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Thema des Winters

 
       
   

Die Kinderlosigkeit der Akademikerinnen in Deutschland (Teil 2)

 
       
   

Ist die Talsohle bei den Akademikerinnen erreicht? - Eine Kritik der Debatte um die Geburtenentwicklung anhand neuer Erkenntnisse

 
       
     
       
   
     
 

Die zunehmende Relevanz der Akademikerinnen für die Geburtenentwicklung in Deutschland

Die zunehmende Kinderlosigkeit von Akademikerinnen ist erst in den 1990er Jahren in den Fokus der bevölkerungspolitischen Debatte gerückt. Erfolgreich, einsam, kinderlos hieß dann im Jahr 2005 der Untertitel des Bestsellers Die Emanzipationsfalle über die nicht mehr ganz so jungen Akademikerinnen Mitte 30 bis 40, in dem die Situation folgendermaßen beschrieben wird.

Die Emanzipationsfalle

"En Drittel der 1965 Geborenen ist heute kinderlos, und fast zwei Drittel der Akademikerinnen bis 35 Jahre haben noch keinen Nachwuchs." (2005, S.10)

"Das Hochschulstudium beenden Absolventinnen bei uns mit durchschnittlich 28,5 Jahren. Das Durchschnittsalter für das erste Kind liegt heute rund fünf Jahre höher als 1960, nämlich bei knapp dreißig Jahren. Die Akademikerinnen dürften das ihre zu dem hohen Altersdurchschnitt beitragen: Bei ihnen verschiebt sich die Familiengründung gut und gerne noch einmal um fünf Jahre nach hinten, verglichen mit den mittleren und niedrigen Bildungsgruppen..
Das muss überhaupt kein Problem sein - wenn am Ende alles (...) wunschgemäß verläuft". (2005, S.70)

"Mit Mitte dreißig fällt die Fruchtbarkeitskurve steil ab, danach ist es Glückssache, ob eine Frau noch schwanger wird oder nicht. Rund ein Drittel der Paare, die sich erst in diesem Alter finden, bleiben daher ungewollt kinderlos." (2005, S.71)

"Bis zu ihrem fünfunddreißigsten Lebensjahr bleiben laut Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes inzwischen zweiundsechzig Prozent der Hochschulabsolventinnen kinderlos. Auch wenn es bei ihnen einen deutlichen Trend zur »späten Mutterschaft« mit Mitte, Ende dreißig gibt: Wie viele von ihnen werden bis Anfang vierzig wirklich noch Kinder bekommen? Zehn Prozent? zwanzig? Demografen gehen für die Zukunft davon aus, dass etwa die Hälfte aller Akademikerinnen für immer kinderlos bleiben werden." [mehr]
(2005, S.72)

Wie weiter oben beschrieben, werden selbst in Westdeutschland die 1965 geborenen Akademikerinnen nur zu ca. 30 % kinderlos bleiben, statt zu 40 oder gar 50 %. Erst der Mikrozensus 2012 wird darüber aber genauer Aufschluss geben. Die zunehmende Relevanz der Akademikerinnen für die Geburtenrate ergibt sich jedoch weniger aus dem Anteil der Kinderlosen, der sogar gefallen sein könnte, sondern aus der enormen Zunahme der Akademikerinnen. Hans BERTRAM schreibt, dass der Anteil der Akademikerinnen im Zeitraum von 1971 bis Mitte der nuller Jahre von 3 auf 30 Prozent gestiegen sei.    

Starke Familie

"Überraschend ist eher, daß heute der Anteil der Frauen, die kinderlos sind und über einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluß verfügen, um etwa sieben Prozent unter der Zahl von 1971 liegt. Die Kinderlosigkeit der Akademikerinnen fiel damals nicht auf, weil bei fünf bis sechs Prozent Akademikern insgesamt und etwa zwei bis drei Prozent Akademikerinnen dies nicht ins Gewicht fiel, wohingegen das heute bei 30 Prozent sehr wohl zu einem Thema geworden ist."
(2005, S.49)

Die Bestimmung des Anteil der Akademikerinnen an allen gebärfähigen Frauen ist mit Problemen behaftet. So kommt z.B. das Statistische Bundesamt zum Ergebnis, dass im Jahr 2003 nur 15 % der 25-44jährigen Frauen einen akademischen Abschluss hatten (DESTATIS 06.06.2006, S.9). Da von 25-35jährigen Frauen noch etliche einen akademischen Abschluss erreichen werden, unterschätzen diese Zahlen die Relevanz der Akademikerinnen für die Geburtenentwicklung.  

Genaueres lässt sich dem Bildungsbericht Bildung in Deutschland 2012 entnehmen. Während der Anteil der Absolventinnen von Fachhochschulen bzw. Hochschulen an der gleichaltrigen Bevölkerung im Jahr 2000 noch 16,2 % betrug, lag er 2005 bei 21,6 % und 2010 bereits bei 31,5 %. Aufgrund von "Turbo-Abitur" und Änderungen im Hochschulbereich (Bachelor/Master statt Magister/Diplom) ergeben sich in Zukunft weitere Zuwächse in diesem Bereich. Seit 2004 ist der Anteil der weiblichen Akademikerinnen sogar höher als der Anteil der männlichen Akademiker an der gleichaltrigen Bevölkerung. Was seit einigen Jahren in den Medien als das Problem von älteren Karrierefrauen, die keinen Mann abbekommen, problematisiert wird, das könnte sich eher als Schicksal der jungen Akademikerinnen entpuppen, die keinen Partner zum Kinderkriegen finden - sofern sich ihr Partnerwahlverhalten nicht ändert. Neben der Vereinbarkeit von Beruf und Familie rückt  deshalb in der Forschung immer öfter das Partnerwahlverhalten und die Partnerlosigkeit als Ursache der Kinderlosigkeit in den Mittelpunkt.     

Wer ist eine westdeutsche bzw. ostdeutsche Akademikerin?

Erst Mitte der nuller Jahre richtete sich das Augenmerk verstärkt auf die Unterschiede zwischen west- und ostdeutschen Akademikerinnen. Typischerweise werden in der Bevölkerungswissenschaft bei der Betrachtung des Gebärverhaltens nicht ostdeutsche Akademikerinnen im Sinne der Herkunft betrachtet, sondern lediglich Frauen, die in den neuen Bundesländern leben. In dem Buch Die Wendegeneration von Karl Ulrich MAYER & Eva SCHULZE wird dagegen anhand von Daten der Deutschen Lebensverlaufsstudie aus dem Jahr 2005 der west- und ostdeutsche Jahrgang 1971 betrachtet. Im Jahr 2005 wurden die 1971 Geborenen 34 Jahre alt, d.h. die Spätgebärenden des Jahrgangs 1971  werden bei MAYER & SCHULZE nicht berücksichtigt. Die Situation der Akademikerinnen wird lediglich anhand von Fallstudien dargestellt. Die soziodemographischen Daten beschränken sind dagegen auf die Gesamtheit des Jahrgangs, da insbesondere für Ostdeutschland die Stichprobe zu klein ist, ein Manko das auf die meisten der sozialwissenschaftlichen Längsschnittsuntersuchungen zutrifft. Die Autoren geben einen Überblick über die Größenveränderungen und die Wanderungsbewegungen des Jahrgangs von der Geburt bis 2005:  

Die Wendegeneration

"Insbesondere für die Wendegeneration haben Zu- und Abwanderungen eine sehr große Rolle gespielt. (...). Bis 1988 wachsen die Westdeutschen des Jahrgangs 1971 um etwa 22.000 auf 802.000, vor allem durch Zuwanderungen der Kinder von Arbeitsmigranten und Aussiedlern (...). Nach der Wiedervereinigung kommen weitere 156.000 '71er nach Westdeutschland, ganz überwiegend Ostdeutsche. Trotz des dramatischen Geburtenrückgangs erreichte der westdeutsche Jahrgang 1971 also fast Babyboom-Stärke.
Dagegen schrumpft der ostdeutsche Jahrgang 1971 von 1990 bis 2004 netto um 27.000 auf 196.000, also um fast 16 Prozent. Rechnet man die Zuwanderer ab, kann man davon ausgehen, dass etwa ein Fünftel der ostdeutschen Wendegeneration in den Westen abgewandert ist."
(2009, S.27f.)

Die Veränderungen des Alters bei der Erstgeburt beschreiben MAYER & SCHULZE folgendermaßen

Die Wendegeneration

"Das Alter der Erstgeburt stieg seit dem Jahrgang 1940 von 24 auf 31 Jahre, wiederum mit einem merklich stärken Aufschub für den Jahrgang 1971. Im Gegensatz zu diesen sich verstärkenden Trends im Westen markiert die Wendegeneration im Osten einen enormen Bruch gegenüber früheren Generationen. Während die vorangehenden Jahrgänge im Osten immer früher eine Familie gründeten, verhalten sie sich nun genau umgekehrt und schieben Heirat und Elternschaft gleich um etliche Jahre hinaus. Ostdeutsche Frauen der Jahrgänge 1940 bis 1960 heirateten im Mittel (Median) jünger als 22, die des Jahrgangs 1971 dagegen erst mit fast 33 Jahren (...). Das Alter bei der ersten Geburt fiel über mehrere Jahrzehnte bis auf 22 Jahre für die 1960 Geborenen und stieg dann massiv um sechs Jahre auf 28 Jahre".
(2009, S.181f.)

Die Wende hatte einen Einfluss auf das Gebärverhalten in Ostdeutschland, das sich  drastisch auf die zusammengefasste Geburtenziffer auswirkte und dadurch Raum für Fehlinterpretationen bot. Die von MAYER & SCHULZE beschriebene Zweigipfeligkeit der Geburtenverteilung verweist auf die Bildungsunterschiede, wobei es sich die Daten jedoch auf das Gebiet und nicht auf die Herkunft beziehen.

Die Wendegeneration

"Obwohl Ostfrauen und Westfrauen nach der Wiedervereinigung formal unter den gleichen institutionellen Rahmenbedingungen, zum Beispiel der Familienpolitik, lebten, unterschieden sich die Kontexte der Familienbildung nach wie vor erheblich. Günstig für die Ostfrauen war zudem, dass trotz rascher Einschränkungen die Kinderbetreuungsangebote deutlich besser blieben als im Westen. (...). Die altersspezifische Geburtenrate unserer Kohorte stieg bis 1991 an, also etwa bis zum Alter von 20 Jahren, fiel dann bis zum Alter von 23 und stieg dann wieder. Daraus resultierte eine außergewöhnliche zweigipflige Verteilung der alterspezifischen Geburtenrate, mit Spitzen im Alter von 20 und von etwa 28 Jahren"
(2009, S.183f.)

1995 sehen Charlotte HÖHN & Jürgen DORBRITZ die ostdeutschen Geburtsjahrgänge zwischen 1968 und 1975 besonders von der Wende betroffen. Sie beschreiben in ihrem Sammelband-Beitrag Zwischen Individualisierung und Institutionalisierung - Familiendemographische Trends im vereinten Deutschland 3 Szenarien, wie diese Jahrgänge mit der Wende umgehen könnten. Für die nach 1975 geborenen Frauen gehen HÖHN & DORBRITZ von einer unproblematischen Anpassung an die westdeutschen Verhältnisse aus.

Zwischen Individualisierung und Institutionalisierung - Familiendemographische Trends im vereinten Deutschland

"Die jüngeren Generationen, die etwa zwischen 1968 und 1975 geboren wurden, sind durch das Ende der DDR mitten in ihrer Ausbildungs-, Berufs- und Familienbildungsphase überrascht worden (...). Das sind im wesentlichen die Geburtsjahrgänge, die auf die soziale Transformation mit einem Nichteintritt bzw. einem Abbruch der Geburten- und Heiratsbiographien reagiert haben. (...).
In welchem Maße es in diesen Altersgruppen zu einer Pluralisierung und Individualisierung der Lebensformen kommt, kann noch nicht beurteilt werden (...). Drei Szenarien sind denkbar:
- Die soziale Krisensituation in den neuen Bundesländern bleibt über einen längeren Zeitraum bestehen. Dann ist weder ein Einleben in die Gesellschaft der früheren Bundesrepublik (...), noch ein Leben der DDR-Muster zu erwarten. Für die Entwicklung der Lebensformen bedeutet das eine Pluralisierung (...).
- Setzt eine relativ schnelle Konsolidierung der Verhältnisse ein, könnte versucht werden, zunächst die DDR-Muster weiter zu leben. Eine Pluralisierung der Lebensformen würde dann erst über mögliche Ehescheidungen einsetzen.
- Unabhängig davon, wie die soziale Entwicklung verläuft, könnte (...) auch eine schnelle Annäherung an die im Westen bestehende Biographiemusterstruktur einsetzen. Diese Variante gilt aber nur für
»Erfolgreiche«.
(1995, S.172f.)

Sowohl für West- als auch Ostdeutschland gehen HÖHN & DORBRITZ von einer Dominanz von Ehe- und Familienorientierung aus. Ein gravierender Fehlschluss (siehe auch weiter oben), den Dirk KONIETZKA & Michaela KREYENFELD in ihrem Sammelband-Artikel Zwischen soziologischen Makrotheorien und demographischen Vorausberechnungen aus dem Jahr 2009 beispielhaft für die Möglichkeiten und Grenzen der Vorhersage von Geburtenentwicklungen beschreiben:

Zwischen soziologischen Makrotheorien und demographischen Vorausberechnungen

"Das Beispiel (...) ist gerade deshalb interessant, weil zu Beginn der 1990er Jahre in der Forschung relativ präzise Erwartungen über die weitere Entwicklung dieses Phänomens formuliert wurden. Die entsprechenden Thesen lassen sich rückblickend gut überprüfen.
Ausgangspunkt der Betrachtungen war zunächst die Tatsache, dass der Anteil nichtehelicher Geburten in der DDR vor allem in den 1970er Jahren stark gestiegen war und 1989 einen Höchststand von 33 Prozent erreicht hatte (...). Dieser Anstieg wurde primär durch bestimmte sozialpolitische Anreizfaktoren erklärt. (...). Durch die deutsche Einheit im Oktober 1990 änderten sich jedoch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nichtehelicher Mutterschaft in Ostdeutschland grundlegend. Die Regelungen (...) erhöhten nunmehr die Anreize zu heiraten deutlich. Aufgrund des Wegfalls der besonderen sozial- und familienpolitischen Anreize und der zugleich stärkeren ökonomischen Gefährdung nicht verheirateter Mütter nach 1990 (...) wurde erwartet, dass in Ostdeutschland wieder eine
»engere Verbindung von Ehe und generativem Verhalten« (Höhn/Dorbritz 1995:171) eintreten und die Anteile nichtehelicher Geburten an allen Geburten entsprechend sinken würden. Lediglich ein vorübergehendes Festhalten an den alten Verhaltensmustern in einem Kontext normativer Desorientierung oder in Sinne eines »cultural lag« wurde für möglich gehalten (...).
Jene Prognosen, die einen Rückgang des Niveaus nichtehelicher Geburten vorhersagten, haben sich bekanntermaßen als spektakulär unrichtig erwiesen. Der Anteil nichtehelicher Geburten ist in den neuen Bundesländern in den 1990er Jahren immer weiter gestiegen. Im Jahr 1999 waren 50 Prozent und im Jahr 2005 59 Prozent aller Geburten nichtehelich (...). Aber auch in Westdeutschland ist der Anteil nichtehelich geborener Kinder im Verlauf der 1990er Jahre kontinuierlich gestiegen. Er lag im Jahr 2005 bei 23 Prozent. Die Dynamik der nichtehelichen Geburten ist also in Deutschland nach 1990 genau in die entgegengesetzte Richtung erfolgt. Die Entwicklung der nichtehelichen Geburten ist damit ein illustratives Beispiel für die Probleme, sozialen Wandel im Bereich von Fertilität, Partnerschaft und Lebensformen zu antizipieren - selbst für vergleichsweise eng abgesteckte Gegenstandsbereiche und -zeiträume."
(aus: Zukunft der Familie Sonderheft 6 Zeitschrift für Familienforschung 2009, S.62)

Wenn man den Fokus auf die Herkunft legt, dann lassen sich für ostdeutsche Frauen bzw. Akademikerinnen drei Typen unterscheiden:

1) Ostdeutsche Frauen, die im Osten geblieben sind
2) ostdeutsche Frauen, die dauerhaft in den Westen abgewandert sind und
3) ostdeutsche Frauen, die zeitweise in den Westen gegangen sind.

MAYER & SCHULZE haben für den Frauenjahrgang 1971 hervorgehoben, dass es bei den ostdeutschen Frauen, die dauerhaft im Westen leben zur Überanpassung an das westdeutsche Erstgeburtsalter gekommen ist, während sich die dagebliebenen bzw. zurückgekehrten ostdeutschen Frauen durch ein niedrigeres Erstgeburtsalter auszeichnen.   

Die Wendegeneration

"Hinausschieben des Kinderwunsches ist bei hochqualifizierten Westfrauen die Regel. Ostfrauen, die im Westen leben, haben sich dem in ihrem Verhalten noch stärker angenähert als die, die in Ostdeutschland wohnten". (2009,S.219)

"Die ostdeutschen Frauen in unserer Panelstichprobe, die in Westdeutschland wohnten, hatten erst mit 29 Jahren zu einem Viertel Kinder, im Vergleich zu den ostdeutschen Frauen, die im Osten blieben oder zurückgekehrt sind. Sie sind 22 Jahre alt, wenn ein Viertel von ihnen Mutter wird. Von den »Westmigrantinnen« hatte im Alter von 34 Jahren noch nicht einmal die Hälfte Kinder"
(2009, Fn S.219)

Auch hinsichtlich des Kinderwunsches finden MAYER & SCHULZE herkunftsbedingte Unterschiede, die  besonders die Männer betreffen sollen ("Später-Vielleicht-Männer"):

Die Wendegeneration

"Bei den von uns Interviewten zeigen sich die größten Unterschiede in den Motiven für eine Familiengründung und beim Kinderwunsch zwischen den ost- und den westdeutschen Männern. Von den Westmännern haben im Alter von 34 Jahren 47 Prozent Kinder, unter den Ostmännern haben in diesem Alter schon 54 Prozent Nachwuchs. (...). Die noch kinderlosen westdeutschen Männer sind ausgesprochen ambivalent, was die Familiengründung anbelangt. (...). Die ostdeutschen Männer unseres Jahrgangs zeigen dagegen eine ausgeprägte Familienorientierung."
(2009, S.219f.)

"Auch bei den Frauen sind die Unterschiede zwischen einer Sozialisation im Osten und einer im Westen deutlich, wenn auch nicht ganz so gravierend wie bei den Männern. Die westdeutschen Frauen unserer Kohorte, die im Alter von 34 Jahren noch keine Kinder hatten, unterliegen der Familiengründungs-Ambivalenz ihrer (potentiellen) Partner. Sie haben oft einen starken Kinderwunsch, konnten aber bislang nicht den passenden Partner finden, der mit ihnen das Projekt Familie realisieren mochte. (...). Die Vorstellung, ein Kind allein zu erziehen, ist für westdeutsche Frauen weitaus problematischer als für ostdeutsche."
(2009, S.221)

Die "Später-Vielleicht"-Männer (vgl. Meike Dinklage "Der Zeugungsstreik", 2005) sind jedoch eher im Akademikermilieu der Kreativen zu finden, was darauf verweist, dass dieses Milieu in sozialwissenschaftlichen Studien überrepräsentiert ist.

Wenn man das Gebiet, statt die Herkunft betrachtet, dann ergeben sich weitere Konfusionen, denn die Daten zur Kinderlosigkeit der Akademikerinnen können sich auf verschiedene Teilgebiete beziehen: Deutschland, alte Bundesländer/früheres Bundesgebiet bzw. die neue Bundesländer. Bevölkerungswissenschaftler wie Herwig BIRG unterscheiden z.B. nicht besonders zwischen früherem Bundesgebiet und Deutschland. Manfred G. SCHAREIN sieht die Angelegenheit ebenso entspannt, denn bei der Betrachtung der westdeutschen Akademikerinnen würde sich im Gegensatz zur Betrachtung der gesamtdeutschen Akademikerinnen der Wert lediglich um 3 % erhöhen:

Kinderlose Akademikerinnen 0.3 - Wo war das Problem?

"Welchen Einfluss hat aber die Wahl eines bestimmten Gebietes, also West-/Ost- oder Gesamtdeutschland, für das Ergebnis bei der Berechnung der Kinderlosigkeit von Akademikerinnen?
Dies kann man an Hand der Ergebnisse der Mikrozensusbefragung des Jahres 2008 ablesen, bei der erstmalig alle Frauen zwischen 15 und 75 Jahren nach der Anzahl der von ihnen geborenen Kindern befragt erden konnten (...). Es resultierte gemäß der Presseerklärung (...), dass »28 % der westdeutschen Akademikerinnen von 40 bis 75 Jahren keine Kinder (hatten; der Autor)«. Für die ostdeutschen Bundesländer (ohne Berlin) resultiert ein Wert elf Prozent, sodass sich für Gesamtdeutschland gemäß dem Mikrozensus 2008 eine Quote für die kinderlosen Akademikerinnen von 25 Prozent ergibt. So mit lässt sich folgern, dass eine Festlegung der Betrachtung auf rein westdeutsche Akademikerinnen das Resultat im Vergleich zu einer gesamtdeutschen Analyse um cirka drei Prozentpunkte erhöht."
(Bevölkerungsforschung Aktuell, Heft 3, 2011, S.26)

So einfach wie SCHAREIN das darstellt, ist die Sachlage jedoch nicht. In manchen Darstellungen wird Berlin bei der Betrachtung von Ost- und Westdeutschland nicht  ausgeklammert, sondern z.B. den neuen Bundesländern zugeschlagen. Der Mikrozensus 2008 weist für die 1964-1973 Geborene einen Anteil von 23 % für Deutschland aus. Für Westdeutschland ohne Berlin ergeben sich 24,5 %. Dieser Anteil erhöht sich lediglich um 0,3 %, wenn man Berlin hinzurechnet. Für Ostdeutschland ohne Berlin werden 12,8 % ausgewiesen. Rechnet man jedoch Berlin hinzu, dann erhöht sich der Anteil der Kinderlosen in Ostdeutschland um fast ein Drittel. Die Darstellung divergiert zuweilen sogar in ein und demselben Buch. Im Handbuch der Gesellschaft Deutschlands (2013), herausgegeben von Steffen MAU u. a. weist Johannes HUNINK den Kinderlosenanteil für West, Ost und Berlin getrennt aus, während Dirk KONIETZKA & Michaela KREYENFELD Berlin zu Ostdeutschland hinzu rechnen. Für den Frauenjahrgang 1959-1963 ergeben sich dann folgende Angaben:

Kinderlose des Frauenjahrgangs 1959-1963 für verschiedene Gebietseinheiten (Angaben in Prozent)

 

1959-1963 Geborene

West (ohne Berlin)* 21
Berlin* 25,5
Ost (ohne Berlin)* 7,8
Ost (mit Berlin)** 12
Deutschland*** 21
Quellen: *Johannes Huinink (2013, S.103); **Dirk Konietzka & Michaela Kreyenfeld (2013, S.263); ***Dieter Emmerling in Wirtschaft und Statistik, Heft 9/2012, S.749

Der Anteil der Kinderlosen in Westdeutschland und Deutschland unterscheidet sich hier nur im Kommabereich, während die Hinzurechnung von Berlin zu Ostdeutschland den Anteil der Kinderlosen um 4 % erhöht.

Das Kinderberücksichtigungsgesetz in der Pflegeversicherung

Im Jahr 2001 hat das Bundesverfassungsgericht aufgrund der überhöhten Kinderlosenzahlen von Herwig BIRG gefordert, dass Kinderlose einen erhöhten Beitrag zur Pflegeversicherung zahlen müssen. Mit dem Kinderberücksichtigungsgesetz ist die Bundesregierung dem nachgekommen. Seit dem 1. Januar 2005 müssen Kinderlose mehr als Eltern für die Pflegeversicherung zahlen. Dies wäre eine gute Möglichkeit gewesen, die Anzahl der Kinderlosen zu erfassen. Tatsächlich wurde eine solche Statistik jedoch verhindert, sodass es nur Schätzwerte gibt. Auf eine Anfrage im Bundestag wurde lapidar geantwortet, dass die "ursprünglich geschätzte Größenordnung" in etwa erreicht wurde", d.h. es gab weniger Kinderlose als erwartet. Da in den Berichten zur Entwicklung der Pflegeversicherung der Beitrag der Kinderlosen keine Rolle spielt, ist daraus zu schließen, dass der Anteil der Kinderlosen sich eher nicht erhöht hat. Ansonsten hätte sich die Familienlobby ganz sicher lautstark bemerkbar gemacht. 

Dritter Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung

"Die Beitragserhöhung für Kinderlose führt in der sozialen Pflegeversicherung zu einer Einnahmeverbesserung von rd. 700 Mio. € jährlich, so dass der Beitragssatz bis in das Jahr 2008 hinein stabil gehalten werden kann. Dadurch wird zeitlich die gründliche Vorbereitung einer umfassenden Pflegereform ermöglicht."
(2004, S.32)

Situation und weitere Entwicklung im Pflegebereich

"1. Wie hoch waren im Jahr 2005 die absoluten Mehreinnahmen durch den seit 1. Januar 2005 erhobenen Zuschlag für kinderlose Versicherte in Höhe von 0,25 Prozent in der Sozialen Pflegeversicherung?

Die Einnahmen aus dem Kinderlosenzuschlag werden aus verwaltungsökonomischen Gründen statistisch nicht gesondert ausgewiesen, sondern zusammen mit den übrigen Beiträgen der verschiedenen Beitragszahlergruppen erfasst. Gleichwohl lässt sich aus der Gesamtentwicklung der Einnahmen im Jahr 2005 ableiten, dass die ursprünglich geschätzte Größenordnung von rd. 0,7 Mrd. Euro in etwa erreicht wurde."
(Bundestag-Drucksache 16/1297 v. 26.04.2006)

Vierter Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung

"Im Jahr 2005 hatte die soziale Pflegeversicherung Einnahmen in Höhe von 17,49 Milliarden Euro. (...). Der starke Anstieg der Beitragseinnahmen im Vergleich zum Vorjahr (plus 4,4 vom Hundert) geht fast ausschließlich auf die Zusatzeinnahmen aus dem Kinderlosenzuschlag zurück." (2008, S.28)

Die Ruhe an dieser politischen Front kann also durchaus als Indiz dafür gewertet werden, dass sich die Kinderlosenzahlen nicht so entwickelt haben wie von Herwig BIRG prognostiziert. Wie gravierend die Fehleinschätzung von Herwig BIRG war, das wird im nächsten Kapitel deutlich.

Warum die Entwicklung der Haushaltszahlen und die Entwicklung der zusammengefassten Geburtenziffer keine geeigneten Indikatoren für die Prognose der Geburtenentwicklung in Deutschland sind

Im Heft 1/1998 der Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft prognostizierte der  Bevölkerungswissenschaftler Jürgen DORBRITZ die Geburtenentwicklung in Deutschland. Er kam zum Fehlschluss, dass die zusammengefasste Geburtenziffer (TFR) bei weiterer Ausbreitung der "Ehe- und Kinderlosigkeit" bis zum Jahr 2010 auf 1,0 absinken könnte, um dort bis 2020 zu verharren. Dagegen ist annähernd das mittlere Szenario (Einfrieren der Geburtenrate bis 2010 bei 1,4) eingetroffen, obwohl sich der Nichtfamiliensektor weiter ausdehnte und die Ehe- und Kinderlosigkeit zunahm.   

Kinderlosigkeit in Deutschland und Europa - Daten, Trends und Einstellungen

"In Deutschland ist ein ansteigender Fertilitätstrend in der näheren Zukunft mit Sicherheit und auch längerfristig kaum zu erwarten (...). In einem günstigen Fall, dem Einfrieren der voranschreitenden Bevölkerungspolarisierung in einen Familiensektor (...) und einen Nichtfamiliensektor (kinderlose Lebensformen - Alleinlebende (Singles), kinderlose Ehepaare, kinderlose nichteheliche Lebensformen, living apart together) und der Individualisierung der Lebensformen, könnte sich die zusammengefaßte Geburtenziffer auf dem heutigen Niveau stabilisieren. Möglich ist auch ein erneuter Rückgang der zusammengefaßten Geburtenziffer nach dem Jahr 2000, der dann eintreten wird, wenn es zu einer weiteren Ausbreitung des Verhaltensmusters »Ehe- und Kinderlosigkeit« kommt. Ein Wiederanstieg der Geburtenhäufigkeit oder auch eine Stabilisierung des heutigen Niveaus hätten eine Zunahme dritter und weiterer Kinder in den Familien zur Bedingung. Das in einer langen Tradition verfestigte Muster niedriger Kinderzahlen läßt eine solche Annahme jedoch kaum zu."
(1998, S.196)

"Ein mögliches weiteres Anwachsen der Kinderlosigkeit ist der zentrale Faktor, der einen weiteren Geburtenrückgang bewirken kann. (...). Ein Absinken der zusammengefaßten Geburtenziffer auf Werte zwischen 0,8 und 1,2 könnte dann möglich sein. Wobei der Wert von 0,8 bereits als Extremsituation, so wie sie kurzzeitig in den neuen Bundesländern bestand, anzusehen ist. Dagegen ist ein Absinken auf den Wert 1,0, der z.B. in Norditalien gemessen wird, nicht unwahrscheinlich und im Bereich der abwegigen Szenarien anzusiedeln."
(1998, S.207)

Ein Hauptgrund ist die Fehleinschätzung der Paritätsverteilung der Geburten, d.h. der Anteile von Kinderlosen bzw. Frauen mit 1, 2 und mehreren Kindern, in Deutschland gewesen. Die deutschen Bevölkerungswissenschaftler sind von einem engen Zusammenhang des Gebärverhaltens mit der Heirat ausgegangen (kindorientierte Heirat), wobei sich die ostdeutschen Frauen an die westdeutschen Verhältnisse anpassen sollten. Dies wird aus dem nachfolgenden Schaubild deutlich, das die Zahlen von DORBRITZ mit den Werten des Mikrozensus 2008 vergleicht.

Quellen: François Höpflinger, 2012, S.69 und eigene Berechnungen; Jürgen Dorbritz 1998, S.200

Anmerkungen: Der Mikrozensus 2008 fasst immer 5 Frauenjahrgänge zusammen. Im Schaubild wird nur die mittlere Jahreszahl angegeben (Beispiel: 1935 steht für die Jahrgänge 1933-1938); Dorbritz hat die Frauenjahrgänge 1940, 1945, 1950, 1955 und 1960 betrachtet       

DORBRITZ selber zwingt seine Befunde folgendermaßen mehr oder weniger gewaltsam in sein Polarisierungskorsett:

Kinderlosigkeit in Deutschland und Europa - Daten, Trends und Einstellungen

"Der Rückgang der Kinderzahlen wurde bei den zwischen 1940 und 1945 geborenen Frauen über einen Rückgang des Anteils dritter und weiterer Kinder erreicht. Gleichzeitig ist die Kinderlosigkeit reduziert worden, so daß sich eine Dominanz der Zwei-Kind-Familie herausbildete"
(1998, S.201)

Diese Interpretation wird nicht einmal durch seine eigenen Zahlen gestützt. Weder ist die Kinderlosigkeit reduziert worden, sondern in Westdeutschland um 3,2 % gestiegen. Lediglich in Ostdeutschland gab es einen Rückgang um 0,4 %. Der Anstieg der Frauen mit nur einem Kind im Westen um 3,3 % wird schlichtweg ignoriert (Osten 0,2 % Rückgang). Die Dominanz der 2-Kind-Familie war bereits bei den 1940/41 geborenen Frauen gegeben, schließlich bleiben die Werte unverändert. Lediglich die Anteile der Frauen mit 1 und die Anteile der Frauen mit 3 und mehr Kindern haben ihre Plätze getauscht.

Betrachtet man dagegen die Werte des Mikrozensus 2008, dann war die Kinderlosigkeit der 1940/41 geborenen Frauen um fast 2 % höher als von DORBRITZ ermittelt. Es gab deshalb keinen Anstieg um 3,3 %, sondern lediglich um 1,5 %. Den Rückgang der Frauen mit 3 und mehr Kindern findet man in ähnlicher Weise in beiden Erhebungen. Der Anstieg der Frauen mit 2 Kindern um 1 % bleibt bei DORBRITZ unerkannt, weil zum einen das Niveau der Frauen mit 1 Kind in den Jahrgängen 1940/41 überschätzt wurde (0,7 %) und zum anderen auch der Anstieg (3,3 % statt 2,7 %).

Wie lassen sich diese Abweichungen erklären? Die 1940-1945 geborenen Frauen gehören zur 68er-Generation, die in den 1970er Jahren einen Scheidungsboom generierten. Bei Wiederheirat der Frau und Geburt eines Kindes, wird dieses Kind als erstes Kind der Frau gezählt, selbst wenn sie in der ersten Ehe bereits 1 oder sogar 2 Kinder geboren hat.

Die Veränderungen bei den nach 1950 geborenen Frauenjahrgängen interpretiert DORBRITZ folgendermaßen:

Kinderlosigkeit in Deutschland und Europa - Daten, Trends und Einstellungen

"In den jüngeren Geburtsjahrgängen (ab 1950) sind die Anteile zweiter, dritter und folgender Kinder unverändert geblieben. Nach wie vor dominiert die Zwei-Kind Familie. Es findet aber eine Abnahme des Anteils erster Kinder und eine Zunahme der Kinderlosigkeit statt."
(1998, S.201)

Tendenziell stimmt dieser Befund, wenn man den Rückgang der 2 Kind-Familie um 2,1 %, den Rückgang der Frauen mit 3 und mehr Kindern um 0,7 % als "unverändert geblieben" akzeptiert. Tatsächlich wird von DORBRITZ ein Rückgang der 1-Kind-Familie um 5,6 % und den Anstieg der Kinderlosigkeit um 8,3 % konstatiert. Der Mikrozensus weist dagegen nur einen Anstieg der Kinderlosigkeit von 4,8 % und einen Rückgang von 3,8 % bei den 1-Kind-Familien in Westdeutschland aus. Während das Niveau der Frauen mit 2 bzw. 3 und mehr Kindern im Mikrozensus 2008 etwas höher liegt als bei DORBRITZ.

Im Jahr 2001 erschien das viel beachtete Buch Die demographische Zeitenwende von Herwig BIRG, der entscheidend die öffentliche Debatte geprägt hat. BIRG setzt in dem Buch häufig die Zahlen für Westdeutschland mit den Zahlen für Gesamtdeutschland gleich, ohne dies kenntlich zu machen (vgl. 2001, S.73-77). Deshalb werden hier nun seine - auch nur in Westdeutschland erhobenen - Zahlen mit den Mikrozensuszahlen 2008 für Westdeutschland verglichen. Auf den ersten Blick ist auf dem nachfolgenden Schaubild zu erkennen, dass es sehr große Abweichungen zwischen den Zahlen von BIRG und dem Mikrozensus 2008 gibt und zwar nicht nur bei den Mitte der 1960er Jahren geborenen Frauen.    

Paritätsverteilung der Geburten in Westdeutschland
Quellen: François Höpflinger, 2012, S.69 und eigene Berechnungen; Herwig Birg 2001, S.77

Anmerkungen: Der Mikrozensus 2008 fasst immer 5 Frauenjahrgänge zusammen. Im Schaubild wird nur die mittlere Jahreszahl angegeben (Beispiel: 1941 steht für die Jahrgänge 1939-1943); Birg hat die Frauenjahrgänge 1940, 1945, 1950, 1955, 1960 und 1965 betrachtet       

Wie bereits weiter oben erwähnt, wurde die Kinderlosigkeit der Mitte der 1960er Jahren geborenen Frauen von BIRG um über 50 % überschätzt. Im Schaubild wird deutlich, dass BIRG geschätzt hat, dass die Kinderlosigkeit sogar den Anteil der Frauen mit 2 Kindern übertrifft. Wie ist diese krasse Fehleinschätzung zu erklären? LUY & PÖTZSCH (2011) schreiben in ihrem bereits erwähnten Artikel zur Tempobereinigung über das Datenmaterial von Herwig BIRG:

Schätzung der tempobereinigten Geburtenziffer für West- und Ostdeutschland, 1955-2008

"Birg et al. (1990) lieferten eine Schätzung für die paritätsspezifische Aufteilung der Geburten in der Bundesrepublik Deutschland für die Jahre 1958 bis 1985. Grundlage der Schätzungen waren die im Jahr 1986 im Rahmen des von der DFG geförderten Forschungsprojekts »Arbeitsmarktdynamik, Familienentwicklung und generatives Verhalten« erhobenen Familienbiografien von 793 Frauen und 783 Männern der Geburtsjahrgänge 1950 und 1955 aus Düsseldorf, Hannover, Bochum, Gelsenkirchen, Gronau, Ahaus, Vreden und Leer. Die Familienbiografien beinhalten für jedes geborene Kind sowohl die tatsächliche Ordnungsnummer als auch die Ordnungsnummer nach der damaligen Zählkonvention der amtlichen Statistik. Aus den entsprechenden (mit Hilfe linearer Regression für die Einzelalter der Mütter gewonnenen) relativen Häufigkeiten wurden sowohl die paritätsspezifischen ehelichen Geburten als auch die in der amtlichen Statistik nicht paritätsspezifisch erfassten außerehelichen Geburten in eine Schätzung der biologischen Paritäten nach Einzelalter der Mutter überführt. Dabei wurden für alle Jahre von 1958 bis 1985 die identischen aus der Projektstichprobe erhaltenen paritätsspezifischen Aufteilungen der ehelich und nicht ehelich geborenen Kinder zu Grunde gelegt."
(2011, S.576f.)

Es darf also kaum verwundern, dass eine Paritätsverteilung, die Mitte der 1980er Jahre ermittelt wurde, und seitdem von Herwig BIRG unverändert auf alle Frauenjahrgänge angewandt wurde, kaum mehr das Gebärverhalten der Gegenwart wiederspiegeln kann. Schließlich hat sich seitdem sowohl das Heirats- als auch das Timing und die Zusammensetzung der Bevölkerung gravierend verändert. Es ist deshalb mehr als erstaunlich, dass die Interpretationen von Herwig BIRG nicht nur in Politik und Medien, sondern auch in der Wissenschaft kaum auf Kritik gestoßen sind.

Michaela KREYENFELD hat in ihrer Doktorarbeit Employment and Fertility - East Germany in the 1990s vom November 2001 ihre Schätzungen zur Paritätsverteilung in Westdeutschland auf der Basis des Sozioökonomischen Panels mit dem Mikrozensus 1997, dem German Family and Fertility Survey 1992 und Schätzungen von DORBRITZ & SCHWARZ (1996) verglichen, die identisch sind mit jenen, die weiter oben DORBRITZ (1998) entnommen wurden. KREYENFELD kritisiert zu Recht, dass wenig Anstrengungen unternommen wurden, um die verschiedenen, oft widersprüchlichen Ergebnisse auf ihre Abhängigkeit hinsichtlich der verwendeten Methoden und Datensätze einzuschätzen.   

Die Abweichungen in der Paritätsverteilung sind jedoch bei den zwischen 1940 und 1960 geborenen Frauen noch nicht so gravierend wie bei den ab Mitte der 1960er Jahren geborenen Frauen. Deren Gebärverhalten hat sich nicht so entwickelt wie von DORBRITZ prognostiziert. Dies liegt insbesondere am Strukturwandel der Bevölkerung, d.h. dem wachsenden Anteil höher gebildeter Frauen in Deutschland. Deren haushaltsübergreifende Lebensformen( z.B. beruflich bedingte Fernbeziehungen; Kinder, die beim Vater leben) werden vom Mikrozensus nicht adäquat abgebildet. Erst der Mikrozensus 2012 wird letztlich Klarheit schaffen über die tatsächliche Entwicklung der Kinderlosigkeit. Wer aber sind die Kinderlosen? Eine Antwort darauf könnte Aufschluss darüber geben, inwiefern Bevölkerungspolitik überhaupt wirksam sein kann.

 
     
 
       
   

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