POWER, Carla (2000): The New Singles.
Increasing numbers of Northern Europeans are
choosing to live alone,
in: Newsweek v. 14.08.
Carla POWER
porträtiert alleinlebende Yuppies (neuerdings auch
"Yetties" oder "Bobos" genannt) in
Paris, London, Berlin, Stockholm und präsentiert dazu Daten aus
verschiedenen nationalen Studien.
POWER lässt Eva
SANDSTEADT den Einstellungswandel zum Alleinleben in Schweden
beschreiben:
"»The
Swedish word for someone living alone used to be ensam,
which had connotations of being lonely,«
notes Eva Sandsteadt, author of
»Living
Alone in Sweden.« »It
was conceived as a negative — dark and cold, while being together
suggested warmth and light. But then along came the idea of
singles. They were young, beautiful, strong! Now, young people
want to live alone.«"
Die zentrale These
von POWER ist, dass die New Economy seit Mitte der 1990er Jahre zu
einem neuen Individualisierungsschub geführt hat.
Singlesein ist zu einer
gewählten Lebensform geworden. Dies hat Auswirkungen auf den
Wohnungsmarkt und die Konsumindustrie sowie die
Dienstleistungsgesellschaft. Das Single-Dasein hat jedoch auch
Nachteile: Singles leben ungesünder als Verheiratete und haben
weniger Sex als Personen mit fester Beziehung. Auch das Alter
birgt Risiken.
POWER legt
in ihrem Artikel nahe, dass Singles eine homogene Gruppe sind.
Dies ist jedoch nicht der Fall.
Alleinlebende Yuppies sind
quantitativ gesehen eine vernachlässigbare Gruppe. Wenn es um
die Gesundheit geht, dann werden Verheiratete mit
Unverheirateten (hier dominieren ältere Witwen) verglichen.
2001
RENTZSCH,
Anne (2001): Schweden sorgt sich um seine
Geburtenrate.
In
dem traditionell besonders kinderfreundlichen
Land kommen immer weniger Babys zur Welt - die
Erwachsenen haben zuviel Stress,
in:
Süddeutsche
Zeitung v. 08.02.
Während im
SZ-Bericht vom 08.02. der
Geburtenrückgang als Folge von kinderfeindlichem Stress
dargestellt wird, legt dieser Artikel einen Zusammenhang
zwischen Erhöhung und Beschneidung der Sozialleistungen in
Schweden nahe:
"Als die staatlichen Leistungen
in Schweden Ende der 1980er Jahre angehoben wurden, stieg auch die
Zahl der Neugeborenen auf 14,5 pro 1.000 Einwohner. Durch
Einschnitte im Sozialsystem auf Grund der Rezession Anfang der
1990er Jahre ging die Geburtenrate wieder zurück (10:1.000)".
Der Beitrag erschien
bereits in der SZ. Siehe hierzu auch den
Kommentar zum Beitrag über Schweden in
der
Wiener
Zeitung.
taz-Thema:
Kein Nachwuchs für
Europa |
WOLFF, Reinhard (2001): Frauen werden den
Wohlstand sichern (Stockholm),
taz-Thema: Kein
Nachwuchs für Europa
in: TAZ
v. 22.03.
GAMILLSCHEG,
Hannes (2001): Ein Babygipfel gegen die
Pensionsbombe.
Schweden
präsentiert sein Modell zur Lösung der
Bevölkerungskrise: Staatliche Anreize
für die arbeitende Mutter,
in:
Frankfurter
Rundschau v. 23.03.
HAL
(2001): Hohe Steuern
Kosten der
Kindererziehung im Weltvergleich,
in: Welt
v. 20.04.
HELLSTRÖM,
Mats (2001): Deutschland hinkt hinterher.
In
Schweden sind längst 80 Prozent der Frauen
berufstätig. Denn Kinder und Alte können
außerhalb der Familie betreut werden, Ehefrauen
sind steuerlich nicht begünstigt,
in: TAZ v. 03.07.
Wenn
Familienpolitiker auf Schweden zu
sprechen kommen, dann kommen sie meist
ins Schwärmen, aber ganz so rosig sieht
es dort mit der Elternzeit auch nicht
aus:
"»Vatermonat/Muttermonat«, der
beiden Eltern zusteht, aber nicht auf den
Partner übertragbar ist. Ab dem Jahr
2002 kommt dann noch ein weiterer Monat
hinzu. Wird dieser nicht ausgenutzt,
verfällt er ganz. Allerdings ist es
schon jetzt so, dass nur 50 Prozent der
schwedischen Männer von ihrem Vatermonat
Gebrauch machen. Zudem sind es - anders,
als man in Deutschland manchmal von den
schwedischen Männern glaubt - lediglich
zehn Prozent, die ihr Recht auf
Elternzeit vollständig ausnutzen.
Auch manches schwedische Unternehmen hat
inzwischen begriffen, dass seine
Familienpolitik ein entscheidender Faktor
bei Neueinstellungen ist. So garantieren
die Firmen ihren wichtigeren
Mitarbeitern, dass sie die Differenz
zwischen dem staatlichen Elterngeld und
dem Gehalt ausgleichen, damit kein
Verlust entsteht und man die Elternmonate
wirklich genießen kann. Dennoch gibt es
leider immer noch viele Männer, die
Angst um ihre Karriere haben und auf
dieses Angebot verzichten. Daher ähnelt
die schwedische Situation dann doch der
deutschen."
2002
RIVIERE,
Helena (2002): "Ich nehme mir, was
ich brauche".
Schweden: Rundum
versorgt,
in: Rheinischer
Merkur Nr.16 v. 18.04.
Schweden
verstößt mit seinem
Wohlfahrtsstaat sowohl gegen den
Neoliberalismus als auch gegen
das "katholische"
Subsidiaritätsprinzip. Das
Hassobjekt von Helena RIVIERE ist die
"Welfaremother" -
typischerweise eine
Alleinerziehende -, die den
Sozialstaat gewissenlos
ausplündert:
"Merja
hat die sozialdemokratische
Rhetorik verinnerlicht. Hiernach
ist sie aus vier Gründen
hilfsbedürftig: Sie ist Frau,
allein erziehend, ohne gehobenen
Schulabschluss, arbeitslos."
Wohlweislich
enthält der Bericht keinerlei
Fakten über den Missbrauch.
LUCIUS, Robert von (2002): Der Mythos des Wohlfahrtsstaats vergeht.
Soziale Sicherung im Umbruch: Schweden verabschiedet die
"Volkspension",
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 03.12.
Die FAZ beginnt mit diesem Beitrag eine Reihe über
die "Reform sozialer Sicherungssysteme in ausgewählten
Industriestaaten".
2003
LUCIUS, Robert von (2003):
Große Reform in Schweden.
Umlagesystem und
eine kapitalgedeckte Prämienpension,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21.08.
Robert von LUCIUS
berichtet aus Schweden, dass dort 1999 ein grundlegend neues
Rentensystem in Kraft trat:
"Schweden nahm Abschied von der
über Steuergelder finanzieren staatlichen Volksrente in Höhe von
etwa 350 Euro und damit auch vom »Volksheim«."
Das Rentenniveau liegt gemäß
LUCIUS bei 80 Prozent des letzten Bruttolohnes, wobei dessen
Zusammensetzung unklar ist. Ein Vergleich mit Deutschland ist damit
nicht nachvollziehbar. Außerdem gibt es in Schweden einen Bruch
zwischen den Generationen:
"Für die nach 1954 geborenen
Jahrgänge, die voll und sofort in das neue System eingebunden
wurden, dürfte die Rente indes niedriger ausfallen als bisher."
LUCIUS nennt uns zwei Probleme
des schwedischen Systems: zum einen die hohen Verwaltungskosten und
zum anderen die neu eingerichteten Prämienfonds. Aufgrund des
Börsenabsturzes erlitten die Fonds einen Wertverlust von bis zu 40
Prozent. Im Gegensatz zur Riester-Reform hebt LUCIUS hervor, dass
die Prämienfonds verpflichtend seien.
2004
PRIES, Knut (2004): Von den Schweden das Kinderkriegen lernen.
Schröder liebäugelt mit einem "Elterngeld" auch für Wohlhabende /
Eichel und Schily vermissen dabei die Gerechtigkeit,
in: Frankfurter Rundschau v. 06.09.
PRIES, Knut (2004): Schweden-Hammer,
in: Frankfurter Rundschau v. 06.09.
Knut PRIES kritisiert das
geplante Elterngeld: "In dieser Logik übernimmt der Staat die
Reparatur eines Vermögensschadens, den das Kind darstellt. Das ist
nicht nur ungerecht, sondern leicht pervers. Darüber hinaus gilt:
Sicher ist, dass hohe Kosten entstehen. Ob damit die angestrebte
Wirkung erzielt wird, ist es nicht. Ein besseres Betreuungsangebot und
der Abbau des Entgeltgefälles zwischen den Geschlechtern bleiben die
überzeugenderen Rezepte."
SIMON (2004): Schweden und das Elterngeld-Modell.
Interview mit Agnes Bührig, Schwedischer Rundfunk,
in: DeutschlandRadio v. 07.09.
2005
FISCHER, Gerhard (2005): Familienbetrieb, staatlich gefördert.
SZ-Thema:
Wie ein Paar aus Stockholm von alltäglichen Erleichterungen
profitiert
in: Süddeutsche Zeitung v. 26.03.
FREUND, Wieland (2005): Schlaflieder aus Schweden.
Kommissare aus der Villa Kunterbunt: Warum skandinavische Krimis so
erfolgreich sind,
in: Welt v. 18.05.
Wieland FREUND erläutert die
Unterschiede zwischen US-Thriller und Schweden-Krimi:
"Es
ist ja kein Zufall, daß wir den Thriller aus den USA importieren und
den Krimi aus dem scheinbaren Reservat des Sozialstaats. Denn
während der Thriller den einsamen Gejagten zeigt, gesellschaftliche
Ängste in Geschichten gießt und das Happy End nur als ein
Davonkommen denken kann, hüten Krimis wie Träume den Schlaf der
Gerechten. Im Thriller wird bloß überlebt, im Krimi hingegen die
Ordnung wiederhergestellt. Versprochen wird statt heiler Haut die
heile Welt."
PERSSON, Göran (2005): Vater, Mutter, Kind.
In Schweden gibt
es eine Elternversicherung, die Männern wie Frauen die Entscheidungen
für Nachwuchs erleichtern
in: Frankfurter Rundschau v. 22.06.
Die Überschrift führt in die Irre, denn es geht beim
Elterngeld keineswegs um eine allgemeine Erleichterung der
Entscheidung für Nachwuchs, sondern einzig um
Wahlgeschenke für
die Besserverdienenden der Mitte.
PERSSON, Göran (2005): Das schwedische Projekt des Elterngeldes,
in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Juli/August
BUDE, Heinz (2005): Träume der Gefühlslinken.
Die SPD hat sich selbst nicht
begriffen,
in: Süddeutsche Zeitung v. 22.09.
Der Soziologe Heinz BUDE lobt die
Neoliberalisierung in Schweden als Vorbild: "Wie kann man die Leute
davon überzeugen, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen, obwohl
man ihnen nichts versprechen kann? Auf der anderen Seite kann man auf
Sanktionen als Mittel der Verhaltensbeeinflussung nicht verzichten.
Alle sozialdemokratischen Parteien haben sich mit dieser Wende ihrer
Programmatik schwergetan und sie mussten sie in der Regel mit der
Reduktion der Stammwählerschaft bezahlen. Aber wie vor allem die
Beispiele von Schweden und Großbritannien zeigen, muss das nicht den
Machtverlust zur Folge haben."
2006
REINECKE, Stefan (2006): "Wir können von Schweden lernen".
In Deutschland bekommen Frauen oft Kinder,
wenn sie keinen Job haben. Danach bleiben sie zu Hause. Dieses Muster
soll das Elterngeld ändern, das Karriere und Kinder fördert. Eine gute
Idee, so die Demografin Michaela Kreyenfeld,
in: TAZ v. 14.01.
Michaela
KREYENFELD, die wichtige Studien zur
Geburtenentwicklung publiziert hat, weist darauf hin, dass die
Kinderlosigkeit der Akademikerinnen überschätzt wird.
Mit Blick auf Schweden ist sie der Meinung, dass das Elterngeld die
biografischen Muster der Frauen verändert. Während in Deutschland
Frauen bei gutem Verdienst der Männer bzw. in Phasen schlechter
Karrierechancen ihre Kinder bekommen, gebären in Schweden die (teilzeitarbeitenden)
Frauen erst, wenn sie Vollzeit arbeiten. Eine Folge könnte jedoch
sein, dass sich die Wirtschaftskonjunktur in extremer Weise auf die
Geburtenrate auswirkt.
Die gegenwärtige Debatte über Familienwerte hält KREYENFELD für
kontraproduktiv.
RASCHE, Uta (2006): "Rettet wenigstens die ersten drei Jahre!"
Die schwedische Autorin Anna Wahlgren über Kinderbetreuung, Familie
und Beruf und das "schwedische Modell",
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 17.10.
BERTH, Felix (2006): Schweden.
SZ-Thema:
Der langsame Einstieg,
in: Süddeutsche Zeitung v. 28.12.
2007
ALTENBOCKUM, Jasper von (2007): Rückkehr zur Familie.
Der Blick zu den Nachbarn (II): Schweden,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 11.03.
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG-Serie: Projekt
Familie (Teil 2) Kinder, Krippen, Karriere.
SZ-Korrespondenten berichten, wie die Kinderbetreuung im Ausland
funktioniert. Die Unterschiede sind gewaltig |
GUNNAR, Herrmann (2007): Der Staat hilft.
Schweden: Jedes einjährige Kind bekommt einen Betreuungsplatz,
in: Süddeutsche Zeitung v. 16.03.
VEIL, Mechthild (2007): Es geht viel mehr um Väter als um Mütter.
Im Gespräch: Die Historikerin Wiebke Kolbe über das familien- und
gleichstellungspolitische Vorbild Schweden und die dortigen
Erfahrungen mit einer "Papaquotierung",
in: Freitag Nr.22 v. 01.06.
STRICKER, S. (2007): Deutschland liegt im Mittelfeld.
In Schweden öffnet sich die Schere zwischen Armen und Reichen
noch weiter als hierzulande,
in: TAZ v. 08.11.
2008
KLINGHOLZ,
Reiner/KRÖHNERT, Steffen/HOßMANN, Iris (2008): Die
demografische Zukunft von Europa. Wie sich die Regionen
verändern, München: Deutscher Taschenbuch Verlag
LARSSON, Petter (2008): Musterland ist abgebrannt.
In nur zwei Jahren hat Schwedens konservative Regierung den
Sozialstaat amputiert. Im Wirtschaftsabschwung wird sich zeigen, ob
diese Politik wirklich mehr Arbeit schafft,
in: TAZ v. 15.09.
KLOSTERMEIER, Anneli (2008): Bewunderinnen am Sterbebett.
Die Autorin und Übersetzerin Sara Stridsberg hat ihr Ziel erreicht:
In Schweden ist die radikale Feministin Valerie Solanas populär wie
nie zuvor,
in:
TAZ v. 13.11.
2009
BRÜNING, Franziska (2009): Ihr Kinderlein kommet zurück.
Frankreich und Schweden stellen die Ganztagsbetreuung für den
Nachwuchs in Frage,
in:
Süddeutsche Zeitung
v. 14.02.
2015
HINCK, Gunnar (2015): Schweden - Der Traum ist aus,
in: Blätter für
deutsche und internationale Politik, Februar
Gunnar HINCK beschreibt die Neoliberalisierung
Schwedens und ihre Folgen für die Parteienlandschaft. Außerdem geht er
auf das Schwedenbild in Deutschland ein:
"Die Krise des Landes gibt
Anlass das deutsche Schwedenbild kritisch zu hinterfragen. Schweden
wird seit Jahrzehnten zu einem Vorbild, gar zu einem Sehnsuchtsort
überhöht, während die immer deutlicher auftretenden Probleme und
Widersprüche ignoriert werden. Paradoxerweise stammen die
Schwedenbewunderer aus politisch völlig unterschiedlichen Lagern. Für
die Linke ist Schweden seit der Nachkriegszeit das idealtypische
sozialdemokratische Land, und auch die tiefgreifenden Veränderungen
der letzten Jahre konnten diesem Bild wenig anhaben.
Neoliberale loben das Land für die Reformen der
letzten Jahre, die den richtigen Weg aufzeigen würden." (2015,
S.24)
2016
HANNEMANN, Matthias (2016): Fast perfekte Menschen und ihre Theorie
von der Liebe.
Schwedenversteher: Henrik Berggren
und Lars Trägårdh wissen, warum sich in ihrer Heimat Individuum und
Staat gegen die Familie stellen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 12.03.
BIGALKE, Silke
(2016): Die Wohnung kündigen? Nie im Leben!
SZ-Serie Auf Wohnungssuche -
Stockholm (16): Wer in Stockholm einmal eine Unterkunft gefunden hat,
gibt sie nicht mehr her. Ist sie zu klein geworden, wird getauscht -
der Handel mit Mietverträgen boomt. Einen normalen Mietmarkt gibt es
nicht, was bleibt, ist der Kauf von Immobilien. Aber auch das läuft
anders als in anderen europäischen Städten,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 01.04.
STEUER, Helmut (2016): Babys für alle.
In Schweden dürfen sich jetzt auch
Singles künstlich befruchten lassen. Die Kosten trägt die Kasse. Die
Nachfrage ist groß - nur die Spender fehlen,
in:
Welt v. 06.04.
Helmut STEUER berichtet über ein am 1.
April in Schweden in Kraft getretenes Gesetz, das nicht nur Paaren,
sondern nun auch alleinstehenden Frauen die künstliche Befruchtung
ermöglicht. Bis zu sechs Versuche werden von der Krankenkasse
bezahlt.
ARVIDSSON, Bengt
(2016): Schweden verschärft Asylgesetz.
Land verabschiedet sich von
bislang großzügigsten Regeln in Europa,
in:
Neues Deutschland v. 22.06.
STEINFELD, Thomas (2016): Der hilflose
Anti-Populismus.
Die
rechtspopulistische Bewegungen stehen den bürgerlichen Parteien näher,
als dies zugeben mögen,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 11.07.
Thomas STEINFELD beschäftigt sich mit dem
erfolglosen Umgang der Regierenden in Schweden mit den
Schwedendemokraten, der in Gesetzen mündet, die genauso gut von den
Populisten selber hätten stammen können.
Die Erklärungen von STEINFELD
sind eher dürftig, denn es fehlt ein Bezug zu nationalkoservativer
Bevölkerungspolitik, die in erster Linie eine qualitative ist.
Während bei uns das Elterngeld, das Kinder von Akademikern höher
bewertet als von Nicht-Akademikern (wird in Mainstreamzeitungen
höchstens von der Welt offen hervorgehoben), erst 2007 in
Kraft trat, gilt es in Schweden schon länger. Entsprechend früher
konnten sich rechtspopulistische Strömungen dort ungehindert
entfalten. Das Problem auf Asylpolitik zu beschränken - wie es von
STEINFELD und anderen Eliten getan wird - verschleiert die viel
größere Gemeinsamkeit der Befürwortung qualitativer
Bevölkerungspolitik. Thilo SARRAZINs populistische Erfolge begannen
erst mit der Einführung des Elterngeldes, das belegte, dass auch die
nicht-populistischen Eliten genauso denken wie die populistischen
Eliten. Aber Selbstkritik ist keine Tugend unserer
Mainstreamjournalisten. Rassismus ist heute nicht mehr allein eine
Frage der Ethnie, sondern der Behauptung von jedweder Minder- bzw.
Höherwertigkeit, die an askriptive Merkmale geknüpft ist.
PEZZEI, Kristina (2016): Wohnungsmangel drosselt
Schwedens Wachstum.
Start-ups wollen nach Stockholm,
dem innovativen und kreativen Pendant zu Berlich. Doch sie finden
keinen Platz zum Wohnen. Die Wirtschaft büßt wegen verpasster
Wachstumschancen jährlich Milliarden ein, trotzdem dürfte sich erst
mal nichts ändern,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 05.08.
SIBI (2016): 800 Fonds zur Auswahl.
Schweden,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 11.08.
Das schwedische System wird nicht kritisiert,
denn der Artikel stellt die kapitalgedeckte Altersvorsorge in Form
von Pensionsfonds in den Vordergrund. Außerdem wird die schwedische
Renteninformation hervorgehoben:
"Der orange Brief zeigt auch,
wie sich die steigende Lebenserwartung auf die Rente auswirkt. Er
rechnet vor, wie viel länger ein Versicherter arbeiten muss, um
dieselbe Summe zu erhalten wie bei einer Rente mit 65 ohne
steigende Lebenserwartung. Ein Beispiel: Wer 1983 geboren wurde,
müsste demnach bis 69 Jahre einzahlen."
Das muss man vor dem Hintergrund
der derzeitigen Rentendebatte als Wink mit dem Zaunpfahl verstehen.
STEUER, Helmut (2016): Rendite fernab von Anleihen.
Staatsfonds: Ein junger Fonds
managt Alterskapital für diejenigen Schweden, die ihr
Vorsorge-Wahlrecht nicht nutzen,
in:
Handelsblatt v. 26.10.
"Der AP7-Fonds. Der Name steht für »Sjunde Allmänna Pensionsfonden«,
siebter allgemeinen Pensionsfonds. Dass der Fonds auch in der breiten
Öffentlichkeit bekannt ist, liegt am schwedischen Pensionssystem. 16
Prozent des Bruttogehalts werden in die umlagefinanzeirte Rente
eingezahlt. Weitere 2,5 Prozent aus dem Brutto fließen in
kapitalgedeckte Altersvorsorge, die sogenannte Prämienrente.
Wohin das Geld fließt, entscheidet jeder Arbeitnehmer selbst. Ihm
stehen dabei rund 850 verschiedene Fonds zur Verfügung. Obwohl
Schweden eine lange Aktien- und Fondstradition hat, haben viele
Arbeitnehmer aus Desinteresse oder Unkenntnis keinen Fonds gewählt.
Für diesen Fall hat der Gesetzgeber den AP7-Fonds eingereichtet.
(...).
Der Staatsfonds verwaltet derzeit umgerechnet rund 31 Milliarden
Euro",
berichtet uns Helmut STEUER über
den schwedischen Pensionsfonds.
Das Handelsblatt würde darüber sicher nicht ausführlich
berichten, würde der Pensionsfonds negative Schlagzeilen machen. Da
der Pensionsfonds nicht auf Anleihen setzt, eignet er sich optimal für
Propaganda-Zwecke, denn Anleihen sind gerade in Misskredit geraten.
Erst ganz am Ende wird darauf hingewiesen, dass der Pensionsfonds hohe
Risiken eingeht.
HERMANN, Rudolf (2016): Schwedens lukrativer Wohlfahrtssektor weckt Argwohn.
Kontroverse Pläne der rot-grünen
Minderheitsregierung, um die Gewinne privater Anbieter zu deckeln,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 07.12.
Rudolf HERMANN berichtet über das seit langem neoliberalisierte
Schweden. Dort sind private Anbieter bereits vor 20 Jahren in den
Erziehungs- und Wohlfahrtssektor eingedrungen.
2017
HERMANN, Rudolf (2017):
Schwedens Arbeiterherz schlägt in Göteborg.
Die Industriemetropole steht im
Schatten der Hauptstadt Stockholm - dabei hat sie ihren eigenen
Charme,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 13.03.
"Göteborg
atmet klassische Schwerindustrie, im Gegensatz zur Hauptstadt mit
ihrem Hightech-Fimmel, und ist die klare Nummer zwei hinter
Stockholm. (...).
Die Stadt wirkt solide, aber auch unaufgeregt - ein bisschen wie
Zürich (...). Göteborgs Prachtstrasse Kungsportsavenjen macht
sogar mitten an einem Werktag einen fast beschaulichen Eindruck",
beschreibt
Rudolf HERMANN den Gegensatz von Stockholm und Göteborg, die als
"Gravitationszentrum der Westküsten-Region" vermarktet wird. HERMANN
streicht die Bedeutung des Hafens und des Konzerns Volvo für
Göteborg heraus. Der Stadtteil Majorna, ein einstiges
Arbeiterviertel wird uns als kommendes Trendviertel mit (noch)
lokaler Szene angepriesen.
HERMANN, Rudolf (2017):
Die Hauptstädter und die anderen.
Übermächtige Kapitalen schaffen in
Nordeuropa eine Zweiklassengesellschaft besonderer Art,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 13.03.
Rudolf HERMANN stellt für Skandinavien jeweils
die größte und zweitgrößte Stadt gegenüber, um das Gefälle zu
verdeutlichen:
Land |
Größte Stadt |
Zweitgrößte Stadt |
Schweden |
Stockholm (ca. 2,2
Mill. Einw.) |
Göteborg (ca. 1 Mill.
Einw.) |
Dänemark |
Kopenhagen (ca. 2 Mill.
Einw. |
Arhus (500/800.000
Einw.) |
Norwegen |
Oslo (ca. 1,5 Mill.
Einw.) |
Bergen (ca. 300.000
Einw.) |
Finnland |
Helsinki (ca. 1,5 Mill.
Einw.) |
Tampere (ca. 300.000
Einw.) |
In den baltischen Staaten sei das
Gefälle sogar noch größer.
HERMANN, Rudolf (2017):
Zorn in Schwedens hohem Norden.
Urbanisierung und Modernisierung
vergrössern das ohnehin markante Stadt-Land-Gefälle,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 19.04.
In Deutschland wütet Reiner KLINGHOLZ und sein Privatinstitut gegen
Dörfer, die weniger als 500 Einwohner bzw. eine Dichte von 150
Einwohner pro Quadratkilometer haben (vgl. "Die Zukunft der Dörfer",
2011). Was würde KLINGHOLZ wohl
angesichts der Dimensionen in Schweden sagen?
"Norrbotten
(...) nimmt mit 105.000 Quadratkilometern fast ein Viertel der
schwedischen Gesamtfläche ein, bringt es aber bloss auf rund
250.000 Einwohner. Von den 14 Grossgemeinden, in die sich die
Region gliedert, ist die nördlichste,
Kiruna, flächenmässig so gross wie die halbe Schweiz. Und in
Arjeplog, einer Gemeinde an der Grenze zu Norwegen, erfasst man
die Bevölkerungsdichte nicht in Personen pro Quadratkilometer,
sondern zählt, wie viele Quadratkilometer auf jeden der knapp
3.000 registierten Einwohner entfallen - es sind mehr als vier",
berichtet Rudolf HERMANN über die
Dimensionen des ländlichen Raums in Schweden. Die deutsche Debatte
um die Zukunft der Dörfer scheint angesichts der Verhältnisse in
Schweden eine Luxusdebatte zu sein.
Rudolf HERMANN beschreibt jedoch
nur die Sorgen jener ländlichen Gemeinden abseits der großen
Ballungsräume Stockholm, Göteborg und Malmö/Lund, die noch relativ
gut dastehen. Innerhalb der Grossgemeinden gibt es genauso wie in
Deutschland Differenzen zwischen Hauptort und kleineren
Ansiedlungen. So schreibt HERMANN über die Gemeinde
Arvidsjaur:
"(V)on den rund 6.500
Einwohnern der Grossgemeinde (wohnen) zwei Drittel im Städtchen
selbst, schon in den zwei nächstgrösseren Siedlungen auf
Gemeindegebiet jedoch nur noch rund je 250. Das Gemeindegebiet ist
dabei mit etwas über 6.000 Quadratkilometern Fläche mehr als
dreimal so gross wie der Kanton Zürich."
In Deutschland entspricht das in
etwa dem Landkreis
Mecklenburgische Seenplatte, dem flächenmäßig größten Kreis in
Deutschland, der größer ist als das Bundesland Saarland, aber rund
40 mal so viele Einwohner hat als die schwedische Großgemeinde.
THELEN, Peter (2017): Vorbild schwedischer Staatsfonds.
Private Alterssicherung:
Verbraucherschützer fordern für die Altersvorsorge einen Staatsfonds
wie in Schweden. Die Skandinavier sind von den hohen Kosten auf dem
deutschen Vorsorgemarkt weit entfernt,
in:
Handelsblatt v. 11.07.
Während in Deutschland 4 % des
Gehalts in die private Altersvorsorge gesteckt werden sollen, um den
Lebensstandard zu halten, sind es in Schweden nur 2,5 Prozent:
"In Schweden liegt der
Rentenbeitrag mit 18,5 Prozent ähnlich hoch wie hierzulande mit
18,7 Prozent. Nur dass 2,5 Prozent davon nicht in die
umlagefinanzierte Rente fließen, die auch in Schweden Basis der
Altersversorgung ist, sondern in die sogenannte Premium.-Rente.
Die kapitalbasierte Zusatzrente ist also in Schweden anders als in
Deutschland obligatorisch. Staatliche Zuschüsse gibt es dagegen
nicht. (...).
Wer nicht wählt, landet automatisch im Staatsfonds AP 7. »Anfangs
entschieden sich zwei Drittel für eines der privaten Angebote.
Inzwischen fast alle für AP 7.« (...). Die Durchschnittsrendite im
vergangenen Jahr lag bei 7,1 Prozent. Die Gebühren lieben derzeit
bei konkurrenzlosen 0,11 Prozent",
erklärt uns Peter THELEN. Anlass
ist die Forderung der Verbraucherschützer auch in Deutschland einen
Staatsfonds einzuführen. Ausgeblendet wird bei dieser Vorstellung
der schwedischen Altersvorsorge, dass das System der Alterssicherung
in Schweden anders funktioniert als hierzulande. Neoliberale picken
sich gerne immer nur Aspekte aus den Alterssicherungssysteme anderer
Länder heraus, obwohl historisch-gewachsene Systeme ohne Betrachtung
des sozialpolitischen Umfeldes überhaupt nicht angemessen
miteinander verglichen werden können. Was in Schweden funktioniert,
das muss in Deutschland noch lange nicht funktionieren.
HERMANN, Rudolf (2017): Das "nordische Modell"
fällt aus der Zeit.
Die baltischen Staaten wollen von
ihrer osteuropäischen Vergangenheit wegkommen und als nordeuropäisch
wahrgenommen werden. Doch das skandinavische Vorbild ist selbst
reparaturbedürftig,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 11.08.
Rudolf HERMANN
betrachtet durch die neoliberale Brille den schwedischen
Sozialstaat, den er mit dem "nordischen Modell" gleichsetzt. Das
neoliberale Schweden ist HERMANN nicht neoliberal genug:
"Der nordische
Wohlfahrtsstaat bietet den Bürgern eine breite Palette an
Dienstleistungen, die Entfaltung in Arbeit, Freizeit und
Familienleben ermöglichen. Weil das alles aber viel Geld kostet,
ist es nötig, dass so viele Bürger wie möglich arbeiten und über
die relativ hohen Steuern, die sie auf ihrem Einkommen bezahlen,
die Dienstleistungs- und Umverteilungsmaschine am Laufen
halten".
Diese Beschreibung hat mit dem
traditionellen Sozialstaat schon nichts mehr zu tun, sondern ist
die neoliberale Variante, denn traditionell zeichnete sich der
nordische Sozialstaat gerade durch Kommodifizierung und nicht
durch Dekommodifizierung aus. Die Abhängigkeit vom Arbeitsmarkt
sollte durch das nordische Wohlfahrtsmodell reduziert werden. Mit
der Neoliberalisierung dagegen wurde die Dekommodifizierung
durchgesetzt, d.h. die Sozialleistungen wurden so drastisch
gekürzt, dass ein Zwang zum Arbeiten wie hierzulande durch die
Hartz-Gesetzgebung erfolgte.
Die in Deutschland erst spät
angegangene Vereinbarkeit von Beruf und Familie wurde in Schweden
bereits weit früher angegangen. Nichts davon ist bei HERMANN zu
lesen. HERMANN geht es lediglich darum, dass die Vielfalt
nationaler Regulierungen durch die Einfalt neoliberale Regime
ersetzt wird. In diesem Sinne wird der Abbau von
Arbeitnehmerrechten als Liberalisierung gelobt. Der flexible
Kapitalismus erscheint in dieser Sicht als alternativlos und der
Sozialstaat als Hemmschuh, der "marktkonform" zurechtgestutzt
werden muss. Wird aus nationalkonservativer Sicht der Migrant zur
Bedrohung des Sozialstaat, so ist er in neoliberale Sicht ein
Objekt, das lediglich der Arbeitsmarktintegration harrt.
Humanitäre Gründe sind dem Neoliberalen zuwider: Migration ist in
dieser Sicht auf die Arbeitsmarktkonformität zu reduzieren.
Neoliberalismus und
Nationalkonservatismus sind in ihrer Darstellung der Bedrohung
identisch, lediglich die Ziele sind andere. So stellt HERRMANN das
Problem so dar wie das auch die deutsche AfD tun würde:
"Zwar liegt die allgemeine
Quote unter dem EU-Durchschnitt von 8 Prozent. Doch während
derzeit bei den im Land Geborenen nur 4 von 100 eine Stelle
suchen, sind des 22 Prozent bei der Bevölkerung mit
Migrationshintergrund."
Während Neoliberale daraus den
Schluss ziehen, dass die Schutzrechte der einheimischen
Bevölkerung massiv eingeschränkt werden müssen, sind die Wähler
der Rechtpopulisten der irrigen Meinung, dass Protektionismus die
Lösung sei. Die deutsche AfD jedoch verbindet Neoliberalismus mit
Nationalkonservatismus. Die Widersprüche dieser ideologischen
Symbiose werden einfach ausgeblendet.
Der Neoliberalismus predigt
Vielfalt und setzt ideologisch auf das Gegenteil: Einfalt!
Freizügigkeit und Marktkonformität heißt auf der individuellen
Seite nichts anderes als Austauschbarkeit. Der Neoliberalismus
kennt deshalb nur Mentalitätsprobleme oder wie es bei ihm heißt:
Jeder ist seines (Un-)glücks Schmied.
STOCKER, Frank (2017): Schweden
boomt und wandelt zugleich am Abgrund.
Die Wirtschaft in dem
skandinavischen Land wächst so schnell wie in kaum einem anderen
Land. Doch die Gründe dafür bergen auch Risiken. Die Nagelproben
könnte schon bald anstehen,
in:
Welt v. 30.08.
FREUDENBERG, Christoph (2017): Staatliche Fonds und Alterssicherung.
Erfahrungen anderer Länder,
in:
Deutsche Rentenversicherung,
Heft 3, September
Anlässlich der 2015 begonnenen
Debatte um die Deutschlandrente befasst sich Christoph FREUDENBERG
mit Staatsfonds, wobei die Probleme bereits mit der Definition
beginnen:
"Was macht einen Staatsfonds aus?
Lange Zeit war unklar, wie der Begriff Staatsfonds abgegrenzt werden
kann. Erst im Jahr 2008 einigte sich die Internationale
Arbeitsgruppe für Staatsfonds (IWG) auf eine grobe Definition. So
spricht sie von Staatsfonds (engl. sovereign wealth funds), wenn
diese staatlich initiiert sind, dem Vermögen des Staates zugeordnet
werden können und eine makroökonomische Zielsetzung verfolgen. Laut
der Definition des IWG speisen sich Staatsfonds aus
unterschiedlichen Quellen, wie beispielsweise Einnahmen aus
Privatisierungen und Rohstoffesporten sowie aus fiskalischen
Überschüssen. Sozialversicherungsbeiträge lässt die IWG dabei
unerwähnt. Mindestens ein Teil des Vermögens von Staatsfonds sollte
im Ausland angelegt werden." (S.293)
Gemäß FREUDENBERG hat die
Mehrheit der Staatsfonds keinen Rentenbezug, sondern sind allgemeine
Staatsfonds. Rentenreservefonds sind für ihn Ausnahmen, deren Ziel
er folgendermaßen beschreibt:
"Ziel dieser Fonds ist es,
künftig anfallende Kosten staatlicher umlagefinanzierter
Rentensysteme - beispielsweise bedingt durch den demografischen
Wandel - durch das Aufbauen eines Staatsfonds (teil-)abzudecken."
(S.293).
Bei diesen Rentenreservefonds
unterscheidet FREUDENBERG wiederum zwei Arten: zum einen
Sozioalversicherungsreservefonds (social security reserve funds,
abgekürzt: SVRF) und staatliche Rentenreservefonds (sovereign
pension reserve funds, abgekürzt: SRRF).
Beispielhaft für SVRFs nennt
FREUDENBERG die Nachhaltigkeitsrücklage der gesetzlichen
Rentenversicherung in Deutschland. Diese aber sind keine Staatsfonds
im Sinne des IWG. Der zweite Typus ist in Deutschland durch die
Beamtenversorgungs-Rücklagen des Bundes und der Länder
repräsentiert. Dieser ist ein originärer Staatsfonds.
Den norwegischen Government
Pension Fund Global führt FREUDENBERG unter allgemeine Staatsfonds,
da er nur "Züge eines Rentenreservefonds trägt". Solche
allgemeine Staatsfonds finden sich gemäß FREUDENBERG vorwiegend in
rohstoffreichen Ländern.
Zu den Rentenreservefonds zählt
der Autor den norwegischen Government Pensions Fund Norway, die
deutsche Nachhaltigkeitsrücklage und die Versorgungsrücklagen des
Bundes.
"Insbesondere um die
Jahrtausendwende haben viele Staaten - wie unsere Nachbarländer
Belgien und Polen - staatliche Rentenreservefonds aufgelegt mit dem
Ziel, die künftigen Kosten der sich abzeichnenden demografischen
Alterung abzufedern" (S.294),
erklärt FREUDENBERG dazu. Eine
weitere Kategorie sind staatliche Rentenanlagefonds, zu denen der
AP7 in Schweden und der NEST in Großbritannien gezählt wird.
Ausführlich befasst sich
FREUDENBERG mit dem norwegischen Pensionsfonds, der zwei separate
Fonds umfasst. In der deutschen Debatte geht es insbesondere um den
allgemeinen Staatsfonds statt um den wesentlich kleineren
staatlichen Rentenfonds Norwegen. Der schwedische AP7 wird von
FREUDENBERG als mögliches Referenzmodell gesehen. Der dänische ATP
wird als staatliche reguliertes Sozialpartnermodell des Typs
Rentenanlagefonds beschrieben. Die Anlagestrategie des schwedischen
AP7 gilt FREUDENBERG als wesentlich riskanter als der dänische ATP.
Fazit: In der deutschen Debatte
werden die Risiken des schwedischen AP7 ausgeblendet. Zudem
bezweifelt FREUDENBERG die Übertragbarkeit der drei Fondsmodelle in
Norwegen,
Dänemark und
Schweden auf deutsche Verhältnisse.
ANDERSON,
Karen M. (2017): Anpassung der Alterssicherungssysteme an das
veränderte Marktumfeld.
Ein internationaler Vergleich am
Beispiel der Staaten Schweden, Niederland und Dänemark,
in:
Deutsche Rentenversicherung,
Heft 4, Dezember
Karen M. ANDERSON sieht den
Beginn der Neoliberalisierungsoffensive der Alterssicherung durch
die Propagierung kapitalgedeckter Altersvorsorge als Lösung des
Demografieproblems im Jahr 1994:
"Seit der Publikation der
Weltbankstudie Averting the Old Age Crisis 1994 werden
Mehrsäulen-Alterssicherungssysteme als effektive beziehungsweise
bessere Alternative zu Systemen (wie bis 2001 in Deutschland), in
denen eine beitragsfinanzierte, einkommensbezogene gesetzliche Rente
den Lebensstandard sichern soll (World Bank 1994), empfohlen. (...).
Die Logik der Weltbankexperten scheint überzeugend: In
Mehrsäulensystemen sind Risiken diversifizierter (...). Die
langfristigen Durchschnittsrenditen auf den Kapitalmärkten sind
potenziell höher als das nationale Wirtschaftswachstum. Diese
Mischung, bestehend aus mehreren Säulen, vermeidet laut
Weltbankexperten unhaltbare Versprechen, die folgen, wenn sinkende
Geburtenraten dazu führen, dass immer mehr Rentenbezieher von immer
weniger erwerbstätigen Beitragszahlern finanziert werden müssen."
(S.440f.)
Länder wie die
Niederlande,
Dänemark und
Schweden gelten ANDERSON als Vorreiter des Mehrsäulensystems. Doch
die Länder zeigen auch, dass es mit der Überlegenheit der
kapitalgedeckten Altersvorsorge nicht weit her ist:
"In den Niederlanden wurden
kapitalgedeckte defined benefit-Rentenpläne durch niedrige Zinsen
und Schwankungen an den Finanzmärkten erheblich unter Druck gesetzt.
Die Politik hat mit Anpassungen des Aufsichtsgesetzes reagiert, aber
Arbeitnehmer und Pensionsbezieher haben Verluste hinnehmen müssen.
Die schwedischen und dänischen Betriebsrentensysteme konnten die
Veränderungen an den Märkten besser bewältigen, jedoch nicht ohne
Verluste für viele Arbeitnehmer und Rentebezieher."
In Deutschland gilt insbesondere
Schweden als Land, in dem für Rentner Milch und Honig fließt. Fast
kein Tag vergeht, an dem in der Mainstreampresse nicht die Vorzüge
dieser Form der Alterssicherung gepriesen werden.
ANDERSON ordnet die Niederlande,
Dänemark und Schweden als Länder der "kollektiv organisierten
Marktwirtschaften" im Gegensatz zu den "liberalen Marktwirtschaften"
wie Großbritannien oder die USA, d.h. die Sozialpartnerschaft ist
sehr weit verbreitet, was Branchenlösungen per Tarifvertrag bei der
betrieblichen Altersvorsorge ermöglicht. ANDERSON unterscheidet zwei
Modelle der Alterssicherung: Das Bismarck-Modell und das
Beveridge-Modell mit steuerfinanzierter Grundrente und
obligatorischer betrieblicher Alterssicherung. Aber auch dieses
Modell ist unterschiedlich ausgestaltet:
"In der staatlichen Säule in den
Niederlanden und in Dänemark sind die steuerfinanzierten Grundrenten
hoch genug, um Altersarmut sehr niedrig zu halten. Die staatliche
Rente in Schweden ist etwas anders organisiert. Seit einer
umfassenden Reform Ende der 90er-Jahre besteht die erste Säule aus
einer notional defined contribution Einkommensrente (inkomstpenssion)
und einer defined contribution Prämienpension (premiepension).
(...). 2012 betrug die Armutsquote in den drei Ländern 2,0 Prozent
(Niederlande), 9,3 Prozent (Schweden) und 4,5 Prozent (Dänemark).
Der OECD-Durchschnitt betrug 12,6 Prozent". (S.442)
Die Zahlen zur Altersarmut
stammen aus dem OECD-Bericht
Pensions at a Glance 2015. Auf Seite 171 befindet sich die
Tabelle 8.3. Die Zahlen, die ANDERSON zitiert, beziehen sich auf die
65-Jährigen und Älteren. Deutschlands Altersarmut wird mit 9,4
Prozent angegeben und liegt damit nur minimal höher als im
hochgelobten Schweden. Bei der betrieblichen Altersvorsorge
unterscheidet ANDERSON zwei Typen:
"Die erste Möglichkeit ist ein
Pensionsfonds und die zweite Möglichkeit ist eine
Lebensversicherung. Lebensversicherungen sind seit langem unter
anderem durch EU-Richtlinien reguliert. Die Regulierung von
Pensionsfonds hingegen ist eine nationale Angelegenheit." (S.444).
Hinsichtlich der Unterschiede bei
der Kapitaldeckung wird als Maßstab der Pensionsanlagen im Vergleich
zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) genommen:
"Dänemark hat Pensionsanlage in
Höhe von fast 200 Prozent des BIP, die Niederlande mehr als 150
Prozent, Schweden rund 65 Prozent. Deutschland hat etwa 10 Prozent."
(S.445)
Die Unterschiede kommen durch die
verzerrte Darstellung der betrieblichen Altersvorsorge zustande,
denn sie beziehen sich nur auf die stärker dem Kapitalmarkt
ausgelieferten Pensionsfonds, während das deutsche System vorwiegend
auf stärker regulierten Anlageformen basiert.
In den Niederlanden sind z.B.
Direktzusagen verboten (vgl. S.445), während in Deutschland
Direktzusagen noch einen großen Teil der betrieblichen
Alterssicherung ausmachen. In den Niederlanden werden 1,21 Billionen
Euro von den Pensionsfonds verwaltet (vgl. S.446).
In Schweden wurde die
betriebliche Alterssicherung im Jahr 1998 neoliberalisiert und von
leistungs- auf beitragsbezogene Formen der Altersvorsorge
umgestellt. In Deutschland wird diese Umstellung mit dem im letzten
Jahr verabschiedeten Betriebsrentenstärkungsgesetz vorangetrieben.
"Wie in Schweden, aber anders als
in den Niederlanden, sind die meisten Pensionspläne als
Lebensversicherungsprodukte organisiert. Zwei der größten
Pensionseinrichtungen sind PensionDanmark, 1993 gegründet, und
Industriens Pension, 1992 gegründet. (...). PensionDanmark hat
700.000 Teilnehmer und verwaltet ein Pensionskapital von 30,2
Milliarden EUR. Bei Industriens Pension sind 400.000 Teilnehmer in
8.000 Betrieben versichert und dort wird ein Pensionskapital von
16,8 Milliarden EUR verwaltet" (S.447),
erklärt ANDERSON zum dänischen
System der betrieblichen Altersvorsorge.
Auf den Seiten 449 bis 451 werden
die gravierenden Probleme der Pensionsfonds in den Niederlanden
beschrieben, auf die mit Reformen reagiert wurde und wird. Inwiefern
diese Reformen die Probleme beseitigen können, darüber werden wir
wohl erst in einigen Jahren genaueres erfahren.
Im Gegensatz zu den üblichen
Lobpreisungen kapitalgedeckter Altersvorsorge, zeigt der Artikel
auch die Schattenseiten des Systems, obgleich deren Ausmaß nicht
wirklich deutlich wird. Maßstab für die Beurteilung ist lediglich,
ob ein System politische Konflikte erzeugt oder nicht. Da das
dänische System relativ neu ist, zeigen sich noch keine politischen
Konflikte. Dies als positiv zu bewerten, wäre jedoch kurzsichtig.
Letztendlich gehört ANDERSON ebenfalls zu den Verfechtern von
Mehrsäulensystemen. Eines jedoch ist klar: Die Politik reagiert auf
die Probleme der kapitalgedeckten Altersvorsorge mit der
Verschiebung der Risiken von den Anbietern auf die Arbeitnehmer.
Welche Folgen diese Auslieferung der Alterssicherung an die
Kapitalmärkte hat, das wird erst dann wirklich deutlich werden, wenn
sich die Versprechungen neoliberaler Politik als unhaltbar erweisen.
2018
HERMANN, Rudolf (2018):
Schwedens zerplatzter Integrations-Traum.
In den Problemquartieren in und
um die Grossstädte ringt die Staatsmacht um Kontrolle,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 06.03.
Rudolf HERMANNs Artikel muss als Wahlkampfberichterstattung
eingeordnet werden.
Im September wird der Reichstag in Schweden neu gewählt und wie
in allen EU-Staaten gewinnen auch im neoliberalisierten Schweden die
Rechtspopulisten Zulauf. HERMANN berichtet über Problemviertel in
den schwedischen Großstädten.
HERMANN, Rudolf (2018):
Kein einfaches Land für Zuwanderer.
Schweden erweist sich für viele
Immigranten gesellschaftlich als fremder, als es auf den ersten
Blick scheint,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 06.03.
Rudolf HERMANN zitiert nicht-repräsentative Internetumfragen und
eine Werte-Studie, mit der die schwedische Einstellung als Problem
beschrieben wird, weil in Schweden Selbstverwirklichung statt
Existenzsicherung bzw. Säkularisierung statt Religiosität dominiert.
Diese Werteforschung des
World
Values Survey steht in der Tradition von Ronald INGLEHART und
ist Ausdruck des Selbstbildes urbaner Eliten. Man könnte auch von
Kosmpolitismus oder Postmaterialismus sprechen. Diese Einstellungen
sind inzwischen auch in Deutschland durch den Rechtsruck - nicht nur
der AfD - zunehmend in Misskredit geraten.
WILKE, Felicitas (2018): Der Staat als Fondsmanager.
Was ein Vorsorgemodell wie in
Schweden bedeuten würde,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 05.04.
HERMANN, Rudolf (2018):
An Schwedens Schulen wächst die Kluft.
Jugendliche in
Immigranten-Vorstädten werden zunehmend abgehängt,
in:
Neue Zürcher Zeitung v.
25.06.
"Bergsjön,
eine östliche Vorstadt von Göteborg, Schwedens Metropole an der
Westküste. Schon die Fahrt im Tram dorthin lässt den Charakter des
Quartiers erahnen: Ungefähr 70 bis 80 Prozent der Fahrgäste haben
Migrationshintergrund. Tatsächlich zählt Bergsjörn, eine
Satellitenstadt aus zahlreichen Mietskasernen acht Kilometer vom
Stadtzentrum entfernt, zu den rund zwei
Dutzend Wohnvierteln in Schweden, die von der Polizei als »sozial
stark exponiert« klassifiziert sind. (...). Auch in einem
anderen Zusammenhang tauchte Bergsjön unlängst in den Medien auf.
Bergsjöskolan, eine der öffentlichen Grundschulen, lag mit einem
Wert von 69,8 Prozent an der Spitze einer nationalen Statistik, die
untersucht hatte, wie viele 15-Jährige die Grundschule nach der
obligatorischen Schulzeit ohne ein gültiges Abgangszeugnis
verlassen. (...).
Ähnlich düster wie in Bergsjön sieht es auch in den übrigen
Göteborger Vorstädten aus, die als »sozial exponiert« gelten. (...).
Im allgemeinen Trend hat sich die Situation in den letzten fünf
Jahren verschlechtert (...) Für Anders Trumberg, einen
Erziehungswissenschaftler der Universität Örebro mit Spezialgebiet
Schulwahl und Segregation, steuert Schweden bei der
Chancengleichheit im Erziehungswesen auf einen Tiefpunkt zu",
erklärt uns Rudolf HERMANN in
Zeiten des schwedischen Wahlkampfes, dessen Themen von den
Rechtspopulisten gesetzt werden:
"Das Grundproblem der
Ungleichheit im Schulbereich liegt (...) in der über Jahrzehnte
gewachsenen Herausbildung spezifischer Immigranten-Vorstädte. Es ist
eine Segregation, die (...) sich (...) allzu lang ungehindert
aufbauen konnte. Manne Gerell, ein Kriminologe der Universität
Malmö, sieht in der sozialen Struktur solcher Vorstädte, dem
vorgezeichneten schlechten Lernerfolg der Jugend und ihrem häufigen
Abgleiten in die Kriminalität einen Teufelskreis".
WIETERSHEIM, Stefanie von
(2018): Stadtinsel der Seligen.
Wohnen in Stockholm: Auf eine
Mietwohnung in Södermalm wartet man mehr als zwanzig Jahre.
Glücklich, wer schon da ist und vor dem Frühstück schwimmen und nach
der Arbeit Boot fahren kann,
in:
Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung
v. 15.07.
HERMANN, Rudolf (2018): Hat Schweden bei den Pensionen das Ei des
Kolumbus gefunden?
Das sich automatisch selbst
stabilisierende Rentensystem des nordischen Staats leuchtet helle -
aber vor allem im Ausland,
in:
Neue Zürcher Zeitung v.
14.09.
Durch die neoliberale Brille des Auslands
gesehen, erscheint Schwedens Rentensystem als vorbildlich. Die einen
klauben sich daraus die Kopplung des Lebensalters an die
Lebenserwartung, die anderen setzen auf einen Staatsfonds nach
schwedischem Vorbild. Dass beide Aspekte nur einen kleinen Teil des
real existierenden schwedischen Rentensystems ausmachen, bleibt bei
dieser "Rosinenpickerei" ausgeblendet.
Rudolf HERMANN beschreibt das
schwedische Rentensystem aus Schweizer Perspektive, was einem
deutschen Leser den Horizont erweitern kann, weil plötzlich andere
Vor- und Nachteile des Systems in den Mittelpunkt gerückt wird,
abhängig vom Referenz-System.
Ole SETTERGREN wird uns als
Architekt des neoliberalisierten Rentensystems vorgestellt, das 1998
in Kraft trat und 2010 aufgrund seines Automatismus in die Kritik
geriet. Wie in Deutschland galt in Schweden die Finanzstabilität
nach der Reform als wichtiger als die Lebensstandardsicherung:
"Die Pensionsreform (...)
enthielt einen Mechanismus, der bei einem negativ vom
Grundszenario abweichenden Wirtschaftsgang die ausbezhalten Renten
automatisch kürzte.
(...).
Der Schock kam 2010, im Nachgang der globalen Subprime- und
europäischen Schuldenkrise, als der Stabilisierungsmechanismus
erstmals zur Anwendung kam. Zwar reagierte die Regierung umgehend
mit einer Änderung der Besteuerung von Renteneinkommen. Doch die
Erfahrung, dass Pensionen nicht mehr unantastbar waren, traf die
Bevölkerung laut Thore tief."
Schweden gilt Elitenfeministinnen
als gelobtes Land der Geschlechtergleichheit, die schwedische
Realität sieht anders aus. Auch in Schweden sind besonders die
Frauen von Altersarmut betroffen. Das hat zwei Gründe: zum einen die
höhere Lebenserwartung von Frauen und zum anderen das politische
Modell der Zwei-Karriere-Familie, die von Elitenfeministinnen auch
für Deutschland angestrebt wird. Die Individualisierung des
Rentensystems, wie dies auch genannt wird, soll auch in Deutschland
durchgesetzt werden. Frauen, die sich nach den Tod des Ehemanns, als
Alleinlebende im Rentenalter durchschlagen müssen, trifft das
schwedische System über den Kopplungsmechanismus und das Modell der
Zwei-Karriere-Familie doppelt hart.
Fazit: Der Artikel ist allen
jenen zu empfehlen, die immer noch der Meinung sind, dass das
neoliberalisierte Schweden ein Vorbild für einen funktionierenden
Wohlfahrtsstaat sei! Er ist eher ein Beispiel für das Grundproblem
sozialdemokratischer Politik in Zeiten der Demografisierung
gesellschaftlicher Probleme. Dass HERMANN die private Altersvorsorge
und die damit verbundene Auslieferung der Rentner an die
Finanzmärkte allzu schönfärberisch erscheinen lässt, sollte dabei
jedoch bedacht werden.