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Zitat
aus der Debatte um die Kinderlosigkeit in Deutschland
Geburtenrückgang: Die wissenschaftliche Karriere eines
politischen Themas
"Der
Geburtenrückgang ist sozusagen ein »problematisches
Problem«, das heißt ein Problem, dessen Problemcharakter
umstritten ist. Wie es einzuschätzen ist, wenn in unserer
Gesellschaft weniger Kinder geboren werden, das wird -
gerade auch in der Bundesrepublik - von verschiedenen
Gruppen durchaus unterschiedlich beurteilt. (...). So wird
das Thema aufgrund bestimmter politischer und sozialer
Konstellationen in den Strudel der Auseinandersetzungen
zwischen Parteien, Generationen und Geschlechtern
hineingerissen; ein allgemeiner Konsens über das
Problematische (oder Nicht-Problematische) am
Geburtenrückgang scheint kaum noch möglich."
(Elisabeth Beck-Gernsheim, 1982, S.245) |
Zeitgeist der Neuen Mitte: Zurück zur Familie und ungewollte
Kinderlosigkeit
Ein kurzer Blick auf den
Büchermarkt genügt um festzustellen, dass das Lebensstil-Thema
Nr.1 die Familie und das dazugehörige Komplementärthema der
ungewollten Kinderlosigkeit ist. Unterstützt wird diese
Perspektive auf das Thema Kinderlosigkeit durch
bevölkerungspolitisches Schrifttum und eine öffentliche
Debatte, die den Geburtenrückgang und die Gefährdung der
Sozialsysteme in einen direkten Zusammenhang bringt.
Kinderlose
geraten dadurch in einen Rechtfertigungszwang, der jeden
positiven Bezug auf ein Leben ohne Kinder von vornherein zum
Scheitern verurteilt. Die Ratgeberliteratur
bietet in dieser Situation Kinderlosen den moralisch korrekten
Ausweg der Selbstbeschreibung als „ungewollt kinderlos“.
Zugleich bietet sie Hilfen zur Überwindung der Kinderlosigkeit
an.
Die Reproduktionsmedizin und die Pflicht zum
eigenen Kind
Die
Fortschritte der
Reproduktionsmedizin erhöhen den sozialen Druck auf
Kinderlose. Ihre Verfechter stilisieren sich zu Kämpfern für ein
„Recht auf ein eigenes Kind“. Ungewollt Kinderlose werden
dadurch für die Marktinteressen einer Boombranche mit hohen
Profitmöglichkeiten instrumentalisiert. Alle Kinderlosen
werden zu potenziell ungewollt Kinderlosen. Wer sich der
Reproduktionsmedizin verweigert, dem bleibt immer noch der
zweitbeste Weg: die Adoption eines Kindes. Ein Leben mit Kindern steht
also prinzipiell allen Erwachsenen offen.
Das Negativbild vom Kinderlosen
Wer dennoch auf seinem
Recht auf ein Leben ohne Kinder beharrt, der kann nur noch
selbstsüchtig, egoistisch, egomanisch, verantwortungslos,
kinderfeindlich oder gar krank bzw. kriminell sein (vgl.
"Generation Kinderlos", 2008).
Exkurs: Kinderfreie in den USA
In den USA, wo die
politische Mehrheit viel ungebremster als in Deutschland ihre
Interessen gegen Minderheiten durchsetzen kann, haben
Minderheiten frühzeitig gelernt, ihre Interessen offensiv zu
vertreten. Dort versuchten Singles in
den 1970ern und Kinderlose heutzutage die
Diskriminierungsversuche durch eine starke soziale Gegenbewegung
abzuwehren. Teil eines solchen Konzeptes
ist die Umwertung negativer Fremdbilder in positive
Selbstbilder. Kinderlose, die für ein Recht auf ein Leben
ohne Kinder kämpfen, nennen sich dort Kinderfreie. Sie
knüpfen damit an jene Traditionen der radikalen Feministinnen
der 1970er Jahre an, die Kinderlosigkeit als Befreiung
propagiert haben (z.B. Movius 1976). In Deutschland wird der
Begriff "Kinderfrei" erstmals im Jahr 2011 einen Buchtitel
zieren).
Ein Buch widmet sich dem Tabuthema gewollter
Kinderlosigkeit
In Deutschland ist eine
solche offensive Gegenbewegung zur Zeit nicht sichtbar. Es muss
hierzulande bereits als ein Fortschritt angesehen werden, wenn
jetzt der Rowohlt Verlag das Buch Leben ohne Kinder
von Christine CARL auf den Markt gebracht hat, in dem nicht
das Thema ungewollte Kinderlosigkeit, sondern die gewollte
Kinderlosigkeit im Mittelpunkt steht.
Leben ohne
Kinder
"Es geht mir (...)
darum, dass die Entscheidung gegen Kinder in Zukunft als eine
Möglichkeit eines Lebensentwurfs betrachtet wird. Viele Frauen
und Männer, die sich für ein Leben ohne Kinder entscheiden
werden mit dem Vorwurf des »Dobule-income-no-kids«-Vorwurfes
konfrontiert. Das Buch soll einen Beitrag leisten, dass
ein Leben ohne Kinder als ein Lebensstil unter anderem
betrachtet und akzeptiert wird. Jeder Mensch sollte sich
frei fühlen, ein Leben nach seinen Bedürfnissen zu führen,
so wie es ihm entspricht. Frauen und Männer, die sich
gegen Kinder entschieden haben, sollten dies äußern
können, ohne das Gefühl zu haben, ihren Lebensentwurf mit
dem schnellen Nachsatz »Aber ich mag trotzdem Kinder«
rechtfertigen zu müssen."
(2002, S.11f.) |
Obwohl CARL hier ein
Plädoyer für ein Leben ohne Kinder verspricht, wird dies im Buch
selbst nur unzureichend eingelöst. Die Autorin argumentiert
nicht offensiv, sondern defensiv.
Der Geburtenrückgang wird nicht hinreichend
problematisiert
Dies beginnt bereits im
ersten Kapitel, in dem CARL den Geburtenrückgang und die
Familienpolitik in Deutschland und Europa erörtert. Die Autorin
zitiert nur den bevölkerungspolitischen Konsens ohne auf die
strittigen Annahmen einzugehen, die der umstrittenen Prognose
des zukünftigen Bevölkerungsrückgang zugrunde liegen. Es wird zwar kurz die
Problematik der Bestimmung der Geburtenrate aufgezeigt und
darauf hingewiesen, dass die Schätzungen des Kinderlosenanteils
keineswegs so sicher sind wie dies die öffentliche Debatte
vermuten ließe. Danach wird jedoch sogleich die offizielle
familienpolitische Position vertreten, wonach es in Deutschland
im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern ein Problem der
Vereinbarkeit von Beruf und Familie gibt.
Sozialer Wandel:
Liebe, Elternschaft und die Arbeitsteilung der Geschlechter
geraten in Konflikt
Im zweiten Kapitel
zeichnet CARL den historischen Bedeutungswandel der
Kindheit in ideen- und sozialgeschichtlicher Perspektive
nach. Sie folgt dabei der Argumentation von Elisabeth
BECK-GERNSHEIM, wonach im 20. Jahrhundert für Eltern eine neue
Norm entstanden ist:
Leben ohne
Kinder
"Familienplanung ist
jetzt mit Verantwortungsbewusstsein verbunden. Eltern sind
nunmehr angehalten, Kinder nur dann in die Welt setzen, wenn
sie auch in der Lage sind, diese adäquat psychisch und
physisch versorgen und erziehen zu können."
(2002) |
Im dritten Kapitel geht
CARL auf den Bedeutungswandel der Ehe und der Partnerschaft ein.
Die romantische Liebe wird als Problem für die
Stabilität moderner Partnerschaften verantwortlich gemacht und
Elternschaft wird als prekäres Ereignis beschrieben, das junge
Paare vor große Herausforderungen stellt.
An diesem Punkt verweist CARL
wieder auf das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und
Familie, das sich aus dem gewandelten Selbstverständnis der
modernen Frau und den erhöhten Anforderungen im Beruf ergibt. Alle genannten Faktoren
weisen in die gleiche Richtung: Elternschaft stellt im 21.
Jahrhundert für viele Frauen eine Überforderung dar:
Leben ohne
Kinder
"Die
Eltern-Kind-Beziehung im 21. Jahrhundert steht weiterhin im
Spannungsfeld zwischen den erweiterten »Normen der
verantworteten Elternschaft«, dem beschriebenen
Bedeutungszuwachs des emotionalen Eltern-Kind-Verhältnisses
und der Realität der heutigen Arbeits- und Lebensbedingungen,
die dem Einzelnen in hohem Maße Mobilität und Flexibilität
abverlangen. Diese Bedingungen erfordern, dass die Lücken in
der Versorgung und Betreuung von Kindern stärker durch
Erzieher/-innen, Lehrer/-innen oder zusätzliche Bezugspersonen
gefüllt werden müssen, und stehen damit im Widerspruch zu den
normativen Ansprüchen, die an Eltern gestellt werden. Es
entstehen Überforderungs- und Schuldgefühle und das Erleben,
sich zwischen Kindern und Beruf zu zerreißen und beidem nicht
gerecht zu werden."
(2002) |
Sozialer Wandel und Geburtenrückgang
Vor diesem Hintergrund des
historischen Wandels von Kindheit, Frauenrolle und Elternschaft
stellt CARL einen Zusammenhang zum Geburtenrückgang her:
Leben ohne
Kinder
"Nach empirischen
Untersuchungen kann (...) der Geburtenrückgang weniger als
Zeichen der gesunkenen Attraktivität von Kindern gewertet
werden, sondern steht vielmehr im Zusammenhang mit dem
Bedeutungswandel von Kindern. Kinder werden aufgrund ihrer
emotionalen Bedeutung gewünscht, sie stehen für Bereicherung
und für Selbstverwirklichung der Eltern. Dieses
Kinderwunschmotiv führt zusammen mit der Norm der
»verantworteten Elternschaft«, d.h. etwa Kindern optimale
Startchancen zu geben (...), zu einer Reduktion der
Kinderzahl".
(2002, S.64) |
Damit folgt die Autorin
der Sichtweise, die Elisabeth BECK-GERNSHEIM bereits im Jahre
1982 formulierte, indem sie nicht die Auflösung der Familie,
sondern die herkömmliche Familienidee als Ursache des
demographischen Dilemmas bezeichnet.
Sozialer Wandel und Kinderlosigkeit
Kinderlosigkeit ist in
dieser Perspektive, dann nicht die Folge von Kinderfeindlichkeit
oder Egoismus, sondern resultiert in erster Linie aus dem
Scheitern der Umsetzung eines Kinderwunsches in die Realität:
Leben ohne
Kinder
"Auch bei der so
genannten gewollten Kinderlosigkeit handelt es sich - mit
Ausnahme einer Minderheit - (...) um aufgeschobene
Kinderwünsche, die durch zwischenzeitliche Veränderungen, zum
Beispiel den Tod des Partners, Unfälle, Krankheiten, aber auch
Gewöhnungseffekte, zu langfristigen kinderlosen Lebensformen
werden".
(2002, S.64) |
Die Verlaufsformen der gewollten
Kinderlosigkeit
Im fünften Kapitel kommt
CARL zum Kern des Themas: die Verlaufsformen der gewollten
Kinderlosigkeit. Hier kann die Autorin auf eine eigene
qualitative Interviewstudie zurückgreifen. Positiv ist an dem Ansatz zu
bemerken, dass die Entscheidung zur Kinderlosigkeit nicht
wie in der bevölkerungspolitischen Debatte als Momentaufnahme
beschrieben wird, sondern als komplexe Entscheidungsfindung im
Lebensverlauf:
Leben ohne
Kinder
"Es gibt (...) nicht die
statische und polarisierte Einteilung in zwei Grundtypen von
Kinderlosen: ungewollt oder gewollt Kinderlose. Eine dichotome
Einteilung in ungewollte und gewollte Kinderlosigkeit kann der
Vielfalt der individuellen Lebensschicksale nicht gerecht
werden. Ein lebenslang existierender starker, aber unerfüllter
Kinderwunsch sowie eine lebenslange klare Entscheidung gegen
Kinder beschreiben nur die beiden extremen Pole der
Kinderlosigkeit. Zwischen diesen beiden Gegensätzen spannt
sich ein Kontinuum, auf dem sich Frauen und Männer befinden,
deren Kinderwunsch im Laufe des Lebens aus unterschiedlichen
Gründen variiert und damit als Prozeß zu begreifen ist."
(2002) |
Nichtsdestotrotz
unterscheidet die Autorin zwischen drei unterschiedlichen
Verlaufsformen der Kinderlosigkeit, die sich nach Meinung von
CARL in typischer Weise charakterisieren lassen.
Drei Gruppen gewollt Kinderloser
Die gewollt Kinderlosen
werden von CARL nach dem Zeitpunkt und der Form der
Entscheidungsfindung in drei Gruppen eingeteilt:
1)
Frühentscheider/-innen ("early articulators")
"Diese Gruppe trifft die
Entscheidung gegen Kinder bereits sehr früh (bis Mitte 20) und
zudem alleine, also nicht innerhalb einer Partnerschaft"(S.90)
2)
Spätentscheider/-innen
Diese Gruppe trifft die
Entscheidung gegen Kinder partnerschaftlich und zu einem späten
Zeitpunkt (Mitte 30), also "vor dem Ablaufen der biologischen
Uhr". Während die Frühentscheider/-innen keinen
selbstverständlichen Kinderwunsch artikulieren, ist für diese
Gruppe der Kinderwunsch selbstverständlich.
3)
Aufschieber/-innen ("postponers")
Die letzte Gruppe trifft
keine explizite Entscheidung für ein Leben ohne Kinder, d.h. sie
"bleiben letztlich aufgrund äußerer Gründe (Operationen,
medizinische Gründe oder Menopause) definitiv kinderlos." Diese
Gruppe hat entweder den "richtigen Zeitpunkt" verpasst oder
keinen geeigneten Vater gefunden.
Partnerschaft und Kinderlosigkeit
CARL sieht einen
Zusammenhang zwischen den verschiedenen Gruppen hinsichtlich des Einflusses von Partnerschaften auf die Kinderlosigkeit. In Anlehnung an den
Soziologen Thomas MEYER lassen sich drei Privatheitstypen
unterscheiden: individualistische, partnerschaftsorienterte und
kindorientierte Privatheitstypen
. Frühentscheider/-innen lassen
sich dem individualistischen Privatheitstyp zuordnen.
Gehen sie Partnerschaften ein, dann können sie im Sinne von
Jürgen vom SCHEIDT als "Krypto-Singles" bezeichnet
werden:
Leben ohne
Kinder
"sie sehen sich
mehrheitlich (explizit und implizit) als Einzelgänger/-innen.
Die Art der Beziehungsgestaltung variiert natürlich dennoch,
sie ist aber bei allen durch ein gewisses Maß an Distanz
geprägt. Trotz zum Teil langjähriger Beziehungen haben die
Partner laut eigenen Auskünften keine große Bedeutung für sie
(...). Im Vergleich zur Berufstätigkeit spielen sie
untergeordnete Rollen in den Biographien."
(2002, S. 109) |
Bei Spätentscheider/-innen
und Aufschieber/-innen hat dagegen die Partnerschaft einen
höheren Stellenwert. Ein Teil dieser Gruppen kann
dem partnerschaftsorientierten Privatheitstyp im Sinne
von MEYER zugeordnet werden. Hier ist die Entscheidung zugunsten
einer bestehenden Partnerschaft zugleich eine Entscheidung gegen
ein Leben mit Kindern.
Berufsorientierung und Kinderlosigkeit
Ein weiterer
Einflussfaktor ist die Berufsorientierung von Frauen. Während für die
Frühentscheider/-innen die Berufsorientierung oberste
Priorität im Leben hat, tritt die Option Karriere bei den
anderen beiden Gruppen in Konkurrenz zum Kinderwunsch. Spätentscheider/-innen und
Aufschieber sind also jene Gruppen gewollt Kinderloser, auf
die eine Familienpolitik für die Mütterelite im Sinne
einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie (z.B. Renate
SCHMIDT bzw. Elisabeth BECK-GERNSHEIM
) abzielt.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
"Dies
ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem
nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend
die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt.
Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard
Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die
Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank
Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster
Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der
Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
Es wird aufgezeigt, dass sich die
nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles
im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die
nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen." |
Eine bevölkerungsbewusste
Familienpolitik (Max WINGEN) oder implizite bzw.
explizite Bevölkerungspolitik (Jürgen BORCHERT, Karl
SCHWARZ, Josef SCHMID und Herwig BIRG) versucht dagegen durch
ökonomische Bestrafung und Diskriminierung eines Lebens ohne
Kinder auch jenen Kinderlosen ein Leben mit Kindern
aufzuzwingen, die sich aus unterschiedlichen Gründen (z.B.
Zweifel an der eigenen Erziehungskompetenz oder Angst, negative
Eigenschaften an die eigenen Kinder weiterzugeben) nicht für das
Leben mit Kindern geeignet empfinden.
Herkunftsfamilie und Kinderlosigkeit
Einen dritten
Motivkomplex, der das Leben ohne Kinder begünstigt, sieht CARL
in den Erfahrungen aus der Herkunftsfamilie. Entweder
wollen Kinderlose die negativen Erfahrungen der Eltern nicht
wiederholen (z.B. Überforderung der Mutter durch Erziehung oder
Überforderung des Vaters durch die Ernährerrolle) oder sie
erleben das Familienleben selbst als eigene Überforderung, z.B.
wenn sie als Kind zu früh die Rolle des Familienvaters oder der
Mutter übernehmen mussten. Aber nicht nur
Problemfamilien sind Ursache von Kinderlosigkeit, sondern auch
ein glückliche Kindheit kann in der Kinderlosigkeit
enden:
Leben ohne
Kinder
"Der einzige Grundsatz,
der in der Familie eingehalten werden musste, war derjenige,
dass man als Familienleben das eigene Leben individuelle zu
gestalten hatte. Nur über Individualität und Kreativität
konnte man in dieser Familie die Anerkennung der Eltern
bekommen. Und so wurde sie Künstlerin ohne Kinder."
(2002) |
Das Leben ohne Kinder im Alter
Im siebten Kapitel widmet
sich CARL jenem Thema, das in der gesellschaftlichen Debatte
gleich nach dem Geburtenrückgang rangiert: das Leben ohne Kinder
im Alter. Hier folgt die Autorin
weitgehend den pessimistischen Vorstellungen der
Familiensoziologen (z.B. Hans BERTRAM), die den
verwandtschaftlichen Beziehungen einen größere Tragfähigkeit als
den selbst gewählten Beziehungen zuschreibt:
Leben ohne
Kinder
"Mit einem sich
verschlechternden Gesundheitszustand werden deutliche
Unterschiede zwischen kinderlosen Frauen und Männern und
Eltern sichtbar: Mit dem Auftreten von Gesundheitsproblemen
sinken die sozialen Kontakte kinderloser Frauen sehr stark
unter die von Müttern. Unter Berücksichtigung des
Familienstandes zeigt sich, dass besonders kinderlose
verheiratete Paare weniger Bekannte und Freunde haben und bei
Krankheit oftmals sozial isoliert sind. Vor allem kinderlose
Witwer stellen daher eine Risikogruppe dar. Kinderlose Witwen
pflegen dagegen auch nach dem Tod ihres Partners weiterhin
ihre Beziehungen."
(2002) |
Die pessimistische
Einschätzung der Autorin steht im Gegensatz zu den
optimistischen Selbstbeschreibungen der Kinderlosen, die der
Tragfähigkeit verwandtschaftlicher Beziehungen vorwiegend
skeptisch begegnen.
Defizite und Leerstellen im Buch
Obwohl CARL das Buch auch
für männliche Kinderlose geschrieben hat, spielen Männer
im Buch nur sehr sporadisch eine Rolle. Männer sollen
offensichtlich in erster Linie die Motivation ihrer Partnerinnen
verstehen lernen. Dieses Lernziel ist jedoch nicht explizit
formuliert. Überhaupt
scheint der Anspruch, dass dieses Buch als Entscheidungshilfe
für Betroffene hilfreich sein soll, doch etwas überzogen. Nicht die Heterogenität
des Lebens ohne Kinder, sondern die Typisierung der gewollt
Kinderlosen steht im Vordergrund. Es
ist deshalb in erster Linie eine Argumentationshilfe (z.B. für
Kinderlose) in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung
und weniger ein Leitfaden zur Entscheidung für oder gegen ein
Leben mit Kindern. Die Unterscheidung
verschiedener Einflussfaktoren (Herkunftsfamilie,
Partnerschaft und Berufsorientierung) ist sicherlich hilfreich,
sollte jedoch nicht allzu voreilig einzelnen Gruppen von
Kinderlosen fest zugeordnet werden. Bei der Forschung zu
kinderlosen Älteren besteht eindeutig ein Defizit. Die
öffentliche Debatte um die Pflegeversicherung und die Kosten der
Krankenkasse verhindern hier eher eine objektive und damit für
Kinderlose befriedigende Auseinandersetzung mit dem Thema.
Fazit
Trotz der eben gemachten
Einschränkungen ist das Buch für einen Einstieg in ein
zentrales gesellschaftliches Thema gut geeignet. Im Gegensatz zu den anderen
Büchern, die z. Z. den Büchermarkt überschwemmen, wird
hier das Thema gewollte Kinderlosigkeit aus der
Lebensverlaufsperspektive behandelt. Nicht die üblichen
sozialpopulistischen Klischees werden hier reproduziert, sondern
das Leben ohne Kinder wird als normaler Lebensstil von
Erwachsenen ernst genommen. Obgleich die Autorin das Buch
als Plädoyer für ein Leben ohne Kinder versteht, ist aus einigen
Einschätzungen herauszulesen, dass CARL sich in erster Linie als Anwältin der Aufschieber/-innen und Spätentscheider/-innen
versteht. Ob jedoch die Kluft zwischen
diesen Gruppen und den Frühentscheider/-innen tatsächlich so
groß ist, wie das im Buch anklingt, das wäre weitere
Untersuchungen wert.
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