|
Vom Artikel "Produktion und Reproduktion"
zum Buch "Die Helden der Familie"
"LITERATUREN:
Wie gehen Sie an das Thema heran, Herr Bolz, als
Medienwissenschaftler oder als Privatmann? Ihr neues Buch
heißt »Die Helden der Familie« (...).
NORBERT BOLZ: Ich bin (...) auf das Thema gekommen, als
mich die »Westdeutsche Allgemeine« einmal zu Weihnachten
um einen Artikel über die Heilige Familie bat. Daraufhin
schrieb ich über die Entheiligung der Familie im
rot-grünen Zeitalter. Der Text wurde dort nicht
veröffentlicht, es hatte einen Riesenkrach in der
Redaktion gegeben, einige waren leidenschaftlich für den
Artikel, andere leidenschaftlich dagegen. Gleichzeitig gab
es eine Anfrage der »FAZ«, die den Artikel dann unter dem
Titel »Produktion und Reproduktion« druckte, obwohl auch
hier die Redaktion sich zerstritten hatte. Daraufhin
dachte ich, dass etwas dran sein muss an dem Thema, und
ich verfolgte es weiter. So ist das Buch entstanden."
(aus: Literaturen, Juni 2006, S.16) |
Sind die 68er unser Schicksal?
"Unser Schicksal sind die
Achtundsechziger", behauptet Norbert BOLZ. Sie besetzen die
Professoren- und Chefredakteursposten unserer Republik,
konkretisiert er weiter. BOLZ gehört also nicht
zur Schicksalsgemeinschaft für die er spricht, denn als
Shooting-Star der Single-Generation besetzt er einen wichtigen
Professorenplatz. Im Kampfblatt der Konservativen Revolution,
bei dem ein anderer Shooting-Star der Single-Generation, Frank
SCHIRRMACHER, einen wichtigen Redakteursposten einnimmt, darf er
sich dennoch zum Anwalt der 68er-ff.-Generationen aufschwingen. In dieser
Sprachrohrfunktion kritisiert er den vereinigten Angriff der
68er und der Feministinnen - irgendwie das gleiche - auf die
bürgerliche Familie. Im Sinne der
FAZ-Klientel ist das die Managerehe, zu deren Verteidigung er
antritt. Nach dem alten
Fußballer-Motto "Wenn jemand am Boden liegt, dann muss kräftig
nach getreten werden", rechnet er nun mit dem rot-grünen
Zeitalter ab, das allerspätestens am 2. Februar zu Ende gegangen
ist.
Die familienpolitische Wertehierarchie des
rot-grünen Zeitalters
Produktion und Reproduktion
"Höchste Wertschätzung
genießt das berufstätige Paar mit ganztägig betreutem Kind.
Dann folgt die alleinerziehende Mutter; sie ist die
eigentliche Heldin des rot-grünen Alltags. Nun die Singles und
die Dinks (double Income, no kids). Am unteren Ende der
Werteskala rangiert die klassische Familie mit arbeitendem
Ehemann und Mutter/Hausfrau."
(Norbert Bolz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom
22.02.2003)
|
Die Wertehierarchie bedarf
gewisser Korrekturen, denn BOLZ ist offensichtlich nicht ganz up
to date. Es mag sein, dass die
ersten beiden Lebensformen im Mittelpunkt der rot-grünen
Reformbestrebungen stehen. Dass Singles jedoch an der dritten
Stelle rangieren sollen, das ist angesichts der Rentenreformen
und der Hartz-Reform wohl eher ein übler Scherz. Mag sein, dass BOLZ
die gehasste Karrierefrau mit Singles gleichsetzt, das ist
aber doch eher sein persönliches Problem (das er im übrigen mit
Michel HOUELLEBECQ teilt). Statt des Begriffs "Singles" müsste also
ehrlicherweise der Begriff "Karrierefrauen" eingesetzt werden.
Double income, no kids - Zwei Lebensformen in
einen Topf geworfen
"Dinks" ist ein beliebter
Kampfbegriff, denn er beinhaltetet mindestens zwei
grundverschiedene Lebensformen, die kaum etwas miteinander zu
tun haben. Zum einen die "Dual
Career Couples" (Doppelkarrierepaare bzw. DCCs) und zum
anderen die Doppelverdienerpaare, bei denen die Frau
gewöhnlicherweise nur die Zuverdienerrolle innehat. Diese
Lebensform geht also nahtlos über in die klassische Familie. Selbst die
eingefleischte "Hausfrau" - vor allem die "Frau an seiner
Seite" - ist im Grunde ihres Herzens Karrierefrau. Sie muss
sich dafür nur nicht die Hände als lohnabhängige Arbeiterin
schmutzig machen. Gerne schreibt sie
z.B. Bücher über die mangelnde Anerkennung ihres Mutter- und
Hausfrauendaseins oder über mangelnde Manieren, währenddessen
das Dienstpersonal - vorzugsweise allein erziehende Frauen im
Niedriglohnsektor (man gönnt sich ja sonst nichts!) die
Hausarbeit erledigen und Kindermädchen die Kinder beaufsichtigen
damit sie nicht beim Manuskriptverfassen stören.
Die schärfsten Kritiker der "Dinks", waren
vor ihrer wenig wundersamen Bekehrung selbst welche
Die schärfsten Kritiker
der "Dinks" haben oftmals vor ihrem neu gewonnenen
Kritikerstandpunkt die Vorzüge einer "Dinks"-Lebensphase
genossen. Ganz schlaue
Konservative, haben ihre Studentenphase mit dem Einkommen der
Frau aufgebessert, das nicht benötigte Bafög zinsbringend
angelegt, während andere zusätzlich malochen mussten. Jetzt ist das erste
Kind da und da möchten sie gerne die Vorzüge der Familie mit den
Vorzügen der "Dinks" kombinieren. Gib mir alles, lautet die
Maxime der neuen Familienfundamentalisten! Sie plädieren also für
Steuervergünstigungen zugunsten der klassischen Familie. Sind
die Kinder aus dem Haus, dann kämpfen sie wieder Seite an Seite
mit den "Dinks". Die USA macht es vor.
Dem gebeutelten Mann ein neues Selbstbewusstsein!
Produktion und Reproduktion
"Frauen kontrollierten
schon immer die Reproduktion; erst die Pille hat sie aber zu
den wahren Türhütern der Natur gemacht. Deshalb verweigern
Männer zunehmend die Verantwortung. Das wiederum führt zu
einer drastisch sinkenden Geburtenrate."
(Norbert Bolz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom
22.02.2003)
|
Den Applaus von
männlichen Scheidungsopfern gewiss, genauso wie der
Anfeindungen von 1970er-Jahre-Feministinnen, verknüpft BOLZ seine
Argumentation zu einem gesellschaftspolitischen Rundumschlag,
der Familienfundamentalisten und Bevölkerungswissenschaftlern
aus dem Herzen spricht. Man muss kein Prophet
sein, um zu wissen, dass diese Krisenbeschreibung gute Chancen
auf eine viel versprechende Karriere hat. So wie in den
1960er
Jahren die Frauenbewegung durch den Frauenüberschuss befeuert
wurde, so wird nun die neue Männerbewegung durch einen
Männerüberschuss getragen. Das Schicksal sind
nicht die 68er, sondern die Demografie, die den Mann zum
doppelt Überflüssigen macht. Weder zur Produktion, noch zur
Reproduktion ist er vonnöten.
Die Scheidungsrate als Maß für die
ökonomische Unabhängigkeit der Frau
Sicherlich drückt die
Scheidungsrate auch die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen
aus. Im Gegensatz zur
Focus-Titelgeschichte
Welche Ehe hält
wie lange? (01.03.2001) über die Faktoren der Ehestabilität, nennt
BOLZ die Gesetzesänderungen der 1970er Jahre als Faktor,
der Einfluss auf die Ehestabilität hat.
Welche Ehe hält wie lange?
"Mitte
der 70er Jahre hat der US-amerikanische Singleforscher
Peter J. STEIN ein Push und Pull-Modell entwickelt. Es
sollte die Faktoren enthalten, die die (fehlende)
Attraktivität der Ehe und des Single-Daseins enthalten.
Das
Modell enthält 4 Faktoren-Gruppen: zum einen Gründe für
eine Ehe und Gründe gegen eine Ehe und zum anderen Gründe
für das Single-Dasein und dagegen. (...).
Solche
Typologien beschreiben (...) ein Feld, das
lebensphasenspezifischen und zeitgeschichtlichen
Einflüssen unterliegt."
(aus: single-generation.de, März 2003) |
Die Rechtsprechung hat
jedoch nur nachgeholt, was gesellschaftlich nicht mehr haltbar
war. Frauen bevorzugten vor 1977 die "italienische Scheidung".
Wo Scheidung nicht gesetzlich möglich ist, da vollzieht sich der
Grabenkrieg unterhalb der Gesetzesebene. Nostalgiker
verwechseln statistische Sichtbarkeiten (hohe Scheidungsrate)
oder Unsichtbarkeiten (niedrige Scheidungsrate) mit
gesellschaftlichen Lebensverhältnissen, die sich mit diesem
Indikator nicht abbilden lassen. BOLZ ist sicherlich
kein Nostalgiker, aber er setzt auf Nostalgie. BOLZ zeigt, dass
so manchem die Ehe als Gefängnis verlockend erscheint. Das
Gefängnis ist dann aber für andere bestimmt!
Alleinerziehende als familienpolitische
Profiteure?
Alleinerziehende sind
keine Erfindung des rot-grünen Zeitalters. Profiteure sind
sicherlich Yuppie-Moms, die mit einem Partner
zusammenleben und nicht heiraten, weil dies finanzielle und
sonstige Vorteile mit sich bringt. Allerdings sind
Alleinerziehende nicht unbedingt Angehörige der
Neuen-Mitte-Milieus wie das BOLZ suggeriert und nicht jede
Alleinerziehende lebt mit einem Partner zusammen. Christian RATH
beschreibt anlässlich eines Bundesverfassungsgerichtsurteils zur
beitragsfreien Mitversicherung in Krankenkassen das Dilemma der
Familienpolitik folgendermaßen:
Schutz der Ehe ist nicht absolut
"Die Kassen hätten (...)
nachweisen müssen, dass eine Mutter nicht allein erzieht,
sondern in einer Partnerschaft lebt. Vermutlich sind die
Versicherer froh, dass ihnen entsprechende Nachforschungen
erspart blieben"
(Christian Rath in der taz vom 13.02.2003)
|
Die Möglichkeit, die RATH
nicht erwähnt, das wäre für Alleinerziehende die Umkehr der
Beweislast wie bei Singles auf Arbeitssuche bei der
Zumutbarkeitsregelung. Dass dies nicht
diskutiert wird, bestätigt die hohe Wertschätzung von
Alleinerziehenden.
Feminismus als Kreuzzug gegen die Managerehe?
BOLZ schreibt zwar immer
"bürgerliche Ehe", aber in der heutigen Zeit ist dieser Begriff
unangebracht, denn was BOLZ erhalten will, das sind die
Privilegien einer Elite, die von der Geschlechterungleichheit
profitiert. Im Kern handelt es
sich um die Managerelite, aber auch Professoren und Redakteure
können davon profitieren. Wenn die Feministinnen
einen Kreuzzug gegen die Einverdienerehe geführt haben,
dann haben sie ihn schon längst verloren. Die Manager haben das Ehegattensplitting verteidigt und die
Bundesfamilienministerin Renate SCHMIDT hat vor kurzem das
Ehegattensplitting zum unantastbaren Privileg erklärt. Es gibt also
keinen rot-grünen Konsens gegen die Managerehe. Weder bei
der SPD, wo die Generation Berlin den Rechtsruck
vollzogen hat, noch bei den Grünen, wo die Kinderpolitiker
das Sagen haben, haben 70er-Jahre-Feministinnen eine Chance zur
Durchsetzung ihrer Interessen.
Was bezweckt der Aufstand der neuen
Reaktionäre?
Wenn mit dem
70er-Jahre-Feminismus von Norbert BOLZ ein Papiertiger
entworfen worden ist, dann stellt sich die Frage, was der
Beitrag bezwecken soll. Der Soziologe Ulrich
BECK hat 1986 drei Szenarien für die Zukunft des Kampfes der
Lebensstile vorgestellt
.
Kurz gesagt: Norbert
BOLZ polemisiert in seinem Beitrag gegen die Vereinbarkeit von
Beruf und Familie, malt dafür das Horrorszenario der
"vollmobilen Single-Gesellschaft" an die Wand, um ein
Loblied auf die refeudalisierte Hausfrauenfamilie zu
singen. Ulrich BECK hat damals
das dazu nötige Programm zur Durchsetzung dieses Szenarios
dargelegt. BOLZ hat in seinem Beitrag jeden Punkt beherzigt.
Der neue Elitenkonsens der neoliberalen
Bobokratie
Zur Zeit wird ein neuer
Elitenkonsens zu Lasten Dritter ausgehandelt. Unter dem Stichwort
"Umbau des Sozialstaats" geht es um das zukünftige Modell
Deutschland. Die USA haben
vorgemacht wie ein Konsens der alten (Managerehe) und neuen
Eliten (Double Career Couples) aussehen könnte. Elinor BURKETT hat in
dem Buch The Baby Boon (2000) beschrieben wie das
familienfreundliche Amerika die Kinderlosen bluten lässt. Das fruchtbare
Besitzstandswahrerbündnis von alter (WASP) und neuer
amerikanischer Mittelschicht hat David BROOKS in seinem Buch als
Bobos in Paradise (2000) von seiner schicken
Lebensstilseite beschrieben. Den Betrug dieses
Elitenkonses an den Kinderlosen beschreibt Elinor BURKETT
folgendermaßen:
The Baby Boon. How family-friendly America cheats the
cildless
"President William
Jefferson Clinton and his Republican Congress forge the most
massive redistribution of wealth since the War on Poverty -
this time not from rich to poor, but from nonparents, not
matter how modest their means, to parents, no matter how
affluent".
(2000) |
BURKETT beschreibt in dem
Buch die massivste Umverteilungsaktion seit dem Krieg gegen die
Armut. In der Clinton-Ära erfolgte die Umverteilung von den
Kinderlosen - egal, ob arm - zu den Eltern - egal, ob reich. In
Deutschland heißen die wichtigsten Vordenker dieser Richtung
Meinhard MIEGEL,
Jürgen BORCHERT, Paul KIRCHHOF und
Hans-Werner
SINN.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
"Dies
ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem
nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend
die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt.
Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard
Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die
Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank
Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster
Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der
Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
Es wird aufgezeigt, dass sich die
nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles
im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die
nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen." |
Fazit: Die Singles sollen zum neuen Proletariat
des 21. Jahrhunderts werden
Der Beitrag
von Norbert BOLZ ist also nur ein Mosaikstein im
Aushandlungsprozess zwischen den beiden Elitenpositionen zur
Familienpolitik. Singles sind von
den Verhandlungen ausgeschlossen. In keiner einzigen
Neue-Mitte-Publikation ist eine ernstzunehmende Position der
Singles zu finden. Singles haben keine eigene politische Lobby,
es gibt keine Partei, Singles sind eine statistische Gruppe,
aber keine soziale Gruppe, die konfliktfähig wäre. Was Elinor BURKETT für
die USA beschrieben hat, ist also die wahrscheinlichste
Entwicklung für das zukünftige Modell Deutschland.
|
|