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Frühjahrsthema

 
       
   

Die dritte Welle der Coronavirus-Pandemie in Zeiten der Landtagswahlkämpfe

 
       
   

Welche Bundesländer gut bzw. schlecht durch die ersten beiden Wellen gekommen sind und was daraus für eine drohende dritte Welle gelernt werden kann

 
       
     
       
   
     
 

Einführung

Die zweite Zwischenbilanz zur Coronavirus-Pandemie wurde auf dieser Website Mitte Dezember veröffentlicht. Damals fanden wir uns noch mitten in der zweiten Welle, die aufgrund zuletzt drastischer Maßnahmen, die - bei minimalen Lockerungen - mindestens bis zum 7. März dauern sollten, ihren Höhepunkt überschritten hat. Wir befinden uns seit dem letzten Februardrittel jedoch - nach einer längeren Phase des Rückgangs der Neuinfektionen - bereits wieder in einer Phase der Stagnation, die nun geradewegs in eine dritte Welle zu münden droht.

Was aber bedeutet dies in einem Jahr, in dem im Herbst eine Bundestagswahl stattfindet und das Wahljahr bereits am morgigen 14. März mit Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz beginnt? Am 6. Juni finden dann Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt statt. Und nicht zuletzt finden zeitgleich mit der Bundestagswahl Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen sowie Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus statt.

Dramatisch ist die Lage in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, denn die dritte Welle kündigt sich bereits vor diesen beiden Landtagswahlen an. Die amtierenden Regierungen stehen deshalb unter ganz besonders großem Druck. Insbesondere in Baden-Württemberg wird das Corona-Krisenmanagement der Landesregierung kritisiert. Als Stammland der FDP gilt Baden-Württemberg als liberales Land, weshalb der Kurs der Regierung vom Zaudern geprägt ist. Sowohl in der ersten als auch in der zweiten Welle gehörte das Land zu jenen Bundesländern, die von der Pandemie härter getroffen wurde als andere Bundesländer.

Hier soll deshalb gefragt werden, wie die einzelnen Bundesländer an der Schwelle zur dritten Welle bei der Bekämpfung der Krankheit dastehen. Welches Bundesland konnte die Alten am besten schützen? Und wie sieht es mit der Impfung der so genannten "vulnerablen Gruppen" aus? Hier geht es in erster Linie um den Schutz der über 60-Jährigen und der Pflegeheimbewohner. Wie hat sich die Zahl der Toten in den einzelnen Bundesländern entwickelt? Kann man aus den Zahlen einen Lernerfolg erkennen oder haben wir seit Beginn der Pandemie bei der Bekämpfung der Krankheit nichts dazu gelernt?

Um diese Fragen zu beantworten, müssen Indikatoren verwendet werden, die die unterschiedliche Altersstruktur der einzelnen Bundesländer berücksichtigen.

Die Altersstruktur der einzelnen Bundesländer

Das Statistische Bundesamt (DESTATIS) hat am 12. Februar 2021 die korrigierte Pressemeldung Corona-Impfung: 7,6 Millionen Menschen im Alter von 70 bis unter 80 Jahren mit hoher Priorität veröffentlicht. Darin wurden Angaben zur Bevölkerungsstruktur der einzelnen Bundesländer gemacht, auf die hier zurückgegriffen wird. Das Robert-Koch-Institut (RKI) macht täglich Angaben zu den Todesfällen nach Altersgruppen. Die Daten stehen hier zum Download bereit. Das RKI benutzt jedoch weiter gefasste Altersgruppen als das Statistische Bundesamt, sodass hier nur die Altersgruppen der 80-Jährigen und Älteren sowie der 60 - 79-Jährigen betrachtet werden können. Beide Altersgruppen gehören zu jenen Gruppen mit der höchsten Sterblichkeit. Alle Betrachtungen beziehen sich hier auf den 1. März 2021, wobei der Bevölkerungsstand vom 31.12.2019 unterlegt wird. Die folgende Tabelle zeigt den Prozentanteil der 60 bis 79-Jährigen in den einzelnen Bundesländern an:

Rang

Bundesland

Einwohnerzahl

60 - 79-Jährige

Prozentanteil

1

Sachsen-Anhalt

2.194.782

586.264

26,7

2

Thüringen

2.133.378

560.974

26,3

3

Mecklenburg-Vorpommern

1.608.138

415.186

25,8

4

Brandenburg

2.521.893

634.308

25,2

5

Sachsen

4.071.971

1.018.999

25,0

6

Saarland

986.887

240.786

24,4

7

Schleswig-Holstein

2.903.773

659.461

22,7

8

Rheinland-Pfalz

4.093.903

914.543

22,3

9

Niedersachsen

7.993.608

1.758.463

22,0

Deutschland

21,7

10

Nordrhein-Westfalen

17.947.221

3.802.804

21,2

11

Hessen

6.288.080

1.312.645

20,9

12

Bayern

13.124.737

2.722.984

20,7

13

Bremen

681.202

140.672

20,7

14

Baden-Württemberg

11.100.394

2.264.270

20,4

15

Berlin

3.669.491

698.465

19,0

16

Hamburg

1.847.253

326.494

17,7

In Baden-Württemberg leben unterdurchschnittlich wenige 60 - 79-Jährige, während in Rheinland-Pfalz überdurchschnittlich viele Menschen dieser Altersgruppe leben. An der Spitze stehen jedoch die 5 ostdeutschen Flächenländer mit jeweils mehr als einem Viertel der Bevölkerung in dieser Altersgruppe. Von der Altersstruktur her gesehen besitzt Baden-Württemberg sozusagen einen Vorteil hinsichtlich der Bekämpfung der Pandemie. Bei den 80-Jährigen und Älteren sieht es ähnlich aus wie die nachfolgende Tabelle zeigt:

Rang

Bundesland

Einwohnerzahl

80-Jährige und Ältere

Prozentanteil

1

Sachsen

4.071.971

348.757

8,6

2

Sachsen-Anhalt

2.194.782

182.164

8,3

3

Thüringen

2.133.378

169.482

7,9

4

Mecklenburg-Vorpommern

1.608.138

126.684

7,9

5

Brandenburg

2.521.893

197.346

7,8

6

Saarland

986.887

75.795

7,7

7

Schleswig-Holstein

2.903.773

207.658

7,2

8

Niedersachsen

7.993.608

554.368

6,9

9

Rheinland-Pfalz

4.093.903

282.032

6,9

10

Nordrhein-Westfalen

17.947.221

1.216.715

6,8

Deutschland

6,8

11

Bremen

681.202

45.522

6,7

12

Baden-Württemberg

11.100.394

720.138

6,5

13

Hessen

6.288.080

404.039

6,4

14

Bayern

13.124.737

831.499

6,3

15

Hamburg

1.847.253

107.709

5,8

16

Berlin

3.669.491

211.227

5,8

Das RKI stellt für jeden Tag Daten zu den Todesfällen hier in den einzelnen Bundesländern zum Download zur Verfügung. Für den 1. März 2021 ergibt sich hier folgendes Bild:

Rang

Bundesland

Einwohnerzahl

Todesfälle

Tote pro 100.000 Einwohner

1

Sachsen

4.071.971

7.760

190,57

2

Thüringen

2.133.378

2.864

134,25

3

Brandenburg

2.521.893

2.998

118,88

4

Sachsen-Anhalt

2.194.782

2.421

110,31

5

Bayern

13.124.737

12.388

94,39

6

Hessen

6.288.080

5.825

92,64

7

Saarland

986.887

870

88,16

Deutschland

83.166.711

70.105

84,29

8

Berlin

3.669.491

2.817

76,77

9

Rheinland-Pfalz

4.093.903

3.095

75,60

10

Nordrhein-Westfalen

17.947.221

13.059

72,76

11

Baden-Württemberg

11.100.394

8.074

72,74

12

Hamburg

1.847.253

1.272

68,86

13

Niedersachsen

7.993.608

4.298

53,77

14

Bremen

681.202

341

50,06

15

Mecklenburg-Vorpommern

1.608.138

739

45,95

16

Schleswig-Holstein

2.903.773

1.284

44,22

Der Indikator Tote pro 100.000 Einwohner unterscheidet nicht nach Altersgruppen. Es sind jedoch bereits hier Trends abzulesen, denn obwohl in Mecklenburg-Vorpommern überdurchschnittlich viele Menschen der Altersgruppe der 60-Jährigen und Älteren leben, gibt es in diesem Bundesland nur unterdurchschnittlich wenige Todesfälle pro 100.000 Einwohner.

Das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern ist jedoch auch in anderer Hinsicht aufschlussreich, denn in Mecklenburg-Vorpommern gab es bis zum 1. September 2020 nur 20 Todesfälle durch die Coronavirus-Pandemie bzw. 1,24 Tote pro 100.000 Einwohner. Nur 6 Monate später sind es dagegen 739 Todesfälle. Das heißt nichts anderes: abgerechnet werden kann letztlich erst am Ende der Pandemie. Wer gut durch eine Welle kommt, der ist nicht davor gefeit, dass ihn die nächste Welle nicht umso härter treffen kann. Auch die dritte Welle kann sehr tödlich werden und dies umso mehr, desto weniger die Impfung Fortschritte macht. Am 1. September 2020, d.h. vor Beginn der zweiten Welle, ergab sich noch folgendes Bild bei den Todesfällen:

Rang

Bundesland

Einwohnerzahl

Todesfälle

Tote pro 100.000 Einwohner

1

Bayern

13.124.737

2.640

20,11

2

Saarland

986.887

174

17,63

3

Baden-Württemberg

11.100.394

1.866

16,81

4

Hamburg

1.847.253

266

14,40

 

Deutschland

83.166.711

9.302

11,18

5

Nordrhein-Westfalen

17.947.221

1.812

10,10

6

Thüringen

2.133.378

186

8,72

7

Hessen

6.288.080

532

8,46

8

Niedersachsen

7.993.608

661

8,27

9

Bremen

681.202

56

8,22

10

Brandenburg

2.521.893

169

6,70

11

Berlin

3.669.491

226

6,16

12

Rheinland-Pfalz

4.093.903

243

5,94

13

Sachsen

4.071.971

226

5,55

14

Schleswig-Holstein

2.903.773

160

5,51

15

Sachsen-Anhalt

2.194.782

65

2,96

16

Mecklenburg-Vorpommern

1.608.138

20

1,24

Deutschland kam gut durch die erste Welle. Stark betroffen waren vor allem westdeutsche Bundesländer, weshalb in den Medien wild darüber spekuliert wurde, welches die Faktoren dieses "Erfolges" der ostdeutschen Bundesländer waren. Es wurde unter anderem behauptet, dass die Altersstruktur für die ostdeutschen Länder von Vorteil sei. Dies war jedoch offensichtlich einer der sehr vielen Fehlschlüsse aus der Anfangszeit der Pandemie.

Der Indikator Tote pro 100.000 Einwohner ist für eine genauere Analyse zu grobschlächtig, weshalb nun die beiden Altersgruppen der 60 bis 79-Jährigen und der 80-Jährigen und Älteren genauer betrachtet werden sollen.

Die Altersgruppen der 60-Jährigen und Älteren

Der Altersgruppe der 80-Jährigen und Älteren gilt bei der Impfung die größte Aufmerksamkeit, weil sie am häufigsten von Todesfällen betroffen ist. Das RKI liefert bis zu den Landkreisen hinunter Zahlen zur Häufigkeit von Todesfällen für einzelne Altersgruppen. Hier soll nicht auf die einzelnen Landkreise, sondern auf die Bundesländer fokussiert werden. Neben dem Alter spielt jedoch auch das Geschlecht eine große Rolle, was in einem ersten Schritt ausgeblendet werden soll. Im Altersgruppen-Datensatz des RKI werden nur Todesfälle aufgelistet, für die das Geschlecht männlich oder weiblich ist. Todesfälle mit unbekanntem bzw. diversem Geschlecht bleiben dabei unberücksichtigt. Am 1. März meldete das RKI 70.105 Todesfälle. Der Altersgruppen-Datensatz umfasst jedoch nur 69.898 Todesfälle. Das sind 207 Todesfälle weniger. Dieser Unterschied von weniger als 0,5 % der Todesfälle wird bei dieser Betrachtung vernachlässigt. Die folgende Tabelle zeigt die Todesfälle bei den 80-Jährigen und Älteren je 100.000 Einwohner in den einzelnen Bundesländer am 1. März 2021:

Rang

Bundesland

Tote pro 100.000 Einwohner der 80-Jährigen und Älteren

Prozentanteil der Altersgruppe an der Bevölkerung

Rang

1

Sachsen

1.618,03

8,6

1

2

Thüringen

1.192,46

7,9

3

3

Brandenburg

1.082,87

7,8

5

4

Bayern

1.042,70

6,3

14

5

Hessen

1.005,10

6,4

13

6

Sachsen-Anhalt

912,36

8,3

2

7

Berlin

864,95

5,8

16

Deutschland

859,04

6,8

8

Saarland

804,80

7,7

6

9

Baden-Württemberg

800,40

6,5

12

10

Hamburg

795,66

5,8

15

11

Rheinland-Pfalz

769,77

6,9

9

12

Nordrhein-Westfalen

718,82

6,8

10

13

Niedersachsen

538,63

6,9

8

14

Bremen

481,09

6,7

11

15

Schleswig-Holstein

442,07

7,2

7

16

Mecklenburg-Vorpommern

403,37

7,9

4

Sachsen hat die meisten Todesfälle in dieser besonders gefährdeten Altersgruppe zu beklagen. Da der Prozentanteil an der Gesamtbevölkerung zudem hoch ist, schlägt sich dies auch in einer hohen Todesrate bei Betrachtung aller Altersgruppen nieder. Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben unterdurchschnittliche Todesraten. Bei den 60-79-Jährigen ergibt sich folgendes Bild:

Rang

Bundesland

Tote pro 100.000 Einwohner der 60-79-Jährigen

Prozentanteil der Altersgruppe an der Bevölkerung

Rang

1

Sachsen

191,46

25,0

5

2

Thüringen

135,48

26,3

2

3

Brandenburg

123,76

25,2

4

4

Berlin

123,27

19,0

15

5

Bayern

119,57

20,7

12

6

Hessen

119,15

20,9

11

7

Sachsen-Anhalt

117,69

26,7

1

8

Hamburg

109,65

17,7

16

Deutschland

103,91

21,7

9

Nordrhein-Westfalen

96,80

21,2

10

10

Saarland

93,03

24,4

6

11

Baden-Württemberg

90,40

20,4

14

12

Rheinland-Pfalz

88,46

22,3

8

13

Bremen

72,51

20,7

13

14

Niedersachsen

64,89

22,0

9

15

Mecklenburg-Vorpommern

50,82

25,8

3

16

Schleswig-Holstein

48,98

22,7

7

Es zeigt sich, dass in dieser Altersgruppe deutlich weniger Todesfälle pro 100.000 Einwohner zu verzeichnen sind. Im Grunde müsste bei dieser Altersgruppe zwischen den 60 - 69-Jährigen und den 70 - 79-Jährigen unterschieden werden. Aber der RKI-Datensatz gibt das nicht her. Das Landesgesundheitsamt von Baden-Württemberg gibt für den 1. März in der Altersgruppe der 60-79-Jährigen 2.056 Todesfälle an. Diese verteilen sich jedoch sehr ungleich auf die Altersgruppe der 60 - 69-Jährigen (588 Todesfälle) und der 70 - 79-Jährigen (1.468 Todesfälle). Da nicht alle Bundesländer differenziertere Zahlen liefern, kann hier nur mit der grobschlächtigen Altersgruppendifferenzierung des RKI gearbeitet werden.

Es gibt große Unterschiede bei der Sterblichkeit der Geschlechter in den einzelnen Bundesländern

Männer sind in der Altersgruppe der 60-Jährigen und Älteren besonders stark gefährdet. Die einzelnen Bundesländer unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der geschlechtsspezifischen Todesfälle pro 100.000 Einwohner. Während die Unterschiede in der Altersgruppe der 80-Jährigen und Älteren relativ gering ausfallen, ergeben sich für die 60 - 79-Jährigen große Unterschiede. Die folgende Tabelle zeigt die unterschiedliche Betroffenheit von Männern in den einzelnen Bundesländer:

Rang

Bundesland

Todesfälle pro 100.000 Einwohner der 60-79-Jährigent

Verhältnis

Männer Frauen

1

Bremen

106,9

42,6

2,51

2

Sachsen

279,3

115,2

2,42

3

Berlin

177,1

76,6

2,31

4

Sachsen-Anhalt

167,2

74,4

2,25

5

Mecklenburg-Vorpommern

71,7

32

2,24

6

Saarland

129,7

59,6

2,18

7

Baden-Württemberg

125,8

58,4

2,15

8

Thüringen

188,7

88

2,14

Deutschland

144,5

67,5

2,14

9

Hamburg

152,9

72,1

2,12

10

Bayern

165,2

78,1

2,12

11

Nordrhein-Westfalen

134,1

63,7

2,11

12

Brandenburg

170,6

81,1

2,10

13

Hessen

162,8

79,6

2,05

14

Rheinland-Pfalz

120,3

59,1

2,04

15

Niedersachsen

88,3

43,4

2,03

16

Schleswig-Holstein

65,3

34,3

1,90

Was sagen uns diese Zahlen? Deutschlandweit sterben mehr als doppelt so viele Männer als Frauen an oder mit dem Coronavirus in der Altersgruppe der 60 - 79-Jährigen. In Bremen sterben sogar 2,5 mal so viele Männer wie Frauen. In Schleswig-Holstein sind die Männer dagegen besser geschützt. Baden-Württemberg schneidet hier etwas schlechter ab als Rheinland-Pfalz, liegt aber nahe am deutschlandweiten Durchschnitt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bilanz für Baden-Württemberg scheinbar gut aussieht. Während das Bundesland während der ersten Welle zu den am stärksten betroffenen Ländern gehörte, lag es während der zweiten Welle im Mittelfeld. Hier profitiert Baden-Württemberg auch vom Altersstrukturvorteil. Das Beispiel Bayern zeigt jedoch, dass der Altersstrukturvorteil einer jüngeren Bevölkerung nicht unbedingt ausschlaggebend dafür ist, gut durch die Pandemie zu kommen. Bayern schnitt in beiden Wellen schlecht ab.

Entscheidend ist, wie sich Baden-Württemberg in der dritten Welle schlägt. In erster Linie wird der Impffortschritt bei den gefährdeten Gruppen darüber entscheiden, ob die dritte Welle noch tödlicher verlaufen wird als die zweite Welle. Bundesländer, die ihre "vulnerablen Gruppen" besonders schnell impfen, werden hier im Vorteil sein. Eine besonders gefährdete Gruppe sind die Bewohner von Alten- und Pflegeheimen.

Der Impffortschritt in den einzelnen Bundesländern

Am besten dokumentiert ist der Impffortschritt bei den 80-Jährigen und Älteren. Gerade hinsichtlich der Alten- und Pflegeheimbewohner ist die Datenlage von Bundesland zu Bundesland jedoch sehr unterschiedlich. Wie viele Bewohner in diesen Einrichtungen leben und wie viele dort gestorben sind, wird nicht transparent dokumentiert. Grundlegende Zahlen zu dieser Gruppe existieren in unterschiedlichen Publikationen wie z.B. der Pflegestatistik.

Zeitungsberichte zum Thema sind rar, zumindest wenn es um einen Gesamtüberblick geht. Eine Ausnahme ist z.B. ein Tagesthema zu Corona in Pflegeheimen in der Süddeutschen Zeitung vom 23. November 2020 . Dort schreiben Lena KAMPF, Teresa ROELCKE Und Rainer STADLER:

Niemand rein, niemand raus

"In weit mehr als 1.000 der bundesweit etwa 12.000 Alten- und Pflegeheimen gibt es aktuell Corona-Fälle. Das ergab eine Umfrage von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR unter den Gesundheitsministerien der Bundesländer. (...). Einige Bundesländer lieferten nur unvollständige Zahlen. Berlin und Bayern machten gar keine Angaben. Dabei gibt es dort heftige Ausbrüche. Baden-Württemberg weist nur eine Gesamtzahl der Infizierten in Sammelunterkünften aus, neben den Pflegeheimen also auch Asyl- und Obdachlosenunterkünfte sowie Justizvollzugsanstalten. (...).
Trotz der Bedeutung der Alten- und Pflegeeinrichtungen im Kampf gegen das Virus gibt es nicht nur in einzelnen Ländern, sondern auch auf Bundesebene keine exakten Zahlen zum dortigen Infektionsgeschehen. Das Robert-Koch-Institut weist sie nicht in seinen täglichen Situationsberichten aus. Selbst das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und der dort angesiedelte Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung (...) verfügen nicht über ein genaues Lagebild in den Heimen."
(23.11.2020)

Das RKI veröffentlicht täglich ein Impfquotenmonitoring, das hier downloadbar ist. Die folgende Tabelle zeigt die Lage am 1. März 2021:

Rang

Bundesland

80-Jährige und Ältere Einwohner

Rang Altersstruktur

Erstimpfung

Prozentanteil

Zweitimpfung

Prozentanteil

1

Berlin

211.227

16

125.251

59,30

87.362

41,36

2

Baden-Württemberg

720.138

12

295.270

41,00

153.585

21,33

3

Hamburg

107.709

15

42.254

39,23

20.036

18,60

4

Saarland

75.795

6

28.734

37,91

15.151

19,99

5

Bayern

831.499

14

309.219

37,19

122.801

14,77

6

Bremen

45.522

11

16.855

37,03

9.506

20,88

7

Hessen

404.039

13

145.367

35,98

57.318

14,19

8

Thüringen

169.482

3

59.000

34,81

27.854

16,43

Deutschland

5.681.135

 

1.764.839

31,06

765.590

13,48

9

Niedersachsen

554.368

8

161.111

29,06

36.941

6,66

10

Schleswig-Holstein

207.658

7

59.359

28,58

38.827

18,70

11

Rheinland-Pfalz

282.032

9

76.484

27,12

52.184

18,50

12

Brandenburg

197.346

5

44.286

22,44

32.628

16,53

13

Nordrhein-Westfalen

1.216.715

10

267.686

22,00

53.212

4,37

14

Sachsen

348.757

1

74.947

21,49

29.279

8,40

15

Sachsen-Anhalt

182.164

2

35.700

19,60

19.225

10,55

16

Mecklenburg-Vorpommern

126.684

4

23.316

18,40

9.681

7,64

Baden-Württemberg liegt bei der Erstimpfung der 80-Jährigen und Älteren hinter Berlin auf Platz 2. Beim Prozentanteil dieser Altersgruppe an der Gesamtbevölkerung haben beide Länder jedoch einen Altersstrukturvorteil. Berlin hat die wenigsten Menschen dieser Altersgruppe (Rang 16) gemessen an der Gesamtbevölkerung zu impfen. Sachsen (Rang 1) hat dagegen die meisten Menschen in dieser Altersklasse zu impfen.

Entscheidend ist jedoch, dass viele Menschen möglichst schnell geimpft worden sind. Deshalb ist es wichtig zu wissen, wie z.B. der Stand der Impfungen am 1. Februar war. Diesen zeigt die nachfolgende Tabelle:

Rang

Bundesland

80-Jährige und Ältere Einwohner

Erstimpfung

Prozentanteil der Altersgruppe

Zweitimpfung

Prozentanteil der Altersgruppe

1

Berlin

211.227

70.467

33,36

22.515

10,66

2

Saarland

75.795

14.253

18,80

6.741

8,89

3

Baden-Württemberg

720.138

134.496

18,68

37.527

5,21

4

Rheinland-Pfalz

282.032

52.078

18,47

4.330

1,54

5

Bremen

45.522

8.402

18,46

1.875

4,12

6

Hamburg

107.709

17.916

16,63

3.419

3,17

7

Brandenburg

197.346

31.554

15,99

832

0,42

8

Bayern

831.499

117.652

14,15

40.199

4,83

9

Hessen

404.039

54.562

13,50

10.964

2,71

10

Schleswig-Holstein

207.658

26.576

12,80

7.611

3,67

Deutschland

5.681.135

669.993

11,79

174.701

3,08

11

Thüringen

169.482

19.706

11,63

1.050

0,62

12

Sachsen-Anhalt

182.164

16.822

9,23

6.404

3,52

13

Mecklenburg-Vorpommern

126.684

10.559

8,33

1.318

1,04

14

Niedersachsen

554.368

29.442

5,31

9.570

1,73

15

Nordrhein-Westfalen

1.216.715

53.909

4,43

19.176

1,58

16

Sachsen

348.757

11.599

3,33

1.170

0,34

Auch am 1. Februar sieht die Bilanz für Baden-Württemberg recht gut aus. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Bilanz von Baden-Württemberg auch noch so gut ist, wenn man die Impfung der Alten- und Pflegeheimbewohner betrachtet, denn diese Gruppe gehört zu den am stärksten von Todesfällen betroffenen Risikogruppen. Bei dieser Betrachtung gibt es jedoch ein Problem. Nicht alle diese Heimbewohner gehören zur Altersgruppe der 80-Jährigen und Älteren. Es handelt sich also nicht um eine reine Teilbevölkerung der 80-Jährigen und Älteren, sondern es gibt hier nur Schnittmengen. Das RKI-Impfquotenmonitoring listet einerseits die Risikogruppen der 80-Jährigen und Älteren (Indikation nach dem Alter) und der Pflegeheimbewohner separat auf. Es ist also unbekannt, inwiefern Menschen in beide Kategorien fallen und deshalb besonders stark gefährdet sind.

Im Beschluss der Ständigen Impfkommission zur Corona-Impfung, der online am 14. Januar 2021 veröffentlicht wurde, wurde die Bevölkerung in 6 Priorisierungsklassen eingeteilt. Zur höchsten Priorität wurden die Bewohner von Senioren- und Altenpflegeheimen gezählt, deren Zahl auf rund 1 Million Menschen geschätzt wurde (Epidemiologisches Bulletin 2/21, S.48). Die Zahl der 80-Jährigen und Älteren wurde mit 5,4 Millionen Menschen veranschlagt. Im Epidemiologischen Bulletin 5/21 schreibt die Ständige Impfkommision (STIKO) zur Gefährdungslage der Alten- und Pflegeheimbewohner:

Beschluss der STIKO zur 2. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung

"Vor allem ältere und pflegebedürftige Menschen sind bei einer Infektion mit dem SARS-CoV2-Virus von schweren Krankheitsverläufen und einer hohen Mortalität betroffen. Nach Analysen der London School of Economics gehen etwa die Hälfte (46 %) der COVID-19-Todesfälle in Europa auf Verstorbene in Pflegeheimen zurück. Laut der Pflegestatistik des Statistischen Bundesamtes waren in Deutschland Ende 2017 3,41 Mio. Menschen pflegebedürftig. Etwa 2,59 Mio. (76 %) aller Pflegebedürftigen wurden zu Hause versorgt; davon wurden 68 % durch Angehörige gepflegt und 32 % durch ambulante Pflegedienste. Ambulante PflegedienstmitarbeiterInnen betreuen gleichzeitig im Schnitt 59 Pflegebedürftige. Im Dezember 2017 waren 81 % der Pflegebedürftigen ≥ 65 Jahre alt, 35 % waren ≥ 85 Jahre alt. Die Mehrheit (63 %) der Pflegebedürftigen war weiblich. Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit pflegebedürftig zu sein, von 6 % bei den 70- bis 74-Jährigen auf 71 % bei den > 90-Jährigen. Es werden in Deutschland 0,82 Mio. Pflegebedürftige (24 %) in Pflegeheimen vollstationär betreut. Pro Pflegeheim werden im Durchschnitt 64 Pflegebedürftige betreut."
(Epidemiologisches Bulletin Nr.5/2021, online vorab 29.01.2021)

Das Statistische Bundesamt hat am 15. Dezember 2020 die Pflegestatistik 2019 veröffentlicht. Der Bundesländervergleich gibt einen Überblick zu den Pflegebedürftigen in Deutschland. Leider benutzt die Pflegestatistik andere Altersgruppen als die STIKO und es wird bei den Heimbewohnern auch nicht nach Geschlecht unterschieden. Die folgende Tabelle gibt jedoch Anhaltspunkte für die Einordnung des RKI-Impfquotenmonitoring:

Rang

Bundesland

Heimbewohner

Pflegebedürftige

Prozentanteil an Pflegebedürftigen

Einwohnerzahl

Prozentanteil an Bevölkerung

Rang

1

Schleswig-Holstein

35.117

130.349

26,94

2.903.773

1,21

4

2

Bayern

115.200

491.996

23,41

13.124.737

0,88

14

3

Sachsen-Anhalt.

29.072

129.672

22,42

2.194.782

1,32

1

4

Saarland

11.864

55.318

21,45

986.887

1,20

5

5

Niedersachsen

96.741

456.255

21,20

7.993.608

1,21

3

6

Hamburg

16.276

77.325

21,05

1.847.253

0,88

13

7

Sachsen

51.310

250.812

20,46

4.071.971

1,26

2

8

Baden-Württemberg

94.047

471.913

19,93

11.100.394

0,85

15

Deutschland

818.317

4.127.605

19,83

83.166.711

0,98

9

Mecklenburg-Vorpommern

19.273

102.996

18,71

1.608.138

1,20

6

10

Thüringen

25.307

135.592

18,66

2.133.378

1,19

7

11

Rheinland-Pfalz

37.733

202.708

18,61

4.093.903

0,92

10

12

Hessen

57.214

310.653

18,42

6.288.080

0,91

11

13

Berlin

29.069

158.482

18,34

3.669.491

0,79

16

14

Bremen

6.173

34.576

17,85

681.202

0,91

12

15

Nordrhein-Westfalen

169.128

964.987

17,53

17.947.221

0,94

9

16

Brandenburg

24.793

153.971

16,10

2.521.893

0,98

8

Was sagt diese Tabelle aus? Zum einen, dass Schleswig-Holsteins Anteil der Heimbewohner an den gesamten Pflegebedürftigen im Sinne der Pflegeversicherung mit 26,94 Prozent besonders hoch ist, während er in Brandenburg mit 16,1 Prozent besonders niedrig ist. Andererseits ist der Anteil der Heimbewohner mit 1,32 Prozent der Gesamtbevölkerung in Sachsen-Anhalt am höchsten, während er in Berlin mit 0,79 Prozent am niedrigsten ist.

Baden-Württemberg hat mit 0,85 Prozent Heimbewohnern gemessen an der Einwohnerzahl und einem durchschnittlichen Anteil von Heimbewohnern an den gesamten Pflegebedürftigen einen Vorteil gegenüber denjenigen Ländern, die hier mehr Anstrengungen bei der Impfung dieser stark gefährdeten Gruppe leisten müssen. Wenn aber Baden-Württemberg einen solchen Vorteil genießt, dann müsste das Land eigentlich besonders schnell diese gefährdete Gruppe durchgeimpft haben. Außerdem sollten die Todeszahlen bei den Heimbewohnern niedriger liegen als in Bundesländern, die einen höheren Anteil dieser Bevölkerungsgruppe haben. Am 1. März 2021 zeigt das RKI-Impfquotenmonitoring folgendes Bild der Impfsituation bei den Pflegeheimbewohnern in den einzelnen Bundesländern:

Bundesland Pflegeheimbewohner gemäß Pflegestatistik 2019 Erstimpfung Prozentanteil Zweitimpfung Prozentanteil

Baden-Württemberg

94.047

78.791

83,78

51.737

55,01

Bayern

115.200

118.108

102,52

90.236

78,33

Berlin

29.069

41.801

143,80

33.455

115,09

Brandenburg

24.793

21.706

87,55

16.561

66,80

Bremen

6.173

8.016

129,86

6.844

110,87

Hamburg

16.276

15.669

96,27

11.968

73,53

Hessen

57.214

50.060

87,50

33.306

58,21

Mecklenburg-Vorpommern

19.273

23.289

120,84

15.324

79,51

Niedersachsen

96.741

91.563

94,65

70.083

72,44

Nordrhein-Westfalen

169.128

180.817

106,91

134.557

79,56

Rheinland-Pfalz

37.733

35.876

95,08

31.017

82,20

Saarland

11.864

9.935

83,74

5.960

50,24

Sachsen

51.310

33.980

66,22

15.561

30,33

Sachsen-Anhalt

29.072

28.057

96,51

16.531

56,86

Schleswig-Holstein

35.117

49.308

140,41

35.229

100,32

Thüringen

25.307

21.644

85,53

11.375

44,95

Deutschland

818.317

808.620

98,82

579.744

70,85

Auf den ersten Blick wird sichtbar, dass die Zahlen der Pflegestatistik 2019 zu den Heimbewohnern nicht identisch sind mit der RKI-Statistik zur Indikation "PflegeheimbewohnerIn". Es ist jedoch auch sichtbar, dass z.B. Baden-Württemberg weit davon entfernt ist, die Alten- und Pflegeheimbewohner durchgeimpft zu haben. Wie lässt sich diese Differenz erklären? Am Beispiel Baden-Württemberg soll gezeigt werden, welche Probleme sich bei der Annäherung an die Ist-Situation in den Alten- und Pflegeheimen ergeben.

Die Lage in den Alten- und Pflegeheimen in Baden-Württemberg

Das Statistische Landesamt Baden-Württemberg hat am 21. Januar 2021 eine Pressemitteilung zur Gruppe der Impfberechtigten mit der höchsten Priorität herausgegeben  Dazu heißt es:

Eröffnung der Kreisimpfzentren: 720.000 Personen über 80 Jahre impfberechtigt

"(M)it höchster Priorität geimpft werden pflegebedürftige Personen, die in stationären Einrichtungen leben. Zur Einschätzung der Größe dieser Gruppe nennt das Statistische Landesamt Baden-Württemberg die Anzahl der pflegebedürftigen Personen in vollstationärer Dauerpflege aus der Pflegestatistik 2019. Zum Stichtag des 15. Dezember 2019 wurden in Baden-Württemberg insgesamt 90.813 Personen in vollstationärer Dauerpflege gezählt. Davon ist ein Drittel jünger als 80 Jahre alt und somit aufgrund dieser Einstufung mit höchster Priorität impfberechtigt. Konkret betrifft dies 26.871 Personen."
(Pressemitteilung des Statistischen Landesamts vom 21.01.2021)

In der Pflegestatistik 2019 wird bei den Pflegeheimbewohnern zwischen vollstationärer Kurzzeit- und Dauerpflege unterschieden. In den einzelnen Bundesländer gibt es jedoch große Unterschiede zwischen beiden Kategorien, die aus der nachfolgenden Tabelle ersichtlich sind:

Rang

Bundesland

vollstationäre Pflege

Dauerpflege

Prozentanteil der Dauerpflege

1

Berlin

29.069

28.832

99,18

2

Mecklenburg-Vorpommern

19.273

19.111

99,16

3

Thüringen

25.307

25.000

98,79

4

Sachsen

51.310

50.297

98,03

5

Brandenburg

24.793

24.282

97,94

6

Bayern

115.200

112.563

97,71

7

Sachsen-Anhalt

29.072

28.334

97,46

8

Schleswig-Holstein

35.117

34.169

97,30

Deutschland

818.317

794.917

97,14

9

Nordrhein-Westfalen

169.128

163.711

96,80

10

Baden-Württemberg

94.047

90.813

96,56

11

Hamburg

16.276

15.709

96,52

12

Niedersachsen

96.741

93.364

96,51

13

Hessen

57.214

55.141

96,38

14

Bremen

6.173

5.942

96,26

15

Saarland

11.864

11.405

96,13

16

Rheinland-Pfalz

37.733

36.244

96,05

Während Rheinland-Pfalz den größten Anteil an der Kurzzeitpflege bei der vollstationären Pflege hat, ist in Berlin die Dauerpflege fast gleichbedeutend mit der vollstationären Pflege.

Obwohl in Baden-Württemberg Ende 2019 rund 3,5 % der Personen in Heimen unter die Kurzzeitpflege fallen, die gemäß dem Gesundheitsministerium ebenfalls impfberechtigt sind (mehr hier), wird in der Pressemeldung des Statistischen Bundesamtes nur die um über 3.000 Personen niedrigere Zahl der Dauerpflege angegeben. Eine Begründung dafür findet sich jedoch nicht.

In den 44 Landkreisen in Baden-Württemberg reichte Ende 2019 der Anteil der 80-Jährigen und Älteren an der vollstationären Dauerpflege von fast 80 Prozent im Landkreis Tübingen bis 63,5 Prozent im Landkreis Sigmaringen. Im Durchschnitt lag dieser Anteil bei rund 70 Prozent. Aus der nachfolgenden Tabelle sind die Zahlen für die einzelnen Kreise ersichtlich:

Kreis

80-Jährige und Ältere

vollstationäre Dauerpflege

Gesamtzahl

unter 80 Jahre

Prozentanteil

80 Jahre und Älter

Prozentanteil

Tübingen (LKR)

12.427

1.355

281

20,74

1.074

79,26

Heidenheim (LKR)

9.807

1.196

264

22,07

932

77,93

Zollernalbkreis (LKR)

14.033

1.470

327

22,24

1.143

77,76

Böblingen (LKR)

24.865

2.711

618

22,80

2.093

77,20

Alb-Donau-Kreis (LKR)

12.157

1.508

382

25,33

1.126

74,67

Ludwigsburg (LKR)

34.503

3.857

1.025

26,58

2.832

73,42

Esslingen (LKR)

35.484

3.893

1.035

26,59

2.858

73,41

Heilbronn (LKR)

20.311

2.662

715

26,86

1.947

73,14

Lörrach (LKR)

15.142

1.765

483

27,37

1.282

72,63

Karlsruhe (LKR)

29.529

3.673

1.008

27,44

2.665

72,56

Ortenaukreis (LKR)

29.372

4.084

1.126

27,57

2.958

72,43

Rastatt (LKR)

16.076

1.769

500

28,26

1.269

71,74

Hohenlohekreis (LKR)

7.006

1.129

320

28,34

809

71,66

Pforzheim (SKR)

8.624

1.465

420

28,67

1.045

71,33

Ravensburg (LKR)

17.550

2.162

623

28,82

1.539

71,18

Reutlingen (LKR)

19.604

2.211

639

28,90

1.572

71,10

Konstanz (LKR)

19.476

2.573

746

28,99

1.827

71,01

Enzkreis (LKR)

13.485

1.731

503

29,06

1.228

70,94

Stuttgart (SKR)

38.374

4.761

1.391

29,22

3.370

70,78

Schwarzwald-Baar-Kreis (LKR)

15.851

2.057

601

29,22

1.456

70,78

Göppingen (LKR)

18.021

2.215

651

29,39

1.564

70,61

Baden-Württemberg

720.138

90.813

26.871

29,59

63.942

70,41

Rhein-Neckar-Kreis (LKR)

36.303

4.406

1.326

30,10

3.080

69,90

Heilbronn (SKR)

8.144

1.393

420

30,15

973

69,85

Karlsruhe (SKR)

19.124

2.536

775

30,56

1.761

69,44

Heidelberg (SKR)

8.593

1.113

344

30,91

769

69,09

Biberach (LKR)

11.738

1.427

442

30,97

985

69,03

Waldshut (LKR)

11.508

1.471

456

31,00

1.015

69,00

Ulm (SKR)

7.419

1.046

326

31,17

720

68,83

Main-Tauber-Kreis (LKR)

9.531

1.497

470

31,40

1.027

68,60

Bodenseekreis (LKR)

15.161

1.558

490

31,45

1.068

68,55

Schwäbisch Hall (LKR)

11.712

1.701

539

31,69

1.162

68,31

Rottweil (LKR)

9.542

1.202

383

31,86

819

68,14

Baden-Baden (SKR)

4.902

587

190

32,37

397

67,63

Emmendingen (LKR)

10.744

1.369

444

32,43

925

67,57

Freiburg im Breisgau (SKR)

12.216

1.876

610

32,52

1.266

67,48

Freudenstadt (LKR)

7.960

1.255

412

32,83

843

67,17

Ostalbkreis (LKR)

20.502

2.760

908

32,90

1.852

67,10

Rems-Murr-Kreis (LKR)

29.162

3.644

1.253

34,39

2.391

65,61

Mannheim (SKR)

18.146

2.655

913

34,39

1.742

65,61

Calw (LKR)

10.672

1.597

554

34,69

1.043

65,31

Breisgau-Hochschwarzwald (LKR)

17.967

1.918

669

34,88

1.249

65,12

Neckar-Odenwald-Kreis (LKR)

9.697

1.532

551

35,97

981

64,03

Tuttlingen (LKR)

9.135

1.108

404

36,46

704

63,54

Sigmaringen (LKR)

8.563

915

334

36,50

581

63,50

Das Gesundheitsministerium unter dem grünen Gesundheitsminiter Manfred LUCHA ist in Sachen Pflegeheime wenig gesprächig. Die letzte Pressemeldung zum Impfstand stammt vom 5. Februar und geht auf die Pflegeheime nicht ein. Es ist offensichtig, dass dieses Thema für den Minister sehr peinlich ist. Die täglichen Lageberichte weisen vom 1. Januar bis zum 1. März folgenden Anteil an geimpften Heimbewohnern an den täglichen Erstimpfungen aus:

Datum

Erstimpfung

Pflegeheim

Prozentanteil

01.01.2021

17.089

2.696

15,8

02.01.2021

20.048

3.406

17,0

03.01.2021

24.067

4.203

17,5

04.01.2021

27.179

4.935

18,2

05.01.2021

32.191

5.646

17,5

06.01.2021

37.840

6.476

17,1

07.01.2021

42.899

7.340

17,1

08.01.2021

49.112

8.092

16,5

09.01.2021

55.329

9.104

16,5

10.01.2021

61.122

9.761

16,0

11.01.2021

65.497

10.278

15,7

12.01.2021

73.776

11.326

15,4

13.01.2021

76.762

12.781

16,7

14.01.2021

82.630

13.866

16,8

15.01.2021

92.877

17.614

19,0

16.01.2021

100.163

19.421

19,4

17.01.2021

108.053

21.896

20,3

18.01.2021

114.954

23.375

20,3

19.01.2021

122.054

24.404

20,0

20.01.2021

128.128

25.164

19,6

21.01.2021

135.209

26.213

19,4

22.01.2021

142.511

27.997

19,6

23.01.2021

154.820

30.365

19,6

24.01.2021

164.982

32.001

19,4

25.01.2021

171.338

32.956

19,2

26.01.2021

180.406

34.698

19,2

27.01.2021

189.426

36.499

19,3

28.01.2021

198.902

38.501

19,4

29.01.2021

206.594

40.124

19,4

30.01.2021

217.340

42.016

19,3

31.01.2021

225.769

43.647

19,3

01.02.2021

231.714

44.709

19,3

02.02.2021

239.215

46.803

19,6

03.02.2021

246.618

48.610

19,7

04.02.2021

254.423

50.203

19,7

05.02.2021

260.936

51.596

19,8

06.02.2021

270.837

53.342

19,7

07.02.2021

280.015

54.821

19,6

08.02.2021

286.324

55.912

19,5

09.02.2021

293.955

57.653

19,6

10.02.2021

302.778

59.285

19,6

11.02.2021

312.104

60.871

19,5

12.02.2021

320.614

62.385

19,5

13.02.2021

329.670

63.758

19,3

14.02.2021

337.626

64.948

19,2

15.02.2021

343.333

65.720

19,1

16.02.2021

351.339

67.086

19,1

17.02.2021

362.951

68.986

19,0

18.02.2021

372.868

70.150

18,8

19.02.2021

383.094

71.362

18,6

20.02.2021

396.026

72.722

18,4

21.02.2021

406.653

73.626

18,1

22.02.2021

414.803

74.084

17,9

23.02.2021

425.604

74.766

17,6

24.02.2021

438.288

76.122

17,4

25.02.2021

452.126

77.092

17,1

26.02.2021

470.028

78.348

16,7

27.02.2021

489.431

79.500

16,2

28.02.2021

507.277

80.106

15,8

01.03.2021

520.879

80.501

15,5

Der durchschnittliche Prozentanteil dieser 60 Tage liegt bei 16,4 Prozent, d.h. in Baden-Württemberg war nicht einmal jeder 5. der täglich Geimpften ein Heimbewohner. Ganz anders in Mecklenburg-Vorpommern. Am 1. März wurden dort 79.501 Erstimpfungen gemeldet. 23.289 gingen davon an Heimbewohner. Das sind 29,3 % der Geimpften und damit war fast jeder Dritte der Erstgeimpften ein Heimbewohner. Zwei Drittel dieser Heimbewohner sind sogar zum zweiten Mal geimpft.

Die Anzahl der Todesfälle in Heimen ist hoch, aber Genaues wird darüber ungern berichtet. Die Presse, die eigentlich auf Problemfelder hinweisen sollte, ist jedenfalls nicht besonders hilfreich bei der Aufdeckung von Missständen in Heimen. Meist werden einfach nur die Pressemitteilungen der Kreisgesundheitsämter wiedergegeben, wenn es um Todesfälle in Heimen geht. Auf Landesebene sieht es meist noch schlechter aus. Am 3. Februar berichtete z.B. das Online-Portal faz.net der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über Corona-Tote in Pflegeheimen und zitierte dabei aus dem Boulevardblatt Bild, das nicht gerade für investigativen Journalismus bekannt ist. Die Anzahl der Toten, die in Pflegeheimen lebten, variierte nach diesem Bericht zwischen 73 Prozent in Berlin und 15 Prozent in Baden-Württemberg.  Eine Woche später erscheint ein Bericht der Datenjournalisten Kai LAUFEN, Edgar VERHEYEN und Johannes SCHMID-JOHANNSEN auf der Website des Südwestrundfunks, in dem die Zahl der Todesfälle auf rund 40 Prozent in Baden-Württemberg erhöht wird:

Kritik an Teststrategie in Baden-Württemberg: 40 Prozent aller Corona-Todesfälle in zweiter Welle in Pflegeheime

"Wo Schutzkonzepte fehlten oder schlecht umgesetzt wurden, schlug das Virus zu. Schwer nachvollziehbar, warum etwa die Bild-Zeitung Ende Dezember schrieb: »In Baden-Württemberg kam nach Angaben der Landesregierung nur rund jeder zehnte Corona-Tote aus dem Heim.« Dem SWR gegenüber bestätigte das Sozialministerium nach mehrfacher Nachfrage jetzt: Es waren 40 Prozent aller Todesfälle."
(swr.de, 11.02.2021)

Wieder eine Woche später war das Thema Inhalt einer Sondersitzung des Sozialausschusses (Video hier verfügbar). Im Liveblog des SWR heißt es dazu:

Lage in Pflegeheimen beschäftigt Sozialausschuss

"Corona-Ausbrüche in baden-württembergischen Pflegeheimen sind heute Thema im Sozialausschuss des Landtags. SPD und FDP haben dazu eine Sondersitzung beantragt. Anlass sind die SWR-Recherchen über die tatsächlichen Todeszahlen und die Testpraxis in baden-württembergischen Pflegeheimen. Die Opposition wirft die Frage auf, ob die Landesregierung genug für den Schutz der besonders gefährdeten Pflegeheimbewohner tut. Die SPD-Landtagsfraktion kritisiert, dass Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen Bundesländern das Ziel nicht erreicht habe, alle Heimbewohner so schnell wie möglich zu impfen. So seien bis Mitte Februar erst zwei Drittel der rund 100.000 Pflegeheim-Bewohner in Baden-Württemberg geimpft worden. Nach Angaben des Landesgesundheitsamtes sind in Baden-Württemberg von September bis Mitte Februar 2.287 Menschen bei Ausbrüchen in Alten- und Pflegeheimen an oder mit Covid-19 gestorben. Der Anteil von Pflegeheimbewohnern an allen in dieser Zeit im Zusammenhang mit Corona Verstorbenen beträgt damit knapp 40 Prozent."
(Pressemitteilung, 18.02.2021)

Die Presseabteilung des Landtags klärt uns dagegen über die Sicht des Gesundheitsministers folgendermaßen auf:

Im Sozialausschuss: Mehr Tempo bei Impfungen in Heimen verlangt

"Laut Hinderer warf die SPD Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) vor, die Lage in Pflegeheimen zu verharmlosen. Erst die SWR-Recherchen hätten gezeigt, wie dramatisch die Situation tatsächlich sei. Lucha habe die Zahlen dem Parlament vorenthalten und betreibe den Schutz von Pflegeeinrichtungen nicht entschlossen genug. Der Minister wies dies zurück und erklärte, bisher seien 2.846 Bewohner von Pflegeheimen mit und an Covid-19 gestorben. Das seien 37,6 Prozent aller Corona-Toten im Land (7.566). Im Ländervergleich sei dies der zweitniedrigste Wert. Angesichts dessen seien die Vorwürfe von SPD und FDP/DVP ungerechtfertigt."
(Pressemitteilung, 18.02.2021)

In einem ausführlicheren Bericht des SWR zur Sondersitzung heißt es:

Sondersitzung im baden-württembergischen Landtag:
Pflegeheime zu schlecht vor Corona geschützt? Gesundheitsminister wehrt sich

"Insgesamt sind laut Ministerium bisher 7.566 Menschen (Stand: 10. Februar) in Baden-Württemberg an oder mit Covid-19 verstorben, 2.846 davon in Alten- und Pflegeheimen. Der Anteil liegt demnach bei 37,6 Prozent. (...).
Die SPD warf Lucha vor, Todeszahlen kleingerechnet zu haben.
Dem widersprach der Minister vehement. Er sei zu jedem Zeitpunkt mit den Pflegeeinrichtungen im Gespräch und über die Zahlen im Bilde gewesen, so Lucha. In vielen anderen Bundesländern sei der Anteil der Toten, die auf Ausbrüche in Pflegeheimen zurückzuführen sind, deutlich höher als in Baden-Württemberg. Das gehe aus einer Länderabfrage des Sozialministeriums hervor. In Brandenburg betrug die Quote demnach 47,8 Prozent, in Schleswig-Holstein sogar 71 Prozent."
(swr.de, 23.10.2020)

Das über einhalbstündige Video von der Sondersitzung ergibt etwas anderes. Manfred LUCHA nennt zwar Zahlen zu den Toten in Pflegeheimen in den einzelnen Bundesländern (siehe ab Minute 26). Doch diese sind lückenhaft. Aus dem Wortlaut des Ministers während der Sondersitzung ergibt sich folgendes Bild:

Bundesland Prozentanteil Pflegeheimbewohner an gesamten Corona-Toten

Baden-Württemberg

37,6 %

Bayern

51,54 %

Berlin

57 %

Brandenburg

47,42 %

Bremen

53,21 %

Hamburg

63 %

Hessen

57,9 %

Mecklenburg-Vorpommern

37 %

Niedersachsen

fehlt in der Aufzählung

Nordrhein-Westfalen

43,1 %

Rheinland-Pfalz

32,8 %

Saarland

fehlt in der Aufzählung

Sachsen

71,01 %

Sachsen-Anhalt

"keine Angaben"

Schleswig-Holstein

"keine belastbaren Angaben"

Thüringen

50,1 %

Kann der Minister also nicht richtig vom Blatt ablesen oder warum ergeben sich Diskrepanzen zu den Zahlen zum SWR-Bericht? Die Pressemitteilung des Landtages spricht gar vom "zweitniedrigsten Wert" unter den Bundesländern, obwohl die Aussage des Ministers das gar nicht hergibt. Zudem ergibt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt sich diese Prozentanteile ergeben haben. An anderer Stelle (siehe ab 1 h 21 min) nennt der Minister Zahlen zu den Toten in den Pflegeheimen im Zeitraum September 2020 - Januar 2021. In diesem Zeitraum seien 5.831 Menschen an oder mit Corona in Baden-Württemberg verstorben. 2.411 waren Pflegeheimbewohner. Das ergibt einen Anteil von 41,4 %.

Die im SWR-Bericht genannte Zahl an Todesfällen von 7.566 Menschen ist identisch mit der Zahl der im Tagesbericht des Landesgesundheitsamtes vom 10. Februar gemeldeten Zahl von Toten in Baden-Württemberg.  2.846 Heimbewohner sollen bis dahin gestorben sein. Dies entspricht einem Anteil von 37,62 Prozent. Dies ist jedoch nur eine Momentaufnahme, weil es sich offensichtlich nur um "gemeldete Tote" und nicht um Todesfälle nach dem Sterbedatum geht. Durch den Meldeverzug kann es viele Wochen dauern bis alle Todesfälle bis zum 10. Februar tatsächlich beim LGA gemeldet werden. Baden-Württemberg zählt nicht zu den Ländern, die bei der Bearbeitung von Todesfällen besonders schnell sind. Die folgenden beiden Grafiken, die den Tagesberichten des LGA vom 10. Februar und dem 9. März 2021 entnommen sind, zeigt die Situation bei den Todesfällen nach Sterbedatum:

 

Aus den Grafiken ist ersichtlich, dass es für den Zeitraum bis zum 9. Februar viele Nachmeldungen gab. Sowohl der Gipfel um Weihnachten herum liegt höher als auch die Zahlen der Verstorbenen am 9. Februar. Das LGA stellt leider keine Tabellen zu den Todesfällen nach Sterbedatum zur Verfügung, sondern nur diese Grafiken.

Das RKI stellt dagegen Tabellen zu den Todesfällen nach Sterbedatum zur Verfügung. Aufgrund des Meldeverzugs sind die Todeszahlen jedoch niedriger als die LGA-Zahlen. Dennoch zeigen sie das Problem deutlicher als die Grafiken. Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung der Todesfälle nach Sterbedatum in Baden-Württemberg anhand der wöchentlich erscheinenden RKI-Tabellen (hier downloadbar) vom 10. Februar bis zum 5. März 2021. Das RKI veröffentlicht die Daten erst 3 Wochen nach Meldedatum, weil die Zahlen der Todesfälle zu einem früheren Zeitpunkt unvollständig sind. Auch nach drei Wochen können jedoch immer noch einzelne Nachmeldungen erfolgen. Sterben in einer Woche weniger als 4 Menschen, dann wird das aus Datenschutzgründen als <4 markiert. Dies war z.B. in den Kalenderwochen 36 und 37 in Baden-Württemberg der Fall:

Sterbewoche

Wochenbeginn

Sterbejahr

10.02.2021

19.02.2021

26.02.2021

05.03.2021

Anzahl Tote

36

31.08.2020

2020

<4

<4

<4

<4

37

07.09.2020

2020

<4

<4

<4

<4

38

14.09.2020

2020

7

7

7

7

39

21.09.2020

2020

9

9

9

9

40

28.09.2020

2020

12

12

12

12

41

05.10.2020

2020

15

15

15

15

42

12.10.2020

2020

46

46

47

47

43

19.10.2020

2020

54

54

54

54

44

26.10.2020

2020

108

109

110

110

45

02.11.2020

2020

152

153

155

155

46

09.11.2020

2020

190

190

189

190

47

16.11.2020

2020

248

252

253

253

48

23.11.2020

2020

353

358

360

368

49

30.11.2020

2020

402

402

404

412

50

07.12.2020

2020

525

528

531

534

51

14.12.2020

2020

592

591

592

593

52

21.12.2020

2020

585

592

600

603

53

28.12.2020

2020

529

544

549

550

1

04.01.2021

2021

521

540

550

555

2

11.01.2021

2021

427

440

449

453

3

18.01.2021

2021

k.A.

403

409

415

4

25.01.2021

2021

k.A.

307

312

317

5

01.02.2021

2021

k.A.

k.A.

226

237

6

08.02.2021

2021

k.A.

k.A.

k.A.

205

Beispielhaft soll hier auf die 52. Kalenderwoche vom 21.12.2020 bis 27.12.2020 eingegangen werden. Es handelt sich hier um die Weihnachtswoche. Während bis zum 10.02.2021 für diese Woche nur 585 Todesfälle gemeldet waren, sind es am 5. März 2021 mit 603 Todesfälle noch einmal 18 Todesfälle mehr. Dies ist zugleich der Höchststand von Todesfällen in Baden-Württemberg innerhalb einer Woche. Täglich gemeldet wurden vom RKI in der 52. Kalenderwoche dagegen nur 469 Todesfälle für Baden-Württemberg.

Der Unterschied zwischen der Zahl der gemeldeten Toten und den innerhalb von 24 Stunden tatsächlich gestorbenen Menschen wird in den Medien nur selten richtig dargestellt. Zwischen beiden Zahlen können große Unterschiede sein wie das Beispiel zeigt. Der Unterschied ist sehr wichtig, wenn es darum geht Fehlschlüsse zu vermeiden. Am 31. Januar titelt z.B. Telepolis: Januar 2021 bisher tödlichster Monat der Pandemie. Thomas SCHUSTER schreibt darin:

Januar 2021 bisher tödlichster Monat der Pandemie

"Im Januar sind in Deutschland mehr Menschen an Covid-19 gestorben als in jedem anderen Monat seit Beginn der Pandemie. Anfang Januar hatte das Land ungefähr 34.000 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus zu verzeichnen. Zum Ende des Monats liegt deren Zahl bei rund 57.000. Die traurigen Zahlen des Vormonats wurden somit sogar noch übertroffen. Der Januar 2021 ist der bisher tödlichste Monat der Pandemie."
(Telepolis, 31.01.2021)

Dies wäre nicht schlimm, aber in dem Artikel wird dann auf die Sterbefallzahlen des Statistischen Bundesamt eingegangen, die jedoch mit den gemeldeten Todesfällen, die SCHUSTER hier erwähnt, nichts zu tun haben. Denn bei den Todesfällen des Statistischen Bundesamtes handelt es sich um Todesfälle nach dem Sterbedatum. Für Baden-Württemberg ist klar ersichtlich, dass nicht der Januar, sondern der Dezember der tödlichste Monat der Pandemie war. Im Dezember starben wöchentlich mehr als 500 Menschen, im Januar waren es dagegen nur in der ersten Woche über 500, um dann Woche um Woche weniger zu werden. Das gilt auch für ganz Deutschland. Das RKI verzeichnete mit Stand 5. März für den Dezember 21.428 Todesfälle. Im Januar waren es dann mit 20.969 fast 500 Todesfälle weniger. Dass der Rückgang nicht größer ausfiel, liegt offensichtlich am fehlenden Impffortschritt bei den am stärksten gefährdeten Heimbewohnern.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass ein Vergleich der Todesfälle in einzelnen Bundesländern schon schwierig genug ist, wenn es allein um die Gesamtzahl geht. Sinnvoll ist ein Vergleich ja nur, wenn Todesfälle für einen bestimmten Zeitraum verglichen werden können, wobei nicht die bis dahin gemeldeten Toten ausschlaggebend sind, sondern die Verstorbenen nach Sterbedatum. Wenn dann noch der Anteil der Todesfälle in Alten- und Pflegeheimen bestimmt werden soll, dann wird die Sache noch komplizierter. Der grüne Gesundheitsminister macht es sich da zu leicht mit seinem Zahlenwerk. Wissenschaftler sprechen hier zu Recht auch von "politischen Zahlen". Es werden noch etliche Monate ins Land gehen, bis die Entwicklungen während der tödlichen zweiten Welle in Deutschland aufgearbeitet worden sind. Als Wahlkampfthema ist diese Angelegenheit jedenfalls ungeeignet und könnte schnell jenen auf die Füße fallen, die sich einen momentanen Vorteil zu verschaffen glauben.

Ist die dritte Welle in Deutschland unvermeidbar?   

Der vorerst letzte Bund-Länder-Gipfel fand am 3. März statt. Davor fanden seit Ende Oktober 2020 neun Gipfelgespräche zwischen dem Kanzleramt und den Ministerpräsidenten der Bundesländer statt. Die nachfolgende Tabelle zeigt die Termine und die zentralen Aspekte der 10 Gespräche hinsichtlich der Inzidenzziele in Deutschland:

Datum Zentrale Neuerungen und Zielmarken Die Passage des Bund-Länder-Beschlusses im Wortlaut (alle Beschlüsse hier downloadbar)

28.10.2020

Beschluss eines "Teil-Lockdowns" ab 2. November

"Bürgerinnen und Bürger werden aufgefordert, generell auf nicht notwendige private Reisen und Besuche - auch von Verwandten - zu verzichten. Das gilt auch im Inland und für überregionale tagestouristische Ausflüge. Übernachtungsangebote im Inland werden nur noch für notwendige und ausdrücklich nicht touristische Zwecke zur Verfügung gestellt."

16.11.2020

Ermöglichung der Kontaktnachverfolgung in den Gesundheitsämtern bei bis zu Inzidenz 50 durch Personalaufstockung und Bundeswehreinsatz

"Bund und Länder haben vereinbart, dass die Gesundheitsämter personell so aufgestockt werden, dass genügend Kontaktnachverfolgungspersonal bereitsteht, um täglich die Kontakte von 5 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner nachvollziehen zu können, das entspricht 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner pro Woche. Dies ist gegenüber der vorpandemischen Zeit bereits eine Kraftanstrengung. Mit erheblicher Unterstützung von Landes- und Bundesbehörden sowie der Bundeswehr wird daran gearbeitet, dass auch bei 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern pro Woche die Kontaktverfolgung noch vollständig erfolgen kann."

25.11.2020

Lockerungsmöglichkeiten in Landkreisen mit Inzidenzen unter 50

"Um auf besondere regionale Situationen angemessen reagieren zu können, haben Länder bei einer Inzidenz von deutlich unter 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen in sieben aufeinander folgenden Tagen und einer sinkenden Tendenz der Inzidenz die Möglichkeit, hiervon abzuweichen. Dies gilt, sofern andere relevante Indikatoren, wie zum Beispiel die Auslastung der Intensivkapazitäten und die Handlungsfähigkeit des Öffentlichen Gesundheitsdiensts dem nicht entgegenstehen."

02.12.2020

Vertagung von Entscheidungen

13.12.2020

Einführung von Ausgangsbeschränkungen in Landkreisen mit über Inzidenz 200

"Bund und Länder betonen erneut, dass über die gemeinsamen Maßnahmen hinaus gemäß der Hotspotstrategie in allen Hotspots ab einer Inzidenz von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern pro Woche sofort ein konsequentes Beschränkungskonzept regional umgesetzt werden muss. Bei weiter steigendem Infektionsgeschehen sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich. Bei besonders extremen Infektionslagen mit einer Inzidenz von über 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern pro Woche und diffusem Infektionsgeschehen sollen die umfassenden allgemeinen Maßnahmen nochmals erweitert werden, um kurzfristig eine deutliche Absenkung des Infektionsgeschehens zu erreichen. Insbesondere sollen in Regionen lokale Maßnahmen nach § 28a Abs. 2 InfSchG spätestens erwogen werden, darunter auch weitgehende Ausgangsbeschränkungen, wenn die Inzidenz von über 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern pro Woche überschritten wird."

05.01.2021

Besondere Eindämmungsmaßnahmen für Landkreise über Inzidenz 200, um die Zielmarke von 50 zu erreichen

"In Landkreisen mit einer 7-Tages-Inzidenz von über 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern werden die Länder weitere lokale Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz ergreifen, insbesondere zur Einschränkung des Bewegungsradius auf 15 km um den Wohnort, sofern kein triftiger Grund vorliegt. Tagestouristische Ausflüge stellen explizit keinen triftigen Grund dar."

19.01.2021

Inzidenz 50 als Zielmarke für mögliche Lockerungen

"Wir müssen die Infektionszahlen jetzt wieder dauerhaft unter eine 7- Tage-Inzidenz von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner senken, damit wir ähnlich wie im Sommer des letzten Jahres bei niedrigem Infektionsniveau wieder Normalität zurückgewinnen können."

10.02.2021

Inzidenz 35 als Zielmarke für mögliche Lockerungen "Aus heutiger Perspektive, insbesondere vor dem Hintergrund der Unsicherheit bezüglich der Verbreitung von Virusmutanten, kann der nächste Öffnungsschritt bei einer stabilen 7-Tage-Inzidenz von höchstens 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner durch die Länder erfolgen."

03.03.2021

Einführung einer Notbremse bei Inzidenz 100

"Steigt die 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner an drei aufeinander folgenden Tagen in einem Bundesland oder einer Region auf über 100, treten ab dem zweiten darauffolgenden Werktag die Regeln, die bis zum 7. März gegolten haben, wieder in Kraft (Notbremse)."

Keiner der in den Gipfelgesprächen ab 28.10.2020 gefassten Ziele wurde erreicht. Der "Lockdown light" führte von Verlängerung zu Verlängerung. Inzwischen wird der 28. März als mögliches Ende in Aussicht gestellt. Der Gipfel vom 16. November führte geradewegs ins Fiasko, das im Gipfel am 25. November seinen Höhepunkt fand (mehr dazu hier in der zweiten Bilanz). Die Vertagung von Entscheidungen war da nur eine konsequente Weiterführung dieses Trauerspiels. Für das Weihnachtsfest wurden Ausnahmen vom "harten" Lockdown ermöglicht. Weihnachten erlebten viele Infizierten in den Krankenhäusern entweder gar nicht oder schon vom Tode gezeichnet, denn in der Weihnachtswoche starben in Deutschland mehr Menschen als in jeder anderen Woche dieser Pandemie. Nach Zahlen des RKI (Stand: 5. März 2021) starben in dieser 52. Kalenderwoche allein 5.724 Menschen. Die höchste Zahl an Toten in der ersten Welle gab es in der 16. Kalenderwoche 2020 (13.-19. April). Das waren damals 1.597 Menschen, die in der Osterwoche starben. Dies war nicht einmal ein Drittel der Toten in der Weihnachtswoche. Demnächst ist wieder Ostern und wieder scheint nichts wichtiger als der Osterurlaub.

Kurz nach den jeweiligen Gipfelgesprächen bröckelte immer wieder der Konsens der Beschlüsse zugunsten von Aufweichungen in einzelnen Bundesländern. Die Zielmarke einer zu erreichenden Inzidenz von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner wurde deutschlandweit nie erreicht, nicht einmal die Zielmarke 50 konnte erreicht werden. Das RKI meldete an keinem Tag eine Inzidenz unter 56 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Nur wenige Bundesländer kamen zeitweise überhaupt unter eine 50er-Inzidenz. Es ist absehbar, dass bald auch das letzte Bundesland wieder die 50er-Zielmarke überschreiten wird.

Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass die Inzidenzmarken, bei denen Öffnungsschritte gewagt bzw. zurückgenommen werden sollen, durch einen entsprechenden Interpretationsspielraum der Beschlüsse, wieder zur Verhandlungssache einzelner Bundesländer bzw. Landkreise werden. In Brandenburg wurde bereits zwei Tage nach dem Bund-Länder-Beschluss die Notbremse bei Inzidenz 100 ausgehebelt und auf 200 verdoppelt:  

Kabinett verständigt sich über Öffnungsschritte: Siebte SARS-CoV-2 Eindämmungsverordnung soll morgen beschlossen werden

"Notbremse: Übersteigt die 7-Tage-Inzidenz für mindestens drei Tage in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt den Wert von 200 werden wieder schärfere Kontaktbeschränkungen und Maßnahmen festgesetzt."
(Pressemitteilung des Landes Brandenburg v. 05.03.2021)

In der Eindämmungsverordnung heißt es dann unter § 26, dass ab Inzidenz 100 besondere Maßnahmen zur Reduzierung der Inzidenzen getroffen werden sollen, aber erst bei Inzidenz 200 wird die Schließung von Geschäften des nicht-täglichen Bedarfs und die Einschränkung von körpernahen Dienstleistungen angeordnet.

In Baden-Württemberg, das bekanntlich kurz vor der Landtagswahl steht, hat z.B. der Landkreis Calw die 50er-Marke, die eine uneingeschränkte Öffnung von Geschäften verhindern sollte, durch eine "bereinigte Inzidenz" ausgehebelt. In der Pressemitteilung des Kreisgesundheitsamts heißt es:

Öffnung des Einzelhandels im Landkreis Calw ab 09. März 2021: Neue Corona-Verordnung lässt weitere Lockerungen zu

"Die neue Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg sieht einen Stufenplan vor, nach dem die einschränkenden Regelungen abhängig vom regionalen Infektionsgeschehen gelockert werden. Landkreise mit einer stabilen 7-Tages-Inzidenz von unter 50/100.000 Einwohner dürfen dabei weitere Öffnungsschritte veranlassen.
Bei der Prüfung der Inzidenz hat das Gesundheitsamt zu prüfen, inwieweit es sich um ein diffuses Geschehen oder um klar abgrenzbare Ausbrüche handelt. Das Gesundheitsamt im Landratsamt hat daher die Infektionszahlen der letzten sieben Tage detailliert gesichtet und unter Berücksichtigung von lokalen Ausbrüchen bewertet.
Nach Angaben des Gesundheitsamtes ist das Infektionsgeschehen im Landkreis in maßgeblichen Teilen eingrenzbar und somit nicht diffus. Eingrenzbare und nachvollziehbare Fallhäufungen in größeren Familien, Unternehmen sowie Einrichtungen werden als Ausbrüche gewertet. Mit Stand vom 07.03.2021 ergibt sich eine bereinigte 7-Tages-Inzidenz des diffusen Infektionsgeschehens von 39. Insgesamt lag die bereinigte Inzidenz seit mehr als fünf Tagen nacheinander unter dem Wert von 50."
(Pressemitteilung des Kreisgesundheitsamts v. 08.03.2021)

Dieses Prinzip kennen wir spätestens seit dem großen Schlachthof-Ausbruch im Kreis Gütersloh. Dafür wird auf die Unterscheidung zwischen "lokal eingrenzbarem" und "diffusem" Geschehen zurückgegriffen. Die Feststellung dieser Unterschiede obliegt dem jeweiligen Kreisgesundheitsamt. Diese Unterscheidung hat eine gewisse zynische Note, denn zu den lokal eingegrenzbaren Geschehen zählen auch große Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen, die in der Vergangenheit meist sehr tödlich verliefen.

In diesem Zusammenhang wird davon gesprochen, dass kein "Eintrag in die allgemeine Bevölkerung" erfolgt, wie die politische Sprache dies nennt. Bei Ausbrüchen in Schlachthöfen, in Ernte- oder Logistikbetrieben betraf dieser Zynismus mehrheitlich die Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Hier geht es perfider Weise darum, dass Integration oder soziale Gleichheit als politische Ziele geradezu zum Makel werden. Diese Kehrseite der Pandemie ist bis heute nicht ausreichend beleuchtet.

Einen Tag später gibt das Kreisgesundheitsamt des Landkreises Calw eine weitere Pressemeldung heraus, in der sich das Amt gegen Kritik an seiner Praktik wehrt:

Landkreis steht zu Öffnungsschritten. Lückenlose Fallzahlerfassung ist eine Selbstverständlichkeit

"Die seit gestern gültige Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg sieht einen Stufenplan vor, nach dem die einschränkenden Regelungen abhängig vom regionalen Infektionsgeschehen gelockert werden. Gemäß § 20 Abs. 7 Satz 2 der Verordnung kann das Gesundheitsamt dabei bei der Bewertung der Inzidenzwerte die Diffusität des Infektionsgeschehens angemessen bewerten. Diese gesetzlich vorgesehene Bewertung hat die Landkreisverwaltung vorgenommen und auf Grundlage einer bereinigten 7-Tages-Inzidenz weitere Lockerungen wie die komplette Öffnung des Einzelhandels ermöglicht. Dabei wurden nicht diffuse, klar eingrenz- und nachverfolgbare Infektionsgeschehen in Einrichtungen oder festen Kollektiven herausgerechnet.
»Der Vorwurf der Mauschelei hat uns doch einigermaßen überrascht«, so Landrat Helmut Riegger. »Wir setzen um, was die neue Verordnung der Landesregierung vorsieht. Unser Gesundheitsamt ist jederzeit – wie schon während der gesamten Pandemie – in der Lage, eine vollständige Kontaktpersonennachverfolgung zu gewährleisten. Wir haben in Teilen ein diffuses Infektionsgeschehen, in maßgeblichen Teilen aber auch ein abgrenzbares Ausbruchsgeschehen, welches wir unter Kontrolle haben. Beides können wir fallscharf voneinander abgrenzen. Sollte das diffuse Infektionsgeschehen weiter ansteigen, müssen die Lockerungen selbstverständlich wieder zurückgenommen werden. Insofern kann ich nur ausdrücklich zu einem umsichtigen Vorgehen unter Berücksichtigung der bekannten Hygieneregelungen aufrufen.«
Die bereinigte Inzidenz wird immer mit der abendlichen Fallzahlmeldung sowie zeitnah über das Dashboard veröffentlicht."
(Pressemitteilung des Kreisgesundheitsamts v. 09.03.2021)

Redlich wäre es, wenn das KGA die Infektionsorte der Fälle in seinen täglichen Meldungen aufzählen würde. Die Menschen könnten sich dann selbst ein Bild von der Lage machen. Wer nichts zu verbergen hat, der tut dies mittlerweile (z.B. Flensburg). In Baden-Württemberg dagegen herrscht vorwiegend das Gebot der Verschwiegenheit. Notfalls verschanzt man sich hinter Datenschutzgründen! Die Glaubwürdigkeit der Politik und der Institutionen des Gesundheitswesens leidet unter dieser Intransparenz. Wer zweifelt, der gerät schnell in die Ecke der Verschwörungstheoretiker. Ein Feindbild, das auch berechtigte Interessen an Aufklärung schnell in Misskredit bringen kann.

In dem Beitrag Die flexible Inzidenz: Interpretation statt Fakten? haben sich auch die SWR-Datenjournalisten Johannes SCHMID-JOHANNSEN, Ulrich LANG und Nico HEILIGER mit dem hier beschriebenen Problemkomplex befasst. Sie kritisieren 4 Punkte:
1. Die Länder-Verordnungen lassen viel Raum für träge Entscheidungen
2. Die Inzidenz wird wegen des Meldeverzugs sehr häufig zu niedrig angegeben
3. Die Vergleichbarkeit hängt auch davon ab, wie viel in den Landkreisen getestet wird
4. Kleine Landkreise sind tendenziell benachteiligt
Die Kritik des Beitrags läuft prinzipiell auf das hinaus, was auch auf dieser Website kritisiert wird - mit einer Ausnahme. Bei Punkt 4 wird bei der Benachteiligung kleiner Landkreise ausgerechnet auf den Ausbruch in Pflegeheimen fokussiert. Da heißt es:

Lockerungsschritte in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz: Die flexible Inzidenz: Interpretation statt Fakten?

"Die Sieben-Tage-Inzidenz setzt die gemeldeten Infektionsfälle ins Verhältnis zur Bevölkerung. Grundsätzlich dient das der Vergleichbarkeit. Es führt aber in einem dynamischen Infektionsgeschehen bei kleinen Landkreisen zu hohen und schnellen Schwankungen. Ein Ausbruch in einem Altenheim kann schnell 20, 30 oder mehr Fälle nach sich ziehen. Für einen großen Landkreis hat das kaum Auswirkungen auf die Sieben-Tage-Inzidenz. Bei einem kleinen Landkreis dagegen schießt der Wert dadurch schnell nach oben. Objektiv ist die Gefahr eines unkontrollierbaren Ausbruchsgeschehens damit im kleinen Landkreis aber nur nicht unbedingt stark angestiegen."
(swr.de v. 10.03.2021)

Obwohl im Artikel der Begriff "diffuses Geschehen" kritisiert wird, wird dessen scheinbarer Gegensatz des lokal eingrenzbaren Geschehens unreflektiert dargestellt. Ein Ausbruch in einem Pflegeheim mag "kontrollierbar" sein, aber er gehört gerade zu jenen Ausbruchsarten, die das Gesundheitssystem besonders stark gefährden. Wer also nur auf die Nachverfolgbarkeit fokussiert, der hat das aus den Augen verloren, warum die Nachverfolgbarkeit überhaupt so wichtig ist, nämlich die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Belegt wird die Benachteiligung kleiner Landkreise jedoch nicht, denn dazu wäre eine repräsentative Betrachtung der Landkreise notwendig, die jedoch fehlt.  

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Politik ihre Ziele zur Verhinderung der dritten Welle nicht erreicht hat. Weder eine deutschlandweite Inzidenz von 50 und erst Recht nicht von 35 lässt sich noch - ohne drastische Verschärfungen der Maßnahmen - erreichen. Wir bewegen uns derzeit auf eine deutschlandweite Inzidenz von 100 zu. Die Kanzlerin fällt mittlerweile als Mahnerin aus. Die CDU ist zudem durch die so genannte Maskenaffären in Misskredit geraten. Und nicht zuletzt spielt die SPD derweil Opposition als Regierungspartei, was ihre Glaubwürdigkeit nicht gerade erhöht. Vor diesem Hintergrund wäre es schon ein Erfolg, wenn die Inzidenzen deutschlandweit in den Wochen bis Ostern nicht über die 200er-Marke hinausschießt. Schließlich sind solch hohe 7-Tage-Inzidenzen in den Nachbarländern keineswegs selten. Es soll deshalb nun ein Blick ins Ausland geworfen werden, denn die zweite Welle hat gezeigt, dass Deutschland sich nicht von den Trends im angrenzenden Ausland ablösen kann, sondern lediglich den allgemeinen Trends mehr oder weniger zeitverzögert folgt.

Die Entwicklung der Pandemie im Ausland

Die europäischen Nachbarländer hatten früher mit der zweiten Welle zu kämpfen als Deutschland. Die Zahl der gemeldeten Toten steigt erst sehr spät nach einem Anstieg der Inzidenzen an, weshalb in Deutschland Wochen damit vergeudet wurden, zu diskutieren, ob wir uns überhaupt in einer zweiten Welle befinden. Es waren zwei Argumente, die immer wieder in den Medien zur Verharmlosung herangezogen wurden: die höheren Inzidenzen der zweiten Welle seien nicht mit der ersten Welle zu vergleichen, weil wir ja nun mehr testen und zudem gibt es nur wenige Tote trotz hoher Inzidenzen. Diese Argumente drohen nun in der anstehenden dritten Welle erneut konsequentes Handeln zu verhindern und zunehmender Sorglosigkeit in der Bevölkerung Vorschub zu leisten. Zudem wird die Sehnsucht nach Urlaub und Traumreisen stimuliert. Wiederholt sich also bei der dritten Welle genau dieses fatale Muster? Oder wird die dritte Welle tatsächlich anders verlaufen? Um das zu erörtern bedarf es zuerst eines Blicks ins Ausland. Aus der nachfolgenden Grafik ist die Entwicklung in verschiedenen Ländern in Europa und in den USA ersichtlich:

 

Die Grafik zeigt die kumulative Entwicklung der Todesfälle in verschiedenen europäischen Ländern und in den USA an. Man sieht, dass am 1. April die Entwicklungen bei den Todesfällen - abgesehen von Italien - noch eng beieinander liegen. Großbritannien fällt hier aus dem Rahmen, weil aufgrund von zwei großen Revisionen der Todesfalldefinitionen zuerst ein steiler Anstieg im April (Corona-Tote in Pflegeheimen werden nun in der Statistik mitgezählt) und dann ein Rückgang im August (Herausnahme von über 5.000 Toten aus der Statistik) die Statistik verzerrt (mehr dazu hier).

Als einziges Land verzeichnet die USA einen mehr oder weniger linearen Anstieg der Todesfälle. Während die Entwicklungen in den USA und Großbritannien im Herbstmonat Oktober parallel verlaufen, verzeichnet Großbritannien ab November einen immer stärkeren Anstieg der Todesfälle. Dies wird mit dem Aufkommen der sogenannten "britischen Mutante" des Corona-Virus ("Wildtyp") mit dem kryptischen Namen B.1.1.7 in Zusammenhang gebracht. Während sich die anderen Länder noch in der "zweiten Welle" befinden entwickelt sich in Großbritannien bereits die dritte Welle. Manche sprechen gar von einer "Pandemie in der Pandemie".

Der Fall Großbritannien zeigt, dass die dritte Welle tödlicher verlaufen kann als die hinter uns liegende zweite Welle. In Großbritannien wurde viel schneller geimpft als hierzulande, dennoch sind die Todesfälle in die Höhe geschossen. In Deutschland sind dagegen nicht einmal alle 80-Jährigen und Älteren geimpft. Stand 11.03.21 sind in Deutschland erst 45 % der 80-Jährigen und Älteren erstgeimpft worden. Den vollen Impfschutz haben gar nur 20,6 %. Wenn also das Impftempo nicht sehr schnell stark erhöht werden kann - und danach sieht es derzeit nicht aus, dann hat diese dritte Welle das Potenzial zu einer noch tödlicheren Welle als die vorangegangene. Aufschlussreich ist auch die nächste Grafik, die die Entwicklung bei der Zahl der gemeldeten Toten zeigt:

 

Die Grafik zeigt, dass in Deutschland zum Höhepunkt der ersten Welle nur 2 Tote pro 100.000 Einwohner gemeldet worden sind. Dieses Niveau wurde erst wieder Anfang Dezember erreicht, obwohl da die zweite Welle bereits hohe 7-Tage-Inzidenzen aufwies. In unseren Nachbarländern Belgien, Niederlande, Österreich, Schweiz oder Frankreich stieg die Zahl der Todesfälle dagegen schon viel früher an. Dies wurde jedoch lange nicht als ernstes Warnsignal verstanden, sondern ignoriert.

Am 16. Januar brachte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel eine Titelgeschichte zur neuen Pandemie heraus, in der die neuen Virusmutationen aus Großbritannien, Südafrika und Brasilien thematisiert wurden. Im Artikel Außer Kontrolle schilderte Jörg SCHINDLER die Lage in Großbritannien und speziell in London. Im Hauptartikel Die neue Pandemie wird der "halbherzige Shutdown" als ungeeignet beschrieben und der "strenge Lockdown" als einziges angemessenes Mittel gesehen:

Die neue Pandemie

"Im November, als es zwar einige Einschränkungen gab, aber die Schulen offen blieben und viele Menschen wie gewohnt zur Arbeit gingen, gelangte B.1.1.7 immer weiter in die Bevölkerung.
Erst jetzt, im strengeren Lockdown, deutet sich seit wenigen Tagen an, dass die Fallzahlen wieder sinken könnten - allerdings deutlich langsamer als bei den älteren Varianten."
(aus: Der Spiegel Nr.3 v. 16.01.2021, S.13)

Als Mittel werden harte Maßnahmen beschrieben, die mindestens so lange aufrechterhalten werden sollen, bis "überall die 7-Tage-Inzidenzen wieder auf 50 pro 100.000 Einwohner sinken". Dies soll den Gesundheitsämtern die Nachverfolgbarkeit ermöglichen. Fast zwei Monate später zeigt sich, dass Deutschland dieses Ziel nicht einmal im Ansatz erreicht hat. Die 50er-Marke rückt statt dessen in immer weitere Entfernung. Am 12. März liegen gemäß RKI-Zahlen 286 der 412 Kreise über der 50er Marke. 88 Kreise liegen sogar über der 100er-Marke, bei der nach dem letzten Bund-Länder-Beschluss eine Notbremse erfolgen sollte. Und 8 Kreise liegen jenseits der 200er-Marke. Und das, obwohl die dritte Welle gerade vor kurzem sichtbar geworden ist. Jeder Tag ohne konsequentes politisches Handeln ist jetzt ein verlorener Tag im Kampf gegen die dritte Welle.  

Schluss: Deutschland am Wendepunkt

Seit der 7. Kalenderwoche, die am 15. Februar begann, war in den ersten Bundesländern in den RKI-Zahlen ein Anstieg der Neuinfektionen pro Woche sichtbar. Die 7-Tage-Inzidenzen, die das RKI veröffentlicht, sind durch Meldeverzug und verspätete Nachmeldungen - wie in den ersten beiden Bilanzen auf dieser Website gezeigt -  zu niedrig und zeitlich versetzt gegenüber dem tatsächlichen Geschehen in den Kreisgesundheitsämtern. Dennoch lassen sich daraus Trends ablesen. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklungen in 12 der 16 Bundesländer seit Anfang Dezember:

 

Während Sachsen seit Anfang Dezember den stärksten Rückgang der 7-Tage-Inzidenzen verzeichnen konnte, kam Thüringen Mitte Februar nur kurz unter die 100er-Marke. Die anderen Bundesländer liegen dagegen seit Mitte Februar in einem engen Korridor der 7-Tage-Inzidenzen. Nur 3 der 12 Bundesländer kamen in diesem Zeitraum überhaupt unter die 50er-Marke: Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Betrachtet man den Zeitraum ab 1. Februar, dann treten die neuen Trends in Deutschland deutlich hervor. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung für die 16 Bundesländer:

 

Es gibt Stand 12. März nur zwei Bundesländer, deren landesweite Inzidenz unter der 50er-Marke liegen: Schleswig-Holstein und das Saarland. Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, die kurz vor der Landtagswahl stehen, haben zwar lange Zeit die 50er-Marke unterschreiten können, aber insbesondere Baden-Württembergs 7-Tage-Inzidenzen nähern sich mittlerweile der 70er-Marke. Rheinland-Pfalz bewegt sich dagegen noch nahe der 50er-Marke.

Einzig das kleine Saarland scheint sich dem Trend nach oben entziehen zu können, aber das könnte sich als Trugschluss erweisen. Betrachtet man nämlich die Inzidenzen, die das saarländische Landesgesundheitsamt täglich veröffentlicht, dann bewegen sich diese um die 60er-Marke. In Zeiten dynamisch sich verändernder Zahlen gibt es immer noch das Problem, dass die Zahlen des RKI dem tatsächlichen Geschehen zu weit hinterher hinken.

In vielen Bundesländern hat sich die aggressivere britische Mutante bereits erfolgreich in ganzen Kreisen bzw. Regierungsbezirken festgesetzt. Die Oberpfalz in Bayern ist z.B. ein solches Gebiet. Wenn jetzt Sachsen für das Vogtland, das seit 22. Februar die 200er-Marke überschritten hat, die Impfpriorisierung aussetzt, dann zeugt dies auch von der Ohnmacht einer Regierung, deren Bundesland wieder außer Kontrolle zu geraten droht. Man darf nicht vergessen, dass sich diese Entwicklung des Anstiegs noch vor den am 3. März beschlossenen Öffnungsschritten vollzieht. Die Öffnung der Geschäfte wurde großflächig erst ab dem 8. März vollzogen, aber bereits die ersten Lockerungen mit Friseurbesuchen und der Öffnung von Blumenläden und Gartenmärkten sowie die frühlingshaften Temperaturen haben der britischen Mutante offenbar viele neue Gelegenheiten eröffnet. Das Virus aber nutzt jede sich bietende Gelegenheit gnadenlos aus.

Die nächsten Wochen und Monate, in denen ein großer Impffortschritt besonders dringend notwendig wäre, entscheiden darüber, ob es eine noch tödlichere dritte Welle in Deutschland geben wird. Innerhalb kürzester Zeit könnten wir die wochenlangen Bemühungen um niedrige Inzidenzen wieder zunichte machen. Deutschland hat es im Herbst versäumt frühzeitig zu reagieren. Haben wir wirklich nichts aus dieser Zeit gelernt?            

 
     
 
       
   

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webmaster@single-generation.de Erstellt: 12. März 2021
Update: 13. März 2021