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Zitat:
Romantik 2.0
"Betrachtet
man (...) Liebe als ein gesellschaftliches Phänomen, sieht
man nicht nur, dass Liebe eine relativ junge Erfindung
ist, sondern auch, dass jedes Liebespaar eine Sonderwelt
bildet. Liebende folgen ihren eigenen Regeln, die für
Außenstehende nur schwer nachvollziehbar sind. Sie nehmen
die ganze Welt mit den Augen des anderen wahr, wodurch
plötzlich alles auf eine neue Weise sinnvoll wird. So hält
jeder Liebende seine Liebe für einzigartig - und hat damit
zugleich Recht und Unrecht. Denn Liebe wird zwar stets
einmalig erlebt, sonst könnte es nicht Liebe sein. Aber
dieser Eindruck des Einmaligen ist zugleich nur möglich,
weil alle Liebenden bestimmten Mustern folgen, einer Art
Liebescode. Und dieser Code ist so komplex und
wandlungsfähig, dass ihn jeder Einzelne dennoch auf
einmalige Art und Weise erleben kann."
(2005, S.9f.) |
Das Online-Dating und die Revolution der
Partnersuche
Im Jahr 2008 wurden auf
dieser Website die neuen Trends auf dem Partnermarkt vorgestellt
. Ein
Jahr später wurde dann auf die wissenschaftliche Erforschung des
Online-Dating eingegangen
. Damals
boomten noch Online-Partnervermittlungen wie Parship oder
ElitePartner. Seitdem hat sich das Online-Dating durch den
Siegeszug der sozialen Netzwerke wie Facebook gewandelt.
Mit dem Älterwerden der Generation Facebook geraten die
traditionellen Dating-Plattformen unter Druck.
Seit Ende der Nuller Jahre
ist das Matching-Verfahren der Online-Partnervermittlungen mehr
und mehr ins
Gerede gekommen und zahlreiche Kulturpessimisten beschreiben die
Liebe in Zeiten der Algorithmen (so der Titel eines aktuellen
Buches des amerikanischen Journalisten Dan SLATER) als Zerfall
der Werte bzw. als Bedrohung der Monogamie. Steile Thesen vom
Ende der Liebe treffen auf neubürgerliche Sehnsüchte nach einer
heilen Welt. Es droht wieder einmal der Untergang des
Abendlandes - diesmal durch das Internet. In Deutschland zog der
Großmeister des Alarmismus - Frank SCHIRRMACHER - mit seinem
Pamphlet Ego durch die Talkshows und Mitte-Gazetten
dieser Republik. Es herrscht also Kulturkampf ums Internet.
Mitten in diesen
Kulturkampf platzt nun das Buch
Romantik 2.0 von
Christian SCHULDT, das eine Lanze für das Online-Dating bricht
und behauptet, dass das Internet die Romantik neu erblühen
lässt. Wie das? Hat
uns die in den Feuilletons der Mitte-Presse gefeierte Soziologin
Eva ILLOUZ nicht gerade darüber aufgeklärt, warum die Liebe weh
tut? Und dass gerade das Internet die Romantik zerstört hat?
Die Sachlage scheint also
eindeutig, aber sie ist es nicht. Im Folgenden soll gezeigt
werden, dass der Kulturkampf ums Internet blind macht für die
Errungenschaften des Online-Datings.
Das Internet hat eine neue
Gelegenheitsstruktur für die Partnersuche geschaffen
Für jüngere Menschen, den
so genannten Digital Natives, gehört das Internet
inzwischen wie selbstverständlich zum Alltag dazu. Es ist
insbesondere die noch mit den alten Medien sozialisierte
Single-Generation, die heutzutage den Kulturpessimismus in
Sachen Internet befeuert. Nur aus einem Grund: weil sie gerade
an den Schalthebeln der Mediengesellschaft sitzt und ein starkes
Interesse an Bestandswahrung hat. Eine Kontroverse dreht sich
deshalb darum, ob das Internet gefährliche Parallelwelten
schafft oder ein normaler Teil des Alltags ist. Die
Kulturpessimisten behaupten grob gesagt, dass das Internet
gefährliche Parallelwelten schafft und dadurch wahlweise die
sozialen Beziehungen, der Zusammenhalt der Gesellschaft oder gar
das Gemeinwohl bedroht werden. Die Durchdringung des Alltags
durch die Internetnutzung muss aus dieser Sicht verhindert
werden. Was aber, wenn die alltägliche Internetnutzung die
Gelegenheitsstrukturen und Kommunikationsmöglichkeiten moderner Gesellschaften verbessert, indem
sie z.B. die Kommunikation von Menschen ermöglicht und
intensiviert, die sich
ansonsten nie getroffen hätten?
Christian SCHULDT erzählt
in seinem Buch die Geschichte von Veit und Clara, die sich -
obwohl in der gleichen Stadt lebend und in der gleichen Szene
verkehrend, nie kennen gelernt hatten. Erst ein soziales
Netzwerk half mittels Gelegenheitsstruktur und Zufall auf die
Sprünge.
Romantik 2.0
"Veit
suchte nach einer alten Freundin, deren Nachnamen er
vergessen hatte. Also tippte er »Clara« ins Suchfeld ein.
In der Trefferliste tauchte die alte Bekannte nicht auf -
dafür aber eine schöne Unbekannte, die er spontan
anschrieb. Sie schrieb zurück, sie telefonierten, und
schließlich reiste Clara von Frankfurt nach Wien, um Veit
zu besuchen. »Es ist, als habe der liebe Gott gesagt:
'Wenn ihr es nicht schafft, euch auf normalem Wege
kennenzulernen, dann gebe ich euch eben das Internet'«,
sagt Veit über seine Line-Lovestory. Zumal die beiden sich
ebenso gut im wirklichen Leben hätten begegnen können:
Veit hatte früher in Frankfurt gewohnt, beide hatten
dasselbe Stammcafé, Clara jobbte in seinem
Lieblingstheater, und sie hatten sogar gemeinsame Freunde.
Aber begegnet sind sie sich im Internet."
(2013, S.30) |
In den Medien, aber auch
in der Wissenschaft, wird Online-Dating mit einer rationalen
Strategie, die nichts dem Zufall überlässt, gleich gesetzt. Dies
liegt daran, dass der Begriff Online-Dating üblicherweise nur
für die Partnersuche auf speziellen Online-Plattformen benutzt
wird. So z.B. auch eine Definition von Christian SCHULDT:
Romantik 2.0
"Online-Dating
(...). Was genau ist damit eigentlich gemeint? Eine
Definition könnte so lauten: Online-Dating ist das
gezielte Kennenlernen und Treffen möglicher Partner über
speziell ausgerichtete Webseiten - mit dem Ziel, eine
Beziehung im echten Leben zu führen. Dieser Zusatz ist
besonders wichtig. Denn das Prädikat »beziehungsbereit«
bildet einen gemeinsamen Nenner für die Online-Dater, eine
kollektive Gleichgesinntheit, die in dieser Form wohl nur
im Internet möglich ist. Und das heißt auch: Beim
Online-Dating geht es um die gute, alte romantische
Liebe."
(2013, S.22) |
Mit sozialen
Netzwerken, Foren oder Chatrooms ergeben sich jedoch
auch neue Gelegenheitsstrukturen des Kennenlernens im
Internet über die gezielte Partnersuche hinaus. Damit
löst das virtuelle Kennenlernen die Face-to-Face-Kennenlernsituation für immer mehr
Menschen im Alltag ab. Mit social-Dating-Plattformen
wie Badoo oder Zoosk hat zudem die
Spezialisierung sozialer Netzwerke für die
Partnersuche begonnen.
Die Rede von den
Parallelwelten speist sich u. a. dadurch, dass es
mittlerweile selbst für religiöse und politisch extreme
Weltanschauungsgruppen spezielle Dating-Plattformen
gibt, in denen sich Gleichgesinnte kennenlernen
können. Dies vergrößert einerseits den Partnerpool,
andererseits aber auch die Separierungsmöglichkeiten
wie Christian SCHULDT beschreibt.
Romantik 2.0
"»Wenn
jemand in Bayern auf dem Dorf lebt und einen muslimischen
Partner sucht, wie soll das funktionieren?«, fragt Cüneyt
Tirgil, Gründer der muslimischen Partnerbörse Muslima.
Auf seiner Plattform tummelten sich bereits 2010 rund 1,7
Millionen flirtfreudige Korangläubige. (...).
Religiöse Spezialbörsen gibt es auch für Christen, etwa
Himmlisch-Plaudern oder Christ-sucht-Christ.
Katholiken suchen bei KathTreff die weltliche Liebe
und erhalten für einen Quartalsbeitrag von 29 Euro
hilfreiche Tipps wie »Beten Sie täglich um den richtigen
Ehepartner«. Denn KathTreff versteht sich
ausdrücklich als Heiratsvermittlung mit dem Ziel der
Eheschließung. Für Homosexuelle gilt: Wir müssen leider
draußen bleiben. Hier zeigt sich auch eine Kehrseite der
Dating-Nischenangebote: Durch die Spezialisierung auf
bestimmte Werte und Konventionen tragen sie dazu bei,
überkommene Traditionen aufrechtzuerhalten und
gesellschaftliche Gräben zu vertiefen."
(2013, S.26) |
Die Kontroverse
darum, ob das Internet Parallelwelten schafft oder ein
normaler Teil unseres Alltags ist, ist letztlich eine
Scheinkontroverse. Das Internet ist für immer mehr
Menschen Teil des normalen Alltags. Es schafft aber
keine neuen Parallelwelten, denn diese waren bereits
vorher in der Welt. Das Internet beschleunigt
höchstens vorhandene Entwicklungen, indem es die
Realisierungschancen - im guten wie im schlechten
erhöhen kann.
Das Internet als
Chance für Problemgruppen?
Minderheiten wie
Homosexuelle haben gemäß SCHULDT beim Online-Dating
eine Vorreiterrolle gespielt. Auch Menschen ohne
Beziehungserfahrung
,
Schüchterne
und
Introvertierte, denen
das Online-Dating durch seine Langsamkeit und
Schriftkultur entgegenkommt, könnten profitieren. Als
Knackpunkt wurde bislang insbesondere der Übergang von
der Online- zur Offline-Beziehung gesehen
. SCHULDT
geht dagegen davon aus, dass durch die Angleichung der
Nutzerstruktur des Online-Datings an die
Bevölkerungsstruktur auch im Netz immer mehr
diejenigen im Vorteil sind, die auch die
Offline-Flirtkultur beherrschen.
In seinem Buch
Schüchtern beschreibt Florian WERNER seine eigenen
Probleme mit der Schüchternheit. Für ihn kommt das
Internet Schüchternen nur scheinbar entgegen. Zudem
neigen Schüchterne aufgrund ihrer Persönlichkeit
eher zur Romantik als nicht-schüchterne Menschen. Für
diese romantische Ader steht gemäß WERNER exemplarisch
der Dichter Cyrano de BERGERAC:
Schüchtern
"Seine
Befangenheit macht Cyrano nicht nur zum romantischen
Dichter par excellence, bei dem (Liebes-)Leben und Werk
untrennbar ineinander übergehen - sie macht ihn auch zum
Schutzheiligen aller Schüchternen, die sich in seiner
tragikomischen Person und Lage wiedererkennen: Sein Name
wird heute sowohl von einem Softwareprogramm, das
automatisch Liebesbriefe generiert, in Anspruch genommen
als auch von einer Anwendung für Smartphones, das
sozialängstlichen Menschen ein ähnliches Schicksal wie das
des armen Haudegen ersparen soll. »Also, schüchtern und
alleine war gestern«, wirbt die Firma, welche die
Anwendung vertreibt, für ihre Dienste, »denn Dank der
Cyrano Flirtsprüche App bis Du nie um einen coolen Spruch
verlegen, und Dein Traumpartner ist nur einen Spruch
entfernt.«
Ob solche Worte aus der Dose tatsächlich einen ähnlichen
Erfolg zeitigen wie ehedem die Alexandriner des Cyrano,
sei dahingestellt - fest steht, dass die neuen, digitalen
Kommunikationsformen gerade für Schüchterne einen
scheinbar sicheren Rückzugsort bieten, der es ihnen
erlaubt, sich in gebührender Distanz zu ihren Mitmenschen
hinter einem Schutzwall aus Schrift zu verstecken."
(2012, S.125f.) |
Für WERNER, der
seine Frau offline kennengelernt hat, wäre nicht erst
der Übergang von der Online- zur Offline-Beziehung
beim ersten Treffen die erste große Hürde gewesen,
sondern bereits der Medienwechsel zum ersten
Telefonat. SCHULDT beschreibt das Online-Dating als
Stufenprozess, bei dem jede Stufe sowohl die Gefahr
des Scheiterns als auch die Chance der
Beziehungsintensivierung birgt:
Romantik 2.0
"Online-Flirts
(entwickeln sich) nach einem typischen Muster (...). Von
der ersten Mail über den ersten Fotoaustausch und das
erste Telefonat bis zum ersten Treffen erfolgt das
Kennenlernen stufenweise, und jede Stufe birgt sowohl die
Gefahr des Scheiterns als auch die Chance der
Beziehungsintensivierung. Beim Online-Dating kommt man
sich in klar vorgegebenen Etappen näher - wie einst beim
höfischen Zeremoniell."
(2013, S.98f.) |
Bei Schüchternen
ist die Gefahr groß, dass sie die einzelnen
Medienwechsel zu sehr hinauszögern und den Übergang
zur Offline-Beziehung eher vermeiden. WERNER schreibt
dazu:
Schüchtern
"Menschen,
die unter Schüchternheit leiden, neigen (...) zu
übermäßigem Internetkonsum, bis hin zu schwerer
psychischer Abhängigkeit. Schüchterne Internet addicts
verbringen deutlich mehr Zeit in sozialen Netzwerken als
extroviertierte Menschen, und sie formen dort häufiger
enge virtuelle Freundschaften. Zugleich verstärkt der
exzessive Aufenthalt im Internet jedoch ebenjene Probleme,
denen die Schüchternen durch ihre Flucht in die
Virtualität eigentlich zu entkommen suchten".
(2012, S.127) |
Schüchternen
verlangt das Online-Dating gewissermaßen mehr
Selbstdisziplin ab als anderen Menschen. WERNER nennt
das die Verordnung eines "Diätplanes". Auch die
französische Psychoanalytikerin Marie-France HIRIGOYEN
betont in ihrem Buch
Solotanz - Anleitung zum Alleinsein die Gefahren für Schüchterne:
Solotanz
"Man
sucht das Internet auf, weil es einfach, anonym und
preiswert ist. Ideal ist es für Schüchterne, die nicht
wissen, wie sie jemanden anmachen sollen, und es ist zu
jeder Tag- und Nachtzeit zugänglich, chatten kann man
sogar im Schlafanzug. Am Anfang ist es ein Zeitvertreib,
um das Alleinsein zu lindern, aber man kann sehr schnell
süchtig werden. Personen, die im echten Leben Probleme
haben, auf herkömmliche Weise zu kommunizieren, laufen am
ehesten Gefahr, in diese Abhängigkeit zu geraten".
(2008, S.134) |
Online-Dating ist
für Problemgruppen, wie z.B. Schüchterne, also
keineswegs der Königsweg, sondern birgt seine eigenen
Gefahren und Chancen. Für WERNER verlangsamt
Schüchternheit die Schritte durchs Leben - aber dem
kann man durchaus Positives abgewinnen:
Schüchtern
"Das
durchschnittliche Heiratsalter für Männer liegt in
Deutschland derzeit bei dreiunddreißig Jahren, Schüchterne
hingegen, das leben Langzeitstudien aus den USA und
Schweden nahe, heiraten im Durchschnitt etwa drei Jahre
später. Überhaupt brauchen Schüchterne für alles etwas
länger: Sie bekommen später ihr erstes Kind (ebenfalls
etwa drei Jahre), sie fassen später im Berufsleben Fuß
(...). Böse Zungen würde angesichts meiner späten
Vaterschaft und Eheschließung vermutlich sagen: Das war
aber auch höchste Zeit! Ich hingegen würde, mit Blick auf
meine Frau und Tochter sowie mit nicht gekannte
Selbstbewusstsein, sagen: Gut Ding will eben Weile haben.
Das Zaudern hat sich gelohnt."
(2012, S.66f.) |
Im Hinblick auf den
Übergang von der Online- zur Offline-Beziehung holen
sich Schüchterne immer öfter Rat bei so genannten
Pick-up-Artists
. Deren
Anleitungen können zwar Sicherheit für einen Flirt
geben, dem Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung
sind sie dagegen nicht zuträglich. Die US-Amerikanerin
Clarisse THORN hat sich in ihrem Buch Fiese Kerle?
mit dieser Aufreisser-Szene näher befasst. Sie ist
der Meinung, dass man mit Hilfe dieser Anleitungen
zwar möglicherweise fast jede Frau rumkriegt. Der Weg
zu gutem Sex führe dagegen aber nur über
vertrauensvolle Beziehungen.
Und was, wenn es
beim Beziehungsaufbau weniger um das genaue Befolgen
eines Skriptes geht, sondern einfach nur darum, den
richtigen Menschen, der zu mir passt zu finden? Das
Beispiel von Florian WERNER zeigt, dass Männer
heutzutage nicht unbedingt mehr diejenigen sein
müssen, die die Initiative ergreifen:
Schüchtern
"Glücklicherweise
ergriff sie die Initiative und sprach mich mit den schönen
Worten
»Sag mal, fährst du auch nach Schwerte?« an; was,
nebenbei bemerkt, beweist, dass sich die
Geschlechterverhältnisse zwar geändert haben mögen, das
Arsenal möglicher Anquatschsprüche aber auch im
postfeministischen Zeitalter weitgehend dasselbe geblieben
ist.
(...).
Dass wir unsere beiden Teilzüge aufs selbe Gleis setzten,
ja sie nach eingehenden Stresstest sogar durch das Band
der Ehe miteinander verkoppelten, war also vor allem der
Beharrlichkeit und Geduld meiner Frau geschuldet."
(2012, S.64f.) |
Könnte es also
nicht sein, dass gerade die Langsamkeit, die uns das
Online-Dating bei der Partnersuche aufzwingt, dem
Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung entgegen
kommt?
Wie das Internet die Romantik
rettet
Bereits im Buch
Der Code des Herzens aus dem Jahr 2005 hat
Christian SCHULDT den kulturgeschichtlichen Wandel der
Liebe im Anschluss an Niklas LUHMANNs Liebe als
Passion beschrieben
. Damals
wusste er jedoch noch nicht, dass er seine zukünftige
Frau im Netz finden würde. Nun beschreibt er
ausführlich wie das Online-Dating in seiner
spezifischen Verfasstheit die Romantik rettet. Vom 16.
Jahrhundert bis zur Gegenwart sieht SCHULDT
Liebesvorstellungen wirken, die sich heutzutage beim
Online-Dating in einem Mix aus Romantik und Pragmatik
niederschlagen. Leidenschaftlich verteidigt er das
Online-Dating gegen seine Kritiker:
Romantik 2.0
"Online-Dating
fördert das Zustandekommen funktionierender Beziehungen, weil wir uns
nicht nur besser erreichen, sondern auch besser verstehen können. Das
Medium Internet macht gelingende Liebeskommunikation wahrscheinlicher
und lässt viele alte romantische Traditionen aufleben. Damit ist
Online-Dating auch das beste Beispiel dafür, dass nicht alles, was mit
den »Neuen Medien« zu tun hat, automatisch oberflächlich, unpersönlich
oder unromantisch sein muss. In Wirklichkeit leistet die Liebe im Netz
genau das Gegenteil von dem, was Kritiker ihr unter Schlagworten wie
»Partnershopping« oder »Liebe per Mausklick« unterstellen: Sie rettet
die Romantik."
(2013, S.168f.) |
Bei diesem Loblied
auf das Online-Dating verschweigt SCHULDT aber
keineswegs die Schattenseiten, aber er rückt die
Perspektive zurecht, denn die Kulturkritiker von Sven
HILLENKAMP ("Das Ende der Liebe") bis Eva ILLOUZ ("Warum Liebe weh tut") überziehen den Bogen
mit ihrer Kritik. Dies führt dazu, dass
Ausnahmeerscheinungen und Exzesse fälschlicherweise
als die neue Normalität erscheinen.
So berichtet
SCHULDT beispielsweise vom Profi-Flirter Matt PRAGER
("Cyber-Cyrano"), der in New York das Geschäft des
Online-Datings bis zum ersten Treffen übernimmt. Im
aktuellen Focus-Report wird über die
Schwabinger Agentur Suredate berichtet, die für
990 Euro dieses Geschäftsmodell auch in Deutschland
anbietet. Solche
"Romantik-Betrüger" sind Ausnahmeerscheinungen, ein "Outsourcing
des Flirtens" wie der Focus reißerisch
prognostiziert, ist dagegen kaum zu erwarten.
Ein anderes Problem
der Kulturkritik besteht darin, Online-Dating, also
die Suche nach einer festen Partnerschaft, und die
Suche nach schnellem Sex in einen Topf zu werfen. So
legt Marie-France HIRIGOYEN in ihrem Buch Solotanz
nahe, dass für das Online-Dating die Suche nach
schnellem Sex die Normalität darstelle:
Solotanz
"Chatten
ist (...) oft ein freizügiges Spiel mit initimen
Bekenntnissen und suggestiven Äußerungen, die zum Cybersex
führen können.
Am Anfang waren die Männer auf den Datingsites in der
Mehrzahl, und den Frauen blieb nur die Qual der Wahl. Sie
brauchten bloß die rein sexuellen Angebote zu meiden.
Inzwischen hat sich einiges geändert, Männer und Frauen
sind gleichermaßen vertreten, und die Frauen zögern nicht,
Annoncen für rein sexuelle Begegnungen aufzugeben. Das
Onlinedating bewirkt eine Art Beschleunigung im Aufbau der
Beziehung, der bei herkömmlichen Begegnungen sehr viel
langsamer und allmählicher vor sich ging. Auf diesen Sites
sind die Frauen anspruchsvoll, und die Männer haben es
eilig."
(2008, S.135) |
SCHULDT dagegen
sieht in solchen Beschreibungen eine unverarbeitete
Altlast der sexuellen Befreiung mit seiner Ära der
"Liebe als Problem", die gerade im Internetzeitalter
der postproblematischen Phase überwunden wird:
Romantik 2.0
"Nirgendwo
sonst sind die kulturellen Vorstellungen rund um das, was
wir
»romantische Liebe« nennen, so präsent und konzentriert zu beobachten
wie beim Online-Dating. Worte und Werte wie Liebe, Glück
oder Seelenverwandtschaft werden hemmungslos groß
geschrieben. Vor allem die Treue wird immer wieder erwähnt
und geradezu gefeiert. Auch darin zeigt sich das
postmoderne Verhältnis von Liebe und Sex: Für Untreue gibt
es spezielle Seitensprung- und Adult-Dating-Seiten, in
Singlebörsen regiert die Romantik."
(2013, S.162f.) |
Sicher tummeln sich
auf Online-Partnervermittlungsplattformen und
Singlebörsen auch jene, die nur nach schnellem Sex
suchen, die nach Online-Affären süchtig sind usw. Sie
sind aber die Ausnahme und nicht die Regel. SCHULDT
verweist zudem darauf, dass jeder solche
Täuschungsmanöver durchschauen kann - vorausgesetzt er
will. Auch wenn SCHULDT keinen klassischen Ratgeber
geschrieben hat, so finden sich doch immer wieder
nützliche Tipps um den Fallstricken des Online-Datings
zu entgehen.
Fazit: Das Ende der Liebe steht nicht bevor
Das Buch Romantik 2.0
von Christian SCHULDT wirft einen anderen Blick auf die
Online-Dating-Szene als die üblichen kulturpessimistischen
Bücher, die derzeit den Buchmarkt überschwemmen. Mit dem
Schwerpunkt auf Single-Börsen statt wie üblich auf
Online-Partnervermittlungen wird zudem auch ein jüngeres
Publikum angesprochen, während kulturpessimistische Bücher eher
ein älteres, mit den alten Medien sozialisiertes Publikum,
im Auge haben. Das Buch bietet insbesondere eine überzeugende
Auseinandersetzung mit dem Buch Warum Liebe weh tut von
Eva ILLOUZ, dessen Kulturpessimismus sich insbesondere aus der
Tatsache speist, dass darin hauptsächlich die Probleme von über
35jährigen Karrierefrauen mit Kinderwunsch im Mittelpunkt
stehen. Online-Dating ist jedoch mittlerweile ein Massenphänomen
geworden, das zudem ständigen Wandlungen unterworfen ist, wie
SCHULDT in seinem Ausblick aufzeigt. Das Ende der Liebe ist
jedenfalls genauso wenig wahrscheinlich wie das Ende der
Familie.
Online-Partnervermittlungen haben ein Image-Problem, da ist
SCHULDT zuzustimmen. Das Matching-Verfahren sollte den
Zufall eliminieren. Dies läuft dem romantischen Kerngedanken der
Schicksalhaftigkeit entgegen. Doch wie SCHULDT eindrucksvoll
zeigt, findet die Romantik genug Hintertürchen, um umso
machtvoller das Online-Dating zu prägen.
Je mehr Menschen in ihrem
Bekanntenkreis jemanden kennen, der seinen Partner im Internet
gefunden hat und mit ihm glücklich geworden ist, desto
bedeutungsloser wird in Zukunft die jetzt vorherrschende
Kulturkritik sein.
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