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Kritik mit weiterführenden Links

 
       
   

Sabrina Herrmann:
Pluralisierung von Leitbildern - die Lebensentwürfe junger Singles
In: Kornelia Hahn & Cornelia Koppetsch (Hrsg) Soziologie des Privaten, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S.227-251

 
       
     
       
   
     
 

Die wissenschaftliche Debatte über Singles als Ausgangspunkt der Forschung

Sabrina HERRMANN skizziert zuerst die Individualisierungsdebatte, die in den 1980er Jahren von Ulrich BECK angestoßen wurde, und in der von Pluralisierungsprozessen ausgegangen wird, die sich sowohl in einer neuen Vielfalt von Lebensformen wie auch in der Individualisierung der Lebensentwürfe niederschlagen soll. Die Kritik am Ansatz bleibt dabei außen vor , stattdessen wird darauf eingegangen, dass der Anteil der kinderlosen Alleinlebenden (Singles) ab den 1990er Jahren in den Fokus der Debatte geriet, während Singles jedoch weiterhin zu "Pionieren der Moderne" stilisiert wurden, weil sie sich dem neoliberalen Arbeitsregime am besten unterordnen können

Pluralisierung von Leitbildern - die Lebensentwürfe junger Singles

"Aufgrund ihres Lebensstils, der - geprägt durch seine Ungebundenheit - personelle wie örtliche Unabhängigkeit mit sich bringt, schienen sie für die Herausforderungen der postmodernen Arbeitswelt am ehesten gewappnet. Die Arbeitswelt forderte zunehmend und fordert immer noch Blexibilität und Mobilität von Arbeitnehmer_innen ein, sei es hinsichtlich eines Umzugs oder sei es in Bezug auf flexible Arbeitszeiten (...). Diese An- bzw. Herausforderungen können gerade von kinderlosen Alleinlebenden am leichtesten erfüllt werden, da sie sich weder emotional an eine/n Partner_in gebunden fühlen, noch die Verantwortung für Kinder tragen, deren Versorgung ggf. eine höhere Priorität einnimmt als ein Beschäftigungsverhältnis.
(2011, S.228)

Aus der unkritisch übernommenen Individualisierungsthese ergibt sich dann die Fragestellung nach der angenommenen Pluralisierung der Leitbilder.

Pluralisierung von Leitbildern - die Lebensentwürfe junger Singles

"(Es) stellt sich die Frage, woran sich Singles in der heutigen Zeit eigentlich überhaupt orientieren und warum sie ihr Leben so gestalten, wie sie es tun. Resultiert das Leben als Single aus einer autonomen Entscheidung und wenn ja, welche Orientierungsmuster und Leitbilder liegen dieser Entscheidung zu Grunde?
(2011, S.228)

Die Ausblendung relevanter Gruppen von Alleinlebenden aus der Betrachtung

Die Individualisierungsdebatte ging von den Alleinlebenden aus, wobei diese mit Einpersonenhaushalten gleichgesetzt wurden. Dabei wurden diese als freiwillig partnerlos Alleinlebende gedacht (Singles). Das Alleinleben besteht jedoch neben dieser Gruppe der Singles im engeren Sinne vor allem aus unfreiwilligen Partnerlosen und aus Paaren ohne gemeinsamen Haushalt.

Die zahlenmäßige Verbreitung des Alleinlebens im Familienlebensalter

Da der jährliche Mikrozensus keinen Aufschluss über die Paare ohne gemeinsamen Haushalt gibt, muss dazu auf Daten aus sozialwissenschaftlichen Studien zurückgegriffen werden. Gemäß dem Artikel Haushalt, Familie und soziale Nahbeziehungen von Andreas EBERT & Tatjana FUCHS aus dem Jahr 2012 hatten von den westdeutschen Alleinlebenden im Alter zwischen 18 und 65 Jahren im Jahr 2007 immerhin 30,9 % einen Partner außerhalb des Haushalts, während der Anteil in Ostdeutschland bei 25 % lag. Für die Altersgruppe der 30-39Jährigen, die Sabrina HERRMANN untersucht, wird dagegen nur der Anteil von Menschen, die einen Partner außerhalb des Haushalts haben, angegeben (dies könnten auch Nesthocker oder getrenntlebende Verheiratete sein, sind aber überwiegend Alleinlebende und Alleinerziehende). Dieser Anteil liegt in der Altersgruppe der 30-39Jährigen im Jahr 2007 bei 7,8 % im Westen und bei 7,4 % im Osten. Norbert F. SCHNEIDER et al. nennen jene Paare ohne gemeinsamen Haushalt, die aufgrund beruflicher Zwänge getrennt leben: Mobil, flexibel, gebunden. Daneben existiert das freiwillige Living apart together, das durch die räumliche Nähe der beiden Wohnungen gekennzeichnet ist.

Der Anteil der alleinlebenden Partnerlosen lag in der Altersgruppe der 30-40Jährigen bei 16,5 % im Westen und sogar bei 30,5 % im Osten. Nur unter dieser letzten Personengruppe sind also jene zu finden, die im Fokus der Untersuchung von HERRMANN stehen. Die höhere Partnerlosigkeit im Osten ist erklärungsbedürftig, denn die Individualisierungsthese wurde für Westdeutschland entwickelt. Einige Forscher betrachten einen Männerüberschuss in den neuen Bundesländern für die Ursache, was bedeuten würde, dass es sich hier überwiegend um ein unfreiwilliges Alleinleben handeln würde.   

Die Einschränkung der Untersuchungsgruppe beschränkt die Aussagekraft der Ergebnisse

HERRMANN bezieht sich bei ihrer Untersuchung auf 8 Interviews, deren Auswahlkriterien nur oberflächlich benannt werden.

Pluralisierung von Leitbildern - die Lebensentwürfe junger Singles

"Wenn man eine enge Singles-Definition präferiert, die die Möglichkeit einer freien Wahl des Single-Seins als Lebensform pointiert, ist diese genannte Alterseingrenzung plausibel, weil die Scheidungsrate unter den ab 40-Jährigen verglichen mit den Jüngeren stark ansteigt (...) und die anschließenden, mitunter längeren Phasen des Alleinseins tendenziell weniger der freien Wahl der Individuen zuzuschreiben sind.
(2011, S.231)

Die tabellarische Auflistung der Befragten zeigt jedoch, dass sowohl das vertretene Bildungsniveau und Berufsprofil bereits eine Vorauswahl darstellt. Es gibt keine Singles mit Hauptschulabschluss oder ohne Abschluss. Der niedrigste schulische Abschluss ist die Mittlere Reife, 5 Interviewte haben einen Hochschulabschluss und 2 Abitur. Die Berufspalette reicht von Kreativberufen (4), Doktorand, Sozialpädagogin bis zu System-Administrator und Polizistin. Diese Auswahl entspricht im Großen und Ganzen also jener bevölkerungspolitischen Zielgruppe, der in der öffentlichen Debatte ihre Kinderlosigkeit vorgeworfen wurde. Es handelt sich hier vorwiegend um Angehörige des individualisierten Milieus: Akademiker und Freiberufler der Kreativwirtschaft. Lediglich der System-Administrator und die Polizistin fallen etwas aus dem Rahmen. Bereits die Auswahl strukturiert also das Ergebnis vor. Es geht nicht in erster Linie um Alleinlebende im Familienlebensalter, sondern um jene Alleinlebenden mit einem privilegierten Status, die Kinder bekommen sollen.

Im Mittelpunkt steht die bevölkerungspolitische Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie unter hochqualifizierten Alleinlebenden

Angesichts der These der Freisetzung aus "traditionellen Bindungen" sind die Vorstellungen  der Befragten zur Familie ganz und gar nicht pluralisiert, sondern folgen dem traditionellen Familienbild.

Pluralisierung von Leitbildern - die Lebensentwürfe junger Singles

"Das Familien-Bild der Befragten (...) beinhaltet eine harmonische und liebevolle Partnerschaft zwischen den Eltern und eine liebevolle Beziehung zu im Durchschnitt zwei Kindern. Den Befragten sind andere Lebensformen wie Alleinerziehende oder Patchwork-Konstellationen zwar geläufig, diese Möglichkeiten bieten allerdings keinen handlungsanleitenden Anreiz. (...). Die Idee eine Beziehung einzugehen, in die der oder die Partner_in bereits ein Kind einbringt, das letztlich als das eigene anerkannt werden könnte, wird von keinem der befragten Singles von selbst angesprochen. Direkt danach gefragt, geben die Singles allenfalls an, dass sie sich damit arrangieren würden."
(2011, S.232)

Die Vorstellungen zu Liebe und Partnerschaft der Singles und die Einstellung zur Partnersuche ist im Gegensatz zur Einstellung zum Beruf ("Jeder ist seines Glückes Schmied") nicht rational, sondern romantisch.

Pluralisierung von Leitbildern - die Lebensentwürfe junger Singles

"Die Vorstellung von Liebe als unbestrittener Basis jeder Partnerschaft und Beziehung wird von allen befragten Singles gleichermaßen vertreten. Gleichzeitig wird Liebe als völlig zufällig wahrgenommen. (...). Liebe fällt vielmehr vom Himmel und entzieht sich jeglichem Einfluss der Menschen (...). Entsprechend verweisen vor allem diejenigen Singles, die sich eine Beziehung wünschen, immer wieder darauf, dass sie keinerlei Aktivitäten unternehmen, um diese Möglichkeit gezielt herbei zu führen. (...). Gezielte Partnersuche, beispielsweise mittels des Internets oder durch spezifische Freizeitbeschäftigungen, wird von allen Singles durchweg abgelehnt."
(2011, S.236)

Die Ergebnisse zur Partnersuche lassen sich mit neuen Befunden zur Partnerwahl im Internet vergleichen. Für das Jahr 2007 kommt Jan SKOPEK im Buch Partnerwahl im Internet zum Ergebnis einer hohen Akzeptanz des Online-Datings, die jedoch eine gewisse soziale Selektivität aufweist.

Partnerwahl im Internet

"Festzuhalten bleibt, dass im Jahre 2007 rund 12 % der Internetnutzer, also ungefähr 5,4 Millionen Menschen, Online-Kontaktbörsen genutzt haben. Dies spricht für eine inzwischen beachtliche soziale Relevanz der neuen digitalen Partnermärkte. (...). Weiterhin begünstigen das Alleinleben im Haushalt und technische Kompetenzen im Umgang mit Internetanwendungen eine Nutzung von Online-Kontaktbörsen. Hinsichtlich der Bildung fand die Analyse einen geschlechtsspezifischen Zusammenhang: Höher gebildete Männer sind etwas schwächer und höher gebildete Frauen etwas stärker auf dem digitalen Partnermarkt vertreten."
(2012, S.324)

Unter den Befragten von HERRMANN sind 5 Männer, alle haben Abitur (höher gebildet bei SKOPEK) und 3 Frauen (2 Abitur und 1 Mittlere Reife). Angesichts des Ergebnisses von SKOPEK deutet das Ergebnis darauf hin, dass die Befragten zumindest in Sachen Partnersuche eher untypisch für Alleinlebende sind. Da die Befragten zwischen 1970 und 1980 geboren sind, gehören sie überwiegend zu jener Generation, die zwar nicht vom Kindesalter an, aber zumindest im Jugendalter bzw. in der Postadoleszenz mit dem Internet in Berührung gekommen sind.

Die Pluralisierung der Leitbilder

HERRMANN präsentiert 3 Leitbilder. Bei der Lebensformpräferenz unterscheidet die Autorin zwischen Familienorientierung, Partnerschaftsorientierung und Singleorientierung. Eine solche Unterscheidung verweist nicht unbedingt allein auf die Individualisierungsthese von BECK, sondern lässt sich auch differenzierungstheoretisch erklären, wie das bei Thomas MEYER der Fall ist, der in ähnlicher Weise den partnerschaftsorientierten-, kindorientierten- und individualistischen Privatheitstyp unterscheidet (vgl. "Modernisierung der Privatheit", 1992). Inwieweit sich die beiden Typen (bei HERRMANN geht es ja um Leitbilder, bei MEYER dagegen um die Verhaltensebene) aufeinander beziehen lassen, wäre eine spannende Frage.

Hinsichtlich des Berufes differenziert HERRMANN lediglich zwischen Festanstellung und freiberuflicher Tätigkeit. Diese Unterscheidung entspricht der gängigen These, dass Familie und Freiberuflichkeit unvereinbar sind (Yetties und digitale Bohème). Bei HERRMANN ist sogar Partnerschaft und Freiberuflichkeit unvereinbar. Das erste Leitbild umfasst das Komplettpaket der Vereinbarung von Festanstellung, Partnerschaft und Familie als Wunschvorstellung. Das Leitbild 2 beinhaltet die Vereinbarung von Partnerschaft und Beruf (Festanstellung oder freiberuflich, wobei jedoch die Option Familie offen gehalten wird) und das dritte Leitbild ist der "Workaholic", dessen erfülltes Berufsleben (im Augenblick) weder Partnerschaft noch Familienleben zulässt.

Die Beschränkung auf 3 Leitbilder ist eher der öffentlichen Debatte als der Realität geschuldet

In der Realität sind wohl anders als in dieser Zuspitzung dieser drei Leitbilder weitere Leitbilder auffindbar, denn warum sollen Freiberuflichkeit und Familie sowie Festanstellung und freiwillige Partnerlosigkeit nicht vorkommen? Dagegen sprechen die Befunde der Singleforschung aus den 1990er Jahren. Unverkennbar spiegeln die gefundenen Leitbilder die gegenwärtige Debatte um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wieder. Die Typenbildung dient als Munition in diesem Kampf, weshalb an der früheren Singleforschung das Fehlen bzw. die Randständigkeit dieser Frage beklagt wird. Auch auf dieser Website wurde immer wieder die damalige Einseitigkeit der feministischen Sichtweise durchaus kritisch betrachtet und die Vernachlässigung des männlichen Single-Daseins beklagt. Im Unterschied zu HERRMANN wird dabei jedoch die Rolle der Individualisierungsthese bei der politischen Konstruktion der Single-Klischees durchaus kritisch gesehen .

Fazit

Die Studie von Sabrina HERRMANN fokussiert erstmals in der Singleforschung primär die Problematik der Familiengründung von Singles im Familienlebensalter. Die Einengung auf die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei Alleinlebenden fällt einerseits hinter die Erkenntnisse der Singleforschung der 1990er Jahre zurück, andererseits erweitert sie den Blickwinkel angesichts der gegenwärtigen bevölkerungspolitischen Debatte. Es wird deutlich, dass das traditionelle Familienbild mit den beruflichen Ambitionen von hoch gebildeten Alleinlebenden, die einer Familiengründung nicht grundsätzlich abgeneigt sind durchaus in Konflikt geraten kann. Diese hochqualifizierten Alleinlebenden können sich dabei in ihrer Prioritätensetzung sehr wohl unterscheiden, worauf die Familienpolitik stärker eingehen müsste. Von einer Kultur der Kinderlosigkeit kann also keine Rede sein , jedoch von konflikthaften Situationen, die einer Familiengründung entgegenstehen können. Von daher ist diese Arbeit durchaus verdienstvoll.

Auf der Strecke bleibt jedoch bei dieser Verengung die ganze Vielfalt des Alleinlebens. Nicht in den Blick kommen z.B. diejenigen, deren Kinderwunsch bevölkerungspolitisch keine Unterstützung findet, weil sie beispielsweise als Geringverdienende oder Hartz-IV-Empfängerinnen/-er unter Generalverdacht stehen (siehe Gunnar HEINSOHN  oder Thilo SARRAZIN), statt die durchaus vorhandenen Unterschiede in diesem Bereich zur Kenntnis zu nehmen . Oder jene unfreiwillig Partnerlosen, die aus unterschiedlichen Gründen bereits an der Hürde Partnerschaft scheitern. Dies muss jedoch nicht an der mangelnden Vereinbarkeit von Beruf und Partnerschaft liegen und wenn, dann weil sie z.B. bei der Sozialauswahl im Gegensatz zu Eltern die schlechteren Karten haben und deshalb öfter den Arbeitsplatz oder gar Beruf wechseln müssen. Die Partnersuche bleibt dann auf der Strecke. Es gäbe also durchaus Bedarf an weiterer Singleforschung jenseits der alleinigen Fixierung auf die Hochqualifizierten.  

 
     
 
       
   

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Bernd Kittlaus
webmaster@single-generation.de Erstellt: 16. April 2012
Stand: 14. Januar 2019