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Zitate: Die Geburtenkrise
Bevölkerungsrückgang:
neue Qualität gesellschaftlicher Probleme
"Vor allem in den den
Großstädten ist für die Zukunft auch mit einem sehr hohen Anteil
kinderloser Familien zu rechnen. Besonders krasse Beispiele sind
Berlin (West) und Hamburg, wo sich selbst für die schon 1961 -
1965 geschlossenen Ehen, aus denen keine weiteren Kinder mehr zu
erwarten sind, je 100 Ehen nur 128 bzw. 140 Kinder ergeben."
(Karl Schwarz, 1978, S.40)
Auf
dem Weg in die kinderlose Gesellschaft?
"Geburtenanstieg im Jahr
1980 um fast 8 % (...). Hier wird inzwischen ein leichtes
Ansteigen der ehelichen Fruchtbarkeit in der
Altersjahrgängen besonders der über 25jährigen Frauen
erkennbar."
(Max Wingen, 1982, S.118)
Der
soziale Wandel der Familienformen in der Bundesrepublik
Deutschland seit der Nachkriegszeit
"Die Generationenrate ist
von 1,17 im Jahre 1965 auf 0,60 im Jahre 1985 abgefallen und
seitdem tendenziell leicht ansteigend."
(Rüdiger Peuckert in Gegenwartskunde
2/1989)
Das
System, nicht die Probleme kurieren
"In den neuen
Bundesländern hat es in der DDR-Zeit keinen hohen Anteil
kinderreicher Familien gegeben. Dennoch kam es zu einem extrem
hohen Fertilitätsrückgang nach 1989, der aber bereits den
Verzicht auf Kinder überhaupt betraf. Die tatsächliche
Kinderzahl je Frau fiel in den neuen Bundesländern auf die
weltweit einzigartige Größe von 0.83.
Diese »Nettoreproduktionsziffern« müssen in Erinnerung gerufen
werden, weil sie von grundlegender Bedeutung sind. (...) Ein
Wert unter eins bedeutete, dass die vorausgegangene Generation
nicht ersetzt wird."
(Tilman Mayer in Aus Politik und Zeitgeschichte, 2000)
Kinder! Kinder!
"Zehn Millionen Menschen
weniger wird es in fünf Jahrzehnten in diesem Land geben,
schätzt das Statistische Bundesamt. Noch schlimmer, ein
anderes Szenario besagt, dass wir statt heute 82 Millionen
Menschen im Jahre 2050 nur noch 65 Millionen sein könnten."
(Susanne Mayer in der ZEIT vom 10.08.2000)
Familien in Deutschland: Verraten und verkauft
"Im dreissigjährigen Krieg
verlor Deutschland zwischen 1618 und 1648 zirka 30 bis 40
Prozent seiner Bevölkerung, und es dauerte weit über 100
Jahre, bis der Vorkriegsstandard der Lebenshaltung wieder
erreicht wurde. Etwa die gleiche Größenordnung wird die
Bevölkerungsschrumpfung in Deutschland bis zum Jahr 20030
ausmachen."
(Jürgen Borchert im Stern vom 22.02.2001)
Kinderlos ist kein Ideal
"Die Geburtenrate in
Deutschland sinkt seit 1967. Seit 1972 liegt sie unter jener
der Kriegsjahre 1917/18 und 1944/45, errechnete das
Heidelberger Büro für Familienfragen. 1965 wurden in
Gesamtdeutschland noch 1,3 Millionen Kinder geboren. 1999
waren es gerade mal 771 000 und damit rund 42 Prozent
weniger.
Sollte diese Entwicklung anhalten, werden im Jahr 2030 nur
noch 470 000 Kinder geboren."
[mehr]
(Astrid Wirtz im Kölner
Stadt-Anzeiger vom 04.04.2001)
Praktizierte Gleichberechtigung - größere Kinderzahl
"Betrachte
man - anders als die deutsche Statistik - nicht nur die
aktuelle Geburtenentwicklung pro Jahr, sondern das jeweilige
Verhalten von Frauen-Altersgruppen (so genannten
'Kohorten'), so werde deutlich, dass der Geburtenrückgang
langfristig weniger dramatisch sein dürfte."
(Ron Lesthaeghe im Interview mit Tome Levine in der
Berliner Zeitung vom 14.04.2001)
S.O.S. Familie
"1870 kamen auf eine Frau hierzulande noch
durchschnittlich fünf überlebende Kinder. Schon ab 1920
zählten Statistiker nur noch zwei Kinder pro Frau. Der
Anteil der kinderlosen Frauen nahm von knapp 10 Prozent im
ersten Drittel des letzten Jahrhunderts auf rund 24 Prozent
aller 1960 geborenen Frauen zu."
(Renate Schmidt, 2002, S.24)
Immer tiefer ins demographische Loch
"Als in Westdeutschland
der Anteil der zeitlebens kinderlos bleibenden Frauen, der für
den Jahrgang 1940 bei 10,6 % gelegen hatte, bis zum Jahrgang
1955 auf 21,9 Prozent gestiegen war, war er in der DDR für den
gleichen Geburtsjahrgang auf sieben Prozent gesunken".
(Manfred Sohn in der jungen Welt vom 18.02.2003)
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Einführung in die Problematik
In der familien- und
sozialpolitischen Debatte geben neuerdings
Familienfundamentalisten den Ton an. Der
Spiegel ängstigt mit dem letzten Deutschen (05.01.2004).
Die ZEIT ruft die "Geburtenkrise" aus (15.01.2004). Der
Rheinische Merkur fordert gleich eine neue
Bevölkerungspolitik (31.07.2001) und die FAZ setzt die
Demographische Zeitbombe auf die Agenda.
Land ohne Lachen
"In
Wahrheit ist die Geburtenrate der nächsten Jahrzehnte
weitgehend programmiert. Weil die Zahl der potenziellen
Mütter bereits seit langem sinkt und Ungeborene nun mal
keine Nachfahren in die Welt setzen".
(Jochen Bölsche u.a. im Spiegel v. 15.01.2004) |
Neue
Rechte und Neue Linke unterscheidet sich nur noch dadurch, dass
erstere den Frauen die Schuld geben, während Letztere die Männer
ins Visier nehmen. Keine Frage, Kinderlosen wird gegenwärtig der
Prozess gemacht. Junge
Singles sollen die Zeche dafür zahlen, dass sie gerade jetzt
jung sind. Anders als ihre Eltern aus der 68er-Generation haben
sie nicht die Gnade des günstigen Altersaufbaus auf ihrer
Seite, im Gegenteil: Die Älteren und einige Mitläufer aus den
eigenen Reihen werfen ihnen vor, dass sie ihren Gebär- ,
Zeugungs- und Erziehungspflichten nicht nachkommen. Keine
Kinder, keine Rente und Poppen für die Rente sind die
Slogans im Zeitalter der Demografiepolitik. Dieser
Sozialpopulismus kann sich auf die populäre
Individualisierungsthese stützen. Selten
werden die Argumente näher beleuchtet, sondern die ständige
Wiederholung der immer gleichen Formeln und Zahlen haben sich zu unhinterfragbaren Gewissheiten verdichtet. Damit hat sich
die Strategie des Bevölkerungswissenschaftlers Herwig BIRG als
erfolgreich erwiesen. Nicht um Aufklärung, sondern um Propaganda
geht es in der politischen Auseinandersetzung. Lebenslang
Kinderlose sind eine kleine Minderheit in dieser
Gesellschaft. Die Rhetorik des Aussterbens dreht den Spieß um.
Es wird behauptet, dass Familien die wirkliche Minderheit wären.
Die Lobbyliste der Familienverbände ist lang, während Singles
nicht organisiert sind. Das Parteien- und Verbändesystem in
Deutschland ist durch eine gravierende Schieflage gekennzeichnet.
Singles haben - im Gegensatz zu Yuppies - keine Lobby.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
"Dies
ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem
nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend
die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt.
Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard
Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die
Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank
Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster
Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der
Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
Es wird aufgezeigt, dass sich die
nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles
im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die
nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen." |
Im
Rahmen dieses Beitrags sollen u. a. die Argumente der
Sozialpopulisten mit den Zahlen konfrontiert werden, die
wissenschaftlich erhoben werden. Es
zeigt sich, dass zum einen ein Erhebungsproblem
(Ausrichtung der Bevölkerungsstatistik an der lebenslangen Ehe)
besteht und andererseits in der öffentlichen Debatte die
Sachlage verzerrt dargestellt wird.
Die zusammengesetzte Geburtenziffer in
Deutschland: Geburten je gebärfähiger Frau (15- bis 45-Jährige)
Die Bevölkerungspolitik
arbeitet mit einer Vielzahl von Indikatoren, die das generative
Verhalten der Deutschen erhellen sollen. In
diesem Beitrag geht es nicht darum die einzelnen Indikatoren
abschließend zu bewerten, sondern es sollen die wichtigsten
Kennzahlen anhand der öffentlichen Debatte und
wissenschaftlicher Erhebungen dargestellt und erörtert werden. Dabei
wird deutlich, dass die einzelnen Autoren die gleichen
Kennzahlen anders darstellen, bzw. damit bestimmte Aspekte
besonders hervorheben. Bei
der Geburtenrate wird oftmals zwischen den alten und neuen
Bundesländern unterschieden oder zwischen deutschen und
ausländischen Frauen differenziert. Nicht
immer werden in der öffentlichen Debatte diese Differenzierungen
genannt, sodass der Leser mit Geburtenraten zwischen 1,2 und 1,4
konfrontiert wird. Unterschiede
ergeben sich auch dadurch, dass das Erhebungsjahr ungenannt
bleibt. Nicht selten werden in Büchern oder auch in neuen
Artikeln Zahlen verwendet, die bereits einige Jahre zuvor
erhoben worden sind. Die Bevölkerungswissenschaftler ROLOFF &
SCHWARZ haben z.B. im Jahr 2002 die Geburtenrate von 1999
berechnet, d.h. es liegen 3 Jahre zwischen dem Erhebungsjahr und
der Veröffentlichung.
Die Kinder wollen keine Kinder mehr
"zur Zeit jede
bundesdeutsche Frau zwischen 15 und 45 im Durchschnitt noch
gerade 1,5 Kinder zur Welt bringt (DDR: 1,7)"
(Spiegel Nr.13 v. 24.03.1975)
Wieviele
Ernährer braucht das Land?
"Tatsächlich bildet die
Bundesrepublik mit einer durchschnittlichen Geburtenrate von
1,41 Kindern pro Frau zusammen mit Italien, Spanien und
Griechenland das Schlußlicht in Europa."
(Claudia Pinl in den Blättern für deutsche und internationale
Politik, H.9, 2001)
Bericht 2001 über die demographische Lage in Deutschland
"1999 betrug die auf die
Nationalität der Mütter/Frauen bezogene zusammengefasste
Geburtenziffer (ZGZ) auf 1.000 der deutschen Frauen 1.286
Geburten; gegenüber 1991 waren dies 31 Geburten mehr. (...). Die
ZGZ insgesamt in Deutschland stieg von 1.332 (1991) auf 1.361
(1999)".]
(Juliane Roloff & Karl Schwarz in der Zeitschrift für
Bevölkerungswissenschaft, 1/2002, S.25)
Die
gierige Generation
"Im Durchschnitt bringen
die Frauen in Westdeutschland lediglich 1,4 Kinder und die
Frauen in Ostdeutschland ein Kind zur Welt. Die Folgen sind ein
drastischer Bevölkerungsrückgang und eine Überalterung unserer
Gesellschaft, die das Rentensystem in naher Zukunft zum
Kollabieren bringt."
(Bernd W. Klöckner, 2003, S.8)
Land
ohne Lachen
"Deutschlands Frauen
bringen im Schnitt nur noch 1,35 Kinder zur Welt".
(Jürgen Bölsche u.a. im Spiegel vom 05.01.2004)
Das
kinderlose Land
"Geburtenrate bei nurmehr
1,29".
(Susanne Gaschke in der ZEIT vom 15.01.2004)
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Die rohe Geburtenziffer: Lebendgeborene
je 1000 Einwohner
Die Lebendgeborenen je
1000 Einwohner werden oftmals beim internationalen Vergleich
verwendet (z.B. im Spiegel). Der
Soziologe Erwin K. SCHEUCH hat jedoch bereits 1978 in seinem
Beitrag Kein "Pillenknick". Der Geburtenrückgang ist Ausdruck
eines veränderten Zeugungsverhaltens für den Sammelband
Schrumpfende Bevölkerung. Wachsende Probleme? Ursachen - Folgen
- Strategien, herausgegeben von Warnfried DETTLING, darauf
hingewiesen, dass dieser Indikator nur bei konstantem
Bevölkerungsaufbau aussagekräftig ist
. Die
rohe Geburtenziffer wird von der jeweiligen Altersstruktur
einer Bevölkerung beeinflusst. Eine Veränderung dieser
Geburtenziffer ist deshalb nicht gleichbedeutend mit einem
veränderten Gebär- oder Zeugungsverhalten.
Der
Sozialhistoriker MARSCHALCK ("Bevölkerungsgeschichte
Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert") verweist darauf, dass nur die
Zusammenschau von bereinigter (z. B. zusammengesetzter
Geburtenziffer) und roher Geburtenziffer ein "tendenziell
vollständiges Bild von einer Bevölkerungsentwicklung" liefert.
(1984, S.9). Ein historischer Vergleich der Lebendgeborenen je 1000 Einwohner
anhand zweier Spiegel-Titelgeschichten (1975, 2004) dürfte
das Bild vom Geburtenrückgang etwas relativieren:
Die Kinder wollen keine Kinder mehr
"Geburtenrate (...) mit
dem Wert 10,0 einen historischen Tiefstand erreicht. Die
Bundesrepublik rangiert am Ende sämtlicher Länder der Welt, in
Europa weit hinter Ländern wie Frankreich (16,4), Italien (16,0)
oder Schweden (13,5); nur die DDR (10,6) ist vergleichbar knapp
an Kindern".
(Spiegel vom 24.03.1975)
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In der Spiegel-Titelgeschichte
über den letzten Deutschen vom 05.01.2004 findet sich ein
Schaubild, bei dem Deutschland mit 8,7 Lebendgeborenen je 1000
Einwohner den 185. Rang im Nationenranking einnimmt. Im
internationalen Vergleich sieht Deutschland also auf den ersten
Blick ziemlich schlecht aus. Dies relativiert sich jedoch, wenn
man die Zahlen mit den europäischen Nachbarländern vergleicht. Vorbild
Frankreich (12,5) und Italien (8,6) stehen im Vergleich mit 1975
ebenfalls schlechter da. Bei Italien ist sogar ein gravierender
Rückgang von 16,0 auf 8,6 zu verzeichnen. Deutschlands Zahlen
sind dagegen über einen langen Zeitraum recht konstant
geblieben. Die
Zahlen im Spiegel stammen aus dem Jahr 2002, dagegen
haben die Bevölkerungswissenschaftler ROLOFF & SCHWARZ in
der Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft einen
längeren Zeitraum betrachtet:
Bericht 2001 über die demographische Lage in Deutschland
"Die rohe Geburtenziffer,
d.h. die Lebendgeborenenzahl je 1.000 Einwohner weist seit 1991
eine leicht sinkende Tendenz auf. Entfielen 1991 auf 1.000
Einwohner in Deutschland 10,4 Geburten, waren es 9,4 Geburten im
Jahr 1999"
(aus: Zeitschrift für
Bevölkerungswissenschaft, Heft 1, 2002, S.23)
|
Abschließend lässt sich
sagen, dass ein Nationenranking wie im Spiegel weniger
aussagekräftig ist, als dies auf den ersten Blick erscheinen
mag.
Die bestandserhaltende Geburtenrate:
Welcher Frauenjahrgang hat das bevölkerungspolitisch geforderte
Soll erfüllt?
In der Debatte um die
Rentenreform des vergangenen Jahres stand unter anderem die
Frage im Mittelpunkt, welche Generation welchen zukünftigen
Beitrag zur Stabilität der Rentenversicherung zu zahlen hat. Susanne
GASCHKE (ZEIT vom 14.08.2003) verwies dabei auf die
Bestandserhaltung als ausschlaggebendes Kriterium bei der
Lastenzuweisung
. Dieses
Kriterium ist jedoch mehr als fragwürdig. Zum einen gilt, dass
die Beitragsstabilität nicht in erster Linie von der Zahl der
Geburten abhängt, sondern vom Verhältnis zwischen
erwerbstätigen Beitragszahlern und Leistungsempfängern (sowohl
die Höhe der jeweiligen Arbeitslosigkeit als auch die Anzahl
jener, die trotz Arbeitseinkommen nicht gesetzlich versichert
sind, relativiert hier das Demografieproblem), den jeweiligen
Einkommenshöhen und Eintrittsalter beim Berufsbeginn und damit
Beitragsvolumina sowie den Höhen der Transferzahlungen und dem
Alter, ab dem jemand zum Bezug von Renten berechtigt ist. Neben
den Geburten, tragen auch Zuwanderungen und Abwanderungen zur
Stabilität der Bevölkerungszahl bei, d.h. GASCHKEs Ansatz ist
latent zuwanderungsfeindlich.
Neben
diesen politischen Fragen, ergeben sich auch Fragen der
Zurechnung von Geburten zu Generationen. Der Begriff
Generationengerechtigkeit ist zwar in aller Munde und
suggeriert, dass es so etwas geben könnte, aber die Berechnung
der bestandserhaltenden Geburtenrate ist umstritten.
Bei der
Geburtenrate gibt es nicht unerhebliche regionale
Unterschiede innerhalb von Deutschland. So schreibt der
nationalkonservative Bevölkerungswissenschaftler Karl SCHWARZ im
Sammelband Schrumpfende Bevölkerung. Wachsende Probleme?
Ursachen - Folgen - Strategien, herausgegeben von Warnfried
DETTLING:
Bevölkerungsrückgang:
neue Qualität gesellschaftlicher Probleme
"Es gibt kein Bundesland,
keine kreisfreie Stadt und schon gar keine Großstadt, in der die
gegenwärtige Geburtenhäufigkeit die Erhaltung des
Bevölkerungsstandes garantieren könnte. (...). Auch unter den
268 Landkreisen gibt es schon nach den Beobachtungen im Jahre
1974 nur noch 26, in denen die Geburtenhäufigkeit für die
Bestandserhaltung der Bevölkerung ausreicht. Es handelt sich
dabei um ausgesprochen ländliche Gebiete mit niedriger
Bevölkerungsdichte, verbunden mit einem immer noch
verhältnismäßig hohen Anteil landwirtschaftlicher Bevölkerung
und einem relativ niedrigen Stand der Schulbildung. Der Einfluß
der Religionszugehörigkeit spielt daneben kaum noch eine Rolle."
(aus: Schrumpfende Gesellschaft 1978, S.40)
|
Warum sollten jene Frauen,
die in Gemeinden, Städten und Landkreisen mit einer
bestandserhaltenden Geburtenrate genauso haftbar gemacht werden,
wie jene, die weniger dazu beitragen?
Die
übliche Berechnung der Geburtenrate bezieht sich auf alle Frauen im gebärfähigen Alter, das auf Frauen zwischen 15 und
45 Jahren begrenzt ist. Die Tatsache, dass inzwischen jedoch
auch Schwangerschaften nach der Menopause möglich sind,
wird wohl in Zukunft auch dieses Kriterium fraglich werden
lassen.
Will
man die Geburtenrate für spezielle Frauenjahrgänge
ermitteln, dann ist man auf Schätzungen angewiesen, die umso
ungenauer sind, je weniger das Geburtenverhalten bestimmten
Mustern unterworfen ist. Johannes KOPP schreibt dazu:
Geburtenentwicklung und Fertilitätsverhalten
"Insgesamt ist bei einem Vergleich der im 20. Jahrhundert
geborenen Frauen in keiner Dimension des Geburtenverhaltens
eine lineare Entwicklung festzustellen. Während
beispielsweise die älteren dieser Frauen erst relativ spät
eine Geburt verzeichnen und der Anteil der Kinderlosen
relativ hoch ist, lässt sich für die Geburtskohorten bis
etwa 1940 eine stetige Vorverlagerung und ein deutlicher
Rückgang der auf Dauer kinderlosen Frauen festhalten. Danach
lässt sich eine erneute Verschiebung der Geburten auf eine
spätere Phase der Biographie beobachten, die auch mit einer
erneuten Zunahme der Kinderlosen einhergeht".
(2002,
S.14) |
Während der Soziologe KOPP
darauf verweist, dass es im Geburtenverhalten keine lineare
Entwicklung gibt, wird in der öffentlichen Debatte oftmals eine
lineare Entwicklung konstruiert:
Sozialismus im Rollstuhl
"Seit Ende
des 19. Jahrhunderts hat in Deutschland praktisch jeder
Frauenjahrgang weniger Kinder als der jeweils vorangegangene,
und der Anteil der zeitlebens kinderlos bleibenden Frauen an
einem Jahrgang ist ebenso kontinuierlich gestiegen: von 10,6
Prozent (1940) auf 26,0 Prozent (1960). Die jüngeren Jahrgänge
erreichen einen Wert von 30 bis 35 Prozent".
(Hans Thie im Freitag vom 19.09.2003)
|
Die Frage, welche
Frauenjahrgänge zur Bestandserhaltung in welcher Höhe
beigetragen haben, ist aufgrund der Schwankungen im
Gebärverhalten schwer zu berechnen. Die nachfolgenden Zitate
zeigen, dass hier keine Einigkeit besteht:
Bevölkerungsgeschichte Deutschlands im 19. und 20.
Jahrhundert
"Die um 1955 beginnende
neue Phase in der Fruchtbarkeitsentwicklung der Bundesrepublik
ist durch einen Anstieg der Gesamtfruchtbarkeit (von 2,13 auf
2,54 im Jahre 1964) und eine Verkürzung des
Generationenabstandes um weitere zwei Jahre gekennzeichnet. Ihr
wesentliches Merkmal dürfte aber eine Fruchtbarkeitswelle sein,
die deutliche Vermehrung der Zahl der Geburten für die Jahrgänge
1926 - 1933 und der ebenso deutliche Rückgang der Fruchtbarkeit
der Jahrgänge 1934 - 1941."
(Peter Marschalck, 1984, S.95).
Eine Frage der Zeit
"Der zweite
Zwischenbericht der Enquete-Kommission »Demografischer Wandel«
des Deutschen Bundestages hält fest, dass »nur bis zu den
Frauengenerationen, die vor 1880/1881 geboren wurden, die Zahl
der Kinder ausgereicht hat, um die Elterngeneration zu
ersetzen«.
Im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts liegt die Geburtenrate
knapp unter zwei Kindern pro Frau, steigt bei den
Frauen-Jahrgängen zwischen 1926 und 1940 leicht über zwei und
fällt seither wieder."
(Johannes Schroeter im Rheinischen Merkur vom 24.11.2000)
Entwicklung der Bevölkerung bis 2050
"Die Geburtenhäufigkeit
liegt in Deutschland seit etwa 30 Jahren unter dem für die
Bestandserhaltung der Bevölkerung notwendigen Niveau. Zieht man
als Maß dafür die zusammengefasste Geburtenziffer heran, so
zeigt sich, dass der für die Erhaltung der Bevölkerungszahl
erforderliche Wert von 2,1 Kindern je Frau im früheren
Bundesgebiet mit Ergebnissen um 1,4 und zeitweise auch 1,3 in
den letzten Jahrzehnten erheblich unterschritten wurde. Eine
grundlegende Änderung wird nicht erwartet".
(Bettina Sommer in Wirtschaft und Statistik, 1/2001)
Die deformierte Gesellschaft
"Die Jahrgänge, die mehr
Kinder großzogen, als sie selber zählten, wurden in Deutschland
vor über einem Jahrhundert geboren. Der Jahrgang 1892 war der
letzte, der sich in der Zahl seiner Kinder ersetzte. Seitdem ist
jede Kindergeneration zahlenmäßig kleiner als ihre
Elterngeneration. Damit hat Deutschland schon in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts den jahrhundertealten Pfad des
Bevölkerungswachstums verlassen. Nur die Geburtsjahrgänge 1930
bis 1937 erreichten in den sechziger Jahren noch einmal eine
annähernd bestandserhaltende Geburtenrate."
(Meinhard Miegel 2002,
S.14f.; genannte Quelle: Statistisches Bundesamt, Gebiet und
Bevölkerung 1997, S.190 ff.)
Zum Bedeutungsverlust von Ehe und Familie:
Irrtum oder Faktum?
"Mit Ausnahme der Frauen,
die um 1935 geboren wurden und ihre Kinder um 1965 bekamen, hat
keine Frauengeneration aus dem vergangenen Jahrhundert im
Durchschnitt die Zahl der Kinder geboren, die mit über zwei für
den Generationenerhalt erforderlich gewesen wären. Bei den
heutigen Verhältnissen, mit ganz wenigen Sterbefällen von Frauen
unter 45 Jahren, wären das - je 100 - ca. 208."
(Karl Schwarz in den BiB-Mitteilungen H.3, v. 08.12.2003, S.17)
|
Aus den Beispielen geht
zum einen hervor, dass der Geburtenrückgang kein Phänomen
ist, das erst seit 1968 besteht, sondern bereits Anfang
des 20. Jahrhunderts haben Frauen das Kriterium von Susanne GASCHKE
nicht mehr erfüllt
. Ob
und welche Frauenjahrgänge genau ihr Soll erfüllt haben, das
wird von den Autoren unterschiedlich beantwortet. Der
Bevölkerungswissenschaftler Karl SCHWARZ schreibt deshalb vage von
den "um 1935" geborenen Frauen. Da diese Frauen inzwischen ihren
Gebärzyklus vollendet haben, ist die Berechnung noch recht
einfach. GASCHKE wirft jedoch ihren Altersgenossen, also den um 1965
Geborenen, Gebärfaulheit vor. Diese Frauen haben jedoch ihren
Gebärzyklus noch gar nicht abgeschlossen. Wir
werden weiter unten noch näher darauf eingehen, dass
verschiedene Aspekte darauf hinweisen, dass der Unterschied
zwischen den Geburtenraten der 68er und der Generation Golf
keineswegs so groß ist, wie das GASCHKE behauptet hat
.
Erhebungsmethoden: Die Schätzung des
Anteils von Kinderlosen pro Frauenjahrgang
In der gegenwärtigen
Debatte dominieren jene, die eine Polarisierung zwischen
Familien und Kinderlosen behaupten. Die
Rede vom schwindenden Familiensektor bezieht sich dabei jedoch nur auf das
Leben in Haushalten mit Kindern, d.h. durch die Umdefinition
von Eltern in Kinderlose wird die Minderheit der
lebenslang Kinderlosen einer angeblichen Mehrheit
zugeordnet
. Will
man nun die Zahl der lebenslangen Kinderlosen ermitteln, dann
stößt man bald an die Grenzen der deutschen Geburtenstatistik. Der
Bevölkerungswissenschaftler Karl SCHWARZ (2002)
unterscheidet zwei grundsätzliche Erhebungsmethoden, während
Jürgen DORBRITZ noch sozialwissenschaftliche Erhebungen
berücksichtigt:
a) Erhebung per
Bevölkerungsstatistik
Die nach dieser Methode
erfasste Kinderlosigkeit ist genauer als die unter b)
abgehandelte
Methode. Probleme bei der Zuordnung von Kindern zu Frauen
ergeben sich jedoch durch die Ausrichtung der
Bevölkerungsstatistik an der lebenslangen Ehe
.
b) Erhebung per Volkszählung bzw.
Mikrozensus (Haushaltsstatistik)
Hier handelt es sich um Frauen mit ledigen Kindern im Haushalt. Daraus ergeben sich
folgende Verzerrungen:
- Es fehlen Angaben über die Kinder welche den mütterlichen
Haushalt bereits verlassen haben.
- Es fehlen die Kinder von Spätgebärenden. Dies gilt umso
stärker je früher die Schätzung vorgenommen wird.
- Stief- und Adoptivkinder werden mitgerechnet.
- Es fehlen Scheidungskinder, die beim Vater aufwachsen.
- Es fehlen früh verstorbene Kinder.
c) Sozialwissenschaftliche Stichprobenerhebungen
Eine dritte Methode sind
sozialwissenschaftliche Stichprobenerhebungen. Hierzu gehört der
Family and Fertility Survey (FFS) aus dem Jahr 1992. Darauf wird
im Kapitel Ehen ohne Kinder näher eingegangen.
Alle
drei Zugänge sind mit speziellen Problemen behaftet, sodass eine
genaue Zuordnung unmöglich ist. Es handelt sich letztendlich
immer um Schätzungen. Die
Zahl der kinderlosen Frauen ist jedoch leichter zu erfassen, als
die Anzahl kinderloser Männer, weswegen die
Gebärfähigkeit der Frauen im Mittelpunkt der Betrachtungen von
Demografen steht. DORBRITZ & SCHWARZ (1996) haben auf die Probleme
bei geschlechterspezifischen Fragenstellungen hingewiesen:
Kinderlosigkeit in Deutschland - ein Massenphänomen?
"Die FFS-Ergebnisse des
BiB zeigen sowohl im früheren Bundesgebiet als auch in den neuen
Bundesländern höhere Kinderlosenanteile der befragten Männer.
Als Haupteinflußfaktoren sind die niedrige Erstheiratsneigung
der Männer und die geringere Neigung nach einer Scheidung erneut
zu heiraten, zu vermuten. Zum anderen sollte beachtet werden,
daß Männer bei der Eheschließung älter als die Frauen sind und
auch später (als über 39jährige) Vater werden. Der
Frauen-Männer-Vergleich in den einzelnen Geburtsjahrgängen ist
somit durch alters- und geschlechtsspezifische Effekte verzerrt.
Daneben könnten Einflüsse der Interviewersituation, das »sich
nicht zur Vaterschaft von nichtehelichen Kinder Bekennen« und in
geringem Maße auch die Unkenntnis über die Vaterschaft die
höheren Kinderlosenanteile bewirken."
(Jürgen Dorbritz & Karl Schwarz in der Zeitschrift für
Bevölkerungswissenschaft, H.3, 1996, S.234)
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Die
Geburtenrate und der Kinderlosenanteil spezieller Jahrgänge
In der gegenwärtigen
politischen Debatte wird vor allem die Gebärfaulheit der in
den 1960er Jahren geborenen Frauen diskutiert. Es wird davon
ausgegangen, dass diese Frauen wesentlich weniger Kinder gebären
als alle anderen Frauenjahrgänge vor ihnen.
Die
Kinderlosigkeit der um 1960 Geborenen
Der Frauenjahrgang der um
1960 Geborenen hat den Gebärzyklus fast abgeschlossen, d.h. die
Höhe der Kinderlosigkeit lässt sich relativ genau ermitteln:
"Familie ist, wo Kinder sind"
"Von den Frauen, die 1935
geboren wurden, blieben nur 9 Prozent kinderlos. In der nächsten
Generation, dem Jahrgang 1958, blieben schon 23 Prozent ohne
Kinder".
(Ursula Ott in der Woche vom 10.12.1999)
Kinderlosigkeit in Deutschland - ein Massenphänomen?
"Für den Geburtsjahrgang
1960 lassen die Ergebnisse einen Kinderlosenanteil von 25 %
erwarten. Die in den 40er Jahren geborenen Frauen waren nur zu
10 - 15 % kinderlos. Der Geburtsjahrgang 1960 erreicht im
Verlauf des Jahres 1996 das 36. Lebensjahr. Spätgebärende
könnten den bislang ermittelten Kinderlosenanteil noch etwas
vermindern, ein deutlicher Rückgang ist jedoch nicht mehr zu
erwarten."
(Jürgen Dorbritz & Karl Schwarz in der Zeitschrift für
Bevölkerungswissenschaft, H.3, 1996, S.234)
Immer älter, immer weniger - das Bevölkerungsproblem
"In einer auf Flexibilität
und Selbstverwirklichung angelegten Zeit stellt die Entscheidung
für ein Kind eine langfristige Festlegung dar (...). Besonders
gut ausgebildete Frauen wollen sich diesem Risiko oft nicht
aussetzen, weshalb der Prozentsatz der Frauen, die innerhalb
eines Jahrganges kinderlos bleiben, in nur acht Jahren von 15
Prozent (Geburtsjahrgang 1950) auf 23 Prozent (Geburtsjahrgang
1958) empor geschnellt ist."
(Frank-Walter Steinmeier in der Welt vom 23.05.2001)
Die kinderlose Gesellschaft
"Geht man davon aus, daß
über 40-jährige Frauen keine Kinder mehr bekommen, was zu fast
99 % zutrifft, so sind von den 40-jährigen Frauen heute, mit
wachsender Tendenz, über ein Viertel kinderlos geblieben."
(Karl Schwarz in Die Neue Ordnung, H.5, Oktober 2002)
Land ohne Lachen
"Rund 26 Prozent der 1960
geborenen Frauen sind kinderlos, unter den Akademikerinnen sogar
42 Prozent."
(Jürgen Bölsche u. a. im Spiegel vom 05.01.2004)
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Der Kinderlosenanteil der
um das Jahr 1960 Geborenen liegt nach den Berechnungen der
Bevölkerungswissenschaftler bei ca. 25 %. Aufgrund
der Ausrichtung der Geburtenstatistik auf die lebenslange Ehe sind auch diese Zahlen mit
Vorsicht zu genießen. Die Zunahme unehelicher Geburten und die
Abnahme der Heiratsneigung führen dazu, dass die Probleme bei
der Zuordnung steigen.
Die
Generation Ally:
Die Geburtenrate und der Kinderlosenanteil der 1965 Geborenen
Der Jahrgang 1965, seit
Kaja KULLMANNs Bestseller als Generation Ally bekannt,
steht in der gegenwärtigen Debatte im Brennpunkt.
Werden
für die um 1960 Geborenen ein Kinderlosenanteil von 25 %
berechnet, so wird für die um 1965 geborenen Frauen gar
prognostiziert, dass jede dritte Frau kinderlos bleiben wird. Es
ist diese Steigerung, durch die sich Sozialpopulisten zu
Horrorszenarien berechtigt fühlen. Es stellt sich dann
nämlich die Frage, ob die um 1970 Geborenen vielleicht zu
40 % kinderlos bleiben werden. Dann könnte tatsächlich von einer
Polarisierung zwischen Familien und Kinderlosen gesprochen
werden, wie es u. a. Tilman MAYER und Jürgen BORCHERT
prophezeien:
Das System, nicht die Probleme kurieren
Von enormer
gesamtgesellschaftlicher Bedeutung ist weiter, dass der Anteil
zeitlebens kinderlos bleibender Frauen ständig wächst. Im
Frauenjahrgang 1940 blieben in Westdeutschland nur gut zehn
Prozent kinderlos, im Frauenjahrgang 1955 aber bereits 20
Prozent. Zwischenzeitlich ist davon die Rede, dass der
Kinderlosenanteil auf bis zu 40 Prozent steigen könnte."
(Tilman Mayer in Aus Politik und Zeitgeschichte, 2000)
Familien in Deutschland: Verraten und verkauft
"Gesamtdeutschland noch bis Mitte der 60er Jahre in der
damaligen EWG die zweithöchste Geburtenrate (hinter Irland).
Damals blieb nur etwa jede zehnte Frau kinderlos, während der
Anteil der lebenslang Kinderlosen sich heute auf 40 Prozent
zubewegt."
(Jürgen Borchert im Stern vom 22.01.2001)
|
Es zeigt sich jedoch, dass
diese Prognosen nicht haltbar sind. Die Horrorzahlen, die
für die Generation Ally in der sozialpolitischen Debatte im
Umlauf sind, beruhen auf Erhebungen, die bereits Anfang der 90er
Jahre durchgeführt worden sind:
Kinderlosigkeit in Deutschland - ein Massenphänomen?
"Birg und
Flöthmann schätzen für die jüngeren Geburtsjahrgänge einen
weiteren Anstieg der Kinderlosigkeit auf über 30 %. Für den
Geburtsjahrgang 1965 wurde ein Kinderlosenanteil von 32,1 %
angegeben."
(Jürgen Dorbritz & Karl Schwarz in der Zeitschrift für
Bevölkerungswissenschaft, H.3, 1996, S.234; bei der Berechnung
wird auf Birg & Flöthmann 1993, S.35 verwiesen)
|
Die Zahlen von DORBRITZ &
SCHWARZ werden von den Polarisierern auch noch fast ein
Jahrzehnt später - ohne Bezug auf die Quelle - verbreitet:
Kinder! Kinder!
"Jede dritte Frau des
Jahrgangs 1965 wird kinderlos bleiben, doppelt so viele wie im
Jahrgang 1950."
(Susanne Mayer in der ZEIT v. 10.08.2000)
|
Im Jahr 2001 hat DORBRITZ
die Geburtenrate der Generation Ally überprüft. Er hat dabei
eine Angleichung der Geburtenraten von Ost und West
festgestellt:
Familienbildungsverläufe der Generationen.
1950 und 1965 im Vergleich
"Für die westdeutschen
Geburtsjahrgänge (...) gilt, dass die jeweils älteren Jahrgänge
mehr und die jeweils jüngeren Jahrgänge weniger Kinder geboren
haben. 1000 Frauen des Geburtsjahrgangs 1950 hatten 1693 Kinder
geboren. Im Geburtsjahrgang 1965 betrug diese Zahl nur noch
1473. Die ostdeutschen Geburtsjahrgänge 1940 - 1964 haben
durchgängig mehr Kinder als ihre westdeutschen
Vergleichsjahrgänge geboren. Im Geburtsjahrgang 1950 waren dies
100 Kinder mehr (...). Fertilitätssenkende soziale Erfahrungen
wurden mit dem Ergebnis gemacht, dass der ostdeutsche
Geburtsjahrgang 1965 mit einer endgültigen Kinderzahl von 1532
kaum mehr Kinder geboren hat als der westdeutsche
Vergleichsjahrgang."
(Jürgen Dorbritz in den BiB-Mitteilungen H.1 v. 09.03.2001,
S.10f.)
|
Wichtiger als diese
Angleichung ist jedoch, dass der Anteil der Kinderlosen in
der Generation Ally möglicherweise
gar nicht höher
ist als bei den um 1960 Geborenen. Obwohl
der Gebärzyklus dieser Frauen noch nicht vollendet ist, hat
DORBRITZ statt der 33 % Kinderlosen nur noch 27 % ermittelt:
Familienbildungsverläufe der Generationen.
1950 und 1965 im Vergleich
"Die Schätzungen zur
Kinderlosigkeit werden immer genauer, je niedriger der
Schätzanteil an der endgültigen Kinderzahl ist. Dies führt dazu,
dass mit aktuelleren Schätzungen auch die Anteile kinderloser
Frauen zu revidieren sind. So haben wir für den Geburtsjahrgang
1965 vor einigen Jahren noch Kinderlosenanteile von mehr als 30
% erwartet. Die neueren Schätzungen zeigen, dass sich über späte
Erstgeburten die Kinderlosenanteile auf 27 % verringert haben."
(Jürgen Dorbritz in den BiB-Mitteilungen H.1 v. 09.03.2001,
S.12)
|
Dieses Ergebnis ist nur
verständlich, wenn sich die Zahl der Spätgebärenden enorm
erhöht hat
. Während
der Debatte um die Pflegeversicherung hat als einziger Demograf
der Belgier Ron LESTHAEGHE auf diesen Sachverhalt verwiesen
(vgl. "Praktizierte
Gleichberechtigung - größere Kinderzahl",
Berliner Zeitung 14.04.2001). In der deutschen Debatte
wurde diese Wortmeldung jedoch ignoriert, stattdessen ist
das Bundesverfassungsgericht der Argumentation von Herwig
BIRG gefolgt, der einer Polarisierung von Familien und
Singles das Wort geredet hat.
Obwohl
seit 2001 bekannt ist, dass der Anteil der Kinderlosen in
der Generation Ally nicht oder unbedeutend höher ist als bei
den um 1960 Geborenen, wird dies in der öffentlichen Debatte
weiterhin nicht berücksichtigt, wie die folgenden Beispiele
zeigen:
Die deformierte Gesellschaft
"Bei den jüngeren
Jahrgängen hat die Geburtenfreudigkeit noch weiter abgenommen.
So hat von den 1965 Geborenen ein Drittel bislang kein Kind.
Zwar sind für sie abschließende Aussagen noch nicht möglich,
weil sie vielleicht erst spät Kinderwünsche verwirklichen.
Sollte es jedoch zu solchen nachgeholten Geburten nicht kommen -
und hierfür spricht viel -, stiege der Anteil der Kinderlosen in
naher Zukunft auf rund ein Drittel".
(Meinhard Miegel, 2002,
S.19; keine Quelle genannt)
Familien in Deutschland
"Schon jede vierte Frau
des Jahrgangs 1960 und knapp jede dritte Frau des Jahrgangs 1965
werden kinderlos bleiben."
(Signe Zerrahn, 2002, S.7)
|
Auch der
Bevölkerungswissenschaftler Karl SCHWARZ hat für die Generation Ally keinen Anteil von über 30 % ermittelt. Die
Kinderlosenzahlen für Deutschland beziffert er auf 24 %:
Kinderzahl der Frauen in den alten und neuen
Bundesländern im Jahr 2000
"Im Mai 2000 (Anm. d. V.:
Es handelt sich hier um Mikrozensuserhebung. Zu den Problemen
siehe unter Erhebungsmethoden) wurden je 100 Frauen in
Deutschland (...) folgende Zahlen über im Haushalt der Mutter
lebende Kinder ermittelt:
(...)
nach der Zahl der Kinder in %
keine 24.
(...)
Es handelt sich hierbei um die Kinder der in den Jahren 1961/65
geborenen Frauen."
(Karl Schwarz in den BiB-Mitteilungen H.1 v. 15.03.2002, S.8)
|
Bei der Betrachtung der
alten Bundesländer kommt SCHWARZ ebenfalls nur auf 27 %:
Kinderzahl der Frauen in den alten und neuen
Bundesländern im Jahr 2000
"Die Abnahme der
Heiratsbereitschaft betrifft unmittelbar den Anteil der
Kinderlosen, der bei den Frauen mit so gut wie endgültiger
Kinderzahl von 10 auf 27 % für die Frauenjahrgänge 1960/1965
(Anm. d. V.: Es handelt sich hier um die Zahlen für die alten
Bundesländer) bis zum Jahr 2000 zugenommen hat".
(Karl Schwarz in den BiB-Mitteilungen H.1 v. 15.03.2002, S.8)
|
Dies hindert prominente
Singlefeinde wie Jürgen BORCHERT jedoch nicht, weiterhin erhöhte
Kinderlosenzahlen zu verbreiten:
Verfassungsboykott
"Die Hauptursache der
Bevölkerungsentwicklung besteht in der zunehmenden
Kinderlosigkeit. Im Geburtsjahrgang 1965 ist der Anteil
lebenslang Kinderloser auf bald 35 Prozent gestiegen"
(Jürgen Borchert im Rheinischen Merkur vom 11.12.2003)
|
Selbst Betreiber von
Agenturen für Nachrichten aus den Sozialwissenschaften
verbreiten die überhöhten Zahlen:
Halali auf Nachwuchsverweigerer
"Heute bedeutet Nachwuchs
für Frauen keine unmittelbare Lebensgefahr. Dennoch bleiben in
der Kohorte der 1965 geborenen Frauen mindestens jede dritte
ohne Nachwuchs."
(Michael Klein, Welt 30.12.2003)
|
Aber auch in
sozialwissenschaftlichen Fachzeitschriften findet man die
überhöhten Kinderlosenzahlen:
Deutschlands Bevölkerung in der Zukunft
"Während die
in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts geborenen
Frauen nur zu rund 10 % kinderlos blieben, ist bei den in den
50er Jahren geborenen Frauen bereits jede 5. ohne Kinder, für
die 10 Jahre jüngeren Frauen rechnet man bereits mit 30 %
Kinderlosigkeit".
[mehr]
(Evelyn Grünheid,
2002, S.60; keine Quelle genannt)
|
Es fehlt in Deutschland
offensichtlich eine Interessengruppe, der an der Verbreitung der
korrekten Zahlen gelegen ist.
Solange Familienfundamentalisten daran interessiert sind,
Kinderlose zu bestrafen und rigorose Änderungen im Bereich der
sozialen Sicherungssysteme auf Kosten der Kinderlosen
durchzusetzen, wäre es kontraproduktiv, wenn die niedrigeren
Zahlen in Umlauf kämen. Dies
sagt gleichzeitig auch etwas über die fehlende
Organisierbarkeit der Interessen von lebenslang Kinderlosen in
Deutschland aus.
Der Wandel des generativen Verhaltens
und die Rolle der Spätgebärenden
Weiter oben wurde bereits
darauf hingewiesen, dass die enorme Zunahme von Spätgebärenden
dazu beigetragen hat, dass die Geburtenrate der Generation Ally
lange Zeit falsch eingeschätzt wurde. Bereits
Ende der 1980er Jahre und Anfang der 1990er Jahre wurde die Zunahme
der Erstgebärenden bei den über 30jährigen Frauen diskutiert:
"Das Statistische
Bundesamt in Wiesbaden errechnete (...), daß 1971 Deutschlands
Mütter bei der Geburt ihres ersten Kindes durchschnittlich 24,33
Jahre alt waren. Im Jahr 1985 war dieses Durchschnittsalter aber
bereits auf 26,18 Jahre gestiegen (...). Um auf ein
Durchschnittsalter von 26 Jahren zu kommen, muß die Zahl der
Frauen, die erst nach ihrem 30. Geburtstag Mutter werden, in den
letzten Jahren extrem angewachsen sein. Und sie steigt ständig
weiter".
(Wiener, Januar 1988)
"Milde Form des Irreseins"
"In der Bundesrepublik hat
bereits jedes dritte Erstgeborene eine Mutter über 30, pro Jahr
bekommen rund 50 000 Frauen ihr erstes Baby, wenn sie ihren 35.
Geburtstag schon gefeiert haben".
(Spiegel Nr.20 v. 17.05.1993)
|
Da die deutschen
Demografen diese Verhaltensänderung bei ihren Berechnungen nicht
ausreichend berücksichtigt haben, ist es nicht verwunderlich,
wenn Journalisten dies erst recht nicht tun:
Viel Job, wenig Liebe
"Jede dritte Frau im Alter
von 35 Jahren ist kinderlos. Der Anteil der Last-Minute-Mütter
rettet die Bilanz dabei nicht: Nur jede 30. Frau bekommt
jenseits des 35. Lebensjahres noch ihr erstes Kind."
(Barbara Dribbusch in der taz vom 02.02.2001)
|
Dieser Artikel erschien
kurz bevor DORBRITZ (siehe weiter oben) die Zahlen für die
Generation Ally
korrigierte und damit DRIBBUSCH widerlegte. Bereits im Jahr 2000
war folgende Mitteilung zu lesen:
Warum denn erst so spät Mutter?
"12 Prozent aller Frauen
bekommen heute ihr erstes Kind mit über 35 Jahren und die Zahl
steigt: Seit Mitte der 80er Jahren hat sich dieser Anteil
vervierfacht."
(Monika Brickwedde in einer Mitteilung der Universität Hannover
vom 31.07.2000)
|
Wenn bereits 12 % aller
Frauen ihr erstes Kind mit über 35 Jahren bekommen, dann sind
darin noch nicht jene Frauen mitberechnet, die in diesem Alter
ihr zweites oder drittes Kind bekommen. Offenbar
haben wir es hier mit einem Wandel des generativen Verhaltens
zu tun, der in der Öffentlichkeit ignoriert wird. Stattdessen
lauten die Schlagzeilen:
Kinderlos ist kein Ideal
"Nur jede 30. Frau bekommt
jenseits der 35 noch ihr erstes Kind."
[mehr]
(Astrid Wirtz im Kölner Stadt-Anzeiger vom 04.04.2001)
|
Das durchschnittliche
Gebäralter unterscheidet sich bei ausländischen und deutschen
Müttern. Die Kluft hat sich innerhalb der letzten Jahre
vergrößert:
Bericht 2001 über die demographische Lage in Deutschland
"Das Durchschnittsalter
der Mütter bei der Geburt ihrer Kinder stieg 1999 gegenüber 1991
in Deutschland insgesamt von 28,2 auf 30,3 Jahre, darunter bei
den Deutschen von 28,4 auf 30,7 Jahre und bei den Ausländerinnen
von 26,1 auf 27,8 Jahre."
(Juliane Roloff & Karl Schwarz in der Zeitschrift für
Bevölkerungswissenschaft, 1/2002, S.26)
|
Ehen
ohne Kinder
Noch Mitte
der 1960er Jahre war es selbstverständlich, dass die Zahl der
in Ehen geborenen Kinder als ein genauer Indikator für das
generative Verhalten in Deutschland angesehen wurde:
Sozialkunde der Bundesrepublik Deutschland
"Wenn auch
von einem »Babyboom« wie in den Vereinigten Staaten noch nicht
die Rede sein kann, so deuten sich doch Gegenbewegungen an, die
die Klage über die künftige Bevölkerungsentwicklung fragwürdiger
erscheinen lassen. Die Zahl von nur 1757 lebendgeborenen Kindern
auf 1000 Ehen liegt zwar weit unter dem für die
Bestandserhaltung der Bevölkerung erforderlichen Minimum von
wenigstens 2000, in ihr sind jedoch sowohl die schon lange
bestehenden Ehen, aus denen kein weiterer Nachwuchs zu erwarten
ist, wie eben erst geschlossene Ehen zusammengefasst, deren
Kinderzahl noch ungewiß ist."
(Claessens/Klönne/Tschoeps ", 1965, zitiert nach 2.Auflage
1968, S.357)
|
Die
renommierten Autoren argumentieren hier mit Zahlen aus dem Jahr
1964. Über
dreißig Jahre später wissen wir dagegen, dass damals in
Westdeutschland 1.065.379 Kinder geboren worden sind. Das war
absoluter Höchststand in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts. Die
damaligen Wissenschaftler wussten dagegen nicht, dass sie
in einer Zeit lebten, die als deutscher »Babyboom« in die
Geschichte eingehen sollte. Im
Jahr 2003 liest sich das bei GASCHKE deshalb ganz anders:
Wo sind
die Kinder?
"1964 brachte
eine Frau, statistisch gesehen, 2,54 Kinder zur Welt. Die
Nettoreproduktionsrate lag bei 1,18 - das heißt, dass diese
Eltern durch ihre Kinder mehr als ersetzt wurden."
[mehr]
(Susanne GASCHKE in der ZEIT vom 14.08.2003)
|
Zeitdiagnosen sind also
mit Vorsicht zu genießen. Was
heutzutage nostalgisch verklärt wird und bei GASCHKE den Vorwurf
der Gebärfaulheit begründet, das wurde damals durchaus nicht als
etwas Außergewöhnliches erlebt. Stattdessen
stand im Wirtschaftswunderland die zunehmende
Erwerbstätigkeit der Ehefrauen in der Kritik und die
kinderlose Ehe erregte die Gemüter. So schreibt Richard KAUFMANN
in seinem Buch Gebrannte Kinder aus dem Jahr 1961:
Gebrannte Kinder
"Selten
findet man mehr als zwei Generationen (Eltern und Kinder) in
einer Wohnung, oft aber nur noch eine Generation, was sich
statistisch leicht nachweisen läßt. Ein Viertel aller Ehen des
Jahres 1957 war kinderlos."
(1961, S.110)
|
Während
heutzutage die 1950er Jahre als Goldenes Zeitalter der Ehe
erscheinen, galt dies für die damaligen Kulturkritiker nicht. Die
Eingliederung (verheirateter) Mütter in den Arbeitsmarkt, war
damals genauso umkämpft wie heutzutage.
Der Kulturkampf zwischen Alter und Neuer Mitte tobte
bereits Ende der 1950er Jahre:
Gebrannte Kinder
"Wenn Kirche,
Staat und Gesellschaft miteinander Eheformen sanktionieren, die
nicht mehr auf dem Gedanken eines gemeinsamen Opferns, sondern
auf dem eines gemeinsamen Genusses oder Verzehrs aufgebaut
werden, und wenn dies nicht das Privileg einer ohnehin nicht
mehr besonders geachteten Adelskaste ist (...), dann nehmen die
Kinder der alten Familie mit der Zeit an, daß ihre Eltern
einfach dumm sind (...).
Der Konsumgedanke wird nicht nur in der Gesellschaft, sondern
auch in der Familie bestimmend. Die Ehe selbst wird - zumindest
in der Vorstellung von Halbwüchsigen - etwas, das man
konsumiert. Die Gesellschaft leistet diesem Denken Vorschub,
indem sie alles Ehe nennt, was sich unter bestimmten äußeren
Formen zusammenfindet - ganz gleich, ob es sich um
Partnerschaft, Schlafgemeinschaft, Konsum- und Einkommens-Pool
oder das alte, auf Lebensdauer berechnete »Ehebündnis zweier
Menschen verschiedenen Geschlechts« bezieht, bei dem Besitz und
Kinderzahl gemeinsames Ziel von zwei Eltern bilden, die aber
gegeneinander scharf begrenzte Funktionen ausüben."
(1961, S.78)
|
Ging es
damals jedoch nur um die Einführung der Teilzeitarbeit für
verheiratete Mütter, so ist mittlerweile die Vollzeitarbeit für
Mütter umkämpft. Wurde
damals die »Lust am Zuverdienen« gegeißelt, obwohl in
traditioneller Sicht nur die blanke Not das Zuverdienen
rechtfertigte, so wird heutzutage die Ganztagsbetreuung von
Kindern kritisiert und Vollzeit arbeitende Mütter gelten als
Rabenmütter. Der
Kehrseite dieser Debatte entspricht dann die Kritik der
konservativen Alten Mitte an der Zunahme kinderloser Paare,
die als double income, no kids diffamiert werden:
Kinder für das Land
"Vor allem die Generation
schottet sich ab, die an der Misere schuld ist: Die ihre
Entscheidung getroffen hat für eine Beziehung mit »double income,
no kids« (42 Prozent der Universitätsabsolventinnen bleiben
kinderlos in Deutschland)".
(Michael Rutz im Rheinischen Merkur vom 31.07.2003)
|
Die traditionelle Perspektive, dass
Kinder nur in Ehen geboren werden dürfen, drückt sich auch in
der Normativität der Geburtenstatistik aus. Nach DORBRITZ
& SCHWARZ (1996) wird die Zahl der Kinder pro Frau nicht
erhoben, sondern muss geschätzt werden:
Kinderlosigkeit in Deutschland - ein Massenphänomen?
"Schätzungen
der Verteilung der Lebendgeborenen nach der Lebendgeborenenfolge
anhand der Daten der amtlichen Statistik (...) müssen es
bleiben, weil einerseits die Lebendgeborenen nach der
Ordnungsfolge nur für verheiratete Frauen in der bestehenden Ehe
ausgezählt wurden. Informationen fahlen somit für die
Unverheirateten generell und für die Verheirateten in dem Fall,
daß eine zweite oder weitere Ehe besteht. Beispielsweise wird
ein in zweiter Ehe geborenes Kind, das eigentlich das dritte
Kind der Mutter ist, danach als »erstes« Kind gezählt.
Andererseits ist in den jüngeren Jahrgängen die endgültige
Kinderzahl noch nicht erreicht. Es muß also auch das spätere
generative Verhalten geschätzt werden, bevor Kinderlosigkeit
konstatiert werden kann."
(Jürgen Dorbritz & Karl Schwarz in der Zeitschrift für
Bevölkerungswissenschaft, H.3, 1996, S.233)
|
Als
Konsequenz der Ausrichtung der Bevölkerungsstatistik an der
lebenslangen Ehe (Charlotte HÖHN, 1982
)
müssen andere Herangehensweisen genutzt werden.
Zum einen der Rückgriff auf Daten des Mikrozensus (zum Problem
siehe weiter oben Karl SCHWARZ über die Erhebungsmethoden bei
Kinderzahlen von Frauenjahrgängen) und zum anderen kann auf
Stichprobenerhebungen zurückgegriffen werden. DORBRITZ & SCHWARZ
(1996) nennen als Beispiel den Family and Fertility Survey
(FFS), der 1992 durchgeführt wurde. Im Kulturkampf um die Abschaffung des Ehegattensplittung
wird dagegen aus Sicht der Neuen Mitte die Zunahme der
kinderlosen Ehepaare angeprangert:
"Familie ist, wo Kinder sind"
"Nur jedes zweite Ehepaar
in Deutschland lebt mit Kindern".
(Ursula Ott in der Woche vom 10.12.1999)
|
Die Ursachen dieser Entwicklung sind darin zu sehen, dass es
zum einen mehr Spätgebärende gibt und sich zum anderen
die Empty-Nest-Phase, in der die Kinder bereits die
elterliche Wohnung verlassen haben, verlängert hat. Die
weiter oben bereits angesprochene enorme Zunahme von
Spätgebärenden führt dazu, dass Bevölkerungswissenschaftler
feststellen können:
Bericht 2001 über die demographische Lage in Deutschland
"Betrachtet man die
Entwicklung der ehelich Lebendgeborenen nach ihrer
Ordnungsfolge, lässt sich folgendes feststellen (...):
In Deutschland insgesamt ist die Zahl der ehelich Geborenen -
egal welcher Ordnungsfolge - innerhalb des
Untersuchungszeitraumes 1991/1999 gesunken. Den stärksten
Rückgang um 20,5 % weisen hierunter die Erstgeborenen auf".
(Juliane Roloff & Karl Schwarz in der Zeitschrift für
Bevölkerungswissenschaft, H.1/2002, S.23)
|
Die Zunahme der Spätgebärenden
ist u. a. eine Konsequenz der Bildungsexpansion seit den 1960er
Jahren, von der vor allem die Frauen profitierten. Im
Klappentext zum Roman
Das verborgene Wort von Ulla HAHN heißt es:
Das verborgene Wort
"Ein
Mädchen, Arbeiterkind, voller Neugier und Lebenswille
sieht sich im Käfig einer engen katholischen Dorfgemeinde
gefangen. Sie stößt an die Grenzen einer Welt, in der
Sprache und Phantasie nichts gelten. Fast zerbricht sie an
der Härte und Verständnislosigkeit der Eltern, die sie in
den eigenen Lebensgewohnheiten festhalten wollen. Im
Deutschland der fünfziger und frühen sechziger Jahre sucht
das Mädchen seinen Weg in die Freiheit: die Freiheit des
verborgenen Worts."
(aus: Klappentext 2001) |
Wollte
man damals die bildungsferne Schicht der Arbeiter erreichen, so
war es in erster Linie das sprichwörtliche katholische
Mädchen vom Lande, das die Chancen nutzte. Dies fand z.B.
seinen literarischen Niederschlag in dem Roman Das verborgene
Wort von Ulla HAHN. Es
verwundert deshalb kaum, dass
die kinderlose Akademikerin in der
gegenwärtige Debatte eine besondere Rolle spielt.
Die Kinderlosigkeit der Akademikerinnen
Der Kulturkampf um die
Familie wird in den Mittelschichten geführt. Es geht dabei um
die richtige Politik für die Mütterelite. Um
das Problembewusstsein zu schärfen, steht weniger die generelle
Kinderarmut zur Debatte, sondern es ist die Kinderlosigkeit von
Akademikerinnen, die in der öffentlichen Debatte besonders
hervorgehoben wird:
Der
Kinder-Crash
"40 Prozent der 35- bis
39-jährigen Akademikerinnen haben keinen Nachwuchs".
(Heiko Martens u.a. im Spiegel Nr.35 vom 30.08.1999)
Das
Reproduktionsproblem
"Die erwähnte Zahl von
einem Drittel kinderloser Frauen hat keine meßbare regionale
Schwankung (das würde auf Umwelteinflüsse hindeuten), aber eine
klare soziale Differenzierung: »80 Prozent aller
Hauptschulabsolventinnen bekommen Kinder, jedoch nur 25 Prozent
Akademikerinnen erfüllen sich ihren Wunsch auf Nachwuchs«"
(Manfred Sohn in der jungen Welt vom 08.06.2001;
Kinderlosenzahlen zitiert aus: rundblick, Hannover vom
14.11.2000)
Familien
in Deutschland
"Bei Akademikerinnen
bleiben sogar 40 Prozent ohne Nachwuchs"
(Signe Zerrahn, 2002, S.14)
Ein Herz
für Kinder - und Mütter
"Folge ist, dass (...)
Deutschland die zeitniedrigste Geburtenrate mit 1,3 Kindern hat
und 41 Prozent der Akademikerinnen bis 39 Jahre kinderlos sind."
(Renate Schmidt in der Welt vom 15.07.2002)
Die
kinderlose Gesellschaft
"Von
den 40-jährigen Akademikerinnen in Westdeutschland im Jahr 1997
waren 36% ledig und fast 40% kinderlos geblieben. Im
Durchschnitt beträgt die Kinderzahl dieser Gruppe nach
abgeschlossener Familienbildung 110 je 100 Akademikerinnen. Von
einer Nachwuchssicherung der Akademiker über die Familien kann
also – anders als früher – nicht die Rede sein. Ob das
vielleicht bei den Ehen zwischen Akademikern und Akademikerinnen
der Fall ist? Für sie ergaben sich 1997 167 Kinder bei 19%
kinderlos Gebliebenen."
(Karl Schwarz in Die Neue Ordnung, H.5, Oktober 2002)
|
Damit wird die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie auf die Agenda gesetzt.
Zukünftige
Bevölkerungspolitik heißt in Deutschland deshalb in
erster Linie die Förderung von Geburten, deren Eltern die
richtige soziale Herkunft besitzen. Es
werden nicht zuwenig Kinder geboren, sondern zuwenig "richtige"
Kinder. Dies wird selten so deutlich gesagt wie von Michael
KLEIN:
Halali auf Nachwuchsverweigerer
"finanzielle Anreize haben
ihre Grenzen. Wird Menschen immer mehr dafür bezahlt, dass sie
sich fortpflanzen, verliert das Kinderkriegen seine
Selbstverständlichkeit noch weiter. Die Zahl derer, die Kinder
bekommen, nimmt weiter ab, und die daran festhalten, tun dies
(...) entweder, um ihre psychologischen Bedürfnisse in die
lieben Kleinen zu projizieren - oder weil sich Kinder finanziell
rechnen. Wen wundert es, wenn vor diesem Hintergrund (...)
hinter vorgehaltener Wissenschaftlerhand vom »down-breeding« die
Rede ist, davon, dass diejenigen, die sich fortpflanzen, nicht
unbedingt zur geistigen Elite ihrer Gesellschaft gehören."
(Michael Klein in der Welt vom 30.12.2003)
|
Bevölkerungspolitik, die
von Renate SCHMIDT mit finanziellen Maßnahmen, die nicht direkt
zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie beitragen,
gleichgesetzt wird, lehnt die jetzige Familienministerin
wegen der Förderung "falscher Kinder" ab:
Mehr
Männerförderung!
"»Bevölkerungspolitik«
bedeutet, dass man versucht, Menschen durch materielle Anreize
dazu bewegen, mehr Kinder zu bekommen, als sie wollen. Solche
Versuche sind von vornherein zum Scheitern verurteilt - außer
vielleicht bei denen, die schlecht ausgebildet sind und geringe
Einkommenschancen haben. Nur bei denen wird Bevölkerungspolitik
erfolgreich sein."
(aus: Interview mit Susanne Gaschke in der
ZEIT vom 19.10.2000)
|
Neuerdings spricht Renate SCHMIDT im Anschluss an den
Bevölkerungswissenschaftler Max WINGEN lieber von "bevölkerungsbewusster
Familienpolitik":
Die
bayerische Preußin
"Ich mache eine
bevölkerungsbewusste Familienpolitik. Das ist mehr als
Frauenpolitik."
(Renate Schmidt im Gespräch mit Silke Lambeck
und Regina Zykla in der Berliner Zeitung vom 13.08.2003)
|
Der Begriff
bevölkerungsbewusste Familienpolitik wird von jenen benutzt, die
eine Enttabuisierung der Bevölkerungspolitik in Deutschland
betreiben, aber unliebsame Assoziationen vermeiden möchten.
Aus
der Sicht derjenigen, die eine Normalisierung von
Bevölkerungspolitik in Deutschland anstreben, schätzt Christian
SCHWÄGERL die Lage folgendermaßen ein:
Schockprävention
"Es wird rückblickend zu
den großen gesellschaftlichen Verschiebungen in Deutschland
gezählt werden, daß seit dem vergangenen Jahr der demographische
Wandel in allen Facetten in das Bewußtsein der Bevölkerung
eindringt. Zahlreiche sozialwissenschaftliche Doktorarbeiten
werden darüber abzufassen sein, wie es möglich war, daß
Kindermangel, Stadtschrumpfung und kollektive Alterung derart
lange tabuisiert geblieben sind. Von »verlorenen Jahrzehnten«
ist nun dramatisierend die Rede"
(FAZ
27.01.2004)
|
Was
bei der Debatte um kinderlose Akademikerinnen jedoch auffällt,
ist, dass außer der hohen Kinderlosenzahl keine
differenzierteren Daten genannt werden. Weder
werden spezielle Milieus unterschieden, noch wird gefragt,
welchen Einfluss die konkrete Berufssituation hat. Welche
Frauen mit welcher sozialen Herkunft sind von
Kinderlosigkeit besonders betroffen? Frauen aus benachteiligten
sozialen Milieus, die hart um ihren sozialen Aufstieg kämpfen
mussten, könnten im Vergleich zu Frauen mit bildungs- bzw.
großbürgerlichen Hintergrund doppelt benachteiligt sein.
Kinderlosigkeit als Konsequenz schichtspezifischer
Benachteiligung ist jedoch kein Thema. In Bezug auf
männliche Karrieren ist jedoch von Michael HARTMANN der
Mythos von den Leistungseliten eindrucksvoll belegt worden. Das
Merkmal "Akademikerin" sagt zudem nichts über die berufliche
Situation aus, sondern verweist lediglich auf einen
Bildungsabschluss. Bildungsabschlüsse garantieren heutzutage
jedoch nicht automatisch eine Karriere. An die Stelle von
Empirie sind in diesem Zusammenhang Ressentiments
getreten. Single-generation.de vertritt deshalb eine
Milieutheorie der Kinderlosigkeit:
Eine Milieutheorie der Kinderlosigkeit
"Ausgehend
von den Familiengeschichten und Biografien der
Journalistinnen Susanne GASCHKE und Katja KULLMANN wird
eine Milieutheorie der Kinderlosigkeit entwickelt.
Weder die
Feminismusschelte à la GASCHKE, noch die
Ökonomische Theorie der Kinderlosigkeit von Gary
BECKER bis Bert RÜRUP ist in der Lage die Kinderlosigkeit
in Deutschland hinreichend zu erklären. Ganz zu schweigen
von der Zeugungsstreikthese von Ulrike WINKELMANN
bis Meike DINKLAGE.
Gebärunwilligkeit,
Zeugungsstreik oder Kostenfalle sind lediglich Etiketten
für unbegriffene Phänomene, die Symptome eines neuen
Typs von Klassengesellschaft sind."
[mehr] |
Einer
neuen Männerbewegung, die literarisch bei Michael HOUELLEBECQ ("Ausweitung
der Kampfzone"
, "Elementarteilchen"
)
ihren Ausdruck gefunden hat, dienen Karrierefrauen als
Zielscheibe
.
Die
Jobkrise der Generation Golf
trägt zur Zunahme
von männlichen Frust-Singles bei. Die weibliche Konkurrenz auf
dem Arbeitsmarkt wird dann schnell generell dem
1970er-Jahre-Feminismus angelastet. Mit
Doing Gender hat der Soziologe Rainer PARIS dieser Sicht
zu Popularität verholfen. Mit dem Fortdauern der Jobkrise wird
diese Sicht weiteren Auftrieb erhalten
.
Fazit: Nicht die Gerontokratie droht, sondern
die familienfundamentalistische Restauration
In einem
Artikel der Welt hat Detlef GÜRTLER nachzuweisen
versucht, dass wir in einer Zeit des Umbruchs leben. So
wie 1965 der Baby Boom in Deutschland nicht als solcher
wahrgenommen wurde, sondern der Niedergang von Ehe und Familie
diskutiert worden ist, wird heutzutage die Geburtenkrise ausgerufen,
obwohl sich Anzeichen für eine neuerliche Trendwende finden
lassen:
Gerontokratie? Nichts da! Bald kommt der Babyboom
"Auf die
Jahrgänge 1967 bis 1969 entfallen die absoluten Minima der
altersspezifischen Geburtenziffern; in den jüngeren
Jahrgängen steigen die Geburtenzahlen wieder an. So hatten
1000 Frauen des Jahrgangs 1968 bis zu ihrem 25. Geburtstag
382 Kinder geboren - beim Jahrgang 1973 waren es zum
gleichen Zeitpunkt bereits 421.
(...).
Belegen lässt sich damit bisher nur, dass der seit Mitte der
sechziger Jahre andauernde Trend zur Abnahme der Zahl junger
Mütter Mitte der neunziger Jahre gestoppt wurde. Aus den
bisher vorliegenden Daten ist natürlich nicht zu entnehmen,
ob die heute zwischen 20 und 30 Jahre alten Frauen, die
bisher mehr Kinder bekommen haben als die vorangehenden
Jahrgänge, auch insgesamt mehr Kinder bekommen werden. Wenn
sich allerdings herausstellen sollte, dass auf die
Jahrzehnte des andauernden Geburtenrückgangs nun eine
nachhaltige Steigerung der Geburtenzahlen folgt, also ein
zweiter demographischer Übergang, wird als Wendepunkt der
Entwicklung wahrscheinlich das Jahr 1995 angegeben werden."
(Welt
19.08.2003)
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Leben wir
also in Zeiten eines neuen Babybooms, ohne dies zu wissen?
Die deutschen Demografen sind bei dieser Frage jedenfalls
keine große Hilfe. Sie schreiben ihre Zahlen einfach in die
Zukunft fort und entwerfen Horrorszenarien, die sich zwar
mit der Interessenlage des neuen Establishments decken, aber
Anzeichen einer Trendumkehr stillschweigend unter den Tisch
fallen lassen. Die Neue Mitte-Medien haben sie dabei
vollständig auf ihrer Seite. Solange
Familienfundamentalisten sozialpolitische Reformen gegen
Kinderlose durchsetzen wollen, sind Meldungen über einen
Babyboom kontraproduktiv. Da
die Minderheit der lebenslang Kinderlosen keine Lobby
besitzt, sondern nur Spielball in einem Kulturkampf
ist, wird der Familienfundamentalismus in nächster Zeit die
dominante Strömung sein.
Die Ruhestandsfamilie:
Spätgebärende als die neuen Trendsetter
Zum
Abschluss soll - nichtsdestotrotz - eine Utopie
stehen, die die gegenwärtige Debatte in nicht allzu ferner
Zukunft im Rückblick als Sackgasse erscheinen lassen könnte. Alvin
TOFFLER hat bereits zum Ausklang der 1960er Jahre
Umwälzungen der Geburtstechnologie prognostiziert, die
unsere Vorstellungen von Familie revolutionieren könnten. Heute
noch umstrittene Schwangerschaften nach der Menopause, die
durch die Erfolge der Reproduktionsmedizin möglich werden,
könnten der "Ruhestandsfamilie" zum Durchbruch
verhelfen
. Kinderlose
könnten zuerst ihre Karriere- und Berufspläne verfolgen und
erst danach im späteren Alter eine eigene Familie gründen. Spätgebärende
wären in dieser Sicht die Vorreiter eines
zukunftsträchtigen Trends. In dem 1970 auf deutsch
erschienenen Buch Der Zukunftsschock von Alvin
TOFFLER heißt es:
Der Zukunftsschock
Es ist fraglos
nur eine Sache von Jahren, bis die von Dr. Daniele Petrucci
in Bologna sowie von Wissenschaftlern in den Vereinigten
Staaten und in der Sowjetunion begonnenen Arbeiten es den
Frauen ermöglichen, Kinder zu bekommen, ohne die Strapazen
der Schwangerschaft durchstehen zu müssen.
Die möglich Anwendung solcher Entdeckungen ruft Erinnerungen
an Aldous Huxleys Schöne neue Welt (...) wach.
(...).
Die Auswirkungen der neuen Geburtstechnologie werden (...)
unsere traditionellen Begriffe von Sexualität, Mutterschaft,
Liebe, Kindererziehung und Bildung umstürzen."
(1970, S.159f.)
"Die
superindustrialisierte Gesellschaft, die nächste Stufe in
der öko-technologischen Entwicklung, erfordert (...) eine
noch größere Mobilität der Menschen. Logischerweise werden
viele Leute also in der Zukunft den Prozeß der
Familienverkürzung fortsetzen (...).
Eine Alternative zur Kinderlosigkeit könnte in der
aufgeschobenen Elternschaft liegen. Männer und Frauen von
heute geraten oft in eine Konfliktsituation - sollen sie
sich den Kindern widmen oder ihrer Karriere? Zukünftig wird
man dieses Problem umgehen, indem man die gesamte Aufgabe
des Kinderaufziehens in die Zeit nach der Pensionierung
verlegt. Das mag heute noch reichlich seltsam klingen. Wenn
die Frage der Geburt aber erst einmal von ihrer biologischen
Basis gelöst ist, kann höchstens noch die Tradition
vorschreiben, daß man möglichst frühzeitig Kinder bekommen
soll. Warum also nicht warten und die Embryos erst dann
kaufen, wenn die berufliche Laufbahn abgeschlossen ist?
Demnach wird sich die Kinderlosigkeit unter jungen Ehepaaren
und auch unter Ehepaaren in den besten Jahren immer mehr
verbreiten, während Kinder immer häufiger von
Sechzigjährigen aufgezogen werden. Die »Ruhestandsfamilie«
kann durchaus zu einer allgemein akzeptierten sozialen
Institution werden."
(1970,
S.195)
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