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Der Generationenbegriff liegt im Trend
Grundfragen der Soziologie des Lebenslaufs
"Die
kollektive Ausgangsbedingung einer Generation
ist die schicksalsmäßig verwandte Lagerung
eines Geburtsjahrgangs. Dennoch führt die
verwandte Lagerung noch nicht zur Entstehung
einer sozialen Gruppe, sie ist lediglich ein
zugeschriebenes Merkmal. Der
Generationenzusammenhang entsteht nicht
allein aufgrund der chronologischen
Gleichzeitigkeit der Geburt, sondern durch
die gemeinsame Teilhabe an bestimmten
historischen Ereignissen. Eine
Generationseinheit bildet sich erst dann
heraus, wenn aufgrund einer gemeinsamen
Problemlage ein bewußter Zusammenschluß von
Individuen stattfindet. Durch den stetigen
Neuzugang und Abgang von Kulturträgern,
durch die Tatsache, daß Menschen nur an
einem bestimmten Ausschnitt von Geschichte
partizipieren, durch die Notwendigkeit des
Tradierens gesammelter Kulturgüter (MANNHEIM
1968, 292) sind die Voraussetzungen als
Träger von Bewußtseinslagen für die
Notwendigkeit des Vorhandenseins von
Generationen genannt."
(HOERNING, Erika (1994): Grundfragen der
Soziologie des Lebenslaufs. Makrosoziale
Perspektiven des Lebenslaufs, Kurs 3635 der
Fernuniversität, Kurseinheit 1, Hagen, S.51) |
Unlängst
ist in der Sozialwissenschaftlichen Literaturrundschau der Trendbericht
Generationenrhetorik« und mehr: Versuche
über ein Schlüsselkonzept (H.39, 1999)
von Andreas LANGE erschienen, in dem auf den
"neuen Aufmerksamkeitsschub für ein
traditionsreiches Konzept" eingegangen wird.
Der Generationenbegriff ist in den
1990er
Jahren sowohl in der Publizistik als auch in den
Sozialwissenschaften zum Modebegriff geworden.
Während in den Medienberichten der
kulturspezifische Aspekt des Generationenbegriffs
in der wissenssoziologischen Tradition von Karl
MANNHEIM mehr oder weniger verkürzt Anwendung
findet, dominiert in der empirischen Forschung
ein Generationenbegriff, der gerade diesen Aspekt
ausklammert. In der Familiensoziologie bzw. in
den Erziehungswissenschaften stehen biologische
Abstammungsgenerationen im Vordergrund, während
das Interesse in der politischen Soziologie bzw.
den Politikwissenschaften den Kohortenjahrgängen
oder Altersgruppenbewusstseinen gilt.
Wer sich für
die erziehungswissenschaftliche und
familiensoziologische Generationendebatte
interessiert, der sei auf den Trendbericht von
LANGE verwiesen. Hier geht es dagegen um die
gegenwärtige Mediendebatte. "Das von
Mannheim entworfene Konzept der
Generationsabfolge ist zugleich ein Modell zur
Erklärung des historischen und sozialen
Wandels", schreibt HOERNING (1994). Verfolgt
man jedoch die Mediendebatte, dann geht es vor
allem um die Etikettierung bestimmter
Kohorten. Inwiefern diese
Zuschreibungsprozesse jedoch von sozialen Gruppen
aufgenommen und als generationsspezifische
Mentalität internalisiert werden, das ist die
entscheidende Frage.
Die 78er-Generation
Mediengenerationen
"Es geht um die Frage,
wie Medien - von Jukebox, Film und TV über PC, CD und MTV
bis zu Hypertext und Cyberspace - neue Generationen
form(at)ieren. In ihren Betrachtungen beleuchten die
Autoren Norbert Bolz, Christina von Braun, Jochen Hörisch,
Friedirch Kittler, Wolfgang Mühl-Benninghaus, Uwe C.
Steiner und Hubert Winkels das Beziehungsgeflecht der
verschiedenen Generationen mit den alten und neuen
Medien."
(aus: Klappentext 1997) |
In dem von
Jochen HÖRISCH herausgegebenen
Buch Mediengenerationen (1997), kommt der Autor
in dem Beitrag Was
generiert Generationen: Literatur oder Medien? Zur Querelle allemande zwischen Achtundsechzigern
und Neunundachtzigern zu dem Fazit, dass
Medien
keine Generationen generieren können.
Sein Pessimismus rührt aus dem gescheiterten
Versuch, eine 89er-Generation in der
68er-Nachfolge zu etablieren. Als weiteres Beispiel führt
er Reinhard MOHR an, der 1992 in dem Buch Zaungäste den Begriff der 78er geprägt hat :
Zaungäste. Die Generation, die nach der Revolte kam
"Die
78er, die heute auf die vierzig zugehen,
kamen zu spät zur Revolte der sechziger
Jahre und standen dann, in den Achtzigern,
vor den verschlossenen Türen der
reformierten Gesellschaft, die sie gar nicht
zu brauchen schien. Daß sie für eine
gewisse Larmoyanz und die große
philosophische Wehklage außergewöhnlich
anfällig waren, hing mit ihrer sozialen
Metaexistenz zusammen: Als Angehörige einer
historisch »überflüssigen«
Zwischengeneration fielen sie durch den
imaginären Rost des Zeitgeistes. Anders als
die »Alt-68er« und die postmodernen
»Neonkids« haben die 78er keine politisch
oder kulturell griffige Symbolik entwickelt,
die sie auf Anhieb identifizierbar machte.
Sie verfügten über kein Label,
kein Erkennungszeichen".
(1992). |
MOHR ist jedoch nicht der
erste, der "seine" Generation beschreibt. Drei Jahre zuvor
veröffentlichte Matthias HORX den Bestseller Aufstand im Schlaraffenland.
Selbsterkenntnisse einer rebellischen
Generation. HORX ist wie MOHR ein
78er, nur mit dem Unterschied, dass
er kein Label für seine Generation prägte.
Aufstand im Schlaraffenland. Selbsterkenntnisse einer
rebellischen Generation
"»Aufstand
im Schlaraffenland« ist die politische und kulturelle (Auto-)Biographie
einer Generation, die wie keine andere das Dagegensein
erprobte. In den 50er Jahren geboren, sind viele ihrer
Mitglieder auf die große Suche nach dem anderen
Leben gegangen - mit allen biographischen Konsequenzen.
Es ist die erste Generation in diesem Jahrhundert, die
ohne Krieg aufwuchs. Als erste wagte sie auf breiter Front
den Aufstand gegen die Eltern, wurde mit Drogenerfahrungen
konfrontiert und lernte, mit einer »nichtreproduktiven«
Sexualität umzugehen. Heute fühlt sie sich von den
pragmatischen Kids, den 68er-Kindern, verachtet, vom
»zweiten Boom« der Bundesrepublik überrollt und zwischen
Karriere und politischer Konsequenz hin- und hergerissen."
(aus: Klappentext 1989) |
HÖRISCH sieht in den 78ern ein
Etikett, das sich nicht durchgesetzt hat. Der im
gleichen Band erschienene Beitrag von Norbert
BOLZ 1953 - Auch eine Gnade der späten
Geburt ist jedoch auch wieder eine
Selbstbeschreibung eines 78er, der
die Erfahrungen seiner Generation medientheoretisch
auf den Punkt zu bringen versucht. Just im
gleichen Jahr als dieser Sammelband erscheint,
übernimmt Matthias POLITYCKI das Etikett von
MOHR. In der Zeitschrift Die Woche
entbrennt eine Debatte um die
78er,
mit deren Ergebnis POLITYCKI nicht zufrieden ist.
In der Süddeutschen Zeitung
(30./31.08.1997) spricht er von einer
"gesellschaftlichen Aufgabe als
Schwellengeneration zwischen 68ern und 89ern,
zwischen Schrift- und Hyperlink-Kultur". Die
Diskussion um die 78er bezeichnet er als
"das Gequake von satten Fröschen". POLITYCKIs Anliegen ist kein politisches, sondern
es geht ihm in erster Linie darum, Deutschland
davor zu bewahren "zum literarischen
Entwicklungsland zu werden". Im Jahr 1998 ist Band Die
Farbe der Vokale. Von der Literatur, den 78ern und dem Gequake
satter Frösche erschienen, in denen die Aufsätze von
POLITICKY zu dieser Debatte nachzulesen sind.
Kurze Zeit nach dem SZ-Artikel
erscheint sein Roman
Der
Weiberroman (1997). Also nur eine gelungene Public-Relation-Veranstaltung
für seinen Generationenroman? Das Buch wurde ein Bestseller und
im Jahr 2000 ist die Fortsetzung Ein Mann
von vierzig Jahren erschienen. Die
Generation der 78er ist also weiterhin im
Gespräch.
Die Single-Generation - Ein Begriff, der das Gemeinsame
der 78er und der Generation Berlin auf den
Punkt bringt
"Wir
sind nach 1947 und vor 1965 geboren. Wir waren also zu
jung für die Rebellion der 68er und zu alt für die
Rebellion der Generation Golf. (...). Spätestens
seit der Jahrtausendwende gelten wir als demografischer
Schrecken. Unsere Jahrgangsstärken liegen zwischen 806 000
(1948 Geborene) und 1 065 000 (1964 Geborene). Seit 1971
erreichte kein westdeutscher Jahrgang mehr unsere Stärke.".
(KITTLAUS
2006, S.110 ). |
Von der 89er-Generation über die Generation
Berlin zur Generation Golf
die 89er - Porträt einer Generation
"In
exemplarischen Portraits fängt der Autor die Stimmungen
unter den 89ern ein: vom politisch engagierten Schüler
über den Skinhead bis zur jungen Erbin und dem
erfolgreichen Öko-Unternehmer geben sie Auskunft über ihre
Erfahrungen und Erwartungen. Diese plastischen
»Schlaglichter« aus der Welt der neuen Generation
verbindet der Autor stets mit grundsätzlichen Überlegungen
zu Fragen der Ethik, des politischen Engagements, der
Verantwortung der Elterngeneration, der demokratischen
Zukunft unseres Landes. Denn eins steht fest: Diese
Generation wird in zehn Jahren das politische Klima in
Deutschland bestimmen."
(aus: Klappentext 1995) |
Auch die
89er-Generation ist nicht so tot, wie HÖRISCH glaubte,
auch wenn das Buch die 89er - Porträt einer Generation
von Claus LEGGEWIE, einem Angehörigen der 78er-Generation
nicht zündete.
Die 89er-Generation hat in der
Generation
Berlin einen Nachfolger gefunden.
Geprägt hat den Begriff der Soziologe Heinz
BUDE ("Generation
Berlin", 2001). Nach dem historischen Ereignis des
Mauerfalls von 1989 soll nun der Umzug der
Regierung von Bonn nach Berlin der
Kristallisationskern einer neuen Generation sein.
Ab in die Berliner Republik!
"Ich erhebe keine Forderung, sondern
beschreibe einen Prozess, der in der deutschen
Gesellschaft zu beobachten ist. Er hängt
zusammen mit der Abfolge von Generationen. Wir
erleben den Übergang von Erinnerung in
Geschichte, von Erfahrung in Repräsentanz. Es
mag sein, dass (...) nun die
Achtundsechziger-Generation wichtige
Schaltstellen besetzt, aber die jüngere
Generation, die um die Vierzigjährigen, muss
neue Ziele suchen, den Übergang
definieren".
(Heinz Bude im Interview des Deutschen Allgemeinen
Sonntagsblatt, 13.11.1998). . |
Inzwischen hat sich eine
SPD-Gruppe gefunden, die das neue Etikett übernommen hat. 1999
erscheint dort in der ersten Ausgabe der Aufsatz
Was ist die Generation Berlin? von BUDE. Die
Zeitschrift Berliner Republik soll dieser Generation
Breitenwirkung verschaffen (Anmerkung: Im Jahr 2017 wurde die
Zeitschrift eingestellt!). Eine weitere Totgeburt, weil die
jüngeren Kohorten eine unpolitische Generation sind?
Der Publizist Florian
ILLIES ist jedenfalls davon überzeugt. Mit der
Generation Golf
hat er dies auf den Begriff gebracht. Der
aktuelle Börsenboom ist die
erste große Leidenschaft seiner Altersgenossen (Badische
Zeitung 30.03.2000). Den gesellschaftlichen
Beitrag seiner Generation sieht er in der
"Ästhetisierung der Gesellschaft".
Damit meint er die Definition der eigenen
"Existenz über Werbesprüche und Labels in
den Jacketts" (Leipziger Volkszeitung
05.04.2000). Sein Kollege Benjamin von STUCKRAD-BARRE ist als
Mitglied des popkulturellen Quintetts gerade
sehr erfolgreich bei der Selbstvermarktung dieser
Ästhetisierung. Mit
Tristesse
Royale liegt ein Manifest dieser
Popliteraten vor, das einer geschmacksunsicheren,
orientierungswilligen Mittelschicht
Nachhilfeunterricht in den "feinen
Unterschieden" (Pierre BOURDIEU) gibt. Man versteht
sich als konsumästhetische Avantgarde:
Tristesse Royale
"Pervers
ist, daß wir letztendlich genau das Publikum
bedienen werden, das wir verachten (...).
Wenn ich zum Beispiel manchmal Etikettentips
schreibe, verrate ich Geheimcodes und gewisse
geheim vereinbarte Regeln und veröffentliche
sie in einer Zeitung. Das tue ich in einer
bewußten Zerstörung dessen, was ich auch
beklage. Niemand darf eigentlich wissen,
welche Kneipe (...) die beste ist, aber im
Moment, in dem ich es (...) schreibe,
zerstöre ich diesen Ort. Das ist unser
Beruf."
(Joachim Bessing 1999) |
Für Gustav
SEIBT von der ZEIT ist die
Generation Berlin nur ein politisch
motiviertes Wunschbild, während er die
Generation Golf bereits für eine
"soziologische und kulturelle Tatsache"
hält. Zumindest im feuilletonistischen
Elfenbeinturm ist die Aufregung um die
Generation Golf und das popkulturelle
Quintett groß. Nicht politische Zäsuren wie
Mauerfall und Regierungsumzug sind für ihn generationenstiftend, sondern ästhetische
Ereignisse wie "das Erscheinen des Werther
1774 oder das Auftreten Stefan Georges und Hugo
von Hofmannsthal in den neunziger Jahren des 19.
Jahrhunderts".
Für den
Politikwissenschaftler Markus KLEIN ("Gibt es die Generation
Golf?") steht die Generation Golf für den
Wandel
des Wertewandels:
Gibt es die Generation Golf?
"Der
Prozess der Umkehr des Wertewandels in den jüngeren
Geburtskohorten stellt sich (...) sehr komplex dar.
Die Generation Golf besaß demnach die größte
Prädisposition für postmaterialistische
Wertorientierungen, die zudem nicht länger durch die
formale Bildung moderiert wurde. Gleichzeitig aber kam es
in dieser Generation im Lebensverlauf zu einer drastischen
Abwendung von postmaterialistischen Wertorientierungen.
Die Umkehr des Wertewandels scheint demnach ein Prozess zu
sein, der primär von der Generation Golf vollzogen und
gelebt wurde."
(Markus KLEIN in der Kölner Zeitschrift für Soziologie
und Sozialpsychologie, Heft1, 2003, S.113) |
Welche Ereignisse erzeugen ein
Generationsbewusstsein und welchen gesellschaftlichen
Stellenwert haben Generationen?
Wir Fernsehkinder. Eine Generation ohne Programm
"Wir
sind das Ergebnis eines dreißigjährigen Feldversuches. An
uns wurde das Fernsehen ausprobiert. Schließlich waren wir
die erste Generation in Deutschland, deren Erziehung
maßgeblich von den Vorstellungen der Fernsehmacher geprägt
wurde"
(Walter Wüllenweber 1994) |
Können technische
Innovationen wie Radio, Fernsehen und neuerdings das Internet,
Generationen generieren? Eike HEBECKER ("Die Netzgeneration") scheint dies zu bejahen
und geht sogar noch einen Schritt weiter: Masse +
Medien = Generationskonflikt (taz
24.06.1999).
Die Netzgeneration. Jugend in der Informationsgesellschaft
"Die
Studie verbindet die aktuelle öffentliche Debatte zum
Thema Digitalisierung mit der gesellschaftlichen
Konstruktion von Jugend. Hebecker analysiert
Fremddeutungen und Selbstbeschreibungen der neuen
Mediengeneration sowie deren Funktion als Medium
gesellschaftlicher Selbstverständigung und
Zukunftsprojektion. Damit eröffnet er neue Perspektiven
auf die Frage der Generationenverhältnisse sowie der
Generationengerechtigkeit."
(aus: Klappentext 2001) |
Generation N oder Generation @,
werden die "Net-Kids" das
Generationenmodell der Zukunft? Halten wir fest:
Die Autoren sind sich uneins darüber, welcher
Art die Ereignisse sein müssen, um Generationen
zu generieren. Vielleicht haben aber alle ein
wenig recht. Es können politische
Ereignisse, ästhetische Stile oder technische
Innovationen sein, die zu einem neuen
Generationsbewusstsein beitragen.
68er, 78er, 89er,
Generation
Berlin, N, @ oder Golf. "Irgendwo da draußen muss es eine
florierende Generationenmanufaktur geben. Man kann nämlich
durchaus den Eindruck bekommen, dass jede Saison neue,
windschnittige Generationenmodelle wie am Fließband produziert
werden", beschreibt Dirk KNIPPHALS (taz
26.02.2000) den inflationären Gebrauch des
Generationenbegriffs. Da fällt es schwer, ein
weiteres Buch zum Thema zu rechtfertigen.
Für KNIPPHALS ist
das Gemeinsame der
aktuellen Generationenbegriffe:
Der Erfolg und sein Schrecken
"Sie konkurrieren um
die beste Konkurrenz zur 68er-Generation, die dafür als,
wenn auch negativer, Bezugspunkt darauf folgenden
Generationen erhalten bleibt".
(taz 29.04.2000) |
Ausgerechnet
die Generation Golf soll hier eine Ausnahme
machen?
Der Erfolg und sein Schrecken
"Was hier vorliegt, ist eine neue
Generation von Generationenbüchern. Illies
schreibt mit einer Chuzpe, für die 68 kein
Stachel, kein Anziehungspunkt und keine
Herausforderung mehr darstellt".
(taz 29.04.2000) |
Die
Nachfolge
der 68er versucht die Generation Golf
auf alle Fälle anzutreten, ob der negative
Bezugspunkt fehlt oder nicht.
Gregor DOTZAUER (Tagesspiegel
24.02.2000) sieht in der lautstarken Beschwörung
von Generationenzugehörigkeiten einen
"intergenerationellen Abgrenzungswahn",
der ein Indiz für das Brüchigwerden ihrer
Definitionsmacht ist. Die gesamtgesellschaftliche
Perspektive ist auf die Analyse von Jugendszenen
geschrumpft.
ROBERT LEICHT
(Tagesspiegel 15.10.1999) hält gar das
ganze Generationengerede für töricht und weist
darauf hin, dass selbst die 68er keine
"Generation im Kollektiv" waren. Er
fühlt sich in seinem "Differenzierungs- und
Erinnerungsvermögen" beleidigt.
Generationenkohorten sind voller Gegensätze.
Hans-Peter BARTELS erwidert darauf im Spiegel-Artikel:
Wühlen im Kinderparadies
"»Generation« ist wie
»Klasse« oder »Schicht« ein die Gesellschaft
strukturierender Kollektivsingular. Ohne solche
synthetischen Großbegriffe wäre alles noch viel
unübersichtlicher. Eine soziale Generation existiert nicht
in einem physischen Sinne, ihre Grenzen sind willkürlich,
verschiebbar. Ganz, wie man es sehen will".
(Spiegel 21.02.2000) |
Der
Generationenbegriff ein großer Vereinfacher, bei
dem "anything goes"? Das Entscheidende
und Substanzielle ist für BARTELS jedoch der
Generationenkonflikt:
Wühlen im Kinderparadies
"Das Gemeinsame der Jüngeren, der
skeptischen Generation, der Halbstarken, der
68er, der 78er, der Generation Golf, ist die
Distanzierung von den Älteren - auf Grund
eigener Erfahrungen, mit eigener Sprache, Musik,
Kleidung, Literatur, Ideologie, Organisation.
Selten mit all diesen Generationsinsignien
gleichzeitig. Ein paar neue Chiffren
genügen".
(Spiegel 21.02.2000) |
Damit folgt BARTELS der
Argumentation von Ulrike WINKELMANN in einem taz-Artikel:
Your generation, Baby
"Als provokant
genutztes Etikett, als Differenz produzierende
Debattenvokabel und als multifunktionale
Selbstverständigungskategorie hat die »Generation« in den
neunziger Jahren eine beachtliche Karriere gemacht.
Verallgemeinerungen, im intellektuellen Dickicht ebenso
notwendig wie geschmäht, werden möglich."
(taz 23.03.1999) |
Gustav SEIBT erklärt dagegen
im Zeit-Artikel
Aussortieren, was falsch ist den
inflationären Gebrauch aus dem "Charakter
Westdeutschlands als mobiler
Mittelstandsgesellschaft". Mit der einfachen
Formel "Wo wenig Klasse ist, ist viel
Generation" konstruiert er aus der MANNHEIM'schen
Unterscheidung von
Klassen- und Generationenlage einen Gegensatz, der
einleuchtend erscheint:
Aussortieren, was falsch ist
"Wo Klasse ist,
herrscht ein gewisses Maß von Tradition und
überindividuellem Stil; wo soziale Mobilität überwiegt,
kommt leicht der Mechanismus von Generationen mit ihren
Moden und Sonderkulturen in Gang."
(Die Zeit 02.03.2000) |
Klasse und
Generation sind jedoch keinesfalls Gegensätze,
sondern stellen unterschiedliche Perspektiven auf
die Gesellschaft dar, die Heinz BUDE in
dem Zeit-Interview
Von Machern und Halbstarken so beschreibt:
Von Machern und Halbstarken
"Die alten
sozialstrukturellen Kategorien, an die wir
gewöhnt sind - Klasse, Schicht, Milieu -, gehen
immer von der Vorstellung einer gewissen Konstanz
aus. Der Generationenbegriff stellt in Rechnung,
dass es kontingente Einwirkungen auf
Gesellschaften gibt, die über die Zeit eine
konstitutive Wirkung entfalten: Kriege,
Inflationen, Revolutionen, aber auch friedliche
Veränderungen wie die Einführung des Euro. Die
Erfahrung der Verzeitlichung des Sozialen ist der
Grund für die Konjunktur des
Generationenbegriffs. Wichtig ist dabei
allerdings, dass Generationen erst dadurch
zustande kommen, dass sich benachbarte Jahrgänge
als erlebnismäßige Einheit verstehen. Im
gefühlten und verstandenen
Generationszusammenhang findet der einzelne einen
Halt in der Geschichte - ganz unabhängig davon,
ob er nun an den generationsbildenden Ereignissen
beteiligt war oder nicht."
(Die Zeit 21.05.1999) |
Ulrich BARON erkennt in den
Generationendebatten gar einen evolutionären
Prozess. Er geht dafür in dem Artikel Der Mensch als
Saisonware bis in prähistorische
Zeiten zurück, um seine Vorstellungen über eine
Generationenfolge von Biologie über Soziologie
zum Markenartikel darzulegen. Festzuhalten ist,
dass man verschiedene Dimensionen des
Generationenbegriffs unterscheiden muss:
Der Mensch als Saisonware
"Denn neben der
biologischen Generation - der Geschlechterfolge von
Großeltern, Eltern, Kindern - gibt es noch eine
soziologische Generation, deren Mitglieder Alterstufe,
Lebensverhältnisse und Weltanschauung teilen, und
schließlich die Generation als Etikett der Medien und
Werbeindustrie."
(Welt 29.01.2000) |
Wer jetzt noch nicht genug
von der ganzen "Generationenrhetorik" hat und neugierig geworden
ist, der kann sich anhand der Beiträge auf dieser Website selbst über die
aktuelle Debatte informieren.
Generationen (2005)
"»68er-Generation«,
»Generation Golf«, »Generation Ally« oder »Generation
Golfkrieg«, »Generationenvertrag oder
»Generationengerechtigkeit«: In der Öffentlichkeit wird
der Begriff der Generation geradezu inflationär gebraucht.
Daneben ist das Leben in Generationen eine
Alltagserfahrung. Die Tatsache, daß jeder Mensch Eltern
hat, die meisten auch Kinder, gehört zu den persönlichen
Erfahrungen, die den Begriff »Generation« wie
selbstverständlich in unserer Sprache verankern. Darüber
hinaus ist die Konstruktion von »Generationen« eng mit der
Entstehung der europäischen Moderne verbunden, mit der
Differenzierung der einstigen Großfamilie und der
Entdeckung von Jugend als Entwicklungsbegriff.
»Generationen« erscheinen als kollektive Akteure, die
einen »natürlichen « Anspruch auf die Leitungspositionen
der Gesellschaft besitzen. Wurde vormals mit »Stand« oder
»Klasse«, später auch mit der Kategorie »Geschlecht«
Gesellschaft strukturiert, so hat mittlerweile der Begriff
der »Generation« einen ebenbürtigen Rang erhalten. Die
Autorinnen und Autoren dieses Bandes befragen kritisch die
unterschiedlichen Gebrauchsweisen des
»Generationenbegriffs« und erkunden historisch,
soziologisch, psychoanalytisch, medien- und
kulturwissenschaftlich die Bedeutung, die er für die
Wahrnehmung und Deutung von Geschichte und Gesellschaft
ebenso wie als Handlungsbegriff hat. Damit gibt der Band
nicht nur einen umfassenden und reflektierenden Überblick
zur aktuellen Generationenforschung. Er lotet auch die
Potentiale der Kategorie »Generation« für eine moderne
Sozialwissenschaft des 21. Jahrhunderts aus."
(aus: Klappentext 2005)
Generationen (2009)
"Die Beschäftigung mit Generationen hat
eine sehr lange Tradition - und ist weiterhin hochaktuell.
Bereits im Alten Ägypten wurden Probleme der
Generationenverhältnisse diskutiert, heutzutage ist das
Generationenthema in aller Munde, und für die Zukunft wird
sogar eine noch weiter zunehmende Relevanz prognostiziert.
Namhafte Autorinnen und Autoren einschlägiger Disziplinen
(Ägyptologie, Biowissenschaft, Erziehungswissenschaft,
Ethnologie, Geschichte, Literaturwissenschaft,
Politikwissenschaft, Psychologie, Publizistik,
Rechtswissenschaft, Soziologie und
Wirtschaftswissenschaft) diskutieren in diesem Band die
Thematik aus ihrer Sicht und eröffnen damit neue
Perspektiven auf das Problem der Generationen."
(aus: Klappentext 2009) |
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