Zitate: Die
Single-Industrie in
der Debatte
"Das Geschäft mit
der Einsamkeit, an dem alle die partizipieren, die
Ersatzbefriedigung verkaufen, ist zwar kein Argument
gegen das Alleinleben, das auch einfach beruflich
bedingt sein kann, man sollte es aber bei der Analyse
dieser Lebensform nicht ignorieren.
(Weder im Spiegel noch anderswo ein Wort über die
Unwirtlichkeit von Ein-Personen-Haushalten, nichts
über die Schwierigkeiten, zugleich akzeptable und
ihren Preis werte Wohnungen zu finden, nichts über die
zeit- und nervtötenden Hürden des Alltags, die
finanzschwache Singles zu nehmen haben. Und anders:
bei
»sozial Schwachen« ist der Alleingang oft nichts als ein
Effekt ihrer Lage (...))".
(aus: Eike Hühnermann "Der Egotrip
der Solitäre", 1979, S.24)
"Mein Single-Jubel
bezieht sich auf echte Erwachsenheiten. Denn wenn
keine neuen Beziehungen mehr eingegangen werden
können, weil wir voll von alten stecken - zu
abgelebten Partnern und Eltern -, dann ist single nur
eine Flucht, ein Beweis für unsere Unfähigkeit, uns zu
lösen und zu beziehen; dann wäre single
gesellschaftlich nichts anderes als ein Ende aller
Kommunikation, eine Kontaktsperre. Singles =
ausgebrannte Einzelheiten, die sich in ihren letzten
Schlupfwinkeln verschanzen vom Kapitalismus
gehätschelt wegen ihres konsumanheizenden
Effekts."
(aus: Volker Elis Pilgrim "Trautes
Glück allein?", 1991, S.55)
"Singles (...) sind
die Hätschelkinder der Konsumgesellschaft, weil sei
den Konsum anheizen (Pilgrim 1991): Ein Paar
braucht alles nur einmal, zwei räumlich getrennte
Singles aber brauchen zwei Wohnungen, zwei
Fernsehgeräte, zwei Videos, zwei Stereoanlagen und
zwei Telefonanschlüsse".
(aus: Horst W. Opaschowski "Singles:
Die Hätschelkinder der Konsumgesellschaft", 1994,
S.27)
"Ohne neuen
ordnungspolitischen Rahmen für den Wohnungsbau (...)
geriete (der Wohnungsmarkt) vollends aus den Fugen
durch die Marktmacht eines großen Teils der
Kleinhaushalte. Die Hackordnung wird angeführt von der
großen Zahl leistungsorientierten und im Berufsleben
stehenden Kleinhaushalte ohne Kinder.
(...).
Das Single ist der einzige Nachfrager, für den
verdichteten Wohnformen nicht nur zumutbar, sondern
sogar vorteilhaft sein können. Das Hochhaus ist
verpönt, zu Recht, soweit man es aus dem Blickwinkel
der Wohnbedürfnisse einer Familie mit Kindern
betrachtet. Als eine Art »Servicehaus« könnte es für
Alleinlebende auch im 20. Geschoß attraktiv sein. Wir
streben deshalb an, daß in Gebieten, die sich zu
Dienstleistungszentren umstrukturieren, ein Wohnanteil
von mindestens 25 % realisiert wird für gemischte
Wohnformen, aber eben doch auch speziell für
Alleinlebende."
(aus: Friedemann Geschwind "Neue
Lebensformen als städtebauliche Herausforderung",
1994, S.112f.)
"»Can't buy love«
sangen die Beatles. Sie hatten Recht. Liebe aus dem
Internet hält selten für die Ewigkeit. Zwei Menschen,
die einander vermittelt wurden, fehlt eine gemeinsame
Basis - weil am Anfang kein Erlebnis, keine
Gemeinsamkeit, kein Bemühen um den anderen stand.
Sondern nur ein Steckbrief. Und ein Geschäftsmodell."
(Oliver Creutz in Neon, Mai 2004,
S.54)
Die Single-Industrie - eine neue Herangehensweise
Über kaum einen
Industriezweig gibt so viele Vorurteile und so wenig Wissen wie
über die Single-Industrie. Die populistische sozial- und
familienpolitische Debatte um die Schädlichkeit des
Single-Daseins trägt wesentlich dazu bei, dass sich daran
auch zukünftig kaum etwas ändern dürfte.
Gegenwärtig steht der Zeitgeist - wenn man den Medien glaubt -
auf Re-Romantisierung. Hier soll deshalb ein pragmatischer
Zugang gewählt werden.
Wir interessieren uns also nicht für den Konsum der Romantik
(Eva ILLOUZ). Wir lassen auch Paarungsspiele (Eggo MÜLLER)
wie in Herzblatt und sonstige Single-Shows im Fernsehen
links liegen. Wir ignorieren die Traumhochzeit und
den neuen Hochzeitskult.
Wir werden uns auch
nicht nur jenen gesellschaftlichen Praktiken zuwenden,
mittels derer sich heutzutage Paare finden.
Die
Single-Industrie wird hier stattdessen umfassender begriffen als
Industrie, die ein erfüllendes Alleinleben auch jenseits des
Paar- und Familienlebens ermöglicht. Dazu widmen wir uns der
Single-Kultur und ihrer Infrastruktur als Voraussetzung eines
erfüllenden Single-Lebens.
Diese Sichtweise
ist alles andere als selbstverständlich, wie der folgende
Beitrag zeigen wird. Da sich die Wissenschaft nur selten mit
diesem Thema beschäftigt hat, kann es sich hier nur um eine
erste Annäherung an diesen Gegenstand handeln. In
zukünftigen Beiträgen sollen dann Einzelaspekte näher beleuchtet
werden.
Wie die Single-Industrie entstand
Das Nachrichtenmagazin
NEWSWEEK beschreibt die Geburt der Single-Industrie
folgendermaßen:
"It all began
modesty enough. An unmarried New York City perfume salesman
named Alan Stillman decided that the coolest way to meet the
stewardesses in his neighborhood would be to buy a brocken-down
beer joint, jazz it up with Tiffany lamps and mod young waiters
and christen it - with an eye toward attracting the career crowd
- the T.G.I.F. (for Thank God It's Friday). Within one week, the
police hat to ring Fridays (as it quickly became known) with
barricades to handle the nightly hordes of young singles on the
make. Hundreds of blatantly imitative emporiums soon opened
their doors in scores of major cities - and an industry was born.
What began larely as a salesman's mating ploy has triggered an
explosion of singles-only institutions: singles apartment
complexes, singles cruises, singles weekends at resort hotels,
singles clubs for every persuasion from vegetarians to
occultists. Within just eight years, singlehood has emerged as
an intensely ritualized - and newly respectable-style of
American life."
(Harry F. Waters in Newsweek vom 16.07.1973)
Im New York der 60er
Jahre vollzog sich die Geburtsstunde der Single-Industrie,
die seitdem ihren Siegeszug durch die westlichen Industrieländer
antritt. Dies gilt selbst für Nationen, die uns Deutschen - wie
die Franzosen - als Familiengesellschaften präsentiert werden (siehe
hierzu NOUVEL OBSERVATEUR vom 29.04.2004)
Die Rolle der Single-Bars für die Attraktivität
des Single-Lebens
Im NEWSWEEK-Artikel wird
die Single-Bar als erste Errungenschaft der neuen
Single-Kultur beschrieben.
Waren Kneipen für frühere Generationen reine Männersache, so
wurde es nun selbstverständlich, dass auch Frauen ohne männliche
Begleitung solche öffentlichen Räume aufsuchen durften.
ALLON & FISHEL
(1979) haben in ihrem Buch urban life styles diese
Veränderungen beschrieben. Für Deutschland haben Franz DRÖGE & Thomas KRÄMER-BADONI
(1987) diesen Wandel in dem Buch Die Kneipe zum
Thema gemacht.
Den wichtigen
Beitrag der Single-Bars zur neuen Attraktivität des
Single-Daseins beschreiben ALLON & FISHON folgendermaßen:
"Bars labeled
»singles bars« were vehicles to transform singlehood from a
sad, shameful affair to an
»in« status. Men traditionally have been accustomed to go to
bars alone and to clandestinely or openly satisfy their sexual
appetites, so that male sexual swinging has been endemic to the
culture. Singles bars undertook the task of socializing women
into the glories of admitting to be unmarried, to be open to
engage in premariatal and sometimes extramariatal sex, and to be
on their own in the bars. Women are not made to feel
»cheap« if they go to singles bars unescorted which they are
made to feel in other bars."
(1979, S.130)
Die Single-Bar bot gemäß
ALLON & FISHON im Gegensatz zu anderen Einrichtungen wie
Tanzlokale, Discos oder sonstige Clubs einen leicht und schnell
zugänglichen Raum, der mit relativ niedrigen Kosten verbunden
war.
Angestellte und Studenten als Träger der
Single-Kultur
In den USA popularisierten
Hugh HEFNERs Playboy und Helen Gurley BROWNs
Cosmpolitan diese neue Single-Philosophie, die sich vor
allem im Angestelltenmilieu durchsetzte.
Angestellte
gehörten neben den Studenten zu den Trägern dieser neuen
Single-Kultur.
Barbara EHRENREICH,
Elizabeth HESS und Gloria JACOBS (1986) haben die Entstehung der
Single-Kultur und das Lebensgefühl der New Yorker swinging
Sixties in Re-making love. Feminization of Sex
beschrieben.
Sie sehen bereits
in den Anfängen der Dienstleistungsgesellschaft in den
50er Jahren die Voraussetzung für die neue Single-Kultur der
60er Jahre grundgelegt (siehe hierzu ausführlicher den Essay
über das Single-Dasein in den USA).
In der - leider
schlechten - deutschen Übersetzung Gesprengte Fesseln?
(1988) liest sich das so:
"Wenn Sex in den Vororten
mattgesetzt war, so entwickelte sich in den frühen sechziger
Jahren mit der aufstrebenden
»Single-Kultur« neues Terrain für erotische Erfahrungen.
(...).
In der New Yorker Upper East Side, dem ersten Single-Getto,
spiegelte ein rapider Aufschwung des Wohnungsmarkts die
Einwanderungsrate hoffnungsvoller Sekretärinnen, Stewardessen,
Redaktionsassistentinnen sowie Möchtegern-Fotomodellen und
Schauspielerinnen, die sich als Empfangsdamen und Kellnerinnen
über die Runden brachten. Drei oder vier
»Mädels« teilten sich für 300 Dollar im Monat ein
Zwei-Schlafzimmer-Apartment, verloren einige Zimmergenossinnen
durch die Ehe, andere durch Erfolglosigkeit (im Regelfall konnte
ein Mädchen, das es nicht geschafft hatte, immer noch in
irgendeine Heimatstadt zurückzukehren), und rekrutierten ständig
neue Genossinnen aus den Colleges und Kleinstädten des mittleren
Westens." (S.63f.)
Die Ausweitung der Möglichkeiten durch
Großstädte
EHRENREICH/HESS/JACOBS
beschreiben den großstädtischen Raum im Gegensatz zum familiären
Suburb als Ausweitung der Möglichkeiten für junge
alleinstehende Mittelschichtfrauen:
"Die junge
Mittelschichtfrau (...) ging normalerweise davon aus, daß sie in
ein paar Jahren heiraten und sich in einem Vorort zur Ruhe
setzen würde, denn noch immer waren sich die Experten darin
einig, daß
»Mutterschaft das bestimmende Merkmal eines Frauenlebens«
sei. In der Zwischenzeit aber hatte sie Vorteile und sexuelle
Möglichkeiten, die sie als Hausfrau nie wieder haben würde.
Erstens verdiente sie ihr eigenes Geld (...). Zweitens lebte sie
in einem sozialen Umfeld, das unendlich reicher an sexuellen
Kontaktmöglichkeiten war als die eingeschlechtliche Welt der
verheirateten Frau mit ihrem Einkaufszentrum und Spielplätzen.
Da war das Büro - eine weitgehend weibliche und ganz sicher von
Männern beherrschte Arbeitswelt, die aber Möglichkeiten für
Phantasien und Flirts bot. Und da war der öffentliche Raum der
Straße, der Bars, Buchläden und Busse, in dem sich die Frau ganz
anonym von einer Begegnung mit einem potentiellen Partner zur
nächsten bewegen konnte." (S.64)
EHRENREICH/HESS/JACOBS
sehen im Buch Sex and the Single Girl (1962) von Helen
Gurley BROWN einen wichtigen Beitrag zur sexuellen Revolution:
"Die erste Sprecherin
dieser Revolution war eine Frau, die viele Feministinnen
verabscheut und unter keinen Umständen zu den ihren gezählt
hätten. (...). Brown (...) verkündete, daß die Ehe unnötig und
eine neues Leben bereits möglich sei, das Leben des
alleinstehenden, urbanen und berufstätigen
»Mädels«. Browns Buch war ein überschwenglicher Leitfaden
zur Selbstvollkommung, geschrieben in einem Stil, den sie später
in Cosmopolitan unsterblich machen sollte". (S.65f.)
Das Single-Girl und die große Stadt
Das sogenannte
Cosmo-Girl stand für ein neues Frauenbild. "Anständige
Mädchen", d.h. angestellte Mittelschichtfrauen durften Affären
haben, ohne als Nutten oder Flittchen zu gelten.
Die Entstehung
der Single-Kultur Mitte der 60er Jahre beschreiben
EHRENREICH/HESS/JACOBS folgendermaßen:
"In Manhattans Upper East
Side eröffneten die ersten Bars für Singles (Maxwell's Plum, P.
J. Clark's, T.G.I. Friday's) und neue Worte gingen in den
amerikanischen Wortschatz ein:
»Beziehung« wurde sowohl für Ehe als auch Affäre
gebräuchlich (gleichzeitig veraltete das Wort
»Affäre« mit dem damit verbundenen Bild der Randexistenz);
»Lebensstil« brachte das Singledasein wie die Ehe unter
einen Hut (...); und das Wort
»Single« selbst konnte sowohl auf ein soziales Umfeld wie
auf einen Lebensstil angewandt werden. Die Kommerzialisierung
der Single-Bedürfnisse - über Bars, Erholungsorte, Zeitschriften
- trugt zur Entstehung einer Single-Kultur und -Identität bei,
die mit der Zeit immer weniger Grund hatte, sich angesichts
einer verheirateten Mehrheit in der Defensive zu fühlen. In dem
1969 erschienen Buch The Single Girl's Book Making It in the
Big City, ein blasser Abklatsch von Sex and the Single
Girl, ging Stanlee Miller Coy davon aus, daß die jungen
Frauen lediglich wissen wollten, wo sich in
»jenen sieben Städten, in denen sich Vorposten der
Single-Kultur herausgebildet hatten, was tat...In New York hatte
diese Kultur schon lange die kritische Masse erreicht, und man
konnte auf den Third, Second and First Avenues an der Upper East
Side die Single-Bars abklappern und Tausenden von Singles
begegnen«"
(S.69f.)
Die Veränderung der
Rolle der allein stehenden Frau in der Gesellschaft ist die
entscheidende Voraussetzung für den Erfolg der neuen
Single-Kultur gewesen.
Die finanzielle
Unabhängigkeit der Frau durch die Entstehung einer
Dienstleistungsgesellschaft und die Ausweitung der Möglichkeiten
durch eine neuartige Freizeitindustrie sind jene Elemente, die
zur ersten Blüte dieser Nachkriegskultur im New York der 60er
Jahre beigetragen haben.
Historisch gesehen
muss dies natürlich revidiert werden, denn bereits vor dem
zweiten Weltkrieg gab es erste Ansätze dieser Kultur. Für unsere
Betrachtung beschränken wir uns jedoch auf die Entwicklung in
der Nachkriegszeit.
Die allein stehende Karrierefrau als neue
Marktmacht
Im September 1978
berichtet NEWSWEEK über die Karrierefrau als neue Marktmacht.
Durch gesetzliche Änderungen sind weibliche Singles zu einer
neuen Größe auf dem US-amerikanischen Häusermarkt geworden:
"With recent legislation
prohibiting credit and mortgage discrimination on the basis of
sex and marital status, singles have become the fastest growing
segment of the housing industry. And single women are a new
force on the market."
(P. Abramson u.a. in Newsweek vom
04.09.1978)
Berichtet wird u.a. von
allein stehenden Karrierefrauen, die Stadthäuser und
Einfamilienhäuser für ihre Altersvorsorge aufkaufen oder als
sichtbares Symbol ihrer finanziellen Eigenständigkeit verstehen.
Im Jahr 2001
berichtet der britische ECONOMIST von The Bridget Jones
Economy (22.12.). Der Begriff verweist auf die enorme Kaufkraft der jungen
Karrierefrauen in Städten wie London und New York.
Von dieser Bridget-Jones-Ökonomie erhofft sich der ECONOMIST die
wirtschaftliche Erholung der Not leidenden Städte:
"Even more than marketing
men, though, cities in need of economic revival have their eyes
on young singles. Many of them have grasped that these are the
shock troops of creativity and culture; that they drive
gentrification because they are willing to live in the lofts of
inner cities and that they bring with them lots of restaurants
and night life. They lead (...)
»the aesthetisation« of the city, and the evolution of
»the city as spectacle«".
Die Single-Kultur in Westdeutschland
Der erste große deutsche
Single-Report erschien 1978 im SPIEGEL. Hermann SCHREIBER
vergleicht u.a. die Single-Industrie in den USA und Deutschland.
Während sich für
SCHREIBER die USA als Land der unbegrenzten Single-Möglichkeiten
darstellen, fehlte hierzulande eine "Szene", auf der
ausschließlich Singles anzutreffen wären. Er identifiziert
jedoch mit den Swinging Singles ein Milieu, das die neuen
Freiheiten nutzt. Sein Fazit:
"Bei uns haben (...)
solche Veranstaltungen Konjunktur, die von der Intention wie vom
Ambiente her mehr der Lebenshilfe zuzurechnen sind:
Freizeitklubs zum Beispiel oder von Frauenzeitschriften
inszenierte
»Treffpunkte« - alles Einrichtungen, die offenbar davon
ausgehen, daß Alleinlebende nichts weiter als kontaktgestörte
Außenseiter der Paar-Gesellschaft seien."
(SPIEGEL Nr.25, S.71)
Hier klingt bereits an,
was immer noch allzu oft die Beschäftigung mit der
Single-Industrie dominiert und Anfang der 90er Jahre von Heide
SOLTAU auf den Punkt gebracht wurde:
"Der Single-Markt
expandiert, er ist noch längst nicht ausgereizt. Zielgruppe
der mehr oder minder dubiosen Geschäftemacher sind weniger
Alleinlebende als vielmehr einsame Herzen."
(Heide Soltau "Pfeifen aufs
Duett", 1993, S.165)
SOLTAU beschreibt hier die
traditionelle Herangehensweise an die Single-Kultur. "Lonely
Hearts", d.h. unfreiwillige Singles, sind jene Zielgruppe,
der sich die Single-Industrie in erster Linie widmet.
Was zählt zur Single-Industrie?
Eine wissenschaftliche
Definition des Begriffs Single-Industrie kann hier nicht geboten
werden. Da es keine Singleforschung gibt, hat sich noch kein
Wissenschaftler umfassend mit dem Thema Single-Industrie oder
Single-Kultur beschäftigt.
Die
wissenschaftliche Perspektive ist dadurch gekennzeichnet, dass
jeweils Teilaspekte unter einer ganz spezifischen Fragestellung
behandelt werden. Je nach Bindestrich-Wissenschaft stellt sich
die Single-Industrie deshalb anders dar.
Hier soll deshalb
nur ein erster unvollständiger und unsystematischer Versuch
einer Bestandserfassung geleistet werden.
Die Single-Industrie als Konsumindustrie
Der Single kann als
Konsument betrachtet werden. Doris ROSENKRANZ bezeichnet Konsum
als "Verhalten von privaten Endverbrauchern bzw. Haushalten bei
Vorkauf, Kauf und Verbrauch wirtschaftlicher Güter oder
Dienstleistungen" (1998, S.5).
Die Soziologin hat
in ihrer Untersuchung die Konsummuster von Alleinlebenden,
Alleinerziehenden sowie nichtehelichen
Lebensgemeinschaften/Ehepaare mit und ohne Kinder untersucht.
Die Nachfrage
von Alleinlebenden nach Gütern und Dienstleistungen
unterscheidet sich von anderen Lebensformen. Auch die
Kostenstruktur ist je nach Haushaltsgröße verschieden:
"Mit Ausnahme des Bereichs
Wohnen, der Aufwendungen für Energie und der Ausgaben für den
Außer-Haus-Verzehr weisen Alleinlebende insgesamt geringere
Ausgabenanteile auf als Mehrpersonenhaushalte." (1998, S.55)
ROSENKRANZ weist vor allem
auf die Defizite der Konsumforschung hinsichtlich der
Alleinlebenden hin:
"In weiten Teilen sind die
bisherigen Forschungsergebnisse zu Konsummustern privater
Lebensformen als defizitär zu bezeichnen. Trotz eines aktuell
wachsenden Interesses werden lebensformspezifische Konsummuster
in einer sinnvollen Differenzierung kaum erfaßt. Im Vordergrund
vieler Studien stehen z.B. »Singles« als weitgehend homogene
Gruppe, was der Realität dieser Lebensform nicht gerecht wird."
ROSENKRANZ kann den Mythos von den jungen, einkommensstarken
Singles zumindest für die 90er Jahre anhand von empirischen
Studien widerlegen:
"Weidacher kommt nach
Analysen des DJI Familiensurveys zum Ergebnis, daß auch für
jüngere Alleinlebende die generelle These von den
»jungen ledigen einkommensstarken Singles« nicht bestätigt
werden kann (1995, 322). Hradil (1995, 35) konnte zwar zeigen,
daß die 25- bis 55jährigen Alleinlebenden im Hinblick auf die
persönlichen Nettoeinkommen an der Spitze aller Lebensformen in
dieser Altersgruppe stehen. Schließt man jedoch die
Nichterwerbstätigen aus und vergleicht nur die Erwerbstätigen
unter den Singles und Nicht-Singles, zeigt sich für diese
Altersgruppe, daß Nicht-Single Männer mehr verdienen als
Single-Männer und männliche Singles mehr verdienen als
weibliche. Eine Ausnahme bilden hier nur die Frauen: Weidacher
kommt nach Ergebnissen des DJI-Familiensurveys zum Schluß, daß
ledige alleinlebende Frauen zwischen 35 und 55 Jahren
hinsichtlich Einkommen, Berufsposition und Bildungsstatus
»besser dastehen als die ledigen alleinlebenden Männer
dieser Altersgruppen« (1995, 322). Weibliche Singles verdienen
mehr als Nicht-Single-Frauen." (1998, S.86)
Aus dem Zitat geht hervor,
dass vor allem männliche Alleinlebende nicht unbedingt zu
den einkommensstarken Gruppen gehören, obwohl sie im mittleren
Lebensalter die größte Gruppe der Alleinlebenden stellen.
Das Medienbild
der Singles stellt dagegen die allein stehende Karrierefrau in
den Vordergrund.
Wohnen und Wohnumfeld
Ein wichtiger Bereich für
den weiblichen Single ist die Wohnung, während das Wohnen für
Männer oftmals nicht den gleichen Stellenwert besitzt.
Es gibt zwar kaum
eine Singlestudie, die sich nicht mit der Wohnsituation der
Alleinlebenden beschäftigt. Dennoch sind die Erkenntnisse
über den Stellenwert des Wohnens eher bruchstückhaft. Dies mag
daran liegen, dass sich die Studien meist nur mit ganz
bestimmten Teilgruppen von Alleinlebenden beschäftigen.
Einzig Martina LÖW
hat sich mit Raum ergreifen (1994) ausschließlich mit dem
Alleinwohnen beschäftigt. Das Manko besteht jedoch darin, dass
sie nur allein wohnende Frauen befragt hat.
Der deutsche Wohnungsmarkt wird von
einer Wohnungspolitik bestimmt, die das familiengerechte
Wohnen in den Mittelpunkt stellt.
Das Alleinwohnen
ist deshalb als Übergangsstadium konzipiert. Seinen Ausdruck
findet dies in der massenhaften Verbreitung des
Ein-Zimmer-Appartements. Mit der Dauerhaftigkeit des
Alleinwohnens verbinden sich dagegen andere Wohnwünsche.
Bei den Motiven der allein wohnenden Frauen
unterscheidet Martina LÖW drei Themen:
"Frauen wollen entgegen
ihrer Sozialisation Raum einnehmen; sie verwehren sich gegen die
geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, und sie suchen neue Wege,
um das Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Distanz in
Partnerschaften zu leben." (S.99)
Die Wohnung wird bei den
allein wohnenden Frauen zu einem "Symbol für Eigenständigkeit
und Emanzipation" und die Gestaltung der Wohnung dient der
Entwicklung der eigenen Persönlichkeit bzw. muss als Ausdruck
der individuellen Persönlichkeit verstanden werden.
Ronald BACHMANN hat 1992 in seiner Studie über ledige und
geschiedene Alleinlebende sowohl die Wohnbiografien im
Lebensverlauf erfragt als auch vier Formen des Alleinwohnens
unterschieden:
1) Gemeinschaftliches Alleinwohnen.
Hier bekommt die "Wohnung die Funktion eines sozialen
Kommunikationsraumes: ein Treffpunkt mit Freunden und Bekannten,
ein Ort der Geselligkeit und Gemeinschaftlichkeit." (S.148)
2) Zurückgezogenes Alleinwohnen.
Die Wohnung wird vorwiegend für Aktivitäten genutzt, die
"gemeinhin in Mehr-Personen-Haushalten erwartet werden: Kochen,
liebevolles Gestalten der Wohnung, umfängliche Hausarbeit.
(...). Ihre Wohnung symbolisiert für sie einen Freiraum, den sie
nicht missen wollen". (S.150)
3) Defizitäres Alleinwohnen.
Das Alleinwohnen wird als soziale Isolation bzw. als
unfreiwilliges Alleinwohnen erfahren. Die Wohnung erscheint als
Provisorium und der Alleinlebende wohnt im Bewußtsein, des
Übergangs bzw. der Benachteiligung:
"Singles in einer
defizitären Wohnform verbringen ihre Freizeit weitgehend für
sich allein - und ihrer Überzeugung nach zu allein. Sie verfügen
über wenig Sozialkontakt und fühlen sich dadurch an ihre Wohnung
stärker gebunden, als ihnen manchmal lieb ist. Gefühle der
Langeweile und der Benachteiligung im Bereich
zwischenmenschlicher, insbesondere persönlicher Beziehungen
kommen vor." (S.151)
BACHMANN hat diese
Wohnform vor allem unter geschiedenen Männern gefunden. Der
Romanautor Wilhelm GENAZINO hat dagegen anhand des ledigen Angestellten
Abschaffel eine solche defizitäre Wohnweise literarisch
dargestellt (siehe hierzu ausführlich den Essay über die
Ängste der Singles)
4) Freizeitmobiles Alleinwohnen.
Freizeitmobile Singles haben ihren Lebensschwerpunkt im
Privatleben in erster Linie außerhalb der eigenen Wohnung.
BACHMANN hat diesen freizeitaktiven Lebensstil besonders unter
ledigen Alleinlebenden gefunden. BACHMANN beschreibt noch den
telefonischen Anrufbeantworter als Symbol einer solchen
Wohnweise. Das war noch vor unserem Handyzeitalter.
Was bei den vorgestellten Studien auffällt: die Partner der
Alleinlebenden spielen keinerlei Rolle, selbst wenn
Partnerschaften nicht ausgeschlossen wurden.
Dorothee
SCHMITZ-KÖSTER hat sich in ihrer Befragung zur Liebe auf
Distanz (1990) mit den Spuren der Partner in der
Singlewohnung beschäftigt:
"Knapp die Hälfte der
Frauen und Männer gesteht dem Partner in der eigenen Umgebung
nur einen minimalen Raum zu - ein Fach im Schrank oder eine
Ablage im Bad. Manche lassen nicht einmal Kosmetikutensilien
oder ein paar Kleidungsstücke zum Wechseln in der Wohnung des
anderen." (S.124)
Für SCHMITZ-KÖSTER wird
mit der Betonung des eigenen Raums ein neues Paarverständnis
erkennbar.
Die
soziologische Stadtforschung hat sich in den 80er Jahren
weniger mit dem Typus des defizitär wohnenden Alleinlebenden
beschäftigt, sondern den freizeitmobilen Single/Yuppie
beschrieben, der gerne innenstadtnah wohnt, um die
innerstädtische Infrastruktur zu nutzen. Vor allem die
Stadtforschung um Hartmut HÄUßERMANN hat das Stereotyp des
Yuppies popularisiert.
1996 haben Everhard
HOLTMANN & Rainer SCHÄFFER für die Stadt Nürnberg zwar die
Heterogenität der Alleinlebenden hervorgehoben, jedoch dann nur
zwischen jüngeren, einkommensstarken Yuppies und älteren,
finanzschwachen Alleinlebenden unterschieden. Die Wohnwünsche
der ersteren beschreiben sie folgendermaßen:
"Ihren Vorlieben
entspricht häufig eine geräumige Wohnung in einem alten Viertel
im Kern der Innenstadt oder in Innenstadtnähe, wobei die
zentrale Lage und die Atmosphäre eine besondere Anziehungskraft
ausüben". (S.181)
Abschließend lässt sich
feststellen, dass singlegerechtes Wohnen und
familiengerechtes Wohnen oftmals als konkurrierende Wohnformen
beschrieben werden, wobei Singles als Eindringlinge
("Gentrifier") betrachtet werden, die Familien ihren
berechtigten Wohnanspruch streitig machen.
In dieser Sichtweise
drückt sich jedoch eher die mangelnde gesellschaftliche
Akzeptanz des Singlewohnens aus.
Einzig Monika
ALISCH hat frühzeitig auf das Phänomen der Family-Gentrifier
(Beispiel Prenzlauer Berg in Berlin) aufmerksam gemacht. Diese
kaufkraftstarken und nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie
strebenden Familien können gering verdienende Alleinlebende
verdrängen.
Ernährung und Lebensmittelindustrie
Zum Ernährungsverhalten
und Kaufverhalten von Alleinlebenden in
Lebensmittelmärkten gibt es bislang nur zwei
wissenschaftliche Studien. Wilhelm OTT (1995) und Doris
ROSENKRANZ (1998) haben sich mit dieser Thematik befasst.
Die
Lebensmittelindustrie definiert ihre Zielgruppe als
Alleinesser oder als situative Einzelesser. Es zeigt
sich nämlich, dass Alleinesser nicht mit den Alleinlebenden
identisch sind.
Die
Individualisierung der Familie hat dazu geführt, dass der
Alleinesser die Realität der individualisierten Familie ist und
deshalb die Tiefkühlpizza (Convenience-Produkte) eher auf
dem Tisch des Familienhaushaltes landet und weniger im
Single-Haushalt verzehrt wird.
Das Spezial-Heft
der Lebensmittelzeitung Singles - Individualisten machen
mobil vom August 2001 bietet einen guten Überblick zum
Thema, wenngleich das Forschungsdefizit auch hier sichtbar wird.
Eine optimale
Lebensmittelversorgung der Alleinlebenden ist meist
nur in den typischen großstädtischen Yuppie-Vierteln
gewährleistet. Wer nicht zu den Yuppies gehört, der findet in
den Regalen nur die üblichen Familienpackungen. Die
Folge: verderbliche Lebensmittel vergammeln im Kühlschrank,
bevor sie verbraucht werden können.
Bisweilen haben
sich auch Dienstleistungen rund um den Alleinlebenden
entwickelt. Es gibt Lieferservices für Yetties.
Mitesserzentralen kümmern sich darum, dass Alleinlebende keine
Alleinesser sein müssen. Die Verbraucherzentralen kümmern sich
um die gesunde Ernährung der Singles.
Und nicht zuletzt
kann der Alleinlebende in Single-Kochbüchern
nachschlagen, damit nicht immer das gleiche Essen auf den Tisch
kommt.
Die Single-Industrie als Freizeitindustrie
Mit dem Freizeitverhalten
der Alleinlebenden hat sich vor allem die Freizeitpädagogik
beschäftigt. Horst OPASCHOWSKI hat 1981 die zweibändige
Untersuchung Allein in der Freizeit publiziert.
Der Alleinlebende
erscheint in dieser Sicht als defizitäres partnerloses Wesen.
Das Freizeitverhalten wird jedoch nicht als Partnersuche
untersucht, sondern als hedonistisches Vergnügen bzw. als
Ersatzbefriedigung interpretiert. Die Normalfamilie ist der
normative Bezugspunkt einer solchen Sichtweise.
In der
Einführung in die Freizeitwissenschaft (1997) unterscheidet
OPASCHOWSKI zwischen berufsorientierten und freizeitorientierten
Singles (25 - 49jährige Alleinlebende) . Letztere beschreibt er
folgendermaßen:
"Sie sind während er Woche
fast jeden Abend unterwegs: Im Fitness-Studio oder Tennis-Club,
im Schwimmbad oder in der Sauna, im Kino oder in der Kneipe.
Zwischendurch werden
»Hängertage« eingelegt, wo sie in den eigenen vier Wänden
relaxen, trödeln oder telefonieren. Das Wochenende gehört dann
dem Disco- oder Konzertbesuch, dem Aus- und Essengehen." (S.120)
Die Single-Industrie
stellt die Infrastruktur und die Angebote zur Verfügung, die
solche freizeitorientierten Singles nutzen. Beim
Freizeitalltag von Alleinlebenden unterscheidet OPASCHOWSKI
zwischen Feierabend, Wochenende und Urlaub.
Obwohl OPASCHOWSKI
Singles als Alleinlebende mit und ohne Partnerschaft definiert,
spielen die Partner der Singles keine Rolle. Vielmehr wird das
Freizeitverhalten einzig unter den Aspekten Kontaktzwang und
Konsumstreß abgehandelt.
Beim
Urlaubsverhalten der Alleinlebenden ist zu beachten, dass
Alleinlebende nicht unbedingt Alleinreisende sind (siehe
hierzu ausführlich den Essay über die Alleinreisenden).
Oftmals bevorzugen Singles Gruppenreisen oder Reisen mit einem
Urlaubspartner.
Die Single-Industrie und das Geschäft mit
der Einsamkeit
Was in traditioneller
Sicht ganz oben steht, soll hier nur am Rande abgehandelt
werden.
Zum einen, weil
dieses Feld am besten untersucht ist und deshalb zu einzelnen
Aspekte differenziertere Beiträge geplant sind.
Zum anderen aber
weil das Geschäft mit der Einsamkeit für das Alleinleben nicht
den zentralen Stellenwert besitzt, der gerne behauptet wird.
Partnersuchende
finden sich auch unter Nicht-Singles (z.B. Nesthocker oder
Verheiratete, deren Ehe nur noch auf dem Papier steht).
Andererseits ist nicht jeder Alleinlebende partnerlos oder gar
auf der Suche nach einem neuen Partner. Im mittleren Lebensalter
ist das Alleinleben mit fester Partnerschaft weit verbreitet.
Der Heidelberger
Soziologe Thomas KLEIN behauptet:
"der Anteil der Personen,
die ohne feste Partnerschaften leben, ist trotz angeblichen
»Individualisierungsschubes« seit den 1960er Jahren weitgehend
konstant geblieben."
(GEO, Mai 2004)
In den Medien stehen jene
Methoden der Partnersuche im Vordergrund, die sich durch
einen Neuigkeitswert auszeichnen. Zur Zeit gilt die die
Online-Partnersuche als "Killerapplikation". Offline
ist das Speed-Dating zeitgemäß.
Haben wir die
Liebe verlernt? fragt alarmiert das Mai-Heft von NEON. Die
kulturpessimistische Sorge um den Verlust der Liebesfähigkeit
begleitet jede Generation von neuem:
"Die (...)
Rückbildung von Kontakt- und Liebesfähigkeiten findet
in der fröhlichen Liberalisierung des
Partnerschaftsmarkts ihre zeitgemäße Form und
Ausdruck."
(aus: Oskar Klemmert "Liebe als Markt", 1996, S.76)
Single-generation.de hält
nichts von derartigem Alarmismus. Dies gilt umso mehr als gerade
der Paarbildungsprozess ein stark vernachlässigtes Thema
der Sozialwissenschaften ist.
Im Rezensionsessay
zum Buch Der Morgen danach des französischen Soziologen
Jean-Claude KAUFMANN wird auf dieses Defizit näher
eingegangen.
Ein anderes
vernachlässigtes Thema ist der Zusammenhang von Partnerwahl
und Familiengründung. Die neueste bevölkerungspolitische
Wende legt das Hauptaugenmerk auf die Geburt des ersten Kindes.
Was vorher passiert, das interessiert dagegen nicht.
Das könnte aber in
Zukunft wichtig werden, wenn das Beispiel der Popliteraten
Joachim BESSING und Alexa von Hennig LANGE Schule macht und das
Modell der Single-Mutter ernsthaft in Frage gestellt
wird:
"»Ich
war Anfang zwanzig«,
arbeitet Alexa Hennig von Lange sich langsam zur Schmerzgrenze
vor, »und wollte eine
Familie, aber keinen Mann. Also dachte ich, ich fange
mit dem Kind an, der Mann kommt dann später.« Ermuntert durch
die Berichte über Madonna, die
damals gerade mit Hilfe ihres Fitness-Trainers schwanger
geworden war, wurde sie also Mutter, mehr oder weniger
ohne Vater. »Ich hatte ja einen Beruf und konnte für mich selbst
sorgen.« Selbst die Freunde im Publikum senken mittlerweile
beschämt die Köpfe, aber es geht noch weiter. Die genauen
Umstände der Zeugung lässt Alexa Hennig von Lange zwar aus, aber
eins ist klar: »Heute hätte ich mich anders entschieden«, sagt
sie, ganz die reumütige Sünderin, die weiß, dass aus »den vielen
Freiheiten, die wir haben, Notsituationen entstehen können« und
dass ein Kind eine richtige Familie braucht und nicht zwei oder
eineinhalb."
(Kolja Mensing in der TAZ Berlin vom
16.04.2004)
Damit sind wir bereits am
Ende dieses Kapitels angelangt.
Zum Schluss soll
noch danach gefragt werden, inwiefern aus dem massenhaften
Alleinleben eine neue politische Kraft entstehen könnte.
Ist in Deutschland mit einer Single-Bewegung
zu rechnen?
Bereits 1983 stellte sich
der Stadtsoziologe Wolfram DROHT die Frage, ob es in Deutschland
eine vergleichbare Single-Bewegung wie in den USA geben könnte:
"Seit 1982 erscheint,
herausgegeben in Hamburg, die Zeitschrift
»Single« mit einer Auflage von 120 000 Exemplaren (Dezember
1982). Es entstehen auch Single-Clubs, die sich unter anderem
mit Problemen Alleinlebender auseinandersetzen (...). In den
Zeitungen und Zeitschriften tauchen Anzeigen auf, in denen
Singles direkt angesprochen werden. Interessant mag in diesem
Zusammenhang sein, daß die NEUE HEIMAT die 1 1/2
Zimmer-Wohnungen einer Wohnanlage in Hamburg-Harburg in einer
Zeitungsanzeige als
»Single-Wohnung ... groß genug, auch wenn ihr Gast zum
Frühstück bleibt« (HAMBURGER ABENDBLATT vom 11./12.12.1982).
Es ist jedoch nicht abzusehen, ob diese Entwicklungen in der
Bundesrepublik das Ausmaß derer in den USA auch nur annähernd
erreichen werden. Wir halten dies - trotz des wesentlich
größeren Anteils an Ein-Personenhaushalten in der Bundesrepublik
Deutschland - aus folgendem Grund für unwahrscheinlich: In den
USA werden die Singles als eine Gruppe von Personen betrachtet,
deren Verhalten von den gesellschaftlichen Normen abweicht. Die
Minderheiten haben in den USA im Laufe der zeit Strategien
entwickelt, sich gegenüber den etablierten Gruppen zu behaupten.
Solche Strategien haben auch die amerikanischen Singles
angewendet: Sie organisieren sich, schlossen sich zusammen und
konzentrierten sich räumlich in bestimmten Gebieten. Dadurch
wurden sie gleichzeitig von der Gesellschaft als Gruppe
wahrgenommen und beachtet. In der Bundesrepublik werden
Alleinlebende kaum diskriminiert. Deswegen und weil es in
Deutschland die Tradition des sich Organisierens,
Zusammenschließens und An-die-Öffentlichkeit-Tretens nicht gibt,
wird hier eine Single-Bewegung wohl nicht entstehen. Die
Alleinlebenden werden nicht als Gruppe auftreten; und als
einzelne Individuen werden sie und ihre Bedürfnisse von der
Gesellschaft kaum wahrgenommen.
(1983, S.53f.)
Zwanzig Jahre sind seit
dieser Einschätzung vergangen. Singles werden inzwischen zwar
von der Gesellschaft stärker wahrgenommen, aber dies hat
keineswegs dazu geführt, dass eine Single-Bewegung entstanden
ist.
Durch die
bevölkerungspolitische Wende in der Familienpolitik wird die
Sichtbarkeit und vor allem die negative Beurteilung von Singles
weiter zunehmen. Inwiefern dies zur Herausbildung einer sozialen
Gruppe führt, die sich als Single-Bewegung versteht, bleibt
abzuwarten.
Bei Wolfram DROHT
stehen zudem die alleinlebenden Partnerlosen im Mittelpunkt. Das
Singleleben ist jedoch wesentlich heterogener als dies bei DROHT
deutlich wird.
Die
entscheidende Frage ist, ob die Haushaltsform überhaupt
politische Interessen begründen kann. Bisher wird nur von
Nicht-Singles argumentiert, dass dies der Fall sei. Es handelt
sich dabei jedoch um Interessen, die Singles zugeschrieben
werden, während von einer singlespezifischen
Interessenformulierung nicht gesprochen werden kann.
Solange Singles
sich nicht gegen solche Fremdzuschreibungen wehren, kann
schwerlich von gemeinsamen politischen Interessen gesprochen
werden.
Fazit: Die Single-Industrie ist ein wichtiges,
aber vernachlässigtes Thema
Wenn
heutzutage die Single-Industrie als Geschäft mit der Einsamkeit
begriffen wird, dann ist das Ausdruck der mangelnden
gesellschaftlichen Akzeptanz des Single-Daseins.
Wird als Maßstab
für die Bewertung der Single-Industrie die Ermöglichung eines
erfüllenden Singlelebens jenseits des Paar- und Familienlebens
genommen, dann zeigen sich die Defizite der gegenwärtigen
Single-Kultur in Deutschland. Alleinlebende dürfen weder mit
Partnerlosen noch mit Partnersuchenden gleichgesetzt werden.
Wissenschaftliche
Erkenntnisse über den Alltag der Alleinlebenden fehlen in der
Regel. Vorurteile ersetzen die Empirie.
Von der Wirtschaft
wird der vorwiegend weibliche Yuppie umworben,
während die Mehrzahl der gering verdienenden männlichen
Singles eine unbekannte Größe sind.
Alleinlebende sind
hierzulande keine politische Kraft. Es existiert weder eine
Single-Szene jenseits der Jugend- und Seniorenkultur, noch
eine Single-Bewegung, die sich gegen die neuen Zumutungen der
Demografiepolitik zur Wehr setzt.
Aufgrund der
fehlenden Studien zum Thema kann es sich hier nur um eine
vorläufige Einschätzung handeln. Das Thema wird auf
single-generation.de in Zukunft - vor allem bezogen auf
spezielle Einzelaspekte - weiter behandelt werden.
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