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Thema des Monats

 
       
   

Generation Golf

 
       
   

Eine aufschlussreiche literatursoziologische Studie von Tom Karasek nimmt Generation Golf als Symptom des gesellschaftlichen Wandels in den Blick

 
       
     
       
   
     
 

Einführung

Mit dem Ende der New Economy kam auch die bis dahin unangefochtene makrosoziologische Lifestylesoziologie in die Krise. Wurden Singles kurz zuvor noch als Pioniere der Moderne gefeiert, so galten sie plötzlich als Symbole eines Irrwegs . Das makrosoziologische Diagnoseunternehmen von Ulrich BECK bis Stefan HRADIL kam dadurch in Erklärungsnöte. HRADIL erläutert das Dilemma der Makrosoziologie neuerdings folgendermaßen:

Vom Leitbild zum »Leidbild«: Singles als Symbole der Moderne

"Die Gegentendenzen weg von der »Versingelung« werden von den gesellschaftlichen »Frühwarnsystemen« - nein, damit meine ich nicht die Soziologie, die ist kein Frühwarnsystem, die hinkt mit ihrem Zwang, Entwicklungen durch Massendaten nachweisen zu müssen, hinter den Spitzen der Entwicklung zwangsläufig hinterher, sondern ich meine mit »Frühwarnsystemen« die Künste, die Literatur, die Filmemacher, die Theaterautoren und dann auch die Werbung - schon seit einiger Zeit registriert."
(2007, S.142)

Vor dem Hintergrund des rapiden sozialen Wandels der letzten Jahre wundert es deshalb kaum, dass seit einigen Jahren die Literatursoziologie neuen Aufschwung genommen hat. Im Jahr 2003 erschien das Buch Literatur als Soziologie von Helmut KUZMICS, ein Jahr später der Sammelband Die Literatur der Gesellschaft, in dem die  gegenwartsdiagnostischen Leistungen der Literatur in den Blick genommen wurden. Es war vor allem der Erfolg der Romane Ausweitung der Kampfzone und Elementarteilchen des französischen Popliteraten Michel HOUELLEBECQ, der Soziologen fragen ließ, ob Schriftsteller nicht die besseren Soziologen seien.

Die Gesellschaft der Literatur

"Ein (...) Konkurrent für die Soziologie in der Aufklärung der Gesellschaft über sich selbst ist (...) die Literatur. Literarische Interpretationen der Gesellschaft sind weder - wie die Massenmedien - an Aktualität, noch an  wissenschaftliche Wahrheit gebunden. Und doch schaffen es literarische Texte immer wieder, Aktualität und Wahrheit nicht nur zusammenzuführen, sondern sogar präziser auf den Punkt zu bringen, als dies Soziologen oder Journalisten gelingt. Nicht nur die Interpreten, auch die Leser der Romane Franz Kafkas oder Michel Houellebecqs sind ohne Zweifel zahlreicher, als man dies für Max Weber oder Michel Foucault sagen kann.
Angesichts dessen lässt sich die Idee, die zu dem vorliegenden Sammelband führte, auf die Frage bringen: Liefert Literatur vielleicht sogar bessere (genauere, tiefgreifendere, differenziertere...) Diagnosen der Gegenwartsgesellschaft als die Soziologie?"
(Thomas Kron & Uwe Schimank, 2004, S.11)

In diesem Jahr ist nun die Dissertation Generation Golf: Die Diagnose als Symptom des Sprachwissenschaftlers Tom KARASEK erschienen. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht das Erfolgsbuch Generation Golf des Journalisten Florian ILLIES, das im Jahr 2000 - also im Zenit der Popliteratureuphorie  - erschienen ist. KARASEK geht davon aus, dass eine "literarische gesellschafts- und Generationendiagnose" wie Generation Golf nur im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen und literarischen Wandel angemessen analysiert werden kann. Generation Golf kommt damit als Symptom des gesellschaftlichen Wandels in den Blick.

Generation Golf: Die Diagnose als Symptom

"Die grundsätzliche Frage ist, unter welchen Bedingungen ein Text wie Generation Golf möglich und erfolgreich werden konnte und welche Produktionsprinzipien diesem Text zugrunde liegen: Welche Strategien gelangten dabei zur Anwendung, in welchen Kontexten bewegte sich der Text, welches Material griff er auf (und welches nicht), weshalb wurden gerade diese Strategien gewählt, weshalb konnten sie ihre Wirkung erzielen? Wie lässt sich die Wahl der Strategien und Prinzipien schließlich als Teil eines Gesellschafts- und Mentalitätswandel verstehen (...)?
Dies bedeutet, den Text nicht nur als gesellschaftliche Diagnose zu begreifen, als die er selbst auftritt und als die er rezipiert wurde, sondern als Symptom eines gesellschaftlichen Wandels, der diesen Text überhaupt erst möglich und zirkulationsfähig machte."
(2008, S.14)

Nachfolgend soll gezeigt werden, dass ein solcher literatursoziologische Blick hilfreich ist, wenn es darum geht, die Machtkämpfe der vergangenen Jahre um die kulturelle Hegemonie in Deutschland besser zu verstehen.

Die gewinnbringende Verknüpfung von Gesellschaftstheorie mit sprach- und literaturwissenschaftlichen Analyseverfahren

Die Studie von Tom KARASEK profitiert von einem interdisziplinären Blick. Dadurch wird sichtbar, dass sich Generation Golf im Schnittpunkt einer Vielzahl von gesellschaftlichen Debattensträngen befindet. Es ging in Generation Golf nicht nur um eine Generationendebatte, sondern auch um Positionierungen auf dem Feld der Popliteratur, des demografischen Wandels und der Reformpolitik. Erst vor dem Hintergrund dieser Debatten kann der Erfolg eines Buches wie Generation Golf angemessen beurteilt werden. KARASEK wendet - auf die deutschen Verhältnisse modifiziert - die Habitus-Theorie und die Theorie des literarischen Feldes von Pierre BOURDIEU an, um die soziale Position und die Laufbahn von Florian ILLIES zu bestimmen und die Gesellschaftsdiagnose in Generation Golf sozialräumlich einzuordnen.

Um den neuen Geist des Kapitalismus zu erfassen wird auf Luc BOLTANSKI & Éve CHIAPELLO und die Theorie des Postfordismus zurückgegriffen. Um das damit verbundene neue Identitätsregime herauszuarbeiten findet das Konzept der Gouvernementalität in der Tradition von Michel FOUCAULT Anwendung, das für Deutschland insbesondere von Ulrich BRÖCKLING u.a. fruchtbar gemacht wurde. KARASEK setzt sich in seiner Arbeit auch mit den typischen Einwänden zu diesen Theorieansätzen auseinander, die insbesondere aus der Systemtheorie LUHMANNscher Provienz kommen oder von poplinken Kreisen geäußert werden, die kulturalistische Ansätze bevorzugen. Mit diesem Rüstzeug im Rücken gelingt Tom KARASEK eine umfassende Analyse der Generation Golf im Kontext vielfältiger Debattenstränge, die nach einer Verortung im journalistischen und literarischen Feld, kurz umrissen werden.

Florian Illies und Generation Golf im Kontext des journalistischen und literarischen Feldes

KARASEK zeichnet ein plastisches Bild der Stellung von Florian ILLIES im journalistischen und literarischen Feld. Dies fängt an bei biographischen Daten, die deutlich machen, dass ILLIES bereits durch seine Herkunft als viertes Kind einer Professorenfamilie in einem nordhessischen Dorf eine privilegierte Stellung innehatte. ILLIES erwarb sich an der Eliteuniversität Oxford, wo er Geschmacksgeschichte studierte, das kulturelle Kapital, das auch die Gründung und Herausgeberschaft des Magazins Monopol ab 2004, also nach dem Weggang bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und nach dem Abschluss des Buches Generation Golf zwei (das mit einem hohen Vorschuss bedacht wurde), ermöglichte. KARASEK zeigt auf, dass weite Teile des Textes von Generation Golf bereits vorher als Zeitungsartikel bei der FAZ erschienen sind und seine Ehe mit Amelie von HEYDEBRECK zusammen mit seiner Prominenz durch Generation Golf die Etablierung der Kunstzeitschrift Monopol erleichterte.

Generation Golf: Die Diagnose als Symptom

"Zusammen mit seiner Frau Amelie von Heydebreck, Tochter des Bankers Tessen von Heydebreck (u.a. Vorstandsmitglied der Deutschen Bank) gründete er im April 2004 das Kunst- und Lifestylemagazin Monopol - Magazin für Kunst und Leben. Jenes selektiert allein durch den Kaufpreis von 7,50 Euro bereits die Käuferschicht und adressiert vor allem diejenigen, denen das kulturelle Gegenstück zum ökonomischen Kapital fehlt, und die distinktions- und repräsentationsförderndes Überblickswissen in Kunstgeschichte und Stilistik benötigen sowie entsprechende Belehrungen akzeptieren. Es handelt sich dabei also um jenen Teil der Generation Golf, der als neoaristokratischer  »Starnberger-See-Düsseldorf-Bonn-Berlin [...]-Teil« (...) klassifiziert wurde und in dem »zuviel Geld« auf »zu wenig Geschmack« trifft (bei gleichzeitigem Wissen über die Notwendigkeit standesgemäßer Distinktion)".
(2008, S.90)

KARASEK zeigt weiter auf, in welchem bildungsbürgerlichen Umfeld sich Bücher wie Generation Golf und Zeitschriften wie Monopol bewegen. Es werden Netzwerke sichtbar gemacht, die Generation Golf im Kontext der späten Popliteratur ansiedeln. KARASEK sieht in der Ausstattung mit Kapitalien und der Ableistung von Stationen von ILLIES nahezu das "Ideal einer geglückten bildungsbürgerlichen Laufbahn" verwirklicht. Oder anders ausgedrückt: "ein Habitus fand zu sich selbst". Dazu gehört für ihn auch der soziale Aufstieg durch Heirat. Solche Schließungsprozesse durch Partnerwahl bei den Eliten (siehe Michael HARTMANN) wurden für die Deutschland u.a. durch Heike WIRTH oder durch die Forschungen von Hans-Peter BLOSSFELD zum Bildungssektor als Heiratsmarkt nachgewiesen. KARASEK verortet Generation Golf am ökonomischen Pol des literarischen Feldes (Gegenpol: Avantgarde). Er geht auf den  Meinungsmacher Frank SCHIRRMACHER ein, der gleichzeitig Vorbild und wichtiger Förderer von ILLIES war. KARASEK zeigt aber auch, dass das Zeitfenster für den Erfolg eines Buches wie Generation Golf sehr klein war. Durch den Zusammenbruch der New Economy und die Jobkrise auf dem Zeitungsmarkt, der insbesondere das popliterarische Netzwerk traf (Einstellung der Berliner Seiten der FAZ), erlitt ILLIES einen tendenziellen Statusverlust, sodass die nachfolgenden Bücher Anleitung zum Unschuldigsein, Generation Golf zwei und Ortsgespräch nicht mehr an den Erfolg des ersten Buches anknüpfen konnten.

Aufgrund des Wandels des gesamtgesellschaftlichen (Zusammenbruch der New Economy und Entstehung einer neuen Bürgerlichkeit) und entsprechenden Veränderungen des journalistischen und literarischen Feldes (Zeitungs- und Verlagskrisen) ergeben sich für die vier Bücher von Florian ILLIES unterschiedliche Voraussetzungen, die KARASEK folgendermaßen zusammenfasst:

Generation Golf: Die Diagnose als Symptom

"Generation Golf markiert den Eintritt eines Trittbrettfahrers in das literarische Feld, der aufmerksamkeitsökonomisch eine sichere Investition tätigte. Anleitung zum Unschuldigsein spielte auf der Klaviatur der Debatte um political correctness (...). Generation Golf zwei ist Folge feldinterner Kreditwürdigkeit und markiert das krisenbedingte Umschwenken von konsumistischer Heiterkeit zum neobürgerlichen Lamento über die blockierte Gesellschaft, gepaart mit Exkursen in den Moraldiskurs (»Sekundärtugenden«). Den letzten Effekt der Kreditwürdigkeit stellt die Möglichkeit (oder vertragliche Obligation) des Wiedereintritts in das Feld nach relativ langer Absenz dar. Ortsgespräch markiert dabei den (allerdings gescheiterten) Versuch, sich erneut als Stichwortgeber zu betätigen."
(2008, S.115)

Die Charakterisierung von Florian ILLIES als Trittbrettfahrer mag für manchen möglicherweise überraschend sein, aber es zeigt sich, dass diese Bewertung durchaus zutreffend ist.

Generation Golf im Kontext der Popliteratur

Florian ILLIES konnte beim Schreiben von Generation Golf auf eine fast 5 jährige deutsche Erfolgsgeschichte der späten Popliteratur (KARASEK handelt diesen Aspekt sehr ausführlich ab) zurückgreifen, die 1995 mit dem Roman Faserland von Christian KRACHT einsetzte. ILLIES sieht darin das Gründungsdokument seiner Generation.

Generation Golf

"Ende der achtziger Jahre erschien in Amerika der Roman American Psycho von Bret Easton Ellis, der uns weniger wegen der blutrünstigen Gewaltphantasien interessierte als wegen der Dokumentation des Markenfetischismus unserer Generation. Jede Socke einer handelnden Person wurde einer bestimmten Firma zugewiesen und seltsames Verhalten sofort auf die unpassende Krawatte zurückgeführt. Damals war es aber noch nicht so weit wie 1999, als Harald Schmidt im Wiener Burgtheater Auszüge aus Bret Easton Ellis vorlas - hätte er es damals gemacht, hätte man das noch in hundert Jahren als Gründungsveranstaltung unserer Generation feiern können. Weil es aber eben noch zehn Jahre dauern sollte, kam glücklicherweise vorher Christian Kracht.

Im Jahre 1995 erschien sein Roman Faserland. Zum einen war das ein wunderbares Buch, in dem Kracht Bret Easton Ellis' Markenkompendium kongenial auf die deutsche Produktwelt übertrug. Zum anderen aber las man hier erstmals von einem Sohn aus sehr gutem Haus (...), man erfuhr, daß ihm das Kindermädchen früher die Krüstchen vom Brot abgeschnitten hatte und daß er Taxi fuhr, sooft es ihm Spaß machte. Daß man in Bars ging, um sich einen Drink zu nehmen. Eines der zentralen Motive des Buches war zudem eine Barbour-Jacke, und die Ernsthaftigkeit, mit der Kracht Markenprodukte einführte und als Fundamente des Lebens Anfang der neunziger Jahre vor Augen führte, wirkte befreiend."
(2000, S.154)

"Daß ich das Buch von Kracht dadurch kennenlernte, daß ich meine Barbour-Jacke mit der einer blonden Heidelberger Kunstgeschichtsstudentin vertauscht hatte, nahm ich von Anfang an als gutes Zeichen."
(2000, S.155)

Auch der große Erfolg des Buches Soloalbum von Benjamin von STUCKRAD-BARRE lag nur kurz zurück:

Generation Golf

"Seine Fortsetzung fand Faserland drei Jahre später in den Romanen Soloalbum und Livealbum von Benjamin von Stuckrad-Barre. Der Spiegel, ganz irritiertes Zentralorgan der 68er, faßte Soloalbum mit spitzen Fingern an und schrieb etwas vom »Amoklauf eines Geschmacksterroristen«. Wir jedoch lasen das Buch mit gierigen Ice-Tea-verklebten Fingern durch, weil es so mustergültig abrechnete mit der Latzhosen-Moral der siebziger Jahre und ihrer verlogenen Sprache."
(2000, S.155)

"Dankbar war man auch, als Kracht und Stuckrad-Barre als erste Generationsgenossen zugaben, eine Putzfrau zu haben. Da ging ein Ruck durchs junge Deutschland. Ich wollte ja auch immer, hatte mich nur nie getraut, weil ich dachte, das macht man nicht - so dachte es quer durch die Studentenwohnungen in Hamburg, Bonn und Heidelberg. Und dann ging es los. Ende der neunziger Jahre war es inzwischen sogar schon so weit, daß sich Studenten WGs einmal die Woche eine Putzfrau leisteten, um in der gesparten Zeit Inline-Skating machen zu können. Nie war die Frage, andere für sich die Drecksarbeit machen zu lassen, sowenig eine Frage der Moral wie für uns."
(2000, S. 156)

Die beiden Textausschnitte aus Generation Golf verdeutlichen bereits, dass ILLIES nur beschreibt, was in trendigen Milieus bereits durchgesetzte Praxis war. Auch die 68er als zentrales Feindbild wird deutlich. Es konnte also nur noch darum gehen, diese Praxis der neuen Konsum- und Dienstleistungsgesellschaft auch einer breiteren Masse schmackhaft zu machen . In dieser Hinsicht ist Generation Golf - da ist KARASEK zuzustimmen - sozusagen ein konsumistisches Manifest (so auch ein Buchtitel von Norbert BOLZ ). Dass Generation Golf im Feuilleton vor allem Empörung auslöste, gehörte zur Strategie von Florian ILLIES wie KARASEK ausführlich nachweist.

Generation Golf im Kontext der Generationendebatte

Der Buchtitel verrät es bereits, dass Florian ILLIES sich zu allererst auf dem Markt der Generationenbegriffe platziert hat. Ausführlich geht deshalb KARASEK auf diese Wahl des Gegenstandes ein. Ausgehend von Karl MANNHEIMs politischem Generationenbegriff kommt er zum Ergebnis, dass Generation in der wissenschaftlichen und öffentlichen Debatte die politische Konnotation verloren hat.

Generation Golf: Die Diagnose als Symptom

"Legt man diesen Generationenbegriff Karl Mannheims zugrunde, ließe sich Generation Golf allenfalls als Dokument eines Vertreters einer Generationseinheit verstehen, der seine Sicht auf die Welt im ironischen Modus generalisiert und damit auf die anderen Generationseinheiten ausdehnt. Doch verdeutlicht die auffällige Absenz gesellschaftlicher Großereignisse in Generation Golf (die deutsche Wiedervereinigung ist wenige Zeilen wert und thematisiert bloß die Stillosigkeit der Ostdeutschen, dass der Generationenbegriff eine andere Bedeutung trägt."
(2008, S.141)

KARASEK zeichnet die damalige Generationendebatte ausführlich nach. Dies ist auf single-generation.de in einem Einführungsbeitrag in die Generationendebatte in ähnlicher Weise geschehen .  Auch dass Generation Golf nur Dokument eines Vertreters einer Generationeneinheit ist, wurde im Rahmen des Beitrags über die Generation Golf in der Jobkrise auf dieser Website bereits aufgezeigt . Dass ILLIES mit dem Feindbild 68er eigentlich nur offene Türen einrennt, legt KARASEK einleuchtend dar.

Generation Golf: Die Diagnose als Symptom

"Die medienpolitische Stigmatisierung der 68er-Generation nahm mit deren Eintritt in ein machtfähiges Alter ihren Anfang, und damit ungefähr zu jenem Zeitpunkt, als mit Helmut Kohl die »geistig-moralische Wende« eingeläutet wurde. Mit der Prominenz der rotgrünen Regierungskoalition wurde die Abwertung des 68er-Habitus durch seine eigenen Träger fortgeführt - durch Läuterungs- und/oder Relativierungsbekundungen, mit denen die zur Macht gelangten Vertreter der 68er-Generation versicherten, »dazugelernt« zu haben oder nun »normal(er)« und »pragmatisch« geworden zu sein (den Höhepunkt stellt Götz Alys um Aufmerksamkeit buhlende Schmähkritik »Unser Kampf« dar).
(2008, S.142f.)

Natürlich wird nicht jeder damit einverstanden sein, dass KARASEK Gerhard SCHRÖDER zu den 68ern zählt und die rot-grüne Koalition als ein spätes Projekt der 68er bezeichnet. Wenn man die 68er-Bewegung auf die 1968 mehr oder weniger prominenten Köpfe der Studentenbewegung eingrenzt, dann war Rot-Grün eher das Projekt der Jüngeren, die erst in den Jahren ab 1968 politisiert wurden. ILLIES rechnet auch weniger mit den Alt-68ern ab, sondern mit dem linksalternativen Milieu, sozusagen mit den älteren Brüdern, aber weniger mit den Vätern. Die Studie von KARASEK zeigt dies sehr schön, denn ILLIES positioniert sich ironischerweise als der wahre Erbe der 68er. Es ist z.B. kein Zufall, dass ILLIES immer mal zwischendurch den Trendforscher Matthias HORX zitiert, der bereits in den 1980er Jahren mit seinen Zeitgeistbüchern die rückständigen linksalternativen Generationsgenossen attackierte (z.B. "Das Ende der Alternativen", 1985; "Aufstand im Schlaraffenland", 1989). Die Art und Weise wie er das tat, könnte man als vorbildhaft für den Stil von ILLIES ansehen, aber auf diesen Aspekt geht KARASEK leider nicht ein.

Generation Golf im Kontext der Reform- und Demografiedebatte

Vor allem beim Vergleich zwischen Generation Golf und Generation Golf zwei wird deutlich, wie sich die Anschlussfähigkeit der Generation Golf-Bücher an die herrschende Reform- und Demografiedebatte auszahlt.

Generation Golf

"Der Boom des Neuen Marktes und des Aktiengeschäftes in Deutschland am Ende der neunziger Jahre ist eine direkte Folge der ersten Arbeitsverhältnisse der Generation Golf. Am liebsten kauft man EM.TV oder Intershop, also Aktien, bei denen man weiß, daß die Chefs selbst vollwertige Mitglieder der eigenen Generation sind - und somit profitträchtig. "
(2000, S.192)

"Die Suche nach dem Ziel hat sich erledigt. Veränderungen wird die Zukunft kaum bringen."
(2000, S.197)

Im Jahr 2000 war die Welt für Florian ILLIES und seine Generationsgenossen noch in Ordnung. Man konnte die Welt gelassen Welt sein lassen und sich seinem sorgenfreien Leben hingeben. Diese Idylle währte nicht lange wie wir mittlerweile wissen. KARASEK bringt das Reaktionsmuster der geprellten Generation auf den Punkt:

Generation Golf: Die Diagnose als Symptom

"In Generation Golf war die Aussicht auf Gewinnmaximierung garantiert. Nicht nur, dass den repräsentativen Akteuren hohe Erbschaften zustanden, sie verfügten auch über genügend selbst akkumulierte Kapitalien (...). Generation Golf zwei markiert den Punkt, an dem Aktien von »EM.TV oder Intershop« (...) gemeinsam mit der »new economy« untergehen und alles andere als »profitträchtig« (...) sind, wodurch als Reaktion härtere Bandagen gegen all jene aufgezogen werden, die dem Griff nach Positionen und Ressourcen im Wege stehen und auch im massenmedialen Reformdiskurs als Verhinderer der überfälligen Erneuerung entlarvt werden: blockierende 68er, Gewerkschaften mit selbstverständlich überzogenen Lohnforderungen, träges Dienstleistungspersonal (...), mit dem im wahrsten Sinne des Wortes »kein Staat« zu machen ist."
(2008, S.153)

Die Attraktivität des Schlagworts Generationengerechtigkeit, mit dem sowohl Reformbedarf erklärt wird als auch Sündenböcke präsentiert werden können, wird von KARASEK deutlich gemacht. So weist er darauf hin, dass die grundlegende Denkfigur und Argumentationsfolie von Ulrich BECK ("vollmobile Single-Gesellschaft") stammt. Sie war zwar in kritischer Absicht eingeführt worden, wird aber mittlerweile in der Demografiedebatte von konservativer Seite missbraucht . Ein Sachverhalt, der auf dieser Website ausführlich nachgewiesen wurde.

Generation Golf: Die Diagnose als Symptom

"Der Demographie-Diskurs, benachbart mit dem Reform- und Generationendiskurs, ist ein zentrales Element des neoliberalen Diskurses. Er ist dabei sehr erfolgreich, da er Topoi umwälzt, die sich kaum kritisieren lassen und die bereits in den Interdiskurs eingegangen sind, allenthalben publizistisch aufbereitet werden (siehe Schirrmacher 2004, 2006) und dem semantischen Fundus ehemals dissidenter oder »alternativer« Strömungen entnommen wurden. Dieser Diskurs setzt auf das Schlagwort der »Generationengerechtigkeit« (..).
Im Zuge dieses Diskurses und den damit durchgesetzten sozialpolitischen Entscheidungen (etwa die Privatisierung der Rentensysteme) wird, mit der o. g. kritischen Aussage Becks im Rücken, oftmals die Rückkehr zu klassischen Familienbildern immer häufiger als Option diskutiert (...).
Diskursiviert wird dies zum einen mit dem idealtypischen Bild des egoistischen Singles, des Defizitwesens oder der sich im Gebärstreik (...) befindenden Karrierefrau, zum anderen (oder zugleich) mit Stellungnahmen gegen
»die 68er«, deren Lebensformen an dieser Entwicklung (...) - Schuld seien. In den meisten Fällen bleibt die Tatsache unbeleuchtet, dass diese Lebensform klassenspezifische und ökonomische Ursachen und Ausprägungen aufweist und in den (meist auf dem Arbeitsmarkt ausgetragenen) Vielfrontenkampf der Geschlechter eingebunden ist (Männer vs. Frauen, qualifizierte Aufsteiger/innen vs. unqualifizierte Deklassierte)."
(2008, S.109)

Auf diesen Reform- und Demografieaspekt, der bei KARASEK ausführlich zur Sprache kommt, soll hier nicht näher eingegangen werden, da sich damit bereits viele Themen des Monats auf dieser Website befasst haben .

Generation Golf als autobiographisch-essayistischer Genre-Mix

KARASEK analysiert Generation Golf nicht nur vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Debatten, sondern auch mittels sprach- und literaturwissenschaftlichen Methoden im engeren Sinne. So beschreibt er Generation Golf als autobiographisch-essayistischen Genre-Mix, der vorzugsweise mit glossenhafter Ironie arbeitet. An vielen konkreten Beispielen zeigt KARASEK auf, wie durch die Verwendung bestimmter Stilmittel Feindbilder wie die 68er aufgebaut werden. Auch der Literaturbetrieb kommt in den Blick, so z.B. wenn darauf eingegangen wird, was es bedeutet, dass ILLIES den Ernst-Robert-Curtius-Förderpreis verliehen bekommen hat. Welche Rolle die Auswahl des Verlags oder die Einschaltung von Literaturagenturen hat, wir erläutert. Wie ist es zu erklären, dass nicht nur positive, sondern auch negative Rezensionen zum Erfolg eines Buches beitragen können? Was sagen die Ausstattungsmerkmale eines Buches aus? In welchem Verhältnis stehen Interviews zum Text? KARASEK erläutert in diesem Zusammenhang den Typus konservativer Intelligenz und sein Bestreben, sich nicht auf eine bestimmte Position festlegen zu lassen. Die Wahl des autobiographen Schreibens wird von KARASEK als Affront, als Möglichkeit für neue Autoren in das literarische Feld einzusteigen, beschrieben. Im Zusammenhang mit dem Anspruch eine Generation zu vertreten, verbindet sich zudem noch eine Kampfansage. Alles in allem hat ILLIES also ein prestigeträchtiges Verfahren gewählt, das durch die Verwendung glossenhafter Ironie zusätzliche Aufwertung gewinnt. Zusammengefasst bringt das KARASEK auf den Punkt:

Generation Golf: Die Diagnose als Symptom

Der Autor hat sich "durch die Wahl des Gegenstands und die Gattung (bzw. der für die Gattung typischen Verfahren) und durch eigene (literarische und nichtliterarische) Aussagen zu einem Akteur stilisiert, der Wichtiges zum Zeitgeschehen zu sagen hat, der sich dem Rezipienten als Welterklärer und Alltagsdeuter anbietet, der dabei über den Niederungen politischer Kategorien und intellektualistischer Reflexion steht und dadurch sowohl das Privileg auf Sachlichkeit (und Polemik) als auch das Privileg auf Einfachheit (und »Tiefe«) beanspruchen darf, der schließlich unablässig andere klassifiziert, sich selbst jedoch aller Klassifikation entzieht."
(2008, S.171)

Generation Golf - Der richtige Lebensstil entscheidet über die Zugehörigkeit

Wer zur Generation Golf gehört, das ist nicht in erster Linie eine Frage des Alters, sondern des richtigen Lebensstils. Auch wenn Generation Golf als Kohorte der 1965 - 1975 Geborenen bestimmt wird - so wie das z.B. auf dieser Website getan wird - so ist das eben nur die halbe Wahrheit, denn die Spaltungen sind im Grunde konsumistischer Natur wie KARASEK nachweist. Auf der Grundlage der Habitustheorie von Pierre BOURDIEU entwickelt KARASEK einen Sozialraum des Personals von Generation Golf, das sich nach Kapitalausstattung und -struktur ordnen lässt. Mittels dieser Typologie lassen sich die Inklusionen und Exklusionen übersichtlich darstellen. KARASEK hat 7 Habitustypen ermittelt, von denen nur 4 für ILLIES mehr oder weniger akzeptabel sind. Grob gesehen lassen sich gewisse Anklänge an die SINUS-Milieus oder das Schema der 5 Erlebnismilieus von Gerhard SCHULZE finden.

Im Jahr 2005 hat SCHULZE im Vorwort zur Neuausgabe seines Buches Erlebnisgesellschaft auf eine Spaltung hingewiesen, die sehr viel mit mit der Legitimität von Lebensstilen zu tun, wie sie  von KARASEK bei Generation Golf gefunden wurde:

Die Erlebnisgesellschaft

"Harald Schmidt (...) zielte auf solche, die aus der Sicht der Nicht-Prolls für das Projekt des schönen Lebens zu blöd sind, auf die Oberdeppen der Lebenskunst: Sie haben nicht zu wenig Geld, sondern zu viel (für Unterhaltungselektronik, Bier, Schokolade und Kartoffelchips); und sie haben nicht zu wenig Zeit, sondern zu viel (für täglich sechs Stunden TV-Trash). Dies ist die neue Linie der Distinktion. In den sechziger Jahren wurden die Diskurse über die Unterschicht noch von Fürsorge geprägt; eingeschlossen war dabei die Ablehnung kultureller Arroganz. Der neue Diskurs macht sich diese Arroganz zu eigen, doch das Objekt der Herablassung ist nun ein anderes: nicht die Unterschicht im hergebrachten sozioökonomischen Sinn, sondern die Glücksversager: Alle, denen es an Stil und Verstand fehlt, etwas Sinnvolles aus ihrem Leben zu machen."
(2005, S. XVII)

Generation Golf als Anleitung zur Normalisierung

KARASEK stellt in der Studie Bezüge zur Debatte um die neue Bürgerlichkeit her. In den beiden Generation Golf-Büchern finden sich die Widersprüche einer neuen Bürgerlichkeit wieder, die zu zwei Ausprägungen geführt haben. Zum einen ist ein schwarz-grünes Milieu entstanden, das liberalkonservative Werte vertritt und ein neues Bürgertum, bei dem sich Liberalität und altbürgerliche Rigidität treffen. Zwischen diesen beiden Typen verläuft die Grenze dessen, was Jürgen LINK in seinem Konzept der Normalität als Übergang vom Protonormalismus (Beharren auf festen Normgrenzen) zum flexiblen Normalismus (Normalität, die sich den jeweiligen Gegebenheiten anpasst) beschrieben hat. Im Zusammenhang mit Ratgebern zur Einsamkeit wurde auf  diese neue Ethik der Selbstoptimierung auf dieser Website bereits ausführlich eingegangen . KARASEK zeigt nun, dass es bei Generation Golf um ein Dokument flexibler Normalisierungsstrategien geht (Bisweilen kommt es aber auch zum Umkippen in den Protonormalismus). Generation Golf leitet also zur Selbstoptimierung an, was dem neuen Geist des Kapitalismus entgegenkommt.

Die Hauptfrage, die sich die Generationsangehörigen stellen heißt: Bin ich noch normal? Generation Golf beschreibt in diesem Sinne das Normalwerden, Normalsein und das Normalbleiben. Die Generationsgenossen treibt die Angst um, als Drop out zu gelten. Diese Angst ist aber gleichzeitig eng verbunden mit den diversen gesellschaftlichen Debatten. Auf dieser Website wurde dies insbesondere im Zusammenhang mit der Demografiedebatte und der damit verbundenen Identitätspolitik beschrieben . Vor allem im Zusammenhang mit den Romanen von Michel HOUELLEBECQ, die auch bei KARASEK als Beispiele aufgeführt werden, wird deutlich wie mit den Sündenböcken 68er oder Feminismus von den Problemen, die mit dem neuen Kapitalismus verbunden sind, abgelenkt wird.

Fazit: Tom Karasek hat mit seinem Buch einen wichtigen Beitrag zur Erhellung des Phänomens Generation Golf geleistet

Die Dissertation Generation Golf: Die Diagnose als Symptom von Tom KARASEK ist eine materialreiche Studie, die an den Leser zwar hohe Ansprüche stellt, aber dafür umso gewinnbringender gelesen werden kann. Aufgrund seiner interdisziplinären Methodik ist dieses Buch sowohl für Sprach- bzw. Literaturwissenschaftler als auch für  Soziologen und Kulturwissenschaftler interessant. KARASEK verortet Generation Golf am Schnittpunkt gesellschaftlicher Großerzählungen. Es werden dazu vielfältige Bezüge zu den Debatten über Popliteratur bzw. Postmoderne und zur  Generationen-, Demografie- und Reformdebatte hergestellt. Die Generation Golf war bislang nur selten Gegenstand wissenschaftlicher Forschung und wenn, dann kamen nur sehr spezielle Fragestellungen in den Blick. Das Buch von KARASEK bietet aber nicht nur Ansätze zur Neubelebung der Debatte um die Generation Golf, sondern könnte auch die Untersuchung ähnlich gelagerter Bücher inspirieren. Wie eingangs gezeigt wurde, ist gerade in Zeiten schnellen sozialen Wandels ein soziologischer Blick auf die Literatur wegweisender als makrosoziologische Ansätze, die auf Entwicklungen erst dann aufmerksam werden, wenn sie längst zur Massenbewegung geworden sind. Es muss ja nicht immer so lange dauern, wie im Falle von Generation Golf, bis sich Wissenschaftler mit einem neuen Phänomen befassen.

 
     
 
   

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Bernd Kittlaus
webmaster@single-generation.de Erstellt: 26. Oktober 2008
Update: 21. November 2018