Houellebecqs
Vision
"Das
weltweite Gespött, dem die Arbeiten von
Foucault, Lacan, Derrida und Deleuze über
Nacht zum Opfer gefallen waren, nachdem man
sie jahrzehntelang total überschätzt hatte,
sollte (...) keinen Raum für eine neue
Philosophie lassen, sondern im Gegenteil
sämtliche Intellektuellen diskreditieren,
die sich auf die »Humanwissenschaften«
beriefen; der zunehmende Einfluß der
Naturwissenschaftler in allen Bereichen des
Denkens war von da an unvermeidlich geworden.
Selbst das gelegentliche, widersprüchliche,
schwankende Interesse, das die Anhänger des
New Age manchmal für den einen oder anderen
(...) Glauben zu verspüren vorgaben,
bezeugte nur einen Zustand äußerster
Bedrängnis (...). Wie alle anderen
Mitglieder der Gesellschaft waren sie
zutiefst davon überzeugt, daß die Lösung
aller Probleme - einschließlich der
psychologischen, soziologischen und gemeinhin
menschlichen Probleme - nur technischer Art
sein könne. Daher konnte Hubczejak ohne die
Gefahr, auf starken Widerspruch zu stoßen,
im Jahr 2013 seinen berühmten Slogan
verkünden, der der eigentliche Auslöser
für einen weltweiten Meinungsumschwung war:
»DIE WANDLUNG FINDET NICHT IM GEIST STATT,
SONDERN IN DEN GENEN.«"
(Michel
Houellebecq "Elementarteilchen",
1999, S.354f.)
Eine Chronologie der
Ereignisse
2003
Die von den traditionellen Parteien enttäuschte
Edelmut
Stolper gründet die Kinderpartei auf
Landes- und Bundesebene. Ihr Programm gründet
sich auf den Urteilen des
Bundesverfassungsgerichts und dem traditionellen
Familienbegriff des Statistischen Bundesamtes.
Mit der Forderung 1000 Euro für jedes
Kind zieht sie in die
Landtagswahlkämpfe und erobert ein Parlament
nach dem anderen.
2006
Die
traditionellen Parteien haben den
Deutschen
Bundestag in Deutscher Kindertag umbenannt,
um zum Ausdruck zu bringen, dass die
Bevölkerungspolitik an erster Stelle stehen
muss. Edelmut Stolper
zieht mit der Forderung nach einer
Mütterquote
für den Arbeitsmarkt in den Kindertagswahlkampf.
Führende Familienpolitiker der traditionellen
Parteien sind bereits zur Kinderpartei
gewechselt. Die Kinderpartei
erreicht die absolute Mehrheit im Deutschen
Kindertag. Am Tag vor der Wahl hatte das
Statistische Bundesamt die neuesten Zahlen zur
Bevölkerungsentwicklung vorgelegt. Danach
schrumpfte die Bevölkerung um eine Million
Menschen innerhalb eines Jahres. Die Kinderpartei
machte dafür die Kinderlosen verantwortlich,
während die Regierungsparteien das Ausbleiben
von Einwanderern beklagten.
2008
Alide Weisser gründet nach Einführung der
Mütterquote die Partei der Kinderlosen.
Ihr Motto "Brave Mütter kommen in
den Himmel und böse Kinderlose erobern den
Dritten Sektor" bringt der
Protestpartei einen Überraschungserfolg und
sorgt dafür, dass die anderen kleinen Parteien
nicht wieder in den Landtag einziehen.
2010
Zur
Kindertagswahl treten nur noch die Kinderpartei
und die Partei der Kinderlosen an. Alle
anderen Parteien haben sich aufgelöst, weil sie
durch die dominierende Kontroverse "Familien
contra Singles" keine Chance mehr auf einen
Wiedereinzug ins Parlament sehen. Trotz der
Bevölkerungspolitik der regierenden Kinderpartei
geht die Bevölkerungszahl weiter zurück. Die
Kinderpartei erklärt dies mit der zunehmenden
Zahl der Kinderlosen, während die oppositionelle
Partei der Kinderlosen die Kinderlosenfeindlichkeit
für diese Entwicklung verantwortlich macht.
2012
Der Singlebegriff wird eingedeutscht. Man spricht
nur noch von BP-Blinden, das Kürzel für
bevölkerungspolitische
Blindgänger. Die Kinderlosen sind
mittlerweile ganz aus dem Arbeitsmarkt verdrängt
worden. Ihre Zahl steigt dennoch dramatisch an.
Ein kleiner Teil wandert aus, die Mehrheit hat
eine Tauschwirtschaft aufgebaut,
die Härtefälle nicht aufkommen lässt. Die Solidarität
zwischen den Kinderlosen ist inzwischen größer
als jene zwischen den Eltern, die miteinander im
Geburtenwettbewerb
stehen. Jedes Kind weniger bedeutet einen großen
Schritt näher zur Erwachsenenarmut.
2013
Gildo Osterwelle gründet die Klonpartei.
Inspiriert von Michel HOUELLEBECQs fast vergessenem Bestseller
Elementarteilchen
und den wissenschaftlichen Fortschritten in der
Gentechnik mahnt er ein radikales Umdenken in der
Kinderpolitik an. Er ist überzeugt davon, dass
Kinder
auch eine Sache der Produktion und nicht nur der
Reproduktion sein müssen. Bei der
Kindertagswahl im Jahr 2014 erringt er einen
Achtungserfolg, scheitert jedoch an der 5
%-Hürde.
2018
Der Bevölkerungsrückgang setzt sich verstärkt
fort. Die Prognosen um die
Jahrtausendwende haben sich als noch zu
optimistisch erwiesen. Die Anhänger der
Kinderpartei sind ratlos. Trotz drastischer
Erhöhung der Kinderprämie und Einführung der
Mütterquote für den Arbeitsmarkt bleiben die
Kinderzahlen weit hinter den Erwartungen zurück. Es ist deshalb ein
Richtungsstreit
in der Kinderpartei ausgebrochen. Eine
Minderheit möchte die Mütterquote wieder
abschaffen, weil sie nur zur immensen
Zunahme von Teenagerschwangerschaften geführt
hat. Die Scheidungsraten sind explodiert. Die
Zahlväter sind verarmt und hängen am
staatlichen Tropf. Stattdessen soll eine
Integrationspolitik Kinderlose wieder vermehrt in
die Gesellschaft eingliedern. Die Mehrheit ist
dagegen und möchte lieber den Mutterkult
weiter stärken. Dies soll aufgrund der
hohen Staatsverschuldung weniger durch materielle
Anreize als durch die Propagierung von Vorbildern
geschehen. Gabrielle Bauer, die als jüngste
Mutter Deutschlands Drillinge zur Welt gebracht
hat, kann für die Kampagne "Drei
auf einen Streich" gewonnen werden. Bei der Wahl zum
Deutschen Kindertag erreicht die Kinderpartei
gerade noch einmal die absolute Mehrheit. Die
Klonpartei von Gildo Osterwelle ist wieder an der
5 %-Hürde gescheitert, ist aber mittlerweile im
Landtag von Baden-Württemberg vertreten.
2022
Der Bevölkerungsrückgang hat dramatische Formen
angenommen. Die Hälfte der Kinder kommt
erst nach reproduktionsmedizinischen Eingriffen
zur Welt. Einige kritische
Wissenschaftler weisen darauf hin, dass der
verstärkte Geburtenwettlauf zu erhöhtem Stress
beiträgt. Die Folge ist eine enorme Zunahme der
Unfruchtbarkeit unter der gebär- und
zeugungswilligen Bevölkerung. In Umfragen zur
Einwanderungsbereitschaft
gilt Deutschland mittlerweile als
"letzte" Wahl. Niemand möchte in einem
Land arbeiten, in dem die
Kinderlosenfeindlichkeit und der Elternwettbewerb
zu einem aggressiven Gesellschaftsklima
beiträgt. Bei der
Kindertagswahl verliert die Kinderpartei ihre
absolute Mehrheit und muss eine Koalition mit der
erstmals vertretenen Klonpartei von Gildo
Osterwelle eingehen. Die Partei der Kinderlosen
hat 40 % der Stimmen erreicht.
2026
In Deutschland leben nur noch 65 Millionen
Menschen. Dies war die Zahl, die erst für das
Jahr 2050 prognostiziert worden war. In den
letzten 4 Jahren sind viele wohlhabende Familien
in die USA ausgewandert. Die Kinderprämie musste
auf ein Viertel gekürzt werden, um den Bankrott
des Sozialstaats zu verhindern. Die Mütterquote
musste aufgrund des Arbeitskräftemangels
abgeschafft werden. Die Partei der
Kinderlosen propagiert die Integration
der Eltern in die Gemeinschaft der
tauschwirtschaftenden Kinderlosen. Viele
Eltern, die sich nur noch ein Kind leisten
können, sind bereits im Dritten Sektor
beschäftigt. Der Lebensstandard dieser Eltern
ist bereits besser als der von Eltern, die im
ersten Arbeitsmarkt beschäftigt sind.
Bei der Kindertagswahl erreicht die Koalition von
Kinderpartei und Klonpartei mit 51 % nur noch
eine knappe Mehrheit. Die Klonpartei konnte über
10 % der Stimmen erringen.
2030
Der Bevölkerungsschwund hat sich erstmals
verlangsamt und die Kinderpartei hat ihre
dominante Stellung im Dreiparteiensystem
eingebüsst. Die Klonpartei von
Gildo Osterwelle und die Partei der Kinderlosen
mit ihrem Integrationsprogramm
"Eltern und Kinderlose für eine
kinderlosenfreundlichere Gesellschaft"
kämpfen um die Mehrheit im Deutschen Kindertag. Aussichtsreichster
Kanzlerkandidat ist Gildo Osterwelle, der mit
Edelmut Stolpers Partei die Regierung stellen
möchte. Sein Parteiprogramm setzt auf eine
radikale Umkehr in der Kinderpolitik:
Die
Fünf-Punkte-Wahlaussage der Klonpartei
- 1. Die
deutsche Klonindustrie ist der
Leistungsträger unserer Gesellschaft.
Eltern sind mit ihrer Rolle als
Leistungsträger überfordert. Stress bei
der Arbeit und Zeugung ist der
Unfruchtbarkeitsfaktor Nr.1 geworden.
Dies gefährdet den Bestand der
Gesellschaft.
2. Die
deutsche Klonindustrie hat ihre
Leistungsfähigkeit bereits eindrucksvoll
bewiesen. Erstmals ist der
Bevölkerungsschwund gebremst worden.
3. Nur die
deutsche Klonindustrie kann den Bestand
der Bevölkerung sichern. Einzig die
Industrialisierung der Kinderproduktion
ermöglicht die bedarfsgerechte
Bereitstellung von Kindern.
4. Nur die
deutsche Klonindustrie kann eine
arbeitsmarktgerechte Bereitstellung von
Kindern garantieren. Arbeitskräftemangel
oder -überfluss gehören damit der
Vergangenheit an.
5. Die
deutsche Klonindustrie ist die
Basisindustrie unserer Wirtschaft. Sie
ist der Motor unseres zukünftigen
Wirtschaftswachstums. Sie entlastet
Männer und Frauen und sorgt dafür, dass
kreatives Potenzial für die
Wissensgesellschaft freigesetzt wird. Die
Klonindustrie garantiert damit eine neue
Blütezeit unserer Kulturgesellschaft.
Die
Fünf-Punkte-Wahlaussage der Partei der
Kinderlosen
- 1. Die Partei
der Kinderlosen hat bewiesen, dass
Kinderlose sozialer sind als Eltern, die
sich dem Geburtenwettlauf verschrieben
haben. Die Tauschgemeinschaft ist eine
ernstzunehmende Alternative zum
Sozialstaat geworden.
2. Die Partei
der Kinderlosen setzt sich für ein
soziales Miteinander von Eltern und
Kinderlosen ein. In einem
zeugungszwangfreien Klima, das weder
Eltern noch Kinderlose diskriminiert,
sondern das positive Potenzial beider
Existenzformen fördert, ist die
Entscheidung zur Mutterschaft bzw.
Kinderlosigkeit eine freiwillige
Entscheidung, die auch Krisen übersteht.
3. Ein Klima
der beiderseitigen Achtung reduziert die
Unfruchtbarkeit auf ihren biologischen
Anteil. Die Entscheidungsfreiheit
vermindert sowohl die problembeladene
Mutterschaft als auch die problematische
Kinderlosigkeit.
4. Die
Industrialisierung der Kinderproduktion
wird in einem Klima der gegenseitigen
Respektierung von Eltern und Kinderlosen
überflüssig.
5. Die
Arbeitswelt muss entsprechend dem
alterspezifischen Arbeitsvermögen neu
geordnet werden. Keine Altersgruppe darf
ausgegrenzt werden. Bei der Vereinbarkeit
von Arbeit und Leben müssen neue Konzepte
jenseits der Trennung beider Sphären
erprobt werden.
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