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Die Kunst des Alleinreisens
Nachdem abgeklärt
wurde, warum wir allein reisen, geht es nun darum, wie
man das Alleinreisen so gestaltet, dass es so angenehm
wie möglich verläuft. Wir bewegen uns dabei weiterhin
auf den Spuren von Christine Perlacher.
Routinen erleichtern das Leben auch
im Urlaub
Christine gehört zu
den routinierten Alleinreisenden, d.h. sie
reist nicht das erste Mal allein. Und sie ist auch
nicht das erste Mal auf Teneriffa. Das hat Vorteile:
Leichtes Licht
"Das Pensionszimmer
hatte sie per Fax reserviert. Bei der ersten Reise vor
vier Jahren - auch nur Flug - hatte sie den
Unterschlupf entdeckt. Noch die Ankunftsnacht hatte
sie in einer anderen Pension durchlitten. (...). Am
nächsten Morgen, gerädert, hatte sie eine Gasse weiter
im Alfomar nachgefragt, ob dort ein ruhiges
Zimmer frei wäre. Seither war das unscheinbare Gebäude
am Rande der Altstadt zur letzten Zuflucht geworden.
Der Fußboden des kleinen lichten Zimmers war weiß
gekachelt. Über dem Tisch hing als Schmuck nur ein
kitschiger spanischer Fächer. Auf dem Balkongeländer
konnte sie ihr Badezeug trocknen."
"Sie konnte abends
ihre Füße darauf legen, um über Dächer bis zum Casino
und zum Bergwald zu schauen. Eine dezentere Bleibe gab
es nicht, um bei 24 Stunden Seeluft die Strapazen wegzuschlafen, unter leichten Laken sich, wie man so
sagte, selbst zu finden oder, gelassen, zu verpassen.
Doch vor allem die Brandung der Mole, ihr rhythmisches
Anstürmen tönte bis in die nächtliche Klosterzelle des
Alfomar. Einige Nächte hat es gedauert, dann
war ihr im Einschlafen plötzlich gewahr geworden, daß
das Brandungsrollen ihrem eigenen Pulsschlag entsprach
oder der Puls sich der Meeresbewegung angeschmiegt
hatte. Die Seele war schier ins Wogen mitgenommen
worden."
(2005, S.67f.)
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Während sich
Pauschalreisende nach der Ankunft nicht mehr um
eine Unterkunft kümmern müssen, steht der
Individualreisende, der nur einen Flug gebucht
hat, vor dem Problem der Suche nach der richtigen
Unterkunft. Damit nach einem stressigen Flug nicht
noch der Stress einer Zimmersuche dazu kommt,
empfiehlt es sich zumindest für die erste Nacht vor
Antritt des Urlaubs ein Zimmer zu buchen. Danach lässt
es sich entspannter angehen.
Im Gegensatz zu
Pauschalreisenden können Individualreisende unangenehme Situationen durch Ab- bzw. Weiterreise
umgehen.
Christine Perlacher
hat nur einen einwöchigen Kurzurlaub gebucht.
Bei dieser Urlaubsform sind auch größere
Fehlentscheidungen bei der Wahl des Urlaubsortes oder
der Unterkunft von vornherein weniger tragisch als bei
längeren Aufenthalten von drei- bis vier Wochen.
Urlaubsängste von Alleinwohnenden
Wenn Alleinwohnende
verreisen, dann sind sie besonders anfällig für
bestimmte Ängste.
Leichtes Licht
"Christine Perlacher erschrak.
Hatte sie in der Küche den Heizofen ausgestellt?
Falls der Ofen bis jetzt geheizt und die Küche gewärmt
hatte, war er durchgeglüht, setzte er die
Geschirrtücher in Brand, hatten die Stofflocken längst
die Gardinen in Feuer verwandelt, war die Küche zum
Flammenmeer geworden, hatte am späten Vormittag der
Teppichboden vor der offenen Tür zu schwelen, zu
lodern begonnen, löschte ungefähr jetzt die Feuerwehr
die vier Etagen in der Arnoldstraße! - Sie war
verloren! - Sie konnte nicht mehr heim, sie durfte
sich nicht zu erkennen geben. Ihr Leben war ruiniert!
Sie würde nie auch nur einen Bruchteil abbezahlen
können. Und falls es Opfer, Verletzte, Tote gegeben
hatte, saß sie schon so gut wie im Gefängnis!"
(2005, S.97f.) |
Das Verlassen
der Wohnung ist für Alleinwohnende normalerweise
eine alltägliche Routine. Die meisten
Berufstätigkeiten zwingen dazu.
Längere
Abwesenheiten führen jedoch auch bei routinierten
Alleinwohnenden zu leichten Spannungszuständen, wie
ein Passage aus dem Buch Das Ende der Berührbarkeit
von Jochen SCHIMMANG zeigt:
Das Ende der Berührbarkeit
"Aus seinem
Briefkasten sahen die Wochenendzeitungen hervor. Sonst
fand er keinerlei Post. Langsam ging er die steilen
und engen Treppen zu seiner Wohnung im obersten
Stockwerk hinauf. Er schloß die Wohnungstür auf, wie
oft nach ein paar Tagen Abwesenheit in der leichten
Spannung, ob die Wohnung vielleicht ausgebrannt oder
ausgeraubt sei, oder ob er auch einfach nur vergessen
hatte, ein Licht oder das Radio auszumachen."
(1981, S.32) |
Im Normalfall
beeinträchtigen solche Ängste einen Urlaub nicht, aber
erhöhte Selbstaufmerksamkeit oder andere Formen der
Ängstlichkeit
können dazu führen, dass
es zu größeren Beeinträchtigungen kommen kann.
Christine jedoch
ist weit davon entfernt, sich wirklich Sorgen zu
machen. Sie hat zudem einen Nachbarn, den sie
notfalls anrufen könnte. Es bleibt deshalb bei einer
einmaligen Angstphantasie.
Selbstgespräche
Christine Perlacher
beargwöhnt sich selber. Sie befindet sich während der
Hinflugphase in einer Situation der erhöhten
Selbstaufmerksamkeit.
Leichtes Licht
"Sie mußte
achtgeben, nicht mit sich selbst zu sprechen. Solches
Egogemurmel paßte erst zu einem höheren Alter. Es war
bedenklich genug, daß ein Single sich manchmal dabei
ertappte, wie für Gehörlose lautlos mit sich selbst zu
plaudern. Wahrscheinlich besaß sie über ihre Lippen
längst nicht mehr die Kontrolle. Seele und Hirn
liebten es, für einen Moment Wörter zu werden."
(2005, S.59) |
Christine gehört
nicht zu jenen Menschen, die sozial isoliert
sind und deshalb zu Selbstgesprächen neigen.
Sie ist eher der
kontaktfreudige Typ. Der innere Monolog formuliert
hier eine soziale Angst aus, die normalerweise
höchstens als kurzer Gedanke ins Bewusstsein dringt.
Wer wie Christine
nicht zu Selbstgesprächen neigt, der muss keine
Angst haben, dass er durch einen Urlaub zum
Selbstgespräche führenden Sonderling wird.
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