2016
DESTATIS (2016): Jedes 27. Neugeborene war im Jahr 2014 ein
Mehrlingskind.
Zahl der Woche,
in:
Pressemitteilung des
Statistischen Bundesamts v.
12.01.
DESTATIS (2016):
Deutlicher Bevölkerungsanstieg im Jahr 2015 auf mindestens 81,9
Millionen,
in:
Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts v. 29.01.
"Die Anzahl lebend geborener Kinder dürfte danach 705 000 bis 730
000 betragen haben, die Anzahl der Sterbefälle 905 000 bis 930
000. Die Geburten würden damit in etwa das Niveau des Vorjahres
erreichen und allenfalls leicht ansteigen, die Sterbefälle würden
aber deutlich höher als im Jahr 2014 liegen. Das Geburtendefizit –
die Differenz aus Geburten und Sterbefällen – wird 2015 bei 190
000 bis 215 000 erwartet. Im Vorjahr hatte es wegen angestiegener
Geburten- (715 000) und sehr niedriger Sterbezahlen (868 000) nur
153 000 betragen.
Der Saldo aus Zuzügen aus dem Ausland und Fortzügen ins Ausland
konnte bereits in den Jahren 2011 bis 2014 das Geburtendefizit
mehr als nur kompensieren. Für 2015 wird der Schätzung zufolge ein
Saldo von mindestens + 900 000 Personen erwartet. Der
Wanderungssaldo läge damit nicht nur über dem Ergebnis des
Vorjahres mit + 550 000 Personen, sondern sogar über dem
bisherigen Rekordwert des Jahres 1992 mit knapp + 800 000
Personen",
meldet das Statistische Bundesamt.
Letztes Jahr wurden für das Jahr 2014 nur 675.000 - 700.000
Geburten geschätzt.
Im August 2015 wurde dann die vorläufige Zahl der Geburten auf
715.000 beziffert und die Geburtenrate wurde
im Dezember 2015 mit 1,47 Kindern pro Frau (TFR) angegeben. Die
jetzt geschätzten Geburtenzahlen für 2015 würden eine weitere
Steigerung der Geburtenzahlen und möglicherweise auch der
Geburtenrate bedeuten. Da die Geburtenrate jedoch von der Anzahl der
potentiellen Mütter abhängig ist, kann darüber derzeit nur
spekuliert werden.
JAEGER, Mona
(2016): Die Geburtenrate bleibt niedrig.
Wie bei anderen
familienpolitischen Maßnahmen ist auch beim Betreuungsgeld die
Wirkung gering,
in:
Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 07.04.
Mona JAEGER geht es nicht um
Familienpolitik, sondern um Bevölkerungspolitik. In ihrem Beitrag
geht es einzig und allein um die Steigerung der Geburtenrate und nicht
z.B. um Armutsvermeidung.
Anlässlich einer Studie zur
Wirkung des Betreuungsgeldes wendet sich JAEGER gegen
Transferleistungen, die 85 % der familienpolitischen Maßnahmen
ausmachen, während lediglich 15 & als "Realtransfers" direkt für
Bildung und Kitaplätze ausgegeben werden, die jedoch eine größere
Wirkung auf die Geburtenrate hätten.
"Und die Einführung des
Elterngeldes? Kein Gesamteffekt. 2011, vier Jahre nach der
Umstellung von Erziehungsgeld auf Elterngeld, hatte die
Geburtenrate sogar ihren bisherigen Tiefsstand erreicht",
lügt uns JAEGER an. Die
Geburtenrate lag 2011 genauso hoch wie 2010 (1,39). Erst durch den
Zensus 2011 wurde sie im Nachhinein auf 1,36 korrigiert. Auch diese
Geburtenrate liegt weit über diejenige des Jahres 1995 (1,25).
Offenbar hat die wirtschaftliche Entwicklung und ihre Auswirkung auf
die Arbeitsplatzsituation weit größeren Einfluss auf die
Geburtenrate als familienpolitische Maßnahmen.
WEISS, Marlene (2016):
Die Zwillings-Pille.
In Deutschland hat sich der Anteil
der Mehrlingsgeburten seit den Achtzigerjahren verdoppelt. Das liegt
auch an einem Medikament,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 23.04.
Marlene WEISS berichtet über die Ursache der
Zunahme von Mehrlingsgeburten. Im Mittelpunkt steht dabei der
Einfluss des Medikaments Clomifen, das den Eisprung anregt, auf die
Zunahme, während der Anteil der Reproduktionsmedizin und des
Erstgeburtsalters nur im letzten Drittel erwähnt wird. Der Beitrag
erweckt zudem den Eindruck, dass die Reproduktionsmedizin bzw.
Kinderwunschzentren ihren Tätigkeitsbereich immer mehr auch auf ganz
normale Geburten ausdehnen möchten:
"Es klingt nicht so, als könne
er der unkontrollierten Romantik (...) besonders viel abgewinnen.
Bei seinem Team, mit genauer Ultraschall-Überwachung, lägen die
Zwillingsquoten unter Clomifen nahe bei null",
wird die Position eines
Kinderwunschzentrum-Leiters wiedergegeben. Die Entwicklung der
Mehrlingsgeburten beschreibt WEISS folgendermaßen:
"Heute kommen auf 1000 Geburten
18,4 Zwillingsgeburten, das ist etwa jede 54. Geburt. Der Anteil
hat sich in den vergangenen Jahrzehnten mehr als verdoppelt, jener
der Drillinge vervierfacht. Ab den Fünfzigerjahren fiel mit dem
damals sinkenden Alter der Mütter der Anteil der Frauen, die
Zwillinge bekamen, lange stetig ab; im Jahr 1978 war bei einer von
111 Geburten der Tiefstand erreicht. Danach ging es steil bergauf"
Das Statistische Bundesamt
meldete Anfang
dieses Jahres dagegen:
"2014 (war) bereits jedes 27.
neugeborene Kind in Deutschland ein Mehrlingskind. Unter den gut
700 000 Neugeborenen waren knapp 27 000 Mehrlingskinder (25 954
Zwillinge, 846 Drillinge sowie 44 Vierlinge). Damit war der Anteil
der Mehrlingskinder an allen Neugeborenen so hoch wie nie zuvor.
Den geringsten Anteil an Mehrlingskindern hatte es im Jahr 1977
gegeben. Von den gut 800 000 geborenen Kindern waren damals knapp
15 000 Mehrlingskinder. Damit war 1977 nur jedes 56. Kind ein
Mehrling gewesen, der Anteil der Mehrlinge war somit nicht einmal
halb so hoch wie 2014."
SYLVESTER, Regine (2016): Gestern war ich doch noch jung.
Das Altern wirft jede Menge
Fragen auf: Werde ich halbwegs gesund bleiben? Werde ich
schwierig werden? Starrsinnig, jammernd? Eine Suche nach
Antworten,
in:
Berliner Zeitung v.
24.05.
"Um 2030 wird jeder Jahrgang,
der in Rente geht, doppelt so groß sein wie der Jahrgang, der
einen Beruf beginnt. Wir haben zu wenige Kinder bekommen, als
wir es noch gekonnt hätten",
droht uns Regine SYLVESTER.
Doch stimmt diese Rechnung überhaupt? Wer nur auf die Geburten
schielt, der übersieht die Zuwanderung und Sterbefälle.
Nimmt man den Geburtsjahrgang
1990, dann umfasste dieser ca. 905.000 Geburten. Nimmt man das
Jahr 2014, dann umfassen die 1990 Geborenen (24-25-Jährige) ca.
1,04 Millionen Menschen. Innerhalb von 25 Jahren ist der Jahrgang
also durch Zuwanderung um 100.000 Personen gewachsen und es können
noch viel mehr dazu kommen.
Dagegen umfasste der
Geburtsjahrgang 1964 ca. 1,35 Millionen Menschen. Bis zum Jahr
2014 ist er nur um ca. 70.000 Personen, die 1964 geboren wurden,
angewachsen. Der Jahrgang 1964 schrumpft bereits, weil Zuwanderer
im Alter oftmals in die alte Heimat zurückkehren und die
Sterbefälle zunehmen. Während der Jahrgang 1964 im Jahr 2009 noch
ca. 1,45 Millionen Personen umfasste, waren es im Jahr 2014 schon
fast 26.000 weniger (dies wurde aber auch durch den Zensus 2011
mitverursacht).
Dass das Verhältnis zwischen
Berufsanfängern und Rentnern wesentlich günstiger aussieht, zeigt
ein Vergleich der Jahrgänge 1949 und 1974:
|
Jahrgang 1949 |
Jahrgang 1974 |
Lebendgeborene |
1.106.825 |
805.500 |
40-Jährige |
|
930.754 |
65-Jährige |
962.406 |
|
Obwohl im Jahr 1949 über
300.000 Personen mehr geboren wurden als im Jahr 1974, waren die
beiden Geburtsjahrgänge im Jahr 2014 fast gleich groß (Unterschied
von nur noch ca. 32.000 Personen). Während der Geburtsjahrgang 1974 durch
Zuwanderung stark angewachsen ist, ist der Jahrgang 1949 durch
Abwanderung und Sterbefälle bereits im Alter von 65 Jahren stark
dezimiert worden.
Wie es im Jahr 2030 in
Deutschland aussieht, das hängt also nicht allein vom
Geburtenverhalten ab, sondern auch vom Wanderungsgeschehen bzw.
den Sterbefällen. Aber in erster Linie hängt die Situation im Jahr
2030 von nicht-demografischen Entwicklungen der Wirtschaft, d.h. von den
Produktivitätsfortschritten und der Arbeitsmarktsituation ab. Darüber
können die Ökonomen jedoch lediglich spekulieren.
BUNZENTHAL, Roland (2016):
Schrumpfszenario trotz Rekordwerts.
Noch nie war die Bevölkerung so groß
wie heute - ab 2030 setzt Schrumpfung ein,
in:
Neues Deutschland v. 26.05.
"In den ersten elf Monaten 2015
kamen 665.500 Kinder zur Welt, 200 weniger als zuvor.
Hochgerechnet auf das volle Kalenderjahr gab es somit zuletzt
726.000 neue Bundesbürger - gleichermaßen 2015 als auch 2014. Das
ergibt sich aus Zahlen des Statistischen Bundesamts, die »nd«
vorliegen",
erzählt uns Roland BUNZENTHAL.
Stellt sich nur die Frage, was will uns der Journalist damit sagen?
BUNZENTHAL hat offenbar erfahren,
dass in den ersten 11 Monaten des Jahres 2015 ca. 200 Babys weniger
als im gleichen Zeitraum des Vorjahres geboren wurden. Nun geht er
her und teilt die 665.500 durch 11 Monate und nimmt diese Zahl mal
zwölf. Dies ergibt die 726.000 Lebendgeborene für 2015.
Dummerweise gibt es jedoch
Monate, in denen gewöhnlich mehr bzw. weniger Kinder geboren werden.
2014 kamen ca. 715.000 Lebendgeborene zur Welt und nicht 726.000
wie uns BUNZENTHAL vorrechnet. Daraus könnte man zwei verschiedene
Schlussfolgerungen ziehen: Entweder werden im Monat Dezember
gewöhnlich weniger Kinder geboren als in anderen Monaten des Jahres.
Also könnte die Geburtenzahl dieses Jahr niedriger sein als letztes
Jahr. Der Wissenschaftsjournalist Björn SCHWENTKER hat die
Geburtentrends der letzten Jahrzehnte visualisiert.
Demnach ist der Dezember ein geburtenschwacher Monat.
Damit es dieses Jahr genauso
viele Kinder wie letztes Jahr gäbe, müssten in diesem Dezember also
mehr Kinder geboren werden als letztes Jahr. Es wird wohl noch
einige Wochen dauern bis das Statistische Bundesamt die
Geburtenzahlen für 2015 veröffentlicht, denn die Rechnung von
BUNZENTHAL ist eher wenig hilfreich.
Die Schätzung des
Statistischen Bundesamt vom Januar 2016 läuft - im Gegensatz zur
Meldung von BUNZENTHAL - auf mehr Geburten für das Jahr 2015 hinaus,
aber auch die Schätzungen des Statistischen Bundesamtes sind in der
Vergangenheit nicht immer treffsicher gewesen.
Fazit: Wir warten lieber auf die
Veröffentlichung der offiziellen Zahlen, statt mit BUNZENTHAL zu
spekulieren!
Worauf der Artikel, der keine
konkrete Bevölkerungsvorausberechnung nennt, abzielt, das wird erst
im letzten Absatz deutlich:
"Besonders in der Rentenpolitik
spielen solche Szenarien eine wichtige Rolle. So will die
Bundesregierung noch in diesem Jahr ein Altersvorsorgekonzept für
die Zeit nach 2030 vorstellen, das den Veränderungen in der
Altersstruktur der Bevölkerung Rechnung trägt."
BALZTER, Sebastian (2016): Sex and the City.
Der Sonntagsökonom: Plötzlich
bekommen die Leute in der Großstadt mehr Kinder als auf dem Dorf. Am
Storch liegt das nicht,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 12.06.
"Stadtluft macht frei, Landluft
macht fruchtbar. So lässt sich zusammenfassen, was
Bevölkerungsforscher in den vergangenen Jahrzehnten über unser
Fortpflanzungsverhalten herausgefunden haben: Auf dem Land gab es
stets mehr kinderreiche Familien als in der Stadt, weswegen manche
Demographen sich sogar schon angewöhnt haben, die Metropolen als
"Fertilitätsfallen" zu bezeichnen.
(...).
Jetzt aber scheint sich dieses Muster auf spektakuläre Art ins
Gegenteil zu wenden. In Europa und in den Vereinigten Staaten
liegen die Geburtenraten seit Anfang des Jahrtausends in den
Großstädten nämlich deutlich über dem jeweiligen
Landesdurchschnitt",
erzählt uns Sebastian BALZTER
anlässlich einer Allianz-Auftragsstudie von Jessica FORMBY, Greg
LANGLEY und Richard WOLF ("Bigger
Cities, More Babies?"). Die Autoren haben weltweit 41 Großstädte
mit der landesweiten Geburtenrate verglichen, indem sie aus den
rohen Geburtenziffern die Geburtenrate von Frauen im Alter von 15-44
Jahren (nicht 15-49 Jahren wie neuerdings aufgrund des steigenden
Erstgebäralters üblich) berechnet haben. Die Studie ist
leserunfreundlich, weil keine exakten Angaben zum Erhebungszeitraum
der Daten gemacht wird, nur dass sie 2012 oder später erhoben
wurden.
"In Deutschland führen
Frankfurt (plus 13 Prozent) und München (plus fünf Prozent) die
Tabelle an, Berlin verzeichnet immerhin noch einen Aufschlag von
knapp zwei Prozent gegenüber dem Durchschnitt",
schreibt BALZTER zur Entwicklung
in deutschen Millionenstädten und vermerkt dazu - ohne dies belegen
zu können:
"Gerade in den
durchgentrifizierten Gutverdienervierteln des Landes hat sich mit
Blick auf die erstrebenswerte Kinderzahl offenbar die Losung »Drei
sind die neue Zwei« durchgesetzt."
Hamburg wird verschwiegen, denn
das Minus von 1,7 % passt nicht ins Bild. Die schlechten Zahlen für
Berlin und Hamburg könnten damit zusammenhängen, dass es sich im
Gegensatz zu München und Frankfurt um Stadtstaaten und nicht um
kreisfreie Städte handelt, deren Geburtenraten durch das Umland
verzerrt werden. Auch das wird von BALZTER nicht berücksichtigt.
Natürlich darf ein Hinweis darauf nicht fehlen, dass ein solcher
"Mini-Babyboom" nicht ausreiche, um die
magische Zahl nationalkonservativer Bevölkerungswissenschaftler
zu erreichen. Magisch deshalb, weil diese Wunderwaffe als
Allheilmittel gilt, obwohl weltweit das Gegenteil zu beobachten ist.
DESTATIS (2016): 2015: Mehr Geburten, Sterbefälle und Eheschließungen,
in:
Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts v. 30.06.
"Im Jahr 2015 wurden in
Deutschland 738 000 Kinder lebend geboren",
meldet das Statistische
Bundesamt. Das waren 23.000 Neugeborene oder 3,2 % mehr als im Jahr
2014.
Bereits Ende Mai
spekulierte Roland BUNZENTHAL in der Zeitung Neues Deutschland
über die Geburtenzahl. Damals wurden von ihm nur 726.000
Neugeborene erwartet. Das Statistische Bundesamt hatte die
Geburtenzahl Ende Januar auf 705.000 - 730.000 geschätzt, was immer noch
niedriger lag als die heute veröffentlichten vorläufigen
Geburtenzahlen. Aufgrund der hohen Zuwanderung im Jahr 2015 sind
Aussagen über die Geburtenrate, über die bei solchen
Veröffentlichungen in den Medien gerne spekuliert wird, mit großer
Vorsicht zu genießen.
RHEIN-NECKAR-ZEITUNG-Tagesthema:
Mehr Lust auf Kinder?
In
Deutschland hat ein neuer Babyboom eingesetzt - doch die Zahlen
sind mit Vorsicht zu genießen |
SCHAIBLE, Ira
(2016): Mehr Babys - mehr Hochzeiten.
Familie steht wieder hoch im Kurs
- Trotzdem wird die Kluft zwischen Sterbefällen und Geburten größer,
in:
Rhein-Neckar-Zeitung v. 01.07.
Die RNZ veröffentlicht eine dpA-Meldung mit Stellungnahmen von
Jürgen DORBRITZ (BIB), Harald ROST (Bayerisches Staatsinstitut für
Familienforschung in Bamburg) und Rembrandt SCHOLZ
(Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock). DORBRITZ
geht von einer geringen Erhörung der Geburtenrate aus, nennt aber
keine Zahlen.
Während DORBRITZ auf mehr
Zuwanderung setzt, will SCHOLZ die sozialen Sicherungssysteme
umbauen.
BIK
(2016): Babyboom auch in Heidelberg.
Stadt wächst kontinuierlich,
in:
Rhein-Neckar-Zeitung v. 01.07.
"Seit 2003 übersteigt die Zahl der Geburten in Heidelberg auch
die der Sterbefälle - mit Ausnahme der Jahre 2003 und 2005.
Heidelberg wächst also natürlich, auch ohne die Zuzüge. Nur 2005
und 2008 wurden mehr Weg- als Zuzüge registriert",
wird uns etwas umständlich erklärt. "Natürlich" ist eine
befremdliche Beschreibung angesichts zum einen einer mobilen
Gesellschaft und zum anderen aufgrund der Tatsache, dass
künstliche Befruchtungen zum Alltag in Deutschland gehören.
ALTMEIER, Christian
(2016): Überaltert.
Kommentar zu den steigenden
Geburtenzahlen,
in:
Rhein-Neckar-Zeitung v. 01.07.
Christian ALTMEIER behauptet, dass nicht nur die Geburtenzahl,
sondern auch die Geburtenrate gestiegen ist. Das ist jedoch reine
Spekulation, weil diese Zahl erst später im Jahr veröffentlicht
wird.
Angeblich ist unser Sozialsystem darauf ausgelegt, dass es mehr
Junge als Alte gibt. Das ist falsch. Junge sind genauso eine
Soziallast wie Alte, wenn man
diese Begriffe überhaupt benutzen will. Lediglich die mittlere
Altersgruppe muss sowohl für die Jungen als auch für Alten sowie
die Kranken und Arbeitslosen aufkommen. Inwiefern also
Sozialsysteme umgebaut werden müssen, ist nicht nur eine Frage der
Kosten, sondern Junge und Alte sind immer auch ein
Wirtschaftsfaktor. Meist wird jedoch die Alterung lediglich als
Problem, aber nicht als Chance - höchstens im Sinne von
Profitmaximierung - gesehen.
BERNDT, Christina (2016): Zwergenaufstand.
Im vergangenen Jahr wurden in
Deutschland so viele Kinder geboren wie seit der Jahrtausendwende
nicht mehr. Ist das eine Zeitenwende? Oder nur das Ergebnis eines
kleinen Babybooms in den 1980er-Jahren?
in: Süddeutsche Zeitung v.
01.07.
Jubelrufe wie aus dem
Bundesfamilienministerium angesichts der steigenden Geburtenzahlen
sind für Christina BERNDT verführt, denn genaue Zahlen zur
Geburtenrate gibt es nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes -
im Gegensatz z.B. zu Frankreich, wo um Geburtenraten kein langes
Rätselraten veranstaltet werden muss wie hierzulande - erst Ende
des Jahres.
"In
den Jahren 1981 bis 1991 gab es einen kleinen Babyboom in
Deutschland, damals stieg die Zahl der Geburten stark an",
zitiert BERNDT Anja
CONRADI-FREUNDSCHUH vom Statistischen Bundesamt. Dies ist jedoch
nur die halbe Wahrheit, denn die Geburtenzahlen schwankten in den
1980er Jahren beträchtlich. Sie lagen zwischen 812.292 (1984) und
905.657 (1991). Die Frauen sind 2015 zwischen 24 und 34 Jahre alt,
d.h. die Spätgebärenden, die mittlerweile einen großen Anteil am
Geburtenaufkommen haben, werden bei dieser Betrachtung gar nicht
berücksichtigt. Diese gehören derzeit jedoch zu den
geburtenschwachen Jahrgängen Ende der 1970er Jahre, weswegen der
Babyboom auch schwächelt.
Die Zuwanderung sei gegenüber
der Familienpolitik (Ausbau der Kinderbetreuung, Einführung des
Elterngeldes) kein entscheidender Faktor zitiert BERNDT den
Rostocker Demografen Sebastian KLÜSENER. Norbert SCHNEIDER (BIB)
sieht in den Familienleitbildern in Deutschland ein Hemmnis.
Die Medien tragen hier eine
große Mitschuld, was BERNDT uns jedoch verschweigt. Im Kampf ums
Elterngeld, ums Betreuungsgeld oder die richtige Form der
Kinderbetreuung (Fremd- vs. Selbstbetreuung) wurden berufstätige
und nicht-berufstätige Mütter gegeneinander ausgespielt. Zudem
wurde mit überhöhten Kinderlosenzahlen argumentiert, wodurch
potenzielle Mütter verschreckt wurden. SCHNEIDER versucht hier
also lediglich Schadensbegrenzung.
Inzwischen wird uns aus den
Medien ein Trend zum Drittkind verkündet, der nun mit Propaganda
das zerschlagene Porzellan wieder kitten soll:
"Als Einzelkind-Eltern fühle
man sich in einer zum Drittkind neigenden Umwelt mitunter fast
wie kinderlos, klagen manche."
Die zu pessimistischen
Einschätzungen neigende Olga PÖTZSCH will diesen Trend nicht
bestätigen, denn erst in diesem Jahr wird die Anzahl der Kinder
pro Frau per Mikrozensus erhoben. Dies geschieht nur alle vier
Jahre und wurde während der politischen Auseinandersetzung um die
richtige Familienpolitik von den Parteien mit Erfolg verhindert,
sodass Kinderlosenzahlen Anfang des Jahrtausends politisch
missbraucht werden konnten. Erst nachdem das Elterngeld
durchgesetzt war, sind bis auf wenige ewiggestrige
Nationalkonservative wie Herwig BIRG und Thilo SARRAZIN, die immer
noch weiter mit zu hohen Kinderlosenzahlen operierten, die
Debatten um Kinderlosigkeit sachlicher geworden. Angesichts der
Erfolge von Nationalkonservativen könnte sich diese Versachlichung
jedoch wieder ändern. Die Debatte um den Brexit und eine "Diktatur
der Alten" zeigt deutlich, dass die Standards hier wieder verloren
gehen.
BERNDT baut dann eine Kluft
zwischen Kinderlosen und Eltern in Westdeutschland auf, eine
Polarisierung, die sich verstärken könnte. Verschwiegen wird dabei
jedoch, dass das Elterngeld dazu wesentlich beiträgt, indem
Nicht-Akademiker-Mütter diskriminiert werden. Kinder
Besserverdienender sind seit 2007 mehr Wert als Kinder von
Geringverdienern oder nicht-berufstätigen Müttern.
BERNDT, Christina
(2016): Willkommenskultur für Babys.
Kommentar,
in: Süddeutsche Zeitung v.
01.07.
MENKENS, Sabine
(2016): Die Enkel der Babyboomer.
In Deutschland werden wieder
deutlich mehr Kinder geboren. Doch sie können die Lücke, die durch
Sterbefälle entstehen, nicht schließen,
in: Welt
v. 01.07.
Sabine MENKENS konfrontiert uns zuerst mit einer angeblich
schlechten Nachricht, nämlich:
"der Sterbeübschuss lag mit knapp
187.609 (...) so hoch wie nie seit 1990."
Dies ist erstens falsch, denn
2009, 2011 und 2013 lag der Sterbeüberschuss höher als 2015.
2013 lag er sogar bei 211.756. Bereits im Jahre 1975 hätte er bei
über 207.000 gelegen, wenn es damals bereits eine Gesamtstatistik
für BRD und DDR gegeben hätte.
Dies hätte eigentlich aus der
Grafik, die uns die Print-Welt - im Gegensatz zum
Internetartikel - mitgeliefert hat, ersichtlich sein müssen, aber
offenbar hat der Grafikersteller lediglich jene Jahre, die auch auf
der Skala aufgelistet sind (1990, 1995, 2000, 2005, 2010, 2014,
2015) aus einer Tabelle übertragen und dann einfach miteinander
verbunden. Dem fielen jene Sterbeüberschüsse, die höher waren -
einfach zum Opfer. War dies einfach nur Gedankenlosigkeit oder
Absicht? Aus Büchern wie
Lügen mit Zahlen kann man lernen, wie man solche
Verzerrungen in Grafiken erkennen kann.
Und für Kritiker der Überalterung
der Bevölkerung ("Vergreisung") müsste das - zweitens - eigentlich
eine frohe Botschaft sein, denn ein Sterbeüberschuss ist identisch
mit einer Verjüngung der Bevölkerung, wenn dieser in erster Linie
alte Menschen betrifft.
Der guten Nachricht widmet sich
dann MENKENS fast den ganzen Artikel. Im Gegensatz zur SZ ist sie
jedoch nicht am Rückgang der Kinderlosigkeit interessiert, sondern
nur am Rückgang der Akademikerinnenkinderlosigkeit.
MENKENS präsentiert uns wie
LUDWIG in der Stuttgarter Zeitung
Weisheiten der Geografin Franziska WOELLERT (wird uns aber als "Demografiexpertin"
vorgestellt!), aber glücklicherweise bleibt uns hier wenigstens der
größte Unsinn erspart. Dafür wird uns anderer Unsinn präsentiert:
"Möglicherweise beruht ihr
Anstieg (Anm.: gemeint ist die Geburtenrate) seit 2011 sogar auf
einem simplen Rechenexempel. »Beim Zensus 2011 wurde plötzlich
festgestellt, dass weniger Menschen in Deutschland leben als
gedacht. Deshalb wird die Zahl der Geburten auch auf weniger Frauen
aufgeteilt – die Geburtenziffern steigen mithin an«."
Dies ist deswegen falsch, weil
inzwischen zensuskorrigierte Zahlen ab 2011 vorliegen. Seitdem ist
die Geburtenrate real gestiegen. Für 2011 wurde nach unkorrigierten
Daten noch eine Geburtenrate von nur 1,36 gemessen, korrigiert waren
es jedoch 1,39 - d.h. der Unterschied lag bei 0,3. Auch die
endgültige Kinderzahl von Geburtsjahrgängen (CFR) hat sich dadurch
verändert.
MENKENS, Sabine
(2016): Boom, Baby, boom.
Kommentar,
in: Welt
v. 01.07.
LUDWIG, Werner (2016): "Die Bevölkerung wird weiter schrumpfen".
Interview: Die Berliner
Demografie-Expertin Franziska Woellert sieht im Anstieg der
Geburtenzahlen noch keine grundsätzliche Wende,
in:
Stuttgarter Zeitung v.
01.07.
Die Stuttgarter Zeitung
präsentiert uns zur Agenturmeldung über die Geburtenzahlen 2015
die Geografin Franziska WOELLERT vom neoliberalen privaten
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, das uns seit
Anfang des Jahrtausends mit Rankings zur Bevölkerungsentwicklung
traktiert.
Bereits die Frage von LUDWIG
ist falsch, denn in den vergangenen Jahren sind die Geburtenzahlen
nicht rückläufig gewesen, sondern gestiegen. WOELLERT
disqualifiziert sich selber, da sie dem nicht widerspricht. Seit
2011 sind die Geburtenzahlen von 662.685 auf rund 738.000
gestiegen. Die Geburtenrate ist von 1,36 im Jahr 2011 auf 1,47 im
Jahr 2014 gestiegen, die Zahlen für 2015 werden später im Jahr
veröffentlicht. WOELLERT zeigt lediglich, dass sie keine Ahnung
hat, wenn sie uns etwas anderes erzählt.
Zu Frankreich erzählt uns WOELLERT ebenfalls Unsinn, denn dort
sind berufstätige Mütter und nicht-berufstätige Mütter - im
Gegensatz zu Deutschland - gleichermaßen gesellschaftlich
akzeptiert. Feministinnen haben in der Vergangenheit gerne nur das
eine betont und uns das andere verschwiegen. Tatsächlich ist dort
die Geburtenrate rückläufig, aber wegen der schlechten
Arbeitsmarktlage und nicht wegen ihrer Firmenkultur wie uns
WOELLERT suggeriert, wenn sie die skandinavische Firmenkultur
hervorhebt.
Dieser Versuch einzelne Aspekte
aus den politischen Systemen anderer Länder hervorzuheben, während
andere verschwiegen werden, ist typisch für neoliberale
Desinformation, denn die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist
nicht das Ideal von allen Müttern, sondern der Versuch Familie
arbeitsmarktkompatibel zu machen und zwar nicht in erster Linie
wegen mehr Geburten, sondern um eine genügend große
Arbeitsmarktreserve bereithalten zu können. Denn sonst müssten
Erwerbstätige besser bezahlt werden.
THELEN, Peter (2016): Berliner Geburts-Tag.
Die Zahl der Neugeborenen steigt
auf höchsten Stand seit 15 Jahren. In den Ballungszentren birgt der
Boom neue Probleme,
in:
Handelsblatt v. 01.07.
"Klar ist jedoch, dass Deutschland nach wie vor hinter den
Geburtenzahlen zurückbleibt, die nötig wären, um ein
Schrumpfen der Bevölkerung zu verhindern: 2,1 müsste dann die
Geburtenziffer betragen",
desinformiert uns
Peter THELEN. 2,1 ist lediglich jene Zahl, bei der ohne
Wanderungen eine Bevölkerung stabil bleibt. Um in Deutschland ein
Schrumpfen zu verhindern benötigt man eine höhere Geburtenrate als
2,1. Oder eine niedrigere, wenn man hohe Wanderungsüberschüsse mit
einrechnet. Eine vorübergehende, geringe Schrumpfung wäre jedoch
überhaupt kein Problem, denn
Weniger sind mehr, wie der verstorbene Soziologe Karl Otto
HONDRICH in seinem gleichnamigen Buch aufzeigte.
Aufgrund der Mediendebatten um
das Aussterben der Deutschen werden wir nun damit konfrontiert,
dass aufgrund des nicht berücksichtigten Kindersegens der Ausbau
von Kinderbetreuung und Schulen insbesondere in Ballungszentren
verschlafen wurde. Die Bevölkerungsvorausberechnungen der letzten
Jahrzehnte gingen alle von einer gleich bleibenden Geburtenrate
(z.B. auch die aktuelle
13. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen
Bundesamtes) oder sogar von einem Rückgang aus. Das rächt sich
nun!
RÜFER, Lisa
(2016): Drei gewinnt.
Vater, Mutter, zwei Kinder: das
Ideal von einer Familie. Doch wie viel Nachwuchs verträgt ein Paar?
in: Süddeutsche Zeitung v.
02.07.
"Als Einzelkind-Eltern fühle
man sich in einer zum Drittkind neigenden Umwelt mitunter fast
wie kinderlos, klagen manche",
erzählte uns Christina BERNDT
gestern anlässlich der Veröffentlichung
der Geburtenzahlen für das Jahr 2015. Nun erklärt uns Lisa RÜFER,
die mit ihrem Mann nur eine Tochter hat und sich nicht einmal zu
einem zweiten entschließen konnte:
"Von anderen werden wir (...)
oft als unvollständig wahrgenommen"
Um sich nicht zu alleine zu
fühlen mit ihrer Einzelkind erklärt sie allen, die in der gleichen
Situation sind:
"Wir sind nicht die einzige
Dreierkonstellation, Ein-Kind-Familien nehmen weltweit zu. Einer
Analyse der Universität Wien zufolge bekommen Einzelkinder später
häufiger selbst nur ein Kind, in der Konsequenz werden die
Familien also kleiner."
Dieser Unsinn wurde in Zeiten in
die Welt gesetzt, als Frank SCHIRRMACHER mit seinem Pamphlet
Minimum deutsche Journalistinnen in helle Panik versetzte und
in Wien die "Niedrig-Fertilitäts-Falle" aus der Taufe gehoben
wurde. Aus gesunkenen Kinderwünschen - eine Folge der absurden
politischen Debatten dieser Jahre - wurde auf eine ständige
Abwärtsspirale bei den Geburten geschlossen. Spätestens seit das
Elterngeld durchgesetzt war und uns die Mainstreamjournalistenmeute
nicht mehr die Köpfe mit Überbietungswettkämpfen um die
schlechtesten Nachrichten zur Geburtenlage voll dröhnen mussten,
sind in Umfragen die Kinderwünsche auch wieder gestiegen und die
Niedrig-Fertilitäts-Falle löste sich in Wohlgefallen auf. RÜFER hat
das offenbar alles nicht mitbekommen, sonder tischt uns
Kinderwunschmärchen aus vergangenen Tagen auf:
"Und das, obwohl 2015 die Zahl
der Geburten auf den höchsten Stand gestiegen ist. Traurig ist die
Lücke zwischen den zwei Kindern, die sich Frauen wünschen, und den
1,47 Kindern, die sie laut Statistik bekommen, dennoch."
Es gibt eine solche Lücke nicht
in dieser Form, sondern sie ist ein Forschungsartefakt, d.h. eine
Phantom, das durch
falsche Interpretation der Daten entstanden ist.
Dies wurde merkwürdigerweise erst öffentlich als die politischen
Schlachten bereits geschlagen waren! Aber offensichtlich ist
dies noch nicht bis zu den Mainstreamjournalisten durchgedrungen,
wie der Artikel von RÜFER zeigt.
BÜSCHER, Wolfgang & Freia PETERS (2016): Sehnsucht nach dem
Apfelbaum.
Voriges Jahr wurden in
Deutschland so viele Babys geboren wie seit 15 Jahren nicht.
Gerade in den großen Städten trauen sich Familien wieder, mehr
Kinder zu bekommen. Dennoch bleibt der Traum von einer
ländlichen Kindheit stark,
in:
Welt am Sonntag v.
10.07.
Die Welt kompakt, die sich an eine modernere und jüngere
Leserschaft richtet, titelt heute Kinder gehören in die Stadt.
Der nationalkonservativen Leserschaft der WamS erklären die
Autoren den Namen Audrey PODANN folgendermaßen:
"keine ausländischen Wurzeln,
nur experimentierfreudige Eltern, was Namen angeht".
Es könnte ja sonst ein
Eingeborener denken, man hätte es hier nur mit einer Pass-Deutschen
zu tun. So etwas wäre vor einem Jahr noch nicht derart hervorgehoben
worden. Aber wenn eine Frau drei Kinder geboren hat, dann lautet das
von der WamS zelebrierte Vorurteil seit Jahren:
Sozialhilfemutter mit Migrationshintergrund. Gunnar HEINSOHN hat
hier immerhin jahrelange Vorarbeit geleistet.
Nun da deutsche Akademikerinnen
ohne Migrationshintergrund mehr als zwei Kinder haben müssen, um in
nationalkonservativen Kreisen als gesellschaftsfähig zu gelten, sind
die Ressentiments, die HEINSOHN in der WamS verbreitet hat,
zum Kollateralschaden geworden.
Mit Spekulationen zur
Geburtenrate halten sich die WamS-Autoren zurück,
schließlich war die Welt/WamS in der Vergangenheit damit
meist voll daneben gelegen. Stattdessen bauen sie einen
Gegensatz zwischen Stadt und Land auf:
"Eines aber kann man sicher
sagen: Die Stadtkinder laufen den Landkindern davon. Bezieht man
die Zahl der Geburten in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und
Bremen auf die Bevölkerung, wurden hier deutlich mehr Babys
geboren als in den Flächenländern. In Berlin (3,5 Millionen
Einwohner) kamen voriges Jahr über 38.000 Kinder zur Welt – in
Brandenburg (2,45 Millionen) waren es nur rund 19.000 Kinder und
damit im Verhältnis weniger. Und das, darin sind sich die Forscher
einig, ist tatsächlich ein Trend. Städter kriegen mehr Kinder als
Landbewohner."
Dabei ist es gerade einmal ein
Jahrzehnt her, dass uns die Mainstreamjournalisten das Land als
fruchtbare Oase im Meer der unfruchtbaren Städte beschrieben haben. Der
Landkreis Cloppenburg oder
Laer bei Münster galten als Vorbild.
Jetzt wird uns der suburbane Stadtteil Vauban in Freiburg als
kinderreichster Deutschlands gepriesen:
"Ein ganzes Viertel haben
Familien am Stadtrand in Freiburg gestaltet. Im autofreien Vauban
leben rund 6000 Menschen in Öko-Siedlungen mit Solardächern auf
dem Gelände einer früheren Kaserne. Ein Drittel der Bewohner ist
jünger als 18. Vauban gilt als der kinderreichste Stadtteil
Deutschland."
Nicht mehr die Geburtenrate,
sondern der Anteil von unter 18-Jährigen gilt jetzt als neuer
Indikator. Offenbar ist die Geburtenrate in diesem Freiburger
Stadtteil nicht so vorteilhaft - falls es dazu überhaupt Daten gibt.
PÖTZSCH, Olga (2016): (Un-)sicherheiten
der Bevölkerungsvorausberechnungen.
Rückblick auf die koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnungen für Deutschland zwischen 1998 und
2015,
in:
Wirtschaft und Statistik,
Heft 4
"Wenn die absehbaren
Auswirkungen durch neue Trends oder gerade aufgrund von
Gegensteuerung abgemildert oder gar nivelliert werden, muss
die Realität von der Bevölkerungsvorausberechnung
zwangsläufig abweichen."
Wenn also Treffsicherheit
ein belangloses Kriterium von Bevölkerungsvorausberechnungen
wäre, dann werden die Annahmen dieser Vorausberechnungen umso
bedeutsamer, denn sie müssten sofort korrigiert werden, wenn
erkennbar ist, dass sie unhaltbar sind. Dies jedoch geschieht
ebenfalls nicht, wie das Beispiel der steigenden Geburtenrate
zeigt. Immer noch wird die Geburtenrate mit 1,4 Kinder pro
Frau bis 2060 fortgeschrieben. Die Bundesbank betrachtet nicht
einmal mögliche Alternativen mit 1,5 oder 1,6 Kinder pro Frau.
Olga PÖTZSCH jedenfalls will als
Kriterium für Bevölkerungsvorausberechnungen nur "richtige
Signale senden" gelten lassen. Damit wird die Debatte von der
Treffsicherheit in Bezug auf zukünftige Entwicklungen jedoch
nur auf die getroffenen Annahmen verlagert, aber die
grundsätzliche Kritik an solchen
Bevölkerungsvorausberechnungen nicht aus der Welt geschafft:
"Ihrer Aufgabe, richtige
Signale im Hinblick auf die künftige demografische
Entwicklung zu senden, können Bevölkerungsvorausberechnungen
allerdings nur dann gerecht werden, wenn sie auf möglichst
treffenden Analysen der Gegenwart beruhen. Ein besonderes
Augenmerk wird deshalb auf die Ableitung und Begründung der
Annahmen zu einzelnen demografischen Komponenten gelegt.
Diese sind die eigentliche Herausforderung bei der
Weiterentwicklung der Bevölkerungsvorausberechnungen."
(2016, S.39)
Und es kommt hinzu, dass
dann der Einfluss von politischen Entscheidungen auch kausal
belegt werden müsste, denn sonst könnten ja falsche
Rückschlüsse gezogen werden aus der Differenz zwischen
Vorausberechnung und Realität. Was wenn die Veränderungen gar
nicht auf Politik, sondern auf ganz andere - nicht
berücksichtigte Faktoren - zurückzuführen wären? PÖTZSCH baut
sich hier ein Kartenhaus auf, das sehr einsturzgefährdet ist.
Uns interessiert vor allem die Begründung der Annahmen zur
Geburtenentwicklung, da darin gegenwärtig der größte
Sprengstoff im Hinblick auf die Bundesbank-Berechnungen und
der Debatte um die zukünftige Finanzierung der Renten liegt.
Erstmals wird uns einigermaßen ausführlich erklärt, dass die
Annahmen zur Geburtenentwicklung sich nicht einfach aus der
zusammengefassten Geburtenziffer ergeben, sondern aus der
jeweiligen Verteilung der altersspezifischen Geburtenziffern:
"Die
zusammengefasste Geburtenziffer
steht erst am Ende eines iterativen
Annahmenfindungsprozesses und beeinflusst indirekt – über
die altersspezifischen Geburtenziffern – die Stärke der
neuen Geburtsjahrgänge und somit die künftige
Bevölkerungsgröße und -struktur.
Die eigentlichen Annahmen werden zur Entwicklung der
altersspezifischen Geburtenziffern getroffen. Sie beruhen
einerseits auf einer linearen Extrapolation der
altersspezifischen Trends und andererseits auf den
Hypothesen zur Weiterentwicklung der Kohortenfertilität. Die
Parametrisierung der Zielverteilung erfolgt schließlich
mithilfe eines Quadratic-Spline-Modells von Carl Schmertmann
(2003). Die zusammengefasste Geburtenziffer ergibt sich
anschließend aus der Summation der extrapolierten
altersspezifischen Werte. Infolgedessen können der gleichen
zusammengefassten Geburtenziffer von 1,4 Kindern je Frau im
Jahr 2005 und im Jahr 2020 unterschiedliche
altersspezifische Verteilungen zugrunde liegen. Ihr lang
anhaltendes annähernd konstantes Niveau kommt dadurch
zustande, dass der Rückgang der Geburtenhäufigkeit im
jüngeren gebärfähigen Alter durch den Geburtenanstieg im
höheren Alter kompensiert wird. Bei der Formulierung der
Annahmen wird deshalb oft neben dem Wert für die
zusammengefasste Geburtenziffer auch das durchschnittliche
Gebäralter als Verteilungsmaß genannt."
Nur wird dies bislang in
keiner einzigen Broschüre explizit nachprüfbar aufgeführt.
Wenn also den Annahmen derart immense Wichtigkeit zukommt,
warum also legt das Statistische Bundesamt diese Annahmen
nicht offen, sodass darüber öffentlich diskutiert werden kann.
Stattdessen wird eine Art Geheimwissenschaft betrieben. Die
Beschränkung auf eine einzige Annahme zur Geburtenentwicklung
in der 9. und 10. koordinierten Bevölkerungsentwicklung wird
lapidar mit der damaligen schlechten Datenlage begründet, denn
die Verbesserung der Datenlage wurde bis zum Beschluss des
Elterngeldes von den politischen Parteien und ihren
Handlangern in Medien und Wissenschaft erfolgreich verhindert,
weshalb uns PÖTZSCH nun scheinheilig mitteilt:
"Für alternative Annahmen
lagen keine empirischen Hinweise vor."
Wichtig sei stattdessen
allein das Geburtenverhalten ostdeutscher Frauen gewesen:
"Zum Entstehungszeitpunkt
dieser Berechnungen war zudem vor allem relevant, wie
schnell sich die stark gesunkene Geburtenhäufigkeit in den
neuen Ländern erholen und an das westdeutsche Niveau
anpassen wird (Statistisches Bundesamt, 2000, 2003). Es
wurde eine Annäherung zwischen 2005 und 2010 angenommen.
Tatsächlich hat sich die zusammengefasste Geburtenziffer im
Jahr 2007 in beiden Teilen Deutschlands beim Wert von 1,37
Kindern je Frau angeglichen. In den neuen Ländern stieg sie
anschließend weiter und überholte das westdeutsche Niveau
deutlich."
PÖTZSCH drückt sich in dem
Beitrag jedoch um das Eingeständnis, dass die
Geburtenentwicklung in den Bevölkerungsvorausberechnungen
gravierend falsch eingeschätzt wurde, denn es fehlt ein für
den Leser nachvollziehbaren Vergleich mit der realen
Entwicklung. Stattdessen wird uns zum Schluss erklärt:
"Andererseits erscheinen
einige im Zeitraum von 1998 bis 2015 getroffene Annahmen aus
heutiger Sicht überholt. (...). Die Annahme eines
kontinuierlichen Rückgangs der zusammengefassten
Geburtenziffer entspricht zumindest nicht der Entwicklung
der letzten Jahre." (2016, S.51)
STATISTISCHES LANDESAMT BW (2016): Baden‑Württemberg: Höchste
Geburtenrate seit 1974.
Im
Schnitt 1,51 Kinder je Frau – Pforzheim landesweit Spitzenreiter,
in:
Pressemitteilung des
Statistischen Landesamts Baden-Württemberg
v. 18.08.
Die Pressemeldung vermischt die
Begründungen für die Geburtenentwicklung in Baden-Württemberg.
Zuerst werden uns nicht - wie der Leser vielleicht vermuten würde,
die Gründe für den Anstieg der zusammengesetzten Geburtenziffer (TFR;
umgangssprachlich auch als Geburtenrate bezeichnet), sondern nur für
den Anstieg der absoluten Geburtenzahlen genannt:
"In Baden‑Württemberg wurden im
vergangenen Jahr rund 100.300 Kinder lebend geboren und damit ca.
4.600 mehr als 2014. Somit übertraf die Zahl der Lebendgeborenen
nach Angaben des Statistischen Landesamts zum ersten Mal seit 2001
wieder die Marke von 100.000 und lag zum vierten Mal in Folge
höher als im jeweiligen Vorjahr. Die Ursache für diesen positiven
Trend wird in der in den vergangenen Jahren enorm angestiegene
Zuwanderung gesehen, die auch zu einer Zunahme der Zahl der Frauen
im gebärfähigen Alter geführt hat. Hinzu kommt, dass nun Kinder
der geburtenstarken Jahrgänge Anfang der 1960er-Jahre, die
sogenannten Babyboomer, selbst wieder Kinder bekommen."
Erst
danach kommt die Pressemeldung zum wesentlich wichtigeren Anstieg
der Geburtenrate (TFR):
"Schließlich ist die relativ
hohe Geburtenzahl auch auf einen Anstieg der Geburtenrate, also
der durchschnittlichen Kinderzahl je Frau, zurückzuführen. Diese
lag im vergangenen Jahr bei 1,51 Kindern je Frau. Damit stieg
diese Kennziffer auch im vergangenen Jahr weiter an und lag so
hoch wie seit 1974 nicht mehr."
Anders als die Pressemeldung
behauptet, werden uns jedoch nicht die Ursachen dieser Entwicklung
genannt, sondern lediglich familien- bzw. bevölkerungspolitisch
motivierte Deutungen und spezielle Rahmenbedingungen der Entwicklung
der zusammengefassten Geburtenziffer. Ursachen wären dagegen zum
einen die Entwicklung der kohortenspezifische Geburtenrate (CFR) und
zum anderen Veränderungen des Timings, d.h. des Erstgebäralters,
denn dieses könnte die zusammengefasste Geburtenziffer (TFR)
verzerren, was zu Fehlschlüssen führen kann.
Die uns verkündete
zusammengefasste Geburtenziffer ist - anders als vielleicht vermutet
- kein verlässliches Kennmaß für den Anstieg der Fruchtbarkeit,
sondern lediglich ein Indikator. Einzig die
Entwicklung der Geburtenrate von Frauenjahrgängen (CFR)
ermöglicht verlässliche Aussagen über eine Trendumkehr. Angaben zu
dieser Geburtenrate werden jedoch in der Pressemeldung nicht
gemacht.
Lassen sich aus der Geburtenrate
(TFR) Rückschlüsse auf die zu erwartende bundesweite Geburtenrate
ziehen? Aufschluss darüber bietet die folgende Tabelle eines
Vergleichs der Entwicklung beider Indikatoren in Deutschland und
Baden-Württemberg in den letzten Jahren:
Tabelle: Vergleich der Entwicklung der zusammengefassten
Geburtenziffer in Baden-Württemberg und Deutschland in den
Jahren 2011 bis 2015 |
Gebiet |
Zusammengesetzte
Geburtenziffer (TFR) |
|
2011 |
2012 |
2013 |
2014 |
2015 |
Baden-Württemberg |
1,36 |
1,39 |
1,41 |
1,46 |
1,51 |
Deutschland |
1,39 |
1,41 |
1,42 |
1,47 |
? |
|
Quellen:
Statistisches Bundesamt (Seitenabruf: 19.08.2016);
Pressemitteilung des Statistischen Landesamtes
Baden-Württemberg
vom 18.08.2016 |
Da die zusammengefasste
Geburtenziffer in Deutschland in den letzten Jahren höher lag, ist
es wahrscheinlich, dass die Geburtenrate auch in Deutschland im Jahr
2015 auf über 1,5 Kinder pro Frau gestiegen ist.
SCHMÄHL, Winfried (2016): "Bismarcks Rentenversicherung" und der
dadurch mitausgelöste Geburtenrückgang in Deutschland.
Kritische Prüfung hierzu
vorgelegter Begründungen,
in:
Deutsche Rentenversicherung, Heft
2, S.74-92
Winfried SCHMÄHL kritisiert
in dem Beitrag die Dissertation
Bismarck's Institutions. A Historical Perspective on the
Social Security Hypothesis aus dem Jahr 2013, in der
ein Zusammenhang zwischen der Einführung des Rentensystems und
dem Geburtenrückgang in Deutschland lediglich behauptet, aber
nicht belegt werden kann. Diese Sichtweise wird seit längerer
Zeit von der Münchener Schule des Neoliberalismus gepredigt.
Vertreter dieser Richtung um Hans-Werner SINN sind u.a. Martin
WERDING (Bochum), Robert FENGE (Rostock) und Beatrice SCHEUBEL
(EZB).
Die zentrale Annahme ist,
dass die kapitalgedeckte Altersvorsorge im Gegensatz zum
Umlagesystem weniger schädliche Auswirkungen auf die
Geburtenentwicklung hätte. Wir haben es hier also um eine
Rechtfertigungslehre der Befürworter von
Kapitaldeckungsverfahren zu tun, die mit den Profitinteressen
der Finanzdienstleistungsbranche übereinstimmen. Die
Alterssicherung soll nach dieser Ansicht so umgebaut werden,
dass die Leistungen entsprechend der Kinderzahl differenziert
werden. Es wird angenommen, dass dies zu einer Erhöhung der
Geburtenrate führt - Belege bleiben diese Autoren jedoch
schuldig.
BUJARD, Martin & Harun SULAK (2016): Mehr Kinderlose oder weniger
Kinderreiche?
Eine Dekomposition der
demografischen Treiber in unterschiedlichen Phasen des
Geburtenrückgangs in Deutschland,
in:
Kölner Zeitschrift für
Soziologe und Sozialpsychologie, Heft 3, September, S.487-514
"Die Ergebnisse zeigen,
dass der Rückgang der CTFR im zweiten Geburtenrückgang, also
der Kohorten 1933 bis 1968, zu 68,0 % auf den direkten
Effekt des Rückgangs von Geburten der dritten oder weiteren
Kinder zurückzu führen ist und nur zu 25,9 % auf den
direkten Effekt der Zunahme der Kinderlosigkeit. Der
Interaktionseffekt aus beidem beträgt 6,1 %, die Relation
zwischen Frauen mit einem und zwei Kind(ern) hat sich in
diesem Zeitraum quasi nicht verändert. Die in der Literatur
umstrittene Frage, welcher Treiber insgesamt größer ist,
lässt sich hiermit präzise beantworten. Selbst in
Deutschland, das eine der höchsten Anteile lebenslang
kinderloser Frauen weltweit aufweist, ist der Effekt des
Rückgangs der kinderreichen Frauen im Gesamtzeitraum
deutlich größer. Die Befunden widersprechen der These,
wonach die Kinderlosigkeit der zentrale Treiber des zweiten
Geburtenrückgangs ist",
fassen BUJARD & SULAK das
Ergebnis ihrer Untersuchung zum Geburtenrückgang bei den
Frauenjahrgänge 1933 bis 1968 in Deutschland zusammen. Das
Ergebnis erstaunt lediglich jene, die sich von der politischen
Debatte um eine Kultur der Kinderlosigkeit blenden ließen. Auf
dieser Website wurde immer wieder betont, dass der
Geburtenrückgang stärker durch den Rückgang der Kinderreichen
geprägt wurde als von der Kinderlosigkeit.
Die Verlogenheit der
Debatte Anfang des Jahrtausends wird sichtbar, wenn die
Autoren schreiben:
"Die Frage, inwieweit
Kinderlosigkeit oder die geringe Zahl an kinderreichen
Frauen zur niedrigen Geburtenrate in Low-Fertility-Ländern
beitragen, ist in der Literatur umstritten. Deutschland wir
im internationalen Vergleich eine hohe reale Kinderlosigkeit
(Kohler et al. 2002), aber auch eine hohe intendierte
Kinderlosigkeit (Sobotka und Testa 2008) attestiert.
Bezüglich des zweiten Geburtenrückgangs in Deutschland
betonen Autoren wie Bertram (2008) oder Schneider (2012) die
Rolle des Rückgangs von Kinderreichtum, während Birg (2003)
oder Rürup und Gruescu (2003) die hohe Kinderlosigkeit als
zentrale Ursache anführen. Diese Umstrittenheit ist auf den
ersten Blick überraschend, da sich die jeweiligen Anteile
auch damals schon in ihrer Tendenz berechnen ließen." (2016,
S.489f.)
Diese Beschreibung der
Debatte schmeichelt natürlich dem Arbeitgeber der Autoren, dem
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, denn sie lassen
einen Hauptprotagonisten der These, dass die Kinderlosigkeit
die Hauptursache sei, unter den Tisch fallen: Jürgen DORBRITZ.
Seit den 1990er Jahren hat DORBRITZ mit Vehemenz die
Kinderlosen an den Pranger gestellt. Zuerst durch den
Individualisierungsansatz und
Familiensektor-Theorie und nicht zuletzt mit der
Behauptung einer
Kultur der
Kinderlosigkeit. Zusammen mit Herwig BIRG dominierte
DORBRITZ diese Debatte um die Kinderlosen als
Hauptverantwortliche des Geburtenrückgangs in Deutschland.
BUJARD, Martin & Kai DRESCHMITT (2016): Szenarien der
Bevölkerungsentwicklung bis 2060.
Wie beeinflussen Migration und
Geburten Deutschlands Zukunft?
in:
Gesellschaft · Wirtschaft ·
Politik, Heft 3, September, S.333-345
BUJARD &
DRESCHMITT beschreiben anhand der
13.
koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung mögliche
Bevölkerungsentwicklungen bis 2040 bzw. 2060. Was die Autoren
als Basisvariante beschreiben, entspricht der Variante 2
(Kontinuität mit stärkerer Zuwanderung) des Statischen
Bundesamts. Davon ausgehend wird dann die Variante 4 (höhere
Lebenserwartung) und die Variante 6 (leichter Anstieg der
Geburtenrate) betrachtet. Die Variante 8 (leichter Anstieg der
Geburtenrate und höhere Lebenserwartung), die kürzlich der
wissenschaftliche Beirat für seine Berechnungen der
Bevölkerungsentwicklung ausgewählt hat, bleibt bei den Autoren
dagegen unberücksichtigt. Stattdessen wird nur die
Modellrechnung mit einem Wanderungssaldo 300.000 noch erwähnt.
Wie schnell sich die
Ansichten zur Bevölkerungsentwicklung ändern können, zeigt ein
Vergleich mit dem Aufsatz
Folgen der dauerhaft niedrigen Fertilität in Deutschland
von Martin BUJARD von Mitte 2015. Seine damaligen Ausführungen
basierten noch auf der 12. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnungen. Zum Einfluss der Geburtenrate
auf die Alterung schrieb der Autor von einem Jahr noch:
"Würde die TFR statt bei
rund 1,4 dauerhaft auf 1,6 ansteigen – was gegenwärtig etwa
zusätzliche 96.000 Geburten pro Jahr wären – würde sich der
Altenquotient bis 2060 nur von 67,4 auf 63,6 reduzieren. Ein
halbes Jahrhundert mit deutlich höherer Geburtenrate würde
den Altenquotienten also nur um 6 % reduzieren." (2015,
S.61)
Nun heißt es dagegen:
"Eine höhere Geburtenrate
(1,6 statt 1,4) würde den Altenquotienten um 2,2 Prozente
auf 51,3 reduzieren." (2016, S.336)
Wie kann es sein, dass sich
der Altenquotient erstens drastisch reduziert hat (von 67,4
auf 53,5 %) und gleichzeitig sich der Einfluss eines Anstiegs
der Geburtenrate um 0,2 um zwei Drittel reduziert?
Ein Teil der Erklärung
hängt damit zusammen, dass der Altenquotient 2015 anders
definiert wurde, nämlich damals wurde die Grenze des
Renteneintritts mit 65 Jahren und nun mit 67 Jahren berechnet
- obgleich die Rente mit 67 bereits seit etlichen Jahren gilt.
Zudem unterscheiden sich
durch die Wahl der jeweiligen Basisvariante der
Bevölkerungsvorausberechnung die Annahmen zu den Indikatoren.
Folgende Annahmen wurden getroffen:
DESTATIS (2016): 2 von 10 der 2015 geborenen Babys hatten eine
Mutter mit ausländischer Staatsangehörigkeit,
in:
Pressemitteilung des
Statistischen Bundesamts v. 21.09.
MICHLER, Inga
(2016): Geburten ausländischer Mütter erreichen Rekord.
Mehr Kinder mit
Migrationshintergrund stellen das Bildungssystem vor
Herausforderungen. Ifo-Experte fordert gut durchmischte Gruppen,
in:
Welt v. 22.09.
BIB (2016): Trendwende bei der Geburtenrate.
Grafik des Monats,
in:
Bundesinstitut für
Bevölkerungsforschung v. 23.09.
"Nach 35 Jahren des
Rückgangs ist die Geburtenrate in Deutschland zuletzt wieder
deutlich angestiegen. Das geht aus einer Studie des
Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) hervor, in
der Zahlen aus der amtlichen Bevölkerungsstatistik
hochgerechnet wurden. Die Berechnungen beziehen sich dabei
auf die Gesamtzahl der Kinder, die Frauen eines Jahrgangs in
ihrem Leben bekommen. Demnach wird sich die endgültige
Kinderzahl von Frauen, die 1973 geboren wurden, auf 1,56
erhöhen. Für die nachfolgenden Jahrgänge ist sogar mit einem
Anstieg auf knapp 1,60 zu rechnen. Dies wäre ein Zuwachs
gegenüber den Frauen des Geburtsjahrgangs 1968, die im
Schnitt nur 1,49 Kinder zur Welt gebracht haben und damit
den Tiefpunkt markieren",
heißt es in dem Text, der
sich auf einen Artikel von Martin BUJARD
& Harun SULAK bezieht.
MICHLER, Inga (2016): Historische Trendwende bei Geburten.
Frauen in Deutschland bekommen
mehr Kinder. Ein Grund ist der verstärkte Ausbau von Kitas,
in:
Welt v. 24.09.
Historische Trendwende bei Geburten? Das ist
keineswegs eine Neuigkeit wie uns Inga MICHLER weismachen möchte.
Schon seit etlichen Jahren ist diese Trendwende bei der
Kohortenfertilität der 1970er Jahre Geborenen bekannt.
Erstmalig wurde die Trendwende im Jahr 2003 nachgewiesen - also
lange vor der Einführung des Elterngeldes oder des Ausbaus der
Kinderbetreuung. Martin BUJARD vom BIB spricht schon länger von
einer Trendwende, im Gegensatz zum Statistischen Bundesamt, das sich
beharrlich weigert diesen Trend anzuerkennen, denn dann müsste die
Bevölkerungsvorausberechnung vom letzten Jahr korrigiert werden.
Diese wurde aber erst kürzlich von Olga
PÖTZSCH verteidigt. Bevölkerungsvorausberechnungen sollen politische
Maßnahmen rechtfertigen, so ihre Sicht. Eine Trendwende bei der
Geburtenrate wäre da nur störend. Zumal auch die neoliberale
Rentendebatte dramatische Entwicklungen benötigt, um weitere
Rentenkürzungen rechtfertigen zu können.
MICHLER, Inga
(2016): Mehr Kinder, mehr Chaos!
Kommentar,
in:
Welt v. 24.09.
BRACHAT-SCHWARZ, Werner (2016): Enorme Zuwanderung und überraschend
viele Geburten.
Zur Bevölkerungsentwicklung in
Baden-Württemberg im Jahr 2015,
in:
Statistisches Monatsheft
Baden-Württemberg, Heft 9
Werner BRACHAT-SCHWARZ
berichtet über die Bevölkerungsentwicklung in
Baden-Württemberg im Jahr 2015. Dabei wird vor allem die
Geburtenentwicklung hervorgehoben:
"Im Südwesten wurden im
vergangen Jahr rund 100.300 Kinder lebend geboren - immerhin
ca. 4.600 mehr als 2014. Damit übertraf die Zahl der
Lebendgeborenen zum ersten Mal seit 2001 wieder die Marke
von 100.000 und lag zum vierten Mal in Folge höher als im
jeweiligen Vorjahr."
Den Anstieg schreibt
BRACHAT-SCHWARZ drei Faktoren zu:
1) Zunahme der Frauen im gebärfähigen Alter durch Zuwanderung
aus dem Ausland.
2) Zunahme der potenziellen Mütter aufgrund der Kinder der
Babyboomer ("Echoeffekt") und
3) Leichter Anstieg der Geburtenrate.
Eine begründete Gewichtig dieser Faktoren bleibt
BRACHAT-SCHWARZ schuldig.
"Die Zahl der von
ausländischen Müttern geborenen Kindern stieg (...) um
immerhin knapp 2.900 auf rund 23.600 an. (...).
(D)ie Zahl der Lebendgeborenen von deutschen Frauen (hat
sich) um etwa 1.800 erhöht und lag im vergangenen Jahr bei
76.600"
erläutert uns der Autor.
Die Geburtenrate lag 2015 bei 1,51 Kindern pro Frau.
Ausländische Frauen kamen auf 1,79 Kinder pro Frauen, deutsche
Frauen immerhin auf 1,45.
NIEJAHR, Elisabeth (2016): "Uns fehlt das dritte Kind".
Der Bevölkerungsforscher Martin
Bujard erklärt, warum Vorurteile gegen Großfamilien Deutschland
zurückwerfen,
in:
Die ZEIT Nr.42 v. 06.10.
Martin
BUJARD, Politikwissenschafter am BundesInstitut für
Bevölkerungsforschung (BIB), vertritt nun eine neue Linie des
Instituts, das in den letzten 25 Jahren für eine
Bevölkerungsforschung stand, die in der angeblich extrem hohen
Kinderlosigkeit die Hauptursache des Geburtenrückgangs in
Deutschland sah. Dafür steht beim BIB der Name Jürgen DORBRITZ
und der nationalkonservative Bevölkerungsforscher Herwig BIRG,
der mit drastisch überhöhten Kinderlosenzahlen eine Politik
gegen Kinderlose statt für Eltern propagierte. Diese
Propaganda hat zum Kollateralschaden niedrig bleibender
Geburtenraten maßgeblich beigetragen.
Erst in jüngster Zeit erfindet sich nun das BIB neu, indem die
Hauptursache, nämlich der Rückgang der Kinderreichen, vermehrt
in den Blick genommen wird.
"Lange dachte man, das
deutsche Problem sei ein besonders großer Anteil kinderloser
Frauen. Aber das stimmt nicht. Wir
haben gerade in einer Studie den kompletten Geburtenrückgang
in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg genau analysiert.
Dabei zeigt sich, dass er zu 68 Prozent dadurch zu erklären
ist, dass größere Familien immer seltener werden. Kinderlose
sind nur für knapp 26 Prozent des Geburtenrückgangs
verantwortlich",
lügt uns BUJARD an.
Keineswegs war unbekannt, dass das Hauptproblem des
Geburtenrückgangs in Deutschland nicht die Kinderlosen waren.
Es wurde von Politik, Wissenschaft und Medien ganz gezielt
falsch dargestellt, um das Elterngeld als alternativlos
durchsetzen zu können. Diese Website und
single-generation.de beweist dies durch die Dokumentation
der Debatte um die Kinderlosigkeit. Die ZEIT und
insbesondere Susanne
GASCHKE gehört zu jenen, die diese
Falschdarstellung des Problems des Geburtenrückgangs
kräftig unterstützte. Insbesondere die
Kinderlosigkeit der Akademikerinnen wurde von ihr in den
Mittelpunkt gestellt. In dem 2006 erschienen Buch
Die
Single-Lüge ist nachzulesen, dass man bereits vor über
einem Jahrzehnt wissen konnte, was nun erst der Öffentlichkeit
als neue Erkenntnis verkauft werden soll.
Angeblich hätten wir es bei
Vorurteilen gegen Kinderreiche mit einer deutschen
Besonderheit zu tun. Sie werden als asozial angesehen.
Angesichts der Debatte um Wohlfahrtsmütter ("welfaremothers"),
die keine Besonderheit der Deutschen ist, sondern Stoßrichtung
neoliberaler Sozialstaatskritik ist, darf dieses Vorurteil als
prägend für alle neoliberale Staaten sein - eingeschlossen die
angeblich tollen Skandinavier. Der Aufstieg des
Nationalkonservatismus in ganz Europa zeigt dies deutlich. Das
positive Skandinavien-Bild ist meist noch vom längst
abgeschafften sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat geprägt.
Davon kann jedoch in neoliberalen Industrieländern keine Rede
mehr sein.
Fazit: Das Interview ist
mehr als verlogen und typisch für dieses Wohlfühlblatt der
oberen Mittelschicht. Man darf sicher sein, dass nun auch die
ZEIT die kinderreiche Familie propagiert. Für die
FAZ/FAS oder die Welt war das längst
selbstverständlich. Gemäß BUJARD bedarf der Kulturwandel eines
Imagewandels durch die Medien:
"Wenn Politiker sich zu
stark einmischen, kann das auch kontraproduktiv sein",
erklärt uns BUJARD. In
Sachen
Politik gegen Kinderlose und für die Mütterelite gab es
solche Zurückhaltung der Politiker nicht. Der
Kollateralschaden war entsprechend groß. Man darf also
gespannt sein, wie diese neue Großoffensive nun gestaltet
wird.
DESTATIS (2016): Geburtenziffer 2015: Erstmals seit 33 Jahren bei 1,50
Kindern je Frau,
in:
Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts v. 17.10.
Das Statistische Bundesamt, das dem Innenminister untersteht, spielt
Einheimische und Migrantenmütter gegeneinander aus. Dabei fällt ein
erstaunliches Ergebnis unter den Tisch: Ausgerechnet die
ostdeutschen Länder Sachsen (1,59), Thüringen (1,56),
Mecklenburg-Vorpommern (1,55) und Sachsen-Anhalt (1,54) haben
hohe Geburtenraten,
während Bayern (1,48) zu den Schlusslichtern gehört.
Wie passt das damit zusammen,
dass angeblich deutsche Frauen weniger Kinder als Ausländerinnen
bekommen? Die ostdeutschen Bundesländer sind nicht dafür bekannt,
dass es dort eine kräftige Zuwanderung gegeben hätte, während
Bayern, das sich seiner vielen Zuwanderer brüstet, zu den
Schlusslichtern gehört.
Fazit: Analysen, die die quer
liegenden Fakten ignorieren, malen ein falsches Bild von der
Geburtensituation in Deutschland. Man muss sich deshalb schon
fragen, ob diese Pressemitteilung nicht ausgesprochen
interessengeleitet ist und wichtige Aspekte unter den Teppich kehrt.
CREUTZBURG, Dietrich (2016): Einwanderer treiben Geburtenrate hoch.
Erstmals seit 1982 steigt die
Geburtenziffer auf 1,5 Kinder je Frau. Ist das die Wende in der
deutschen Bevölkerungsentwicklung? Grund zur Entwarnung gibt es nicht,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18.10.
"(E)in Vergleich verschiedener amtlicher Modellrechnungen bis 2060
(zeigt:)(...) Die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte bis dahin wird
selbst bei einer deutlich erhöhten Geburtenrate um mehrere Millionen
Personen sinken",
lügt uns
Dietrich CREUTZBURG an, denn er präsentiert uns lediglich zwei
Varianten einer einer einzigen Bevölkerungsvorausberechnung aus dem
letzten Jahr. Würde man stattdessen verschiedene
Bevölkerungsvorausberechnungen vergleichen, dann würden krasse
Fehleinschätzungen zur Bevölkerungsentwicklung offenbar werden.
Schließlich sollte Deutschland bereits seit 10 Jahren dauerhaft
schrumpfen.
Das große Schrumpfen prophezeite uns z.B. Cordula
TUTT noch im Jahr 2007.
CREUTZBURG wählt die Varianten 2
und 5, die sich durch einen niedrigen Anstieg der Lebenserwartung und
einen Zuwanderungssaldo von 200.000 auszeichnen. Lediglich bei den
Geburten wird eine konstante Geburtenrate von 1,4 angenommen - die
bereits seit 2012 überschritten wurde. Die angeblich "deutlich höhere
Geburtenrate" - das Statistische Bundesamt spricht dagegen bei dieser
Variante von "leichtem Anstieg" (2015, S.31) - zeichnet sich durch
folgende Annahmen aus:
"Bis zum Jahr 2028 erreicht die
zusammengefasste Geburtenziffer 1,6 Kinder je Frau bei gleichzeitigem
Anstieg des durchschnittlichen Gebäralters um ein Dreivierteljahr und
bleibt danach konstant. Die endgültige Kinderzahl entwickelt sich
anfangs ähnlich wie in der Basisannahme. Bei den späten 1980er
Jahrgängen nimmt sie allmählich zu auf gut 1,6 Kinder je Frau und
bleibt danach annähernd konstant. Bei dieser Hypothese wird
angenommen, dass die Kinderlosigkeit von derzeit 22 % auf 20 % sinken
und die Struktur der Mütter nach der Zahl der geborenen Kinder auf dem
Niveau der 1960er Kohorten mit durchschnittlich 2,0 Kindern je Mutter
bleiben wird."
Hinter der Geburtenrate von 1,6
stecken also zahlreiche Annahmen, die jede einzeln falsch sein kann.
Erst recht auf den langen Zeitraum bis 2060. CREUTZBURG tut dagegen
so, als ob es eine Art Naturgesetz sei, dass im Jahr 2040 nur 200.000
Personen in einer nicht näher bestimmten "Altersgruppe" gäbe.
Ganz davon abgesehen, geht
CREUTZBURG von der Annahme aus, dass auch 2060 noch genauso viele
Arbeitskräfte gebraucht würden wie heutzutage - was sich aufgrund von
Digitalisierung und Roboterisierung als Trugschluss erweisen könnte.
KNOP, Carsten (2016): Die Angst der Deutschen.
Kommentar,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18.10.
Carsten KNOP nimmt den Steilpass der
DESTATIS-Pressemeldung auf, und erklärt die Bevölkerungspolitik
für gescheitert:
"Wer jetzt aber jubelt, dass gerade
die staatlichen Maßnahmen rund um Elterngeld und bessere
Kinderbetreuungsmöglichkeiten die Bereitschaft gesteigert hätten, eine
Familie zu gründen, trifft damit die Wahrheit nur zu einem kleinen
Teil."
Dies ist natürlich hanebüchener
Unsinn, denn die Geburtenziffer bezieht sich keineswegs nur auf die
Familiengründung, sondern vor allem auf die Familienerweiterung. Die
niedrige Geburtenrate in Deutschland beruht jedoch vor allem auf dem
Fehlen kinderreicher Familien. Welchen Anteil das Elterngeld und die
Kinderbetreuung hat, das bedürfte einer genaueren Analyse, die jedoch
unterbleibt.
Der Versuch deutsche Mütter gegen
ausländische Mütter auszuspielen, ist allein schon deshalb
falsch, weil gerade in jenen Bundesländern,
in denen der Ausländeranteil am niedrigsten ist, die Geburtenrate am
höchsten ist.
DRIBBUSCH, Barbara (2016): Importierte Geburtshilfe.
Demografie: Die deutsche
Geburtenrate pro Frau ist auf dem höchsten Stand seit 30 Jahren. Das
liegt auch an Frauen aus Südosteuropa sowie Kriegs- und Krisenländern,
in: TAZ
v. 18.10.
Barbara DRIBBUSCH zitiert die Amtsstatistikerin Olga PÖTZSCH, die
nicht gerade für fortschrittliche Beurteilungen der
Geburtenentwicklung bekannt ist. Ihre Devise lautet: Zugegeben wird
nur, was sich nicht mehr verleugnen lässt. Mit dieser
Defensivstrategie wurde der Anstieg der Geburtenrate bei den in den
1970er Jahren geborenen Frauen immerhin 10 Jahre lang dementiert.
"»Bei Frauen mit deutscher
Staatsangehörigkeit war es im Jahr 2014 zu einem Anstieg der
Geburtenrate gekommen, der sich so im Jahre 2015 nicht weiter
fortgesetzt hat», berichtet Demografieexpertin Olga Pötzsch vom
Statistischen Bundesamt. Besonders bei den jungen Frauen im Alter
zwischen 25 bis 29 Jahren hatte die Geburtenhäufigkeit 2014 leicht
zugelegt. Doch dieser Trend hat sich nicht weiter fortgesetzt",
wird uns erklärt.
Dies zeigt jedoch nur, dass Spätgebärende in Deutschland weiterhin als
unerwünscht gelten, möglicherweise ein Grund, warum Kinderreiche, die
ja bekanntlich ihr letzten Kinder im höheren Alter bekommen, von
Amtsstatistikern immer noch nicht gebührend berücksichtigt werden.
Die zusammengesetzte Geburtenziffer
(TFR) ist jedoch keineswegs eine ausreichende Analysegrundlage,
sondern es fehlen noch Zahlen zur biologischen Rangfolge der Geburten
in Deutschland. Auch die Ergebnisse zur Entwicklung der
Kinderlosigkeit, die mit dem Mikrozensus 2016 erhoben werden, fehlen.
Erst wenn alle diese Daten vorliegen, ist eine genaue Analyse möglich.
DRIBBUSCH, Barbara (2016): Botschaft an das Schulwesen.
Kommentar zu den hohen
Geburtenraten der Geflüchteten,
in: TAZ
v. 18.10.
Barbara DRIBBUSCH fokussiert auf die hohen Zahlen von Geburten bei
Geflüchteten, während die SZ den Politikwissenschaftler Martin
BUJARD abwiegeln lässt:
"Die Frauen unter den knapp 900.000
Flüchtlingen, die im Vorjahr nach Deutschland kamen, können in den
Berechnungen aus Wiesbaden aber noch keine große Rolle spielen. »Sie
hätten schon bei ihrer Einreise schwanger sein müssen«, sagte
Forschungsdirektor Martin Bujard vom Bundesinstitut für
Bevölkerungsforschung dem Evangelischen Pressedienst."
WELT (2016): Weniger Mütter bekommen mehr Kinder.
Dank Zuwanderung: Geburtenziffer
erreicht erstmals seit 33 Jahren den Wert 1,5,
in:
Welt v. 18.10.
GERSEMANN, Olaf (2016): Kein Gedöns.
Kommentar,
in:
Welt v. 18.10.
Olaf GERSEMANN behauptet, das Elterngeld wäre unnötig, denn der damit
induzierte Bewusstseinwandel sei nun
vollzogen:
"Forscher beobachten, dass Kinder
gerade auch beim urbanen Akademikermilieu wieder fest zur
Lebensplanung gehören."
GERSEMANN fordert deshalb -
im Einklang mit lange zurückgehaltenen Erkenntnissen über die wahren
Gründe des Geburtenrückgangs - ein Kindergeld ab dem dritten Kind.
Die Welt gehörte zu denen Zeitungen, die eine Erhöhung des
Kindergelds mit Verweis auf die kinderreichen Sozialhilfemütter -
strikt ablehnte.
SCHIERMAYER, Matthias (2016): Ein kleiner Babyboom.
Geburten: Frauen in Deutschland
bringen mehr Kinder zur Welt,
in: Stuttgarter
Zeitung v. 18.10.
Matthias SCHIERMAYER grenzt die geburtenstarken Jahrgänge auf die
Kohorten 1981 - 1991 ein.
Dies ist insofern falsch, weil das Jahr 1984 neben 1978 einen
Tiefstpunkt markiert. In Westdeutschland wurden damals gerade
einmal 584.157 Kinder geboren.
Auch auf Gesamtdeutschland gesehen trifft das zu.
Die Sache ist also wesentlich komplexer, denn wer nur die "natürliche
Bevölkerungsbewegung" betrachtet, übersieht den Einfluss der
Zuwanderung. Der Einfluss des "Echoeffekts", den die Kinder der
Babyboomer verursachen, muss im Zusammenhang mit der Zuwanderung
gesehen werden, die das Reservoir der potenziellen Mütter erhöht.
ÖCHSNER, Thomas (2016): Adenauers Irrtum.
Der Kanzler war einest der festen
Meinung: Kinder kriegen die Leute immer - doch die Realität sah anders
aus. Nun ist zum ersten Mal seit 1982 die Geburtenziffer wieder auf
den Wert von 1,5 Kindern je Frau gestiegen. Doch der positive Trend
könnte bald wieder vorbei sein,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 18.10.
Thomas ÖCHSNER wiederholt die neoliberale ADENAUER-Phraseologie. Der Satz, der Adenauer
zugeschrieben wird - aber von keinem einzigen Historiker bislang
belegt wurde - wurde im Laufe des Aufstiegs der Neoliberalen erfunden.
Er gehört zu den neoliberalen Mythen wie das Amen zur Kirche. Bei
Winfried SCHMÄHL heißt es dazu:
"Meines Wissens gibt es bislang
keinen Beleg für den immer wieder von Wissenschaftlern wie Politikern
Adenauer in den Mund gelegten Ausspruch. So konnte auch der
Wissenschaftliche Dienst des Bundestages keine Quellenangabe finden.
Vielmehr ging er davon aus, dass die Aussage gar nicht von Adenauer
stamme, ihm aber zugeschrieben werde, so die schriftliche Mitteilungen
darüber an
Gregor Amann, MdB"
(Winfried Schmähl "»Bismarcks
Rentenversicherung« und der dadurch mitausgelöste Geburtenrückgang in
Deutschland - kritische Prüfung hierzu vorgelegter Begründungen"
in: Deutsche Rentenversicherung, Heft 2, 2016, Fn S.75)
ÖCHSNER erzählt uns ebenfalls
hanebüchenen Unsinn:
"Was den Kinderzuwachs ausgelöst
hat, ist noch nicht ganz klar: Es gibt jedoch einen sehr naheliegenden
Grund: Die Töchter der Babyboomer sind heute diejenigen, die Kinder
bekommen können. Es gibt einfach mehr Frauen im Alter zwischen 26 und
36. Deshalb könnte es schon 2020 mit dem positiven Trend vorbei sein".
Dies ist Blödsinn, weil hier die
Entwicklung der absoluten Geburtenzahlen mit der Entwicklung der
Geburtenrate vermischt wird. Beides ist klar zu unterscheiden: Die
Geburtenrate kann steigen, auch wenn die Zahl der absoluten Geburten
stagniert oder sogar zurück geht, denn die zusammengesetzte
Geburtenziffer hat mit der Anzahl der Mütter wenig zu tun. Auch wenige
Mütter können mehr Kinder bekommen.
In den Berichten zur
Geburtenentwicklung vermisst man generell einen Blick auf die
Kohortenfertilität (CFR), die
endgültige durchschnittliche Kinderzahl eines Frauenjahrgangs.
Gemäß Martin BUJARD markiert erst der Geburtsjahrgang 1968 den
Tiefstpunkt.
"Die Frage nach Zahl der Kinder,
die Frauen im Laufe ihres Lebens tatsächlich bekommen haben, kann für
Frauenjahrgänge beantwortet werden, die das Ende des gebärfähigen
Alters erreicht haben, das statistisch mit 49 Jahren angesetzt wird.
Im Jahr 2015 waren es die Frauen des Jahrgangs 1966. Ihre endgültige
durchschnittliche Kinderzahl betrug 1,53 Kinder je Frau",
meldete
gestern das Statistische
Bundesamt. Der Jahrgang 1965 lag dagegen bei 1,55 Kinder pro Frau.
"Es gibt zunehmend Frauen, die ihre
Kinder später zur Welt bringen. (...). Laut Statistischem Bundesamt
sind Mütter von Erstgeborenen Mittlerweile im Durchschnitt bereits 29
Jahre und sieben Monate alt",
berichtet uns ÖCHSNER. Es ist noch
nicht lange her, da wurde lediglich das Erstgebäralter von Frauen in
bestehenden Ehen richtig erfasst. Erstmals im Herbst 2006 wurden
Zahlen zum Erstgebäralter aller Frauen erhoben, die
im Dezember 2012 veröffentlicht wurden.
SCHROEDER, Vera (2016): Die Kinderlein kommen.
Kommentar zur Geburtenrate: Ist es
das Elterngeld? Sind es die Zuwanderer?
in: Süddeutsche
Zeitung v. 18.10.
Vera SCHROEDER erzählt uns den
komplementären neoliberalen Mythos zur ADENAUER-Praseologie:
"Sobald Menschen eine
Altersvorsorge haben, brauche sie nicht mehr so viele Kinder.
Türkische Frauen haben in Deutschland 2015 erneut weniger Kinder
bekommen als in den Jahren zuvor. Und bevor deutsche Frauen in ein
Rentensystem einzahlen konnte, war die Geburtenrate aus heutiger
Perspektive ebenfalls extrem hoch",
phantasiert SCHROEDER. Diese
neoliberale Mär wurde von Verfechtern der Kapitaldeckung erfunden und
ist gegen die gesetzliche Rentenversicherung, die auf dem
Umlageverfahren basiert, gerichtet. Das ehemalige
Sozialbeiratsmitglied Winfried SCHMÄHL hat erst kürzlich diesen Mythos
entkräftet.
SCHROEDER verkündet uns einen
Bewussteinswandel bei den 30-Jährigen, wobei wohl nur das
Akademikermilieu gemeint ist, denn der Rest der Gesellschaft
interessiert unsere Elite sowieso nicht:
"Mit dem Argument, keine Kinder zu
wollen, weil das individuelle Freiheiten einschränken könnte, dürfte
man heute bei einer Abendessenseinladung von um die 30-Jährigen
zumindest einen mittleren Shitstorm auslösen."
THEILE, Merlind (2016): In diese Welt ein Kind
setzen? Oh ja!
Die Geburtenrate in der
Bundesrepublik ist so hoch wie seit über 30 Jahren nicht mehr. Das
spricht für einen Mentalitätswandel der Deutschen - und für ihre
Zuversicht,
in:
Die ZEIT Nr.44 v. 20.10.
Merlind THEILE übt sich im Spagat zwischen
"langfristig nach unten zeigender Geburtenkurve" und
Mentalitätswandel bei der oberen Mittelschicht:
"Standen Frauen bis in die
neunziger Jahre hinein noch häufig vor der Wahl, sich zwischen Beruf
und Elternschaft entscheiden zu müssen, ist die Kombination von
beidem heute immer selbstverständlicher."
Bei Susanne GASCHKE klang das
noch Mitte der Nuller Jahre ganz anders: Akademikerinnen drohten zu
50 Prozent kinderlos zu bleiben. Der Pessimismus dauerte bis zur
Durchsetzung des Elterngelds. Danach folgte die 180-Grad-Kehrtwende:
Optimismus ist seitdem Pflicht! Das Wohlfühlmilieu ist nun mit sich
zufrieden!
BOLLMANN, Ralph (2016):
Warum Kinder wieder Mode sind.
In Deutschland werden wieder mehr
Kinder geboren. Einwanderer tragen dazu viel bei - vor allem die aus
Osteuropa,
in:
Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung v. 23.10.
In der
Stadtzeitung erklärt uns Ralph BOLLMANN, dass Kinder in erster
Linie in den Städten geboren werden, er beruft sich dabei auf
seine subjektive Empirie (und das, obwohl doch Anfang des
Jahrtausends Journalisten viele Zeitungsspalten nur damit
füllten, uns deutlich zu machen, dass uns unser Gefühl trügt!)
BOLLMANN beruft sich zudem auf MPlDR-Forscher, um uns
deutlich zu machen, dass der Trend auch in Zukunft weiter
anhält:
"Die Wissenschaftler vom
Rostocker Max-Planck-Institut für demographische Forschung
glauben (...), dass die Geburtenrate in Wahrheit viel
schneller steigt - und dass diese Entwicklung auf absehbare
Zeit anhalten wird. Nach ihren Prognosen werden die Frauen
des Geburtsjahrgangs 1979, die heute 37 Jahre alt sind, am
Ende sogar durchschnittlich 1,57 Kinder zur Welt gebracht
haben."
Dass diese Prognose auf
Daten beruht, die
bereits 4 Jahre alt sind, das verrät uns BOLLMANN dagegen
nicht.
Ein vernichtendes Urteil fällt BOLLMANN implizit über Frank
SCHIRRMACHERs apokalyptisches
Minimum-Pamphlet. Darin klagte der Oberjammerer, dass
Deutschland sich aufgrund der zusammengefassten Geburtenziffer
in einer Abwärtsspirale befände. Diese
»Low Fertility Trap Hypothese« stellt nun BOLLMANN auf den
Kopf:
"Einiges spricht dafür
dass der jüngste Kinderboom sich selbst verstärkt. Mehr
Nachwuchs im Freundeskreis animiert dazu, auch selbst über
eine Familiengründung nachzudenken."
Bei diesen naiven
Vorstellungen zur Geburtenentwicklung ergibt sich das zentrale
Problem, dass sich Trendwenden nicht erklären lassen.
Selbstverstärkungsprozesse wie sie SCHIRRMACHER oder BOLLMANN
propagieren, laufen immer nur in eine Richtung.
Es kommt hinzu, dass sich
diese Vorstellungen an der zusammengefassten Geburtenziffer
festmachen - ein Indikator, der untauglich ist, um
Geburtenentwicklungen zu erklären. Wir haben es hier nicht mit
wissenschaftlichen Erklärungen, sondern mit Populismus zu tun.
Im Gegensatz zur zusammengefassten Geburtenziffer (TFR) weist
die endgültige Kinderzahl (CFR) immer noch nach unten.
Lediglich Prognosen gehen von einer Trendwende aus. Diese
Prognosen sind jedoch nur dann richtig, wenn das
Erstgeburtsalter seine Richtung beibehält. Ändert sich dieser
so genannte Tempoeffekt, dann sind auch die Prognosen
unzutreffend. Erst in drei Jahren wird sich zeigen, ob die
prognostizierte Trendwende tatsächlich erfolgt ist, denn dann
wird die endgültige Kinderzahl des Frauenjahrgangs 1969
feststehen. Diese müsste dann höher ausfallen als jene des
Frauenjahrgangs 1968: das Minimum.
FRITZEN, Florentine (2016): Der Mini-Baby-Boom,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 06.11.
Nach Ralph
BOLLMANN darf nun auch Florentine FRITZEN ihre Meinung zur
Entwicklung der Geburtenrate kundtun. Angeblich orientieren sich
Menschen an Vorbildern, weshalb es Jahre dauert, bis die
Familienpolitik wirkt. Dadurch will sie erklären, dass Elterngeld und
Kita-Ausbau erst jetzt zu einem Anstieg der Geburtenrate (TFR) führt.
Belege dafür muss sie schuldig bleiben, weshalb sie auf subjektive
Alltagserfahrungen ausweicht.
"(I)n Städten, in denen der
Betreuungsplatz für das vierte Kind kostenlos ist und Familien auch
sonst viel geboten wird: Da werden tatsächlich mehr vierte Kinder
geboren",
erzählt uns FRITZEN. Leider
vergisst sie uns zu verraten wie diese Städte heißen. Als nicht mehr
ganz so junge Konservative kritisiert sie den Arbeitszwang von Eltern:
"Wenn eine Mutter von 40 Prozent
auf 80 aufstockt, der Vate3r aber nur von 100 auf 90 reduziert,
arbeiten die beiden künftig also 170 Prozent statt vorher 140. Eine
aktuelle Studie des Allensbach-Insituts und der Prognos AG geht davon
aus, dass Väter im Jahr 2030 zweieinhalb Wochenstunden weniger
arbeiten werden - und Mütter sechs Stunden mehr. Zwei Drittel der
Deutschen befürchten demanch, dass Eltern dann noch mehr unter Druck
stehen."
STICHT, Christina (2016): Kinderkriegen wird zum
Problem.
Seit 1991 schlossen 40 Prozent
der Kreißsäle - die Geburtenrate sank nur um zwölf Prozent,
in:
Neues Deutschland v.
25.11.
BIRG, Herwig (2016): Die Gretchenfrage der deutschen
Demographiepolitik: Erneuerung der Gesellschaft durch Geburten im
Inland oder durch Zuwanderungen aus dem Ausland,
in:
Zeitschrift für Staats- und
Europawissenschaften, Heft 3, S.351-377
Mit
seiner nationalkonservativen Interpretation der
Bevölkerungsentwicklung in Deutschland hat Herwig BIRG Anfang
des Jahrtausends die Demografisierung gesellschaftlicher
Probleme befeuert und damit den Grundstein für die Erfolge des
Rechtspopulismus in Deutschland gelegt. Der Beifall des
Neoliberalismus war ihm gewiss, denn Nationalkonservatismus
und Neoliberalismus sind sich einig in ihrem Feindbild
Sozialstaat.
Herwig BIRG präsentiert uns
immer noch die verstaubten und längst empirisch widerlegten
Behauptungen, dass vor allem zeitlebens Kinderlose am
Geburtenrückgang Schuld seien. Dies ist falsch. Mit überhöhten
Zahlen zur Kinderlosigkeit aus einem Gutachten von BIRG
rechtfertigte das Bundesverfassungsgericht 2001 die
Benachteiligung von Kinderlosen bei der Pflegeversicherung.
Obwohl diese nachweislich falsch waren, gab es keine Korrektur
dieses Fehlurteils, stattdessen pöbelt der alterstarrsinnige
BIRG weiter mit veralteten Daten gegen Kinderlose. Angeblich
gebe es
"mathematische Beweise,
dass die Summe der wirtschaftlichen Belastungen der
mittleren Generation durch ihre noch nicht erwerbstätigen
Kinder sowie ihre nicht mehr erwerbstätigen Eltern genau
dann am niedrigsten ist, wenn jede Frau im Durchschnitt zwei
Kinder zur Welt bringt."
Diese mathematischen
Bewiese bleibt uns BIRG jedoch schuldig. Sie wären auch kaum
zu erbringen. Die zitierte Literatur, in denen diese
angeblichen Beweise erbracht seien, verweisen immer nur auf
BIRG selber und auf keinen einzigen anderen anerkannten
Fachmann. Zumindest ausländische Demographen müsste BIRG
aufführen können, wenn seine Beweise auch aussagekräftig
wären. Folglich steht BIRG mit seiner Meinung allein auf
weiter Flur.
Um seine hanebüchenen
Interpretationen zu immunisieren, greift BIRG gerne auf
veraltete Daten zurück, wenn ihm neuere Daten nicht genehm
sind. So geht er zwar auf die Geburtenrate des Jahres 2014
(1,47) ein, weigert sich jedoch die Zahlen für 2015 zu nennen,
sondern wechselt die Kategorie von deutscher Bevölkerung zu
deutschen Frauen, weil ihm die 1,5 Geburten pro Frau
angesichts seines völkischen Bevölkerungskonzepts missfallen.
Weil die empirisch ermittelte Kinderlosigkeit seinen
Schätzungen widerspricht, arbeitet BIRG mit statistischen
Tricks, um den Anschein zu erwecken, dass er richtig läge. So
schreibt er von:
"zeitlebens kinderlos
bleibenden Frauen(:)(...). ein Viertel (Gesamtdeutschland)
bis ein Drittel (alte Bundesländer) beim Jahrgang 1970."
(2016, S.359)
Bei der Quellenangabe
dieser Zahlen verschweigt BIRG das Erhebungsjahr. Dazu hätte
er keinen Grund, wenn es den aktuellsten Zahlen aus dem Jahr
2012 entstammen würde. Die Grafik weist jedoch nur 30 % aus
und nicht 33 % für den westdeutschen Jahrgang 1970. An anderer
Stelle heißt es dann:
"Der Prozentsatz der
Kinderlosen an einem Jahrgang erhöhte sich (...) bis zum
Jahrgang 1970 auf den internationalen Spitzenwert von 30 %"
(2016, S.372)
Dass hier nur
westdeutsche Akademikerinnen, aber nicht Gesamtdeutschland
gemeint ist, wird hier zudem verschleiert. Nicht zuletzt
widersprechen die Angaben zur Kinderlosigkeit der Tabelle I
(S.362). Dort wird der Anteil der 1968-1972 geborenen
Kinderlosen in Deutschland mit nur 22,4 Prozent angegeben.
Diese Versuche der Vertuschung sind mehr als peinlich, denn
offenbar hat BIRG dabei den Überblick verloren, denn sonst
würden sich seine Angaben in diesem Text nicht ständig
widersprechen.
Fazit: Weil die lebenslange
Kinderlosigkeit bei den nach 1965 geborenen Frauen nicht bei
einem Drittel liegt,
sondern bei rund einem Fünftel, arbeitet BIRG mit
Darstellungstricks um seine Fehleinschätzung von Anfang des
Jahrtausends weniger dramatisch erscheinen zu lassen als sie
tatsächlich ist. Inzwischen ist jedoch nachgewiesen, dass die
Politik gegen Kinderlose fatale Wirkungen hatte, indem sie
auch Frauen, die sich mehr als zwei Kinder wünschten,
abgeschreckt hat. Erst langsam versucht nun das Bundesinstitut
für Bevölkerungswissenschaft diese Fehleinschätzung zu
korrigieren:
"Für eine zukünftige
leichte Erhöhung der TFR spricht (...) die Entwicklung der
Kohortenfertilität (die endgültige Kinderzahl pro
Frauenjahrgang), bei der die
Trendwende inzwischen relativ deutlich absehbar ist.
(...). Auch die Reformen der Familienpolitik könnten zu
einer Reduzierung von Kinderlosigkeit und einem leichten
Anstieg der Geburtenrate beitragen. Allerdings wäre für
einen Anstieg deutlich über 1,6 auch eine
Zunahme kinderreicher Frauen notwendig, da ihr Rückgang der
stärkste Treiber des Geburtenrückgangs war".
(Martin
Bujard & Kai Dreschmitt
"Szenarien der Bevölkerungsentwicklung bis 2060" in:
Gesellschaft · Wirtschaft · Politik, Heft 3, S.340)
Den Schaden, den der
nationalkonservative Bevölkerungswissenschaftler Herwig BIRG
durch seine Polemiken und einseitige Interpretationen seit den
1990er Jahren angerichtet hat, lässt sich nicht so schnell
korrigieren. Der Artikel zeigt zudem, dass BIRG weiterhin
seine eigenen Fehleinschätzungen vertuschen versucht.
Wir haben es in erster
Linie mit einem fatalen Versagen der nationalkonservativen
Bevölkerungsforschung in Deutschland zu tun, dessen
Hauptakteur Herwig BIRG weiterhin uneinsichtig ist. Das
Politikversagen liegt darin begründet, dass die Politik eine
rechtzeitige wissenschaftliche Erforschung der tatsächlichen
Auswirkungen der Kinderlosigkeit boykottiert und stattdessen
mithilfe von genehmen Spekulationen eine Politik unter
falschen Voraussetzungen betrieben hat.