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Einführung
Das Thema Fernbeziehung
hat erst seit den 1990er Jahren Konjunktur. In den 1990er Jahren war
von Liebe auf Distanz oder von
Living apart together
die Rede. Beide Begriffe verweisen eher auf persönliche Motive,
während der Begriff Fernbeziehung oder
Fernliebe seit der
Jahrtausendwende eher berufliche Gründe in den Vordergrund
rückt.
Ein erster
Aufmerksamkeitsschub bescherte dem Thema die Wiedervereinigung
mit dem Aufbau Ost und der Verlegung der Hauptstadt von Bonn
nach Berlin. Mit dem Aufstieg der New Economy rückte dann die
Globalisierung in den Mittelpunkt.
Erst nach dem
Niedergang der New Economy, der verstärkten Migration von den
neuen in die alten Bundesländer und neuerdings mit der Rede von
der Generation Praktikum, gelten Fernbeziehungen nicht mehr nur
als Ausweis privilegierter Beschäftigungsaussichten, sondern der Kampf gegen den Abstieg wirft seinen Schatten auf diese
Beziehungsform. Handelt es sich überhaupt noch um eine
freiwillige Lebensweise oder diktiert der Beruf diese
Lebensform?
Wer führt eine Fernbeziehung?
Der Mainzer Soziologe Norbert F. SCHNEIDER
und sein Team haben sich in Deutschland am intensivsten mit
dem Thema
Berufsmobilität und Lebensform beschäftigt. In
seiner ersten repräsentativen Studie, deren Ergebnisse in dem
Buch
Mobil, flexibel, gebunden veröffentlicht wurden,
unterscheiden SCHNEIDER und sein Forschungsteam zwischen
Shuttles (Wochenendpendlern) und Fernbeziehungen:
Mobil, flexibel, gebunden
"»Shuttles«
(Wochenendpendler): Angesichts bestehender
Mobilitätserfordernisse entscheiden sich diese Paare
dafür, einen Zweithaushalt am Arbeitsort eines Partners zu
gründen, der von diesem arbeitsbezogen genutzt wird. An
den Wochenenden teilen die Partner den gemeinsamen
»Haupthaushalt«. Diese Lösung kann vor dem Hintergrund
einer ausgeprägten Karriereorientierung beider Partner
entstehen. In diesem speziellen Fall kann die Lebensform
als »dual-career-couple« (dcc) bezeichnet werden. Es
können aber auch andere individuelle Motive vorliegen, die
an den gemeinsamen Wohnort binden (z.B. Wohneigentum,
soziale Kontakte etc.).
»Fernbeziehungen« (Partnerschaften mit zwei
getrennten Haushalten): Bei diesen Paaren verfügt jeder
der Partner über einen eigenständigen Haushalt - einen
gemeinsamen »Haupthaushalt« gibt es nicht. Für diese
Lebensform können allein berufliche
Mobilitätserfordernisse ausschlaggebend sein, etwa dann,
wenn beide Partner an weit auseinander liegenden
Arbeitsorten tätig sind. Nicht selten ist der Verzicht auf
einen gemeinsamen Haushalt aber auch zentraler Bestandteil
des Beziehungsideals, wobei auf die Wahrung eines
bestimmten Maßes an Unabhängigkeit trotz bestehender
Partnerschaft Wert gelegt wird. Wenn von Partnern in
Fernbeziehungen gesprochen wird, wird im Folgenden auch
das substantivierte Kürzel »LAT« oder »LATs« für »living
apart together« verwendet."
(2002; S.26) |
Die Begrifflichkeiten von
SCHNEIDER sind dem beschränkten Ansatz geschuldet. Zum einen
behindert die amtliche Statistik und die daran angelehnten
sozialwissenschaftlichen Datensätze eine sinnvollere Abgrenzung
und zum anderen ist die Untersuchung auf Deutschland begrenzt,
obwohl gerade Fernbeziehungen auch Länder übergreifend sind.
In diesem Beitrag
folgen wir deshalb nicht dieser Unterscheidung von SCHNEIDER, sondern
sowohl Wochenendpendler (Shuttles) als auch
Fernbeziehungen im Sinne von SCHNEIDER werden hier zu den Fernbeziehungen gezählt,
wobei Partnerschaften mit getrennten Haushalten, die aber
im selben Ort bzw. in der näheren Umgebung liegen, nicht als
Fernbeziehung gelten, sondern als Liebe auf Distanz bzw.
Living apart together besser bezeichnet sind.
Wie verbreitet sind Fernbeziehungen?
In dem Buch
Ich in
Bremen, du in Zürich schreibt die Journalistin Franziska
PFEIFFER:
lch in
Bremen, du in Zürich
"Dreizehn Prozent aller
Lebensgemeinschaften, so ergab eine Umfrage der Gesellschaft für
rationelle Psychologie im Auftrag der Zeitschrift »Elle« haben
heute getrennte Wohnsitze. Im Rahmen einer Studie, die das
Institut für Personalwesen und Arbeitswissenschaft (IPA) der
Hamburger Universität der Bundeswehr über Doppelkarriere-Paare
durchführte, nannte bereits ein Viertel aller Befragten
Mobilitätsprobleme. Die Zahl der Pendel-Partnerschaften hat sich
in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Und es werden immer
mehr".
(1996; S.9)
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Norbert F. SCHNEIDER kommt
aufgrund von empirischen Daten aus den Jahren 1996/1997 zu dem
Ergebnis, dass mindestens 16 % der 20 - 60jährigen
Erwerbstätigen mobil sind. Seitdem dürfte sich diese Zahl weiter
erhöht haben. Man kann sogar die Behauptung wagen, dass für
Akademiker eine mobile Lebensphase Bestandteil der
Normalbiografie geworden ist. Jenny HOCH schreibt dazu in der
Süddeutschen Zeitung:
Auf
immerwiedersehen
"Experten schätzen, dass
in Deutschland jede siebte Beziehung eine Fernbeziehung ist, das
sind rund vier Millionen Paare. Unter Akademikern ist der Anteil
besonders hoch: Jedes vierte Paar führt - zumindest für einige
Jahre - eine Wochenendbeziehung."
(SZ 25.03.2006) |
Seit der Jahrtausendwende
dürften zunehmend auch Nicht-Akademiker betroffen sein.
Globalisierung und Fernbeziehungen
Die aktuelle Ausgabe der
Zeitschrift Kulturaustausch befasst sich mit dem
Schwerpunktthema Fernbeziehungen. Im Gegensatz zur Studie von
Norbert F. SCHNEIDER werden hier insbesondere Beziehungen
betrachtet, die nicht an den Landesgrenzen halt machen.Die israelische
Soziologin Eva ILLOUZ beschreibt den
Weltmarkt der Liebe,
der sich durch die Online-Partnersuche eröffnet hat.
Der slowakische
Schriftsteller Michal HVORECKÝ hat ein vier Monate dauerndes
Stipendium erhalten, das ihn als frisch Verliebten in einen
emotionalen Ausnahmezustand versetzt:
Meine erste Fernbeziehung
"Das
letzte Jahr verlebte ich in Bratislava, wo ich geboren bin
und in dessen Altstadt ich schon mein ganzes Leben wohne,
doch schon bald werde ich dank zweier Stipendien für vier
Monate nach Belgien und Deutschland reisen. Ausgerechnet
jetzt, wo ich den Beginn einer Beziehung erlebe, von der
ich schon immer geträumt habe. Früher habe ich mich auf
Reisen in solche Autorenwerkstätten – die letzten
Zufluchtsorte für Literaten aus einer Post-Konsum-Welt –
lange im Voraus gefreut. (...).
Diesmal ist es anders. Ich habe überhaupt keine Lust zu
verreisen. Ich muss das Wesen, das mir am nächsten ist,
zurücklassen, nachdem ich sie gerade erst kennen gelernt
habe. (...).
Sie werden sagen: vier Monate? Was ist das schon? Die sind
blitzschnell rum! Doch kommen mir zurzeit zwei Stunden
ohne jene Personen vor wie ein Jahr, und zwei Tage
geradezu wie die Ewigkeit."
(aus: Kulturaustausch Nr.1/2006) |
Ein anonymer Deutscher
erzählt vom Scheitern seiner Fernbeziehung zu einer Japanerin.
Die Psychotherapeutin Agnes JUSTEN-HORSTEN gibt Tipps, wie man
die Schwierigkeiten eines Umzugs meistern kann. Die
US-amerikanische Soziologin Saskia SASSEN erläutert, dass
Fernbeziehungen in Europa eine lange Geschichte haben und die
Soziologin Arlie Russell HOCHSCHILD beklagt, dass immer mehr
Frauen weit weg von ihren Kindern leben müssen, weil der
Postfeminismus mit seiner Auslagerung der Haushaltstätigkeiten
zu einem florierenden Dienstleistungssektor geführt hat. Gerade
der letzte Artikel verlässt den Fokus, der in unserem Thema auf
der Partnerschaft liegt.
In der
Wochenzeitung Die Zeit hat die Journalistin Catrin
BARNSTEINER über ihre Fernbeziehung mit einem englischen
Physiker, der in Kanada lebt, berichtet. Wie viel Globalisierung
verträgt die Liebe? (Rüdiger SAFRANSKI) heißt auch die Frage,
die ein Brigitte-Dossier gestellt hat.
Wie dauerhaft sind Fernbeziehungen?
Die Sozialforschung lässt
uns bei der Frage nach der Dauerhaftigkeit von Fernbeziehungen
im Stich. Die amtliche Statistik führt Fernliebende entweder als
Alleinlebende oder als Mitglieder von
Mehrpersonenhaushalten. Haushaltsübergreifende Beziehungen sind
den Traditionalisten generell suspekt.
Die Frage selber
ist schon doppeldeutig, denn eine Fernbeziehung kann enden, ohne
dass die Liebe enden muss.
Die traditionelle
Sozialforschung weiß vieles über Haushalte, aber fast nichts
über die Liebe! Vorurteile fließen nicht erst bei der Empirie,
sondern bereits bei der Begriffsbildung und der Theorie ein. Der
französische Soziologe Jean-Claude KAUFMANN erkennt Paaren ohne
gemeinsamen Haushalt noch nicht einmal den Paarstatus an. Für
ihn sind das nur
Quasi-Paare.
Die Frage nach der
Dauerhaftigkeit von Fernbeziehungen läuft zwangsläufig darauf
hinaus, ob die Partner zusammenziehen oder sich trennen. Die
Beziehungsform selber scheint also alles andere als attraktiv zu
sein. Fernbeziehungen gelten als Notlösung:
So fern
und doch so nah
"Warum wir es trotzdem tun
und vor allem: welchen Sinn das macht, damit beschäftigt sich
der amerikanische Psychologe Gregory Guldner seit über zehn
Jahren. Für sein Buch Long Distance Relationships – The Complete
Guide untersuchte er mehr als 200 Fernbeziehungen von Paaren,
die durchschnittlich 500 Kilometer von einander entfernt lebten,
manche über 8000 Kilometer. Er hat versucht, die Frage zu
beantworten: Brechen Fernbeziehungen tatsächlich häufiger
auseinander als andere? Guldner begleitete zwei Gruppen: Paare
in Fernbeziehungen und Paare in Nahbeziehungen, alle
unverheiratet. Er stellte fest, dass sich schließlich 40 Prozent
trennten – in beiden Gruppen. Obwohl Fernbeziehungen
anstrengender sind, brechen sie also nicht zwangsläufig früher
auseinander",
(Die Zeit 06.10.2005) |
schreibt Catrin BARNSTEINER
in dem Zeit-Artikel
So fern und doch so nah zu
diesem Thema.
Der Ortswechsel als kritisches
Lebensereignis
Fernbeziehungen beginnen
und enden in der Regel mit einem Ortswechsel. Entweder der Beruf
oder die Liebe (nicht immer nur zum Partner, sondern auch zur
Familie) macht diesen Ortswechsel erforderlich.
In der
klassischen Hausfrauenehe war die Sache klar geregelt: Der
Mann zieht dem Beruf hinterher und die Frau dem Mann. In den
individualisierten Milieus dagegen und insbesondere bei Doppel-Karriere-Paaren ist die Angelegenheit komplizierter.
Es muss jeweils ausgehandelt werden, wer wem nachzieht und ob
überhaupt.
Der Ortswechsel ist ein
kritisches Lebensereignis, wie die Entwicklungspsychologen
sagen. Ein solches Ereignis kann eine Chance sein, aber es
beinhaltet immer auch die Gefahr des Scheiterns.
Einsamkeit kann z.B.
der Preis eines Ortswechsels sein.
Die
Psychotherapeutin Agnes JUSTEN-HORSTEN findet im Zusammenhang
mit dem Ortswechsel drei Aspekte entscheidend: Persönlichkeit,
Motivation und die aktuelle Lebenssituation.
Persönlichkeit und Sicherheit
"Eine
in ausgezeichneter Weise empirisch belegte psychologische
Theorie, die Bindungsforschung, kommt zu der Erkenntnis,
dass die Fähigkeit, auf Neues angst- und vorurteilsfrei
zuzugehen, wesentlich davon abhängt, wie sicher man
gebunden ist. Dieses scheinbare Paradox erklärt sich
dadurch, dass nur ein Mensch, der Halt in Beziehungen
erfahren hat, Sicherheit als »kognitives Schema«
gespeichert und mental verfügbar hat. Dies gilt dann auch
für den Fall, dass die aktuelle Lebenssituation als
unsicher erlebt wird. Menschen, die sichere Bindung
erfahren haben, haben einen Schatz in sich, der sie gegen
Angst immunisiert - nicht unbegrenzt natürlich. Deshalb
bleibt trotzdem wichtig, sich immer wieder der eigenen
Belastungsgrenzen und Sicherheitsbedürfnisse bewusst zu
werden. Gerade der Ortswechsel und das Leben in anderen
Kulturen enthält ja das Faszinosum der Möglichkeit, eigene
Grenzen überwinden und sich selbst kontaphobisch entkommen
zu können. Darin liegt dann auch ein häufig anzutreffendes
Bedingungsgefüge für die Entwicklung psychischer Störungen
infolge von Ortswechseln. In der Fremde wird nicht alles
besser: neue Chance, neues Glück nur nach den Vorgaben der
eigenen psychischen Strukturen, denn die muss man
mitnehmen."
(aus: Kulturaustausch Nr.1/2006) |
Motivation
und Lebenssituation sind dagegen oftmals zwei Seiten einer
Medaille: was für den einen einen Karrieresprung bedeutet, das
ist für den anderen oftmals ein Karriereknick. Die Vermeidung
eines Karriereknicks hält deshalb so manche Fernbeziehung
aufrecht.
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