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Der Umgang mit Krankheiten und die Angst
davor, einsam zu sterben
Generation Z
"Der
kranke Alleinleidende lebt exterritorial, er ist ein
doppelt Vertriebener. Denn sein Reich, das bunte
Beziehungsgeflecht der unbegrenzten Freiheit, existiert
nur jenseits von Viren und Bakterien. Schon dauerhaft
schlechte Laune schränkt den üblichen Bewegungsspielraum
empfindlich ein. Dem Single geht es nur gut, wenn es ihm
gut geht. Der Pflegefall ist ausgeschlossen."
(2003,
S.108) |
Wie die
Ausführungen zum Wellness-Konzept und jetzt von Reinhard MOHR schon ahnen lassen, sind
Krankheiten ein heikles Thema für den Alleinlebenden. Die
Beschränktheit der neuen Ratgeberliteratur zeigt sich denn auch
besonders deutlich beim
Umgang mit Krankheiten. Eine robuste Gesundheit wird mehr oder
weniger vorausgesetzt bzw. ist Ziel der Präventiv-Philosophie
wie sie im neuen Ethos des Einsamen zum Ausdruck kommt.
Die hohe Schule der Einsamkeit
"Am
gesündesten sind (...) allein lebende Frauen - und
verheiratete Männer. Eher ungesund: verheiratete Frauen
und allein lebende Männer. Die Aussage ist klar: Es
profitieren immer die von Frauen Umsorgten: die Ehemänner
oder sie selbst."
(2006, S. 196) |
Nach
wissenschaftlichen Untersuchungen sind allein lebende Frauen
gesünder als verheiratete Frauen. Dies führt dazu, dass
SARTORIUS das Kapitel Krankheit nicht ernst nimmt. Aber auch der
männliche Stolz kann - wie bei MOHR - eine Hemmschwelle
darstellen.
Die hohe Schule der Einsamkeit
"Allein
Lebende sind (...) seltener krank: Sie können sich eine
genüssliche Bettlägerigkeit einfach nicht leisten.
Denn wer führt dann den Hund hinaus? Wer kauft die
Zitronen für die Vitamin-C-Zufuhr? Wer bringt den Müll
hinunter? Wer den Wagen zum TÜV? Wen kann man mit Quengeln
quälen und mit immer neuen Wünschen nerven? (...).
Kranke in jedem Alter regredieren gern zu
bemitleidenswerten Geschöpfen, vorzugsweise zu solchen im
Kindesalter. Ist keine Zielperson für die erwähnten
sekundären Krankheitsgewinne mehr da, lohnt sich der ganze
Aufwand nicht. Die wunderbare Freundin, die mit
Hühnersuppe kommen will, und der wunderbare Freund, der
gern Brustwickel machen würde - man möchte seine Lieben ja
auch nicht überstrapazieren."
(2006, S. 198)
Generation Z
"Schon
eine achttägige Grippe, die im eigenen Bett auskuriert
werden muss, demonstriert das Phänomen: Kein Schwein
bringt Fieberthermometer und Kamillentee, niemand spricht
tröstende Worte oder trägt den Berg verbrachter
Tempo-Taschentücher zum Müll. Da fühlt sich auch der
hingebungsvollste Hypochonder ein wenig einsam.
Einschlägige Hilfsangebote von Freundinnen und Freunden,
meist nachträglich unterbreitet, werden nicht wirklich
ernst genommen. Und natürlich: Welcher Mann würde schon
zulassen, dass die schöne Yvonne nach Hause kommt und der
rot geränderten Triefnase im Schlafanzug kalte Wadenwickel
anlegt?"
(2003, S.107f.) |
Ulf POSCHARDT
belegt mit seinem Ausführungen im Kapitel Einsam krank
die Richtigkeit der Aussagen von SARTORIUS.
Einsamkeit
"Der
Souverän definiert sich über seine Stärke. Unabhängigkeit
verträgt keine Schwäche. (...).
Krankheit raubt Autarkie. Sie schränkt ein und macht
abhängig. Zu den schönsten Kindheitserinnerung gehört, wie
die Mutter mit einem feuchten Waschlappen sanft den vor
Fieber glühenden Rücken kühlte. Die mütterliche Fürsorge
vollendet sich am kränkelnden Kind. (...).
Deshalb ist es für eine Frau ein großer Moment, wenn sie
dem kranken Freund helfen darf: damit gehört sie
gewissermaßen zur Familie."
(2006, S. 123) |
Wie der
allein lebende Mann seine Krankenpflegerin findet, das sagt
POSCHARDT nicht. Zum Thema Krankenhaus fällt ihm nur ein,
dass dies ein Signal zur Umkehr sein könne, das Menschen dazu
bringe, sich wieder den Menschen zu öffnen. Also zurück ins
Elternhaus (wer hat) oder ....? SARTORIUS
hofft auf Freunde und ehrenamtliches Engagement von häuslichen
Einsiedlern: "Man findet sie zwar weniger im Getümmel, aber doch
öfter als erwartet als Ehrenamtliche an den Krankenbetten alter,
vereinsamter Patienten, die von ihren Familien (!) zu selten
aufgesucht werden." (S.192). Das
Buch Ein Raum für mich von Ingrid STROBL wird bei diesem
Thema deutlicher:
Ein Raum für mich
"Das
Alter birgt eigene Probleme, die das Alleinleben
erschweren können. Krankheiten und Gebrechlichkeit sind
allein oft nur mühsam und manchmal gar nicht zu
bewältigen. Viele Frauen möchten dennoch »so lange wie
möglich« in ihrer Wohnung bleiben können. Die Generation
der »Achtundsechziger«, die in ihrer Jugend die
Wohngemeinschaften »erfand«, macht sich inzwischen
Gedanken darüber, wie man auch im Alter anders und besser
leben könnte als in einem Alters- oder Pflegeheim. Es sind
vor allem Frauen, die neue Modelle entwickeln, von der
Senioren-Wohngemeinschaft bis zur »Beginen-Gemeinschaft«,
in der allein stehende Frauen in einem eigenen Gemeinwesen
zusammenwohnen. Und so gut wie alle diese Experimente
zeichnet aus, dass sie versuchen, Eigenständigkeit und
Versorgung, Rückzugsmöglichkeiten und Geselligkeit,
Unabhängigkeit und gegenseitige Hilfe miteinander zu
kombinieren."
(2003, S. 134f.) |
STROBL sieht
jedoch genauso wie SARTORIUS vor allem Freundinnen oder auch
Nachbarn als ausreichende Hilfe an. Frank
NAUMANN widmet in seinem Ratgeber Solo in die Jahre kommen
der Krankheit ebenfalls ein eigenes Kapitel. Er will den Lesern
vor allem die Ängste nehmen und empfiehlt Vorsorge und einen
gesunden Lebensstil. Wenn alles nichts mehr hilft, wird der Hausarzt
als Ansprechpartner empfohlen.
Solo in die Jahre kommen
"Wenn
das Gedächtnis allmählich nachlässt, könnte die Alzheimer
Krankheit dahinter stehen. Von ersten Alarmzeichen bis zur
völligen Hilflosigkeit ist es aber ein langer Weg. Sobald
Sie erste Anzeichen von Gedächtnislücken feststellen -
insbesondere, was Ereignisse betrifft, die noch nicht
lange zurückliegen -, konsultieren Sie sofort einen Arzt!
(...). Er kann auch dafür sorgen, dass Sie einen Heimplatz
erhalten, wenn Sie niemanden kennen, der Sie privat
pflegen würde."
(1997, S. 101) |
Krankheit und
Krankenhausaufenthalte werden von den diversen Ratgeberautoren
insgesamt sehr zurückhaltend behandelt. Das Motto lautet: keine
unnötigen Ängste schüren und stattdessen einen gesunden
Lebensstil empfehlen. Angesichts
der Horrormeldungen über einsam Sterbende, die in den Zeitungen
des Öfteren dazu herangezogen werden, um das Single-Dasein zu
diskreditieren, ist dies durchaus angebracht.
Seit
Frank SCHIRRMACHER mit seinem Bestseller Minimum die
traditionelle Familie zum einzigen Hort der Nächstenliebe
ausgerufen hat, werden seine Nachbeter nicht müde, das Mantra
der heilen Familie zu verkünden. "In der Gefahr ist der
Single stets allein. Rücken Familien in der Not enger zusammen,
lassen Freunde sich gegenseitig im Stich", doziert der
Familienfundamentalist Rudolf MARESCH im Internetmagazin
Telepolis (17.07.2006). Frank
NAUMANN ist da weniger nostalgisch, wenn er darauf hinweist,
dass auch Ehe oder Familie keine Garantie dafür sind, in Würde
zu sterben.
Aus der Begründung zum Pflegeurteil des
Bundesverfassungsgerichts vom April 2001
"Vergleicht man
die Gruppe der Eltern mit den Kinderlosen, so sind
erhebliche Unterschiede im Aufwand bei stationärer Pflege
nicht nachweisbar. (...)."
Bezogen "auf alle Altersgruppen (verursachen)
pflegebedürftige Kinderlose im Durchschnitt geringfügig
geringere Pflegekosten (...) als Pflegebedürftige mit
Kinder."
(BVerfG, 1 BvR 1629/94 vom 3.4.2001, Absatz-Nr 1-75) |
Mit dem Pflegeurteil des Bundesverfassungsgerichts
wurden Kinderlose zu einem höheren Beitrag als Eltern
verdonnert. Man darf also davon ausgehen, dass das Gericht den
Alleinlebenden nicht wohl gesonnen ist. Die höheren Abgaben der
Kinderlosen konnten jedoch nicht mit den Pflegeausgaben für
Kinderlose begründet werden, sondern nur durch überhöhte
Schätzungen hinsichtlich lebenslanger Kinderlosigkeit.
Solo in die Jahre kommen
"Was
aber, wenn ein akuter Notfall eintritt? Wenn man
handlungsunfähig wird? Je älter sie werden, desto mehr
leben Singles in der Angst, von einem Infarkt oder
Schlaganfall überrascht zu werden. Wenn man dann nicht
mehr rechtzeitig das Telefon erreicht ... Immer wieder
tauchen Meldungen in den Zeitungen auf, wie:
»Rentnerin lag
vier Wochen tot in ihrer Hochhauswohnung! Erst als
Nachbarn auf den Geruch aufmerksam wurden, brach die
Polizei die Tür auf.«
Das kann Ihnen
auch im Ehestand passieren. Nach fünfzig Jahren
glücklicher Ehe stirbt Ihr Partner, und plötzlich stehen
Sie allein da. Kaum Freunde, die Sie trösten, da Sie beide
sich immer selbst genug waren. Die Kinder leben weit
entfernt und stecken gerade in der Midlife-Krise. Für
überlebende Partner steigt das Todesrisiko in den ersten
Monaten nach der Verwitwung dramatisch an. Wenn es Sie
jetzt erwischt, bleiben Sie ebenso unbemerkt wie die
einsame Oma, die schon seit Jahren mit niemandem mehr ein
Wort gesprochen hat. Als Single sind Sie besser
vorbereitet. Es gibt ein, zwei gute Freunde, mit denen Sie
fast täglich telefonieren. Die besitzen einen
Zweitschlüssel zu Ihrer Wohnung und kommen sofort, um nach
dem Rechten zu schauen, wenn Sie den Telefonhörer nicht
abnehmen oder nicht anrufen.
Die
verbesserte Technik wird in Zukunft vielen derartigen
Ängsten die Spitze nehmen."
(1997, S. 100) |
Fazit: Selbstsorge ist als Zentrum eines Ethos der
Einsamen zukünftig unabdingbar, aber nicht ausreichend
Man mag die
aufgezeigten gesellschaftlichen Entwicklungen
kritisieren, die dazu führten, dass Selbstsorge nun zum Zwang
für Jedermann wird. Solange sich jedoch sowohl die alte
als auch die neue Mitte einig sind den Sozialstaat in seiner
bisherigen Form aufzukündigen, wird Selbstsorge zwangsläufig zur
entscheidenden Frage des guten Lebens oder sogar des Überlebens. Dies gilt umso mehr für Menschen, die
weder auf ein familiäres noch auf ein stabiles soziales Netz zurückgreifen können.
Die Schule der Einsamkeit
"Wer
als Individualist autonom und selbst bestimmt lebt, wer
sich gut kennt und sich gern mag, ist meist auch fähig,
tiefe und haltbare Freundschaften zu schließen und sich
freiwillig und ohne Verpflichtung um andere zu kümmern.
Solidarität, die nicht auf Verträgen oder Verwandtschaft
beruht, ist oft umso tragfähiger. Solche Leute sind
unabhängig. Sie sind nicht gefesselt durch aufreibende
Zweisamkeiten. Ihre Zuneigungen kommen aus freiem Willen."
(2006, S. 87) |
Ob die
Solidarität der souveränen Einsamen nur
ein frommer Wunsch ist, oder mehr, das werden die nächsten Jahrzehnte
zeigen. Vielleicht sollten sich Einsame weniger auf das
Funktionieren eines
solchen kooperativen Individualismus verlassen, sondern
sich stattdessen selber für den Aufbau neuer Selbsthilfestrukturen
einsetzen. Dies
scheint umso dringender, desto lauter der Ruf nach einer
Biologisierung des Sozialen wird. Die Tendenz, Kinderlose zu
bestrafen, wird souveräne Einsame wie Ulf POSCHARDT oder Mariela
SARTORIUS keineswegs so hart treffen wie die vielen
unfreiwilligen einsamen Alleinlebenden. Die
neue Ratgeberliteratur hilft - wie der aktivierende Sozialstaat
- höchstens jenen, die nicht wirklich dringend Hilfe benötigen.
Die klassische Ratgeberliteratur dagegen, z.B. Doris WOLF,
beschränkt sich stattdessen auf die Verbesserung der psychischen
Situation. In
Zukunft werden jedoch die materiellen Aspekte, d.h.
zunehmende Altersarmut, drängender werden. Hier hilft
letztlich nur die politische Organisation der Interessen von
Einsamen weiter. Die
Entstehung von Bürgerinitiativen und die Gründung der Partei der
Grünen war eine Reaktion auf die Vernachlässigung der
ökologischen Dimension. Das Zeitalter der Demografiepolitik
könnte angesichts der bevorstehenden neuen Ungleichheiten durch
die Biologisierung des Sozialen noch dramatischere Verwerfungen
erzeugen. Das Buch
Die Single-Lüge kritisiert deshalb die Biologisierung des
Sozialen wie sie von Nationalkonservativen vertreten wird und
die mittlerweile auch in liberal geprägten Milieus vermehrt
Anhänger findet.
Wider die Biologisierung des Sozialen

"Dies ist die
erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem
nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend
die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt.
Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard
Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die
Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank
Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster
Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der
Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
Es
wird aufgezeigt, dass sich die nationalkonservative Kritik
keineswegs nur gegen Singles im engeren Sinne richtet,
sondern auch gegen Eltern, die nicht dem klassischen
Familienverständnis entsprechen.
Die
Rede von der »Single-Gesellschaft« rechtfertigt
gegenwärtig eine Demografiepolitik, die zukünftig weite
Teile der Bevölkerung wesentlich schlechter stellen wird.
In zahlreichen Beiträgen, die zumeist erstmals im Internet
veröffentlicht wurden, entlarvt der Soziologe Bernd
Kittlaus gängige Vorstellungen über Singles als dreiste
Lügen. Das Buch leistet damit wichtige
Argumentationshilfen im neuen Verteilungskampf Alt gegen
Jung, Kinderreiche gegen Kinderarme und
Modernisierungsgewinner gegen Modernisierungsverlierer." |
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