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Wissenschaft als Lebensform - Eltern unerwünscht?
"In ihrer sozialen
Organisation ist die Universität mit ihren langwierigen
und riskanten Qualifizierungsprozessen weder auf Kinder
noch auf egalitäre Elternpaare eingestellt, so dass für
sie die Charakterisierung als kinder- und elternfeindliche
Institution gegenwärtig zutreffend ist. Zudem gibt es eine
gefühlte Kinderfeindlichkeit als Vorwegnahme
universitärer Reaktionen von Wissenschaftler/innen, bevor
sie Eltern geworden sind. Diese gefühlte
Kinderfeindlichkeit hat aber gleichwohl Einfluss auf
die Lebensentscheidungen potenzieller Eltern".
(2009,
S.67) |
Einführung
Die politische Debatte um
die Kinderlosigkeit der Akademikerinnen wurde in Deutschland bis
zum Sommer 2006 sehr heftig geführt. Erst nach dem Beschluss des
Elterngeldes durch den Bundestag wurde die Debatte sachlicher. Im
Dezember 2007 wurden erste Ergebnisse einer Sonderauswertung des
Mikrozensus veröffentlicht, mit der erstmals die Kinderlosigkeit
und nicht nur die Haushalte, in denen keine Kinder leben,
amtlich erfasst wurde. Auf
dieser Website wurde die politische Konstruktion der
Geburtenkrise frühzeitig und ausführlich behandelt, speziell
auch im Hinblick auf die Kinderlosigkeit der Akademikerinnen
.
Vor
diesem Hintergrund muss das Buch Wissenschaft als Lebensform
- Eltern unerwünscht? von Sigrid METZ-GÖCKEL, Christina
MÖLLER und Nicole AUFERKORTE-MICHAELIS gesehen werden. Die
Untersuchung zur Kinderlosigkeit von WissenschaftlerInnen an
den Universitäten in Nordrhein-Westfalen wurde in den Jahren
2005 - 2006 durchgeführt, also auf dem Höhepunkt der politischen
Kontroverse. Ein Vergleich der Jahre 1994 und 2004 gibt
Aufschluss darüber, wie sich die Kinderlosigkeit beim
wissenschaftlichen Nachwuchs und bei den ProfessorInnen
innerhalb von 10 Jahren entwickelt hat.
Im
nachfolgenden soll gezeigt werden, dass die Kinderlosigkeit von
Akademikerinnen differenzierter betrachtet werden muss. Das Buch
von METZ-GÖCKEL/MÖLLER/AUFERKORTE-MICHAELIS zeigt, dass die
Gründe für die Kinderlosigkeit von AkademikerInnen - hier
speziell der WissenschaftlerInnen - vielschichtiger sind, als es
die öffentliche Debatte bislang behauptete.
WissenschaftlerInnen als Teilgruppe der
AkademikerInnen
In der öffentlichen
Debatte um die Kinderlosigkeit der Akademikerinen wurde zuweilen
ein positiver Zusammenhang zwischen Bildungsniveau,
Erwerbsorientierung und Kinderlosigkeit hergestellt. Mit einem
hohen Bildungsniveau ginge in dieser Sicht eine hohe
Erwerbsorientierung einher, die wiederum mit hoher
Kinderlosigkeit verbunden wäre. Umgekehrt würde ein niedriges
Bildungsniveau mit geringerer Erwerbsorientierung und damit
niedriger Kinderlosigkeit einhergehen. Eine solche Sichtweise
legte zum Beispiel Susanne GASCHKE nahe, die als Redakteurin der
Wochenzeitung Die Zeit eine zentrale Akteurin in der
Elterngelddebatte war.
Die Emanzipationsfalle
"Lange
Zeit schien die Trennlinie innerhalb der Gesellschaft vor
allem zwischen Familien und Kinderlosen zu verlaufen, doch
die Schichtkomponente gewinnt an Bedeutung. Wenn wir den
gegenwärtigen Trend der Kinderlosigkeit im akademischen
Milieu fortschreiben, droht Nachwuchs tatsächlich zu einer
Angelegenheit der Unterklasse zu werden - und zwar vor
allem, weil die eine Seite aussteigt. Zynisch formuliert
könnte das heißen: Kinder bekommen in Zukunft nur noch die
Gefühlvollen und Blöden."
(2005, S.95) |
Frauen mit einem
Universitätsabschluss, die zudem eine wissenschaftliche Karriere
anstreben, müssten in dieser Sicht als besonders
berufsorientiert gelten und somit generell eine sehr hohe
Kinderlosigkeit aufweisen. Bereits
im Jahr 2005 zeigten Klaus-Jürgen DUSCHEK & Heike WIRTH in dem
Aufsatz Kinderlosigkeit von Frauen im Spiegel des Mikrozensus,
dass weder das Bildungsniveau an sich, noch die
Erwerbsorientierung an sich das Ausmaß der Kinderlosigkeit
erklären kann. So konnten sie einerseits Unterschiede in der
Elternquote in unterschiedlichen Studienfachrichtungen aufzeigen
und
andererseits im Ost-Westvergleich nachweisen, dass die
Erwerbsquote von Kinderlosen und Eltern mit
Universitätsabschluss in den neuen Ländern gleich hoch war,
während sie im früheren Bundesgebiet divergierte. Es
stellt sich insofern die Frage, ob die Kinderlosigkeit von
WissenschaftlerInnen an allen Universitäten gleich hoch ist,
oder ob die Kinderlosigkeit von speziellen strukturellen
Rahmenbedingungen beeinflusst wird. Die Autorinnen des Buches
Wissenschaft als Lebensform - Eltern unerwünscht? zeigen
eine Vielzahl von verschiedenen Einflussfaktoren auf, die eine
Elternschaft von WissenschaftlerInnen entweder fördern oder
hemmen können.
Die Erfassung der Kinderlosigkeit als Problem
Die genaue Erfassung von
Kinderlosen war zum Zeitpunkt der Untersuchung anhand der
amtlichen Bevölkerungsstatistik nicht möglich, aber auch die
anderen sozialwissenschaftlichen Verfahren sind mit
Ungenauigkeiten verbunden. Der von Michaela KREYENFELD & Dirk
KONIETZKA herausgegebene Sammelband
Ein Leben ohne Kinder
aus dem Jahr 2007 hat diese Problematik sehr detailliert
aufgezeigt. METZ-GÖCKEL/MÖLLER/AUFERKORTE-MICHAELIS
haben deshalb einen anderen Zugang gewählt: Die "Totalerfassung"
des wissenschaftlichen Personals der nordrhein-westfälischen
Universitäten. Eine Zusammenführung der Personaldaten des
Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik NRW (LDS) und
des Landesamtes für Besoldung und Versorgung (LBV) ermöglichte
die Erfassung der Kinder nach Alter und Anzahl, soweit sie
einkommensrelevant waren. Eine solche Herangehensweise dürfte
zumindest was die weiblichen Wissenschaftler betrifft, recht
genau sein. Die Vaterschaft von männlichen Wissenschaftlern ist
dagegen mit größeren Unsicherheiten verbunden. Dies gilt jedoch
auch für alle anderen Verfahren.
Wissenschaft als Lebensform
Das deutsche
Wissenschaftssystem ist nach Auffassung der Autorinnen durch
eine asymmetrische Geschlechterkultur geprägt, die erst
sichtbar wurde, seit Frauen im Wissenschaftsbereich tätig sind
und selbstbewusst die Vereinbarkeit von wissenschaftlicher
Arbeit mit egalitärer partnerschaftlicher Arbeitsteilung und
Elternschaft einforderten. Das prominente Wissenschaftlerehepaar
Ulrich BECK und Elisabeth BECK-GERNSHEIM hat diese Position seit
den 1980er Jahren auch außerhalb der engeren Frauenforschung
populär gemacht (siehe zu Ulrich BECK
und
BECK-GERNSHEIM
). Mit der Rede von der "Single-Gesellschaft"
wurde die Vereinbarkeitsfrage auf die politische Agenda gesetzt. Vor diesem Hintergrund muss auch das Plädoyer der Autorinnen für
Doppelkarrierepaare gesehen werden.
Wissenschaft als Lebensform - Eltern unerwünscht?
"Dieses Plädoyer gilt
einer konsequenten Umzentrierung weg vom Wissenschaftler
und von der Wissenschaftlerin als Single zu einem
egalitären wissenschaftlichen Paar (mit und ohne Kinder).
Dies ist keine einsame Stimme in der Wüste, vielmehr liegt
ein solches Plädoyer im Trend".
(2009, S, 192) |
Die
Autorinnen können sich bei ihrem Plädoyer für
Doppelkarrierepaare zum einen auf die politische Forderung nach
einer nachhaltigen Familienpolitik (Bert RÜRUP & Sandra GRUESCU
2003;
BERTRAM/RÖSLER/EHLERT 2005) als auch
auf wissenschaftliche Untersuchungen zur Paarbildung berufen,
wonach es einen Trend zur Bildungshomogenität gibt. Ein solcher
Trend ist aber durchaus ambivalent zu sehen, denn er trägt zur
Vergrößerung der sozialen Ungleichheit in der Gesellschaft bei (Hans-Peter BLOSSFELD
& Andreas TIMM, 2003). Nach
Auffassung von Heike WIRTH sind Doppelkarrierepaare seltener
kinderlos als Paare, bei denen die Partnerin einen höheren
Bildungsabschluss als der Mann absolviert hat
. Der
Forschungsstand zum Thema Partnerschaft und Kinderlosigkeit ist
jedoch insgesamt noch sehr unbefriedigend, weil der
Paarbildungsprozess jenseits traditioneller Paare lange Zeit
nicht in den Blick der Forschung gekommen ist. Auch
in der Untersuchung von METZ-GÖCKEL/MÖLLER/AUFERKORTE-MICHAELIS
bleibt dieser Aspekt unterbelichtet. Nur ein kurzes Kapitel ist
Mobilitätszwängen und räumlicher Trennung gewidmet. Neuere
Untersuchungen kommen jedoch zum Schluss, dass Fernbeziehungen
ein weit verbreitetes Phänomen sind, insbesondere unter Menschen
mit Hochschulabschlüssen
. Dagegen
wird der Schwerpunkt auf die Institutionenstrukturiertheit
der Bildungsbiografie von WissenschaflterInnen gelegt, d.h. auf
die Entscheidungen zur Elternschaft im Verlauf einer
wissenschaftlichen Karriere.
Wissenschaft als Lebensform - Eltern unerwünscht?
"Institutionenstrukturiertheit
der wissenschaftlichen Bildungsbiografie meint, dass die
institutionalisierten Regeln der Wissenschaft die
individuellen lebensweltlichen Entscheidungen maßgeblich
beeinflussen und damit auch die Karriereverläufe in der
Wissenschaft. Zwingend charakteristisch für die
wissenschaftliche Arbeit und Karriere ist, dass sie den
ganzen Menschen erfasst, entgrenzte Zeitstrukturen und
eine eigenartige Verfügbarkeit zur Bedingung hat. Das war
für den Junggesellen und ist für den modernen Single wie
für diejenigen Wissenschaftler kein größeres Problem, die
ein Leben mit einer traditionellen geschlechtlichen
Arbeitsteilung führen. Wohl aber ist es ein riesiges
Problem für Wissenschaftlerinnen, wenn sie Kinder haben
(wollen), ebenso für moderne Paare, die in ihrer
Partnerschaft eine paritätische Arbeitsteilung leben
wollen. Solche Vorstellungen von Partnerschaft finden sich
besonders häufig in den gebildeten Schichten (...). Ein
Drittel der Professorinnen hat nach der Untersuchung von
Zimmer/Krimmer/Stallmann (2007) zufolge auch einen
Professor als Partner. Institutionenstrukturiertheit
bezieht sich in der Wissenschaftsbiografie vor allem aber
auf den Qualifikationsprozess und den langwierigen Weg bis
zur Professur, auf dem viele Asspiranten und Aspirantinnen
auf der Strecke bleiben."
(2009, S.25) |
Bezeichnend
ist z.B. dass 17 Wissenschaftler mit und ohne Kind zu ihren
Gründen für eine (potenzielle) Elternschaft befragt wurden.
Handelte es sich um Paare, wurde nur entweder der Mann oder die
Frau befragt, d.h. der paarinterne Abstimmungsprozess kommt in
solch einer individuumszentrierten Sicht nicht in den Blick.
Diesen Mangel teilt die Studie jedoch mit vielen anderen.
Frauen kommen langsam, aber gewaltig?
Die Autorinnen beklagen
die immer noch geringere Gleichstellung von Frauen gegenüber
Männern im Hinblick auf die Umwandlung akademischer
Qualifikationen in statushohe Positionen. Sie belegen dies mit
einer Gegenüberstellung für das Jahr 2004
Tabelle 1
:Anteile der Geschlechter (in Prozent) an den einzelnen
wissenschaftlichen Qualifizierungsstufen in Deutschland
2004 |
Qualifizierungsstufe |
Männer |
Frauen |
Hochschulabschlüsse |
46 |
54 |
Promotionen |
61 |
39 |
Habilitationen |
77,3 |
22,7 |
Professuren |
86,4 |
13,6 |
|
Quelle:
Wissenschaft als Lebensform - Eltern unerwünscht? (S.37) |
Die Tabelle zeigt
deutlich, dass der Anteil der Frauen vom Studienabschluss bis
zur Professur abnimmt, während der Männeranteil zunimmt. Aufgrund
des langen Qualifizierungsprozesses vom Studienabschluss bis zur
Professur wird jedoch in dieser Sicht der Fortschritt der
Frauenemanzipation nicht ganz deutlich. Während bei den
Professuren immer noch die 68er-Generation dominiert,
stellen die Nach-68er-Generationen inzwischen die
Studienabgänger und arbeiten überwiegend im wissenschaftlichen
Mittelbau. Einen
besseren Eindruck der Veränderungen im Generationenverlauf
vermittelt dagegen die nachfolgende Tabelle.
Tabelle 2 :Entwicklung der Hochschulabschlüsse nach
Geburtskohorte
und Geschlecht (in Prozent) im früheren
Bundesgebiet, Stand: 2004 |
|
Hochschulabschlüsse |
Geburtskohorten |
Männer |
Frauen |
60-65Jährige |
7,8 |
4,2 |
45-50 Jährige |
8,9 |
8,3 |
30-35 Jährige |
9,9 |
10,1 |
|
Quelle:
Andreas Timm (2006): Die Veränderung des Heirats- und
Fertilitätsverhaltens im Zuge
der Bildungsexpansion, S.279 |
Die Tabelle 2 zeigt, dass
bei den Angehörigen der 68er-Generation (60-65Jährige) fast
doppelt so viele Männer wie Frauen einen Hochschulabschluss
absolviert haben. Dagegen hatten die Männer der
Single-Generation (45-50Jährige) nur noch einen ganz
geringen Vorsprung. Innerhalb der Generation Golf (30-35
Jährige) haben die Frauen die Männer überholt. Auch
bei den Promotionen haben die Frauen aufgeholt, wie die Tabelle
3 für Westdeutschland zeigt:
Tabelle 3: Entwicklung der Promotionen nach Geburtskohorte
und
Geschlecht (in Prozent) im früheren Bundesgebiet,
Stand: Jahr 2004 |
|
Promotionen |
Geburtskohorten |
Männer |
Frauen |
60-65Jährige |
8,2 |
0,7 |
45-50 Jährige |
14,5 |
1,1 |
30-35 Jährige |
9,7 |
1,4 |
|
Quelle:
Andreas Timm (2006): Die Veränderung des Heirats- und
Fertilitätsverhaltens
im Zuge der Bildungsexpansion, S.279 |
Bei den Frauen hat sich
die Anzahl der Promotionen von den 68ern zur
Generation Golf verdoppelt, bewegt sich jedoch auf einem
niedrigen Niveau. Bei den Männern ist dagegen ein
diskontinuierlicher Verlauf zu erkennen. Das Niveau der
Single-Generation wurde von der Generation Golf nicht
mehr erreicht. Bei
einem durchschnittlichen Promotionsalter von ca. 33 Jahren (Stand: Jahr
2000) und starken Unterschieden zwischen den einzelnen
Disziplinen sind die Zahlen für die Generation Golf aber
mit Vorsicht zu genießen. Die
Generationenbetrachtung zeigt, dass Frauen zwar bei den
Hochschulabschlüssen mit den Männern gleichgezogen haben.
Dagegen konnten sie bei den Promotionen offensichtlich nicht im
gleichen Maße profitieren.
Das wissenschaftliche Personal an den
nordrhein-westfälischen Universitäten: ein Vergleich zwischen
1994 und 2004
Die Autorinnen haben das
wissenschaftliche Personal an den nordrhein-westfälischen
Universitäten 1994 und 2004 detailliert erfasst. Dadurch wird
auch der Strukturwandel des Wissenschaftssystems
sichtbar. Die
Autorinnen unterscheiden zwischen zwei Statusgruppen: dem
wissenschaftlichen Mittelbau und den ProfessorInnen. Die
Fachhochschulen werden nicht berücksichtigt, da es den
Autorinnen insbesondere auf die Bedingungen des
wissenschaftlichen Nachwuchses ankam. Des Weiteren lag das
Schwergewicht der Analysen auf den Geschlechterunterschieden,
der Altersstruktur und den Beschäftigungsverhältnissen der beiden
Statusgruppen. Die Autorinnen unterscheiden die
Beschäftigungsverhältnisse nach Vergütungs- bzw.
Besoldungsgruppen, Dauer (befristet/unbefristet) und nach Umfang
(Teilzeit mit 50 %, Teilzeit unter 50 % und Vollzeit). Im
Mittelbau vollzog sich ein Personalzuwachs von 17.678 auf 22.051
Personen (darin sind ca. 10 % Verwaltungspersonal enthalten).
Der Zuwachs ging mit der Zunahme von befristeten und der Abnahme
von unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen einher. Des
Weiteren ging der Männeranteil zurück und der Frauanteil erhöhte
sich. Die Teilzeitbeschäftigung von Frauen war dabei wesentlich
höher als bei den Männern.
Die Entwicklung der Kinderlosigkeit im
Mittelbau der Universitäten in NRW
Im Zentrum steht bei den
Autorinnen die Frage, wie sich die Strukturveränderung im
Mittelbau auf die Bereitschaft zur Elternschaft auswirkte. Die
Autorinnen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich
der Geschlechter. Entsprechend der öffentlichen Debatte zur
Kinderlosigkeit der Akademikerinnen müsste man erwarten, dass
sich die Kinderlosigkeit des Wissenschaftlerinnennachwuchses
generell erhöht hat. Dem ist nicht so. Während Männer im
Zeitverlauf häufiger kinderlos waren, ist die Kinderlosigkeit bei
den Wissenschaftlerinnen leicht gesunken.
Wissenschaft als Lebensform - Eltern unerwünscht?
"2004 waren 78 % der
Wissenschaftlerinnen und 72 % der Wissenschaftler im
Mittelbau kinderlos.
Der Anteil der Kinderlosen ist im Untersuchungszeitraum
insgesamt um 4,1 % gestiegen.
Bei den Wissenschaftlern ist die Kinderlosigkeit um 5,0
% gestiegen, bei den Wissenschaftlerinnen dagegen um 0,7 %
gesunken.".
(2009, S. 125) |
Der Anteil der Kinderlosen
hängt u.a. von der Beschäftigungsdauer ab. Dauerhaft
Beschäftigte waren seltener kinderlos. Dies galt für Frauen im
stärkeren Maße als für Männer. Dauerhafte Beschäftigung ist jedoch gleichzeitig
im höheren Alter verbreiteter. Die geringere Kinderlosigkeit
könnte also teilweise auf einen Altersstruktureffekt
zurück gegangen sein.
Exkurs: Die Entwicklung der Kinderlosigkeit in
der Professorinnenschaft in NRW - ein Generationenvergleich
Leider sind die Angaben
der Autorinnen zur Altersstruktur der Kinderlosen lückenhaft,
was die Nachvollziehbarkeit einschränkt. Während für die
Kinderlosen im Mittelbau jeweils für 2004 die Kinderlosigkeit
spezieller Altersgruppen angegeben wurden, berechneten die
Autorinnen für die Professuren nur die kumulierte
Kinderlosigkeit. Unvollständige Datensätze kommen erschwerend
hinzu. Außerdem wird sich im Text und in den Tabellen zuweilen
auf unterschiedliche Grundgesamtheiten bezogen, die nicht auf
den ersten Blick erkennbar sind.
Für
die nachfolgende Tabelle wurden die Daten der Autorinnen so
umgruppiert bzw. neu berechnet, dass ein Generationenvergleich
möglich wird.
Tabelle 4: Kinderlosigkeit der nordrhein-westfälischen
Professorinnen
nach Geburtskohorten im Jahr 1994 ( n =
225) und 2004 (n = 418) |
|
Kinderlosigkeit
(in Prozent) |
Geburtskohorten |
1994 |
2004 |
1965 - 1974 Geborene |
- |
64,5 |
1950 - 1964 Geborene |
61,5 |
55,4 |
1935 - 1949 Geborene |
68,5 |
58,6 |
|
Quelle:
Anhang, Tabelle 2 (S.215); Tabelle 8; S.159; eigene
Berechnungen |
Die Professorinnen der
68er-Generation (hier näherungsweise als 1935 - 1949
Geborene abgegrenzt
)
hatten sowohl 1994 (45 - 49Jährige) als auch 2004 (55 -
69Jährige) ihre reproduktive Phase abgeschlossen. Dennoch ist
die Kinderlosigkeit von 68,5 % auf 58,6 % zurückgegangen.
Wie
ist das möglich? Die 68er waren im 10-Jahreszeitraum von
einer Stellenreduktion betroffen. Hatten sie 1994 noch 143
Stellen inne, so brachten sie es 2004 nur noch auf 111 Stellen.
Die Stellenreduktion ging also mit einer Zunahme der
berufstätigen Mütter einher. Dieses Beispiel zeigt, dass eine
Veränderung der Kinderlosenanteile keineswegs gleichbedeutend
mit der Zunahme der lebenslangen Kinderlosigkeit ist. Die
Frauen der Single-Generation (näherungsweise als 1950 -
1964 Geborene abgegrenzt) profitierte im Gegensatz zur
68er-Generation vom Strukturwandel. Innerhalb von 10 Jahren
erhöhte sich ihr Stellenanteil von 52 auf 276. Die
Kinderlosigkeit ging von 61,5 % auf 55,4 % zurück. Neben der
Zunahme berufstätiger Mütter ist dafür auch die späte
Mutterschaft verantwortlich, da die Single-Generation im
Untersuchungszeitraum ihre reproduktive Phase noch nicht
abgeschlossen hatte.
Im
Brennpunkt der öffentlichen Debatte standen insbesondere die
Karrierefrauen der Generation Golf. Für die
Karrierefrauen dieser Generation ist die späte Mutterschaft
im Gegensatz zu den vorhergehenden Generationen eher die Regel
statt die Ausnahme. Was die Professorinnen betrifft, so zeigt
sich, dass die Kinderlosigkeit bei den 30-39jährigen Frauen der
Single-Generation bei 47,4 % lag, während sie bei der
Generation Golf auf 64,5 % anstieg. Inwiefern dies jedoch
auf den Anstieg des Erstgebäralters zurückzuführen ist, lassen
die Daten offen, da im gleichen Zeitraum eine Verjüngung der
ProfessorInnenschaft einher ging.
Der
Generationenvergleich sollte zeigen, dass bei der Bewertung der
Kinderlosigkeit Vorsicht geboten ist. Da die Autorinnen der
Studie das Schwergewicht auf die Analyse der Entwicklung beim
Wissenschaftlernachwuchs gelegt haben, soll hier nicht weiter
auf die Problematik eingegangen werden.
Die Kinderlosigkeit des
wissenschaftlichen Nachwuchses ist höher als die Kinderlosigkeit
in der Professorenschaft von NRW
Bevor die Argumentation
der Autorinnen wieder aufgegriffen wird, soll hier noch einmal
gezeigt werden, dass auch der Generationenvergleich die höhere
Kinderlosigkeit des wissenschaftlichen Nachwuchses aufzeigt. In
der nachfolgenden Tabelle werden dazu die gleichaltrigen Frauen
im Mittelbau mit den Professorinnen verglichen.
Tabelle 5: Vergleich der Kinderlosigkeit des
nordrhein-westfälischen
Personals nach Geburtskohorten im
Jahr 2004 |
|
Kinderlosigkeit
(in Prozent) |
Geburtskohorten |
Mittelbau
(n = 4921) |
Professorinnen
(n = 418) |
1965 - 1974 Geborene |
72,6 |
64,5 |
1950 - 1964 Geborene |
57,9 |
55,4 |
1935 - 1949 Geborene |
73,5 |
58,6 |
|
Quelle:
Anhang, Tabelle 2 (S.215); Tabelle 6; S.121; Zahlenangabe
im Text
und Fn 95 und 96, S.123; eigene Berechnungen |
Es zeigt sich, dass die
Kinderlosenanteile im Mittelbau in allen Generationen höher sind
als in der Professorinnenschaft. Hinzu kommt, dass im Mittelbau
mehr als 10 mal so viele Frauen beschäftigt sind als in der
Professorenschaft.
Welches
sind die Gründe für die hohe Kinderlosigkeit beim
wissenschaftlichen Nachwuchs? In sechs Kapiteln werden jene
Faktorenkomplexe aufgezeigt, die verantwortlich sind. Dazu
gehören die bereits weiter oben angesprochene asymmetrische
Geschlechterkultur und ein Wissenschaftlerideal, das mit einem
spezifischen Habitus einhergeht, der mit moderner Elternschaft
in Konflikt gerät. Wissenschaftlerinnen
gehören zudem dem individualisierten Milieu an, in dem
Kinderlosigkeit zu einer Option geworden ist. Die Autorinnen
sehen in der Studie Lebensplanung ohne Kinder von ZIEBELL/SCHMERL/QUEISER
aus dem Jahr 1992, in der Bildungsaufsteiger/innen
überpräsentiert sind, einen Beleg dafür, dass Kinderlosigkeit
nicht die Konsequenz höherer Bildung ist, sondern mit den
Bedingungen des sozialen Aufstiegs zusammenhängt:
Wissenschaft als Lebensform - Eltern unerwünscht?
"Höhere
Bildungsabschlüsse sind für bewusst kinderlose Erwachsene nicht
deswegen typisch, weil sie einer höheren sozialen und womöglich
auch ökonomischen Klasse angehören, (die den natürlichen
Kinderwunsch verlernt hat), sondern deswegen, weil ein
bestimmter Teil von ihnen diesen höheren Bildungsgrad hart und
allein erkämpft hat. Das gilt in erhöhtem Maß für Frauen: Die
gegen die eigene Herkunft durchgesetzte und selbst mit erhöhtem
Zeitaufwand erkämpfte höhere Bildung schiebt die Frage nach
einem Kind zunächst hinaus, lässt sie oft aber auch aufgrund
anderer wichtiger Lebensinhalte als irrelevant erscheinen."
(2009, S.49) |
Eine solche Sichtweise
wurde auf dieser Website bereits anhand eines Fallvergleichs
zweier Karrierefrauen der Generation Golf vertreten
. Als
weiterer Aspekt muss die Partnerwahl von AkademikerInnen
berücksichtigt werden. Unter dem wissenschaftlichen Personal
gibt es einen hohen Anteil von Doppelkarrierepaaren mit dem
Anspruch einer egalitären Arbeitsteilung. Das Konfliktpotenzial
solcher Paarkonstellationen ist mittlerweile Thema von Literatur
und Film
. Ein weiterer Problemkomplex sind die strukturellen Bedingungen
der wissenschaftlichen Karriere. Hierzu gehört das
meritokratische Selbstverständnis der Wissenschaftler, die
Heterogenität und Prekarität der Beschäftigungsverhältnisse im
Mittelbau und die lange Qualifizierungsphase vom Studienbeginn
bis zur Professur, wobei es je nach Fachkultur große
Unterschiede gibt. Die Autorinnen beschreiben sehr ausführlich
die beiden Qualifizierungsphasen Promotion und Habilitation
und ihren Einfluss auf die Elternschaft.
Nicht zuletzt kommt eine "gefühlte Kinderlosigkeit" hinzu. Kinderlosigkeit ist also letztlich ein multifaktorielles
Phänomen.
Wissenschaft als Lebensform - Eltern unerwünscht?
"Die
hohe Kinderlosigkeit von Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern ist nicht allein auf fehlende oder ungeeignete
Partner/innen oder ungünstige Arbeitsbedingungen zurückzuführen.
Es ist eher eine Kombination von Faktoren, die das Elternsein
(...) ermöglichen oder behindern. Fehlende oder ungeeignete
Partner/innen, anstrengende aufeinander folgende
Qualifizierungsanforderungen, befristete Verträge, regionaler
Mobilitätszwang, Arbeitszeitflexibilität und objektive wie
gefühlte Kinderfeindlichkeit beeinflussen die Entscheidungen von
Wissenschaftler/inne/n, Eltern zu werden."
(2009, S.145) |
Im vorletzten Kapitel
weisen die Autorinnen auf die Notwendigkeit von
Kinderbetreuungseinrichtungen und sozialer Netze hin. Aufgrund
von eigenen und fremden Berechnungen hinsichtlich des Bedarfs
stellen die Autorinnen einen eklatanten Mangel und fehlende
Passfähigkeit der Betreuungseinrichtungen fest. Ihr Fazit:
Wissenschaft als Lebensform - Eltern unerwünscht?
"Ein
flexibles ganztägiges und qualitativ dem Alter der Kinder
entsprechendes bedarfsgerechtes Kinderbetreuungsnetz ist eine
wesentliche Voraussetzung für ein gutes Leben, das beide
Bereiche - die wissenschaftliche Arbeit und Familie - ohne
einseitige Verzichte zu verbinden erlaubt. Das wird nicht ohne
eine Neuverteilung von wissenschaftlicher und familialer Arbeit
auf beide Geschlechter möglich sein."
(2009, S.180) |
Wie sieht es aber aus, wenn man
spezielle Universitäten betrachtet? Am Beispiel der Universität
Dortmund gehen die Autorinnen der Frage nach, ob sich die
landesweiten Ergebnisse auch auf der Ebene einzelner
Universitäten widerspiegeln. Es zeigt sich z.B., dass die
Kinderlosigkeit je nach Universität unterschiedlich hoch ist.
Während die RWTH Aachen auf einen Kinderlosenanteil von 70,9 %
kommt, gibt es am Universitätsklinikum Bonn nur 40 % Kinderlose.
Die Ursachen beschreiben die Autorinnen folgendermaßen:
Wissenschaft als Lebensform - Eltern unerwünscht?
"Abweichungen
im Anteil der Eltern zwischen den Universitäten (...) sind (...)
auf eine unterschiedliche Personalrekrutierung zurückzuführen.
Diese ergibt sich aus dem unterschiedlichen Drittmittelaufkommen
und der Disziplinstruktur der Universitäten."
(2009, S.188) |
Fazit: Das Buch bietet einen hervorragenden
Einblick in den Zusammenhang zwischen Karrierebedingungen,
Geschlecht und Kinderzahl beim wissenschaftlichen Personal der
Universitäten des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen
Das Buch Wissenschaft
als Lebensform - Eltern unerwünscht von GÖCKEL/MÖLLER/AUFERKORTE-MICHAELIS
zeigt am Beispiel der Universitäten des westdeutschen
Bundeslandes Nordrhein-Westfalen die zahlreichen Probleme auf,
die das wissenschaftliche Personal bei der Vereinbarkeit von
Beruf und Familie hat. Während sich das Vereinbarkeitsproblem in
der Vergangenheit als Frauenproblem darstellte, zeigt die
Studie, dass es inzwischen auch für Männer ein Problem ist,
Beruf und Familie zu vereinbaren. Dies gilt insbesondere für
Väter, die sich nicht nur als Ernährer betrachten.
Eine
Vielzahl von Tabellen und Schaubilder veranschaulichen wie zum
einen im Verlauf der wissenschaftlichen Karriere
geschlechtsspezifische Barrieren zunehmen und zum anderen wie
sich Kinderlosigkeit und Elternschaft im Mittelbau und in der ProfessorInnenschaft entwickelt haben.
Das
Buch ist allen zu empfehlen, die sich für eine lebens- und
familienfreundliche Hochschulentwicklung engagieren möchten.
Während in der öffentlichen Debatte zur Kinderlosigkeit der
AkademikerInnen die Schuld fast ausschließlich bei den Frauen
gesucht wird, zeigt die Studie dagegen eindrucksvoll, dass zwar
Individualisierung und ein modernes Paar- und
Familienverständnis eine Rolle spielen, dass aber insbesondere
ein antiquiertes Wissenschaftlerideal, familien- und
frauenfeindliche Strukturen und Beschäftigungsverhältnisse sowie
fehlende bzw. ungeeignete Betreuungseinrichtungen
ausschlaggebender sind.
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