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Thema des Monats

 
       
   

Ein Leben ohne Kinder

 
       
   

Ein von Michaela Kreyenfeld und Dirk Konietzka herausgegebener Sammelband fasst erstmals den sozialwissenschaftlichen Stand der Forschung zur Kinderlosigkeit in Deutschland zusammen (Teil 2)

 
       
     
       
   
     
 

Läutet das Ende der Aufsteigergesellschaft auch das Ende der Zunahme von Kinderlosen ein?

Günter BURKART bringt die problematische Kultur des Zweifels auch mit den speziellen Problemen sozialer Aufsteiger in Verbindung:

Eine Kultur des Zweifels: Kinderlosigkeit und die Zukunft der Familie

"Aus diesem Milieu rekrutieren sich wahrscheinlich besonders viele »Zweifler« - und vielleicht auch Kinderlose? Das soziale Milieu, in der die Kultur des Zweifels sich ausbreiten konnte, ist möglicherweise stark von der Generation der »Achtundsechziger« und den Aussteigergruppen im Zuge der Bildungsexpansion geprägt. Vielleicht - und das wäre eine Hoffnung hinsichtlich der Entwicklung der Kinderlosigkeit - reduzieren sich diese Zweifel wieder bei den jüngeren Generationen."
(aus: Ein Leben ohne Kinder 2007, S.420)

Im Buch Die Single-Lüge wurde anhand von zwei typischen Karrierefrauen der Generation Golf eine Milieutheorie der Kinderlosigkeit anhand von Katja KULLMANN ("Generation Ally") und Susanne GASCHKE ("Die Emanzipationsfalle") dargelegt. Im Heft 1 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie vom April 2007 haben Marek FUCHS & Michaela SIXT Ergebnisse zur Nachhaltigkeit von Bildungsaufstiegen veröffentlicht. Da die Nachhaltigkeit auch durch Kinderlosigkeit bedroht ist, gingen die AutorInnen auch der Frage nach, ob Bildungsaufsteiger vermehrt kinderlos bleiben. Für die Geburtsjahrgänge 1938 - 1962, d.h. die 68er und die Single-Generation , konnten sie dies nicht bestätigen. Allerdings muss einschränkend gesagt werden, dass die AutorInnen nicht nach dem Geschlecht unterschieden haben. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass männliche Bildungsaufsteiger vermehrt Kinder haben, während weibliche Bildungsaufsteiger vermehrt kinderlos bleiben. Dagegen finden FUCHS & SIXT Belege dafür, dass Bildungsabstiege zu vermehrter Kinderlosigkeit führen. Die AutorInnen weisen zudem nach, dass es bereits im Übergang von den 68ern zur Single-Generation weniger Bildungsaufsteiger gab:

Zur Nachhaltigkeit von Bildungsaufstiegen

"Während bei den zwischen 1948 und 1952 geborenen Neuakademikern noch 81 Prozent der Kinder die Hochschulreife erreichten, sinkt der Wert auf 71 Prozent bei den zwischen 1951 und 1957 Geborenen und erreicht bei den zwischen 1958 und 1962 geborenen Neuakademikern nur noch 56 Prozent (...). Bei den traditionellen Akademikern hingegen ist eine Verringerung des Anteils ihrer Kinder mit Hochschulreife nicht nachweisbar".
(aus Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 2007, S.18f.)

Die Befunde von FUCHS & SIXT deuten darauf hin, dass es bereits in der Generation Golf bedeutend weniger Bildungsaufsteiger als bei den 68ern oder der Single-Generation gibt.  Das von BURKART angesprochene Problem könnte sich also bereits in den nächsten Jahren erledigt haben. Da jedoch Bildungsabstiege vermehrt mit Kinderlosigkeit einhergehen, ziehen am Horizont der Hartz IV-Gesellschaft bereits Probleme auf, die in dem Band Ein Leben ohne Kinder vernachlässigt werden.

Partnerschaft und Kinderlosigkeit

Double Income, no Kids (DINKS) werden kinderlose Paare von ihren Kritikern genannt. Heike WIRTH geht in ihrem Beitrag der Frage nach, ob Doppel-Karrierepaare wirklich häufiger kinderlos bleiben als andere Paarkonstellationen. Der Beitrag zeigt jedoch vor allem die Problematik amtlicher Datensätze. Zum einen wird Kinderlosigkeit lediglich als Leben ohne Kinder im Haushalt definiert. Zum anderen kommen moderne Paare ohne gemeinsamen Haushalt gar nicht in den Blick. Seit Anfang der 1990er Jahre versuchen Bevölkerungswissenschaftler wie Jürgen DORBRITZ ihre Polarisierungsthese auf die Existenz eines Nicht-Familiensektors zu stützen (siehe oben). WIRTH folgt diesen wenig überzeugenden Überlegungen in ihrer Analyse der 37 - 40-Jährigen der Geburtskohorten 1951 bis 1966. Ihr Befund:

Kinderlosigkeit von hoch qualifizierten Frauen und Männern im Paarkontext

"Die geringste Neigung zur Familiengründung zeigt sich (...) nicht bei den (...) hoch qualifizierten Paaren, sondern bei einem formalen Bildungsvorsprung der Partnerin". (2007, S.188)

Dem Bildungsniveau des Partners kommt als Erklärungsfaktor hierbei eine nachrangige Bedeutung zu, wobei jedoch Paare mit einem Bildungsgefälle zugunsten der Frau mit einer etwas höheren Wahrscheinlichkeit kinderlos sind als bei einer hohen Qualifikation beider Partner. Die Unterschiede zwischen diesen beiden Paartypen sind zwar bislang gering, aber der Anteil der hoch qualifizierten Frauen, die mit einem geringer qualifizierten Partner zusammenleben, ist im hier betrachteten Kohortenvergleich auf circa 30 Prozent angestiegen und damit durchaus nennenswert. Es erscheint daher lohnenswert, diesen beiden Paartypen in zukünftigen Analysen stärkere Beachtung zu schenken."
(aus: Ein Leben ohne Kinder 2007, S.193f.) 

Das Thema Partnerschaft und Kinderlosigkeit hätte mehr Beachtung finden sollen. Alle Beiträge des Sammelbandes Ein Leben ohne Kinder betonen zwar die Bedeutsamkeit des Themas, es bleibt jedoch allzu oft bei einem Verweis auf die Defizite der bisherigen Forschung.  Hier wäre zuallererst die Fokussierung der traditionellen Forschung auf Frauen zu nennen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Beitrag von Jan ECKHARD & Thomas KLEIN besonders lobenswert, der sich der unterschiedlichen Motivation von Frauen und Männern zur Elternschaft widmet. Die Tatsache eines höheren Alters von Männern bei der Zeugung des ersten Kindes, wird neuerdings medienwirksam als Zeugungsstreik gedeutet. So z.B. von Meike DINKLAGE in ihrem gleichnamigen Buch.

Der Zeugungsstreik

"Die Diskussion um den Geburtenrückgang lässt die Männer außen vor. Dabei wird die Babyfrage in den Beziehungen entschieden, und die Männer haben einen entscheidenden Anteil daran. Tatsächlich bleiben viel mehr Männer kinderlos als Frauen: 33,6 % der Männer zwischen 35 und 40 haben keine Kinder, während es bei den Frauen dieser Altersgruppe nur 17,4 % sind.
          
In ihrem Buch porträtiert die Brigitte-Redakteurin Meike Dinklage diese Männer im Zeugungsstreik: Männer, die ohne Kinder leben, weil sie keine Kinder wollen. Weil sie ihr Leben nicht ändern wollen. Weil sie den sozialen Abstieg fürchten. Weil sie ja noch später Väter werden können. Weil ihnen ein positives Familienbild fehlt. Aber auch: Weil sie kein Kind zeugen können, obwohl sie es möchten. Und sie trifft die Frauen, die nicht Mütter werden, weil ihre Männer nicht Väter werden wollen."
(Klappentext)

Eine solche Neuetikettierung für einen altbekannten Sachverhalt, ist wenig hilfreich wie die Autoren belegen. Frauen und Männer verbinden mit einer Elternschaft Unterschiedliches, was nicht zuletzt auf die traditionelle Rechtsprechung zur Eltern-Kind-Beziehung zurückzuführen ist. Während für Männer der Zugang zum Kind über die Partnerschaft vermittelt ist, haben Mütter einen rechtlich abgesicherten direkten Zugang zum Kind. Dies drückt sich dann auch in der Motivation zur Elternschaft aus, die ECKHARD & KLEIN folgendermaßen beschreiben:

Die Motivation zur Elternschaft. Unterschiede zwischen Männern und Frauen

"Da soziale Elternschaft für Männer mehr als für Frauen vom Bestand der Paarbeziehung zwischen den Elternteilen abhängig ist, ist für die subjektiv wahrgenommene Beziehungsstabilität eine für Männer und Frauen unterschiedliche Bedeutung für generative Entscheidungen zu erwarten. (...). Ebenso ist das Motiv der Paarbindungsfunktion gemeinsamer Kinder für Männer nur dann als ein positiver Entscheidungsfaktor zur Familiengründung wirksam, wenn keine Beziehungsprobleme wahrgenommen werden. Für Frauen zeigt sich kein entsprechender Zusammenhang. Dies kann verschiedene Gründe haben, über die sich hier jedoch nur spekulieren lässt. Ein möglicher Grund besteht darin, dass Kinder nach einer Trennung zumeist bei den Müttern verbleiben. Somit stellt eine dauerhafte, stabile Paarbeziehung vor allem für Männer, weniger jedoch für Frauen, eine wesentliche Voraussetzung für die Wirksamkeit vor allem der immateriellen Anreize zur Elternschaft dar."
(aus: Ein Leben ohne Kinder 2007, S.291f.)

Zwar ist eine Partnerschaft für Frauen - betrachtet man nur die darauf bezogenen Aussagen in Umfragen - weniger wichtig für das Kinderkriegen als für Männer, aber empirische Analysen zeigen andererseits, dass das Vorhandensein eines Partners immer noch die wichtigste Vorbedingung für die Geburt eines Kindes ist. Für Frankreich vermuten Katja KÖPPEN/Magali MAZUY/Laurent TOULEMON, dass ein Großteil der Kinderlosigkeit durch die lebenslange Partnerlosigkeit erklärt wird.

Kinderlosigkeit in Frankreich

"Überhaupt ist der Partnerschaftsstatus ein entscheidender Parameter im Hinblick auf das Ausmaß von Kinderlosigkeit. Männer und Frauen, die noch nie in einer festen Partnerschaft gelegt haben - sei es in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft oder einer Ehe - bleiben zu einem viel höherem Anteil kinderlos als diejenigen, die in einer Paarbeziehung leben oder gelebt haben. Da mehr als 90 Prozent der Männer und Frauen in den untersuchten Geburtskohorten partnerschaftserfahren sind, kann ein Großteil der Kinderlosigkeit auf diejenigen 10 Prozent zurückgeführt werden, die lebenslang partnerlos geblieben sind bzw. bis zum Interviewzeitpunkt ledig waren."
(aus: Ein Leben ohne Kinder 2007, S.102)

In diesem Zusammenhang ist auch die Frage wichtig, ob die Instabilität von modernen Partnerschaften einen Einfluss auf das Ausmaß der Kinderlosigkeit hat. Obwohl einem solchen Einfluss in einigen Beiträgen eine gewisse Relevanz zugesprochen wird (z.B. von Günter BURKART), fehlen im Sammelband dazu stichhaltige Analysen. Die Unvereinbarkeit von Beruf und Partnerschaft kommt dadurch erst gar nicht in den Blick . Hier wird das Manko besonders deutlich, dass zwar der Anspruch einer Lebensverlaufsperspektive ständig proklamiert wird, die vorhandenen sozialwissenschaftlichen Datensätze eine solche meist jedoch nicht zulassen. Eine sozialwissenschaftliche Analyse der Kinderlosigkeit sollte sich deshalb verstärkt dem Zusammenhang zwischen Partnersuche, Partnerschaft und Elternschaft widmen. Darauf deutet auch ein Beitrag von Jan ECKHARD in der Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft (Heft 1/2007) hin.

Im Beitrag Kinderlosigkeit durch Partnerschaftslosigkeit  kommt Jan ECKHARD anhand der Erhebung des Familiensurveys aus dem Jahr 2000, mit dem auch haushaltsübergreifende Partnerschaftsformen erfasst wurden, zum Ergebnis, dass im Gegensatz zu den 1980ern in den 1990er Jahren ein geringer Anstieg der Partnerlosigkeit bei westdeutschen Frauen bis 30 Jahren festzustellen ist. Zum einen hat sich die Anzahl der Frauen ohne Partnerschaftserfahrung erhöht und zum anderen ist die Partnerschaftsdauer bei den partnerschaftserfahrenen Frauen zurückgegangen. ECKHARD schließt deshalb daraus, dass der Aufschub der Geburten mit dem Wandel der Partnerschaftsbiographien zusammenhängen.

Kinderlosigkeit durch Partnerschaftslosigkeit

"Kurzgefasst und mit Zuspitzung formuliert, lassen sich die (...) Entwicklungen als ein Trend beschreiben, der von dauerhaften und kontinuierlichen Paarbezügen wegführt hin zu einer Abfolge von mehreren kürzeren Paarbeziehungen. (...). Gleichzeitig zeichnet sich zudem eine Zunahme der dauerhaften Partnerschaftslosigkeit ab.
          
(...).
Die möglichen Zusammenhänge mit der Geburtenentwicklung liegen auf der Hand: (...) Zumindest  die erhöhte dauerhafte Partnerschaftslosigkeit (...) trägt offensichtlich einen Teil zur Erklärung des Geburtenrückgangs bei. Zudem hat sich gezeigt, dass vor allem die für die jüngeren Jahrgänge zunehmend kürzer ausfallende Dauer der Paarbeziehungen ein bedeutsamer Faktor der Geburtenentwicklung sein könnte."
(aus: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, Heft 1, 2006, S.119)

Diese Ergebnisse stehen nicht im Widerspruch zur oben beschriebenen Single-Lüge, denn ECKHARDs Aussagen beziehen sich lediglich auf das frühe Erwachsenenalter der in den 1960er geborenen westdeutschen Frauen und nicht speziell auf das Alleinleben im Familienlebensalter. Da die Erhebung bereits im Jahr 2000 stattfand, konnte z.B. der "Baby-Boom" des spät gebärenden Frauenjahrgangs 1965 noch gar nicht erfasst werden . Im frühen Erwachsenenalter ist außerdem das Nesthockertum noch stärker von Bedeutung. Seit dem Jahr 2004 ist das Thema auch in der Popkultur angekommen . Ergebnisse, die für eine Lebensphase gefunden werden, können nicht unbedingt auf andere Lebensphasen verallgemeinert werden, wie Andrea LENGERER & Thomas KLEIN richtig anmerkten. Eine neuere Studie von Wolfgang LAUTERBACH mit Längsschnittdaten aus dem Jahr 2002 kommt für die 16-35-Jährigen zu folgenden Ergebnissen:

Partner ja, Single nein, oder umgekehrt?

"Vergleichen wir die Befunde mit anderen Studien, so zeigt sich vor allem, daß die Anzahl der Partnerschaften der untersuchten Jugendlichen im Vergleich zu früheren Kohorten geringfügig gestiegen ist. Was die Dauer betrifft, so sind über den gesamten beobachteten Zeitraum, dies sind immerhin 19 Jahre, nur fünf Prozent der Männer und vier Prozent der Frauen dauerhaft Single. Damit hatten nahezu 95 Prozent der Befragten mindestens einen Partner."
(aus: Generationen und Familien 2007, S.184)

Neben dem Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind es also vor allem Probleme im Zusammenhang mit Partnerschaften, die eine Familiengründung verhindern.

Die Zukunft der Familie

Bevölkerungspolitik konnte sich bislang darauf berufen, dass eine Familienpolitik, die auf die Realisierung von Kinderwünschen ausgerichtet war, die Bestandserhaltung garantieren konnte. Diese Rechtfertigungsbasis ist jedoch geschwunden wie Jan H. MARBACH & Angelika TÖLKE schreiben:

Frauen, Männer und Familie: Lebensorientierung, Kinderwunsch und Vaterrolle

"Was Kinderwünsche anbelangt, ist es traditionell das Bestreben der Familienpolitik gewesen, Kinderlose und Eltern darin zu unterstützen, sich ihre (als ausreichend vorhanden angenommenen) Kinderwünsche erfüllen zu können. Kinderwünsche als solche geraten erst neuerdings ins Blickfeld der Familienpolitik, nachdem auch sie unter den für den Bestand der Bevölkerung kritischen Grenzwert von zwei Kindern pro Person im reproduktionsfähigen Alter abgesunken sind. Unter solchen Auspizien scheint es nicht mehr auszureichen, nur auf die Realisierbarkeit vorhandener Kinderwünsche zu setzen. Der Wunsch nach Kindern selbst bedarf der Stabilisierung.
(aus: Ein Leben ohne Kinder 2007, S.272)

Ob die Kinderwünsche tatsächlich generell zurückgegangen sind, das ist jedoch durchaus nicht unumstritten . Sowohl die Abnahme von kinderreichen Familien als auch die steigende Kinderlosigkeit haben in der Nachkriegszeit zum Geburtenrückgang bzw. zum Verharren auf einem niedrigen Niveau der zusammengesetzten Geburtenziffer geführt. Die steigende Kinderlosigkeit kam erst Anfang der 1990er Jahre - also zeitgleich mit der Popularisierung der Individualisierungsthese - zunehmend in den Blick. Die Steigerung der Geburtenrate wäre nach dieser Sichtweise auf zwei Wegen zu erreichen:

1) Erleichterung der Familiengründung durch die vermehrte Geburt erster Kinder
2) Erleichterung der Familienerweiterung durch die vermehrte Geburt zweiter, dritter und Kinder noch höherer Ordnungszahl.

Der Königsweg, mit dem beide Strategien kombinierbar erscheinen, ist die Förderung des Frühgebärens. In der Perspektive der Lebensverlaufsforschung führt der Aufschub von Geburten in höhere Lebensalter zur Abnahme von Geburten, jedoch nur dann, wenn die Vereinbarkeit von Beruf und Familie unmöglich ist. Das Beispiel Frankreich zeigt, dass ein Aufschub von Geburten nicht zwangsläufig zu einem höheren Niveau der Kinderlosigkeit führen muss. Torsten SCHRÖDER fasst das deutsche Dilemma deshalb folgendermaßen zusammen:

Geplante Kinderlosigkeit? Ein lebensverlaufstheoretisches Entscheidungsmodell

"die aktuelle Kinderlosigkeit (ist) nicht gewollt, sondern das Resultat eines immer wiederkehrenden »flexiblen« Aufschiebens des Kinderwunsches (...). Wenn über die gesamte Fertilitätsphase hinweg ungünstige Rahmenbedingungen für eine Elternschaft herrschen, führt dies unbeabsichtigt dazu, dass das Zeitfenster zur Realisierung einer Elternschaft in der individuellen Lebensplanung Schritt für Schritt immer kleiner wird, bis - angesichts des Alters - die eigentlich gewünschte Elternschaft aufgegeben werden muss."
(aus: Ein Leben ohne Kinder 2007, S.396)

Die AutorInnen betonen in ihren Beiträgen, dass die Vereinbarkeit keineswegs mit der Einführung eines Elterngeldes oder durch den Ausbau der staatlichen Kinderbetreuung garantiert ist. Sowohl das Bildungssystem als auch der Arbeitsmarkt setzen einer Vereinbarkeit Grenzen.  So verschieben z.B. ostdeutsche Studentinnen unter dem Druck des westdeutschen Bildungssystems vermehrt Geburten. Gute Arbeitsmarktchancen für Frauen führen ebenfalls eher zum Aufschub von Geburten. Vernachlässigt werden zudem die Probleme der Aufsteiger. Da die Gesellschaft zunehmend auf Elitenbildung setzt, sind die Chancen von Aufsteigern zunehmend geringer wie der Elitenforscher Michael HARTMANN herausgefunden hat. Karriereorientierte Frauen könnten sich unter diesen Umständen gezwungen sehen, vermehrt Kinderlosigkeit in Kauf zu nehmen. Die frühe Mutterschaft erscheint unter diesen Gesichtspunkten wenig attraktiv.

Erfolge der Reproduktionsmedizin machen es dagegen wahrscheinlicher, dass in den nächsten Jahrzehnten die Mutterschaft mit 40 Plus zur neuen Normalität wird. Dies gilt insbesondere für hoch qualifizierte bzw. erfolgreiche Frauen. Eine andere Alternative ist für den Soziologen BURKART die Professionalisierung der Mutterschaft, die bereits im Muster der funktionalen Differenzierung angelegt ist:

Eine Kultur des Zweifels: Kinderlosigkeit und die Zukunft der Familie

"In der Logik funktionaler Differenzierung ist Arbeitsteilung und Spezialisierung, also Professionalisierung ein vertrauter Weg, Probleme wachsender Komplexität zu lösen. Und das »Vereinbarkeitsproblem« ist nicht zuletzt ein Komplexitätsproblem.
(...).
Mit den Fortschritten der Reproduktionsmedizin wurde die Möglichkeit von Leihmutterschaft realistisch. Zwar ist das in den wenigsten Ländern schon erlaubt oder nur bei medizinischer Indikation, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass sich eine Tendenz zur sozialen Leihmutterschaft entwickelt, das heißt die Übernahme der Schwangerschaft durch Spezialistinnen fürs Gebären."
(aus: Ein Leben ohne Kinder 2007, S.417f.)

Gerne werden solche Utopien zu Horrorgemälden zugespitzt. Das täuscht darüber hinweg, dass Leihmutterschaft und die Auslagerung elterlicher Praktiken (Babysitter, Kindermädchen und Haushaltshilfen) in Zukunft selbstverständlich werden. Gerade im Zusammenhang mit der Globalisierung sind die Überlegungen des Soziologen Karl Otto HONDRICH bedeutsam, der darauf hingewiesen hat, dass Kinder nicht unbedingt dort geboren werden müssen, wo sie später arbeiten werden .

Fazit: Das Buch Ein Leben ohne Kinder zeigt eindrucksvoll, wie durch die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie die ungewollte Kinderlosigkeit zunimmt

Im Gegensatz zu marktschreierischen Büchern wie Minimum (SCHIRRMACHER), Das Eva-Prinzip (HERMAN) oder Die Helden der Familie (BOLZ), die die Rettung der Familie durch ein "Zurück an den Herd" sehen, legt die sozialwissenschaftliche Forschung eine Modernisierung der Familie durch die stärkere Einbeziehung der Mütter in den Arbeitsmarkt nahe. Diese Sichtweise steht im Einklang mit dem Selbstbild junger Frauen der Generation Golf, deren Geburtenverhalten seit den 1990er Jahren das Geburtenaufkommen der Berliner Republik geprägt hat. Auch bei der nachkommenden Generation @, die in den nächsten Jahren die Geburtenentwicklung bestimmen wird, ist keine Abkehr von diesem Muster zu erkennen. Sollte eine vernünftige Vereinbarkeitspolitik, die seit zwei, drei Jahrzehnten überfällig ist, nicht zügig durchgesetzt werden, so ist mit einer weiteren Zunahme der Kinderlosigkeit zu rechnen. Die kontraproduktiven familienpolitischen Debatten der Vergangenheit, die sich einem Kampf um das einzig wahre Familienbild verdankten, haben eine problematische Kultur des Zweifels gefördert, die sich durchaus zu einer Kultur der Kinderlosigkeit verfestigen könnte - nicht etwa, weil militante Kindergegner ihren Hedonismus ungehindert ausleben möchten (in den USA spricht man hier von Kinderfreien ), sondern weil eine reaktionäre Familienpolitik lieber auf Symbolpolitik oder die Bestrafung Kinderloser setzt, statt die Rahmenbedingungen für eine Elternschaft zu verbessern. Bei alledem sollte nicht übersehen werden, dass in der Hartz IV-Gesellschaft neben der Kinderlosigkeit der hoch Qualifizierten, die Probleme durch die Kinderlosigkeit von Bildungsabsteigern zunehmen werden. Die Beiträge des Sammelbandes Ein Leben ohne Kinder basieren auf Erhebungen, die überwiegend vor der Durchsetzung der Agenda 2010 durchgeführt worden sind. Trotzdem ist das Buch wichtig, weil es viele unterbelichtete Aspekte der Kinderlosigkeit in Deutschland beleuchtet.

Wenn im kommenden Herbst die ersten Ergebnisse einer Erhebung Frauenbefragung zur Geburtenentwicklung in Deutschland vom Statistischen Bundesamtes bekannt gegeben werden, von der eine Klärung des tatsächlichen Ausmaßes der Kinderlosigkeit erwartet wird, dürfte die öffentliche und sozialwissenschaftliche Debatte um die Kinderlosen erst richtig beginnen. Das Buch Ein Leben ohne Kinder gibt bereits jetzt einen ersten Vorgeschmack darauf, worum es dann gehen wird. Das Buch zeigt nicht zuletzt, dass die ursprüngliche Individualisierungsthese, wie sie von Ulrich BECK Anfang der 1990er Jahre in Umlauf gebracht wurde, längst nicht mehr zeitgemäß, sondern kontraproduktiv ist. Nicht die Zunahme der Singles, sondern die Verbreitung moderner Paarformen und die damit verbundenen Schwierigkeiten der Familiengründung sind die Herausforderung, der sich unsere Gesellschaft zu stellen hat. Nationalkonservative ignorieren die zunehmende Entkopplung von Ehe und Familie, die insbesondere in den neuen Bundesländern besonders weit fortgeschritten ist. Gerade die Ost-West-Vergleiche zeigen immer wieder, dass Deutschland eine gespaltene Gesellschaft ist.         

Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte

"Dies ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt. Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
          
 Es wird aufgezeigt, dass sich die nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen."

 
     
 
       
   

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© 2002-2018
Bernd Kittlaus
webmaster@single-generation.de Erstellt: 28. Mai 2007
Update: 21. November 2018