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Kommentierte Bibliografie

 
       
   

Die Entwicklung der Geburtenzahlen in Deutschland

 
       
   

Eine Bibliografie der Debatte um die Geburtenentwicklung (Teil 7)

 
       
     
       
   
     
 

Vorbemerkung

Die mediale Berichterstattung zur Geburtenentwicklung richtet sich nicht nach der Faktenlage, sondern nach politischen Interessen. Um diese deutlich zu machen werden in dieser Bibliografie ab heute (02.07.2012) nach und nach ausgewählte Medienberichte und Literatur zum Thema chronologisch dokumentiert. Die Kommentare entsprechen jeweils dem Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, falls nichts anderes vermerkt ist.

Kommentierte Bibliografie (Teil 7: 2010)

2010

DESTATIS (2010): Erneute Bevölkerungsabnahme für 2009 erwartet,
in:
Pressemitteilung Statistisches Bundesamt Wiesbaden v. 21.01.

"2009 wurden voraussichtlich weniger Kinder in Deutschland geboren und es starben auch weniger Menschen als 2008. Nach der Schätzung wird mit etwa 645 000 bis 660 000 Geburten und mit etwa 830 000 bis 840 000 Sterbefällen gerechnet. Es ist davon auszugehen, dass innerhalb dieser Grenzen das Geburtendefizit – also die Differenz aus Geburten und Sterbefällen – für 2009 im Bereich von etwa 180 000 bis 190 000 liegen dürfte. Zum Vergleich: 2008 gab es 683 000 Geburten und 844 000 Sterbefälle. Daraus ergab sich ein Geburtendefizit von 162 000", meldet das Statistische Bundesamt.

DESTATIS (2010): Durchschnittliche Kinderzahl 2008 in den neuen Ländern angestiegen,
in:
Pressemitteilung Statistisches Bundesamt Wiesbaden v. 27.01.

"In den neuen Ländern setzt sich der langfristige Wiederanstieg der Geburtenhäufigkeit nach dem starken Einbruch Anfang der 1990er Jahre fort: Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, stieg 2008 die durchschnittliche Kinderzahl je Frau in den neuen Ländern auf 1,40 an (2007: 1,37). Im früheren Bundesgebiet (jeweils ohne Berlin) blieb sie mit 1,37 konstant. Hier war die durchschnittliche Kinderzahl je Frau zuletzt 2001 mit 1,38 und 2000 mit 1,41 höher ausgefallen als 2008", heißt es in der Pressemeldung

SIEMS, Dorothea (2010): Ostdeutsche bekommen wieder mehr Kinder.
Erstmals seit der Wiedervereinigung ist Geburtenrate höher als im Westen,
in: Welt v. 28.01.

FLORIN, Christiane (2010): Bye-bye, Babyboom.
Familienpolitik: Die Geburtenrate ist auf dem Tiefststand, trotz zahlreicher Wohltaten. Es fehlt an wohltuenden Worten,
in: Rheinischer Merkur Nr.4 v. 28.01.

DÜCKERS, Tanja (2010): Religiosität hilft nicht.
Im Jahr 2009 ist die Geburtenrate in Deutschland weiter gesunken. Auf der Suche nach Gründen werden nahe liegende Ursachen übersehen. Ein Kommentar,
in: Zeit Online v. 01.02.

HEINSOHN, Gunnar (2010): Wie man viel Geld Armut vermehrt.
Höhere Sozialleistungen steigern die Geburtenrate von arbeitslosen Frauen. Bill Clinton kürzte in Amerika die Bezüge - mit Erfolg,
in: Welt v. 09.02.

DESTATIS (2010): 2009: Weniger Geburten und Sterbefälle, Eheschließungen nahezu konstant,
in:
Pressemitteilung Statistisches Bundesamt Wiesbaden v. 17.05.

"Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, ist nach vorläufigen Ergebnissen die Zahl der lebend geborenen Kinder in Deutschland im Jahr 2009 mit 651 000 Kindern gegenüber der vergleichbaren Zahl des Vorjahres zurückgegangen (– 3,6%). Das vorläufige Jahresergebnis liegt somit im Rahmen der Schätzung von etwa 645 000 bis 660 000 Geburten, die Destatis Anfang des Jahres auf Grundlage der bis dahin verfügbaren Angaben vorgenommen hatte (siehe Pressemitteilung 28/2010 vom 21.01.2010)", heißt es in der Pressemitteilung.

WORATSCHKA, Rainer (2010): Deutschland schrumpft.
2009 wurden so wenig Kinder geboren wie nie zuvor – Ministerin sieht keinen Grund zur Beunruhigung,
in: Tagesspiegel v. 18.05.

UNGER, Christian (2010): Schwere Geburt.
Trotz des Elterngeldes und des Rechts auf Kita-Betreuung kamen in Deutschland 2009 so wenig Kinder wie noch nie seit 1945 zur Welt,
in: Hamburger Abendblatt v. 18.05.

WERMELSKIRCHEN, Axel (2010): Noch nie so wenige Kinder.
In Deutschland wuchs auch 2009 der Sterbeüberschuss,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18.05.

GASCHKE, Susanne (2010): Wovor hat ihr Angst?
Mit Geld allein lässt sich die Geburtenrate nicht nach oben treiben,
in: Die ZEIT Nr.21 v. 20.05.

"Das Statistische Bundesamt hat vorläufige Geburtenzahlen für das Jahr 2009 veröffentlicht – und dass jetzt alle wieder einmal ganz intensiv übers Kinderkriegen nachdenken werden, ist unausweichlich. Wir tun es ja auch. Denn die Zahl – 650.000 Geburten, nicht mal halb so viele wie 1964, weniger als überhaupt je in der Bundesrepublik – gibt Anlass zu Fragen", schreibt GASCHKE.

PETROPULOS, Kostas (2010): Die Familienpolitik ist gescheitert.
Die neuesten Geburtenzahlen sind ein Tiefschlag für die Familienpolitik: Trotz Elterngeld und Krippenoffensive gibt es hierzulande so wenig Babys wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Deutschen kriegen keine Kinder, weil ihre Jobs nicht sicher sind,
in: Tagesspiegel v. 21.05.

"Bundesfamilieministerin Kristina Schröder verbreitet dennoch unverdrossen Zweckoptimismus. Die Zahlen seien keineswegs alarmierend, da ja mit dem demografischen Wandel auch die Zahl der potenziellen Mütter zurückgehe. Pro Frau würden weiterhin genauso viele Kinder geboren wie seit Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007.

Fachleute widersprechen jedoch der Jungministerin. Sie rechnen vor, dass die Geburtenrate von 1,38 im Jahr 2008 auf voraussichtlich 1,33 im letzten Jahr gesunken ist. Damit wäre sie wieder auf das Niveau von 2006 abgesackt – dem Jahr vor der »konservativen Familienrevolution« unter Führung von Ex-Ressortchefin Ursula von der Leyen", behauptet Kostas PETROPULOS.

Die Geburtenrate für 2009 wird vom Statistischen Bundesamt erst im Sommer veröffentlicht. PETROPULOS bezieht sich mit seinen Angaben der TFR von 1,33 auf die Schätzungen des Rostocker Zentrum für Demografischen Wandel. Die Geburtenrate läge damit immer noch höher als Mitte der 1990er Jahre als sie unter 1,3 gesunken war.

HEUZEROTH, Thomas & Dorothea SIEMS (2010): Neue Eltern braucht das Land.
Geburtenabsturz sprengt die Sozialsysteme. Politiker fordern Mütterquote für mehr Kinder,
in: Welt am Sonntag v. 23.05.

Thomas HEUZEROTH & Dorothea SIEMS präsentieren zum einen ein Patchwork aus nationalkonservativen Statements von Johannes SINGHAMMER über Christine HADERTHAUER bis zu Herwig BIRG (Während die Männer eine Mütterquote fordern, erweitert HADERTHAUER das zur Elternquote). Daneben kommen der obligatorische Bernd RAFFELHÜSCHEN, Miriam GRUß (FDP), Claudia ROTH (Grüne) und Familienministerin Kristina SCHRÖDER zu Wort.

EXNER, Ulrich/LUIG, Judith/WILTON, Jennifer (2010): Kinderrepublik Deutschland - eine Reise durch Licht und Schatten.
Noch nie gab es hierzulande so wenige Geburten wie im vergangenen Jahr. Minus 3,6 Prozent. Schon wieder. Aber längst nicht überall. Ursachenforschung auf fruchtbarem und weniger fruchtbarem Boden,
in: Welt am Sonntag v. 23.05.

Im August 2009 mussten sich die kinderlosen Redakteurinnen der WAMS rechtfertigen, warum sie kinderlos sind. Genützt hat es offenbar nichts. Diesmal reisen die WAMS-Journalisten durch Deutschland: Osterode, Prenzlauer Berg und Cloppenburg sind die Stationen dieses Geburtenratentourismus.

SIEMS, Dorothea (2010): Jede fünfte junge Frau verzichtet auf Mutterglück,
in: Welt am Sonntag v. 23.05.

Auch bei der WAMS ist mittlerweile durchgedrungen, dass nicht nur die Kinderlosen den demografischen Wandel verursachen, sondern auch die geringe Zahl der kinderreichen Familien und die gestiegene Lebenserwartung.

SIEMS, Dorothea (2010): Immer mehr Schulden und immer weniger Kinder,
in: Welt am Sonntag v. 23.05.

Dorothea SIEMS behauptet, dass Deutschland Vorreiter der "alternden Gesellschaft" sei. Bereits der Begriff ist irreführend, wie der Soziologe Karl Otto HONDRICH in seinem klugen Buch Weniger ist mehr dargelegt hat. Hier wird deshalb von einer Gesellschaft der Langlebigen gesprochen und da ist nicht Deutschland, sondern Japan Vorreiter. Selbst die USA ist stärker betroffen als Deutschland.

Ansonsten polemisiert SIEMS gegen den Sozialstaat, dem angeblich die Beitragszahler ausgehen. Aus der isländischen Misere haben Marktgläubige wie SIEMS nichts gelernt, denn dann müsste klar sein, dass nicht der demografische Wandel, sondern die unbeachteten Nebenfolgen unseres Wirtschaftssystems den Alltag in Zukunft viel einschneidender prägen werden.

Wie man Bevölkerungsvorausberechnungen als treffsicher inszeniert, lässt sich am aktuellen Statistischen Monatsheft Baden-Württemberg demonstrieren. Im Beitrag Zur Treffsicherheit von Bevölkerungsvorausrechnungen - Spekulationen oder abgesicherte Informationen? greift sich Ivar CORNELIUS aus 11 bisherigen Bevölkerungsvorausberechnungen einzig jene heraus, die rückblickend gesehen am besten gepasst hat, um so eine hohe Treffsicherheit herbeizuschreiben. Seriös wäre es stattdessen gewesen alle bisherigen Bevölkerungsvorausberechnungen im Vergleich darzustellen, aber das wäre offensichtlich zu blamabel gewesen. Die Vorausberechnung umfasste zudem nur einen Zeitraum von 17 Jahren, während SIEMS Kaffeesatzleserei bis zum Jahr 2060, also über einen Zeitraum von 50 Jahren, betreibt.

DESTATIS (2010): Vorläufige Ergebnisse für das 1. Quartal 2010: Mehr Geburten und Eheschließungen, weniger Sterbefälle,
in:
Pressemitteilung Statistisches Bundesamt Wiesbaden v. 16.06.

"Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, ist nach vorläufigen Ergebnissen die Zahl der lebend geborenen Kinder in Deutschland im ersten Quartal 2010 mit 162 100 Kindern um rund 7 000 oder um 4,5% gegenüber dem ersten Quartal 2009 (155 100) gestiegen", heißt es in der Pressemitteilung, die ganz offensichtlich die seit der Veröffentlichung der Geburtenzahlen für das Jahr 2009 im Mai entbrannte Debatte um das Elterngeld eindämmen soll.  

WALTHER, Rudolf (2010): Wer soll die Kinder kriegen.
Frankfurter Positionen: Wolfgang Streeck, Direktor des Kölner Max-Planck-Instituts, über Familien- als Geburtenpolitik,
in: TAZ v.
16.07.

STREECK, Wolfgang (2010): Verzwickte Gemengelage.
Gesellschaftsforschung: Reproduktion der Gesellschaft im Dreieck von Markt, Sozialstruktur und Politik,
in: Frankfurter Rundschau v.
21.07.

"Was Deutschland angeht, so ist nicht das viel gefeierte Elterngeld das erfolgreichste Geburtenförderungsprogramm, sondern, mit weitem Abstand, Hartz IV. Frauen in Langzeitarbeitslosigkeit, ganz anders als die umworbenen »Akademikerinnen«, haben Nachwuchs oberhalb der demographischen Bestandserhaltungsquote. Unterschwellige Vermutungen, warum das so ist, richten sich auf ein Zusammentreffen von persönlicher Arbeitsscheu mit wohlfahrtsstaatlicher Großzügigkeit: Hartz-IV-Frauen kriegen Kinder, und immer mehr Kinder, um nicht »arbeiten« zu müssen und sich von Kinderzulagen, Kindergeld, Elterngeld, möglicherweise auch noch Betreuungsgeld ein gutes oder doch bequemes Leben zu machen.
Damit ist das aus der amerikanischen Innenpolitik der sechziger und siebziger Jahre stammende Gespenst der »welfare queen« auch in Deutschland angekommen
",

behauptet Wolfgang STREECK in seinem in der taz hoch gelobten Vortrag und steht damit Gunnar HEINSOHN hilfreich zur Seite. Mit Daten belegen kann er seine Behauptungen jedoch nicht. Zu anderen Ergebnissen kommt z. B. eine Studie von Wolfgang HOFFMANN vom Institut für Community Medicine. STREECK suggeriert z.B. dass ein niedriges Pro-Kopf-Elterngeld identisch sei mit HARTZ IV Müttern aus der Unterschicht. Dies muss nicht sein, denn der Anteil von Studierenden mit Kind, sowie Akademikerinnen in prekären Arbeitsverhältnissen ist ebenfalls am Steigen. Eine Studie über Wissenschaftlerinnen an nordrhein-westfälischen Universitäten gibt z.B. Einblicke in die prekären Arbeitsverhältnisse des akademischen Mittelbaus.

EUROSTAT (2010): EU27 Bevölkerung von 501 Millionen am 1. Januar 2010.
Europäische Demografie: Mehr als 5 Millionen Geburten in der EU27 im Jahr 2009,
in: Pressemitteilung Europäisches Statistikamt v. 27.07.

MÖNCH, Regina (2010): Geburtenrate und Ehe.
Akademikerinnen im Osten,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.11.

"Die Lebensverhältnisse anzugleichen gehörte zu den wichtigsten Zielen nach der Wiedervereinigung. Im Großen und Ganzen ist dies gelungen. Dass sich auch Lebensentwürfe und Verhaltensweisen anpassen, immer natürlich Ost an West, war als selbstverständlich angenommen worden. Und als die Geburtenziffer in Ostdeutschland zwischen 1990 und 1994 auf den historischen Tiefstand von 0,8 gefallen war, stand eigentlich fest, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich auch Familienplanung, Heiratsverhalten und die Erwerbstätigkeit von Frauen an das Niveau der Westdeutschen anpassen würden. Doch gerade das ist nicht eingetroffen.

Die Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes für demographische Forschung in Rostock haben sogar festgestellt, dass die Differenzen, die grundverschiedenen Ansichten zu Kindern und Karriere, sich verfestigt haben. Immer noch ist die Mehrheit der ostdeutschen Mütter berufstätig, leben mehr Eltern ohne Trauschein zusammen, zumindest bis zur Geburt eines zweiten Kindes. Und die Geburtenraten haben die der Westdeutschen überholt: Die endgültigen Geburtenraten von Frauen, die heute 45 Jahre alt sind, liegen bei 1,6 Kindern - gegenüber 1,51 Kindern in Westdeutschland", schreibt Regina MÖNCH.

HAARMEYER, Jan (2010): Hamburgs Geburtenrate steigt gegen den Trend.
2009 kamen in Deutschland 17.000 Kinder weniger zur Welt als im Vorjahr. In Hamburg dagegen ist die Zahl leicht angestiegen,
in: Hamburger Abendblatt v. 13.11.

BINDE, Nico & Genievieve WOOD (2010): Ja, wir haben Kinder.
Sie machen oft erst Karriere, dann Nachwuchs: Paare in Großstädten wie Hamburg entscheiden sich spät für Familie - aber sie tun es,
in: Hamburger Abendblatt v. 13.11.

DESTATIS (2010): Durchschnittliche Kinderzahl je Frau sinkt 2009 leicht auf 1,36,
in:
Pressemitteilung Statistisches Bundesamt Wiesbaden v. 12.11.

"Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, betrug die durchschnittliche Kinderzahl je Frau im Jahr 2009 in Deutschland 1,36. Damit war die zusammengefasste Geburtenziffer etwas niedriger als 2008 (1,38) und 2007 (1,37). Wie in den vergangenen Jahren ging im Jahr 2009 die durchschnittliche Zahl der Geburten bei jüngeren Frauen zurück, während sie bei den Frauen ab 33 Jahren zunahm.

2009 kamen rund 665 000 Kinder zur Welt, etwa 17 000 weniger als 2008 (Anm. d. Verf.: Aber 14.000 mehr Kinder als im Mai höchstens erwartet). Dieser Rückgang ist nur zur Hälfte auf das geänderte Geburtenverhalten, wie es in der rückläufigen durchschnittlichen Kinderzahl je Frau zum Ausdruck kommt, zurückzuführen. Zusätzlich ist zu beachten, dass die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter (zwischen 15 und 49 Jahren) zurückgegangen ist.

Im Westen Deutschlands sank die durchschnittliche Kinderzahl von 1,37 im Jahr 2008 auf 1,35 im Jahr 2009. Einen niedrigeren Wert gab es zuletzt im Jahr 2006. Im Osten Deutschlands lag die durchschnittliche Kinderzahl im Jahr 2009 wie im Vorjahr bei 1,40 (Angaben für West- und Ostdeutschland jeweils ohne Berlin). Damit blieb sie auf dem höchsten Niveau seit der Wiedervereinigung", heißt es in der Pressemeldung.

LUDWIG, Jan (2010): Weniger Geburten im Jahr 2009.
Die Zahl der Geburten in Deutschland sinkt weiter. Leyens Kind, das Elterngeld, scheint nicht zu wirken. Die Opposition kritisiert deswegen die Regierung,
in: Tagesspiegel v. 13.11.

Jan LUDWIG beschränkt sich nicht auf die Fakten des Statistischen Bundesamtes, sondern konstruiert mittels einer Prognose des Rostocker Zentrums zur Erforschung des demografischen Wandels die Fortschreibung des rückläufigen Geburtentrends auch für 2010:

"Gleichzeitig hat auch das Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels (RZ) eine Prognose für 2010 abgegeben. In Deutschland werden in diesem Jahr im Schnitt 1,34 Kinder pro Frau geboren, hieß es. Die Angaben beruhen auf den Zahlen des ersten Halbjahres. Exakte Zahlen können jedoch erst Ende 2011 errechnet werden."

Bereits im Mai veröffentlichte das Statistische Bundesamt die vorläufigen Geburtenzahlen für 2009: 651.000 Geburten. Diese Zahl wurde nun auf 665.000 korrigiert, liegt also um 14 000 Geburten höher als erwartet. Die Medien interpretierten die Zahlen damals fälschlicherweise als die "niedrigsten seit 1945" bzw. 1948. Dies stimmt nur für die absoluten Geburtenzahlen, aber nicht für die Geburtenrate. Die Aussage hätte aber auch schon 1994 oder sogar 1972 (hätte es damals schon eine gesamtdeutsche Statistik gegeben) gestimmt.

Im Tagesspiegel legte der nationalkonservative Familienlobbyist Kostas PETROPULOS noch nach und zitierte eine Prognose des Rostocker Zentrum zur Erforschung des demografischen Wandels für 2009 mit 1,33. Mit 1,36 gibt nun das Statistische Bundesamt die tatsächliche Geburtenrate (TFR) für 2009 an. Diese liegt höher als vor Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007.

Es wäre zudem falsch - wie Ursula von der LEYEN das im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin Renate SCHMIDT behauptete - das Elterngeld als quantitative Bevölkerungspolitik zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um ein Instrument der qualitativen Bevölkerungspolitik ganz im Sinne von Thilo SARRAZIN ("Deutschland schafft sich ab"), das darauf abzielt den Anteil der Geburten von Akademikerinnen zu erhöhen. Nur daran lässt sich Erfolg oder Misserfolg des bevölkerungspolitischen Instruments messen.

PETROPULOS, Kostas (2010): Der Kinderschwund macht sprachlos.
Demografie: Die Statistik zur Geburtenrate kam vier Monate später als sonst. Und die Familienministerin schweigt über das Thema. Die Politik kapituliert vor der Demografie,
in: ZEIT Online v. 17.11.

Der nationalkonservative Bevölkerungslobbyist Kostas PETROPULOS verbreitet - wie bereits im Mai - Halbwahrheiten. Die Geburtenrate sackte nicht ab auf den Stand des Jahres 1999, sondern ist höher als im Jahr 2006, also vor Einführung des Elterngeldes, wie man beim Statistischen Bundesamt nachlesen kann.

Erfolg oder Misserfolg des Elterngeldes lässt sich auch nicht am gesamtgesellschaftlichen Geburtentrend ablesen, sondern nur am Anstieg der Geburten von Akademikerinnen. Aufgrund der normativen deutschen Bevölkerungsstatistik, die derzeit nur alle 4 Jahre die Geburtenfolge richtig erfasst, gibt es derzeit keine Möglichkeit den Erfolg der qualitativen Bevölkerungspolitik genau festzustellen. Zu welchen gravierenden Fehleinschätzungen die normative Statistik in der Vergangenheit führte, konnte man zuletzt in der FAZ lesen.

LÖWENSTEIN, Stephan (2010): Zweifelhafte Erfolgsgeschichte.
Sozialpolitisch ist das Elterngeld unvertretbar; familienpolitisch wirkt es kontraproduktiv. Es liegt in seinem Wesen nach quer zum Sozialstaat - nicht erst, wenn es für Hartz-IV-Empfänger wegfällt. Angesichts der Schulden sollte es abgeschafft werden,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18.11.

GILLMANN, Barbara (2010): Der Trend zur späten Geburt.
Die Geburtenrate ist erneut gesunken. Ökonomen raten: Jetzt erst recht Kitas und Ganztagsschulen auszubauen - zu Lasten des Ehegattensplittings,
in: Handelsblatt v. 15.11.

RÜRUP, Bert (2010): Tief in der Geburtenfalle.
Deutschlands Familienpolitik ist gescheitert. Bessere Bildung ist der einzige Ausweg,
in: Handelsblatt v. 16.11.

BODE, Kim & Alexander NEUBACHER (2010): Kind im Mann.
Das Elterngeld kostet Milliarden, verfehlt aber alle von der Bundesregierung gesteckten Ziele. Experten raten: Weg damit!
in: Spiegel Nr.47 v. 22.11.

BODE & NEUBACHER behaupten, dass Bert RÜRUP das Elterngeldkonzept für gescheitert hält. Dies ist nicht der Fall, sondern RÜRUP sagte im Handelsblatt nur, dass es für "ein abschließendes Urteil" noch zu früh sei und dem Ausbau der staatlichen Kinderbetreuung viel mehr Gewicht zukommen muss.

SIEMS, Dorothea (2010): Großfamilien sind die Verlierer.
Mit dem Elterngeld will die Politik für mehr Nachwuchs sorgen. Doch ausgerechnet Familien mit vielen Kindern werden benachteiligt - und klagen jetzt in Karlsruhe,
in: Welt v. 23.11.

Dorothea SIEMS berichtet über geplante Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Elterngeld, das die kinderreiche Hausfrauenfamilie benachteilige. Die Überlegenheit der Hausfrauenfamilie gegenüber der Doppel-Karriere-Familie begründet SIEMS bevölkerungspolitisch anhand von Daten zur Kinderzahl der 1964 - 1968 Geborenen, die der Bevölkerungsforscher Jürgen DORBRITZ im September bei der Best Age-Konferenz vorgelegt hat. Demnach liegt die durchschnittliche Kinderzahl von Doppel-Karriere-Familien bei 1,0 (Westdeutschland) und 1,5 (Ostdeutschland) im Vergleich zur Hausfrauenfamilie von 2,1 (Westdeutschland) und 1,9 (Ostdeutschland).

SCHRÖDER, Kristina (2010): Mutter, Vater, Kind.
Das Elterngeld ist keine Gebärprämie, sondern ermöglicht Familien gemeinsam in die Verantwortung für ein Baby hineinzuwachsen. Eine Verteidigungsschrift,
in: Welt v. 26.11.

DESTATIS (2010): Babys in den neuen Bundesländern haben jüngere Mütter,
in: Pressemitteilung Statistisches Bundesamt Wiesbaden v. 02.12.

"Knapp 29 Jahre betrug im Jahr 2009 das durchschnittliche Alter der Frauen in Deutschland bei der Geburt ihres ersten Kindes. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, waren in den neuen Ländern die Frauen bei der ersten Geburt mit 27 Jahren um fast zwei Jahre jünger als im Westen (29 Jahre).

Durch eine Anpassung des Bevölkerungsstatistikgesetzes ist für das Jahr 2009 erstmals die Nachweisung der sogenannten biologischen Geburtenfolge unabhängig vom Familienstand der Mutter möglich. Bis zum Jahr 2008 lagen Angaben über das Alter der Frau bei der ersten Geburt nur in der aktuell bestehenden Ehe vor.

Im bundesweiten Vergleich waren im Jahr 2009 die Frauen bei der ersten Geburt in Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern mit 27 Jahren am jüngsten. Die Hamburgerinnen hingegen gründeten besonders spät eine Familie – mit durchschnittlich 30 Jahren.

Nicht verheiratete Frauen bekommen ihr erstes Kind früher als verheiratete. Im Jahr 2009 sind sie in den neuen Ländern im Durchschnitt mit 26,5 Jahren Mutter geworden. Insgesamt wurden hier 74% aller Erstlinge außerhalb einer Ehe geboren. Im früheren Bundesgebiet (ohne Berlin) war der Anteil der ersten außerehelichen Geburten mit 36% nur etwa halb so hoch wie in den neuen Ländern und die Mütter der Erstgeborenen waren im Durchschnitt ein Jahr älter (27,5 Jahre).

Verheiratete Frauen waren im Jahr 2009 bei der Geburt des ersten Kindes in den alten Bundesländern durchschnittlich 2,5 Jahre und in den neuen Ländern knapp drei Jahre älter als die nicht verheirateten Frauen. 7% der verheirateten Frauen in den westdeutschen Ländern waren bereits Mutter, als sie ihr erstes Kind in der aktuell bestehenden Ehe bekommen haben. Bei den ostdeutschen Frauen war dieser Anteil mit 20% deutlich höher", meldet das Statistische Bundesamt.

DESTATIS (2010): Jede 5. Frau im Alter zwischen 41 und 45 Jahren kinderlos,
in: Pressemitteilung Statistisches Bundesamt Wiesbaden v. 17.12.

Weil die Kinderlosigkeit in Deutschland nur alle 4 Jahre richtig erfasst wird, gibt es nun eine magere Meldung, die keine neuen Erkenntnisse bringt.
Fakt ist jedenfalls, dass die um 1965 geborenen Frauen nicht zu einem Drittel kinderlos geblieben sind, wie das bis vor einigen Jahren immer wieder von Nationalkonservativen um Herwig BIRG und Jürgen BORCHERT behauptet wurde. Unbelehrbare wie Thilo SARRAZIN glauben sowieso nur jener Statistik, die sie selber gefälscht haben.

Im Februar 2005 - anlässlich des Romans Die Jugend von heute von Joachim LOTTMANN - der bereits vor einem halben Jahrzehnt die Themen von Thilo SARRAZIN vorwegnahm, schrieb single-generation.de, dass nun die in den 1970er Jahren geborenen geburtenschwachen Jahrgänge ins Visier geraten. Denen wurde von Demografen wie Jürgen DORBRITZ prognostiziert, dass sie zu einem Drittel kinderlos bleiben könnten. Die Meldung des Statistischen Bundesamtes kokettiert mit diesem Schreckensszenario:

"Der Übergang zum Leben mit Kind fand im Jahr 2009 schwerpunktmäßig bei den Frauen zwischen 27 und 34 Jahren statt (Jahrgänge 1975 bis 1982); die meisten ersten Geburten entfielen dabei auf die jüngeren Frauen dieser Jahrgänge. Dennoch waren die 27- bis 34-jährigen Frauen Ende 2009 immer noch fast zur Hälfte (48%) kinderlos: Bei den 34-jährigen Frauen waren es noch 34%, bei den 27-jährigen sogar 70%."

Was vor 10 Jahren der Jahrgang 1965 war, das ist nun der Jahrgang 1975. Wiederholen sich nun also die alten Debatten wieder? Oder haben wir aus der Tatsache, dass bei der Generation Golf lange Zeit der Anteil der Spätgebärenden, also der über 34 Jährigen unterschätzt wurde, gelernt?

Aufgrund der Zunahme der Akademikerinnen und der weiteren Verschiebung von Erstgeburten dürften auch die in den 1970er Jahren wieder ähnliche Geburtenraten wie die Mitte der 1960er Geborenen erreichen. Und noch immer gilt: kein einziger Frauenjahrgang hat bislang die Geburtenrate von 1,3 erreicht, die gerne in den Medien verbreitet wird.

Die Debatte um den Geburtenrückgang könnte durch einen aktuellen Artikel von Olga PÖTZSCH in der Oktoberausgabe der ehemaligen Zeitschrift für Bevölkerungspolitik (neu: Comparative Population Studies) neuen Zündstoff erhalten, denn die in den 1950er Jahren geborenen Frauenjahrgänge haben - im Gegensatz zur hysterisch geführten Debatte des letzten Jahrzehntes - nur eine minimal höhere Geburtenrate als die Mitte der 1960er Jahre Geborenen erzielt: Der prominente Frauenjahrgang 1965 hat eine Geburtenrate von ca. 1,5 erzielt, während die 1955 Geborenen gerade einmal auf 1,6 kommen (siehe Tabelle 3, S.183). Es gibt in Deutschland bislang keinen einzigen Frauenjahrgang, der am Ende seiner reproduktiven Phase eine Geburtenrate von 1,3 erzielt hätte. Jene Zahl also, auf die sich die hysterische deutsche Debatte bezieht.

AFP (2010): Mehr Geburten.
Staat muss mehr Elterngeld zahlen,
in: Tagesspiegel v. 18.12.

Wie bereits anlässlich der Veröffentlichung der Geburtenrate im November von single-generation.de berichtet wurde, war die tatsächliche Geburtenzahl 2009 höher als vom Statistischen Bundesamt zuerst geschätzt. Obwohl die Familienministerin Kristina SCHRÖDER noch vor kurzem das Elterngeld nicht als bevölkerungspolitische Maßnahme, die es ist, verstanden wissen wollte, werden jetzt wieder Geburtensteigerungen bejubelt:

  • "Noch im Januar 2010 sei das Statistische Bundesamt von 645 000 bis 660 000 Geburten im Jahr 2009 ausgegangen.
    Tatsächlich aber seien 665 126 Kinder geboren worden. Dieser Trend setze sich fort. Im ersten Halbjahr 2010 hätten die Geburten gegenüber dem Vorjahreszeitraum sogar um 1,2 Prozent zugenommen.
    "

Das Elterngeld geriet in letzter Zeit von unterschiedlicher Seite unter Beschuss (mehr hier, hier und hier), sodass solche Geburtensteigerungen nun besonders betont werden müssen.

WEIGUNY, Bettina (2010): Elterngeld zeugt keine Kinder.
Mit Milliarden lässt sich die Gebärfreude der Deutschen nicht steigern. Macht nichts: Die Mittelschicht nimmt das Staatsgeld gerne,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 19.12.

Bettina WEIGUNY hat ihre 3 Kinder vor Einführung des Elterngeldes bekommen und kritisiert nun, dass die jungen Eltern das Geld für Abenteuerurlaube verprassen:

"Ich bezahle nicht für euren Urlaub!"

ruft die empörte Wutbürgerin WEIGUNY. Die Argumentation für WEIGUNY haben Kim BODE & Alexander NEUBACHER im Spiegel geliefert, bei denen sie sich nicht einmal für die ersparte eigene Recherchearbeit bedankt. Einzig die Grafik zum ressentimentgeladenen Beitrag ist raffinierter als im Spiegel.
Die Grafik zeigt, wie die Geburtenzahlen von 2000 bis 2009 von ca. 767.000 auf ca. 665.000 gefallen sind. Gleichzeitig sieht man wie die Kosten des Elterngeldes von 2007 bis 2010 gestiegen sind. Nicht sehen kann man anders, denn bis 2007 gab es das Erziehungsgeld. Die Kosten dafür werden verschwiegen. Nicht gezeigt wird die Geburtenrate (TFS), denn mit dieser lässt sich nicht annähernd so gut argumentieren, weil sie mehr oder weniger gleich geblieben ist. Was aber entscheidend ist: Die Zahlen sagen nur etwas über die gesamtgesellschaftliche Geburtenentwicklung und nichts über Anteilsverschiebungen aus, z.B. zugunsten von Akademikerinnen, und nur daran kann das Elterngeld als Instrument der qualitativen Bevölkerungspolitik gemessen werden.

Beim Elterngeld wird derzeit ein Zweifrontenkrieg geführt. Gunnar HEINSOHN und seine journalistischen Hilfstruppen nehmen die Transferempfängerinnen ins Visier. Dies geschieht vorwiegend auf den Plattformen Welt und FAZ. Gegen den Elterngeld-Luxus der Besserverdienenden schüren dagegen FAZ und Spiegel Ressentiments. Bei den Befürwortern der Einführung des Elterngeldes, die ihr Plattform vor allem bei der SZ und der ZEIT haben, heißt die Devise bislang eher Aussitzen. Eine Agenturmeldung könnte hier neuen Aufwind geben. Eine ausführliche Analyse der medialen Debattenverläufen im Hinblick auf eine Politik für die Mütterelite vor Einführung des Elterngeldes findet sich hier.

BERTH, Felix (2010): Geburtenwunder,
in: Süddeutsche Zeitung v. 29.12.

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG-Tagesthema: Mehr Geburten in Deutschland

BERTH, Felix (2010): Boom, Baby!
Warum viele Frauen die Kinderfrage lange Zeit aufgeschoben haben - und sie nun mit Ja beantworten,
in: Süddeutsche Zeitung v. 30.12.

Bereits am 19. Dezember hat single-generation.de anlässlich des FAS-Artikels Elterngeld zeugt keine Kinder die Sachlage zu Elterngeld und Geburtenrate analysiert und darauf hingewiesen, dass SZ und ZEIT die schlechten Zahlen von 2009 aussitzen, aber die Befürworter durch eine Agenturmeldung Aufwind bekommen würden. Nun ist zumindest bei der SZ die Zeit des Aussitzens vorbei. Felix BERTH bereitete unter der Schlagzeile Geburtenwunder bereits in der gestrigen SZ auf das heutige Tagesthema vor:

"Hält jemand das Elterngeld für sinnvoll, weil es die Sicherheit junger Paare erhöht, so wird auch der kleinste positive Trend bei den Geburtenraten in eine Erfolgsmeldung umgedeutet. Hält jemand das Elterngeld für einen Auswuchs des Wohlfahrtsstaates, betont man lieber, dass die Kinderzahl nicht gestiegen ist."

BERTH hält sich an sein Skript und deutet als Befürworter des Elterngeldes die Zahlen für die ersten drei Quartale 2010 auf der Homepage des Statistischen Bundesamtes als positiven Trend. Nicht nur die absolute Zahl sei zum Vorjahr gestiegen, sondern auch die Geburtenrate. Bei anhaltend zurückgehender Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter, sieht BERTH jetzt die letzte Gelegenheit für die Frauen der Baby-Boomer-Generation angebrochen:

"Vor der endgültigen Entscheidung stehen derzeit viele Frauen, die zur Generation der Baby-Boomer gehören. Sie kamen in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren zur Welt, bevor der »Pillenknick« einsetzte."

BERTH definiert die Baby-Boomer-Generation im Gegensatz zu wissenschaftlichen Definitionen sehr großzügig. Im GeroStat Report Altersdaten werden die Baby-Boomer z.B. als die Jahrgänge 1959 - 1968 charakterisiert.

Zwischen 1968 und 1973 gab es in Deutschland einen rapiden Rückgang potenzieller Mütter aufgrund des Geburtenrückgangs. Da es in den Jahren danach jedoch größere Zuwanderungsgewinne gab, ist das Reservoir potenzieller Mütter dieser Jahrgänge heutzutage größer als damals. In der Welt nennt Claudia EHRENSTEIN die Geburtenanteile verschiedener Altersgruppen für das Jahr 2009.

Altersgruppen Geburtenzahlen 2009
30-34 Jährige 208.927
35-39 Jährige 116.061
40 und älter ca. 28.000

Die Jahrgänge 1968 - 1970 gehören 2010 den 40Jährigen und Älteren an, die höchstens noch bei den Frauen mit Hochschulabschluss in geringem Ausmaß zu den Geburten beitragen. BERTH suggeriert jedoch, dass mit einem Zitat von Michaela KREYENFELD vor allem die Zunahme der Geburten in der Altersgruppe 40 Plus und allenfalls der Spätgebärenden in den späten 30er Jahren gemeint seien. KREYENFELD spricht jedoch nur vom Stillstand beim Geburtenaufschub. Dies bezieht sich jedoch nicht nur auf die von BERTH hervorgehobene Altersgruppe, sondern auf das durchschnittliche Gebäralter, das sich auf alle gebärfähigen Frauenjahrgänge bezieht. Es könnte also sein, dass jüngere Frauenjahrgänge wieder vermehrt früher ihre Kinder bekommen.

Geburtenanstiege müssen nicht unbedingt das Resultat einer höheren Geburtenrate sein, sondern können auf der Veränderung des Generationenabstandes - wie man früher sagte - bzw. der Tempoeffekte beruhen.

Auf Spiegel Online versuchte Philipp WITTROCK zu erklären, warum Deutschland vergeblich auf einen Babyboom hofft. Zur Dementierung der SZ setzt er auf den Nationalkonservativen Herwig BIRG, der um die Jahrtausendwende maßgeblich für die Fehleinschätzung der Kinderlosigkeit in Deutschland verantwortlich war.

Skeptiker verweisen auf die Fehleinschätzungen der vergangenen Jahre, wonach des Öfteren ein Babyboom proklamiert wurde, der sich dann doch nicht erfüllte. Jenseits verzerrter Berichterstattung aufgrund der Befürwortung oder Ablehnung des Elterngeldes, zeigt sich aber, dass die Deutungshoheit der Nationalkonservativen im Schlepptau von Herwig BIRG mit dem Mikrozensus 2008 bröckelt.

Die Anzeichen für schwere Fehleinschätzungen bezüglich der Kinderlosigkeit in Deutschland reißen nicht ab. Im kürzlich erschienen Heft 1-2/2009 der Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft muss der Bevölkerungswissenschaftler Jürgen DORBRITZ eingestehen, dass der Generations and Gender Survey (GGS) des Instituts für  Bevölkerungswissenschaft, der Aufschluss über den demografischen Wandel geben sollte, ausgerechnet im Hinblick auf die Kinderlosigkeit und die Paarbildung gravierende Mängel aufweist:

"Als unbefriedigend sind insbesondere die zur Kinderlosigkeit erhobenen Daten einzustufen. Eine Überprüfung anhand der Daten des Mikrozensus 2008 für die Geburtsjahrgänge 1933 - 1979 zeigt zwei Abweichungen des GGS. In den Kohorten 1933 bis 1963 wird die Kinderlosigkeit deutlich überschätzt, in den Kohorten 1965 bis 1973 ist der Anteil kinderloser Frauen dagegen zu niedrig.
(...).
Ähnliche Schwächen zeigen sich auch bei der Partnerschaftsbildung und der Eheschließung im Lebenslauf. (...). Der Anteil dauerhaft partnerloser und unverheirateter westdeutscher Frauen ist zu hoch und besonders die Muster der älteren Kohorten (z.B. 1930er Jahrgänge) sind bezüglich des Anteils verheirateter Frauen nicht kongruent mit der amtlichen Statistik.
Es hat sich damit ein Schwachpunkt des GGS gezeigt, der seit der Verfügbarkeit der Daten des Mikrozensus zur Kinderlosigkeit auch mit Fakten untermauert werden kann. (2009, S.14ff.)"

Insbesondere Michaela KREYENFELD hat aufgrund ihrer wichtigen Forschungen zur Kinderlosigkeit und zur Geburtenentwicklung bereits frühzeitig auf die Probleme des - bei den deutschen Bevölkerungswissenschaftlern viel genutzten - Surveys hingewiesen, die sich nun offensichtlich bestätigt haben.

Das lange Ausbleiben dieser und früherer Publikationen deutete auf gravierende Datenprobleme hin. Bereits im Jahr 2007 kritisierte single-generation.de die Sichtweise von Jürgen DORBRITZ zur Kultur der Kinderlosigkeit und benannte das Datendesaster, das bis zuletzt immer wieder beschönigt wurde. Die von Nationalkonservativen in Umlauf gebrachte These, dass eine Geburtenrate von 1,3 (Lowest-Low-Fertilität-Land) sozusagen einen Point auf no Return darstellen würde, wurde zuletzt auch vom "Vater des Elterngeldes" Bert RÜRUP aufgegriffen:

"Wenn Kinderlosigkeit seit langem verbreitet und gesellschaftlich akzeptiert ist, wird man durch mehr Geld die Gebärfreude nicht erhöhen können. Unsere familienpolitischen Vorbilder Schweden oder Frankreich waren nie in einer solchen Geburtenfalle, und Modelle oder historische Beispiele, wie ein Land aus einer solchen Falle herauskommt, gibt es nicht."

Es könnte sein, dass sich diese pessimistischen Sichtweisen in den nächsten Jahren als haltlos erweisen. Sie scheinen jedoch politisch attraktiv zu sein, um weitere Reformen durchzusetzen. Schließlich soll 2011 das Jahr der Pflegereform werden und da sind positive Meldungen kontraproduktiv.

BERTH, Felix (2010): Die Kopftuch-Legende.
SZ-Tagesthema: Mehr Geburten in Deutschland: Bekommen Einwanderer mehr Kinder als Deutsche? Untersuchungen zeigen, dass die Geburtenrate von Migrantinnen seit Jahrzehnten sinkt,
in: Süddeutsche Zeitung v. 30.12.

EHRENSTEIN, Claudia (2010): Ein kleiner Geburten-Boom in Deutschland.
Statistiker melden einen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. Von einer Trendwende aber mag noch niemand sprechen,
in: Welt v. 30.12.

MENKENS, Sabine (2010): Boom, Baby?
Die Geburtenrate steigt wieder. Doch für Deutungen ist es noch zu früh,
in: Welt v. 30.12.

SAUER, Stefan (2010): Hoffnung auf mehr Geburten.
Statistik: Vorläufige Zahlen lassen spürbaren Anstieg erkennen - Für Nordrhein-Westfalen zeichnen sich aber kaum Veränderungen ab,
in: Kölner Stadt-Anzeiger v. 30.12.

SAUER, Stefan (2010): Rückkehr der Zuversicht.
Zahl der Neugeborenen offenbar gestiegen,
in: Kölner Stadt-Anzeiger v. 30.12.

SAUER, Stefan (2010): Vorsichtige Freude über jedes neue Kind.
Statistik: Familienministerium reagiert zurückhaltend auf vorläufige Zahlen zur Geburtenentwicklung,
in: Kölner Stadt-Anzeiger v. 30.12.

 
     
 
       
     
       
   

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Update: 26. Januar 2019