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Thema des Sommers

 
   

Die Single-Industrie

 
   

Single-Kultur in der paar- und familienorientierten  Gesellschaft
 

 
     
   
 
 

Zitate: Die Single-Industrie in der Debatte

"Das Geschäft mit der Einsamkeit, an dem alle die partizipieren, die Ersatzbefriedigung verkaufen, ist zwar kein Argument gegen das Alleinleben, das auch einfach beruflich bedingt sein kann, man sollte es aber bei der Analyse dieser Lebensform nicht ignorieren.
(Weder im Spiegel noch anderswo ein Wort über die Unwirtlichkeit von Ein-Personen-Haushalten, nichts über die Schwierigkeiten, zugleich akzeptable und ihren Preis werte Wohnungen zu finden, nichts über die zeit- und nervtötenden Hürden des Alltags, die finanzschwache Singles zu nehmen haben. Und anders: bei »sozial Schwachen« ist der Alleingang oft nichts als ein Effekt ihrer Lage (...))".
(aus: Eike Hühnermann "Der Egotrip der Solitäre", 1979, S.24)

"Mein Single-Jubel bezieht sich auf echte Erwachsenheiten. Denn wenn keine neuen Beziehungen mehr eingegangen werden können, weil wir voll von alten stecken - zu abgelebten Partnern und Eltern -, dann ist single nur eine Flucht, ein Beweis für unsere Unfähigkeit, uns zu lösen und zu beziehen; dann wäre single gesellschaftlich nichts anderes als ein Ende aller Kommunikation, eine Kontaktsperre. Singles = ausgebrannte Einzelheiten, die sich in ihren letzten Schlupfwinkeln verschanzen vom Kapitalismus gehätschelt  wegen ihres konsumanheizenden Effekts."
(aus: Volker Elis Pilgrim "Trautes Glück allein?", 1991, S.55)

"Singles (...) sind die Hätschelkinder der Konsumgesellschaft, weil sei den Konsum anheizen (Pilgrim 1991): Ein Paar braucht alles nur einmal, zwei räumlich getrennte Singles aber brauchen zwei Wohnungen, zwei Fernsehgeräte, zwei Videos, zwei Stereoanlagen und zwei Telefonanschlüsse".
(aus: Horst W. Opaschowski "Singles: Die Hätschelkinder der Konsumgesellschaft", 1994, S.27)

"Ohne neuen ordnungspolitischen Rahmen für den Wohnungsbau (...) geriete (der Wohnungsmarkt) vollends aus den Fugen durch die Marktmacht eines großen Teils der Kleinhaushalte. Die Hackordnung wird angeführt von der großen Zahl leistungsorientierten und im Berufsleben stehenden Kleinhaushalte ohne Kinder.
(...).
Das Single ist der einzige Nachfrager, für den verdichteten Wohnformen nicht nur zumutbar, sondern sogar vorteilhaft sein können. Das Hochhaus ist verpönt, zu Recht, soweit man es aus dem Blickwinkel der Wohnbedürfnisse einer Familie mit Kindern betrachtet. Als eine Art »Servicehaus« könnte es für Alleinlebende auch im 20. Geschoß attraktiv sein. Wir streben deshalb an, daß in Gebieten, die sich zu Dienstleistungszentren umstrukturieren, ein Wohnanteil von mindestens 25 % realisiert wird für gemischte Wohnformen, aber eben doch auch speziell für Alleinlebende."
(aus: Friedemann Geschwind "Neue Lebensformen als städtebauliche Herausforderung", 1994, S.112f.)

"»Can't buy love« sangen die Beatles. Sie hatten Recht. Liebe aus dem Internet hält selten für die Ewigkeit. Zwei Menschen, die einander vermittelt wurden, fehlt eine gemeinsame Basis - weil am Anfang kein Erlebnis, keine Gemeinsamkeit, kein Bemühen um den anderen stand. Sondern nur ein Steckbrief. Und ein Geschäftsmodell."
(Oliver Creutz in Neon, Mai 2004, S.54)

Die Single-Industrie - eine neue Herangehensweise

Über kaum einen Industriezweig gibt so viele Vorurteile und so wenig Wissen wie über die Single-Industrie. Die populistische sozial- und familienpolitische Debatte um die Schädlichkeit des Single-Daseins trägt wesentlich dazu bei, dass sich daran auch zukünftig kaum etwas ändern dürfte.
      
  Gegenwärtig steht der Zeitgeist - wenn man den Medien glaubt - auf Re-Romantisierung. Hier soll deshalb ein pragmatischer Zugang gewählt werden.
      
  Wir interessieren uns also nicht für den Konsum der Romantik (Eva ILLOUZ). Wir lassen auch Paarungsspiele (Eggo MÜLLER) wie in Herzblatt und sonstige Single-Shows im Fernsehen  links liegen. Wir ignorieren die Traumhochzeit und den neuen Hochzeitskult.
      
  Wir werden uns auch nicht nur jenen gesellschaftlichen Praktiken zuwenden, mittels derer sich heutzutage Paare finden.
      
  Die Single-Industrie wird hier stattdessen umfassender begriffen als Industrie, die ein erfüllendes Alleinleben auch jenseits des Paar- und Familienlebens ermöglicht. Dazu widmen wir uns der Single-Kultur und ihrer Infrastruktur als Voraussetzung eines erfüllenden Single-Lebens.
      
  Diese Sichtweise ist alles andere als selbstverständlich, wie der folgende Beitrag zeigen wird. Da sich die Wissenschaft nur selten mit diesem Thema beschäftigt hat, kann es sich hier nur um eine erste Annäherung an diesen Gegenstand handeln. In zukünftigen Beiträgen sollen dann Einzelaspekte näher beleuchtet werden.

Wie die Single-Industrie entstand

Das Nachrichtenmagazin NEWSWEEK beschreibt die Geburt der Single-Industrie folgendermaßen:

"It all began modesty enough. An unmarried New York City perfume salesman named Alan Stillman decided that the coolest way to meet the stewardesses in his neighborhood would be to buy a brocken-down beer joint, jazz it up with Tiffany lamps and mod young waiters and christen it - with an eye toward attracting the career crowd - the T.G.I.F. (for Thank God It's Friday). Within one week, the police hat to ring Fridays (as it quickly became known) with barricades to handle the nightly hordes of young singles on the make. Hundreds of blatantly imitative emporiums soon opened their doors in scores of major cities - and an industry was born. What began larely as a salesman's mating ploy has triggered an explosion of singles-only institutions: singles apartment complexes, singles cruises, singles weekends at resort hotels, singles clubs for every persuasion from vegetarians to occultists. Within just eight years, singlehood has emerged as an intensely ritualized - and newly respectable-style of American life."
(Harry F. Waters in Newsweek vom 16.07.1973)

Im New York der 60er Jahre vollzog sich die Geburtsstunde der Single-Industrie, die seitdem ihren Siegeszug durch die westlichen Industrieländer antritt. Dies gilt selbst für Nationen, die uns Deutschen - wie die Franzosen - als Familiengesellschaften präsentiert werden (siehe hierzu NOUVEL OBSERVATEUR vom 29.04.2004)

Die Rolle der Single-Bars für die Attraktivität des Single-Lebens

Im NEWSWEEK-Artikel wird die Single-Bar als erste Errungenschaft der neuen Single-Kultur beschrieben.
Waren Kneipen für frühere Generationen reine Männersache, so wurde es nun selbstverständlich, dass auch Frauen ohne männliche Begleitung solche öffentlichen Räume aufsuchen durften.

      
  ALLON & FISHEL (1979) haben in ihrem Buch urban life styles diese Veränderungen beschrieben. Für Deutschland haben Franz DRÖGE & Thomas KRÄMER-BADONI (1987) diesen Wandel in dem Buch Die Kneipe zum Thema gemacht.
      
  Den wichtigen Beitrag der Single-Bars zur neuen Attraktivität des Single-Daseins beschreiben ALLON & FISHON folgendermaßen:

"Bars labeled »singles bars« were vehicles to transform singlehood from a sad, shameful affair to an »in« status. Men traditionally have been accustomed to go to bars alone and to clandestinely or openly satisfy their sexual appetites, so that male sexual swinging has been endemic to the culture. Singles bars undertook the task of socializing women into the glories of admitting to be unmarried, to be open to engage in premariatal and sometimes extramariatal sex, and to be on their own in the bars. Women are not made to feel »cheap« if they go to singles bars unescorted which they are made to feel in other bars."
(1979, S.130)

Die Single-Bar bot gemäß ALLON & FISHON im Gegensatz zu anderen Einrichtungen wie Tanzlokale, Discos oder sonstige Clubs einen leicht und schnell zugänglichen Raum, der mit relativ niedrigen Kosten verbunden war.

Angestellte und Studenten als Träger der Single-Kultur

In den USA popularisierten Hugh HEFNERs Playboy und Helen Gurley BROWNs Cosmpolitan diese neue Single-Philosophie, die sich vor allem im Angestelltenmilieu durchsetzte.
      
  Angestellte gehörten neben den Studenten zu den Trägern dieser neuen Single-Kultur.
      
  Barbara EHRENREICH, Elizabeth HESS und Gloria JACOBS (1986) haben die Entstehung der Single-Kultur und das Lebensgefühl der New Yorker swinging Sixties in Re-making love. Feminization of Sex beschrieben.
      
  Sie sehen bereits in den Anfängen der Dienstleistungsgesellschaft in den 50er Jahren die Voraussetzung für die neue Single-Kultur der 60er Jahre grundgelegt (siehe hierzu ausführlicher den Essay über das Single-Dasein in den USA).
      
  In der - leider schlechten - deutschen Übersetzung Gesprengte Fesseln? (1988) liest sich das so:

"Wenn Sex in den Vororten mattgesetzt war, so entwickelte sich in den frühen sechziger Jahren mit der aufstrebenden »Single-Kultur« neues Terrain für erotische Erfahrungen. (...).
In der New Yorker Upper East Side, dem ersten Single-Getto, spiegelte ein rapider Aufschwung des Wohnungsmarkts die Einwanderungsrate hoffnungsvoller Sekretärinnen, Stewardessen, Redaktionsassistentinnen sowie Möchtegern-Fotomodellen und Schauspielerinnen, die sich als Empfangsdamen und Kellnerinnen über die Runden brachten. Drei oder vier »Mädels« teilten sich für 300 Dollar im Monat ein Zwei-Schlafzimmer-Apartment, verloren einige Zimmergenossinnen durch die Ehe, andere durch Erfolglosigkeit (im Regelfall konnte ein Mädchen, das es nicht geschafft hatte, immer noch in irgendeine Heimatstadt zurückzukehren), und rekrutierten ständig neue Genossinnen aus den Colleges und Kleinstädten des mittleren Westens." (S.63f.)

Die Ausweitung der Möglichkeiten durch Großstädte

EHRENREICH/HESS/JACOBS beschreiben den großstädtischen Raum im Gegensatz zum familiären Suburb als Ausweitung der Möglichkeiten für junge alleinstehende Mittelschichtfrauen:

"Die junge Mittelschichtfrau (...) ging normalerweise davon aus, daß sie in ein paar Jahren heiraten und sich in einem Vorort zur Ruhe setzen würde, denn noch immer waren sich die Experten darin einig, daß »Mutterschaft das bestimmende Merkmal eines Frauenlebens« sei. In der Zwischenzeit aber hatte sie Vorteile und sexuelle Möglichkeiten, die sie als Hausfrau nie wieder haben würde. Erstens verdiente sie ihr eigenes Geld (...). Zweitens lebte sie in einem sozialen Umfeld, das unendlich reicher an sexuellen Kontaktmöglichkeiten war als die eingeschlechtliche Welt der verheirateten Frau mit ihrem Einkaufszentrum und Spielplätzen. Da war das Büro - eine weitgehend weibliche und ganz sicher von Männern beherrschte Arbeitswelt, die aber Möglichkeiten für Phantasien und Flirts bot. Und da war der öffentliche Raum der Straße, der Bars, Buchläden und Busse, in dem sich die Frau ganz anonym von einer Begegnung mit einem potentiellen Partner zur nächsten bewegen konnte." (S.64)

EHRENREICH/HESS/JACOBS sehen im Buch Sex and the Single Girl (1962) von Helen Gurley BROWN einen wichtigen Beitrag zur sexuellen Revolution:

"Die erste Sprecherin dieser Revolution war eine Frau, die viele Feministinnen verabscheut und unter keinen Umständen zu den ihren gezählt hätten. (...). Brown (...) verkündete, daß die Ehe unnötig und eine neues Leben bereits möglich sei, das Leben des alleinstehenden, urbanen und berufstätigen »Mädels«. Browns Buch war ein überschwenglicher Leitfaden zur Selbstvollkommung, geschrieben in einem Stil, den sie später in Cosmopolitan unsterblich machen sollte". (S.65f.)

Das Single-Girl und die große Stadt

Das sogenannte Cosmo-Girl stand für ein neues Frauenbild. "Anständige Mädchen", d.h. angestellte Mittelschichtfrauen durften Affären haben, ohne als Nutten oder Flittchen zu gelten.
      
  Die Entstehung der Single-Kultur Mitte der 60er Jahre beschreiben EHRENREICH/HESS/JACOBS folgendermaßen:

"In Manhattans Upper East Side eröffneten die ersten Bars für Singles (Maxwell's Plum, P. J. Clark's, T.G.I. Friday's) und neue Worte gingen in den amerikanischen Wortschatz ein: »Beziehung« wurde sowohl für Ehe als auch Affäre gebräuchlich (gleichzeitig veraltete das Wort »Affäre« mit dem damit verbundenen Bild der Randexistenz); »Lebensstil« brachte das Singledasein wie die Ehe unter einen Hut (...); und das Wort »Single« selbst konnte sowohl auf ein soziales Umfeld wie auf einen Lebensstil angewandt werden. Die Kommerzialisierung der Single-Bedürfnisse - über Bars, Erholungsorte, Zeitschriften - trugt zur Entstehung einer Single-Kultur und -Identität bei, die mit der Zeit immer weniger Grund hatte, sich angesichts einer verheirateten Mehrheit in der Defensive zu fühlen. In dem 1969 erschienen Buch The Single Girl's Book Making It in the Big City, ein blasser Abklatsch von Sex and the Single Girl, ging Stanlee Miller Coy davon aus, daß die jungen Frauen lediglich wissen wollten, wo sich in »jenen sieben Städten, in denen sich Vorposten der Single-Kultur herausgebildet hatten, was tat...In New York hatte diese Kultur schon lange die kritische Masse erreicht, und man konnte auf den Third, Second and First Avenues an der Upper East Side die Single-Bars abklappern und Tausenden von Singles begegnen«"
(S.69f.)

Die Veränderung der Rolle der allein stehenden Frau in der Gesellschaft ist die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg der neuen Single-Kultur gewesen.
      
  Die finanzielle Unabhängigkeit der Frau durch die Entstehung einer Dienstleistungsgesellschaft und die Ausweitung der Möglichkeiten durch eine neuartige Freizeitindustrie sind jene Elemente, die zur ersten Blüte dieser Nachkriegskultur im New York der 60er Jahre beigetragen haben.
      
  Historisch gesehen muss dies natürlich revidiert werden, denn bereits vor dem zweiten Weltkrieg gab es erste Ansätze dieser Kultur. Für unsere Betrachtung beschränken wir uns jedoch auf die Entwicklung in der Nachkriegszeit.

Die allein stehende Karrierefrau als neue Marktmacht

Im September 1978 berichtet NEWSWEEK über die Karrierefrau als neue Marktmacht. Durch gesetzliche Änderungen sind weibliche Singles zu einer neuen Größe auf dem US-amerikanischen Häusermarkt geworden:

"With recent legislation prohibiting credit and mortgage discrimination on the basis of sex and marital status, singles have become the fastest growing segment of the housing industry. And single women are a new force on the market."
(P. Abramson u.a. in Newsweek vom 04.09.1978)

Berichtet wird u.a. von allein stehenden Karrierefrauen, die Stadthäuser und Einfamilienhäuser für ihre Altersvorsorge aufkaufen oder als sichtbares Symbol ihrer finanziellen Eigenständigkeit verstehen.
      
  Im Jahr 2001 berichtet der britische ECONOMIST von The Bridget Jones Economy (22.12.). Der Begriff verweist auf die enorme Kaufkraft der jungen Karrierefrauen in Städten wie London und New York. Von dieser Bridget-Jones-Ökonomie erhofft sich der ECONOMIST die wirtschaftliche Erholung der Not leidenden Städte:

"Even more than marketing men, though, cities in need of economic revival have their eyes on young singles. Many of them have grasped that these are the shock troops of creativity and culture; that they drive gentrification because they are willing to live in the lofts of inner cities and that they bring with them lots of restaurants and night life. They lead (...) »the aesthetisation« of the city, and the evolution of »the city as spectacle«".

Die Single-Kultur in Westdeutschland

Der erste große deutsche Single-Report erschien 1978 im SPIEGEL. Hermann SCHREIBER vergleicht u.a. die Single-Industrie in den USA und Deutschland.
      
  Während sich für SCHREIBER die USA als Land der unbegrenzten Single-Möglichkeiten darstellen, fehlte hierzulande eine "Szene", auf der ausschließlich Singles anzutreffen wären. Er identifiziert jedoch mit den Swinging Singles ein Milieu, das die neuen Freiheiten nutzt. Sein Fazit:

"Bei uns haben (...) solche Veranstaltungen Konjunktur, die von der Intention wie vom Ambiente her mehr der Lebenshilfe zuzurechnen sind: Freizeitklubs zum Beispiel oder von Frauenzeitschriften inszenierte »Treffpunkte« - alles Einrichtungen, die offenbar davon ausgehen, daß Alleinlebende nichts weiter als kontaktgestörte Außenseiter der Paar-Gesellschaft seien."
(SPIEGEL Nr.25, S.71)

Hier klingt bereits an, was immer noch allzu oft die Beschäftigung mit der Single-Industrie dominiert und Anfang der 90er Jahre von Heide SOLTAU auf den Punkt gebracht wurde:

"Der Single-Markt expandiert, er ist noch längst nicht ausgereizt. Zielgruppe der mehr oder minder dubiosen Geschäftemacher sind weniger Alleinlebende als vielmehr einsame Herzen."
(Heide Soltau "Pfeifen aufs Duett", 1993, S.165)

SOLTAU beschreibt hier die traditionelle Herangehensweise an die Single-Kultur. "Lonely Hearts", d.h. unfreiwillige Singles, sind jene Zielgruppe, der sich die Single-Industrie in erster Linie widmet.

Was zählt zur Single-Industrie?

Eine wissenschaftliche Definition des Begriffs Single-Industrie kann hier nicht geboten werden. Da es keine Singleforschung gibt, hat sich noch kein Wissenschaftler umfassend mit dem Thema Single-Industrie oder Single-Kultur beschäftigt.
      
  Die wissenschaftliche Perspektive ist dadurch gekennzeichnet, dass jeweils Teilaspekte unter einer ganz spezifischen Fragestellung behandelt werden. Je nach Bindestrich-Wissenschaft stellt sich die Single-Industrie deshalb anders dar.
      
  Hier soll deshalb nur ein erster unvollständiger und unsystematischer Versuch einer Bestandserfassung geleistet werden.

Die Single-Industrie als Konsumindustrie

Der Single kann als Konsument betrachtet werden. Doris ROSENKRANZ bezeichnet Konsum als "Verhalten von privaten Endverbrauchern bzw. Haushalten bei Vorkauf, Kauf und Verbrauch wirtschaftlicher Güter oder Dienstleistungen" (1998, S.5).
      
  Die Soziologin hat in ihrer Untersuchung die Konsummuster von Alleinlebenden, Alleinerziehenden sowie nichtehelichen Lebensgemeinschaften/Ehepaare mit und ohne Kinder untersucht.
      
  Die Nachfrage von Alleinlebenden nach Gütern und Dienstleistungen unterscheidet sich von anderen Lebensformen. Auch die Kostenstruktur ist je nach Haushaltsgröße verschieden:

"Mit Ausnahme des Bereichs Wohnen, der Aufwendungen für Energie und der Ausgaben für den Außer-Haus-Verzehr weisen Alleinlebende insgesamt geringere Ausgabenanteile auf als Mehrpersonenhaushalte." (1998, S.55)

ROSENKRANZ weist vor allem auf die Defizite der Konsumforschung hinsichtlich der Alleinlebenden hin:

"In weiten Teilen sind die bisherigen Forschungsergebnisse zu Konsummustern privater Lebensformen als defizitär zu bezeichnen. Trotz eines aktuell wachsenden Interesses werden lebensformspezifische Konsummuster in einer sinnvollen Differenzierung kaum erfaßt. Im Vordergrund vieler Studien stehen z.B. »Singles« als weitgehend homogene Gruppe, was der Realität dieser Lebensform nicht gerecht wird."

ROSENKRANZ kann den Mythos von den jungen, einkommensstarken Singles zumindest für die 90er Jahre anhand von empirischen Studien widerlegen:

"Weidacher kommt nach Analysen des DJI Familiensurveys zum Ergebnis, daß auch für jüngere Alleinlebende die generelle These von den »jungen ledigen einkommensstarken Singles« nicht bestätigt werden kann (1995, 322). Hradil (1995, 35) konnte zwar zeigen, daß die 25- bis 55jährigen Alleinlebenden im Hinblick auf die persönlichen Nettoeinkommen an der Spitze aller Lebensformen in dieser Altersgruppe stehen. Schließt man jedoch die Nichterwerbstätigen aus und vergleicht nur die Erwerbstätigen unter den Singles und Nicht-Singles, zeigt sich für diese Altersgruppe, daß Nicht-Single Männer mehr verdienen als Single-Männer und männliche Singles mehr verdienen als weibliche. Eine Ausnahme bilden hier nur die Frauen: Weidacher kommt nach Ergebnissen des DJI-Familiensurveys zum Schluß, daß ledige alleinlebende Frauen zwischen 35 und 55 Jahren hinsichtlich Einkommen, Berufsposition und Bildungsstatus »besser dastehen als die ledigen alleinlebenden Männer dieser Altersgruppen« (1995, 322). Weibliche Singles verdienen mehr als Nicht-Single-Frauen." (1998, S.86)

Aus dem Zitat geht hervor, dass vor allem männliche Alleinlebende nicht unbedingt zu den einkommensstarken Gruppen gehören, obwohl sie im mittleren Lebensalter die größte Gruppe der Alleinlebenden stellen.
      
  Das Medienbild der Singles stellt dagegen die allein stehende Karrierefrau in den Vordergrund.

Wohnen und Wohnumfeld

Ein wichtiger Bereich für den weiblichen Single ist die Wohnung, während das Wohnen für Männer oftmals nicht den gleichen Stellenwert besitzt.
      
  Es gibt zwar kaum eine Singlestudie, die sich nicht mit der Wohnsituation der Alleinlebenden beschäftigt. Dennoch sind die Erkenntnisse über den Stellenwert des Wohnens eher bruchstückhaft. Dies mag daran liegen, dass sich die Studien meist nur mit ganz bestimmten Teilgruppen von Alleinlebenden beschäftigen.
      
  Einzig Martina LÖW hat sich mit Raum ergreifen (1994) ausschließlich mit dem Alleinwohnen beschäftigt. Das Manko besteht jedoch darin, dass sie nur allein wohnende Frauen befragt hat.
      
  Der deutsche Wohnungsmarkt wird von einer Wohnungspolitik bestimmt, die das familiengerechte Wohnen in den Mittelpunkt stellt.
      
  Das Alleinwohnen ist deshalb als Übergangsstadium konzipiert. Seinen Ausdruck findet dies in der massenhaften Verbreitung des Ein-Zimmer-Appartements. Mit der Dauerhaftigkeit des Alleinwohnens verbinden sich dagegen andere Wohnwünsche.
      
  Bei den Motiven der allein wohnenden Frauen unterscheidet Martina LÖW drei Themen:

"Frauen wollen entgegen ihrer Sozialisation Raum einnehmen; sie verwehren sich gegen die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, und sie suchen neue Wege, um das Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Distanz in Partnerschaften zu leben." (S.99)

Die Wohnung wird bei den allein wohnenden Frauen zu einem "Symbol für Eigenständigkeit und Emanzipation" und die Gestaltung der Wohnung dient der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit bzw. muss als Ausdruck der individuellen Persönlichkeit verstanden werden.
      
  Ronald BACHMANN hat 1992 in seiner Studie über ledige und geschiedene Alleinlebende sowohl die Wohnbiografien im Lebensverlauf erfragt als auch vier Formen des Alleinwohnens unterschieden:
1) Gemeinschaftliches Alleinwohnen.
Hier bekommt die "Wohnung die Funktion eines sozialen Kommunikationsraumes: ein Treffpunkt mit Freunden und Bekannten, ein Ort der Geselligkeit und Gemeinschaftlichkeit." (S.148)
2) Zurückgezogenes Alleinwohnen.
Die Wohnung wird vorwiegend für Aktivitäten genutzt, die "gemeinhin in Mehr-Personen-Haushalten erwartet werden: Kochen, liebevolles Gestalten der Wohnung, umfängliche Hausarbeit. (...). Ihre Wohnung symbolisiert für sie einen Freiraum, den sie nicht missen wollen". (S.150)
3) Defizitäres Alleinwohnen.
Das Alleinwohnen wird als soziale Isolation bzw. als unfreiwilliges Alleinwohnen erfahren. Die Wohnung erscheint als Provisorium und der Alleinlebende wohnt im Bewußtsein, des Übergangs bzw. der Benachteiligung:

"Singles in einer defizitären Wohnform verbringen ihre Freizeit weitgehend für sich allein - und ihrer Überzeugung nach zu allein. Sie verfügen über wenig Sozialkontakt und fühlen sich dadurch an ihre Wohnung stärker gebunden, als ihnen manchmal lieb ist. Gefühle der Langeweile und der Benachteiligung im Bereich zwischenmenschlicher, insbesondere persönlicher Beziehungen kommen vor." (S.151)

BACHMANN hat diese Wohnform vor allem unter geschiedenen Männern gefunden. Der Romanautor Wilhelm GENAZINO hat dagegen anhand des ledigen Angestellten Abschaffel eine solche defizitäre Wohnweise literarisch dargestellt (siehe hierzu ausführlich den Essay über die Ängste der Singles)
4) Freizeitmobiles Alleinwohnen.
Freizeitmobile Singles haben ihren Lebensschwerpunkt im Privatleben in erster Linie außerhalb der eigenen Wohnung. BACHMANN hat diesen freizeitaktiven Lebensstil besonders unter ledigen Alleinlebenden gefunden. BACHMANN beschreibt noch den  telefonischen Anrufbeantworter als Symbol einer solchen Wohnweise. Das war noch vor unserem Handyzeitalter.

      
  Was bei den vorgestellten Studien auffällt: die Partner der Alleinlebenden spielen keinerlei Rolle, selbst wenn Partnerschaften nicht ausgeschlossen wurden.
      
  Dorothee SCHMITZ-KÖSTER hat sich in ihrer Befragung zur Liebe auf Distanz (1990) mit den Spuren der Partner in der Singlewohnung beschäftigt:

"Knapp die Hälfte der Frauen und Männer gesteht dem Partner in der eigenen Umgebung nur einen minimalen Raum zu - ein Fach im Schrank oder eine Ablage im Bad. Manche lassen nicht einmal Kosmetikutensilien oder ein paar Kleidungsstücke zum Wechseln in der Wohnung des anderen." (S.124)

Für SCHMITZ-KÖSTER wird mit der Betonung des eigenen Raums ein neues Paarverständnis erkennbar.
      
  Die soziologische Stadtforschung hat sich in den 80er Jahren weniger mit dem Typus des defizitär wohnenden Alleinlebenden beschäftigt, sondern den freizeitmobilen Single/Yuppie beschrieben, der gerne innenstadtnah wohnt, um die innerstädtische Infrastruktur zu nutzen. Vor allem die Stadtforschung um Hartmut HÄUßERMANN hat das Stereotyp des Yuppies popularisiert.
      
  1996 haben Everhard HOLTMANN & Rainer SCHÄFFER für die Stadt Nürnberg zwar die Heterogenität der Alleinlebenden hervorgehoben, jedoch dann nur zwischen jüngeren, einkommensstarken Yuppies und älteren, finanzschwachen Alleinlebenden unterschieden. Die Wohnwünsche der ersteren beschreiben sie folgendermaßen:

"Ihren Vorlieben entspricht häufig eine geräumige Wohnung in einem alten Viertel im Kern der Innenstadt oder in Innenstadtnähe, wobei die zentrale Lage und die Atmosphäre eine besondere Anziehungskraft ausüben". (S.181)

Abschließend lässt sich feststellen, dass singlegerechtes Wohnen und familiengerechtes Wohnen oftmals als konkurrierende Wohnformen beschrieben werden, wobei Singles als Eindringlinge ("Gentrifier") betrachtet werden, die Familien ihren berechtigten Wohnanspruch streitig machen.
      
  In dieser Sichtweise drückt sich jedoch eher die mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz des Singlewohnens aus.
      
  Einzig Monika ALISCH hat frühzeitig auf das Phänomen der Family-Gentrifier (Beispiel Prenzlauer Berg in Berlin) aufmerksam gemacht. Diese kaufkraftstarken und nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie strebenden Familien können gering verdienende Alleinlebende verdrängen.

Ernährung und Lebensmittelindustrie

Zum Ernährungsverhalten und Kaufverhalten von Alleinlebenden in Lebensmittelmärkten gibt es bislang nur zwei wissenschaftliche Studien. Wilhelm OTT (1995) und Doris ROSENKRANZ (1998) haben sich mit dieser Thematik befasst.
      
  Die Lebensmittelindustrie definiert ihre Zielgruppe als Alleinesser oder als situative Einzelesser. Es zeigt sich nämlich, dass Alleinesser nicht mit den Alleinlebenden identisch sind.
      
  Die Individualisierung der Familie hat dazu geführt, dass der Alleinesser die Realität der individualisierten Familie ist und deshalb die Tiefkühlpizza (Convenience-Produkte) eher auf dem Tisch des Familienhaushaltes landet und weniger im Single-Haushalt verzehrt wird.
      
  Das Spezial-Heft der Lebensmittelzeitung Singles - Individualisten machen mobil vom August 2001 bietet einen guten Überblick zum Thema, wenngleich das Forschungsdefizit auch hier sichtbar wird.
      
  Eine optimale Lebensmittelversorgung der Alleinlebenden ist meist nur in den typischen großstädtischen Yuppie-Vierteln gewährleistet. Wer nicht zu den Yuppies gehört, der findet in den Regalen nur die üblichen Familienpackungen. Die Folge: verderbliche Lebensmittel vergammeln im Kühlschrank, bevor sie verbraucht werden können.
      
  Bisweilen haben sich auch Dienstleistungen rund um den Alleinlebenden entwickelt. Es gibt Lieferservices für Yetties. Mitesserzentralen kümmern sich darum, dass Alleinlebende keine Alleinesser sein müssen. Die Verbraucherzentralen kümmern sich um die gesunde Ernährung der Singles.
      
  Und nicht zuletzt kann der Alleinlebende in Single-Kochbüchern nachschlagen, damit nicht immer das gleiche Essen auf den Tisch kommt.

Die Single-Industrie als Freizeitindustrie

Mit dem Freizeitverhalten der Alleinlebenden hat sich vor allem die Freizeitpädagogik beschäftigt. Horst OPASCHOWSKI hat 1981 die zweibändige Untersuchung Allein in der Freizeit publiziert.
      
  Der Alleinlebende erscheint in dieser Sicht als defizitäres partnerloses Wesen. Das Freizeitverhalten wird jedoch nicht als Partnersuche untersucht, sondern als hedonistisches Vergnügen bzw. als Ersatzbefriedigung interpretiert. Die Normalfamilie ist der normative Bezugspunkt einer solchen Sichtweise.
      
  In der Einführung in die Freizeitwissenschaft (1997) unterscheidet OPASCHOWSKI zwischen berufsorientierten und freizeitorientierten Singles (25 - 49jährige Alleinlebende) . Letztere beschreibt er folgendermaßen:

"Sie sind während er Woche fast jeden Abend unterwegs: Im Fitness-Studio oder Tennis-Club, im Schwimmbad oder in der Sauna, im Kino oder in der Kneipe. Zwischendurch werden »Hängertage« eingelegt, wo sie in den eigenen vier Wänden relaxen, trödeln oder telefonieren. Das Wochenende gehört dann dem Disco- oder Konzertbesuch, dem Aus- und Essengehen." (S.120)

Die Single-Industrie stellt die Infrastruktur und die Angebote zur Verfügung, die solche freizeitorientierten Singles nutzen. Beim Freizeitalltag von Alleinlebenden unterscheidet OPASCHOWSKI zwischen Feierabend, Wochenende und Urlaub.
      
  Obwohl OPASCHOWSKI Singles als Alleinlebende mit und ohne Partnerschaft definiert, spielen die Partner der Singles keine Rolle. Vielmehr wird das Freizeitverhalten einzig unter den Aspekten Kontaktzwang und Konsumstreß abgehandelt.
      
  Beim Urlaubsverhalten der Alleinlebenden ist zu beachten, dass Alleinlebende nicht unbedingt Alleinreisende sind (siehe hierzu ausführlich den Essay über die Alleinreisenden). Oftmals bevorzugen Singles Gruppenreisen oder Reisen mit einem Urlaubspartner.

Die Single-Industrie und das Geschäft mit der Einsamkeit

Was in traditioneller Sicht ganz oben steht, soll hier nur am Rande abgehandelt werden.
      
  Zum einen, weil dieses Feld am besten untersucht ist und deshalb zu einzelnen Aspekte differenziertere Beiträge geplant sind.
      
  Zum anderen aber weil das Geschäft mit der Einsamkeit für das Alleinleben nicht den zentralen Stellenwert besitzt, der gerne behauptet wird.
      
  Partnersuchende finden sich auch unter Nicht-Singles (z.B. Nesthocker oder Verheiratete, deren Ehe nur noch auf dem Papier steht). Andererseits ist nicht jeder Alleinlebende partnerlos oder gar auf der Suche nach einem neuen Partner. Im mittleren Lebensalter ist das Alleinleben mit fester Partnerschaft weit verbreitet.
      
  Der Heidelberger Soziologe Thomas KLEIN behauptet:

"der Anteil der Personen, die ohne feste Partnerschaften leben, ist trotz angeblichen »Individualisierungsschubes« seit den 1960er Jahren weitgehend konstant geblieben."
(GEO, Mai 2004)

In den Medien stehen jene Methoden der Partnersuche im Vordergrund, die sich durch einen Neuigkeitswert auszeichnen. Zur Zeit gilt die die Online-Partnersuche als "Killerapplikation". Offline ist das Speed-Dating zeitgemäß.
      
  Haben wir die Liebe verlernt? fragt alarmiert das Mai-Heft von NEON. Die kulturpessimistische Sorge um den Verlust der Liebesfähigkeit begleitet jede Generation von neuem:

"Die (...) Rückbildung von Kontakt- und Liebesfähigkeiten findet in der fröhlichen Liberalisierung des Partnerschaftsmarkts ihre zeitgemäße Form und Ausdruck."
(aus: Oskar Klemmert "Liebe als Markt", 1996, S.76)

Single-generation.de hält nichts von derartigem Alarmismus. Dies gilt umso mehr als gerade der Paarbildungsprozess ein stark vernachlässigtes Thema der Sozialwissenschaften ist.
      
  Im Rezensionsessay zum Buch Der Morgen danach des französischen Soziologen Jean-Claude KAUFMANN  wird auf dieses Defizit näher eingegangen.
      
  Ein anderes vernachlässigtes Thema ist der Zusammenhang von Partnerwahl und Familiengründung. Die neueste bevölkerungspolitische Wende legt das Hauptaugenmerk auf die Geburt des ersten Kindes. Was vorher passiert, das interessiert dagegen nicht.
      
  Das könnte aber in Zukunft wichtig werden, wenn das Beispiel der Popliteraten Joachim BESSING und Alexa von Hennig LANGE Schule macht und das Modell der Single-Mutter ernsthaft in Frage gestellt wird:

Ich war Anfang zwanzig«, arbeitet Alexa Hennig von Lange sich langsam zur Schmerzgrenze vor, »und wollte eine Familie, aber keinen Mann. Also dachte ich, ich fange mit dem Kind an, der Mann kommt dann später.« Ermuntert durch die Berichte über Madonna, die damals gerade mit Hilfe ihres Fitness-Trainers schwanger geworden war, wurde sie also Mutter, mehr oder weniger ohne Vater. »Ich hatte ja einen Beruf und konnte für mich selbst sorgen.« Selbst die Freunde im Publikum senken mittlerweile beschämt die Köpfe, aber es geht noch weiter. Die genauen Umstände der Zeugung lässt Alexa Hennig von Lange zwar aus, aber eins ist klar: »Heute hätte ich mich anders entschieden«, sagt sie, ganz die reumütige Sünderin, die weiß, dass aus »den vielen Freiheiten, die wir haben, Notsituationen entstehen können« und dass ein Kind eine richtige Familie braucht und nicht zwei oder eineinhalb."
(Kolja Mensing in der TAZ Berlin vom 16.04.2004)

Damit sind wir bereits am Ende dieses Kapitels angelangt.
      
  Zum Schluss soll noch danach gefragt werden, inwiefern aus dem massenhaften Alleinleben eine neue politische Kraft entstehen könnte. 

Ist in Deutschland mit einer Single-Bewegung zu rechnen?

Bereits 1983 stellte sich der Stadtsoziologe Wolfram DROHT die Frage, ob es in Deutschland eine vergleichbare Single-Bewegung wie in den USA geben könnte:

"Seit 1982 erscheint, herausgegeben in Hamburg, die Zeitschrift »Single« mit einer Auflage von 120 000 Exemplaren (Dezember 1982). Es entstehen auch Single-Clubs, die sich unter anderem mit Problemen Alleinlebender auseinandersetzen (...). In den Zeitungen und Zeitschriften tauchen Anzeigen auf, in denen Singles direkt angesprochen werden. Interessant mag in diesem Zusammenhang sein, daß die NEUE HEIMAT die 1 1/2 Zimmer-Wohnungen einer Wohnanlage in Hamburg-Harburg in einer Zeitungsanzeige als »Single-Wohnung ... groß genug, auch wenn ihr Gast zum Frühstück bleibt« (HAMBURGER ABENDBLATT vom 11./12.12.1982).
Es ist jedoch nicht abzusehen, ob diese Entwicklungen in der Bundesrepublik das Ausmaß derer in den USA auch nur annähernd erreichen werden. Wir halten dies - trotz des wesentlich größeren Anteils an Ein-Personenhaushalten in der Bundesrepublik Deutschland - aus folgendem Grund für unwahrscheinlich: In den USA werden die Singles als eine Gruppe von Personen betrachtet, deren Verhalten von den gesellschaftlichen Normen abweicht. Die Minderheiten haben in den USA im Laufe der zeit Strategien entwickelt, sich gegenüber den etablierten Gruppen zu behaupten. Solche Strategien haben auch die amerikanischen Singles angewendet: Sie organisieren sich, schlossen sich zusammen und konzentrierten sich räumlich in bestimmten Gebieten. Dadurch wurden sie gleichzeitig von der Gesellschaft als Gruppe wahrgenommen und beachtet. In der Bundesrepublik werden Alleinlebende kaum diskriminiert. Deswegen und weil es in Deutschland die Tradition des sich Organisierens, Zusammenschließens und An-die-Öffentlichkeit-Tretens nicht gibt, wird hier eine Single-Bewegung wohl nicht entstehen. Die Alleinlebenden werden nicht als Gruppe auftreten; und als einzelne Individuen werden sie und ihre Bedürfnisse von der Gesellschaft kaum wahrgenommen.
(1983, S.53f.)

Zwanzig Jahre sind seit dieser Einschätzung vergangen. Singles werden inzwischen zwar von der Gesellschaft stärker wahrgenommen, aber dies hat keineswegs dazu geführt, dass eine Single-Bewegung entstanden ist.
      
  Durch die bevölkerungspolitische Wende in der Familienpolitik wird die Sichtbarkeit und vor allem die negative Beurteilung von Singles weiter zunehmen. Inwiefern dies zur Herausbildung einer sozialen Gruppe führt, die sich als Single-Bewegung versteht, bleibt abzuwarten.
      
  Bei Wolfram DROHT stehen zudem die alleinlebenden Partnerlosen im Mittelpunkt. Das Singleleben ist jedoch wesentlich heterogener als dies bei DROHT deutlich wird.
      
  Die entscheidende Frage ist, ob die Haushaltsform überhaupt politische Interessen begründen kann. Bisher wird nur von Nicht-Singles argumentiert, dass dies der Fall sei. Es handelt sich dabei jedoch um Interessen, die Singles zugeschrieben werden, während von einer singlespezifischen Interessenformulierung nicht gesprochen werden kann.
      
  Solange Singles sich nicht gegen solche Fremdzuschreibungen wehren, kann schwerlich von gemeinsamen politischen Interessen gesprochen werden.

Fazit: Die Single-Industrie ist ein wichtiges, aber vernachlässigtes Thema

Wenn heutzutage die Single-Industrie als Geschäft mit der Einsamkeit begriffen wird, dann ist das Ausdruck der mangelnden gesellschaftlichen Akzeptanz des Single-Daseins.
      
  Wird als Maßstab für die Bewertung der Single-Industrie die Ermöglichung eines erfüllenden Singlelebens jenseits des Paar- und Familienlebens genommen, dann zeigen sich die Defizite der gegenwärtigen Single-Kultur in Deutschland. Alleinlebende dürfen weder mit Partnerlosen noch mit Partnersuchenden gleichgesetzt werden.
      
  Wissenschaftliche Erkenntnisse über den Alltag der Alleinlebenden fehlen in der Regel. Vorurteile ersetzen die Empirie.
      
  Von der Wirtschaft wird der vorwiegend weibliche Yuppie umworben, während die Mehrzahl der gering verdienenden männlichen Singles eine unbekannte Größe sind.
      
  Alleinlebende sind hierzulande keine politische Kraft. Es existiert weder eine Single-Szene jenseits der Jugend- und Seniorenkultur, noch eine Single-Bewegung, die sich gegen die neuen Zumutungen der Demografiepolitik zur Wehr setzt.
      
  Aufgrund der fehlenden Studien zum Thema kann es sich hier nur um eine vorläufige Einschätzung handeln. Das Thema wird auf single-generation.de in Zukunft - vor allem bezogen auf spezielle Einzelaspekte - weiter behandelt werden.  
    

 
 
 
       
   

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