Die
wissenschaftliche Debatte über Singles als Ausgangspunkt der
Forschung
Sabrina HERRMANN skizziert zuerst die
Individualisierungsdebatte, die in den 1980er Jahren von Ulrich
BECK angestoßen wurde, und in der von Pluralisierungsprozessen
ausgegangen wird, die sich sowohl in einer neuen Vielfalt von
Lebensformen wie auch in der Individualisierung der
Lebensentwürfe niederschlagen soll. Die Kritik am Ansatz bleibt
dabei außen vor
,
stattdessen wird darauf eingegangen, dass der Anteil der
kinderlosen Alleinlebenden (Singles) ab den 1990er Jahren in den
Fokus der Debatte geriet, während Singles jedoch weiterhin zu
"Pionieren der Moderne" stilisiert wurden, weil sie sich dem
neoliberalen Arbeitsregime am besten unterordnen können
Pluralisierung
von Leitbildern - die Lebensentwürfe junger Singles
"Aufgrund ihres
Lebensstils, der - geprägt durch seine Ungebundenheit -
personelle wie örtliche Unabhängigkeit mit sich bringt,
schienen sie für die Herausforderungen der postmodernen
Arbeitswelt am ehesten gewappnet. Die Arbeitswelt forderte
zunehmend und fordert immer noch Blexibilität und
Mobilität von Arbeitnehmer_innen ein, sei es hinsichtlich
eines Umzugs oder sei es in Bezug auf flexible
Arbeitszeiten (...). Diese An- bzw. Herausforderungen
können gerade von kinderlosen Alleinlebenden am
leichtesten erfüllt werden, da sie sich weder emotional an
eine/n Partner_in gebunden fühlen, noch die Verantwortung
für Kinder tragen, deren Versorgung ggf. eine höhere
Priorität einnimmt als ein Beschäftigungsverhältnis.
(2011, S.228) |
Aus der unkritisch übernommenen
Individualisierungsthese ergibt sich dann die Fragestellung nach
der angenommenen Pluralisierung der Leitbilder.
Pluralisierung
von Leitbildern - die Lebensentwürfe junger Singles
"(Es) stellt sich
die Frage, woran sich Singles in der heutigen Zeit
eigentlich überhaupt orientieren und warum sie ihr Leben
so gestalten, wie sie es tun. Resultiert das Leben als
Single aus einer autonomen Entscheidung und wenn ja,
welche Orientierungsmuster und Leitbilder liegen dieser
Entscheidung zu Grunde?
(2011, S.228) |
Die Ausblendung relevanter Gruppen von
Alleinlebenden aus der Betrachtung
Die Individualisierungsdebatte ging von
den Alleinlebenden aus, wobei diese mit Einpersonenhaushalten
gleichgesetzt wurden. Dabei wurden diese als freiwillig
partnerlos Alleinlebende gedacht (Singles). Das Alleinleben
besteht jedoch neben dieser Gruppe der Singles im engeren Sinne
vor allem aus unfreiwilligen Partnerlosen und aus Paaren ohne
gemeinsamen Haushalt.
Die zahlenmäßige Verbreitung des
Alleinlebens im Familienlebensalter
Da der jährliche Mikrozensus keinen Aufschluss über die Paare
ohne gemeinsamen Haushalt gibt, muss dazu auf Daten aus
sozialwissenschaftlichen Studien zurückgegriffen werden. Gemäß
dem
Artikel Haushalt, Familie und soziale Nahbeziehungen von Andreas EBERT & Tatjana FUCHS
aus dem Jahr 2012 hatten von den westdeutschen Alleinlebenden im Alter
zwischen 18 und 65 Jahren im Jahr 2007 immerhin 30,9 % einen
Partner außerhalb des Haushalts, während der Anteil in
Ostdeutschland bei 25 % lag. Für die Altersgruppe der
30-39Jährigen, die Sabrina HERRMANN untersucht, wird dagegen nur
der Anteil von Menschen, die einen Partner außerhalb des
Haushalts haben, angegeben (dies könnten auch Nesthocker oder getrenntlebende Verheiratete sein, sind aber überwiegend
Alleinlebende und Alleinerziehende). Dieser Anteil liegt in der
Altersgruppe der 30-39Jährigen im Jahr 2007 bei 7,8 % im Westen
und bei 7,4 % im Osten.
Norbert F. SCHNEIDER et al.
nennen jene Paare ohne gemeinsamen Haushalt, die aufgrund
beruflicher Zwänge getrennt leben: Mobil, flexibel, gebunden.
Daneben existiert das freiwillige Living apart together,
das durch die räumliche Nähe der beiden Wohnungen gekennzeichnet
ist.
Der Anteil der alleinlebenden Partnerlosen lag in der
Altersgruppe der 30-40Jährigen bei 16,5 % im Westen und sogar
bei 30,5 % im Osten. Nur unter dieser letzten Personengruppe
sind also jene zu finden, die im Fokus der Untersuchung von
HERRMANN stehen. Die höhere Partnerlosigkeit im Osten ist
erklärungsbedürftig, denn die Individualisierungsthese wurde
für Westdeutschland entwickelt. Einige Forscher betrachten
einen Männerüberschuss in den neuen Bundesländern für die
Ursache, was bedeuten würde, dass es sich hier überwiegend um
ein unfreiwilliges Alleinleben handeln würde.
Die Einschränkung der Untersuchungsgruppe
beschränkt die Aussagekraft der Ergebnisse
HERRMANN bezieht sich bei ihrer
Untersuchung auf 8 Interviews, deren Auswahlkriterien nur
oberflächlich benannt werden.
Pluralisierung
von Leitbildern - die Lebensentwürfe junger Singles
"Wenn man eine
enge Singles-Definition präferiert, die die Möglichkeit
einer freien Wahl des Single-Seins als Lebensform
pointiert, ist diese genannte Alterseingrenzung plausibel,
weil die Scheidungsrate unter den ab 40-Jährigen
verglichen mit den Jüngeren stark ansteigt (...) und die
anschließenden, mitunter längeren Phasen des Alleinseins
tendenziell weniger der freien Wahl der Individuen
zuzuschreiben sind.
(2011, S.231) |
Die tabellarische Auflistung der
Befragten zeigt jedoch, dass sowohl das vertretene
Bildungsniveau und Berufsprofil bereits eine Vorauswahl
darstellt. Es gibt keine Singles mit Hauptschulabschluss oder
ohne Abschluss. Der niedrigste schulische Abschluss ist die
Mittlere Reife, 5 Interviewte haben einen Hochschulabschluss und
2 Abitur. Die Berufspalette reicht von Kreativberufen (4),
Doktorand, Sozialpädagogin bis zu System-Administrator und
Polizistin. Diese Auswahl entspricht im Großen und Ganzen also
jener bevölkerungspolitischen Zielgruppe, der in der
öffentlichen Debatte ihre Kinderlosigkeit vorgeworfen wurde. Es
handelt sich hier vorwiegend um Angehörige des
individualisierten Milieus: Akademiker und Freiberufler der
Kreativwirtschaft. Lediglich der System-Administrator und die
Polizistin fallen etwas aus dem Rahmen. Bereits die Auswahl
strukturiert also das Ergebnis vor. Es geht nicht in erster
Linie um Alleinlebende im Familienlebensalter, sondern um jene
Alleinlebenden mit einem privilegierten Status, die Kinder
bekommen sollen.
Im Mittelpunkt steht die
bevölkerungspolitische Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf
und Familie unter hochqualifizierten Alleinlebenden
Angesichts der These der Freisetzung
aus "traditionellen Bindungen" sind die Vorstellungen der
Befragten zur Familie ganz und gar nicht pluralisiert, sondern
folgen dem traditionellen Familienbild.
Pluralisierung
von Leitbildern - die Lebensentwürfe junger Singles
"Das Familien-Bild
der Befragten (...) beinhaltet eine harmonische und
liebevolle Partnerschaft zwischen den Eltern und eine
liebevolle Beziehung zu im Durchschnitt zwei Kindern. Den
Befragten sind andere Lebensformen wie Alleinerziehende
oder Patchwork-Konstellationen zwar geläufig, diese
Möglichkeiten bieten allerdings keinen
handlungsanleitenden Anreiz. (...). Die Idee eine
Beziehung einzugehen, in die der oder die Partner_in
bereits ein Kind einbringt, das letztlich als das eigene
anerkannt werden könnte, wird von keinem der befragten
Singles von selbst angesprochen. Direkt danach gefragt,
geben die Singles allenfalls an, dass sie sich damit
arrangieren würden."
(2011, S.232) |
Die Vorstellungen zu Liebe und
Partnerschaft der Singles und die Einstellung zur Partnersuche
ist im Gegensatz zur Einstellung zum Beruf ("Jeder ist seines
Glückes Schmied") nicht rational, sondern romantisch.
Pluralisierung
von Leitbildern - die Lebensentwürfe junger Singles
"Die Vorstellung
von Liebe als unbestrittener Basis jeder Partnerschaft und
Beziehung wird von allen befragten Singles gleichermaßen
vertreten. Gleichzeitig wird Liebe als völlig zufällig
wahrgenommen. (...). Liebe fällt vielmehr vom Himmel und
entzieht sich jeglichem Einfluss der Menschen (...).
Entsprechend verweisen vor allem diejenigen Singles, die
sich eine Beziehung wünschen, immer wieder darauf, dass
sie keinerlei Aktivitäten unternehmen, um diese
Möglichkeit gezielt herbei zu führen. (...). Gezielte
Partnersuche, beispielsweise mittels des Internets oder
durch spezifische Freizeitbeschäftigungen, wird von allen
Singles durchweg abgelehnt."
(2011, S.236) |
Die Ergebnisse zur Partnersuche lassen
sich mit neuen Befunden zur Partnerwahl im Internet vergleichen.
Für das Jahr 2007 kommt Jan SKOPEK im Buch Partnerwahl im
Internet zum Ergebnis einer hohen
Akzeptanz des Online-Datings, die jedoch eine gewisse soziale
Selektivität aufweist.
Partnerwahl im
Internet
"Festzuhalten
bleibt, dass im Jahre 2007 rund 12 % der Internetnutzer,
also ungefähr 5,4 Millionen Menschen, Online-Kontaktbörsen
genutzt haben. Dies spricht für eine inzwischen
beachtliche soziale Relevanz der neuen digitalen
Partnermärkte. (...). Weiterhin begünstigen das
Alleinleben im Haushalt und technische Kompetenzen im
Umgang mit Internetanwendungen eine Nutzung von
Online-Kontaktbörsen. Hinsichtlich der Bildung fand die
Analyse einen geschlechtsspezifischen Zusammenhang: Höher
gebildete Männer sind etwas schwächer und höher gebildete
Frauen etwas stärker auf dem digitalen Partnermarkt
vertreten."
(2012, S.324) |
Unter den Befragten von HERRMANN sind 5
Männer, alle haben Abitur (höher gebildet bei SKOPEK) und 3
Frauen (2 Abitur und 1 Mittlere Reife). Angesichts des
Ergebnisses von SKOPEK deutet das Ergebnis darauf hin, dass die
Befragten zumindest in Sachen Partnersuche eher untypisch für
Alleinlebende sind. Da die Befragten zwischen 1970 und 1980
geboren sind, gehören sie überwiegend zu jener Generation, die
zwar nicht vom Kindesalter an, aber zumindest im Jugendalter
bzw. in der Postadoleszenz mit dem Internet in Berührung
gekommen sind.
Die Pluralisierung der Leitbilder
HERRMANN präsentiert 3 Leitbilder. Bei
der Lebensformpräferenz unterscheidet die Autorin zwischen
Familienorientierung, Partnerschaftsorientierung und
Singleorientierung. Eine solche Unterscheidung verweist nicht
unbedingt allein auf die Individualisierungsthese von BECK,
sondern lässt sich auch differenzierungstheoretisch erklären,
wie das bei Thomas MEYER der Fall ist, der in ähnlicher Weise
den partnerschaftsorientierten-, kindorientierten- und
individualistischen Privatheitstyp unterscheidet (vgl.
"Modernisierung der Privatheit", 1992).
Inwieweit sich die beiden Typen (bei HERRMANN geht es ja um
Leitbilder, bei MEYER dagegen um die Verhaltensebene)
aufeinander beziehen lassen, wäre eine spannende Frage.
Hinsichtlich des Berufes differenziert
HERRMANN lediglich zwischen Festanstellung und freiberuflicher
Tätigkeit. Diese Unterscheidung entspricht der gängigen These,
dass Familie und Freiberuflichkeit unvereinbar sind (Yetties
und digitale Bohème).
Bei HERRMANN ist sogar Partnerschaft und Freiberuflichkeit
unvereinbar. Das erste Leitbild umfasst das Komplettpaket der
Vereinbarung von Festanstellung, Partnerschaft und Familie als
Wunschvorstellung. Das Leitbild 2 beinhaltet die Vereinbarung
von Partnerschaft und Beruf (Festanstellung oder freiberuflich,
wobei jedoch die Option Familie offen gehalten wird) und das
dritte Leitbild ist der "Workaholic", dessen erfülltes
Berufsleben (im Augenblick) weder Partnerschaft noch
Familienleben zulässt.
Die Beschränkung auf 3 Leitbilder ist eher
der öffentlichen Debatte als der Realität geschuldet
In der Realität sind wohl
anders als in dieser Zuspitzung dieser drei Leitbilder weitere
Leitbilder auffindbar, denn warum sollen Freiberuflichkeit und
Familie sowie Festanstellung und freiwillige Partnerlosigkeit
nicht vorkommen? Dagegen sprechen die Befunde der
Singleforschung aus den 1990er Jahren. Unverkennbar spiegeln die
gefundenen Leitbilder die gegenwärtige Debatte um die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie wieder. Die Typenbildung
dient als Munition in diesem Kampf, weshalb an der früheren
Singleforschung das Fehlen bzw. die Randständigkeit dieser Frage
beklagt wird. Auch auf dieser Website wurde immer wieder die
damalige Einseitigkeit der feministischen Sichtweise durchaus
kritisch betrachtet und die Vernachlässigung des männlichen
Single-Daseins beklagt. Im Unterschied zu HERRMANN wird dabei
jedoch die Rolle der Individualisierungsthese bei der
politischen Konstruktion der Single-Klischees durchaus kritisch
gesehen
.
Fazit
Die Studie von Sabrina HERRMANN
fokussiert erstmals in der Singleforschung primär die
Problematik der Familiengründung von Singles im
Familienlebensalter. Die Einengung auf die Frage der
Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei Alleinlebenden fällt
einerseits hinter die Erkenntnisse der Singleforschung der
1990er Jahre zurück, andererseits erweitert sie den Blickwinkel
angesichts der gegenwärtigen bevölkerungspolitischen Debatte. Es
wird deutlich, dass das traditionelle Familienbild mit den
beruflichen Ambitionen von hoch gebildeten Alleinlebenden, die
einer Familiengründung nicht grundsätzlich abgeneigt sind
durchaus in Konflikt geraten kann. Diese hochqualifizierten
Alleinlebenden können sich dabei in ihrer Prioritätensetzung
sehr wohl unterscheiden, worauf die Familienpolitik stärker
eingehen müsste. Von einer Kultur der Kinderlosigkeit kann also
keine Rede sein
,
jedoch von konflikthaften Situationen, die einer
Familiengründung entgegenstehen können. Von daher ist diese
Arbeit durchaus verdienstvoll.
Auf der Strecke bleibt jedoch bei dieser Verengung die ganze
Vielfalt des Alleinlebens. Nicht in den Blick kommen z.B.
diejenigen, deren Kinderwunsch bevölkerungspolitisch keine
Unterstützung findet, weil sie beispielsweise als
Geringverdienende oder Hartz-IV-Empfängerinnen/-er unter
Generalverdacht stehen (siehe Gunnar HEINSOHN
oder Thilo SARRAZIN),
statt die durchaus vorhandenen Unterschiede in diesem Bereich
zur Kenntnis zu nehmen
.
Oder jene unfreiwillig Partnerlosen, die aus unterschiedlichen
Gründen bereits an der Hürde Partnerschaft scheitern. Dies muss
jedoch nicht an der mangelnden Vereinbarkeit von Beruf und
Partnerschaft liegen und wenn, dann weil sie z.B. bei der
Sozialauswahl im Gegensatz zu Eltern die schlechteren Karten
haben und deshalb öfter den Arbeitsplatz oder gar Beruf wechseln
müssen. Die Partnersuche bleibt dann auf der Strecke. Es gäbe
also durchaus Bedarf an weiterer Singleforschung jenseits der
alleinigen Fixierung auf die Hochqualifizierten.