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Winterthema

 
       
   

Die zweite Welle der Coronavirus-Pandemie - Eine Zwischenbilanz vor den kommenden Wintermonaten

 
       
   

Welche Folgen die Überlastung des Robert-Koch-Instituts und der Gesundheitsämter für die Wahrnehmung der Coronavirus-Pandemie in der Öffentlichkeit hat 

 
       
     
       
   
     
 

Einführung

Schon in der ersten Zwischenbilanz vom Ende August wurde auf dieser Website auf die Unzulänglichkeiten der Situationsberichte des Robert-Koch-Instituts (RKI) und die Folgen mangelhafter Kontaktnachverfolgungen in den Gesundheitsämtern hingewiesen. Inzwischen ist für aufmerksame Beobachter klar, dass diese Problematik nun ernsthafte Folgen für die Eindämmung der Pandemie in Deutschland und die Bewältigung des Krankheitsaufkommens in den Kliniken zeitigt. Selbst die pessimistischen Prognosen des Sommers zur Entwicklung der Todesfälle in Deutschland sind inzwischen übertroffen worden. So prognostizierte z.B. das Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) an der Universität in Washington Anfang August noch rund 13.600 Verstorbene bis Ende des Jahres (mehr hier). Am 29. November meldete das RKI jedoch bereits 16.123 Tote!

Wurde im August noch darüber gestritten, ob es in Deutschland überhaupt zur zweiten Welle kommen wird, so dürfte mittlerweile - abgesehen von den Corona-Leugnern - unstrittig sein, dass wir uns mitten in der zweiten Welle befinden. Selbst als mehr und mehr europäische Länder von einer zweiten Welle betroffen waren, galt nicht wenigen Deutschland als Ausnahmeland. Als die Bundeskanzlerin Ende September vor über 19.000 Neuinfektionen pro Tag warnte, war die Empörung in weiten Teilen der Medien groß, weil sich offenbar viele nicht vorstellen konnten, dass dies eintreffen könnte.

Merkel warnt vor mehr als 19.000 möglichen Corona-Infektionen täglich

"Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat vor einem starken Anstieg der Corona-Neuinfektionen in Deutschland gewarnt. Zu Weihnachten könne die tägliche Zahl der Infektionen bei 19.200 liegen, »wenn es so weitergeht« wie derzeit, sagte Merkel nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP aus Parteikreisen in einer Schaltkonferenz des CDU-Präsidiums. Zuvor hatte bereits die Bild über diese Äußerung Merkels berichtet. Die Entwicklung bereite ihr große Sorge, die Ausbreitung des Virus müsse rasch eingedämmt werden. "
(Zeit Online v. 28.09.2020)

Vielen war der Herbsturlaub wichtiger als eine drohende zweite Welle. Die Reisebranche und ihre Handlanger in den Medien verharmlosten die Gefahren oder belächelten sogar die Warnung der Bundeskanzlerin. In Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Hamburg wurden die Herbstferien mit dem Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober eingeläutet. Erster Schultag war dann in Mecklenburg-Vorpommern der 12. Oktober und in Hessen, Schleswig-Holstein und Hamburg der 19. Oktober. Im letzten Bundesland Bayern ging der Schulbetrieb erst wieder am 9. November los. Wie der Herbsturlaub der zweiten Welle den richtigen Schub verlieh, das soll im nächsten Kapitel gezeigt werden.

Masken werden im Oktober hip im Heidelberger Szenestadtteil...

Fotos: Bernd Kittlaus Ende September bis Ende Oktober 2020

 
 

Die zweite Welle nimmt Fahrt auf

In der nachfolgenden Tabelle sind die Herbstferienzeiten der einzelnen Bundesländer ersichtlich. Die 7-Tage-Inzidenzwerte der Bundesländer sind den Zahlen des RKI entnommen:

Bundesland

Herbstferien

7-Tage-Inzidenz
50 und mehr
7-Tage-Inzidenz
100 und mehr
7-Tage-Inzidenz
150 und mehr
Höchstwert
Mecklenburg-Vorpommern 05.10. - 10.10. 09.11.2020

Hamburg

05.10. - 16.10.

23.10.2020 01.11.2020

Hessen

05.10. - 17.10.

17.10.2020 25.10.2020 31.10.2020

Schleswig-Holstein

05.10. - 17.10.

31.10.2020

Niedersachsen

12.10. - 23.10.

26.10.2020 14.11.2020

Rheinland-Pfalz

12.10. - 23.10.

23.10.2020 03.11.2020 17.11.2020* 144,6

Saarland

12.10. - 23.10.

17.10.2020 29.10.2020 12.11.2020

Berlin

12.10. - 24.10.

09.10.2020 22.10.2020 31.10.2020

Brandenburg

12.10. - 24.10.

01.11.2020

Bremen

12.10. - 24.10.

09.10.2020 24.10.2020 29.10.2020
Nordrhein-Westfalen 12.10. - 24.10. 17.10.2020 26.10.2020 02.11.2020

Thüringen

17.10. - 30.10.

28.10.2020 19.11.2020

Sachsen-Anhalt

19.10. - 24.10.

31.10.2020

Sachsen

19.10. - 31.10.

23.10.2020 02.11.2020 09.11.2020

Baden-Württemberg

26.10. - 31.10.

22.10.2020 31.10.2020

Bayern

31.10. - 06.11.

20.10.2020 28.10.2020 06.11.2020

Das Urlaubsgeschehen erstreckt sich vom 3. Oktober bis zum 9. November. In dieser Zeit kann sich das Virus in Deutschland besonders gut ausbreiten. Auch wenn die betroffenen Branchen immer wieder betonen, dass der Fernverkehr oder die Hotels keine "Treiber des Infektionsgeschehens" seien, sind sie zentrales Medium des Ausbreitungsgeschehens. Auch wenn in einzelnen Bundesländern wie z.B. Berlin und Bayern das Infektionsgeschehen bereits ein höheres Niveau erreicht hat, so fällt der beschleunigte Anstieg der Neuinfektionen zeitlich nach den Beginn bzw. das Ende der Herbstferien.

Wenn hier auf die Zahlen des Robert-Koch-Instituts zurückgegriffen wurde, dann führt uns das gleich zur zweiten Problematik, denn die Zahlen des RKI unterschätzen das Infektionsgeschehen in Deutschland und das umso mehr, desto rasanter die zweite Welle Fahrt aufnimmt. Die täglichen Meldungen des RKI ermöglichen keinen realistischen Blick auf das bundesweite Infektionsgeschehen, sondern sind Teil der verzerrten Wahrnehmung der Öffentlichkeit vom Infektionsgeschehen. Das soll nun genauer erörtert werden.

Wie uns die Zahlen des Robert-Koch-Instituts und ihre Interpretation in der Medienberichterstattung ein falsches Bild vom Pandemiegeschehen vermitteln

In Wirklichkeit ist die 7-Tage-Inzidenz in Deutschland weit höher als es die Zahlen des RKI darstellen. Viele der 412 Kreise bleiben durch die lange Meldungskette von den Laboren über die Kreisgesundheitsämter und die Landesgesundheitsämter sowie durch die vorsintflutliche Infrastruktur auf der Strecke, wenn es um das Niveau des Infektionsgeschehens geht. Die Nachrichtensender versprechen zwar eine "Analyse" der RKI-Daten, nicht selten aber bleibt es nur bei Fake-News. Datenpannen werden nicht als solche angesprochen, sondern werden gar als Indikator für die Vielfalt des Infektionsgeschehens gedeutet. So erschien z.B. am 25. November der brandenburgische Landkreis Potsdam-Mittelmark als singulärer grüner Fleck (0 Fälle innerhalb von 7 Tagen!) auf der Landkarte des RKI.

Eine Berichterstatterin auf ntv deutete dies als Beleg für die Spannbreite des Infektionsgeschehen in Deutschland und die Notwendigkeit unterschiedlicher Eindämmungsmaßnahmen. In Wahrheit zeigt dies vielmehr die Misere der RKI-Daten, die vielfach ein falsches Bild zeichnen. Anhand einiger Beispiele soll deshalb dieses Problem aufgezeigt werden.

In Hamburg agiert Peter TSCHENTSCHER als Erster Bürgermeister der Hansestadt. Als Mediziner ist er gern gesehener Gast in Talkrunden, der weniger als Politiker denn als Experte für das Virus gilt. Die Hansestadt steht beim RKI stets relativ gut da. Ein Vergleich mit den Werten des Landesgesundheitsamtes zeigt jedoch gravierende Differenzen. Das folgende Schaubild zeigt, die Inzidenzentwicklung anhand der Zahlen des Landesgesundheitsamtes und des RKI:

 

Das Landesgesundheitsamt (LGA) rechnet zwar mit einer höheren Einwohnerzahl als das RKI, was jedoch kaum Auswirkungen auf die Inzidenzentwicklung hat. Legt man gleiche Zahlen an, dann würde sich die Differenz sogar noch leicht erhöhen. Gemäß LGA hat Hamburg die 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner bereits am 19. Oktober überschritten, beim RKI geschieht dies erst vier Tage später am 23. Oktober. Während beim RKI Hamburg nie mehr als 127,1 Neuinfektionen pro 100.00 Einwohner erreicht, sind es nach Berechnungen des LGA jedoch 167,86. In Fallzahlen bedeutet dies, dass beim RKI bis zu 1.129 Fälle unberücksichtigt bleiben, was bei 3.118 Fällen mehr als ein Drittel der 7-Tage-Inzidenz bedeutet. Und dies bei einer Stadt mit fast 1,9 Millionen Einwohnern.

Auffällig ist, dass bei den vom LGA Hamburg ans RKI gemeldeten Neuinfektionen in den letzten Wochen durchschnittlich nur rund 70 Prozent in die 7-Tage-Inzidenzberechnung des RKI eingefloßen sind. Warum dies so ist, das lässt sich den veröffentlichten Daten nicht entnehmen. Es handelt sich dabei um so genannte Nachmeldungen, die z.B. länger als 7 Tage zurückliegen. Hamburg liegt bei diesen Nachmeldungen bundesweit meist an der Spitze. Das aber heißt keinesfalls, dass es in den anderen Bundesländern besser aussieht.

Wann ist ein Risikogebiet ein Risikogebiet?

Im Laufe der Pandemie hat sich der Sinn des Grenzwertes von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner gewandelt. Ursprünglich war er dazu gedacht die Nachverfolgung von Kontakten in den Gesundheitsämtern zu sichern, was wiederum dem Schutz der Krankenhäuser vor Überlastung dienen sollte. Lag hier also der Fokus auf der Arbeit der Kreisgesundheitsämter, so verschob sich der Fokus im Sommer auf das RKI und im Herbst auf die Landesgesundheitsämter. Wie ist das zu erklären?

1. Das Kreisgesundheitsamt ist das Maß aller Dinge in Sachen Risikogebiet

Noch am 27. August erklärt uns das Kreisgesundheitsamt Wiesbaden auf seiner Website als Hinweis zur eigenen täglichen 7-Tage-Inzidenzberechnung:

Hinweis zur Fallzahlberechnung

"Das Land Hessen rechnet ausschließlich auf der Grundlage der eingehenden positiven Laborbefunde gemeldeten Fallzahlen. Aufgabe der Gesundheitsämter ist es differenziert im Rahmen der Ermittlung der Infektionsketten das Auftreten von Symptomen und damit den möglichen Beginn der Erkrankung festzulegen.
Erste Symptome treten häufig bereits einige Tage vor Testung auf, sodass die Berechnungsgrundlage der Neuinfektionen nicht auf den gleichen Zeitpunkt fällt, wie die Labormeldung. So kann es geschehen, dass eine Neuinfektion in der Wiesbadener Statistik des Gesundheitsamtes nicht mehr in den sieben Tagen auftaucht, beim Land Hessen aufgrund des gemeldeten Laborbefundes jedoch erscheint. Für die Eingrenzung der Infektionsgeschehen und damit den Schutz der Bevölkerung ist die Arbeit der Gesundheitsämter vor Ort maßgebend. Die Statistik des Landes, die ausschließlich die Labormeldung berücksichtigt, ist dafür nicht entscheidend."
(27.08.2020)

Wiesbaden rechnet zu diesem Zeitpunkt mit einer internen Obergrenze von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern und nicht mit der 50er-Grenze. Während das RKI noch mit einer Einwohnerzahl von 278.342 rechnet (Stand 31.12.2018), setzt Wiesbaden zu diesem Zeitpunkt 291.109 (30.06.2020) an. Es zeigt sich also, dass es bereits zwischen Kreisgesundheitsämtern und Landesgesundheitsämtern eklatante Unterschiede bei der Berechnung der 7-Tage-Inzidenz gibt.

Auf dem Höhepunkt der zweiten Welle in Hessen zeigt sich zudem, dass das hessische Landesgesundheitsamt derart überlastet ist, dass das Inzidenzniveau zwischen KGA und LGA weit auseinanderklafft. Das nachfolgende Schaubild zeigt diese Problematik:   

 

Zwischen LGA und RKI (gelbbraune Linie) gibt es im Monat November kaum Unterschiede. Beide Ämter melden 0:00 Uhr-Werte. Größere Abweichungen gibt es nur an zwei Tagen (02.11. und 10.11.2020). Zu den gravierenden Unterschieden zwischen KGA auf der einen Seite und LGA/RKI auf der anderen Seite merkt das Kreisgesundheitsamt auf seiner Website an:

Erklärung der Differenz 7-Tage-Inzidenz HLPUG/RKI zu unseren Zahlen

"Aufgrund personeller & technischer Engpässe kam es zu einem deutlichen Verzug der Weitergabe der Meldungen über SurvNet ans HLPUG/RKI. Aktuell fehlen dem HLPUG/RKI circa 400 Meldungen, sodass die dortige 7-Tage-Inzidenz logischerweise einen niedrigeren Wert aufweist als unsere Statistik. Durch die Optimierung interner Arbeitsabläufe ist es gelungen, mehr Personal zur Datenein/- und Weitergabe abzustellen. Wir gehen davon aus, dass sich die aktuelle Differenz in den nächsten Tage angleichen werden. Die Meldungen des Gesundheitsamtes geben das aktuelle Infektionsgeschehen in Wiesbaden wieder."
(19.11.2020)

Dieser Hinweis wurde jeden Tag ab dem 19.11. bei den täglichen Fallzahlmeldungen wiederholt. Erst am 4. Dezember war dieses Problem gelöst und der Hinweis wurde entfernt. Trotz dieser massiven Probleme in der Meldekette zum RKI verlieren die Inzidenzberechnungen der Kreisgesundheitsämter im Laufe der Pandemie immer mehr an Relevanz und medialer Aufmerksamkeit, wie nun gezeigt werden soll.   

2. Die Definitionsmacht des RKI in Sachen Risikogebiet

Mit den innerdeutschen Einreiseverboten wurde das RKI zum Maßstab der Grenzwertdefinition. Beispielhaft hat das Mecklenburg-Vorpommern vorexerziert. Bis zum 25. Oktober erstellte das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGUS) täglich einen Lagebericht, der hier im Archiv für die Berichte zu Gebieten mit erhöhter COVID-19-Aktivität in Deutschland abrufbar ist. Der letzte Bericht listete alle Gebiete mit mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner auf 6 Seiten ab. An diesem Tag gab es gemäß Situationsbericht des RKI bereits 251 solcher Gebiete. Das waren mehr als die Hälfte der deutschen Landkreise!

Mittlerweile verweist das LAGUS nur noch auf das Dashboard des RKI und erklärt: "Das täglich aktualisierte Dashboard des Robert Koch-Institutes (RKI) bildet unter anderem die COVID-19-Fälle der letzten 7 Tage pro 100.000 Einwohner (7-Tages-Inzidenz) aller Landkreise und kreisfreien Städte der Bundesrepublik Deutschland ab. Die hier rot markierten Gebiete gelten als besonders betroffene Gebiete im Sinne der Corona-Landesverordnung." Aus dieser Sicht ist also ein Risikogebiet jener Kreis, der beim RKI als solches aufgeführt ist. Egal ob Kreis- oder Landesgesundheitsämter niedrigere oder höhere 7-Tage-Inzidenzen ausweisen. Das führt zu absurden Situationen, wenn ein Kreisgesundheitsamt eigene Inzidenzen ausweist, die vom RKI-Richtwert abweichen. So konnten  Reisende in den Herbstferien ungehindert verreisen, obwohl ihr Landkreis hohe Neuinfektionen aufwies, nur weil diese nicht beim RKI ankamen!

Das gilt z.B. für die brandenburgische Großstadt Cottbus, das erste Risikogebiet in Brandenburg, wenn es nach dem Inzidenzwert des Kreisgesundheitsamts bzw. dem Landesgesundheitsamt gegangen wäre. Gemäß diesen Ämtern überschritt Cottbus mitten in den dortigen Herbstferien am 15. Oktober den Grenzwert. Das RKI wies Cottbus jedoch erst ab dem 21. Oktober als Risikogebiet aus. Die 7-Tage-Inzidenzentwicklung gemäß den Ämtern ist aus dem nachfolgenden Schaubild ersichtlich:

 

Für Cottbuser galt das in Mecklenburg-Vorpommern gültige Einreiseverbot erst ab dem 21. Oktober. Wer dienstags am 20. Oktober nach Mecklenburg-Vorpommern reisen wollte, der durfte dies noch ungehindert tun. Einen Tag später oder am folgenden Wochenende wäre das jedoch nur noch mit einer Ausnahmegenehmigung möglich gewesen.

Das Beispiel Cottbus zeigt, dass auf dem Meldeweg zum RKI viel an Inzidenzniveau verloren geht. Das LGA (rosa Linie) ist noch nah am Inzidenzniveau des Kreisgesundheitsamtes. Idealerweise sollte das Inzidenzgeschehen im Kreisgesundheitsamt maximal um zwei Tage versetzt beim RKI ankommen. In vielen Fällen ist das jedoch anders. Bei Cottbus zeigt sich, dass es gravierende Abweichungen zwischen der Inzidenzentwicklung im Kreisgesundheitsamt (hellblaue Fläche) und den Inzidenzwerten gibt, die vom RKI gemeldet wurden (gelbbraune Fläche). Wenn also der RKI-Inzidenzwert zur Richtschnur für Maßnahmen wie beim Einreise- bzw. Beherbergungsverbot gemacht wird, dann kann dies zu ungerechtfertigten Willkürmaßnahmen führen. Bei den im Herbst beschlossenen Eindämmungsmaßnahmen ergeben sich dann neue Konfliktlinien, denn hierbei wurde den Landesgesundheitsämtern sozusagen das Definitionsmonopol zugeschrieben.

3. Die Definitionsmacht der Landesgesundheitsämter in Sachen Risikogebiet

Im Laufe der letzten Monate reduzierte sich die Zahl der Kreisgesundheitsämter rapide, die eigene 7-Tage-Inzidenzen auswiesen. Von Bundesland zu Bundesland variierte dies schon im Sommer, aber der Herbst brachte hier noch einmal mehr Vereinheitlichung - zumindest vorläufig wie es scheint (Dazu später mehr). Niedersachsen steht beispielhaft für diese Entwicklung. Am 5. November stellt z.B. der Landkreis Delmenhorst - eines der ersten Risikogebiete in Niedersachsen - seine Veröffentlichung der eigenen Inzidenzwerte mit folgender Begründung ein:

Stadt kommuniziert nur noch Corona-Zahlen des Landes

"Ab sofort kommuniziert die Stadt Delmenhorst nur noch die vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung veröffentlichten Covid-19-Fälle samt Inzidenzwert.
Bis heute (5. November) hat die Stadt Delmenhorst seit Ausbruch der Corona-Pandemie Mitte März transparent und tagesaktuell die Zahlen der Coronavirus-Infektionen in Delmenhorst veröffentlicht. Die unmittelbare Quelle dafür war das Gesundheitsamt der Stadt Delmenhorst als offizielle Stelle.
Die künftig von der Stadt ausschließlich kommunizierten Zahlen des Ministeriums sind erstmals mit der Corona-Verordnung des Landes vom 23. Oktober zum alleinigen Richtwert für eventuelle Verordnungen oder Verfügungen erklärt worden.
»Bislang hat die Stadtverwaltung die aktuellen Infektions-Zahlen aus dem Gesundheitsamt sowie den sich daraus ergebenen Inzidenzwert und darüber hinaus weitere Zahlen, etwa akut Erkrankte und Menschen in Quarantäne, veröffentlicht, um näher am tagesaktuellen Geschehen zu sein«, sagt Pressesprecher Timo Frers. »Dies wird jetzt geändert und auf die vom Land zur Verfügung gestellten Zahlen reduziert.« Gleichzeitig wird die Stadtverwaltung den selbst berechneten Wert für die Beurteilung der Lage intern weiter nutzen, aber nicht mehr öffentlich kommunizieren."
(Pressemitteilung, 05.11.2020)

Während das Gesundheitsamt der kreisfreien Stadt Delmenhorst zumindest öffentlich macht, dass es intern mit eigenen Inzidenzwerten die Lagebeurteilung betreibt, verweisen andere Gesundheitsämter lediglich auf die Landesverordnung als Ursache der Nichtveröffentlichung eigener Zahlen. Das Gesundheitsamt des stark betroffenen Landkreises Vechta sah am 11. Oktober noch die eigene 7-Tage-Inzidenzberechnung als maßgebend an und nicht etwa diejenige des LGA:

Sechs neue Corona-Infektionen im Landkreis Vechta / Inzidenz bei 49,55

"Die Inzidenzzahl für den Landkreis Vechta liegt derzeit bei 49,55. Das Niedersächsische Landesgesundheitsamt (NLGA) weist auf seiner Homepage hingegen einen Wert von 50,4 aus. Laut Kreisverwaltung ist dieser Unterschied wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass das NLGA noch einen Fall in der 7-Tage-Inzidenz führt, der aus der Statistik des Gesundheitsamtes bereits wieder herausgefallen ist. Ausschlaggegend für das öffentliche Leben im Landkreis Vechta ist die Inzidenzzahl der Kreisverwaltung, die tagesaktuell auf www.landkreis-vechta.de veröffentlicht wird. Außerdem sind Urlauber aus dem Landkreis Vechta innerhalb Niedersachsens nach wie vor nicht vom Beherbergungsverbot betroffen. Das kann sich jedoch kurzfristig wieder ändern. Nach Berechnungen des Gesundheitsamtes wird die Inzidenzzahl für den Landkreis Vechta am morgigen Montag wieder die 50er-Grenze überschreiten."
(Pressemitteilung, 11.10.2020)

Einen Tag später wird dann mit dem Verweis auf ein "lokal eingrenzbares Geschehen" ein Beherbergungsverbot des Landes als nicht notwendig erachtet:

Eine Corona-Neuinfektion im Landkreis Vechta

"Die Inzidenzzahl für den Landkreis Vechta liegt derzeit bei 54,43. Aufgrund des lokal begrenzbaren Corona-Geschehens ist der Landkreis Vechta weiterhin nicht von dem Beherbergungsverbot des Landes Niedersachsen betroffen."
(Pressemitteilung, 12.10.2020)

In Niedersachsen war am 9. Oktober ein Beherbergungsverbot in Kraft getreten, das jedoch nicht bei einem lokal eingrenzbaren Geschehen angewandt werden musste. Die von Beherbungsverboten betroffenen Kreise konnten auf der Homepage des Landes eingesehen werden. Bei dem lokal eingrenzbaren Geschehen in Vechta handelte es sich um mehrere Ausbrüche in Pflegeheimen.

Bis zum 26.10.2020 veröffentlichte der Landkreis Cloppenburg eigene 7-Tage-Werte. Seit dem 27.10. wird dagegen nur noch auf die LGA-Werte verwiesen. Ersichtlich wird diese Umstellung nur an einem einzigen Satz in einer Pressemitteilung:

Erneuter Todesfall und Anpassung der Allgemeinverfügung

"Die Allgemeinverfügung des Landkreises richtet sich nach dem Inzidenzwert, den das Niedersächsische Landesgesundheitsamtes (NLGA) ermittelt. Für den heutigen Tag liegt er bei 193,3."
(Pressemitteilung, 27.10.2020)

Diese Praxis ist so lange unproblematisch wie dies nicht zu großen Unterschieden führt, die möglicherweise sogar Grenzwerte berühren, die zu Eindämmungsmaßnahmen führen müssen. Ab 5. Dezember wird auf der Landeshomepage darauf hingewiesen, dass es große Unterschiede bei den 7-Tage-Inzidenzen im Landkreis Vechta gibt. Hier zeigt sich dann, dass die Landkreise intern doch mit eigenen Zahlen arbeiten, die dann in solchen Fällen publik gemacht werden. So vermeldet Vechta am 4. Dezember:

87-jähriger Mann verstirbt an Corona-Infektion / 35 neue Fälle im Landkreis Vechta

"Laut Homepage des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes (NLGA) liegt der Inzidenzwert für den Landkreis Vechta heute bei 137,2. Allerdings sind noch nicht alle neuen Fallmeldungen in dieser Zahl berücksichtigt. Der Landkreis und das NLGA vermuten einen Fehler in der Datenübertragung und prüfen gemeinsam die Ursache. Der Inzidenzwert beträgt nach der Landkreis-Statistik heute 170,8."
(Pressemitteilung, 27.10.2020)

Einen Tag später meldet Vechta 173,6 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen, während der LGA-Wert bei 79,1 liegt.    

Der stark betroffene Landkreis Cloppenburg veröffentlichte bis zum Überschreiten der 50er Grenze beim RKI am 09.10.2020 gar keine 7-Tage-Inzidenzen auf seiner Homepage. Die Veröffentlichung war auch nur möglichen innerdeutschen Einreiseverboten geschuldet, wie aus einer Pressemitteilung hervorgeht:

Derzeit 323 aktuelle Coronafälle – Inzidenzwerte steigen weit über 50

"Das Robert-Koch-Institut hat in der Nacht zu Freitag einen 7-Tages-Inzidenzwert für den Landkreis Cloppenburg von 72,1 je 100.000 Einwohner errechnet. Das Niedersächsische Landesgesundheitsamt sogar einen Wert von 86,1. Damit gelten für reisende Bürgerinnen und Bürger des Landkreises Cloppenburg vielerorts Übernachtungsverbote, die Pflicht zur Quarantäne oder ähnliche Maßnahmen. Zum Teil gibt es in jedem Bundesland andere Regelungen, die von den einzelnen Landkreisen noch einmal verschärft werden können.
Da der Landkreis nicht alle bundesweiten und internationalen Regelungen kennen kann, werden alle Reisenden aus dem Landkreis Cloppenburg gebeten, sich wenn möglich vor Reisebeginn am Zielort nach den vor Ort geltenden Regelungen zu erkunden. Ansonsten ist es möglich, dass nach Anreise eine Übernachtung verwehrt wird und die Anfahrt umsonst war. Weitere Informationen findet man auf den Internetseiten der jeweiligen Bundesländer oder Landkreise. Sofern eine Einreise am Zielort mit einem aktuellen negativen Coronatest möglich ist, muss der Hausarzt für eine Testung kontaktiert werden. Das Gesundheitsamt des Landkreises Cloppenburg und das von ihm betriebene Testzentrum sind dazu die falschen Ansprechpartner."
(Pressemitteilung, 09.10.2020)

Zu dieser Zeit veröffentlicht das KGA Cloppenburg meist sowohl die RKI- als auch die LGA-Werte. Inzwischen werden die RKI-Werte nur sehr sporadisch veröffentlicht. Meist ist das nur bei größeren Differenzen der Fall. Selten wird die Ursache dieser Unterschiede benannt, so z.B. am 23.10.:

Kontaktbeschränkungen verschärft / 126 Neuinfektionen am Freitag

"Das Niedersächsische Landesgesundheitsamt hat um 9 Uhr eine 7-Tagesinzidenz pro 100.000 Einwohner von 187,5 für den Landkreis Cloppenburg errechnet, das Robert Koch-Institut kam um 0 Uhr auf 77,3. Die hohe Differenz zwischen den beiden Werten resultiert aus einem Update des EDV-Programms des Kreisgesundheitsamtes. Dieses Update hat die Datenübertragung zum Landesgesundheitsamt unterbrochen, ohne dass die Kreisverwaltung zunächst davon Kenntnis hatte. Es sind durch das Update keine Datensätze verloren gegangen."
(Pressemitteilung, 23.10.2020)

Der weiter oben geschilderte Fall Cottbus wurde zu einem der Auslöser, der in Brandenburg dazu führte, dass sich das Landesgesundheitsamt zur maßgebenden Instanz in Sachen 7-Tage-Inzidenz und Risikogebiet erklärte. RBB 24 schreibt dazu in einem Artikel:

Verwirrung um Statistik

"Verwirrung herrscht im Moment in Cottbus, dem ersten Corona-Hotspot Brandenburgs. Laut den Zahlen des RKI vom Freitag wurde dort die Obergrenze für Neuinfektionen noch nicht überschritten. Der Richtwert ist hier die 7-Tage-Inzidenz, also die Neuerkrankungsrate in den zurückliegenden sieben Wochentagen.
Das Robert-Koch-Institut [experience.arcgis.com] gab diesen Wert für Cottbus am Freitag mit 36,1 Fällen pro 100.000 Einwohnern an, was unter dem Richtwert von 50 Fällen der als Hotspots definierten Gebiete liegt. Das Brandenburger Gesundheitsministerium verwendet allerdings aktuellere Zahlen und nutzt dafür als Quelle nicht das RKI. Ministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) erklärt hier, es gelten die Zahlen des Landesamts für Gesundheit. Demnach hat Cottbus am Freitag eine 7-Tage-Inzidenz von 70,2 pro 100.000 Einwohner. Die Stadt Cottbus meldet mittlerweile sogar 75. Nonnemacher sagte, das Robert Koch-Institut nutze andere Datenbanken und hinke mit den Zahlen üblicherweise etwas hinterher."
(RBB 24, 16.10.2020)

Tatsächlich klafft in Brandenburg eine besonders große Lücke zwischen den Zahlen des LGA und des RKI wie die nachfolgende Grafik zeigt:

 

Während Brandenburg die 50er-Marke beim RKI erst am 01.11. überschreitet, geschieht dies nach den LGA-Daten bereits am 27. Oktober , d.h. 3 Tage nach Ende der Herbstferien. Bei der 100er-Marke sind die Unterschiede noch krasser. Beim LGA wird die erste Überschreitung bereits am 09.11. gemeldet, beim RKI dagegen fast einen Monat später am 4. Dezember. Dies führt dazu, dass auf der Kreisebene zeitweise bis zu einem Drittel weniger Risikogebiete beim RKI ausgewiesen wurden.

Der brandenburgische Landkreis Dahme-Spreewald überschritt z.B. nach Angaben des LGA den 7-Tage-Wert von 50 bereits am 27.10. während dies beim RKI erst am 14.11. geschah. Drei Tage lang wurde der Landkreis gar deutschlandweit als einziger Landkreis mit 0 Fällen innerhalb von 7 Tagen ausgewiesen, obwohl er gemäß LGA bei rund 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner lag. Am 06.12. war Dahme-Spreewald an 41 Tagen beim LGA als Risikogebiet gelistet. Im selben Zeitraum waren es beim RKI gerade einmal 17 Tage. Dies sind leider keine seltenen Ausnahmen, denn sonst dürften die 7-Tage-Inzidenzen nicht in vielen Bundesländern regelmäßig weit weg von den KGA- und LGA-Werten liegen. Mit einem reinen Meldeverzug ist das genauso wenig zu erklären wie mit Problemen nach Software-Updates. Denn wie lässt sich erklären, dass regelmäßig die Fälle ganz bestimmter Gesundheitsämter sozusagen verloren gehen?

Seit dem 20. Oktober lagen gemäß dem saarländischen LGA alle sechs saarländischen Landkreise dauerhaft über der 50er 7-Tage-Grenze. Beim RKI geschah dies erstmals am 23. Oktober. In der Zwischenzeit fiel beim RKI zuerst der Landkreis Merzig-Wadern und neuerdings der Landkreis Neunkirchen immer wieder einmal unter diese Schwelle. Dies war nicht etwa der Fall, weil der Landkreis nur knapp über der Grenze lag. Merzig-Wadern lag z.B. am 9. November bei 201 (RKI 34,1). Neunkirchen lag einen Tag später bei 173,5 (RKI 47,9). Ganze 4 Tage in Folge (27.11. - 30.11.) lag Neunkirchen beim RKI unter 50, während er beim LGA bei 100 und mehr lag. Und auch um das zweite Dezemberwochenende wiederholt sich dieses Phänomen. Weder die Homepage des Landes, noch die des Landkreises geht auf diesen Sachverhalt ein. Vertrauenserweckend ist das nicht gerade! Das folgende Schaubild zeigt die krassen Abweichungen bei den Inzidenzwerten zwischen KGA/LGA einerseits und RKI (gelbbraune Linie) auf der anderen Seite:

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in der Pandemiebekämpfung die Ergreifung von Eindämmungsmaßnahmen, die durch das Erreichen von bestimmten 7-Tages-Inzidenzwerten gekennzeichnet sind,  grundsätzlich immer auch durch die Auslegungspraktiken einzelner Ämter und Ebenen (KGA, LGA oder RKI) geprägt sind. Ob ein Kreis bestimmte Maßnahmen ergreift oder auch nicht, ist nicht allein eine Frage der Überschreitung genau bestimmter Werte (35, 50 oder neuerdings auch 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen ), sondern es gibt in Deutschland ganz unterschiedlich geprägte politische Kulturen, die einen enormen Ermessensspielraum beinhalten. Sachsen steht z.B. für eine zentralistische Ausgestaltung mit allen ihren Problemen, wie nun gezeigt werden soll.

Der ostdeutsche Musterknabe Sachsen könnte in der Pandemie das Schicksal der italienischen Lombardei erleiden

Der sächsische Ministerpräsident Michael KRETSCHMER hat das schwere Erbe von "König" BIEDENKOPF angetreten. Zentralismus statt Verankerung in den Regionen prägt dieses Erbe. In kaum einem anderen Bundesland fand die Alternative für Deutschland (AfD) einen besseren Nährboden als in Sachsen. Sie konnte das Machtvakuum in den Landkreisen nutzen, die die lange Alleinherrschaft der CDU hervorgebracht hat. Lokale Eliten in den sich vernachlässigt fühlenden Regionen fanden in der AfD eine neue Heimat (mehr hier). Die Liste der Wahlkreise, in denen die AfD bei der sächsischen Landtagswahl im September 2019 das Direktmandat gewann, liest sich wie die Liste der Corona-Hotspots Anfang Dezember. Sachsen führt im ersten Dezemberdrittel die Hotspotliste unangefochten an. Die RKI-Zahlen sehen Sachsen bei einem Durchschnitt von über 300 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen. Das ist mehr als das Doppelte des Durchschnitts von Deutschland wie das nachfolgende Schaubild zeigt:

 

Sachsen lag noch bis zum 8. November unter dem deutschen Durchschnitt, um dann im Gegensatz zum deutschen Trend weiter im expotentiellen Wachstum zu verharren. Während der so genannte Teil-Lockdown, der am 2. November in Kraft trat, im restlichen Deutschland scheinbar die Welle brechen konnte, zeigte er in Sachsen so gut wie keinerlei Wirkung.

Vielleicht erinnert sich noch jemand daran, dass noch im Oktober immer wieder die Frage durch die deutschen Medien geisterte, warum Ostdeutschland von der Corona-Pandemie weitgehend verschont geblieben ist. Im Mai erklärte uns die Apotheken-Umschau Warum der Osten weniger unter Corona leidet und sah die Demografie (viele Alte!) und die geringe Bevölkerungsdichte als Vorteil. Der MDR fragte schon im April Warum hat der Osten weniger Corona-Fälle? Und Mitte Oktober fragte der RBB Warum hat Ost-Berlin niedrigere Fallzahlen? (siehe auch Neues Deutschland 15.10.20). Und die Wochenzeitung Die Zeit erklärte uns gar Mitte Oktober: "Die Corona-Krise trifft den Osten Deutschlands bislang deutlich weniger heftig als den Westen. In der Pandemie werden die Schwächen der Region plötzlich zu Stärken".

Mittlerweile jedoch erscheint höchstens noch Mecklenburg-Vorpommern als Insel der Glückseligen, aber auch das scheint eher der Selektivität des Blicks geschuldet zu sein. Dazu später mehr. Nachdem anfangs Nordrhein-Westfalen die zweite Welle vorantrieb (zuerst das Ruhrgebiet als Hotspot, dann aber auch landesweit), hat sich seit der zweiten Novemberhälfte der Osten an die Spitze der zweiten Welle geschoben. Neben Sachsen gehen auch in Thüringen die Fallzahlen rasant nach oben. Beide Länder kennzeichnet, dass sie erstens die miserabelste Dokumentation der Pandemie auf ihren Landeswebseiten betreiben und zweitens ihre Ministerpräsidenten von der AfD vor sich her getrieben werden. Sie stehen quasi mit dem Rücken zur Wand, was wohl die Zaghaftigkeit bei den Eindämmungsmaßnahmen erklärt.

Sachsen ist das einzigste Bundesland, das am Wochenende noch immer keine Zahlen veröffentlicht. Alle anderen Bundesländern haben ihre Enthaltsamkeit nach und nach aufgegeben. Sachsen jedoch ging noch einen Schritt weiter und veröffentlicht seit dem 1. Dezember nur noch RKI-Inzidenzwerte. Diese sind offenbar schmeichelhafter. Hatte Sachsen am 30. November noch eine 7-Tage-Inzidenz von 275 gemeldet, so waren es tags darauf wundersamer Weise nur noch 257. Die sächsische Verordnung hat die RKI-Werte für die Ergreifung von Eindämmungsmaßnahmen zur Richtschnur gemacht. Prompt folgten einige Landkreise dieser Praxis. Der Landkreis Meißen schrieb z.B. in einer Pressemeldung:     

Corona-Situation im Landkreis Meißen

"Nach § 8 Abs. 5 der Corona-Schutz-Verordnung sind für den Inzidenzwert künftig die veröffentlichten Zahlen des tagesaktuellen Lageberichts des Robert Koch-Instituts maßgeblich. Das Erreichen des maßgeblichen Inzidenzwertes wird das Landratsamt Meißen unter Bekanntmachungen auf der Website www.kreis-meissen.de entsprechend öffentlich bekannt machen. Nach RKI beträgt der Inzidenzwert 213,1 (30.11.2020, 00:00 Uhr)."
(Landkreis Meißen, Pressemitteilung v. 30.11.2020)

Am Tag zuvor, einem Sonntag, vermeldete Meißen noch eine 7-Tage-Inzidenz von 304. Einen Tag später, also am 1. Dezember erklärt uns der Landkreis:   

Corona-Situation im Landkreis Meißen

"Veränderungen gibt es auch bei der täglichen Meldung der Fallzahlen. Da nach der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung der Inzidenzwert des RKI maßgeblich ist, wird das Landratsamt den auf der aktuellen Datenlage des Gesundheitsamtes basierenden Inzidenzwert nicht mehr veröffentlichen."
(Landkreis Meißen, Pressemitteilung v. 01.12.2020)

Zu diesem Zeitpunkt wird der LGA-Wert jedoch bereits gar nicht mehr auf der Freistaatwebsite veröffentlicht. Am 4. Dezember heißt es dann jedoch:

Corona-Situation im Landkreis Meißen

"Ab heute sind auch wieder die Übersichten zu den Fallzahlen auf der Website des Landkreises Meißen zu finden (www.kreis-meissen.de – Gesundheitsamt – Corona-Virus-Statistiken). Neben dem maßgeblichen Inzidenzwert des RKI ist ebenfalls der Inzidenzwert nach Datenlage des Gesundheitsamtes dort zu finden. Beide Werte nähern sich nach der erfolgten Systemumstellung infolge der neuen Rechtslage an. Abweichungen zwischen den Inzidenzen des Landkreises und den Daten des RKI-Dashboards können auch weiterhin bestehen und haben verschiedene Ursachen, wie beispielsweise einen Übermittlungsverzug und einen anderen Datenstand, das RKI verwendet den Datenstand jeweils 0:00 Uhr, das Gesundheitsamt 8:30 Uhr. Die Daten werden automatisiert und elektronisch übermittelt. Die anschließende Qualitätskontrolle kann dazu führen, dass Datensätze im Verlauf ergänzt oder korrigiert werden. Die Korrektur der Daten erfolgt immer durch das Gesundheitsamt."
(Landkreis Meißen, Pressemitteilung v. 04.12.2020)

Am 4. Dezember liegt die 7-Tage-Inzidenz des Kreisgesundheitsamts bei 377,3, während das RKI 363,2 vermeldet. 6 Tage später gibt es aber bereits wieder größere Differenzen bei beiden Werten. Am 10. Dezember liegt der KGA-Wert bei 457,6 und der RKI-Wert bei 426,5. Auch der Landkreis Leipzig hat bereits am 30. November mit Verweis auf die sächsische Verordnung die Veröffentlichung der eigenen Inzidenzberechnung eingestellt.

Die Pandemie in Chemnitz als Beispiel für die sächsische Entwicklung

Die kreisfreie Stadt Chemnitz ging bei der Veröffentlichung der 7-Tage-Inzidenzen einen anderen Weg. Sie veröffentlicht zwar auch keine KGA-Werte mehr seit dem 1. Dezember, sondern nur noch RKI-Werte. Aber aus den veröffentlichten Fällen der letzten 7 Tage kann sich jeder den Wert selber errechnen. Chemnitz war in Sachsen nach dem Erzgebirgskreis das zweite Risikogebiet.

Chemnitz folgt dem LGA-Gebaren und veröffentlicht am Wochenende keine Zahlen, weshalb erst am Montag den 19. Oktober die Überschreitung der 50er-Marke per Pressemitteilung verbreitet wurde. Beim LGA wurde Chemnitz erst eine Woche später mit einer 7-Tage-Inzidenz von mehr als 50 gelistet. Am selben Tag erschien Chemnitz auch beim RKI als Risikogebiet. Das nachfolgende Schaubild zeigt diese Entwicklung bis zum 10. Dezember:

 

Aus dem Schaubild ist ersichtlich, dass am 1. Dezember die rosafarbene LGA-Linie verschwindet. Sie ist seitdem identisch mit der gelbbraunen RKI-Linie. Die hellblaue Fläche zeigt die Inzidenzwerte des KGA an. Ab dem 1. Dezember würde die Fläche mit der gelbbrauen RKI-Linie abschließen. Für das Schaubild wurden jedoch die 7-Tage-Fallzahlen in 7-Tage-Inzidenzen umgerechnet und damit die KGA-Werte weitergeführt. Es zeigt sich, dass diese Werte in der Regel deutlich höher liegen als die LGA/RKI-Werte. Teilweise liegen sie fast um 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen 7 Tage höher. Später wird noch gezeigt werden, dass selbst diese Zahlen die Realität des Infektionsgeschehens nur unzureichend abbilden. Chemnitz steht aber noch in anderer Weise für die ganze Tragweite der sächsischen Situation.

In der ersten Zwischenbilanz wurde darauf hingewiesen, dass in Italien während der ersten Welle drei Regionen über zwei Drittel der Toten in Italien zu beklagen hatten, allen voran die Lombardei (mehr hier). Die Stadt Bergamo errang sogar traurige Berühmtheit durch nächtliche Militärkonvois, die Verstorbene abtransportierten, weil die Beerdigungskapazitäten der Region erschöpft waren.

Chemnitz hatte während der ersten Welle nur 6 Tote zu beklagen. Am 19. Oktober meldete das Kreisgesundheitsamt den 7. Todesfall. Damit lag Chemnitz bei 2,84 Tote pro 100.000 Einwohner. Keine zwei Monate später sind es über 100 Tote. Am 10. Dezember gibt es in Chemnitz 41 Tote pro 100.000 Einwohner und in 18 Pflegeheimen der Stadt gibt es immer noch Ausbrüche. Ein Ende des Sterbens ist also nicht abzusehen. Chemnitz liegt bei den Todesfällen keineswegs an der Spitze, sondern liegt im sächsischen Mittelfeld. Das folgende Schaubild zeigt die Entwicklung der Todesfälle in den 13 sächsischen Landkreisen:

 

Seit dem 1. Dezember haben die Todesfälle in Sachsen rasant zugenommen. Lag Sachsen zu Beginn des Dezembers bei den Toten pro 100.000 Einwohnern noch mit 23,70 hinter den von der ersten Welle stark betroffenen Bundesländern Bayern (29,43), Saarland (25,84) und Baden-Württemberg (25,01), so liegt Sachsen seit dem 11. Dezember mit 36,96 Toten pro 100.000 Einwohner deutschlandweit an der Spitze. Dieser Trend wird sich auch kaum noch umkehren lassen, denn Sachsen liegt bei den 7-Tage-Inzidenzwerten einsam an der Spitze. Besonders stark betroffen war zuerst das erste Risikogebiet Sachsens, nämlich der Erzgebirgskreis.

Mittlerweile trifft es den Landkreis Görlitz besonders hart. Der Landkreis Görlitz mit der Kreisstadt Görlitz hat bei der Bundestagswahl 2017 überregionale Aufmerksamkeit erhalten, weil dort im Wahlkreis 157 der jetzige sächsische Ministerpräsident Michael KRETSCHMER einem Nobody von der AfD unterlag. In jenen Landkreisen, in denen die AfD besonders stark ist und die Corona-Leugner das Verhalten vieler Menschen prägen, sind die stärksten Zuwächse an Toten zu beklagen: Erzgebirgskreis, Görlitz, Bautzen und Meißen. Ob jedoch die rasant steigenden Todeszahlen einen Bewusstseinswandel in diesen Landstrichen bewirkt, bleibt abzuwarten.

Abzuwarten bleibt auch, ob der "harte Lockdown" in Sachsen Wirkung erzielen kann, wenn er von vielen Menschen nicht mitgetragen wird. Das zögerliche Verhalten des Ministerpräsidenten und seiner Regierung hat viel Schaden angerichtet und die Folgen dieser Versäumnisse werden sich noch in sehr vielen Todesopfern niederschlagen. Daran wird der "harte Lockdown" nicht mehr viel ändern, denn die Intensivstationen in Sachsen sind bereits überfüllt und die vielen freien Intensivbetten nützen wenig, wenn es an Personal fehlt. Die Vorstellung, dass man viele künstlich zu beatmende Patienten durch die halbe Republik transportieren kann, um sie in den immer weniger werdenden betreibbaren Intensivbetten zu pflegen, geht wohl weit an der deutschen Krankenhausrealität vorbei.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Sachsen die Advents- und Weihnachtszeit keine besinnliche Zeit werden wird, sondern eine Zeit des großen einsamen Sterbens. Eine Bilanz dieser zweiten, tödlichen Welle wird sich frühestens im März ziehen lassen. Aber zurück zu den Neuinfektionen, die eigentlich Aufschluss über die weitere Entwicklung der Fallzahlen geben sollte. Es soll nun gezeigt werden, dass dies ein Trugschluss ist.

Die 7-Tage-Inzidenzen, die täglich in den Medien verkündet werden, unterschätzen das Infektionsgeschehen in Deutschland sehr stark

Wenig erfreulich ist, dass nicht nur die RKI-Inzidenzwerte in vielen Landkreisen niedriger sind als die Inzidenzwerte der Kreisgesundheitsämter und dadurch das wirkliche Infektionsgeschehen zu spät sichtbar wird. Noch erschreckender ist, dass in den Medien - und nicht nur dort - lediglich die Tagesmeldungen der Neuinfektionen registriert werden. Es bleibt dadurch außen vor, dass Aussagen über das Infektionsgeschehen erst nach 7 Tagen einigermaßen realistisch eingeschätzt werden kann.

Nordrhein-Westfalen ermöglicht hier den tiefgehendsten Einblick in das Geschehen. Nordrhein-Westfalen meldet seit September sowohl die Fälle des ersten Tages als auch die Fälle innerhalb von sieben Tagen - und das nicht nur an fünf Tagen, sondern an allen sieben Tagen. Das war bis dahin nicht der Fall, wie bereits bei der ersten Zwischenbilanz bemängelt wurde. Nachmeldungen werden dadurch transparenter gemacht. Es wird sichtbar, dass viele so genannte Neuinfektionen entweder spät oder sogar gar nicht in die 7-Tage-Inzidenzberechnung eingehen.

In Zeiten stark steigender Fallzahlen sind viele Gesundheitsämter an die Grenzen der Kontaktnachverfolgung gelangt, was natürlich auch Folgen für die Aktualität der Statistik hat. Es gibt z.B. viele Ämter, die die Mehrzahl der Fälle nicht am Meldetag weiter melden, sondern erst am nächsten Tag. In diesen Fällen sind die Tageswerte zu niedrig und spiegeln Erfolge der Bekämpfung wider, die gar keine sind.

Das folgende Schaubild zeigt exemplarisch die 7-Tage-Inzidenz der kreisfreien Stadt Gelsenkirchen vom 5. November bis zum 3. Dezember 2020. Die gelbbraune Fläche markiert die Inzidenzentwicklung wie sie tagtäglich in den Situationsberichten des RKI erscheint:

 

Das LGA in Nordrhein-Westfalen veröffentlicht wie das RKI 0:00 Uhr-Inzidenzen. Nur bei Übermittlungsproblemen weichen diese von jenen Werten ab, die beim RKI veröffentlicht werden. Unsichtbar bleibt dagegen, dass die Neuinfektionen eines Tages nicht immer am selben Tag das RKI erreichen. Die dunkelblaue Fläche zeigt jene 7-Tage-Inzidenz, deren Fälle erst am zweiten Tag weitergemeldet wurden. Diese Inzidenz deckt sich zeitweise mit jener 7-Tage-Inzidenz, die bis zu einer Woche nachgemeldet wurde. Je weniger die Statistik auf der Höhe des Infektionsgeschehens ist, desto größer sind die Unterschiede zwischen den Fallzahlen, die zuerst gemeldet wurden und jenen, die zuletzt gemeldet wurden.

Die folgende Tabelle zeigt für 10 Tage die 7-Tage-Inzidenzwerte für Gelsenkirchen:

DATUM

05.11.

06.11.

07.11.

08.11.

09.11.

10.11.

11.11.

12.11.

13.11.

14.11.

15.11.

1. Tag

194,5

213,4

202,2

200,3

194,5

177,2

133,6

158,3

156,4

140,6

136,3

2. Tag

247,6

213,4

202,2

257,3

218,8

177,2

196,8

168,3

156,4

140,6

209,5

7. Tag

249,2

254,2

260,4

262,7

228,4

214,5

216,1

194,5

217,2

217,2

220,7

Für den 5. November lag die vom RKI gemeldete 7-Tage-Inzidenz für Gelsenkirchen bei 194,5. Tatsächlich lag die 7-Tage-Inzidenz jedoch aufgrund von vielen nachgemeldeten Fällen an diesem 5. November bei 249,2. Vom RKI wurden diese 54,7 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen 7 Tagen niemals gemeldet, weil diese Fälle zwischen dem 6. und 12. November gemeldet wurden. Auch dieser Wert stimmt nicht wirklich, denn 30 Tage später lag er bei 251,9. Aber diese Differenz ist minimal im Vergleich zu jener Differenz bei den Nachmeldungen bis zu 7 Tagen.

Nicht alle diese nachgemeldeten Fälle sind jedoch wirklich verloren, sondern sie gehen in die Inzidenz des nächsten Tages mit ein. Doch je überlasteter ein Gesundheitsamt ist bzw. je mehr die Statistik vernachlässigt wird, desto mehr Fälle fallen aus der Inzidenzberechnung des RKI ganz heraus und gehen auch nicht mehr in die Inzidenz der nachfolgenden Tage ein. Auf dem Meldeweg zum RKI geht also einiges an Inzidenzniveau verloren, das unser Bild vom Pandemiegeschehen verzerrt. Das Beispiel der Städteregion Aachen zeigt, dass es zu drastischen Verzerrungen kommen kann. Die Website von Nordrhein-Westfalen zeigt tagtäglich den Verlauf der 7-Tage-Inzidenzen anhand von Kurven. Die nachfolgende Grafik zeigt für den 29. November und den 1. Dezember den Verlauf des Pandemiegeschehens in Aachen:

 

Am 29. November scheint sich ein großartiger Erfolg bei der Pandemiebekämfpung anzubahnen, denn die Städteregion hat sich von einer 7-Tage-Inzidenz von 258,5 (30. Oktober) heruntergekämpft auf 64,8 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen 7 Tagen. Der Betrachter könnte der Ansicht sein, dass die nordrhein-westfälische Städteregion bald unter die 50er-Marke fallen könnte. Doch weit gefehlt! Nur 3 Tage später steht die Städteregion bei 112,7. Am 10. Dezember werden es 130 sein, auch wenn dazwischen am 2. Dezember noch ein Tiefstwert von 83,8 liegt.

Dieses Hoch und Nieder hat wenig mit dem tatsächlichen Infektionsgeschehen zu tun, sondern ist dem Meldeverhalten geschuldet. Das Kreisgesundheitsamt veröffentlicht nur von Montag bis Freitag Zahlen. Manche Ämter veröffentlichen zwar keine Zahlen, melden aber dennoch Fälle - sozusagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit - weiter. Das LGA meldet jedoch nicht nur an zwei, sondern sogar an 3 Tagen keine Fälle aus der Städteregion. Während im KGA in diesem Zeitraum über 400 Fälle auftrafen, wurde vom LGA nichts an das RKI weitergemeldet. Die nachfolgende Tabelle zeigt die Fallzahlen am ersten Tag und die nachgemeldeten Fallzahlen zwischen dem 26. November und dem 4. Dezember:

Datenstand:

27.11.2020

28.11.2020

29.11.2020

30.11.2020

01.12.2020

02.12.2020

03.12.2020

04.12.2020

05.12.2020

Meldedatum

04.12.2020

51

03.12.2020

0

218

02.12.2020

81

0

73

01.12.2020

0

235

1

14

30.11.2020

7

0

56

1

1

29.11.2020

0

367

0

1

1

1

28.11.2020

0

0

347

0

1

1

0

27.11.2020

0

0

0

265

0

0

1

0

26.11.2020

51

0

0

0

119

0

0

1

0

7-Tage-Inzidenz

112,6

81,5

64,8

62,7

112,7

83,8

133,6

102,5

124,6

Wie ist die Tabelle zu lesen? Mit Stand von 0:00 Uhr am 27. November leitete das LGA 51 Fälle, die am 26. November ans KGA gemeldet wurden, an das RKI weiter. Die 7-Tage-Inzidenz betrug an diesem Tag 112,6. Am 28. November leitete das LGA keinen einzigen Fall an das RKI weiter und es gab auch keine nachgemeldeten Fälle (Ämter können auch nur nachgemeldete Fälle melden, was aber eher die Ausnahme ist).

Nullmeldungen gab es auch an den beiden nächsten Tagen so, wodurch die 7-Tage-Inzidenz steil bergab ging und eine erfolgreiche Pandemiebekämpfung vorgaukelte. Am 1. Dezember jedoch wurden 7 Fälle, die am 30. November ans KGA gemeldet wurden, weitergeleitet. Was jedoch üblicherweise nicht an die Öffentlichkeit kommt, das sind die nachgemeldeten Fälle, die bereits vom 26. bis zum 29. November ans KGA gemeldet wurden, aber erst an diesem Tag ans RKI weitergeleitet wurden. Diese nachgemeldeten Fälle fallen umso früher wieder aus der 7-Tage-Inzidenzberechnung heraus, je später sie weiter geleitet wurden. Am 26.11. wurden bereits 119 Fälle ans KGA gemeldet, die dann am 3. Dezember bereits wieder aus der 7-Tage-Inzdenzberechnung herausfallen. Am 27. November wurden weitere 146 Fälle ans KGA gemeldet, was zu 265 nachgemeldeten Fällen an diesem Tag führt. Diese 146 Fälle fallen aus der 7-Tage-Inzidenzberechnung am 4. Dezember wieder heraus. Wenn herausgefallene Fälle nicht wieder durch neu hinzugekommene Fälle ersetzt werden, dann fällt der 7-Tage-Inzidenzwert.

Kompliziert wird dieses Spiel dadurch, dass auch Löschungen zu den Nachmeldungen zählen. Die dunkelblau markierten Zellen sind Nachmeldungen, die in die jeweilige Inzidenzberechnung eingehen, während die gelb markierten Zellen jenen Bereich von Fällen kennzeichnen, der so spät nachgemeldet wird, dass er gar nicht erst in die 7-Tage-Inzidenz eingeht. In diesem Fall wäre das nur ein Fall gewesen. Je überlasteter ein Amt, desto mehr Fälle summieren sich im gelben Bereich. Auch Pannen, bei denen an sehr vielen Tagen keine Fälle weitergemeldet werden können, gehen niemals in die 7-Tage-Inzidenzberechnung ein.

Auch die Daten aus Nordrhein-Westfalen können letztlich nicht alle Fragen beantworten. Dazu wäre es nötig, dass jeweils für alle 7 Tage die Fallzahlen veröffentlicht werden. Einige Kreisgesundheitsämter veröffentlichen solche Fallzahlen wie z.B. Chemnitz (siehe oben) oder Sonneberg in Thüringen aus der ersten Zwischenbilanz. Dadurch lässt sich erkennen, ob und wann es zwischen dem ersten und letzten der sieben Tage zu Löschungen gekommen ist.

In den letzten Wochen ist es zu einer Vielzahl von Löschungen gekommen. Dies ist z.B. der Fall, wenn es zu falsch positiven Laborergebnissen gekommen ist oder der Wohnort falsch zugeordnet wurde. Im ersten Fall wurde die Inzidenz tatsächlich zu hoch ausgewiesen. Bei falscher Wohnortzuordnung jedoch erhöht der Fall die Inzidenz eines anderen Landkreises. Auch Fehler bei der Dateneingabe bzw. Weiterleitung sind kaum vermeidbar. Aachen gehört zu den so genannten "Faxämtern", d.h. Daten kommen per Fax an und müssen händisch in den Computer eingegeben werden. Das ist fehleranfällig, aber auch bei einer automatisierten, digitalen Weiterleitung kann es zu Fehlern kommen. Software-Updates und Übertragungspannen sind bei 412 Kreisen keine Seltenheit, sondern passieren tagtäglich in Dutzenden von Kreisen. Eher selten werden solche Pannen jedoch öffentlich gemacht, obwohl dies eigentlich notwendig wäre.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es in der langen Meldekette vom Kreisgesundheitsamt über die jeweiligen Landesgesundheitsämter zum RKI  zu Verlusten des Inzidenzniveaus kommt, die umso größer sind, desto überlasteter die Ämter sind. Gerade dann, wenn das Infektionsgeschehen Fahrt aufnimmt, ist das Bild, das vom RKI zur Lage in Deutschland vermittelt wird, besonders irreführend. Daran ändern auch angebliche Frühwarnindikatoren wie der R-Wert nichts.

Letztlich ist unser Bild in solchen Zeiten erst nach rund 7 Tagen einigermaßen genau. Oder anders gesagt: Wenn am 3. Dezember die Inzidenz eines Kreise gemeldet wird, dann ist  erst am 10. Dezember der Inzidenzwert vom 3. Dezember wirklich einigermaßen aussagekräftig, weil dann auch die meisten nachgemeldeten Fälle eingearbeitet wurden. Der R-Wert gibt vor, dies zu leisten. Doch die Datenlage des RKI ist offensichtlich zu schlecht, um realitätsgerechte Aussagen machen zu können. Vor diesem Hintergrund ist eine Aufarbeitung der zweiten Welle, die viel tödlicher sein wird als die erste Welle im Frühjahr, bitter nötig. Auf dieser Website wird deshalb die Entwicklung weiter verfolgt werden.

Ein Blick ins Ausland

Deutschland schlitterte eher unvorbereitet in die zweite Welle. Man war überrascht über die Wucht dieser zweiten Welle, so jedenfalls der Tenor in den Medien. Die Medien sind jedoch Teil des Problems. Sie bieten keine brauchbaren Analysen, sondern berichten stark Interessen geleitet. Die Berichterstattung über die USA ist ein besonders übles Beispiel dafür. Donald TRUMP ist so sehr Feindbild, dass dabei die Wahrheit über den Pandemieverlauf auf der Strecke bleibt. Der Demokrat Joe BIDEN dagegen wird durch eine "rosa Brille" betrachtet.

Meist werden lediglich absolute Zahlen in der Berichterstattung verwendet, die keinen brauchbaren internationalen Vergleich liefern. Die USA haben mehr als 300 Millionen Einwohner, mehr als jeder europäische Staat. Wenn die USA also die meisten Toten zu verzeichnen haben, ist das wenig überraschend. Überraschend wäre nur das Gegenteil. Am 12. Dezember wurden 3.000 gemeldete Tote an nur einem einzigen Tag als "Meilenstein" bezeichnet und BIDEN wurde zum Präsidenten stilisiert, der alles besser machen wird. In der Osterwoche wurden jedoch an einem Tag über 4.600 Tote gemeldet. In dieser Woche wurden überhaupt die bislang meisten Toten in den USA gemeldet. Mitte Dezember könnte diese Zahl an Todesfällen tatsächlich übertroffen werden.

Die USA hat sicherlich eine gänzlich andere Entwicklung genommen als westeuropäische Länder, doch bislang hat die USA keineswegs die meisten Toten pro 100.000 Einwohner zu verzeichnen wie das nachfolgende Schaubild zeigt:

 

Die USA zeigen einen relativ kontinuierlichen Anstieg der Todesfälle, während die europäischen Länder einige Monate eine "Verschnaufpause" hatten, bevor die Todesfälle umso steiler berauf gingen. Gerade Länder wie Österreich und Deutschland, die die erste Welle besonders gut gemeistert haben, scheinen die Tödlichkeit der zweiten Welle unterschätzt zu haben. Aber auch Länder, die in der ersten Welle härter getroffen wurden, haben nicht unbedingt daraus besonders viel gelernt. Dazu gehört insbesondere die Schweiz.

Man könnte daraus den falschen Schluss ziehen, dass alle Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie nichts bringen, aber viel Geld kosten. Diese Sicht scheint inzwischen auch in diversen Milieus und ausgehend von politischen Parteien von FDP bis AfD auch in Deutschland vermehrt um sich zu greifen.

Deutschland wurde von der zweiten Welle im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern vergleichsweise spät erfasst. Dadurch hat es nun z.B. weniger Tote pro 100.000 Einwohner zu beklagen als Österreich, das bislang besser dastand als Deutschland. Jedoch ist nicht ausgemacht, dass dies so bleiben wird. Allen voran in Sachsen, aber auch in Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, zeichnen sich mittlerweile dramatische Entwicklungen ab.

Vom "Teil-Lockdown" zum "harten Lockdown" - Warum es zum tragischsten Weihnachtsfest der Nachkriegsgeschichte kommen wird

Als am 28. Oktober ein "Teil-Lockdown" beschlossen wurde, der am 2. November in Kraft trat, war die Einigkeit der Länderchefs noch groß. Als am 25. November nach einer erfolglosen Sitzung am 16. November eher widerwillig die Verlängerung und Verschärfung des Lockdowns beschlossen wurde, da wurden Hoffnungen durch die Impfstoffzulassung und ein besinnliches Weihnachtsfest im Kreise der Familie geweckt. Die Welle sei zwar gebrochen worden, weil der exponentielle Anstieg gestoppt wurde, aber das Infektionsgeschehen blieb auf einem hohen Niveau, sodass weitere Maßnahmen erforderlich seien, so die Erklärungen.

Dem unterschiedlichen Infektionsgeschehen sollte durch mehr Lockerungsmöglichkeiten in "Niedriginzidenzgebieten" und Verschärfungen in Hotspots mit 200 und mehr Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen 7 Tagen begegnet werden. Der 25. November setzte damit ein fatales Signal, denn das Virus hält sich nicht an politische Kreis- oder Landesgrenzen.

Die Eindämmungsmaßnahmen betrafen zudem ganz überwiegend nur den schwer kontrollierbaren privaten Bereich, denn Betriebe, Kitas, Schulen und der Einzelhandel sollten unbedingt offen gehalten werden. Und obwohl das Gastgewerbe nur noch "to go" verkaufen durfte und Hotels nur noch Geschäftsreisen übrig blieben, entwickelte sich das was mit dem Begriff "Kölner Glühwein-Anarchie" (Express, 07.12.2020) auf den Punkt gebracht wurde, aber nicht nur in Köln praktiziert wurde (mehr dazu hier). Im weitesten Sinne geht es hier darum, dass die Kontaktbeschränkungen durch viele Menschen unterlaufen wurden.

Das RKI sieht für Deutschland erst ab dem 4. Dezember einen Anstieg der Fallzahlen. Ein Blick nach Brandenburg zeigt, dass dies eher der schlechten Datenlage beim RKI geschuldet ist. Das nachfolgende Schaubild zeigt die Entwicklung der Neuinfektionen seit Beginn des Teil-Lockdowns in Deutschland:

 

Brandenburg zeigt bereits während des Teil-Lockdowns einen kontinuierlichen Anstieg der Fallzahlen. Liegt die 7-Tage-Inzidenz nach den genaueren Zahlen des LGA bereits um 80. So liegt sie am 2. Dezember, also einen Monat später bereits bei 131, um dann in nicht einmal zwei Wochen die 200er Marke zu überschreiten. Seit dem 3. Dezember liegen alle 18 Brandenburger Kreise dauerhaft über der 50er-Marke. Beim RKI werden dagegen immer wieder bis zu 3 Kreise unter der 50er Marke gesehen.

Seit dem erneuten starken Anstieg Anfang Dezember klafft die Kluft zwischen LGA- und RKI-Werten immer stärker auseinander. Die Dramatik der Entwicklung - nicht nur hier in Brandenburg - lässt sich an Hand der RKI-Daten nur unzureichend erkennen. Die überregionalen Medien vermitteln das Pandemiegeschehen in Deutschland jedoch ausschließlich anhand der RKI-Tages-Daten. Das Dashboard des RKI ist ein schönes Spielzeug für die Nachrichtensender. Man kann damit bunte Deutschlandkarten auf die Bildschirme bringen. Dumm nur, wenn die Medienmacher die Zahlen unreflektiert und ohne ins "Kleingedruckte" zu schauen, unter das Volk bringen. In den Sensationsnachrichten bleibt kein Platz für tiefer gehende Analysen, sondern durch die ständige Wiederholung der immer gleichen Bilder führen sie eher zu Abwehrreaktionen und Reaktanzgefühlen, statt zu einem Bewusstseinswandel in der Bevölkerung.

Das Bild vom Hochplateau auf dem wir uns angeblich während des Teil-Lockdowns befanden, war trügerisch. Stattdessen gab es Abwärts- und Aufwärtsbewegungen in den einzelnen Bundesländern. Gerade in den ostdeutschen Ländern Sachsen und Thüringen wurden die Entwicklungen durch angenehme Zahlen konterkarriert. Sachsen schaffte am 1. Dezember seine LGA-7-Tage-Inzidenzen ab. Wer also nicht auf die einzelnen KGA-Werte sah (wenn diese überhaupt veröffentlicht wurden!), dem wurden rückgehende Zahlen für Sachsen vorgegaukelt. Während beim RKI am 13. Dezember einzig der bayrische Kreis Regen über 600 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen 7 Tagen lag, sprechen die sächsischen KGA-Zahlen eine andere Sprache. Der Landkreis Görlitz meldete z.B. am 12. Dezember eine 7-Tage-Inzidenz von 654,1. Beim RKI liegt er an diesem Tag bei 457,8. Das sind fast 200 weniger. Darf man sich also wundern, dass der Ernst der Situation nicht begriffen wird?

Die Wirkung des Teil-Lockdowns ist sozusagen bereits im November in weiten Teilen Ostdeutschlands eher bescheiden gewesen. Im Dezember haben die verschärften Eindämmungsmaßnahmen sogar zu einem exponentiellen Anstieg der Zahlen geführt. Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben eine rasante Entwicklung durchgemacht.

Baden-Württemberg ist das westdeutsche Bundesland, das innerhalb kürzester Zeit von einem Höchstwert zum Nächsten geeilt ist. Selbst vor dem Teil-Lockdown gab es niemals einen solch rasanten Anstieg wie vom 4. bis zum 12. Dezember. Am 12. November hatte das LGA mit 17.363 Fällen pro Wochen einen Rekord zu vermelden. Die Inzidenz lag damals bei 134. Am 7. Dezember wurden diese Wochenzahlen dann nach einem zwischenzeitlichen Rückgang auf 16.159 mit einem neuen Rekord von 17.599 übertroffen. Am Samstag, den 12. Dezember, wurden 21.114 Fälle innerhalb von 7 Tagen gemeldet. Die Inzidenz liegt damit bei 180, d.h. die 200er-Marke ist nicht mehr allzu fern, wenn diese Entwicklung weiter anhält. Seit diesem Tag gelten in Baden-Württemberg zwar Ausgangsbeschränkungen wie in den 200er-Hotspots, aber das dürfte keine Wende bringen. Schließlich verpuffte die Wirkung dieser Eindämmungsmaßnahmen in den Hotspots.

Die baden-württembergische AfD-Hochburg Pforzheim führt seit dem 30. November die Rangliste der Kreise mit den höchsten Inzidenzen in Baden-Württemberg an. Das nachfolgende Schaubild zeigt die dortige Entwicklung gemäß dem LGA im Vergleich zu Baden-Württemberg (LGA-Zahlen) und Deutschland (RKI-Zahlen):

 

Während der baden-württembergische Landesdurchschnitt und der Deutschlandwert einen Erfolg der Eindämmungsmaßnahmen zeigen, der jedoch seit Anfang Dezember wieder verpufft, sieht es in den Hotspots wie Pforzheim ganz anders aus. Dort gibt es bereits seit Mitte November einen kontinuierlichen, aber immer stärker werdenden Anstieg der Fallzahlen. Die erfolglos verlaufende Bund-Länder-Konferenz am 16. November scheint kontraproduktiv gewesen zu sein. Baden-Württemberg gilt als liberales Land. Es wird gern als "Stammland der FDP" bezeichnet. Doch diese Liberalität ist mittlerweile im negativen Sinne zur AfD abgewandert. Bewegungen wie Querdenken 711 stehen für diese Mentalität. Wenn dies zudem auf einen zaudernden Ministerpräsidenten wie Winfried KRETSCHMANN und einen grünen Gesundheitsminister wie Manfred LUCHA trifft, dann könnte dies zu einer brisanten Stimmungslage führen. Im Frühjahr soll ein neuer baden-württembergischer Landtag gewählt werden. Schwarz-Grün steht deshalb gewaltig unter Druck.

Der "harte Lockdown" kommt in jedem Fall zu spät. Bis Weihnachten wird sich das von Angela MERKEL anvisierte Ziel, dass die Inzidenzen auf 50 und niedriger gedrückt werden sollen, nicht erreichen. Auch bis zum 10. Januar wird dieses Ziel nicht erreicht werden. Vielmehr sind über Weihnachten hohe Todeszahlen zu erwarten (ob sie gemeldet werden, steht auf einem anderen Blatt!). Lockerungen vom 23. Dezember bis 26. Dezember konterkarieren dieses Ziel sowieso. Angesichts der derzeitigen Uneinsichtigkeit eines nicht geringen Teils der Bevölkerung steht uns eine unruhige Zeit bevor.

Schluss: Kommt es zu einer dritten Welle oder löst ein Impfstoff die Probleme?

Wie sich die zweite Welle weiter entwickelt ist noch nicht wirklich abzusehen. Sicher ist nur, dass die Todeszahlen wesentlich höher sein werden als während der ersten Welle. Sicher ist auch, dass die ostdeutschen Bundesländer - einschließlich Mecklenburg-Vorpommern - besonders hart von der zweiten Welle getroffen werden. Bis zum 1. September starben in ganz Mecklenburg-Vorpommern nur 20 Menschen mit bzw. am Coronavirus. Am 12. Dezember sind es bereits 96 Menschen. Dies ist mit 5,97 Toten pro 100.000 Menschen immer noch der niedrigste Wert in ganz Deutschland. Am 1. September waren es jedoch erst 1,29. Sachsen zeigt, dass sich die Pandemie-Betroffenheit ganz schnell ändern kann. Am 1. September hatte Sachsen nach Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein die wenigsten Toten zu beklagen. Innerhalb von nicht einmal 3 Monaten steht Sachsen in Sachen Todesfällen unter den 16 Bundesländern einsam an der Spitze.

Alle Hoffnungen konzentrieren sich auf die entwickelten Impfstoffe. Noch ist keiner in Deutschland zugelassen, während in China, Russland, Großbritannien und den USA bereits die Impfungen begonnen haben. Wenig ist bislang wirklich bekannt. Doch der in Mainz entwickelte Impfstoff, der in Großbritannien eingesetzt wird, scheint für Allergiker nicht besonders verträglich zu sein. Über die Wirkung auf Übertragungshemmung und Dauer der Immunität ist wenig bekannt. Dazu wurde die Entwicklung zu schnell vorangetrieben. Eine "Herdenimmunität" zu erlangen, ist eine logistische Herausforderung. Auch wenn die Impfstoffe wirken, wird es in diesem Winter keine wirkliche Entspannung der Lage geben. Es wird auch im Frühjahr 2021 weitere Tote geben und ob sich das Virus endgültig besiegen lässt, ist eher unwahrscheinlich. Wir werden weiter mit dem Virus leben müssen.

Ob es zu einer dritten Welle kommt, hängt auch mit dem Erfolg der Impfung zusammen. Wenn es zu einer Überlastung des Gesundheitssystems und zur Anwendung der Triage kommt, dann wird uns die zweite Welle noch eine ganze Weile beschäftigen. Eine dritte Welle ist also momentan unser geringstes Problem, denn wir stecken noch mitten in der zweiten Welle. Viel hängt jedenfalls vom weiteren Verhalten der Menschen in Deutschland ab.

Ein Blick in die Niederlande zeigt, dass auch ein "harter Lockdown" nicht davor schützt, dass in der Phase der Lockerungen die Fallzahlen wieder schnell ansteigen. Die Niederlande hatten Ende Oktober mit fast 69.000 Neuinfektionen innerhalb einer Woche einen Höchststand erreicht. Ende November war ein Tiefststand von rund 35.000 Neuinfektionen pro Woche erreicht. In der jetzigen 50. Kalenderwoche werden die 57.000 Neuinfektionen pro Woche nach Zahlen der US-amerikanischen Johns Hopkins Universität (JHU) wieder überschritten. Die Woche zuvor waren es erst 39.000 pro Woche. Daraus kann man ableiten: Wenn Lockerungen zugelassen werden, wenn die Zahl der Neuinfektionen noch sehr hoch sind, dann verpufft die Wirkung eines Lockdowns sehr schnell. In Deutschland leben fast 5 mal mehr Menschen als in den Niederlanden. 35.000 Neuinfektionen in den Niederlanden entsprechen rund 170.000 Neuinfektionen pro Woche in Deutschland. Was einer täglichen Zahl von 24.000 Neuinfektionen entspräche. Das belegt eindrucksvoll, dass die Zahlen in Deutschland unbedingt stark nach unten gehen müssen, um eine nachhaltige Entspannung zu erzielen.

Uns bleibt vorerst also nur zu hoffen, dass die Menschen sich in den nächsten drei Wochen vernünftiger verhalten werden als in den zurückliegenden Wochen.

Haustür an der hessischen Bergstraße Ende September
Foto: Bernd Kittlaus

 

 
     
 
       
   

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Bernd Kittlaus
webmaster@single-generation.de Erstellt: 16. Dezember 2020
Update: 16. Dezember 2020