|
Zitate: Die
Single-Industrie in
der Debatte
Der Egotrip der Solitäre
"Das Geschäft mit
der Einsamkeit, an dem alle die partizipieren, die
Ersatzbefriedigung verkaufen, ist zwar kein Argument
gegen das Alleinleben, das auch einfach beruflich
bedingt sein kann, man sollte es aber bei der Analyse
dieser Lebensform nicht ignorieren.
(Weder im Spiegel noch anderswo ein Wort über die
Unwirtlichkeit von Ein-Personen-Haushalten, nichts
über die Schwierigkeiten, zugleich akzeptable und
ihren Preis werte Wohnungen zu finden, nichts über die
zeit- und nervtötenden Hürden des Alltags, die
finanzschwache Singles zu nehmen haben. Und anders:
bei
»sozial Schwachen« ist der Alleingang oft nichts als ein
Effekt ihrer Lage (...)".
(Eike Hühnermann in: Bettina Best (Hg.) Ich lebe
allein, München: Matthes & Seitz, 1979, S.24)
Trautes Glück
allein?
"Mein Single-Jubel
bezieht sich auf echte Erwachsenheiten. Denn wenn
keine neuen Beziehungen mehr eingegangen werden
können, weil wir voll von alten stecken - zu
abgelebten Partnern und Eltern -, dann ist single nur
eine Flucht, ein Beweis für unsere Unfähigkeit, uns zu
lösen und zu beziehen; dann wäre single
gesellschaftlich nichts anderes als ein Ende aller
Kommunikation, eine Kontaktsperre. Singles =
ausgebrannte Einzelheiten, die sich in ihren letzten
Schlupfwinkeln verschanzen vom Kapitalismus
gehätschelt wegen ihres konsumanheizenden
Effekts."
(Volker Elis in: Pilgrim Copray, N. (Hg.) Lieber
allein? Im Sog der Single-Gesellschaft, München: Kösel 1991, S.55)
Singles: Die
Hätschelkinder der Konsumgesellschaft
"Singles (...) sind
die Hätschelkinder der Konsumgesellschaft, weil sei
den Konsum anheizen (Pilgrim 1991): Ein Paar
braucht alles nur einmal, zwei räumlich getrennte
Singles aber brauchen zwei Wohnungen, zwei
Fernsehgeräte, zwei Videos, zwei Stereoanlagen und
zwei Telefonanschlüsse".
(Horst W. Opaschowski im Sammelband Das Single 1994,
S.27)
Neue Lebensformen
als städtebauliche Herausforderung
"Ohne neuen
ordnungspolitischen Rahmen für den Wohnungsbau (...)
geriete (der Wohnungsmarkt) vollends aus den Fugen
durch die Marktmacht eines großen Teils der
Kleinhaushalte. Die Hackordnung wird angeführt von der
großen Zahl leistungsorientierten und im Berufsleben
stehenden Kleinhaushalte ohne Kinder.
(...).
Das Single ist der einzige Nachfrager, für den
verdichteten Wohnformen nicht nur zumutbar, sondern
sogar vorteilhaft sein können. Das Hochhaus ist
verpönt, zu Recht, soweit man es aus dem Blickwinkel
der Wohnbedürfnisse einer Familie mit Kindern
betrachtet. Als eine Art »Servicehaus« könnte es für
Alleinlebende auch im 20. Geschoß attraktiv sein. Wir
streben deshalb an, daß in Gebieten, die sich zu
Dienstleistungszentren umstrukturieren, ein Wohnanteil
von mindestens 25 % realisiert wird für gemischte
Wohnformen, aber eben doch auch speziell für
Alleinlebende."
(Friedemann Geschwind im Sammelband Das Single
1994, S.112f.)
Das Geschäft mit der Einsamkeit
"»Can't buy love«
sangen die Beatles. Sie hatten Recht. Liebe aus dem
Internet hält selten für die Ewigkeit. Zwei Menschen,
die einander vermittelt wurden, fehlt eine gemeinsame
Basis - weil am Anfang kein Erlebnis, keine
Gemeinsamkeit, kein Bemühen um den anderen stand.
Sondern nur ein Steckbrief. Und ein Geschäftsmodell."
(Oliver Creutz in Neon, Mai 2004,
S.54) |
Die Single-Industrie - eine neue Herangehensweise
Über kaum einen
Industriezweig gibt so viele Vorurteile und so wenig Wissen wie
über die Single-Industrie. Die populistische sozial- und
familienpolitische Debatte um die Schädlichkeit des
Single-Daseins trägt wesentlich dazu bei, dass sich daran
auch zukünftig kaum etwas ändern dürfte.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
Die
Single-Debatte ist längst in eine Sackgasse geraten. Dies
wird in diesem Buch u.a. der Individualisierungsthese des
Münchner Soziologen Ulrich Beck angelastet.
Das Buch
sollte als Beitrag zur Versachlichung der Debatte
verstanden werden und liefert deshalb Argumente für eine
neue Sichtweise auf das Single-Dasein im Zeitalter der
Demografiepolitik. |
Gegenwärtig steht der Zeitgeist - wenn man den Medien glaubt -
auf Re-Romantisierung. Hier soll deshalb ein pragmatischer
Zugang gewählt werden. Wir interessieren uns also nicht für den Konsum der Romantik
(Eva ILLOUZ). Wir lassen auch Paarungsspiele (Eggo MÜLLER)
wie in Herzblatt und sonstige Single-Shows im Fernsehen links liegen. Wir ignorieren die Traumhochzeit und
den neuen Hochzeitskult. Wir werden uns auch
nicht nur jenen gesellschaftlichen Praktiken zuwenden,
mittels derer sich heutzutage Paare finden.
Die
Single-Industrie wird hier stattdessen umfassender begriffen als
Industrie, die ein erfüllendes Alleinleben auch jenseits des
Paar- und Familienlebens ermöglicht. Dazu widmen wir uns der
Single-Kultur und ihrer Infrastruktur als Voraussetzung eines
erfüllenden Single-Lebens.
Diese Sichtweise
ist alles andere als selbstverständlich, wie der folgende
Beitrag zeigen wird. Da sich die Wissenschaft nur selten mit
diesem Thema beschäftigt hat, kann es sich hier nur um eine
erste Annäherung an diesen Gegenstand handeln. In
zukünftigen Beiträgen sollen dann Einzelaspekte näher beleuchtet
werden.
Wie die Single-Industrie entstand
Das Nachrichtenmagazin
Newsweek beschreibt die Geburt der Single-Industrie
folgendermaßen:
The "Singles" Society
"It all began
modesty enough. An unmarried New York City perfume salesman
named Alan Stillman decided that the coolest way to meet the
stewardesses in his neighborhood would be to buy a brocken-down
beer joint, jazz it up with Tiffany lamps and mod young waiters
and christen it - with an eye toward attracting the career crowd
- the T.G.I.F. (for Thank God It's Friday). Within one week, the
police hat to ring Fridays (as it quickly became known) with
barricades to handle the nightly hordes of young singles on the
make. Hundreds of blatantly imitative emporiums soon opened
their doors in scores of major cities - and an industry was born.
What began larely as a salesman's mating ploy has triggered an
explosion of singles-only institutions: singles apartment
complexes, singles cruises, singles weekends at resort hotels,
singles clubs for every persuasion from vegetarians to
occultists. Within just eight years, singlehood has emerged as
an intensely ritualized - and newly respectable-style of
American life."
(Harry F. Waters in Newsweek vom 16.07.1973) |
Im New York der 1960er
Jahre vollzog sich die Geburtsstunde der Single-Industrie, die
seitdem ihren Siegeszug durch die westlichen Industrieländer
antritt. Dies gilt selbst für Nationen, die uns Deutschen - wie
die Franzosen - als Familiengesellschaften präsentiert werden.
Die Rolle der Single-Bars für die Attraktivität
des Single-Lebens
Im Newsweek-Artikel wird
die Single-Bar als erste Errungenschaft der neuen
Single-Kultur beschrieben.
Waren Kneipen für frühere Generationen reine Männersache, so
wurde es nun selbstverständlich, dass auch Frauen ohne männliche
Begleitung solche öffentlichen Räume aufsuchen durften.
ALLON & FISHEL
(1979) haben in ihrem Buch Urban Life Styles diese
Veränderungen beschrieben. Für Deutschland haben Franz DRÖGE & Thomas KRÄMER-BADONI
(1987) diesen Wandel in dem Buch Die Kneipe zum
Thema gemacht.
Den wichtigen
Beitrag der Single-Bars zur neuen Attraktivität des
Single-Daseins beschreiben ALLON & FISHEL folgendermaßen:
Singles Bars
"Bars labeled
»singles bars« were vehicles to transform singlehood from a
sad, shameful affair to an
»in« status. Men traditionally have been accustomed to go to
bars alone and to clandestinely or openly satisfy their sexual
appetites, so that male sexual swinging has been endemic to the
culture. Singles bars undertook the task of socializing women
into the glories of admitting to be unmarried, to be open to
engage in premariatal and sometimes extramariatal sex, and to be
on their own in the bars. Women are not made to feel
»cheap« if they go to singles bars unescorted which they are
made to feel in other bars."
(aus: Urban Life Styles 1979, S.130) |
Die Single-Bar bot gemäß
ALLON & FISHEL im Gegensatz zu anderen Einrichtungen wie
Tanzlokale, Discos oder sonstige Clubs einen leicht und schnell
zugänglichen Raum, der mit relativ niedrigen Kosten verbunden
war.
Angestellte und Studenten als Träger der
Single-Kultur
In den USA popularisierten
Hugh HEFNERs Playboy und Helen Gurley BROWNs
Cosmpolitan diese neue Single-Philosophie, die sich vor
allem im Angestelltenmilieu durchsetzte. Angestellte
gehörten neben den Studenten zu den Trägern dieser neuen
Single-Kultur.
Barbara EHRENREICH,
Elizabeth HESS und Gloria JACOBS (1986) haben die Entstehung der
Single-Kultur und das Lebensgefühl der New Yorker swinging
Sixties in Re-making love. Feminization of Sex
beschrieben.
Sie sehen bereits
in den Anfängen der Dienstleistungsgesellschaft in den
1950er Jahren die Voraussetzung für die neue Single-Kultur der
60er Jahre grundgelegt
. In der - leider
schlechten - deutschen Übersetzung Gesprengte Fesseln?
(1988) liest sich das so:
Gesprengte Fesseln?
"Wenn Sex in den Vororten
mattgesetzt war, so entwickelte sich in den frühen sechziger
Jahren mit der aufstrebenden
»Single-Kultur« neues Terrain für erotische Erfahrungen.
(...).
In der New Yorker Upper East Side, dem ersten Single-Getto,
spiegelte ein rapider Aufschwung des Wohnungsmarkts die
Einwanderungsrate hoffnungsvoller Sekretärinnen, Stewardessen,
Redaktionsassistentinnen sowie Möchtegern-Fotomodellen und
Schauspielerinnen, die sich als Empfangsdamen und Kellnerinnen
über die Runden brachten. Drei oder vier
»Mädels« teilten sich für 300 Dollar im Monat ein
Zwei-Schlafzimmer-Apartment, verloren einige Zimmergenossinnen
durch die Ehe, andere durch Erfolglosigkeit (im Regelfall konnte
ein Mädchen, das es nicht geschafft hatte, immer noch in
irgendeine Heimatstadt zurückzukehren), und rekrutierten ständig
neue Genossinnen aus den Colleges und Kleinstädten des mittleren
Westens."
(1988, S.63f.) |
Die Ausweitung der Möglichkeiten durch
Großstädte
EHRENREICH/HESS/JACOBS
beschreiben den großstädtischen Raum im Gegensatz zum familiären
Suburb als Ausweitung der Möglichkeiten für junge
alleinstehende Mittelschichtfrauen:
Gesprengte Fesseln?
"Die junge
Mittelschichtfrau (...) ging normalerweise davon aus, daß sie in
ein paar Jahren heiraten und sich in einem Vorort zur Ruhe
setzen würde, denn noch immer waren sich die Experten darin
einig, daß
»Mutterschaft das bestimmende Merkmal eines Frauenlebens«
sei. In der Zwischenzeit aber hatte sie Vorteile und sexuelle
Möglichkeiten, die sie als Hausfrau nie wieder haben würde.
Erstens verdiente sie ihr eigenes Geld (...). Zweitens lebte sie
in einem sozialen Umfeld, das unendlich reicher an sexuellen
Kontaktmöglichkeiten war als die eingeschlechtliche Welt der
verheirateten Frau mit ihrem Einkaufszentrum und Spielplätzen.
Da war das Büro - eine weitgehend weibliche und ganz sicher von
Männern beherrschte Arbeitswelt, die aber Möglichkeiten für
Phantasien und Flirts bot. Und da war der öffentliche Raum der
Straße, der Bars, Buchläden und Busse, in dem sich die Frau ganz
anonym von einer Begegnung mit einem potentiellen Partner zur
nächsten bewegen konnte." (1988, S.64) |
EHRENREICH/HESS/JACOBS
sehen im Buch Sex and the Single Girl (1962) von Helen
Gurley BROWN einen wichtigen Beitrag zur sexuellen Revolution:
Gesprengte Fesseln?
"Die erste Sprecherin
dieser Revolution war eine Frau, die viele Feministinnen
verabscheut und unter keinen Umständen zu den ihren gezählt
hätten. (...). Brown (...) verkündete, daß die Ehe unnötig und
eine neues Leben bereits möglich sei, das Leben des
alleinstehenden, urbanen und berufstätigen
»Mädels«. Browns Buch war ein überschwenglicher Leitfaden
zur Selbstvollkommung, geschrieben in einem Stil, den sie später
in Cosmopolitan unsterblich machen sollte".
(1988, S.65f.) |
Das Single-Girl und die große Stadt
Das sogenannte
Cosmo-Girl
stand für ein neues Frauenbild. "Anständige
Mädchen", d.h. angestellte Mittelschichtfrauen durften Affären
haben, ohne als Nutten oder Flittchen zu gelten. Die Entstehung
der Single-Kultur Mitte der 1960er Jahre beschreiben
EHRENREICH/HESS/JACOBS folgendermaßen:
Gesprengte Fesseln?
"In Manhattans Upper East
Side eröffneten die ersten Bars für Singles (Maxwell's Plum, P.
J. Clark's, T.G.I. Friday's) und neue Worte gingen in den
amerikanischen Wortschatz ein:
»Beziehung« wurde sowohl für Ehe als auch Affäre
gebräuchlich (gleichzeitig veraltete das Wort
»Affäre« mit dem damit verbundenen Bild der Randexistenz);
»Lebensstil« brachte das Singledasein wie die Ehe unter
einen Hut (...); und das Wort
»Single« selbst konnte sowohl auf ein soziales Umfeld wie
auf einen Lebensstil angewandt werden. Die Kommerzialisierung
der Single-Bedürfnisse - über Bars, Erholungsorte, Zeitschriften
- trugt zur Entstehung einer Single-Kultur und -Identität bei,
die mit der Zeit immer weniger Grund hatte, sich angesichts
einer verheirateten Mehrheit in der Defensive zu fühlen. In dem
1969 erschienen Buch The Single Girl's Book Making It in the
Big City, ein blasser Abklatsch von Sex and the Single
Girl, ging Stanlee Miller Coy davon aus, daß die jungen
Frauen lediglich wissen wollten, wo sich in
»jenen sieben Städten, in denen sich Vorposten der
Single-Kultur herausgebildet hatten, was tat...In New York hatte
diese Kultur schon lange die kritische Masse erreicht, und man
konnte auf den Third, Second and First Avenues an der Upper East
Side die Single-Bars abklappern und Tausenden von Singles
begegnen«"
(1988, S.69f.) |
Die Veränderung der
Rolle der allein stehenden Frau in der Gesellschaft ist die
entscheidende Voraussetzung für den Erfolg der neuen
Single-Kultur gewesen.
Die finanzielle
Unabhängigkeit der Frau durch die Entstehung einer
Dienstleistungsgesellschaft und die Ausweitung der Möglichkeiten
durch eine neuartige Freizeitindustrie sind jene Elemente, die
zur ersten Blüte dieser Nachkriegskultur im New York der 60er
Jahre beigetragen haben. Historisch gesehen
muss dies natürlich revidiert werden, denn bereits vor dem
zweiten Weltkrieg gab es erste Ansätze dieser Kultur. Für unsere
Betrachtung beschränken wir uns jedoch auf die Entwicklung in
der Nachkriegszeit.
Die allein stehende Karrierefrau als neue
Marktmacht
Im September 1978
berichtet NEWSWEEK über die Karrierefrau als neue Marktmacht.
Durch gesetzliche Änderungen sind weibliche Singles zu einer
neuen Größe auf dem US-amerikanischen Häusermarkt geworden:
Going It Alone
"With recent legislation
prohibiting credit and mortgage discrimination on the basis of
sex and marital status, singles have become the fastest growing
segment of the housing industry. And single women are a new
force on the market."
(P. Abramson u.a. in Newsweek vom
04.09.1978) |
Berichtet wird u. a. von
allein stehenden Karrierefrauen, die Stadthäuser und
Einfamilienhäuser für ihre Altersvorsorge aufkaufen oder als
sichtbares Symbol ihrer finanziellen Eigenständigkeit verstehen. Im Jahr 2001
berichtet der britische ECONOMIST von The Bridget Jones
Economy (22.12.). Der Begriff verweist auf die enorme Kaufkraft der jungen
Karrierefrauen in Städten wie London und New York.
Von dieser Bridget-Jones-Ökonomie erhofft sich der Economist die
wirtschaftliche Erholung der Not leidenden Städte:
Die Bridget-Jones-Ökonomie
"Even more than marketing
men, though, cities in need of economic revival have their eyes
on young singles. Many of them have grasped that these are the
shock troops of creativity and culture; that they drive
gentrification because they are willing to live in the lofts of
inner cities and that they bring with them lots of restaurants
and night life. They lead (...)
»the aesthetisation« of the city, and the evolution of
»the city as spectacle«".
(aus: Economist 22.12.2001) |
|
|