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Musikkritik

 
       
   
Mario Hené
 
   
Lieber allein, als gemeinsam einsam
 
       
   
     
 

Das Single-Dasein als Konsequenz eines neuen Paarideals

Der Titel des Debütalbums von Mario HENÉ, Jahrgang 1954, Lieber allein, als gemeinsam einsam (1977) war programmatisch für die Singlebewegung der 1970er Jahre. Es ging um den Auszug der Singles aus dem Reservat der Ehe. Es wäre jedoch völlig verkehrt, wenn man meinen würde, dass dies mit dem Ziel geschah nun als "Swinging Single" ein Leben jenseits aller Bindung zu führen. Vielmehr war das Motiv ein neues Paarideal, das höhere Ansprüche an den anderen - und was oft vergessen wird - an sich selbst stellte. Das Defizit der Ehebeziehung formuliert der Liedermacher im Begleittext folgendermaßen:

Lieber allein, als gemeinsam einsam

"Viele Menschen die zusammenleben haben sich so sehr aneinander gewöhnt, daß sie sich nur noch dann bemerken wenn der andere krank ist oder tot. Sie leben nebeneinander her jeder in seiner Rolle."

Im Refrain des gleichnamigen Titelsongs heißt es dann:

Lieber allein, als gemeinsam einsam

"Einsamkeit ist der Preis meiner Freiheit
ich möcht' sie trotzdem nicht verliern.
Lieber allein als gemeinsam einsam
vor Zufriedenheit zu friern".

Das Single-Dasein ist für HENÉ kein erstrebenswertes Leben an sich, sondern eine notwendige Phase, in der man einen passenden Partner sucht. Im Lied vom Steppenwolf wird dieses Motiv als Fabel variiert. Nicht nur die Ehe, sondern die bürgerlichen Normen der Gesellschaft mit ihren Zwängen, können als unerträglicher Kompromiss empfunden werden. Die Erzählung Der Steppenwolf von Hermann HESSE, die 1974 im Suhrkamp Verlag als Taschenbuchausgabe erschien, war damals ein viel gelesenes Buch. Es lassen sich unschwer Bezüge zwischen beiden Texten herstellen.

Der Partner ist die Verheißung und im Begleittext zum Lied Ich brauche dich heißt es:

Ich brauche dich

"Jedes Ding auf dieser Welt hat sein Gegenstück mit dem zusammen es eine Einheit bildet und so strebt auch jeder Mensch nach Vereinigung. Mancher findet sie, ein anderer sucht ein Leben lang."

Singles sind für HENÉ Suchende und diese Suche kann scheitern. Dieses Scheitern steht im Mittelpunkt der Lieder Der Weg nach nirgendwo und Ein Leben lang. Es gibt Phasen, da scheint die Suche aussichtslos zu sein. HENÉ hat für diese Momente den hoffnungsvollen Vergleich Wie ein Baum im Herbstwind gefunden:

Wie ein Baum im Herbstwind

"Ich bin der Baum der im Herbstwind
ein Blatt nach dem anderen verliert
und ich warte auf den Frühling
und daß etwas passiert"

Und manchmal passiert wirklich etwas. Man trifft einen anderen Einsamen und verliebt sich, man meint, es könnte auf Dauer sein, aber die Liebe erlischt. Und mit jeder Enttäuschung fällt es schwerer, sich erneut auf die Suche nach dem Einen zu machen. Das Lied Zeit(t)räume handelt von diesem Problem.

Auf seinem zweiten Album Unter der gleichen Sonne (1979) beschäftigt sich HENÉ weniger mit dem konkreten Single-Dasein, als mit den gesellschaftlichen Verhältnissen. Im Song Wilde Pferde mit Sattel und Zaum wird jedoch das damalige Lebensgefühl auf den Punkt gebracht:

Wilde Pferde mit Sattel und Zaum

"Zwischen Sehnsucht nach Liebe und Kampf ums' Brot
im Kreislauf von Geburt und Tod
zwischen Darwin und dem sanften Trost von Religion
in Gemeinschaft und Einsamkeit
auf der Suche nach Beständigkeit
zwischen Fortschritt und dem Staub von Tradition.
Gefangen in den Grenzen, die wir selber ziehn
mit wenig Hoffnung, ihnen jemals zu entfliehn
solang wir Macht und Reichtum sammeln statt Freiheit zu erstreben
vom Leben träumen statt zu leben."

Im dritten Album, das schlicht Mario Hené + Band (1980) heißt, steht wieder die konkrete Zweierbeziehung und das Single-Dasein im Mittelpunkt. Den Gegensatz beider Lebensformen bringt HENÉ durch die Zeitformen zum Ausdruck, die jeweils bestimmend sind. Das Single-Dasein ist ein Leben in Vergangenheit oder Zukunft, nur in einer befriedigenden Partnerschaft kann man die Gegenwart genießen. Im Lied Wenn du nicht wärst geht es um diese Differenz. In Wintertraum geht es dagegen um die Differenz zwischen dem alten und dem neuen Partnerideal:

Wintertraum

"Ich such an deinen Augen zu erkennen, was du siehst
und ich gäb was zu erfahren, wie du fühlst.
Ob dein Lächeln für dich so ist, wie der Schnee für diese Stadt
und ob du immer nur die eigene Rolle spielst
(...)
Du suchst an meinen Augen zu erkennen was ich seh,
und du gäbst was zu erfahren, wie ich fühl.
Ob mein Lachen für mich so ist, wie der Schnee für diese Stadt
und ob ich immer nur die eigne Rolle spiel
(...)
Ein sanfter Wind weht zögernd
unsre Spuren wieder zu
und gemeinsam gehn wir weiter
ich als ich und du als du.
Getrennt durch die Gedanken
verbunden durchs Gefühl,
gehn wir zwei verschiedne Wege
und vielleicht ist das auch gut."

Authentizität statt Rollenspiel, Eigenständigkeit statt Symbiose, Liebe statt Vernunft(ehe) sind die Elemente der unterschiedlichen Partnerideale, die in diesen Textpassagen zum Ausdruck kommen. In dem Song Jeder malt ein andres Bild von mir geht es um die stereotype Wahrnehmung der Anderen und selbst die eigene Identität ist keine feste Konstante, sondern die Wahrnehmung der eigenen Person wechselt situationsspezifisch und ist abhängig von Stimmungen. Der Weg zum Lächeln variiert das Thema vom Baum im Herbstwind und im Mitternachtsbild skizziert HENÉ das Bild von einer typischen Szenekneipe, die nichts mit den Geschichten über Single-Bars zu tun hat. HENÉ zeichnet ein freundliches Bild von den Außenseitern, die gescheitert sind, aber ihre Hoffnung noch nicht aufgegeben haben:

Mitternachtsbild

"Ursel, die Mutter der Träumenden,
hat schon wochenlang nicht mehr geträumt.
Wenn die anderen schlafen, sitzt sie hier herum,
weil sie meint, daß sie hier nichts versäumt."

1981 erscheint das Album Wind und Wasser. Darauf befindet sich der Song Für immer. Darin wird der Kern des neuen Partnerideals beschrieben, das sich auf die "reine" Liebe gründet:

Für immer

"Wie kannst du sagen, du liebst mich für immer,
wie willst du wissen, ob du so fühlst für immer
(...)
Liebe wird immer von neuem geboren.
Vögel im Käfig singen nicht so, wie die Vögel im Wald.
Ich geb' dir mein Heute, mehr kann ich nicht geben,
und wenn wir zusammen ein Morgen erleben,
wird morgen zu heut', und wenn das so bleibt,
werden wir zusammen alt."

Erlischt die Liebe, dann endet auch die Partnerschaft, das ist die Botschaft. Im Lied Erwacht geht es um das authentische Leben, das man leben muss. Es genügt nicht mehr ein Rollenspieler zu sein und darin seine Erfüllung zu sehen. Im Titelsong Wind und Wasser wird das Authentizitäts-Thema variiert und auf die Zeitdimension angewandt. Im Augenblick leben, statt Zukunftsplanung betreiben. In Schade beschreibt HENÉ die Gefühle, die einer Trennung voraus gehen. Es werden die Gründe reflektiert, die eine sinnvolle Trennung verhindern. HENÉ greift damit die Thematik von Lieber allein, als gemeinsam einsam wieder auf:

Wind und Wasser

"Was dich und mich heut' noch verbindet,
ist doch nur Angst vor dem Alleinsein,
doch nur die Furcht vor neuem Anfang
ohne die traute Sicherheit."

In Alltag wird dagegen ein Heiratsmotiv beschrieben. HENÉ sieht hier im Heiraten einen letzten Versuch, eine Partnerschaft, die nicht mehr vom Gefühl der Liebe getragen wird, zu retten. Der gleiche Grund, der Trennungen erschwert, ist auch ein Grund, der dazu führt, dass man Beziehungen auf Dauer stellen möchte:

Alltag

"Aus Angst, sich zu verlieren,
gingen beide irgendwann zum Traualtar."

Festzuhalten ist: Das Single-Dasein ist für HENÉ keine freiwillig gewählte Lebensform, sondern eine Konsequenz des neuen Paarideals. Eine weitere Konsequenz ist die serielle Monogamie, die sich auf der Suche nach dem EINEN im Laufe des Lebens ergeben kann.

 
     
 
       
   

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