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Vorbemerkung
Die Rente steht seit Jahrzehnten vor dem Kollaps.
Immer ist es die Altenlast, die zum Bankrott führen soll. Aber
stimmt das überhaupt? Die folgende Bibliografie soll zeigen,
dass der ewig währende Zusammenbruch des Rentensystems viele
Ursachen hat, der demografische Wandel ist bislang kein Faktor
gewesen. Der Zusammenbruch wurde bereits auf das Jahr 2000, auf
2010, auf 2020 und nicht zuletzt auf das Jahr 2030 datiert. Das
Rentensystem hat sich tatsächlich verändert, aber war das eine
Notwendigkeit der demografischen Entwicklung? Man darf das
bezweifeln, wenn man die Debatte über die Jahrzehnte verfolgt
und mit den Fakten vergleicht. Das soll diese Dokumentation
ermöglichen. Die Kommentare spiegeln den Wissensstand des Jahres
2014 wieder.
Kommentierte Bibliografie (Teil 2 - Die
1980er Jahre)
1980
Renate MERKLEIN
kritisiert den Ausbau des Sozialstaats, der insbesondere in
Wahljahren vorangetrieben wird. Auf die Rentenversicherung sieht sie
aufgrund der geringen Sicherheitsreserve Probleme für die
Finanzierung:
"Zu Lasten der staatlichen
Rentenversicherung beispielsweise wurden seit Beginn der 70er Jahre so
viele Benefizien verteilt, daß von dem Vermögenspolster, das die
Anstalten für schlechte Tage aufgehäuft hatten, nur wenig übrigblieb.
Ende 1974 betrug die Rücklage, die etwa für den Fall bereitsteht, daß
die an den Lohn der Versicherten gekoppelten Beitragseinnahmen infolge
von Kurzarbeit oder Abbau von Überstunden einmal eine Zeitlang etwas
geringer fließen, noch 44,3 Milliarden Mark; Ende 1979 waren davon nur
noch 16,35 Milliarden Mark übriggeblieben."
Tatsächlich entwickelt sich die
weitere Lohnentwicklung zum Finanzierungsproblem der
Rentenversicherung aus. Für Mitte der 1990er Jahre sieht MERKLEIN
zudem Probleme aufgrund des demografischen Wandels:
"Nach den Prognosen, die von den
Sozialpolitikern wohlweislich nicht veröffentlicht wurden, sind auch
bei künftigen Lohnsteigerungen von jährlich sechs Prozent
Rentenzahlungen in jener Höhe, wie sie die heute 50- und 51jährigen
aufgrund der geltenden Formel bei ihrer Pensionierung erwarten, ab
1995 gefährdet und ab 1996 unmöglich - es sei denn, die Beitragssätze
würden kräftig erhöht oder die Staatszuschüsse. Helfen könnte nur eine
noch stärkere Steigerung der Löhne und damit der Beitragseinnahmen".
"Problemlos und mit einer
ausreichenden Sicherheitsreserve kommen die Sozialversicherungen nur
dann über die achtziger und neunziger Jahre, wenn die Bruttolöhne und
Gehälter, von deren Höhe ihre Einnahmen abhängig sind, um mindestens
sieben Prozent jährlich steigen. (An der Jahrtausendwende droht
ohnedies eine Finanzkrise, wenn in Deutschland bis dahin nicht mehr
Kinder geboren oder mehr Gastarbeiter ansässig werden.) Und dabei sind
in der Rechnung weitere Sozialgeschenke wie die jetzt erwogene
Verbesserung der Hinterbliebenenversorgung noch nicht enthalten, die
-- gekoppelt mit der vom Bundesverfassungsgericht verlangten
Gleichstellung des Mannes (er bekam als Witwer einer berufstätigen
Gattin bislang nur in Ausnahmefällen eine Hinterbliebenenrente) -- von
60 auf 70 Prozent der Rente des verblichenen Ernährers erhöht werden
soll", warnt Renate
MERKLEIN.
Sie kritisiert die Annahmen der
Prognose der Bundesregierung über die zukünftigen Ausgaben der
Sozialversicherung. So erscheint ihr z.B. die angenommene
Sterblichkeit überschätzt:
"So nimmt die Bundesregierung
bei der Prognose der Sozialversicherungsausgaben an, daß (...) in den
achtziger Jahren wieder mehr deutsche Bürger vor (oder nach nur
kurzem) Rentenbezug sterben als in der zweiten Hälfte des vergangenen
Jahrzehnts und auf diese Art die Sozialkasse schonen. Die Bonner
Sozialversicherungskalkulatoren hoffen, der seit 1976 erkennbare
Trend, daß in der Bundesrepublik erheblich weniger Bürger sterben, als
in der 5. koordinierten Bevölkerungsvorausschätzung des Statistischen
Bundesamtes vorhergesagt wurde (...), werde sich wieder abschwächen.
Die Annahme der Bonner Sozialpolitiker, daß sich die
Sterblichkeitsrate westdeutscher Männer und Frauen in den nächsten
Jahren wieder erhöht und ab 1985 nur noch vier Prozent niedriger ist,
als in der alten Absterbeordnung vorgesehen, gilt jedoch in der
privaten Assekuranz als »nicht begründet« (der Chefmathematiker einer
großen Lebensversicherung)."
1983
SPIEGEL (1983):
Rentenversicherung vor dem Bankrott.
Bald kracht es in der
Rentenversicherung. Die Zahl der Alten wächst ständig, für die
Aktiven wird es zunehmend schwieriger, die Renten zu
finanzieren. CDU- wie SPD-Politker versprechen "sichere Renten"
- und können nicht einmal krasse Ungerechtigkeiten abbauen: die
teure und opulente Überversorgung der Staatsdiener,
in: Spiegel Nr.8 v. 21.02.
Nicht die Demografie, sondern
konjunkturelle Probleme sind Ursache der aktuellen Finanznot der
Rentenversicherung. Obwohl also die damaligen
Finanzierungsprobleme nichts mit der damaligen demografischen
Lage zu tun hatten, werden die zukünftigen Alterslasten als
Ursache für einen unumgänglichen Umbau des Rentensystems
beschrieben:
"Vor allem aber geraten die
Rentenfinanzen deswegen aus dem Lot, weil immer weniger
Beitragzahler immer mehr Leistungsbezieher unterhalten müssen.
Von 1965 bis 1980 hat sich die Zahl der Rentner in der
Rentenversicherung für Arbeiter und Angestellte von neun auf
rund 13 Millionen erhöht - wegen der flexiblen Altersgrenze etwa
oder wegen der Zunahme der Erwerbsunfähigkeitsrenten.
Vor allem aber nahm die Zahl der Alten im Verhältnis zur
Gesamtbevölkerung stetig zu. 1965 waren erst zwölf, 1980 bereits
15,5 Prozent der Deutschen älter als 65.
Selbst wenn andere Risiken - etwa die steigende Lebenserwartung,
höhere Rentenansprüche der Frauen oder früherer Rentenbeginn -
außer acht bleiben: Allein die Bevölkerungsentwicklung der
nächsten Jahrzehnte reicht aus, die Rentenversicherung in den
Bankrott zu treiben.
1980 mußten 1000 Pflichtversicherte für 555 Rentner sorgen.
Diese Relation verschlechtert sich stetig. Im Jahr 2000 sind
schon 711, weitere 30 Jahre später, wenn die Bevölkerung wie
bisher schrumpft, gar 1199 Rentner von 1000 Beitragszahlern zu
unterhalten.
In seinem Gutachten über langfristige Probleme der
Altersversicherung zeigt der Sozialbeirat die Konsequenzen auf.
Entweder: Der Beitragssatz steigt von heute 18 auf 35 Prozent
des Bruttoverdienstes. Oder: Die Leistungen an die Rentner
werden halbiert. Sie bekämen dann nur noch etwa ein Drittel des
durchschnittlichen Nettoverdienstes. Das aber reicht zum Leben
nicht aus.
Probleme dieses Ausmaßes sind in der gesetzlichen
Rentenversicherung allein nicht zu lösen."
1985
BLÜM, Norbert (1985): "Vor der Mühsal einer Schlankheitskur".
Vorschläge für die
Reform der Rentenversicherung,
in:
Spiegel Nr.8 v.
18.02.
Bundesarbeitsminister Norbert
BLÜM spricht sich gegen eine Wertschöpfungssteuer
("Maschinensteuer") sowie den Umbau der gesetzlichen
Rentenversicherung zu einer Grundsicherung mit privater
Altersvorsorge aus, das dies für die Jungen nicht zu finanzieren
sei. Stattdessen propagiert er den Übergang von der Kopplung der
Renten an die Bruttolöhne an die Nettolöhne.
Im Sinne einer
Generationengerechtigkeit sei zudem eine "bevölkerungspolitische
Formel" notwendig, "die den Rentenzuwachs verlangsamt, wenn die
Beiträge steigen". Sein Mantra:
"Es wachsen weniger Junge
nach, als Junge alt werden. Immer weniger Beitragszahler müssen
für immer mehr Rentner sorgen. (...). Wer den Absturz in der
Rentenversicherung verhindern will, muß die Rentenversicherung
sachte in eine neue Generationsbalance überführen."
SPIEGEL
-Titelgeschichte: Renten in Gefahr.
Die
Last wird zu groß |
"Neben
unsicheren, aber im Trend absehbaren Entwicklungen gibt es
Daten, an denen nicht zu deuteln ist. Die Kinder, die jetzt
nicht geboren worden sind, kommen nicht nach. Die während des
Babybooms Mitte der sechziger Jahre Geborenen, die jetzt
Studien- und Arbeitsplätze suchen, kommen um das Jahr 2030 ins
Rentenalter. Wer zahlt dann ihre Rente?
(...).
Seit 1972
starben in der Bundesrepublik mehr Menschen als geboren werden.
Die sogenannte Nettoreproduktionsrate (wenn sie 1 beträgt,
bleibt langfristig die Bevölkerungszahl unverändert), lag 1966
noch bei 1,187, signalisierte also eine wachsende Bevölkerung.
Bis 1982 sank sie auf 0,647. Ende vorigen Jahrhunderts bekamen
die Ehepaare im Durchschnitt noch fünf Kinder, 1910 nur drei,
1960 immerhin noch mehr als zwei, jetzt aber weniger als
anderthalb. Fast zwanzig Prozent der Ehepaare bleiben heute
kinderlos, mehr als ein Viertel der Eltern begnügen sich mit
einem Kind, und nur jedes sechste Paar bringt es noch auf drei
oder mehr Kinder",
erläutert
Joachim NAWROCKI die gegenwärtige Situation. Die
Nettoreproduktionsrate ist nicht nur von der Kinderzahl
abhängig, sondern auch von den Sterblichkeitsverhältnissen, d.h.
selbst fünf Kinder könnten zu wenig sein, um den Bestand zu
erhalten.
Das Bestandserhaltungsniveau wurde bereits um 1900
unterschritten. Die Kinderlosigkeit der Ehepaare wurde
wie bereits 6 Jahre zuvor überschätzt.
"Fruchtbarkeitsraten wie vor zwanzig Jahren oder gar um die
Jahrhundertwende wird es nicht mehr geben. Die Geburtenzahlen
werden in den nächsten fünf Jahren vielleicht ein wenig steigen,
dann wieder kontinuierlich sinken, und zwar auf unter 300 000 im
Jahre 2030"
behauptet
NAWROCKI. Geht man - grob geschätzt - von einem Gebäralter
um die 30 Jahre aus, würden die im Jahr 2000 geborenen
westdeutschen Frauen (656.000) nur 300.000 Kinder zur Welt
bringen. Dagegen haben die 1970 geborenen westdeutschen Frauen
(810.808) diese Kinder des Jahres 2000 zur Welt gebracht. Man
sieht auf den ersten Blick, dass nur bei einer weiter sinkenden
Geburtenhäufigkeit im Jahr 2030 nur 300.000 Kinder zur Welt
kommen würden. Natürlich können die Geburten eines Jahres nicht
einem einzigen Frauenjahrgang zugeschrieben werden, sondern
setzen sich aus den altersspezifischen Anteilen der Frauen im
gebärfähigen Alter zusammen. Dennoch lässt sich erahnen, dass
die Geburtenentwicklung, die NAWROCKI aufgezeigt hat, eher wenig
realistisch ist.
Für die
Entwicklung des Rentensystems entwirft NAWROCKI folgende
Szenarien:
"Schwieriger
werden die Probleme der Alterssicherung zu bewältigen sein,
jedoch erst nach dem Jahr 2010. Derzeit kommen auf zehn Rentner
26 Erwerbstätige, im Jahr 2030 aber nur noch etwa zwölf. Die
Beitragssätze für Rentenversicherung werden danach – soweit
jetzt vorherzusehen ist – von derzeit 18,5 auf 35 Prozent der
Bruttolöhne steigen müssen, wenn die Renten unverändert der
Lohnentwicklung folgen sollen. Hinzu kämen Steuern und andere
Abgaben, so daß jeder Arbeitnehmer weit weniger als die Hälfte
seines Bruttoverdienstes ausbezahlt bekäme.
Also können entweder die Renten nicht mehr steigen wie
bisher, das Rentenalter dürfte nicht weiter herabgesetzt werden
(es gibt sogar Vorschläge, es hinaufzusetzen, etwa auf 68
Jahre), vorzeitige Pensionierung müßte eine entsprechende
Rentenkürzung zur Folge haben. Oder das Rentensystem
müßte radikal geändert werden, so daß jeder Erwerbstätige nicht
für die jeweils lebende Rentnergeneration Beiträge zahlt,
sondern seine Beiträge nur für die eigene Alterversorgung
anlegt. Der Vorteil wäre, daß sich die Alterversorgung viel
besser den gravierenden Verschiebungen in der Altersstruktur
anpassen ließe."
Tatsächlich
scheint die Entwicklung bis zum Jahr 2014 NAWROCKI Recht zu
geben. Die Rente steigt nicht mehr gemäß der
Bruttolohnentwicklung, die Rente mit 67 ist eingeführt, um eine
ungebremste Beitragssatzsteigerung zu verhindern. War das jedoch
aufgrund der demografischen Entwicklung notwendig? Das ist die
entscheidende Frage. Bis 2030 sind es nur noch 16 Jahre und
Deutschlands Bevölkerung wächst - entgegen jeglicher Prognose
und trotz niedriger Geburtenrate. Haben wir es also nicht viel
eher mit einer Demografisierung gesellschaftlicher Probleme zu
tun?
PAI, Claudia (1985): Mütter in den Staatsdienst.
Frauen als hauptberufliche "Kinderbeamtinnen" könnten
die Geburtenrate erhöhen. Interview mit dem
Bevölkerungswissenschaftler Hans W. Jürgens,
in:
Die Zeit, Nr.9 v.
22.02.
"ZEIT: Welche Folgen
hat der Bevölkerungsrückgang für das Rentenversicherungssystem
und für die Bundeswehr?
Jürgens: Was zu einem Rentenproblem führen kann, ist die
Tatsache, daß irgendwann die starken Jahrgänge, die zwischen
1955 und 1970 geboren wurden, auch mal Rentner werden. Und daß
dann, dank niedriger Geburtenraten, nicht mehr viel
nachgewachsen ist, das heißt, die heute Fünfundzwanzig- bis
Dreißigjährigen müssen sich Sorgen um ihre Renten machen. Und
wenn sie sich Sorgen machen, dann sollen sie gefälligst Kinder
machen. Das Rentenproblem wird nach dem Jahre 2010 mal
virulent."
HOFMANN, Gunter
(1985): Aufbruch zu alten Ufern.
Familienpolitik der Union: Nach der Emanzipation wird
die Bastion der Gemeinschaft wiederentdeckt,
in:
Die Zeit, Nr.9 v.
22.02.
SPIEGEL (1985):
Von der Rentenkrise in die Staatskrise?
Alles abwiegelnde
Gerede von den sicheren Renten kann nicht vernebeln, daß die
Altensicherung in den Bankrott steuert. Mit Reparaturen wie
bisher lassen sich die Renten nicht sanieren. Die meisten
Beitragszahler bezweifeln inzwischen auch, daß sie es im Alter
so gut haben werden wie die jetzigen Rentner,
in:
Spiegel Nr.10 v.
04.03.
Nicht die Demografie, sondern
Fehlentscheidungen der Regierung sind die Ursache aktueller
Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung: die
Lohnentwicklung wurde erstens zu positiv prognostiziert,
zweitens wurde die Schwankungsreserve auf einen Monat abgesenkt
und drittens wurde der Beitrag von Arbeitslosen an die
Rentenversicherung drastisch gesenkt. Obwohl also die damaligen
Finanzierungsprobleme nichts mit der damaligen demografischen
Lage zu tun hatten, werden die zukünftigen Alterslasten als
Ursache für einen unumgänglichen Umbau des Rentensystems
beschrieben:
"Muß ein Volk mit weiter
sinkenden Geburtenraten seine Alten nicht schon bald darben
lassen? Wer trägt die Last im Jahr 2000, wenn immer weniger
Arbeitnehmer immer mehr Ruheständler ernähren müssen?"
wird die rhetorische Frage
gestellt, um dann vorzurechnen:
"Die Hauptursache des
Rentendilemmas ist seit langem bekannt: Die Deutschen zeihen
seit 20 Jahren immer weniger Kinder groß; in den nächsten
Jahrzehnten wird die Bevölkerungszahl erheblich sinken.
(...).
Heute kommen auf 100 Bürger zwischen 20 und 59 Jahren 36
Menschen, die 60 Jahre und älter sind. Nach Modellrechnungen
werden es im Jahr 2030 annähern 70 sein.
Noch ungünstiger entwickelt sich das Verhältnis von
Beitragszahlern und Rentnern. Heute versorgen 100 Beitragszahler
etwa 46 Rentner. Im Jahre 2030 wird jeder Arbeitnehmer etwa
einen Rentner unterhalten müssen.
Wollte man diese Last einseitig den Aktiven aufschultern, wären
Beitragssätze von über 35 Prozent die Folge. Das ist genauso
undenkbar wie die Alternative, die Renten auf unter 25 Prozent
des früheren Nettoeinkommens absinken zu lassen."
Als nicht-demografische
Faktoren für die aktuelle Finanzsituation wird dagegen genannt:
"Verschärft wird die
Rentenkrise durch ein geringes Wirtschaftswachstum, durch
niedrigere Lohnzuwächse und durch mehr Freizeit."
Neben dem Geburtenrückgang,
der sich jedoch damals gar nicht auf die Rentenfinanzen
auswirkte, wird auch die steigende Lebenserwartung der
Vergangenheit ins Spiel gebracht:
"Gleichzeitig stieg die
Lebenserwartung, die Alten leben länger. 1960 zum Beispiel
kassierten die Rentner der Angestelltenversicherung im Schnitt
8,7 Jahre Ruhegeld, bevor sie starben. 1983 waren es bereits
11,7 Jahre. Noch drastischer war der Zuwachs bei den
Arbeiterinnen: 1960 bezogen sie 10,9 Jahre ihre Rente, 1983 aber
15 Jahre. Das belastet die Soll-Seite der Rentenbilanzen mit
Milliarden."
MERKLEIN, Renate (1985): Den Alterskassen
ein Baby schenken?
Bevölkerungsentwicklung und
Rentenfinanzen (I),
in: Spiegel Nr.52 v. 23.12.
Renate MERKLEIN
berichtet über die Ergebnisse einer von der
Bundesregierung eingesetzten Arbeitsgruppe zu
Bevölkerungsfragen, die Modell-Rechnungen zur
Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2030 erstellt hat. Die
Bevölkerungszahl des Jahres 2000 jener Variante, die von
MERKLEIN als wahrscheinlichste bezeichnet wird, liegt jedoch
weit unterhalb der tatsächlichen Bevölkerungszahl im
Westdeutschland des Jahres 2000.
Die Treffsicherheit wird von MERKLEIN als sehr hoch
eingeschätzt, weil es keine Faktoren mehr geben kann, die die
Entwicklung noch abwenden könnten. Zur DDR und der
Ost-West-Wanderung heißt es daher keine 5 Jahre vor dem
Mauerfall:
"Heute läßt
die DDR meist nur noch Rentner über ihre mittlerweile durch hohe
Zuchthausmauern markierte Grenze gen Westen ziehen (natürlich
ohne die von ihnen in die dortigen Alterskassen eingezahlten
Rentenbeiträge hinterherzusenden). Gewinn an jungem Volk, dazu
auch noch an deutschem, durch Wanderung von Ost nach West, ist
daher auch in Zukunft wohl kaum möglich."
Es bleibt
daher nur die Hoffnung auf eine Steigerung der Geburtenrate. Der
Titel des Artikels ist dementsprechend einer Forderung des
CDU-Ministers Heiner GEIßLER geschuldet:
"Heiner
Geißler, CDU-Generalsekretär und bis Herbst 1985 auch
Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, etwa trägt
warnend vor, daß »sich ab dem Jahre 2000 die Probleme in der
Rentenversicherung dramatisch verschärfen ... wenn es bei der
negativen Geburtenentwicklung bleibt«. Möglichst viele Frauen
sollen daher den Alterskassen bald ein Baby schenken."
Es ist
zumindest bis Mitte der 2010er Jahre bei der negativen
Geburtenentwicklung geblieben und die tiefen Einschnitte in die
Rentenversicherung sind auch mit der demografischen Entwicklung
begründet worden, obgleich deren Anteil bislang verschwindend
gering war.
Damals wurde
Konrad ADENAUER auch noch nicht der Spruch, dass die Leute
Kinder immer bekämen, zugeschrieben, sondern bei MERKLEIN heißt
es:
"Auch
unbestritten demokratische Politiker der zweiten deutschen
Republik fanden die zu ihrer Zeit beobachtete Fruchtbarkeit des
Volkes zu klein. So klagte Konrad Adenauer, der erste Kanzler
der Bundesrepublik, in der Regierungserklärung anläßlich seiner
Wiederwahl 1953 darüber, daß die »Zusammensetzung der
Bevölkerung ... sich stetig zuungunsten des Prozentsatzes der im
produktiven Alter stehenden« verändere, »weil die Langlebigkeit
wächst und die Geburtenzahl abnimmt«. Zugleich warnte er vor
diesem »für unser ganzes Volk im Verlauf einiger Generationen
vernichtenden Prozeß«."
Mit Blick auf
Frankreich und die DDR beurteilt MERKLEIN bevölkerungspolitische
Anreize zur Steigerung der Geburtenrate skeptisch. Sie zitiert
dazu Bevölkerungswissenschaftler wie Hermann SCHUBNELL und Karl
SCHWARZ. Stattdessen wird mit Blick auf die Siegermacht USA
deren - ohne Anreize - zustande gebrachter Baby-Boom gewürdigt.
MERKLEIN
sieht in der familienpolitischen These, dass einzig die
Schließung der Kluft zwischen gewünschter und realisierter
Kinderzahl zur Steigerung der Geburtenrate führt, eine
Möglichkeit Bevölkerungspolitik unter dem Deckmantel der
Familienpolitik zu betreiben.
Renate MERKLEIN
diskutiert ausführlich die unterschiedlichen Theorien
zum Geburtenrückgang und die Möglichkeiten einer ökonomischen
Steuerung.
1986
MERKLEIN, Renate (1986): Den Alterskassen
ein Baby schenken?
Bevölkerungsentwicklung und
Rentenfinanzen (III),
in: Spiegel Nr.2 v. 06.01.
Renate MERKLEIN
sieht nicht im Geburtenrückgang das Problem der Finanznot
der Rentenversicherung, sondern in einer verfehlten
Rentenpolitik:
"Ihr droht der
Zusammenbruch, weil die Politiker sie ohne jede Not und ganz
freiwillig zum Spielball der Bevölkerungsentwicklung machten.
Renate MERKLEIN
weist darauf hin, dass die Rentenbezugszeiten länger sind
als es aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung erwartbar
gewesen wäre:
"In Deutschland haben sich
die Rentenlaufzeiten allerdings bislang weit mehr verlängert,
als durch die steigende Lebenserwartung erklärbar wäre. Grund:
Die Politiker haben leichtfertig und ohne Not das
Pensionierungsalter immer weiter herabgesetzt - zuallererst
ausgerechnet bei den Frauen, deren Renten sich ohnehin wegen der
stark steigenden Lebenserwartung sehr verteuerten."
MERKLEIN kritisiert
insbesondere, dass der frühere Renteneintritt nicht mit
Abschlägen, wie sie in der Versicherungsbranche üblich sind,
belegt wurde. Dies hätte die Rentenfinanzen in Bedrängnis
gebracht. Zudem sie die Bruttoanpassung der Renten nicht mehr
zeitgemäß und den Beitragszahlern würden außerdem
versicherungsfremde Leistungen aufgebürdet. Ihr vernichtendes
Fazit:
"Das alles, die stete
Verjüngung der Pensionäre, die allzu reichliche Dynamisierung
der Renten, die Tatsache, daß immer weitere Rentenansprüche für
zuvor nicht berechtigte Personengruppen erfunden wurden,
stiftete in der Gesamtwirtschaft erhebliche Schäden; Schäden,
die nun wiederum auf die Rentenversicherung zurückschlagen.
Denn finanziert werden konnte das alles nur durch ein zunehmend
unsolides Finanzgebaren der Rentenversicherung und durch starke
Steigerung des Beitragssatzes."
Während üblicherweise der
demografische Wandel in Form des Altersquotienten als Ursache
der Finanznot herhalten muß, zeigt MERKLEIN auf, dass der
"Rentenfallquotient" aufgrund der verfehlten Rentenpolitik weit
höher liegt als der durch den demografischen Wandel verursachte
Finanzierungsbedarf der Rentenversicherung:
"Heute entfallen auf 100
Pflichtversicherte bereits 56 Rentenfälle, fast 60 Prozent mehr
als 1958. Nur ein Teil dieser gestiegenen und weiter steigenden
Belastung ist auch auf jenen Faktor zurückzuführen, den die
Politiker immer alleine zu nennen pflegen - nämlich darauf, daß
sich »das Zahlenverhältnis zwischen den Generationen verschiebt«
(Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm).
Zwar hat sich das Zahlenverhältnis zwischen Alten und Jungen
kräftig verschoben, aber doch nicht so dramatisch, wie die
tatsächliche Rentenlast zunahm. Würden auch heute noch nur die
über 65jährigen als »alt« und nicht mehr erwerbsfähig gezählt,
sähe das Zahlenverhältnis zwischen den Generationen jetzt so
aus: Auf hundert Einwohner von 20 bis 64 Jahren kämen 24 über
65jährige - das sind immerhin sechs mehr als 1958. Aber der so
bemessene Anteil der Alten ist damit nur um ein gutes Drittel
und nicht um fast 60 Prozent wie die tatsächliche Rentnerlast
gestiegen.
Auch in Zukunft, im Jahr 2000 und danach, wäre die Altenlast
nicht so schwer, wenn die Sozialpolitiker in den vergangenen
Jahren weniger aktiv gewesen wären.
Bis zur Jahrtausendwende - das ist jetzt schon fast sicher, da
alle bereits leben, die dann im erwerbsfähigen oder im
Rentenalter sind - wird sich der Anteil der über 65jährigen an
der erwachsenen Bevölkerung noch gar nicht dramatisch erhöhen.
Bis dahin wird die Zahl der über 65jährigen, die jeweils hundert
20- bis 64jährigen gegenüberstehen, auf 27 und damit gegenüber
dem Stand von 1985 um rund 13 Prozent steigen. Die Zahl der
Rentenfälle, die, von jeweils hundert Pflichtversicherten
bezahlt werden müssen, aber wächst bei unverändertem Rentenrecht
um gut 23 Prozent (...).
Wie die Lasten sich im allerdings gar nicht mehr fernen 21.
Jahrhundert entwickeln werden, ist weit unbestimmter. Zwar
weilen alle, die bis 2035/40 Altersrentner werden wollen, schon
auf Erden. Aber ein Großteil ihrer potentiellen Finanziers ist
jetzt noch ungeboren und wird vielleicht auch nie das trübe
Licht der Welt erblicken. Falls die Deutschen weiterhin so wenig
fruchtbar bleiben wie in der jüngsten Vergangenheit, müßten 100
Beitragszahler bei unverändertem Sozialrecht in der Spitze, die
im Jahr 2035 erreicht wird 127 Rentenfälle versorgen."
Während MERKLEIN hier nur
den
"Altersquotienten" durch einen "Rentenfallquotienten" ersetzt,
wird inzwischen in der Debatte um den demografischen Wandel das
Verhältnis der Erwerbsfähigen zu den Rentnern problematisiert.
Christian MARSCHALLEK hat deshalb einen
Nicht-Erwerbstätigenquotienten (NEQ) ins Spiel gebracht.
Der Beitrag schließt mit
einer Vorstellung von Maßnahmen, die in anderen Industrieländern
getroffen werden. So wird in den USA die Rente mit 67
stufenweise für die nach 1938 Geborenen angehoben.
Großbritannien schmilzt die gesetzliche Rente auf eine
Grundrente ab. Der Rest wird der Kapitaldeckung und damit der
privaten Altersvorsorge überantwortet. Japan hat nach Meinung
von MERKLEIN die geringsten Probleme - trotz starker Alterung -
zu erwarten:
"Die Japaner haben ohnehin
geringere Probleme, obwohl sich ihre Altersstruktur fast genauso
schnell und fast genauso dramatisch wie die der Deutschen
entwickelt (...). Da das staatliche Rentensystem in Japan,
genannt Kosei-Nenkin-Hoken, zwar keineswegs voll, aber immerhin
teilweise durch Kapital gedeckt ist, verfügt es über "ein
kräftiges Schutzkissen gegen die zerstörerischen demographischen
Bedingungen unseres sozialen Sicherungssystems" - so der
japanische Sozialwissenschaftler Noriyuki Takayama.
In Westdeutschland, das mehr als alle anderen Staaten durch
Geburtenschwund betroffen und dessen Rentensystem zuallererst
von Pleite bedroht ist, wären frühzeitige Korrekturen am
allernötigsten gewesen."
Gemäß einer Grafik, deren
Zahlenherkunft sich nicht erschließen, kommen 2025 in Japan 1,6
Beitragszahler auf einen Rentner (BRD 1,1). Für das Jahr 2000
werden für Japan 2,7 (BRD 1,7) und für 2015 1,7 japanische
Beitragszahler pro Rentner angegeben (BRD 1,4)
1989
SPIEGEL
-Titelgeschichte: Jung gegen Alt.
Kampf
der Generationen |
SCHÖPS,
Hans Joachim (1989):
"Es wird erbarmungslose Kämpfe geben".
Über
die heraufziehenden Konflikte zwischen Jungen und den Alten,
in:
Spiegel Nr.31 v.
31.07.
"Im
Jahre 2010 wird die Alterspyramide, die so gar nicht mehr heißen
dürfte, endgültig auf dem Kopf stehen. Auf 27 Prozent über
60jährige kommen dann nur noch 18 Prozent unter 20jährige, und
es geht so weiter: Zwei Jahrzehnte später wird jeder dritte ein
Alter sein.
In Hamburg zum Beispiel wird es dann um die 300 000 Rentner und
Pensionäre geben, eine Großstadt von Greisen.
(...).
»Es wird erbarmungslose Verteilungskämpfe geben«, sagt der
Augsburger Altersforscher Konrad Hummel, und die Amerikaner
haben dafür schon ein paar deutliche Worte gefunden: Age wars,
die Alterskriege.",
behauptet
SCHÖPS. Der Autor zitiert den Kronberger Kreis, der
Rentenreformen ab der Jahrtausendwende für undurchführbar hält:
"Keineswegs
unabsehbar, sondern in ihrer Düsternis voll erkannt sind die
Folgerungen, die sich aus dem demographischen Umsturz für die
Alterssicherung ergeben. Zwar sieht es derzeit noch rosig aus
(...).
Doch auf die Dauer ist das System nicht mehr zu bezahlen. (...).
Für den Kronberger Kreis etwa, eine gewiß nicht unionsfeindliche
Runde von Wirtschaftswissenschaftlern, wäre eine radikale Abkehr
vom bisherigen Versorgungsdenken geboten, da in zehn bis zwölf
Jahren das Problem unlösbar geworden sei - »politisch, weil dann
die Alten einen gewaltigen Stimmenblock stellen, wirtschaftlich,
weil die aktive Generation die dann notwendigen Zusatzlasten
nicht mehr tragen könnte, rechtlich, weil in die dann neu
entstandenen Renten und Rentenanwartschaften nur noch
geringfügig eingegriffen werden könnte«."
Wie wir heute
wissen, war diese Einschätzung völlig falsch.
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