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Thema des Sommers

 
       
   

Die Single-Industrie

 
       
   

Single-Kultur in der paar- und familienorientierten Gesellschaft (Teil 3)

 
       
     
       
   
     
 

Ernährung und Lebensmittelindustrie

Zum Ernährungsverhalten und Kaufverhalten von Alleinlebenden in Lebensmittelmärkten gibt es bislang nur zwei wissenschaftliche Studien. Wilhelm OTT (1995) und Doris ROSENKRANZ (1998) haben sich mit dieser Thematik befasst.

Konsummuster privater Lebensformen

"Die Autorin entwickelt ein theoretisches Konzept zum Verhältnis von Konsum und privaten Lebensformen. Anhand empirischer Analysen und praxisorientierter Beispiele kann sie belegen, daß private Lebensformen spezifische Konsummuster ausbilden."
(1998)

Die Lebensmittelindustrie definiert ihre Zielgruppe als Alleinesser oder als situative Einzelesser. Es zeigt sich nämlich, dass Alleinesser nicht mit den Alleinlebenden identisch sind . Die Individualisierung der Familie hat dazu geführt, dass der Alleinesser die Realität der individualisierten Familie ist und deshalb die Tiefkühlpizza (Convenience-Produkte) eher auf dem Tisch des Familienhaushaltes landet und weniger im Single-Haushalt verzehrt wird.  Das Spezial-Heft der Lebensmittelzeitung Singles - Individualisten machen mobil vom August 2001 bietet einen guten Überblick zum Thema, wenngleich das Forschungsdefizit auch hier sichtbar wird:

Der Single als Kundensegment des Handels

"Kaum ein Filialist fokussiert sich besonders auf Singles. Neue Gesellschaftsstrukturen hin oder her. (...).
»Die Neigung, außer Haus zu essen oder Bringdienste zu ordern, ist bei vielen Singles sicherlich stärker ausgeprägt als bei Familien«, sieht es Unternehmenssprecherin Ulrike Jungmann. (...) Ein gegenüber Familien kleiner Warenkorb und eher kurzfristig orientierte Einkaufsentscheidungen machen wohl den größten singletypischen Unterschied aus."
(aus: Lebensmittelzeitung Spezial Singles 2001, S.60)

Eine optimale Lebensmittelversorgung der Alleinlebenden ist meist nur in den typischen großstädtischen Yuppie-Vierteln gewährleistet. Wer nicht zu den Yuppies gehört, der findet in den Regalen nur die üblichen Familienpackungen. Die Folge: verderbliche Lebensmittel vergammeln im Kühlschrank, bevor sie verbraucht werden können. Bisweilen haben sich auch Dienstleistungen rund um den Alleinlebenden entwickelt. Es gibt Lieferservices für Yetties . Mitesserzentralen kümmern sich darum, dass Alleinlebende keine Alleinesser sein müssen. Die Verbraucherzentralen kümmern sich um die gesunde Ernährung der Singles.  Und nicht zuletzt kann der Alleinlebende in Single-Kochbüchern nachschlagen, damit nicht immer das gleiche Essen auf den Tisch kommt.

Die Single-Industrie als Freizeitindustrie

Mit dem Freizeitverhalten der Alleinlebenden hat sich vor allem die Freizeitpädagogik beschäftigt. Horst OPASCHOWSKI hat 1981 die zweibändige Untersuchung Allein in der Freizeit publiziert. Der Alleinlebende erscheint in dieser Sicht als defizitäres partnerloses Wesen. Das Freizeitverhalten wird jedoch nicht als Partnersuche untersucht, sondern als hedonistisches Vergnügen bzw. als Ersatzbefriedigung interpretiert. Die Normalfamilie ist der normative Bezugspunkt einer solchen Sichtweise. In der Einführung in die Freizeitwissenschaft (1997) unterscheidet OPASCHOWSKI zwischen berufsorientierten und freizeitorientierten Singles (25 - 49jährige Alleinlebende). Letztere beschreibt er folgendermaßen:

Einführung in die Freizeitwissenschaft

"Sie sind während er Woche fast jeden Abend unterwegs: Im Fitness-Studio oder Tennis-Club, im Schwimmbad oder in der Sauna, im Kino oder in der Kneipe. Zwischendurch werden »Hängertage« eingelegt, wo sie in den eigenen vier Wänden relaxen, trödeln oder telefonieren. Das Wochenende gehört dann dem Disco- oder Konzertbesuch, dem Aus- und Essengehen."
(1997, S.120)

Die Single-Industrie stellt die Infrastruktur und die Angebote zur Verfügung, die solche freizeitorientierten Singles nutzen. Beim Freizeitalltag von Alleinlebenden unterscheidet OPASCHOWSKI zwischen Feierabend, Wochenende und Urlaub. Obwohl OPASCHOWSKI Singles als Alleinlebende mit und ohne Partnerschaft definiert, spielen die Partner der Singles keine Rolle. Vielmehr wird das Freizeitverhalten einzig unter den Aspekten Kontaktzwang und Konsumstress abgehandelt. Beim Urlaubsverhalten der Alleinlebenden ist zu beachten, dass Alleinlebende nicht unbedingt Alleinreisende sind. Oftmals bevorzugen Singles Gruppenreisen oder Reisen mit einem Urlaubspartner .

Die Single-Industrie und das Geschäft mit der Einsamkeit

Was in traditioneller Sicht ganz oben steht, soll hier nur am Rande abgehandelt werden. Zum einen, weil dieses Feld am besten untersucht ist und deshalb zu einzelnen Aspekte differenziertere Beiträge geplant sind. Zum anderen aber weil das Geschäft mit der Einsamkeit für das Alleinleben nicht den zentralen Stellenwert besitzt, der gerne behauptet wird. Partnersuchende finden sich auch unter Nicht-Singles (z.B. Nesthocker oder Verheiratete, deren Ehe nur noch auf dem Papier steht). Andererseits ist nicht jeder Alleinlebende partnerlos oder gar auf der Suche nach einem neuen Partner. Im mittleren Lebensalter ist das Alleinleben mit fester Partnerschaft weit verbreitet. Der Heidelberger Soziologe Thomas KLEIN behauptet:

"Vielleicht irgendwann..."

"der Anteil der Personen, die ohne feste Partnerschaften leben, ist trotz angeblichen »Individualisierungsschubes« seit den 1960er Jahren weitgehend konstant geblieben." [mehr]
(GEO, Mai 2004)

In den Medien stehen jene Methoden der Partnersuche im Vordergrund, die sich durch einen Neuigkeitswert auszeichnen. Zur Zeit gilt die die Online-Partnersuche als "Killerapplikation". Offline ist das Speed-Dating zeitgemäß. Haben wir die Liebe verlernt? fragt alarmiert das Mai-Heft von Neon. Die kulturpessimistische Sorge um den Verlust der Liebesfähigkeit begleitet jede Generation von neuem:

Liebe als Markt

"Die (...) Rückbildung von Kontakt- und Liebesfähigkeiten findet in der fröhlichen Liberalisierung des Partnerschaftsmarkts ihre zeitgemäße Form und Ausdruck."
(Oskar Klemmert 1996, S.76)

Single-generation.de hält nichts von derartigem Alarmismus. Dies gilt umso mehr als gerade der Paarbildungsprozess ein stark vernachlässigtes Thema der Sozialwissenschaften ist.

Der Morgen danach

"Im Mittelpunkt der Soziologie steht weiterhin fast ausschließlich die Familie, in letzter Zeit auch der Übergang vom Paar zur Familie. Dagegen ist der Übergang vom Solo-Leben zum Paar, also der Prozess der Paarbildung, weitgehend unerforscht. In Deutschland haben sich im Hinblick auf eine Soziologie der Paarbeziehung besonders Karl LENZ und Günter BURKART verdient gemacht. Ersterer hat mit seiner Soziologie der Zweierbeziehung das Paar ins Visier genommen, während letzterer mit Lebensphasen - Liebesphasen den Mythos Single - also das Alleinleben als lebenslange Alternative zum Paar und zur Familie - demontiert hat.

Der französische Soziologe Jean-Claude KAUFMANN ist mit seinen Untersuchungen über die Schmutzige Wäsche und über den Morgen danach ein weiterer Pionier dieser Paarforschung. Sein originärer Gegenstand ist das Zusammenprallen der Gewohnheiten. KAUFMANN beschreibt in seinen Studien akribisch den Einfluss individueller Gewohnheiten auf den Prozess der Paarbildung."
(aus: single-generation.de, März 2004)

Im Rezensionsessay zum Buch Der Morgen danach des französischen Soziologen Jean-Claude KAUFMANN wird auf dieses Defizit näher eingegangen. Ein anderes vernachlässigtes Thema ist der Zusammenhang von Partnerwahl und Familiengründung. Die neueste bevölkerungspolitische Wende legt das Hauptaugenmerk auf die Geburt des ersten Kindes. Was vorher passiert, das interessiert dagegen nicht. Das könnte aber in Zukunft wichtig werden, wenn das Beispiel der Popliteraten Joachim BESSING und Alexa von Hennig LANGE Schule macht und das Modell der Single-Mutter ernsthaft in Frage gestellt wird:

Familiengrab mit Aussicht

Ich war Anfang zwanzig«, arbeitet Alexa Hennig von Lange sich langsam zur Schmerzgrenze vor, »und wollte eine Familie, aber keinen Mann. Also dachte ich, ich fange mit dem Kind an, der Mann kommt dann später.« Ermuntert durch die Berichte über Madonna, die damals gerade mit Hilfe ihres Fitness-Trainers schwanger geworden war, wurde sie also Mutter, mehr oder weniger ohne Vater. »Ich hatte ja einen Beruf und konnte für mich selbst sorgen.« Selbst die Freunde im Publikum senken mittlerweile beschämt die Köpfe, aber es geht noch weiter. Die genauen Umstände der Zeugung lässt Alexa Hennig von Lange zwar aus, aber eins ist klar: »Heute hätte ich mich anders entschieden«, sagt sie, ganz die reumütige Sünderin, die weiß, dass aus »den vielen Freiheiten, die wir haben, Notsituationen entstehen können« und dass ein Kind eine richtige Familie braucht und nicht zwei oder eineinhalb."
(Kolja Mensing in der TAZ Berlin vom 16.04.2004)

Damit sind wir bereits am Ende dieses Kapitels angelangt. Zum Schluss soll noch danach gefragt werden, inwiefern aus dem massenhaften Alleinleben eine neue politische Kraft entstehen könnte. 

Ist in Deutschland mit einer Single-Bewegung zu rechnen?

Bereits 1983 stellte sich der Stadtsoziologe Wolfram DROHT die Frage, ob es in Deutschland eine vergleichbare Single-Bewegung wie in den USA geben könnte:

Die Alleinlebenden

"Seit 1982 erscheint, herausgegeben in Hamburg, die Zeitschrift »Single« mit einer Auflage von 120 000 Exemplaren (Dezember 1982). Es entstehen auch Single-Clubs, die sich unter anderem mit Problemen Alleinlebender auseinandersetzen (...). In den Zeitungen und Zeitschriften tauchen Anzeigen auf, in denen Singles direkt angesprochen werden. Interessant mag in diesem Zusammenhang sein, daß die NEUE HEIMAT die 1 1/2 Zimmer-Wohnungen einer Wohnanlage in Hamburg-Harburg in einer Zeitungsanzeige als »Single-Wohnung ... groß genug, auch wenn ihr Gast zum Frühstück bleibt« (HAMBURGER ABENDBLATT vom 11./12.12.1982).
Es ist jedoch nicht abzusehen, ob diese Entwicklungen in der Bundesrepublik das Ausmaß derer in den USA auch nur annähernd erreichen werden. Wir halten dies - trotz des wesentlich größeren Anteils an Ein-Personenhaushalten in der Bundesrepublik Deutschland - aus folgendem Grund für unwahrscheinlich: In den USA werden die Singles als eine Gruppe von Personen betrachtet, deren Verhalten von den gesellschaftlichen Normen abweicht. Die Minderheiten haben in den USA im Laufe der zeit Strategien entwickelt, sich gegenüber den etablierten Gruppen zu behaupten. Solche Strategien haben auch die amerikanischen Singles angewendet: Sie organisieren sich, schlossen sich zusammen und konzentrierten sich räumlich in bestimmten Gebieten. Dadurch wurden sie gleichzeitig von der Gesellschaft als Gruppe wahrgenommen und beachtet. In der Bundesrepublik werden Alleinlebende kaum diskriminiert. Deswegen und weil es in Deutschland die Tradition des sich Organisierens, Zusammenschließens und An-die-Öffentlichkeit-Tretens nicht gibt, wird hier eine Single-Bewegung wohl nicht entstehen. Die Alleinlebenden werden nicht als Gruppe auftreten; und als einzelne Individuen werden sie und ihre Bedürfnisse von der Gesellschaft kaum wahrgenommen.
[mehr]
(1983, S.53f.)

Zwanzig Jahre sind seit dieser Einschätzung vergangen. Singles werden inzwischen zwar von der Gesellschaft stärker wahrgenommen, aber dies hat keineswegs dazu geführt, dass eine Single-Bewegung entstanden ist.

Die Single-Lüge - Das Buch zur bevölkerungspolitischen Wende

"Dies ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt. Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
          
 Es wird aufgezeigt, dass sich die nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen."

Durch die bevölkerungspolitische Wende in der Familienpolitik wird die Sichtbarkeit und vor allem die negative Beurteilung von Singles weiter zunehmen. Inwiefern dies zur Herausbildung einer sozialen Gruppe führt, die sich als Single-Bewegung versteht, bleibt abzuwarten. Bei Wolfram DROHT stehen zudem die alleinlebenden Partnerlosen im Mittelpunkt. Das Singleleben ist jedoch wesentlich heterogener als dies bei DROHT deutlich wird. Die entscheidende Frage ist, ob die Haushaltsform überhaupt politische Interessen begründen kann. Bisher wird nur von Nicht-Singles argumentiert, dass dies der Fall sei. Es handelt sich dabei jedoch um Interessen, die Singles zugeschrieben werden, während von einer singlespezifischen Interessenformulierung nicht gesprochen werden kann. Solange Singles sich nicht gegen solche Fremdzuschreibungen wehren, kann schwerlich von gemeinsamen politischen Interessen gesprochen werden.

Fazit: Die Single-Industrie ist ein wichtiges, aber vernachlässigtes Thema

Wenn heutzutage die Single-Industrie als Geschäft mit der Einsamkeit begriffen wird, dann ist das Ausdruck der mangelnden gesellschaftlichen Akzeptanz des Single-Daseins. Wird als Maßstab für die Bewertung der Single-Industrie die Ermöglichung eines erfüllenden Singlelebens jenseits des Paar- und Familienlebens genommen, dann zeigen sich die Defizite der gegenwärtigen Single-Kultur in Deutschland. Alleinlebende dürfen weder mit Partnerlosen noch mit Partnersuchenden gleichgesetzt werden. Wissenschaftliche Erkenntnisse über den Alltag der Alleinlebenden fehlen in der Regel. Vorurteile ersetzen die Empirie. Von der Wirtschaft wird der vorwiegend weibliche Yuppie umworben, während die Mehrzahl der gering verdienenden männlichen Singles eine unbekannte Größe sind. Alleinlebende sind hierzulande keine politische Kraft. Es existiert weder eine Single-Szene jenseits der Jugend- und Seniorenkultur, noch eine Single-Bewegung, die sich gegen die neuen Zumutungen der Demografiepolitik zur Wehr setzt. Aufgrund der fehlenden Studien zum Thema kann es sich hier nur um eine vorläufige Einschätzung handeln. Das Thema wird auf single-generation.de in Zukunft - vor allem bezogen auf spezielle Einzelaspekte - weiter behandelt werden. 
    

 
     
 
       
   

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Bernd Kittlaus
webmaster@single-generation.de Erstellt: 29. September 2003
Update: 23. November 2018