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Einführung
Im November 2000
beschäftigte sich single-dasein.de zum ersten Mal
intensiver mit der Generationendebatte. In einem
Einführungsbeitrag, der auch ein Ausgangspunkt der Entstehung
dieser Website im Jahr 2002 war, wurde auf die damalige
Popularität des Generationenbegriffs in Medien und Wissenschaft
hingewiesen . Im
Jahr 2002 erschien der Sammelband
Generationen in Familie und
Gesellschaft, herausgegeben von Martin KOHLI und Marc
SZYDLIK
. In ihrer Einleitung sprachen die beiden Soziologen von
einer "Generationenettikierungswut", die Journalisten und
Soziologen ergriffen habe. Damals hatte die heftige Debatte um
den demografischen Wandel gerade begonnen, die im Jahr 2006
ihren Höhepunkt erreichte
, um
seitdem - zumindest in der Öffentlichkeit - wieder etwas in den
Hintergrund zu treten. In
diesem gesellschaftspolitischen Kontext muss die Kontroverse
gesehen werden, die sich um den Begriff "Generation" rankte. Die
Herausgeber sahen die begrifflichen Probleme damals weniger auf
dem Felde der familialen, sondern vielmehr auf dem Felde der
gesellschaftlichen Generationen.
Einleitung
"Wie kontrovers das Thema ist,
wird daran deutlich, daß von der einen Seite ein »Krieg
der Generationen« heraufbeschworen wird, während
andernorts von einer »neuen Solidarität der Generationen«
die Rede ist. (...).
Daß der Begriff »Generation« im Feld der Familie ganz
andere Sachverhalte anspricht als im Feld der
Gesellschaft, ist inzwischen hinreichend deutlich
geworden; die Forschung hat sich denn auch in den letzten
Jahrzehnten entsprechend ausdifferenziert."
(aus: Generationen in Familie und Gesellschaft 2002, S.7) |
Der Sammelband
Generationen in Familie und Gesellschaft trug viel dazu bei
den »Krieg der Generationen« zu relativieren. Die einzelnen
Buchkapitel Gesellschaft - Familie -
Verbindungen spiegelten zum einen die beiden Bedeutungen des
Generationenbegriffs wieder und zum anderen den thematischen
Schwerpunkt, der auf die Verbindungen zwischen den
Generationenkonzepten gelegt wurde . Der
Sammelband
Generationen, herausgegeben von Marc SZYDLIK &
Harald KÜHNEMUND, knüpft sowohl konzeptionell als auch
thematisch an den Band aus dem Jahr 2002 an, legt den
Schwerpunkt jedoch auf die Multidisziplinarität der
Generationenforschung. Der Band spiegelt damit auch einen
Wandel des Selbstverständnisses der Soziologen wieder. Es ist ein
Abschied von der Leitwissenschaft, die Martin KOHLI in seiner
Schlussbetrachtung auf den Punkt bringt.
Ungleichheit, Konflikt und Integration
"Entgegen einer
einst verbreiteten Fremd- und Selbstbeschreibung ist die
Soziologie nicht für alles zuständig. Sie ist auch nicht
der transdisziplinäre Schlüssel zu allen human- oder auch
nur sozialwissenschaftlichen Problemfeldern. Sie teilt,
wie dieser Band zeigt, das Generationenthema mit einer
ganzen Reihe anderer Disziplinen. Aber gerade bei diesem
Thema sind einige der grundlegenden Konzepte und Theorien
in der Tat im Rahmen der Soziologie ausgearbeitet worden,
und dieser Ursprung ist auch heute noch spürbar."
(aus: Generationen 2009,
S.229) |
Dieses neue soziologische
Selbstverständnis der Nach-68er hatte der prominente
Soziologe Heinz BUDE im Vorfeld des 33. Deutschen
Soziologentages über die Natur der Gesellschaft (2006) in
dem Artikel Politik des Bauchs (SZ 07.10.2006) formuliert. Die neue
Bescheidenheit hinsichtlich der Zuständigkeit der Soziologie
geht einher mit einer größeren gesellschaftlichen Akzeptanz, wie
zuletzt die Berufung des Soziologen Norbert F. SCHNEIDER zum
neuen Direktor des Instituts für Bevölkerungsforschung gezeigt
hat.
Der
von SZYDKLIK & KÜHNEMUND herausgegebene Sammelband
Generationen gibt einen hervorragenden Überblick über das
weite Feld der Generationenforschung. In dieser Rezension
wird der Schwerpunkt auf den Zusammenhang zwischen
demografischem Wandel und gesellschaftlichen Generationen
gelegt, denn dieser Aspekt ist heute noch genauso umstritten wie zu
Beginn dieses Jahrtausends.
Aufstand
der Jungen oder Aufstand der Alten? Warum einfache Fragen nicht
weiterführend sind
"Die Jungen werden verschaukelt"
"Yvonne Globert: Sie
haben an Ihrem Buch vor Einbruch der Finanzkrise
gearbeitet. Hätten Sie es mit dem Wissen von heute anders
geschrieben?
Wolfgang Gründinger: Im Prinzip hätte ich es etwa genauso
geschrieben, aber wohl noch stärker die Kapitaldeckung bei
der Rentenversicherung kritisiert - ich möchte nicht
wissen, wie viele Leute darauf gebaut haben, über den
Kapitalmarkt ihre Altersvorsorge zu sichern, und wie viele
jetzt mit leeren Taschen dastehen."
(Frankfurter
Rundschau vom 14.04.2009) |
Vor kurzem ist das Buch
Aufstand
der Jungen von Wolfgang GRÜNDINGER erschienen. Das Buch ist
gut platziert gewesen im Vorfeld des kommenden
Bundestagswahlkampfes. Wäre nicht die Finanz- und
Wirtschaftskrise dazwischen gekommen, dem Buch wäre große
mediale Aufmerksamkeit sicher gewesen. Was jedoch bemerkenswert ist: Ein Angehöriger der jungen Elite
sieht die Umstellung der Rentenversicherung auf die
Kapitaldeckung kritisch. Die in den Medien lange Zeit populäre
Absatzbewegung von der Umlagefinanzierten Rentenversicherung ist
zumindest momentan gestoppt. Für den Soziologen Martin KOHLI ist der
öffentliche Generationenvertrag in der Bevölkerung
populärer als in den Medien.
Ungleichheit, Konflikt und Integration
"Das Ergebnis ist
eindeutig: Ein Bewusstsein für Generationenkonflikte ist
in der Bevölkerung - anders als in vielen Medien - nicht
gegeben. Der öffentliche Generationenvertrag bleibt durch
alle Altersgruppen hindurch hoch populär."
(aus: Generationen 2009, S.235) |
Für KOHLI ist ein
"Aufstand der Alten" wahrscheinlicher als ein Aufstand der
Jungen, der gerne von den Verfechtern der privaten
Altersvorsorge beschworen wird. Davon abgesehen gibt es jedoch mehr offene Fragen als
Gewissheiten hinsichtlich Verlierer und Gewinner der
gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen. KOHLI macht in seinem Beitrag zur Bedeutung des
Generationenkonzeptes für die Soziologie auf die Problematik
des gesellschaftlichen Generationenbegriffs aufmerksam. Er
plädiert aufgrund der Abgrenzungsprobleme bei
historischen Generationen dafür das Augenmerk weniger auf
Generationen als auf Generationseinheiten zu richten.
Ungleichheit, Konflikt und Integration
"Möglicherweise
ist die Suche nach hoch aggregierten, alles
umgreifendenden Generationszusammenhängen in den meisten
Fällen zum Scheitern verurteilt, so dass die Ansprüche
tiefer gehängt werden sollten; es müsste eher darum gehen,
bereichs- und themenspezifische generationale Lagerungen
zu identifizieren und ihre Überlagerung durch
Lebenslaufstrukturen sowie ihre Reichweite im Hinblick auf
spezifische soziale Gruppen zu klären. Mannheims bisher
wenig ausgeschöpfter Begriff der »Generationseinheiten«
könnte dafür einen Ausgangspunkt bieten."
(aus: Generationen 2009, S.232) |
Was es bedeuten könnte,
den Begriff "Generationseinheiten" zum Ausgangspunkt von
Analysen zu machen, das wurde auf dieser Website im Jahr 2002
anhand der Generation Golf in der Jobkrise aufgezeigt
. In
der aufschlussreichen literaturwissenschaftlichen Studie
Generation Golf: Die Diagnose als Symptom hat Tom KARASSEK
ebenfalls auf diesen Aspekt aufmerksam gemacht.
Generation Golf: Die Diagnose als Symptom
"Legt
man diesen Generationenbegriff Karl Mannheims zugrunde, ließe
sich Generation Golf allenfalls als Dokument eines Vertreters
einer Generationseinheit verstehen, der seine Sicht auf die Welt
im ironischen Modus generalisiert und damit auf die anderen
Generationseinheiten ausdehnt. Doch verdeutlicht die auffällige
Absenz gesellschaftlicher Großereignisse in Generation Golf (die
deutsche Wiedervereinigung ist wenige Zeilen wert und
thematisiert bloß die Stillosigkeit der Ostdeutschen), dass der
Generationenbegriff eine andere Bedeutung trägt."
(2008, S.141) |
Skepsis äußert KOHLI auch,
wenn manche Autoren wie Franz-Xaver KAUFMANN
den
Generationenkonflikt als alternative Konfliktlinie zu Klasse
oder Schicht behandeln. Stattdessen fordert er die
Aufmerksamkeit auf ihre Interaktionen zu legen. Es stellt sich
dann zum einen die Frage, ob intergenerationale Konflikte
(Generationenkonflikte) tatsächlich intragenerationale (Klasse,
Schicht, Milieu) verdrängt haben. Zum anderen übersetzen sich
Strukturkonflikte nicht einfach in politische Konflikte, sondern
es müssen dabei institutionelle Aspekte berücksichtigt werden.
Ungleichheit, Konflikt und Integration
"Bei der Frage, ob
und wie aus ungleichen Lebenslagen - sei es zwischen
Generationen oder Klassen (oder anderen Dimensionen) -
reale soziale Konflikte entstehen, geht es um zwei
spiegelbildliche Prozesse: Mobilisierung und Integration.
Eine rein sozialstrukturelle oder sozio-kulturelle
Betrachtungsweise stößt hier an ihre Grenzen. Erforderlich
ist vielmehr ein institutioneller Ansatz, der die
Mechanismen und Medien der Mobilisierung und Integration
in den Blick nimmt."
(aus: Generationen 2009, S.234) |
Generationen aus historischer Sicht
Vier Beiträge des
Sammelbandes beschäftigen sich mit der Generationen-Geschichte.
Den Anfang macht Eckart VOLAND, der aus
evolutionsbiologischer Sicht
erläutert, wie es zur
Verlängerung der Lebensspanne beim Menschen gekommen ist. Im
Mittelpunkt steht dabei die Frage, welchen evolutionären Gewinn
mit der "Alterssterilität der Frauen nach der Menopause"
verbunden ist. VOLAND spricht hier von postgenerativer, aber
nicht von postreproduktiver Lebensspanne.
Altern und Lebenslauf
"Der für diesen
Lebensabschnitt häufig verwendete Ausdruck
»postreproduktive Lebensspanne« ist irreführend, denn auch
das Verhalten im Alter mag mit Konsequenzen für den
Lebensreproduktionserfolg verbunden sein, und solange dies
möglich bleibt, ist ein Organismus reproduktiv, auch wenn
er selbst keine Nachkommen mehr produziert."
(aus: Generationen 2009, S.29) |
Wer bislang der Auffassung
war, dass sich Evolutionsbiologen nur für die Vor- oder
Frühgeschichte der Menschheit interessieren, den wird es
erstaunen, dass VOLAND Belege in der Vormoderne, also im 18. und
19. Jahrhundert suchte, um Hinweise über den Beitrag von
Großmüttern zum reproduktiven Erfolg der Familie zu finden.
Im
Beitrag Väter und Söhne befasst sich Stephan SEIDLMAYER
mit Generationen aus Sicht der Ägyptologie. Über das Alte
Ägypten gibt es bislang nur Rudimentäres zum Thema, weshalb
SEIDLMAYER das populärwissenschaftliche Bild vom Alten Ägypten
problematisiert (z.B. "Projektion der dreiteiligen
Normalbiographie der Moderne auf das Alte Ägypten"), auf die
Schwierigkeiten mit den verfügbaren Quellen aufmerksam macht und
die Desiderate einer zukünftigen ägyptologischen
Generationenforschung benennt.
Der
österreichische Historiker Josef EHMER stellt im dritten Beitrag
des Themenblocks die sozialgeschichtliche
Generationenforschung vor. Generationen haben im
historischen Denken im Laufe der letzten Jahrhunderte einen
unterschiedlichen Stellenwert gehabt. Im 18. Jahrhundert stand
die Kontinuität der Generationenabfolge im Mittelpunkt
des Interesses, z.B. bei Johann Peter SÜßMILCH, dem Begründer
der Bevölkerungswissenschaft in Deutschland. Im 19. und 20.
Jahrhundert stand dagegen der Generationenbruch im
Vordergrund. Wenn
politisch-kulturelle Generationen als Jugendbewegungen
beschrieben wurden, dann stand dahinter die Annahme des
Philosophen Wilhelm DILTHEY, dass die geistige Prägung einer
Generation in Kindheit und Jugend erfolgt. Erstaunlich
ist es, dass ausgerechnet die historische Forschung der
Zwischenkriegszeit, in der Karl MANNHEIM seinen berühmten
Aufsatz über das Problem der Generationen verfasste, kaum
untersucht ist. Die deutsche Geschichtsforschung hat sich erst
relativ spät dem Generationenthema zugewandt.
Generationen in der historischen Forschung
"Wie es scheint,
entwickelten Historiker erst von den 1970er-Jahren an
neuerlich ein stärkeres Interesse an der Generation,
deutlich später als in den Sozialwissenschaften und im
intellektuellen Diskurs. Im Jahr 1984 beschäftigte sich
erstmals auf einem deutschen Historikertag eine eigene
Sektion mit dem Generationenthema, im Jahr 2000 ein
zweites Mal. Erst in den letzten drei Jahrzehnten setzte
in der Geschichtsforschung also jene Entwicklung ein, die
heute als »Konjunktur« (Weisbrod) des Generationenbegriffs
wahrgenommen wird."
(aus: Generationen 2009, S.67) |
Generationengeschichte war
bis ins 21. Jahrhundert eine männliche Geschichte. Dieser Aspekt
bleibt bei EHMER unterbelichtet. Näheres findet sich hierzu in
dem Beitrag Farbige Bescheidenheit von Kaspar MAASE zum Sammelband
Generationen,
herausgegeben von Michael WILDT & Ulrike JUREIT
.
Farbige Bescheidenheit
"Die
geschlechterpolitische Pluralisierung der
Generationendebatte scheint absehbar und ebenso, daß damit
der Abstand zum heroischen Aufbruchsmodell weiter wachsen
dürfte. (...).Kullmann beschreibt - wie Illies - nahe am
Alltag und an den Markenprodukten Lebensgeschichte und
Lebensgefühle (...) der Mittelschichtmädchen dieser
Jahrgänge, die eine Hochschulausbildung durchlaufen haben.
(...). Die »Generation Ally« tritt nicht an, um mit dem
Impuls einer gemeinsamen Erfahrung Altes abzulösen und die
Welt besser einzurichten, ja nicht einmal, um mehr Einfluß
zu fordern. Hier fragen sich Frauen um die 30, wie ein
befriedigenderes Leben aussehen könnte."
(2005, S.228f.) |
Familiale Generationen
sind ein Schwerpunkt der historischen Familienforschung, die
erst in den 1960er-Jahren im angelsächsischen Raum und später
auch in Deutschland entstand. Im Fokus stehen hier die
Verwandtschaft und der langsame Wandel. Vernachlässigt wird
deshalb meist, dass die generationelle Weitergabe von Besitz
oder der Leitung von Familienbetrieben auch zwischen
Nichtverwandten erfolgte. Patchworkfamilien und damit
soziale Elternschaft sind kein postmodernes Phänomen der letzten
Jahrzehnte, sondern waren auch die Realität in vormodernen
Gesellschaften. Abschließend geht EHMER noch auf Verbindungen zwischen
familialen und gesellschaftlichen Generationen ein, die in der
Bevölkerungsgeschichte und in der Historischen Demographie eine
größere Bedeutung erlangt haben. Auch im Bereich der Forschung
zur sozialen Mobilität und in der Migrationsforschung spielt das
Generationenkonzept eine wichtige Rolle. Und nicht zuletzt sind
in den letzten Jahren die ökonomische Generationenbeziehungen
und damit der Generationenvertrag in den Blick gekommen.
Generationen in der historischen Forschung
"In den letzten
Jahren sind ökonomische Generationenbeziehungen, vor allem
der so genannte Generationenvertrag, zu einem
Schwerpunktthema der sozialwissenschaftlichen Forschung
geworden. In Deutschland hat etwa Martin Kohli in
zahlreichen Studien den Zusammenhang - bis hin zur
Komplementarität - zwischen gesellschaftlichen und
familialen Transfers untersucht (...). In der historischen
Forschung ist diese Perspektive noch wenig entwickelt
(...). In Deutschland hat Christoph Conrad (2994) erstmals
eine systematische Verknüpfung von Familienzyklus,
Verwandtschaft, Transitionen im Lebenslauf und
Sozialpolitik angestrebt. Seit kurzem liegt mit Gerd
Hardachs »Der Generationenvertrag« (2006) ein
Versuch vor, über die letzten beiden Jahrhunderte hinweg
die Beziehungen zwischen Erwerbstätigkeit, öffentlichen
und familialen Transfers allgemein und umfassend zu
untersuchen."
(aus: Generationen 2009, S.76) |
Nach den Ausführungen von
EHMER darf man auf die zukünftigen Forschungsergebnisse in
diesem Bereich gespannt sein.
Im
letzten Beitrag des Themenblocks gibt der
Erziehungswissenschaftler Helmut FEND einen Überblick
darüber, was die Eltern ihren Kindern mitgeben. In
Deutschland können Fragen des intergenerationellen Austausches
mit der Längsschnittstudie LifE (Lebensverläufe ins frühe
Erwachsenenalters) überprüft werden. 3 Aspekte stehen in der
Pädagogik im Mittelpunkt des Interesses:
1) Investitionen der Eltern in Bildung und Ausbildung ihrer
Kinder ("Vererbung" von Bildungs- und Berufsstatus).
2) Wertevermittlung und
3) Auswirkungen von Scheidungserfahrungen auf
Bindungsbereitschaft und - fähigkeit, auf die im Beitrag von
FEND leider nicht näher eingegangen wird.
In
der Soziologie ist vor allem durch die Untersuchungen von
Michael HARTMANN die Bedeutung der Herkunft für den Berufserfolg
publik geworden. Anhand
der LifE-Studie lässt sich die "Bildungsvererbung"
nachweisen, wobei dies sowohl für den formalen Schulabschluss
als auch für den Habitus gilt, der bei FEND als kulturelle
Orientierung der Kinder bezeichnet wird. Bei
der Wertevermittlung geht FEND näher auf die Ergebnisse der LifE-Studie
zur "Vererbung" politischer Orientierung und religiöser
Überzeugungen ein.
Generationen aus gesellschaftsvergleichender
Perspektive
Erdmute ALBER stellt die ethnologische Generationenforschung am Beispiel Afrika
vor. Dort haben sich die Generationenbeziehungen durch den
Wandel der ökonomischen und politisch-sozialen Verhältnisse
verändert. Anhand dreier Fallbeispiele aus Westafrika zeigt
ALBER die neue Vielfalt der Generationenbeziehungen auf, die
nichts mehr mit dem romantischen Afrikabild der älteren
Ethnologie zu tun haben. Das neue Bild der afrikanischen
Generationenbeziehungen ist aber wohl auch einem
veränderten Generationenkonzept geschuldet, das Ethnologen heutzutage
anwenden.
Ethnologische
Generationenforschung in Afrika
"Der Fokus neuerer
Forschungen auf den Gesellschaftswandel legt die Frage
nahe, ob die Generationenbeziehungen in Afrika heute
wandlungsfähiger sind als »früher« oder ob es sich um eine
Verschiebung der Forschungsperspektive handelt, die dazu
führt, dass die Wandlungsfähigkeit in den neueren Arbeiten
stärker betont wird. Mein Eindruck ist, dass eher
letzteres zutrifft, und dass der neue Fokus auf
Wandlungsprozesse nicht zuletzt darin begründet liegt,
dass die neueren Forschungen häufig einen auf Karl
Mannheim zurückgehenden Generationenbegriff verwenden.
Ältere Konzepte aus der Verwandtschafts- und der
Altersklassenforschung hingegen waren in ihrer Anlage
stärker einer Idee der Beständigkeit der
Generationenbeziehungen verhaftet und betonten daher nicht
nur eher ihre Statik, sondern vor allem ihre
stabilisierende Funktion. "
(aus: Generationen 2009, S.109) |
Im Weiteren erörtert ALBER
die verschiedenen Generationenbegriffe in der ethnologischen
Fachtradition. Sie unterscheidet dabei Generationen als
Ordnungsprinzip im Sinne des Volkskundlers Heinrich SCHURTZ ,
als Verwandtschaftsbegriff im Sinne des britischen
Strukturfunktionalismus bzw. des französischen Strukturalismus
und als Kohorte im Sinne von Karl MANNHEIM. Abschließend benennt
ALBER Forschungslücken der neueren Generationenforschung, die es
zu schließen gilt.
Im zweiten Beitrag des Themenblocks berichten Gisela TROMMSDORFF
& Isabelle ALBERT über die kulturvergleichende
Generationenforschung. Dabei steht die Beziehungsqualität in
Mehrgenerationenfamilien im Mittelpunkt. Am Beispiel des
Vergleichs von Kulturen mit konfuzianischer Tradition wie China,
Korea oder Japan mit Deutschland erläutern TROMMSDORFF & ALBERT
den Wert kulturvergleichender Generationenforschung. Wer sich
näher für das Projekt "Value of Children and Intergenerational
Relations" interessiert, der sei auf das aktuelle Heft der
Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation
verwiesen. Das Heft 1/2009 beschäftigt sich mit dem
Schwerpunktthema Familienbeziehungen in Russland und
Deutschland.
Familienbeziehungen in Russland und Deutschland -
Einführung in den Themenschwerpunkt
"Hinsichtlich
Familie und Verwandtschaft weisen Deutschland und Russland
deutliche Unterschiede in den kulturellen Traditionen auf.
Während in Deutschland späte Eheschließung, neolokale
Haushaltsgründung und damit die Einheit von Ehe und
Haushalt und die bi-lineare Abstammung zu den überkommenen
Charakteristika privater Lebensführung gehören, hat
Russland eine Tradition früher Heirat, patrilinearer
Abstammung und patrilokaler Haushaltsgründung und damit
eine Tradition komplexer Haushaltsstrukturen. Beide
Traditionen bieten jeweils unterschiedliche
Voraussetzungen für die Anpassung an die Erfordernisse
moderner Gesellschaften und für die Bewältigung
ökonomischer Krisen."
(Bernhard Nauck & Gisela Trommsdorff, ZSE H.1/2009, S.6) |
Generationen in Literatur und Medien
Der
Literaturwissenschaftler Daniel Müller NIELABA betrachtet das
Generationenthema unter drei Gesichtspunkten: Erstens als
Strukturmerkmal der Fachgeschichte, zweitens als narratives
Grundmuster literarischer Erzählungen am Beispiel der Romane
Hundjahre (Günter GRASS) und Buddenbrooks (Thomas
MANN) und drittens als epistemologische Denkfigur literarischer
Texte. Der letzte Punkt wird ausführlicher behandelt. Zur
Erläuterung werden die Ringparabel aus Gotthold Ephraim LESSINGs
Drama Nathan der Weise sowie Joseph von EICHENDORFFs
Novelle Das Marmorbild herangezogen. Das Theorem der
Einflussangst des US-amerikanischen
Literaturwissenschaftlers Harold BLOOM macht für NIELABA die
generative Verfaßtheit von Literatur verstehbar.
Der
Kommunikationswissenschaftler Heinz BONFADELLI behandelt
ältere Menschen in Medienpraxis und Forschung. Er
konstatiert eine Vernachlässigung der älteren Generation. Vier
Forschungsfelder lassen sich unterscheiden:
1) Senioren als Zielgruppe von Werbung und Medien.
2) Die Darstellung älterer Menschen in Werbung und Medien.
3) Die Nutzung traditioneller Medien durch ältere Menschen und
4) die Nutzung neuer Medien wie das Internet.
Neu ist das Interesse an Mediengenerationen, die durch eine
unterschiedliche Mediensozialisation gekennzeichnet sind.
Medien und Alter
"Erst in jüngster Zeit
wird neben den biographisch-lebensgeschichtlichen
Einflüssen auch der zeitgeschichtliche Aspekt
stärker thematisiert. Fragen nach dem Wandel von
Mediengenerationen im Zeitverlauf oder nach
Generationsverhältnissen im Medienumgang kommen so ins
Blickfeld (Hörisch 1997)."
(aus: Generationen 2009, S.150) |
In der Werbung werden
ältere Menschen unter Labels wie "Best Ager" oder "Silver
Surfer" angesprochen. Neuerdings wird auch innerhalb der älteren
Menschen nach Lebenseinstellungen und -stilen unterschieden. Die Darstellung älterer Menschen ist nach BONFADELLI immer
noch durch Unterrepräsentanz und meist negative Stereotypen
geprägt. Außerdem werden alte Menschen als soziales Problem und
Belastung (Stichwort Gesundheitskosten, Rentenfinanzierung)
dargestellt. In einem Beitrag von single-generation.de
über die Gesellschaft der Langlebigen aus dem Jahr 2003
wurde ausführlich auf diese Problematik eingegangen
.
BONFADELLI weist aber auch auf einen neuen US-amerikanischen
Trend hin, wo ältere Menschen inzwischen "vermehrt auch als
stark, gesund, aktiv und wohlhabend, ja sogar sexy dargestellt
werden".
Zur Mediennutzung gibt es
nach BONFADELLI im deutschsprachigen Bereich jährliche,
repräsentative Erhebungen, die nach Altersgruppen unterscheiden.
Anhand der Erhebungen sind Aussagen über Häufigkeit, Dauer und
bevorzugte Tageszeiten der Mediennutzung sowie über
Themeninteressen möglich.
Generationengerechtigkeit
Das Thema
Generationengerechtigkeit wird aus volkswirtschaftlicher,
rechtlicher und politikwissenschaftlicher Perspektive
betrachtet. Wohl kein anderes Generationenthema wird in
Deutschland ähnlich kontrovers diskutiert. Im
ersten Beitrag stellen Stefan BACH & Gert G. WAGNER das
Generationenkonzept in der Volkswirtschaftslehre vor.
Generationenbeziehungen kommen in den Blick bei den
umlagefinanzierten Sozialsystemen, der Staatsverschuldung und
bei der Erbschaftssteuer. In den letzten Jahren wird in der
politischen Debatte bei diesen Themen vermehrt
Generationengerechtigkeit eingeklagt. Im
Gegensatz zur Soziologie ging es bislang in der
Volkswirtschaftslehre weniger um konkrete Generationen, sondern
um abstrakte Generationen - ob im mathematischen Modell oder in
computergestützten Simulationsmodellen. Inzwischen nähern sich
die Methoden jedoch denen der empirischen Soziologie und
Psychologie an, wodurch man sich eine größere Realitätsnähe
erhofft. Anhand
zweier Beispiele aus der angewandten Volkswirtschaftslehre
erläutern BACH & WAGNER die Rolle der Generationenbeziehungen.
Als erstes wird das Prinzip der umlagefinanzierten
Rentenversicherung als System permanenter
Aushandlungsprozesse zwischen den Generationen erläutert. Die
Einführung der Kapitaldeckung würde nach Ansicht von BACH &
WAGNER den Konflikt nicht entschärfen, sondern nur auf andere
Gebiete verlagern. Die "permanente Zahlungskrise" der
Rentenkasse erscheint in dieser Sicht nicht als bedrohlich,
sondern als systemnotwendig, um zu einem vernünftigen Konsens zu
gelangen.
Generationen in der Volkswirtschaftslehre
"Man muss nüchtern
feststellen: Streit um die Rente ist unvermeidbar, da auf
jeden Fall produktive Erwerbstätige an Ruheständler etwas
abgeben müssen (...). Letztlich geht es um die Verteilung
von Ressourcen zwischen den Generationen. Deswegen sollten
wir die permanenten Konflikte um die Rentenversicherung
gelassen betrachten. Denn der ständige Streit belegt, dass
permanent ein gesellschaftlicher Ausgleich, d.h.
Generationen»gerechtigkeit«, gesucht und mehr oder weniger
gefunden wird. »Das gerechte« Steuer- oder Sozialsystem
kann aber nicht wissenschaftlich abgeleitet werden,
sondern muss im politischen Diskurs gefunden werden. Die
mitunter hysterischen Debatten um die permanente
Rentenkrise sind also so gesehen ein gutes Zeichen, da sie
zeigen, dass die Politiker ihre Arbeit erledigen."
(aus: Generationen 2009, S.177f.) |
Viel war in den letzten
Jahren in der öffentlichen Debatte von der Erbengeneration zu hören. Während BACH & WAGNER die
Erbschaft und ihre mögliche Reform unter verteilungspolitischen
Gesichtspunkten anhand von repräsentativen Daten des
Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) diskutieren, erläutert Nicola
PREUß die Enterbung von Kindern als Generationenkonflikt im
Recht. Im Mittelpunkt steht dabei die Diskussion des
Pflichtteilsrechts als Teilgebiet des Erbrechts. Nach einem
Streifzug durch die Rechtsgeschichte wird der aktuelle Streit
über die Berechtigung des Pflichtteilsrechts dargelegt. Ein
Hauptstreitpunkt ist, inwieweit der Staat
Generationensolidarität erzwingen darf.
Generationenkonflikt im Recht - Die enterbten Kinder
"Dem
Verfassungsgericht wird seitens der Literatur zu Recht
vorgeworfen, mit der Anknüpfung an den
»materiell-wirtschaftlichen Bereich« der
Familiengemeinschaft die Fiktion des Familienvermögens
aufgegriffen zu haben, die in unserer Rechtsordnung gerade
keine Verankerung gefunden hat (...). Eine oktroyierte
Familiensolidarität kann nicht auf den Schutzauftrag der
Verfassung gestützt werden. Familiensolidarität sollte
nicht staatlich verordnet werden, sondern sie muss aus den
tatsächlich gelebten sozialen Beziehungen entstehen."
(aus: Generationen 2009, S.204) |
Im letzten Beitrag des
Themenblocks geht der Politikwissenschafter Christoph
Butterwegge auf den Zusammenhang von Sozialstaat, demografischen
Wandel und Generationengerechtigkeit ein. Er kritisiert, dass
sich die Politikwissenschaftler aus dem Generationenthema
heraushalten und das Thema weitgehend den Soziologen überlassen.
Sozialstaat, demografischer Wandel und
Generationengerechtigkeit
"Obwohl die »Schrillheit
der Schlagworte« dieses Begriffsfeldes wie »Krieg der
Generationen« (...) auf politische
Auseinandersetzungen - Verteilungskonflikte und
Machtkämpfe im Sozialstaat - verweisen, hält sich die
Politikwissenschaft bedeckt. Wenn das Thema in deren
Fachdiskurs überhaupt auftaucht, dreht sich alles um die
Frage, was unter »Generationengerechtigkeit« zu verstehen
ist, wie stark diese in der Vergangenheit missachtet wurde
und auf welche Weise man sie mittels entsprechender
Reformen in der (Sozial-)Politik verwirklichen kann (...).
Tagespolitisch aktuell und damit für die Fachwissenschaft
von größerer Bedeutung ist der Themenkomplex vermutlich
nur, weil er auf der parlamentarischen Agenda steht und
sich mehrere jüngere Bundestagsabgeordnete seit geraumer
Zeit bemühen, »Generationengerechtigkeit« durch eine
fraktionsübergreifende Initiative als Staatsziel im
Grundgesetz zu verankern."
(aus: Generationen 2009, S.209) |
BUTTERWEGGE bemängelt,
dass die demografische Entwicklung in Deutschland fast
ausnahmslos als Krisen- bzw. Katastrophenszenario
dargestellt wird, die zur Anpassung der sozialen
Sicherungssysteme zwingt. Ausführlich
zeichnet BUTTERWEGGE die politische Debatte in den Medien
nach, die seit dem Jahr 2001 geführt wird. Insbesondere
die Phase zwischen 2003 und 2006 wird anhand vieler
Presseartikeln beleuchtet. BUTTERWEGGE macht auf die ideologische
Schieflage der Debatte aufmerksam, die erst nach der
Entgleisung im März 2006 abebbte.
Sozialstaat, demografischer Wandel und
Generationengerechtigkeit
"Alles, was es im
Hinblick auf die demografische Entwicklung an
Übertreibungen im deutschen Blätterwald gegeben hatte,
wurde in den Schatten gestellt, als das von
Unternehmensstiftungen und privaten Geldgebern
finanzierte, auf die Beeinflussung der öffentlichen
Meinung zielende Berlin-Institut für Bevölkerung und
Entwicklung im März 2006 seine Studie »Die demografische
Lage der Nation« (Kröhnert u.a. 2006
)
präsentierte und dabei auch vor der Falschmeldung,
Deutschland liege bei der Geburtenrate »seit über 30
Jahren weltweit auf dem letzten Platz«, und spektakulären
Überschriften wie »Nach dem Menschen kommt der Wolf« nicht
zurückschreckte (vgl. dazu: Bosbach 2006, 64f.
[mehr]). Damit
hatten die Dramatisierer den Bogen jedoch offenbar
überspannt. Obwohl die am 7. November 2006 veröffentlichte
11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung
vor allem deshalb
problematischer als die 10. ausfiel, weil das Statistische
Bundesamt (...) diesmal geringere Zuwanderungsraten
unterstellt hatte, fiel das Medienecho moderater aus."
(aus: Generationen 2009, S.212) |
In einem weiteren
Schritt erläutert BUTTERWEGGE wie durch die
Demografisierung sozialer Problem die Demografie zur
Demagogie wird. Der Politikwissenschaftler macht die
Ausblendungen sichtbar und relativiert dadurch die
Krisenszenarios. Zuletzt
nimmt sich BUTTERWEGGE den politischen Kampfbegriff
"Generationengerechtigkeit" vor, der vielfach im
Zusammenhang mit Nachhaltigkeit als neues Leitbild der
Sozialpolitik erscheint. Es zeigt sich jedoch, dass der
Begriff zum einen Unschärfen und zum anderen eklatante
Schwächen aufweist. Wenn soziale Gerechtigkeit durch
Generationengerechtigkeit ersetzt wird, dann ist
Misstrauen angebracht, wie der Soziologe Martin KOHLI zu
Recht eingewandt hat
.
Fazit: Das Buch gibt einen hervorragenden
Überblick über die aktuelle Generationenforschung
Im neuen Jahrtausend sind
viele wissenschaftliche Bücher zum Thema Generationen in Familie
und Gesellschaft erschienen. Der von Marc SZYDLIK & Harald
KÜHNEMUND herausgegebene Sammelband Generationen hebt
sich dadurch hervor, dass darin verschiedene Fachvertreter das
Thema aus ihrer Fachperspektive betrachten. Damit ist das Buch
nicht nur für Soziologen besonders wertvoll, sondern auch für
Evolutionsbiologen, Historiker, Wirtschaftswissenschaftler,
Ethnologen, Juristen und viele andere.
Das
Buch gibt einen hervorragenden Überblick über das weite Feld der Generationenforschung. Es regt außerdem
dazu an, beim Generationenthema gewohnte Bahnen zu verlassen und
das Thema neu in den Blick zu nehmen. Der Sammelband ist deshalb
allen zu empfehlen, die sich näher mit Generationen befassen
möchten. Er ist sowohl für diejenigen interessant, die sich
erstmals mit dem Thema befassen. Durch das Aufzeigen von
Forschungsdefiziten -lücken und Forschungstrends bietet sich das
Buch aber auch für diejenigen an, die auf der Suche nach einem
Thema für eine wissenschaftliche Arbeit sind.
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