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Zitat:
Die Avantgarde der Kinderlosen als Zielgruppe der
Bevölkerungspolitik
"Bevor
nicht alles andere versucht ist, um das Bewusstsein der
gewollt Kinderlosen zu ändern, halte ich Strafsteuern für
sinnlos.
Und es ist nicht alles versucht worden, denn wir haben die
Anti-Kinder-Fraktion jahrelang mit Argumenten traktiert,
die sich eigentlich an bereits Bekehrte und
Traditionalisten wenden. Das konnte nicht wirken. Wir
müssen Argumente finden für die Avantgarde der
Kinderlosen, für gut ausgebildete Singlefrauen und FDP
wählende Erfolgsjungmänner, für entschiedene Nichteltern,
für Unentschlossene und Schwankende. Dabei geht es um
nicht weniger als um ein neues Mensch-, vor allem wohl ein
neues Frauenbild. Diese Bewusstseinsarbeit wird nicht ganz
leicht in einer Gesellschaft, in der (...) große
Bevölkerungsgruppen gar keinen Kontakt mehr zu Kindern
haben und gerade ein erheblicher Teil der Multiplikatoren
in den Medien zu dieser kontaktlosen Gruppe gehört."
(aus: Susanne Gaschke "Die
Emanzipationsfalle", 2005, S.156) |
Zwei typische Vertreterinnen der
Generation Karrierefrau
Die Medienbranche wird von zwei typischen Protagonistinnen der um die 1970er Jahre
geborenen Frauen geprägt.
Für
die Geburtselite steht Susanne GASCHKE, Jahrgang 1967,
die Aufsteiger repräsentiert dagegen Katja KULLMANN,
Jahrgang 1970.
Erstere rechnet
sich zur Generation Berlin, letztere hat für sich das
Etikett Generation Ally erfunden. Beide gehören zur Generation Golf, die Florian ILLIES für die 1965 - 1975
Geborenen erfunden hat.
Von Susanne GASCHKE
ist gerade das Buch Die Emanzipationsfalle erschienen,
das uns hier als Anlass dient, um den tobenden Kulturkampf
der Mitte-Elite aus einer Perspektive zu betrachten, die
gegenwärtig vollkommen unterbelichtet ist.
Ausgehend von den
Familiengeschichten und Biografien der Journalistinnen Susanne
GASCHKE und Katja KULLMANN wird eine Milieutheorie der
Kinderlosigkeit entwickelt. Weder die
Feminismusschelte à la GASCHKE, noch die Ökonomische
Theorie der Kinderlosigkeit von Gary BECKER bis Bert RÜRUP
ist in der Lage die Kinderlosigkeit in Deutschland hinreichend
zu erklären. Ganz zu schweigen von der Zeugungsstreikthese
von Ulrike WINKELMANN bis Meike DINKLAGE.
Gebärunwilligkeit,
Zeugungsstreik oder Kostenfalle sind lediglich Etiketten für
unbegriffene Phänomene, die Symptome eines
neuen Typs
von Klassengesellschaft sind.
Der demografische Wandel als Ergebnis
gesellschaftlicher Veränderungen
Der Wandel des
Kapitalismus, der mit einem Wandel des Bildungssystems, des
Arbeitsmarktes, der Entstehung neuer Berufe und neuer
Konsumchancen einherging, hat neue Milieus mit neuen
Bedürfnissen hervorgebracht.
Welche Konsequenzen
die gestiegene Lebenserwartung hat, ist gleichfalls noch
unbegriffen.
Seit den 1990er
Jahren steht der demografische Wandel zunehmend mehr im
Mittelpunkt der politischen Agenda. Damit hat diese
Problembeschreibung das Ökologiethema, mit dem die Grünen die
politische Bühne erobert haben, verdrängt. Der demografische
Wandel wird als Problembündel dargestellt und je nach
Perspektive wird entweder die steigende Lebenserwartung oder der
Geburtenrückgang als schwerwiegendste Problemursache betrachtet. Susanne GASCHKE vertritt die nationalkonservative
Problembeschreibung, wonach der Geburtenrückgang gravierende
gesellschaftliche Folgen haben wird, wenn nicht schnell
politisch und kulturell radikal umgesteuert wird.
GASCHKE folgt hier
Bevölkerungswissenschaftlern wie Herwig BIRG und Soziologen wie
Franz-Xaver KAUFMANN, die das nationalkonservative Paradigma am
konsequentesten positioniert haben.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
"Dies
ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem
nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend
die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt.
Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard
Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die
Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank
Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster
Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der
Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
Es wird aufgezeigt, dass sich die
nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles
im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die
nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen." |
Im folgenden werden
wir uns nicht mit der Frage beschäftigen, inwiefern die
Geburtenkrise überhaupt existent ist. Dies wurde ausführlich
im Beitrag Die politische Konstruktion der Geburtenkrise
behandelt
.
Wir werden uns
jedoch mit den biografischen Wurzeln, d.h. den
identitätstheoretischen Gründen für Vorwürfe wie
Gebärunwilligkeit oder Zeugungsunwilligkeit beschäftigen.
Hier liegt eine
zentrale Ursache für die Vehemenz, mit der dieses Thema die
Debatte bestimmt.
Daneben werden die
Faktoren Partnerschaft und Heirat näher beleuchtet, denn
in der nationalkonservativen Perspektive kommt diesen Faktoren
eine zentrale Rolle bei der Problembeschreibung Geburtenrückgang
zu. Zu allererst werden
wir uns nun den Biografien von Susanne GASCHKE und Katja
KULLMANN widmen.
Vorbemerkung: autobiografischer
Essayismus als Ausgangspunkt für Fallvergleiche
Wir werden hier die Bücher
Die Emanzipationsfalle von Susanne GASCHKE und
Generation Ally von Katja KULLMANN der Gattung
autobiografischer Essayismus zuordnen.
Diese Gattung
verknüpft biografische Selbstinszenierung und
Gesellschaftsbeschreibung, indem eine steile These aufgestellt
wird, die mit einem Buch belegt werden soll. Während dem
Roman im Rahmen der Literatursoziologie und mittlerweile
auch anderer Soziologien eine gewisse seismografische Bedeutung
zugesprochen wird, sind Sachbücher als Dokumente
gesellschaftlichen Wandels für die Soziologie eher irrelevant
geblieben.
Nichtsdestotrotz
wurde z.B. das Buch Generation Golf von Florian ILLIES
inzwischen auch in der Soziologie und Politikwissenschaft zum
Ausgangspunkt entsprechender empirischer Untersuchungen oder
theoretischer Überlegungen genommen
.
Wenn wir die Fälle
von GASCHKE und KULLMANN vergleichen, dann sollen sie unsere Milieu-These zum besseren Verständnis illustrieren.
Die Geburtselite: Das Beispiel Susanne Gaschke
Susanne GASCHKE
repräsentiert die bildungsbürgerliche Tradition der
Geburtselite. Im Kapitel Nie
mehr jammern schildert GASCHKE die Familie, in die sie
hineingeboren wurde. Ihre Großmutter,
1910 geboren, überlebte als einzige von 5 Kindern und durfte
deshalb Medizin studieren. Mit 35 Jahren hatte sie bereits 3
Kinder geboren. In der Zeit zwischen Kriegsende und Rückkehr des
Ehemanns aus russischer Gefangenschaft, arbeitete die Großmutter
im öffentlichen Gesundheitsdienst. 1949 gab sie ihre Stelle
zugunsten ihres Ehemannes auf, eröffnete aber Mitte der 50er
Jahre in Kiel eine der ersten staatlichen Eheberatungsstellen. GASCHKEs Mutter,
Jahrgang 1943 und damit Angehörige der 68er-Generation, ging
aufs Gymnasium und studierte Anglistik und Geschichte. Sie
arbeitete danach auf einer Teilzeitstelle am selben Gymnasium
wie der Ehemann.
Susanne GASCHKE
gehört familiengeschichtlich also mütterlicherseits bereits zur
dritten Akademikerinnengeneration. Im Buch thematisiert GASCHKE
ihre Berufsorientierung als Bruch der Familientradition:
Die Emanzipationsfalle
"Sie habe sich
bewusst gegen Vollzeittätigkeit entschieden, sagt meine Mutter,
weil sie uns die Erfahrungen ihrer eigenen Kindheit nicht
zumuten wollte (...). Inzwischen frage sie sich manchmal, ob
ihre Entscheidung richtig gewesen sei, denn heute werde über
Hausfrauen und Nur-Mütter geredet, als ob sie Vollidiotinnen
und, schlimmer noch, volkswirtschaftliche Parasiten seien.
(...).
Und als
jemand, der in den Genuss einer unbeschwerten, komfortablen
Kindheit gekommen ist, halte ich die gegenwärtige Stimmungsmache
gegen Hausfrauen für extrem ungerecht.
Allerdings
war sowohl für mich wie für meine Schwester trotz des
harmonischen häuslichen Vorbilds klar: wir nicht! Wir werden
selbstverständlich arbeiten, mit oder ohne Kind, mit oder ohne
Mann, ganz egal, arbeiten! Erfolg haben! Uns durchsetzen! Mir
(Jahrgang 1967) ist das mit einer nunmehr vierzehnjährigen
Tochter ganz gut gelungen, meiner Schwester (Jahrgang 1972),
bisher ohne Kinder, auch. Manchmal frage ich mich allerdings, ob
meine Muter sich durch unsere entschlossene Berufsorientierung
gekränkt fühlt, ob sie unsere geringe Neigung zur häuslichen
Sphäre als Kritik empfindet - ich hoffe nicht, haben doch sie
und mein Vater durch die vielen, vielen Stunden, in denen sie
unsere Tochter hüteten, meinen Berufsweg erst möglich gemacht."
(2005, S.15f.) |
GASCHKEs Großmutter hatte
im Alter von 35 Jahren 3 Kinder geboren, die Mutter immerhin
zwei Kinder, während GASCHKE und ihre Schwester ihren
gesellschaftlichen Gebärauftrag noch nicht erfüllt haben. Am 14. August 2003
fragte Susanne GASCHKE im Leitartikel Wo sind die Kinder?
und forderte für das Land der Egoisten: Kein Nachwuchs, keine
Rente. GASCHKE - selber Teil des Problems - forderte damals:
Wo sind die Kinder?
"Der Staat, »die«
Politik, kann den gesellschaftlichen Individualisierungsprozess
nicht aufhalten. Dieser ist ein kulturelles Problem, das sich
normalen Gesetzesinitiativen entzieht. Wenn die Menschen als
Dinks (double income, no kids) oder heute noch lieber
als Singles leben wollen, kann niemand sie daran hindern. Aber
mutige Politiker müssten ihnen unverblümt sagen, dass ihre
individuelle Entscheidung gegen Kinder, die sich mit Millionen
von gleichgerichteten Entscheidungen zum Massenphänomen
summiert, nicht folgenlos bleiben wird. Wer, als Kinderloser,
die halbe Million Euro (Existenzminimum), die zum Großziehen von
drei Kindern mindestens nötig wäre, im Frühling des Lebens für
Tauchurlaube ausgibt, kann nicht im Herbst die Sparbücher seiner
Eltern plündern; die werden überdies leer sein."
(aus: Die ZEIT v. 14.08.2003)
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GASCHKE prangert hier den hedonistischen Lebensstil von Kinderlosen an, den sie als
Folge des gesellschaftlichen Individualisierungsprozesses
betrachtet, dem mit politischer Gesetzgebung allein nicht
gegengesteuert werden kann. Diese Argumentation bildet auch den
Kern des neuen Buches. Wir können also
festhalten, dass GASCHKEs Perspektive auf den Geburtenrückgang
durch die Erfahrungen ihres Milieus gestützt werden.
Die Aufsteiger: Das Beispiel Katja Kullmann
Im Jahre 2002 erschien das
Buch Generation Ally von Katja KULLMANN. Das Buch wurde
zum Bestseller. Im Gegensatz zu
GASCHKE bleibt KULLMANNs Familiengeschichte mehr im Dunkeln. Man
erfährt, dass ihre Eltern 1978 in eine Eigenheimsiedlung in
Friedrichsdorf gezogen sind. Der Ort mit ca. 20.000 Einwohnern
liegt im Taunus und gehört zum Großraum Frankfurt. Über ihre
Mutter erfahren wir:
Generation Ally
"Meine Mutter
(...) hatte ihren Job als Rechtsanwaltsgehilfin 1970 aufgegeben,
weil ich zur Welt kam. Ich wurde unter anderem deshalb geboren,
weil meine Eltern unbedingt heiraten wollten, meine Mutter aber
noch nicht 21 war und die Einwilligung zur Hochzeit nur mit
Hilfe eines dicken Bauches bekam, denn sie stammte aus einem
katholischen Haushalt, und ein uneheliches Kind wäre eine
Schande gewesen. Sie wäre nie auf den Gedanken gekommen, meinen
Vater mit der Kindererziehung zu beauftragen, auch, weil er eine
bessere Ausbildung als sie hatte und mehr verdiente. Eigentlich
kam mir meine Mutter immer ganz zufrieden vor, und sie sich
offenbar auch.
Aber
spätestens Ende der 70er werden unsere Mütter mit dem Nachdenken
begonnen und bemerkt haben, dass ihr Alltag plötzlich ein
»Rollenbild« war, zu dem es verdammt nochmals Alternativen gab.
Sie werden nicht umhingekonnt haben, ihre eigene Biografie zu
durchleuchten, zu erkennen, dass sei andere Möglichkeiten gehabt
hätten oder zumindest haben sollen. Denkbar, dass unseren
Müttern in schwachen Momenten ihr eigenes Leben plötzlich
schäbig erschien. (...).
Unsere
Mütter bemühten sich verzweifelt darum, neben dem Haushalt noch
ein bisschen an sich selbst zu denken. Wir jedoch hatten zu
keinem Zeitpunkt vor, jemals nicht an uns selbst zu denken.
Diesen Fehler würden wir niemals machen. Wir, die zwischen 1965
und 1975 Geborenen, sind die erste Frauengeneration, die
unmittelbar von der Frauenbewegung profitierte."
(2001, S.37f.) |
KULLMANN stellt also -
genauso wie GASCHKE einen Bruch in der Familientradition
fest, anders als GASCHKE kann KULLMANN jedoch mütterlicherseits
auf keine Akademikerinnentradition verweisen.
KULLMANN beschreibt
in ihrem Buch auch den hedonistischen Lebensstil der
Generation Ally, auf den sich GASCHKEs obiger Vorwurf der
Gebärfaulheit bezieht:
Generation Ally
"Wir unternehmen
einen Weekend-Trip nach Paris, zum Shoppen; jetten eben schnell
nach Verona, zur Oper in die Arena, wegen der Kultur; hüpfen
flugs über den Kanal, zum Notting Hill Carnival nach London oder
übern Teich zum Christopher Street Day nach New York, um den
Anschluss nicht zu verpassen; mieten uns in ein Ayurveda-Ressort
in Thailand ein, der Schönheit und der Balance wegen."
(2002, S.48)
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Was jedoch bei GASCHKE
ausgeblendet wird, dass sind die teilweise miserablen
Arbeitsbedingungen in der Medienbranche, die mittlerweile zur
Begriffsprägung Generation Praktikum geführt haben:
Generation Ally
"Ein Praktikantensalär
bestand meist aus einer Pauschale zwischen 500 und 1000
Mark. Das mieseste Gehalt, das ich je bekam, wurde
von einem großen Zeitschriftenverlag spendiert, für den
ich wöchentlich 50 Stunden tätig war, fast immer ohne
Mittagspause und ohne Wochenende, über drei Monate. Und
das für ein Monatslohn von 250 Mark, was einem
Bruttostundenlohn von rund 1,25 Mark entspricht.
Neben lächerlicher oder gar fehlender Entlohnung bringt
der Praktikantenstatus noch weit prägendere Erfahrungen
mit sich: Unterforderung, Überforderung und
Überflüssigkeit."
(2002, S.52)
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Was weiter auffällt: Im
Gegensatz zu GASCHKE, spielt für KULLMANN das Elternhaus keine
entscheidende Rolle. Sich unabhängig vom Elternhaus durchsetzen
zu müssen, kennzeichnet den Aufsteiger:
Generation Ally
"Ich hatte mich für den
Fachbereich Gesellschaftswissenschaften entschieden, weil
ich annahm, dass ich nach einem Studium der Politologie
und Soziologie zumindest rudimentäre Ahnung hätte von
Recht, Wirtschaft, Psychologie und Politik (...). Das
schien mir die geeignete Voraussetzung zur
Journalistenlaufbahn zu sein. Da ich nach wie vor im
Rhein-Main-Gebiet wohnte, jetzt allerdings nicht mehr in
Friedrichsdorf bei meinen Eltern, sondern am Rande
Frankfurts in einer 28 Quadratmeter großen Dachkammer mit
Kochecke und Dusche im Keller, hatte ich mich an der
Johann-Wolfgang-Goethe-Universität eingeschrieben, einer
so genannten linken Uni, und eine Massen-Uni noch dazu."
(2002, S.56)
|
Katja KULLMANN wird durch
Lifestyle-Magazine sozialisiert:
Generation Ally
"Der Beginn der
Lifestyle-Ära und unsere Volljährigkeit fallen historisch
zusammen. Kurz vor meinem Eintritt in die Oberstufe erschien
1985 die inzwischen eingestellte Zeitgeist-Illustrierte Tempo,
ein Jahr später folgte das Szene-Stadtmagazin Prinz, in
der Abiturphase kam MAX hinzu, 1994 dann Fit for Fun,
zwei Jahre später die Fotostrecken- und Sex-Tipps-lastige
Frauenzeitschrift Amica. Analog zur Trendmaschinerie des
produzierenden und werbenden Gewerbes erfanden die
Lifestyle-Medien Freizeitbeschäftigungen und Sinnstiftungen und
führten immer neue Hyper-hyper-Vokabeln ein."
(2002, S.75)
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Später arbeitet dann
KULLMANN selber für solche Lifestyle-Magazine:
Generation Ally
"Einer meiner
ersten bezahlten Jobs bestand in der freien Mitarbeit als
Szene-Reporterin in der Frankfurter Prinz-Redaktion. Auch
dort wurden Lifestyle-Trends gemacht beziehungsweise frei
erfunden."
(2002, S.77)
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Am Ende des Buches
Generation Ally zieht Katja KULLMANN Bilanz:
Generation Ally
"31 ist mein
Alter. Zwischen meinem 20. und 30. Geburtstag bin ich neun Mal
umgezogen und habe in vier verschiedenen Städten gelebt, jeweils
mindestens ein halbes Jahr lang. Ich habe Praktika absolviert,
um Erfahrung zu sammeln, und viele verschiedene Jobs gemacht, um
mich über Wasser zu halten, habe Einkaufswagen sortiert,
gekellnert, Hongkongfilme synchronisiert und telefonische
Marktforschung betrieben. Ich habe studiert und das Studium
abgeschlossen und wegen der Frauenquote an der Uni eine Stelle
als wissenschaftliche Hilfskraft angeboten bekommen, aber ich
ging lieber raus in die Praxis. Dort habe ich einen damals noch
ordentlichen Beruf erlernt, den der Redakteurin, und mich fest
anstellen lassen. Ich war erfolgreich, so erfolgreich, dass ich
mich als Freiberuflerin selbstständig machte und meine Ich-AG
gründete, in einer Zeit, in der die Start-ups- und
Existenzgründerwelle boomte. Ich wollte weniger arbeiten und
mehr verdienen, was sich beides bislang nicht erfüllt hat.
Ich habe neben Europa auch den nordamerikanischen und den
südamerikanischen Kontinent fast komplett bereist. Asien ist als
nächstes dran. Ich beherrsche zumindest eine Fremdsprache und
habe Grundkenntnisse in zwei anderen Sprachen; außerdem habe ich
das große Latinum, was für das Hier und Heute rein gar nichts
bringt, man weiß nie, ob man es in den Lebenslauf schreiben soll
oder nicht.
(...).
Die Zahl der Männer, die ich näher kennen lernte, liegt über dem
statistischen Mittel von 4,4, allerdings hatte ich noch nie
einen One-Night-Stand, die kleinste Erotik-Einheit war ein
Two-Night-Stand. Vorläufig bin ich kein Single, ich führe eine
Beziehung.
(...).
Ich nehme die Pille, und auch wenn ich sie häufig vergesse,
musste ich noch nie abtreiben. Vielleicht bin ich unfruchtbar,
ich habe es noch nie testen lassen. Wenn man mich fragt, ob ich
Kinder will, dann weiß ich nicht, was ich sagen soll. Ich kann
es mir durchaus vorstellen, aber ich kann mir auch vorstellen,
kinderlos zu bleiben. (...). Ich weiß nicht, ob ich eine
richtige Frau bin. Ich weiß nicht, ob ich später einsam bin. Ich
habe Angst, Angst zu haben. Und ich hasse Ally McBeal."
(2002, S.213ff.)
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Das Buch Generation
Ally erschien im Februar 2002. Im Sommer 2002 traf die
Jobkrise auch den Pop-Journalismus der Lifestyle-Presse
.
Die Bilanzierung ist deshalb nicht nur unter biografischen,
sondern vor allem unter gesellschaftlichen Aspekten zu
betrachten.
Natürliche Feinde: Geburtseliten und Aufsteigerinnen
Liest man beide Bücher,
dann ergeben sich viele Gemeinsamkeiten. Sie weisen daraufhin,
dass sich beide als Angehörige der Mitte-Elite verstehen.
Generation Ally
"Wir gehören zur Neuen
Mitte, ohne dass wir wüssten, was das eigentlich sein soll, und
wenn wir uns schlecht fühlen, gehen wir einkaufen oder lassen
uns farbige Strähnchen ins Haar montieren."
(2002, S.87)
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Es ist wohl dieser Satz,
der die Differenz markiert.
Während GASCHKEs
Generation Berlin die Neue Mitte definiert hat, zählt sich KULLMANN
zum Wählerpotenzial.
Im Sinne von
Gerhard SCHULZEs Erlebnisgesellschaft, gehört GASCHKE dem Niveaumilieu an, während KULLMANN dem
Selbstverwirklichungsmilieu zuzuordnen wäre .
Die Emanzipationsfalle
"Meine Freundin
Rosie kenne ich seit meinem zehnten Lebensjahr. (...). Wir
gingen auf ein altsprachliches Gymnasium, weil ihr Vater und
meine Mutter dort auch schon zur Schule gegangen waren. Rosie
dachte pragmatisch und lernte als dritte Fremdsprache
Französisch, mir gefiel die überall in meinem Freundeskreis
entsetzt kommentierte Nutzlosigkeit von Altgriechisch"
(2005, S.53), |
schreibt GASCHKE. Die Wahl
Altgriechisch charakterisiert diesen bildungsbürgerlichen
Habitus (Pierre BOURDIEU) ganz gut. Dagegen besitzt KULLMANN
zwar das Große Latinum, aber innerhalb ihres
Selbstverwirklichungsmilieu ist das eher kein notwendiges
Distinktionsmerkmal. GASCHKE beschreibt
ihre Karriere als typisch für die Töchter der Emanzipation:
Die Emanzipationsfalle
"Als ich 1986 Abitur
machte - selbstverständlich war ich, unter großer Ermunterung
durch meine Lehrer, auch Schulsprecherin gewesen -, hatte ich
das Gefühl, dass die Welt auf mich wartete. In der Konfrontation
mit dem Arbeitsmarkt der neunziger Jahre relativierte sich diese
Wahrnehmung ein wenig, aber so ging es allen im Zeitalter der
Kohl'schen Massenarbeitslosigkeit, die im Jahr 1998, lange vor
Hartz IV, 4,8 Millionen Arbeitslose betrug. Zu keiner Sekunde
hatte ich das Gefühl als Frau benachteiligt zu sein, im
Gegenteil: Die Ladenhüter bei der Kandidatur um politische
Ämter, in der Konkurrenz um Volontariate und erste Stellen waren
eindeutig die gleichaltrigen Nur-Männer."
(2005, S.19) |
Vergleicht man jedoch die
Karrieren von GASCHKE und KULLMANN, dann wird deutlich, dass
zwar beide Abitur, Studium und Karriere in der Medienbranche
absolviert haben, aber in unterschiedlichen Segmenten.
GASCHKE arbeitet
bei der seriösen Wochenzeitung Die ZEIT, die eine lange
Tradition aufweisen kann, während KULLMANN im neu entstandenen
Lifestyle-Sektor arbeitete.
Es ist
offensichtlich kein Zufall, dass GASCHKE und KULLMANN genau jene
Karrieren machten.
Obwohl sich beide
als erfolgreiche Töchter der Emanzipation beschreiben, gehört
GASCHKE zur Geburtselite, die die traditionellen
Segmente besetzt, während die Aufsteiger in den neu
entstandenen Märkten ihre Chance suchten.
Neben der
Geschlechterdifferenz darf also die Herkunft keineswegs
ausgeblendet werden. Es müsste also gefragt werden wie
durchlässig die einzelnen Segmente überhaupt sind.
Die Studien von
Michael HARTMANN über den
Mythos
von den Leistungseliten
weisen darauf hin, dass Deutschland eine geschlossene
Gesellschaft ist.
Und immer wieder "Stallgeruch"
"Festgemacht
wird der »richtige« Habitus in den Chefetagen der
deutschen Großunternehmen an vier zentralen
Persönlichkeitsmerkmalen: an der Vertrautheit mit den dort
gültigen Dress- und Benimmcodes, einer breiten
Allgemeinbildung in einem klassisch bildungsbürgerlichen
Sinne, unternehmerischem Denken (inklusive der aus Sicht
von Spitzenmanagern damit notwendigerweise verknüpften
optimistischen Lebenseinstellung) und - als wichtigstes
Element - der persönlichen Souveränität in Auftreten und
Verhalten. All diese Eigenschaften weist man um so eher
auf, je stärker einem das Milieu von Kindesbeinen an
vertraut ist. Das ist der entscheidende Vorteil der
Bürgerkinder, wenn es um die Besetzung solcher Positionen
geht."
(Michael Hartmann in der Frankfurter
Rundschau vom 28.01.2003) |
Der Soziologe
Andreas BOES vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung
in München sieht in der Film- und Fernsehwirtschaft einerseits
und der IT-Branche andererseits modellhafte Arbeitsstrukturen
für die zukünftige Gesellschaft:
Wenn der ständige Wechsel zur Normalität wird
"Im
einen Bereich, also Film und Fernsehen, befürchten wir, dass es
zu einer Atomisierung der Beschäftigten kommt, dass die Menschen
dadurch als Einzelkämpfer immer mehr unter Druck kommen, dass
ihre Arbeits- und Lebensbedingungen sich verschlechtern werden,
dass insbesondere auch die Möglichkeiten, Familie zu haben dem
Leben insgesamt auch einen Raum einzuräumen immer schwieriger
werden und dass die Beschäftigten quasi in eine Abwärtsspirale
geraten, wo sie sich gegenseitig immer mehr Konkurrenz machen.
Gegenläufig glauben wir im Bereich der IT-Industrie, dass die
Beschäftigten sehr viel stärker versucht und bemüht sind, sich
gemeinsam mit den Kollegen auch zu wehren (...).
Den Grund für diese gravierenden Unterschiede sieht Boes
in den unterschiedlichen betrieblichen Strukturen. Während die
meisten IT-Beschäftigten noch feste Verträge mit meist kleinen
Firmen haben, arbeitet die Mehrheit in der Filmbranche als
vollkommen freie Mitarbeiter. Sie erhalten immer nur Verträge
für eine bestimmte Produktion. Ist der Streifen abgedreht, haben
sie keinen Anspruch, beim nächsten Film wieder beschäftigt zu
werden. So konnten die Produzenten relativ problemlos in der
Krise die Honorare kürzen, gleichzeitig aber die Anforderungen
hochschrauben und oft sogar noch die Arbeitszeiten immer mehr
verlängern."
(Regina Kusch & Andreas Beckmann, Sendung des DeutschlandRadio
v. 22.09.2005) |
Es wäre zu fragen,
ob nicht die Medienbranche in weiten Teilen sozusagen
ein extremistisches Milieu ist, dessen Arbeits- und
Lebensbedingungen erst jenes Bedürfnis nach Ästhetisierung
des Single-Daseins hervorbringen, weil ansonsten die eigene
Lebenssituation als unerträglich erfahren werden müsste.
Während die Single-Ästhetik ein typisches Produkt der Aufsteigerinnen
zu sein scheint, für das der Hedonismusvorwurf zu kurz greift, so müsste die
Single-Rhetorik als Abwehrmechanismus der Geburtselite
begriffen werden.
Sicherlich ist
diese Sicht etwas simplifizierend. Single-Ästhetik und
Single-Rhetorik können nicht allein unter dem Gesichtspunkt
zweier konkurrierender Milieus betrachtet werden,
nichtsdestotrotz wäre dieser Aspekt eine genauere Untersuchung
wert.
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