersonal
fehlen, weil die Schrumpfideologie zum Abriss und zu Entlassungen der
nunmehr dringend benötigten Einrichtungen und Lehrkräfte geführt
haben. Auch die Wohnungsbaupolitik, die auf eine schrumpfende
Bevölkerungspolitik ausgerichtet wurde, zeitigt mittlerweile Folgen.
MENKENS, Sabine (2017): Babyboom in
Deutschland.
Zum fünften Mal in Folge sind die
Geburtenzahlen hierzulande gestiegen. Verantwortlich ist nicht nur die
Zuwanderung - sondern auch die Familienpolitik,
in:
Welt v. 16.11.
Online hieß die Schlagzeile
Deutschland erlebt Babyboom – doch das reicht nicht, damit auch
der Dümmste mitbekommt, dass gute Nachrichten immer schlechte
Nachrichten sind.
Sabine MENKENS verbreitet die
nationalkonservative Doktrin, die sich in der Bestandserhaltungszahl
von 2,1 Geburten pro Frau ausdrückt. Der Soziologe Karl-Otto
HONDRICH hat sich bereits vor 10 Jahren gegen eine solche Sicht
gewandt und stattdessen das evolutionäre Kriterium der
Problemlösefähigkeit in den Mittelpunkt gerückt. Im heutigen Welt-Interview
von Matthias KAMANN mit der nationalliberalen AfD-Spitzenpolitikerin
Alice WEIDEL heißt es:
"Nötig ist vor allem, die
demografische Entwicklung so zu beeinflußen, dass es (...)
endlich wieder eine Nettoreproduktionsrate von mehr als zwei Kindern
pro Frau gäbe."
Die Rentenpolitik ist eines der
Felder, die angeblich davon abhängig sei. Tatsächlich reicht zur
Stabilisierung der Bevölkerungszahl eine Geburtenrate von 1,6 bis 1,7.
Dies gilt umso mehr bei Bevölkerungen mit steigender Lebenserwartung.
Die Glorifizierung der Bevölkerungspyramide gehört zu den Fundamenten
einer solchen Sichtweise, obwohl diese Form die Folge hoher
Kindersterblichkeit ist.
Das linksliberale Bürgertum hat sich vor 15 Jahren der Bebilderung des
demografischen Niedergangs verschrieben und hat damit den Erfolg
der AfD mitzuverantworten.
Im Artikel werden Felix zur NIEDER
vom Statistischen Bundesamt und Martin BUJARD vom Institut für
Bevölkerungsforschung mit ihrer Sicht zitiert.
Der Begriff "Babyboom" - wie er von MENKENS verwendet wird - ist nicht wissenschaftlich, sondern
ideologisch, denn er wird allein auf die absoluten Geburtenzahlen
bezogen, statt wie es richtig wäre, auf die Entwicklung der
Fruchtbarkeit in Deutschland. Darüber gibt letztendlich nur die
endgültige Kinderzahl der Frauenjahrgänge Auskunft. Die absolute Zahl
der Geburten kann neben der Geburtenrate auch durch Veränderungen beim
Timing der Geburten steigen, was in dem Artikel unerwähnt bleibt.
Sollte bei den jüngeren Frauenjahrgängen das Erstgebäralter gegen den
Trend sinken statt weiter zu steigen, dann könnte dies zum Anstieg der
Geburtenzahlen trotz gleich bleibender Geburtenrate führen.
Könnten die Babyboomer - und nicht
nur die Kinder der Babyboomer - einen Anteil am jetzigen
Geburtengeschehen haben. Diese Erklärung erscheint entweder fragwürdig
oder wäre eine echte Sensation. Im Jahr 1975 gab es 782.310 Geburten
in Deutschland, d.h. weniger als in diesem Jahr geboren wurden. Die
1975 geborenen Frauen können also kaum zu den geburtenstarken
Jahrgängen gezählt werden. Diese waren 2016 bereits 42 Jahre alt. Wenn
man die Babyboomer als jene Geburtsjahrgänge definiert, die mehr als 1
Million Geburten umfassten, dann war der Frauenjahrgang 1971 der
letzte Babyboomer-Jahrgang. Dieser war 2016 bereits 45 Jahre alt, d.h.
die 45-Jährigen und Älteren hätten vermehrt Kinder bekommen müssen,
wenn dieser Faktor einen entscheidenden Einfluss auf die
Geburtenentwicklung 2016 gehabt hätte. Noch Mitte des letzten
Jahrzehnts galten
40-jährige Frauen als endgültig Kinderlose, deren Beitrag am
Geburtengeschehen als vernachlässigbar angesehen wurde.
Das wurde selbst noch vor kurzem vertreten, wenngleich dies eher der
Datenlage geschuldet ist.
Die Kinder der Babyboomer wären
jene, die von Frauen der Geburtsjahrgänge 1947 bis 1971 geboren
wurden.
Anhand einer
DESTATIS-Tabelle lässt sich nachvollziehen, in welchen Jahren
diese Kinder der Babyboomer hauptsächlich geboren wurden. Die Tabelle
enthält bislang die altersspezifischen Geburtenziffern bis zum Jahr
2015.
Fazit: Eine seriöse Einschätzung zu
den Ursachen der jetzt veröffentlichten Geburtenzahlen ist erst
möglich, wenn die (altersspezifische) Geburtenrate und das
Erstgebäralter der am Geburtenaufkommen beteiligten Frauenjahrgänge
vorliegt.
FUCHS, Carola (2017): Ein kleiner
Babyboom im Land.
Statistik: Im vergangenen Jahr gab
es wieder mehr Geburten als Todesfälle,
in:
Stuttgarter Zeitung v. 16.11.
In
Baden-Württemberg gab es 2016 sogar einen Geburtenüberschuss, d.h.
es gab rund 800 Geburten mehr als Todesfälle in diesem Bundesland. Der
Amtsstatistiker Werner BRACHAT-SCHWARZ wird mit den Worten zitiert:
"Ich hätte das nicht für möglich gehalten.".
Im Gegensatz zur Welt wird
von Carola FUCHS neben der Familienpolitik auch die
Wirtschaftsentwicklung als nicht-demografische Ursache der
Geburtenentwicklung genannt.
ND/DPA (2017): Prognosen wider die Realität.
Mecklenburg-Vorpommern: Auch im
Nordosten hält das Geburtenwachstum an - die Politik ging vom
Gegenteil aus,
in:
Neues Deutschland v. 17.11.
Nicht nur auf Bundesebene,
sondern auch auf Länderebene sind die
Bevölkerungsvorausberechnungen hinsichtlich der
Geburtenentwicklung völlig überaltert. Das hat gravierende
Folgen wie Andreas WELLMANN, Geschäftsführer des Städte- und
Gemeindetags jetzt kritisiert:
"Das Problem falscher
Prognosen: Die Politiker in Land und Kommunen treffen auf
ihrer Basis Entscheidungen, wie Schließung, Erhalt oder
Neubau von Schulen und Kitas oder auch Verwaltungsreformen.
In Schwerin etwa gibt es einen Schul- und Hortplatzmangel -
plötzlich sind viel mehr Kinder da als geplant.
Wellmann wünscht sich Bevölkerungsprognosen, die mehr
mögliche Szenarien betrachten und häufiger aktualisiert
werden. »Wenn ich merke, meine Annahmen stimmen nicht und es
entwickelt sich anders, dann muss ich ran, weil davon
Planungsprozesse abhängen«, sagte er."
Im Zeitungsbericht wird auf
die 4. Bevölkerungsprognose aus dem Jahr 2008 verwiesen. Die
Zahlen entstammen dem
Statistischen Bericht vom 10. März 2009 (vgl. S.30). Wie
gestern von
single-generation.de für die Bundesebene, werden Prognose und
tatsächliche Entwicklung gegenübergestellt für
Mecklenburg-Vorpommern verglichen. Als weitere Prognose wird
die "vorerst letzte Überarbeitung" der 4. Bevölkerungsprognose
aus dem Jahr 2012 genannt, wobei nur Zahlen für Schwerin
präsentiert werden, die mit dem
Statistischen Bericht vom 21.06.2013 übereinstimmen (vgl.
S.38f.).
Die 5. Bevölkerungsprognose
ist gemäß Bericht in Arbeit, wobei neue Annahmen zur
Geburtenentwicklung geplant sind. Man sollte sich nicht zu
viel davon versprechen, denn solche Prognosen sind
ideologisch, worauf bereits der Tenor des Berichts hinweist,
wenn es heißt:
"Das Ministerium teilte
auf Anfrage mit, dass in die Überarbeitung der Prognose von
2012 auch neue Geburten-Vorhersagen aufgenommen wurden. Für
2014 traf diese neue Vorhersage fast genau zu, für 2015
lagen die Experten im Vergleich zur Realität bereits 4,2
Prozent zu niedrig, 2016 um 6,8 Prozent. Sie vermuten, dass
ein großer Teil der Entwicklung auf Flüchtlinge
zurückzuführen ist und nicht zwingend langfristig anhält.
Die Zahl der Geburten sei abhängig von der Anzahl der Frauen
im gebärfähigen Alter, erklärte eine Ministeriumssprecherin.
Diese gehe stetig zurück und werde auch in Zukunft nicht
steigen, »so dass perspektivisch absolut die Anzahl der
Geburten leicht zurückgehen wird, falls nicht wesentlich
mehr Kinder pro Frau geboren werden«."
Statistiker sollten keine
Vermutungen anstellen, sondern sich auf
empirische Daten stützen. Eine
Ministeriumssprecherin dürfte kaum die geeignete
Auskunftsperson sein.
STALA HESSEN
(2017): 2016: Höchste Geburtenzahl seit 1997.
Zahl der Geburten in Hessen steigt
im Jahr 2016 um 6,7 Prozent,
in:
Pressemitteilung des
Statistischen Landesamt Hessen v. 23.11.
"In Hessen wurden im Jahr 2016 nach
vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Landesamts rund
60.700 Kinder geboren. Das waren gut 3.800 oder 6,7 Prozent
mehr Geborene als im Jahr 2015. Somit lag die Zahl der
Geburten zum 5. Mal in Folge höher als im jeweiligen Vorjahr
und war so hoch wie seit 1997 (63.124) nicht mehr. (...).
Die regionale Entwicklung der Geburten 2016 verlief
überwiegend positiv. In den kreisfreien Städten lagen die
prozentualen Zunahmen zwischen 4,8 (Frankfurt am Main) und
10,5 (Darmstadt). In den Landkreisen reichte die Spannweite
der Zuwächse von 1,1 Prozent (Hochtaunuskreis) bis zu 14,3
Prozent (Hersfeld-Rotenburg). Nur im Schwalm-Eder-Kreis gab es
im Jahr 2016 einige wenige Geburten weniger als im Vorjahr",
meldet das Hessische Statistische Landesamt.
LOCKE, Stefan
(2017): Menetekel Sachsen.
Michael KRETSCHMER muss schaffen,
was kaum zu schaffen ist: den Abstieg der CDU verhindern,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 14.12.
Die niedergehende
Sachsen-CDU hat Michael KRETSCHMER, der im September sein
Bundestagsmandat gegen einen AfD-Mann verlor, als neuen
Ministerpräsidenten durchgesetzt.
"Jahrelang hat es die Union
versäumt, für Nachwuchs zu sorgen und Lehrkräfte anständig zu
bezahlen. Heute fehlen Tausende Lehrer. Die Verbeamtung, die der neue
Kultusminister nun fordert, ist jetzt die letzte Möglichkeit, um auf
dem heftig umkämpften Lehrermarkt überhaupt noch mithalten zu können
und das sächsische Bildungssystem zu retten",
meint Stefan LOCKE zu einem
Problem, das Sachsen mit nahezu allen Bundesländern teilt, denn
Deutschland hat den Geburtenanstieg verschlafen. Aktuell gilt die 6.
regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung für Sachsen, die am 19.
April 2016 veröffentlicht wurde. Dazu heißt es in einer
Pressemitteilung:
"Die Geburtenrate ist mit 1,57
Kindern pro Frau in Sachsen bundesweit die höchste und damit höher als
in der vorangegangenen Berechnung erwartet. Die für die Zukunft
angenommene Geburtenrate in Sachsen liegt mit 1,6 (weniger
optimistische Variante) und zeitweise 1,7 (optimistische Variante)
Kindern pro Frau noch einmal leicht darüber."
Die Annahmen werden in der
6. regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung folgendermaßen
beschrieben:
"Die Grundannahme in beiden
Varianten war ein weiterer Anstieg der Geburtenhäufigkeit ausgehend
vom Basisjahr 2014. In der unteren Variante wurden die Annahmen zur
Geburtenhäufigkeit aus der 13. koordinierte
Bevölkerungsvorausberechnung übernommen. Diese geht für Sachsen von
einem weiteren, wenn auch gedämpften, Anstieg der zusammengefassten
Geburtenrate auf knapp 1,6 Kinder je Frau bis zum Jahr 2028 aus. In
der oberen Variante wurde ein temporärer Anstieg der Geburtenrate
modelliert. Damit soll einer möglichen Veränderung der Geburtenrate
auf Grund des höheren Anteils junger Frauen in Folge erhöhter
Zuwanderung Rechnung getragen werden. Die Geburtenrate wird für den
Zeitraum 2018 bis 2020 auf 1,7 Kinder je Frau gesetzt und sinkt danach
bis 2028 wieder auf den vorausberechneten Wert der unteren Variante
(1,6 Kinder je Frau)."
(2016, S.6)
Die Entwicklung der Geburten in
Sachsen im Vergleich zur Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK)
ist aus der folgenden Tabelle ersichtlich:
Tabelle: Die
Entwicklung der Geburten in Sachsen 2009 - 2015 im
Vergleich zur
Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK) |
Jahr |
2009 |
2010 |
2011 |
2012 |
2013 |
2014 |
2015 |
Gesamtzahl |
34.093 |
35.091 |
34.423 |
34.686 |
34.800 |
35.935 |
36.466 |
1. Kinder |
17.462 |
17.757 |
17.438 |
17.226 |
17.131 |
17.701 |
17.810 |
2. Kinder |
11.584 |
12.188 |
11.853 |
12.156 |
12.274 |
12.610 |
12.837 |
3. Kinder |
3.444 |
3.510 |
3.522 |
3.687 |
3.708 |
3.862 |
3.943 |
4. Kinder |
1.002 |
1.067 |
1.014 |
1.011 |
1.103 |
1.124 |
1.205 |
5. u. w. Kinder |
601 |
569 |
596 |
606 |
584 |
638 |
671 |
Geburtenrate (TFR) |
1.437,6 |
1.492,8 |
1.475,2 |
1.484,4
1.518,3* |
1.526,7* |
1.572,3* |
1.588,4* |
KMK-Prognose |
|
33.000 |
32.800 |
32.600 |
32.300 |
32.000 |
31.700 |
Differenz |
|
+ 2.091 |
+ 1.623 |
+ 2.086 |
+ 2.500 |
+ 3.935 |
+ 4.766 |
|
Quelle:
2009: Statistisches
Jahrbuch Sachsen 2010; 2010-2012: Statistisches Jahrbuch
Sachsen
2010, 2013 und 2014; 2013-2015:
Statistisches Jahrbuch Sachsen 2017; eigene Berechnungen
Anmerkung: * Geburtenrate auf Basis des Zensus 2011 |
Die aktuelle
Vorausberechnung der Kultusministerkonferenz stammt vom Mai 2013
und leitet ihre Zahlen noch aus der 12. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes ab. Die
Berechnungen der KMK liegen für Sachsen im Zeitraum von nur 6 Jahren
um 17.000 Kindern unter den tatsächlichen Geburtenzahlen. Für das
erste Halbjahr 2016 meldet das Statistische Bundesamt 18.289
Geburten. Im Jahr 2015 waren es 16.516 Geburten (2. Halbjahr: 19.950).
Es kann also davon ausgegangen werden, dass die Differenz 2016
erheblich steigen wird (KMK-Prognose: 31.400)
Das Statistische Bundesamt geht in
ihrer im März 2017 aktualisierten 13. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung für die 5 ostdeutschen Flächenländern von
102.700 Geburten aus. Aus der nachfolgenden Übersicht ist der Stand
der Geburten für die ostdeutschen Flächenländer abzulesen. Die Zahlen
deuten darauf hin, dass die Prognose übertroffen wird. Derzeit sind
83.097 Geburten gemeldet, wobei für Sachsen das zweite Halbjahr und
für Mecklenburg-Vorpommern noch die letzten 4 Monate fehlen.
Tabelle:
Die bislang veröffentlichten Geburtenzahlen in den
ostdeutschen
Flächenländer für das Jahr 2016 (Stand: 14.12.2017) |
Bundesland |
Geburtenzahl
(vorläufig) |
Geburtenzahl
(1. Halbjahr) |
Geburtenzahl
(Jan. - Aug.) |
Geburtenzahl
(Jan. - Nov.) |
Brandenburg |
|
|
|
19.199 |
Mecklenburg-
Vorpommern |
|
|
9.042 |
|
Sachsen |
|
18.289 |
|
|
Sachsen-Anhalt |
18.093 |
|
|
|
Thüringen |
18.474 |
|
|
|
|
Quelle:
Zahlenspiegel Mecklenburg-Vorpommern September -
Dezember 2017;
eigene Berechnungen |
Fazit: Sachsen ist kein Einzelfall,
aber dort war das Spardiktat besonders ausgeprägt.
BREUER, Ingeborg
(2017): Demografische Krise war
gestern.
Viel, lange und laut wurde vor der
schrumpfenden und alternden Gesellschaft gewarnt. Doch nun steigen die
Geburtenraten wieder an, die Migration nimmt zu. Für die Rentenkasse
und das Bildungssystem ist das aber kein Grund zur Entwarnung. Im
Gegenteil: Neue Herausforderungen warten bereits,
in:
Deutschlandfunk v. 21.12.
"War nicht jahrelang vor
einer vergreisenden Gesellschaft, vor überlasteten
Rentenkassen, vor schrumpfenden Städten gewarnt und das
Ganze mit dem Attribut »unabwendbar« versehen worden? Herwig
Birg etwa, emeritierter Bevölkerungswissenschaftler an der
Uni Bielefeld, warnte im Jahr 2006: »Die Nichtgeborenen der
letzten 30 Jahren fehlen jetzt als Eltern, sie können beim
besten Willen keine Kinder haben. Folglich schrumpft die
Bevölkerung. Auch wenn die Geburtenrate nicht weiter sinkt,
muss die Bevölkerung mit mathematischer Sicherheit
schrumpfen, weiter abnehmen, denn das tut sie seit 1972.
Schrumpfung ist für mindestens fünf Jahrzehnte
unvermeidlich.«
Und jetzt? »Schrumpfen war gestern« hieß es in einer
Pressemitteilung des Instituts der deutschen Wirtschaft
Anfang dieses Jahres. Dr. Reiner Klingholz, Leiter des
Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung bestätigt
diesen Trend",
erzählt uns Ingeborg
BREUER. Die jetzige Situation ist keineswegs so verwunderlich
wie nun getan wird.
Dies liegt daran, dass der Begriff "Ungeborene" nicht
identisch ist mit dem Begriff der "potenziellen Mütter",
sondern ein ideologisches Konstrukt der nationalkonservativen
Bevölkerungswissenschaft ist. Die
IW-Köln-Pressemeldung stammt vom Februar 2017. Kurz nach
dem Statistischen Bundesamt hat die neoliberale
Lobbyorganisation eine eigene Bevölkerungsvorausberechnung
vorgestellt, in der die
Zahlen des
Statistischen Bundesamtes als zu optimistisch beschimpft
wurden. Dass nun der Verantwortliche für diese krasse
Fehleinschätzung, Philipp DESCHERMEIER, von BREUER als Experte
hofiert wird, als ob er eine Sensation verkünden würde, das
ist typisch für unsere Mainstreammedien. Auch die
letzte Bevölkerungsvorausberechnung von DESCHERMEIER vom
März 2016 hinkt der bereits realisierten Geburtenentwicklung
hinterher, wobei das IW seine Annahmen nicht ausreichend
transparent macht. Die Geburtenentwicklung wird sozusagen als
irrelevant erklärt, was sich in den nächsten Jahren als
weitere Fehleinschätzung erweisen dürfte. Jedenfalls hat
DESCHERMEIER seine Bevölkerungsvorausberechnung innerhalb von
nicht einmal einem Jahr krass revidieren müssen, was schon
alles über solche Vorausberechnungen nach Gutsherrenart
aussagt.
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