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Singles als Alleinwirtschaftende
Hier wird für
die Zugangsweise der amtlichen Statistik nicht der
Begriff des Alleinlebens verwendet, denn die Haushaltsstatistik
ordnet alle Dimensionen der Wirtschaftsweise unter. Diese
Begriffslogik lässt sich folgendermaßen veranschaulichen:
Abbildung
2: Die Begriffslogik der Zuordnung zu den
Alleinlebenden in der amtlichen Statistik |
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Die Frage, ob
jemand zusammenwirtschaftet oder allein wirtschaftet entscheidet
über die Zugehörigkeit zur Paargemeinde und zur Gruppe der
Zusammenwohnenden. Eine solche Sichtweise ist
vorindustriellen Denkmustern verpflichtet, für die ein
Individualeinkommen nicht existiert hat. In dem Buch
Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik schreibt Hans
ACHINGER:
Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik
"Die Fixierung des Einkommens an
persönlich scharf herausgeschnittene Arbeitsleistungen hat
zur Folge (...), daß der Arbeitsertrag zunächst dem
Individuum, nicht mehr einem Kollektivum, dem Hof, dem
Hause, der Familie, der Werkstatt, zufällt. Der
Arbeitsertrag wird völlig auf Lohntüten verteilt, die dem
einzelnen jeweils die Gesamtverfügung über ihren Inhalt
verschaffen. Dabei bleibt dann völlig offen, wie sich ein
Familienverband, einschließlich der
Nichtlohntütenempfänger, durch die Kombination von solchen
Individualeinkommen wieder lebensfähig macht. Es
entspricht dem neuen Zustand, daß jetzt in der Arbeitswelt
völlig isolierte Personen erscheinen, deren »private«
Familien- oder Haushaltszugehörigkeit nicht bekannt zu
sein braucht und auch nichts besagt."
(1958, S.35 ) |
Das Single-Dasein setzt also ein
Individualeinkommen (oder ausreichende staatliche
Sozialleistungen bei Ausfall des Verdienstes), wie es uns heute
als selbstverständlich erscheint, voraus.
Heutzutage ist die Selbstdefinition als Paar
jenseits des Zusammenwirtschaftens nicht mehr ungewöhnlich.
Die amtliche Statistik ist dagegen immer noch einem
Verständnis verpflichtet, das der Schriftsteller Wilhelm
GENAZINO in seinem 1950er-Jahre-Roman
Eine Frau, eine Wohnung,
ein Roman (2003) verdeutlicht.
Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman
"Gudrun
(...) war drei Jahre älter als ich und arbeitete als
Sekretärin in einem Ingenieurbüro. Ihr Vater war aus dem
Krieg nicht nach Hause gekommen, sie wohnte zusammen mit
ihrer Mutter in einer kleinen Souterrainwohnung. Obwohl
wir uns noch nicht lange kannten, hatten wir bereits ein
gemeinsames Sparbuch, in das jeder von uns jeden Monat
fünfzehn Mark einzahlte, wofür wir von Gudruns Mutter
gelobt wurden. Obwohl wir noch nicht zusammen geschlafen
hatten, waren wir uns schon einig, daß wir zwei Kinder
haben wollten, einen Jungen und ein Mädchen. Wir wollten
kein Risiko eingehen. Erst vor einem Vierteljahr hatte
Gudruns Schwester Karin heiraten müssen. Zu einer solchen
»Bauchhochzeit« (das war Gudruns Wort) waren wir nicht
bereit. Es war uns nicht unheimlich, daß wir uns schon
jetzt über das Möbelhaus einig waren, in dem wir in
einigen Jahren unsere Einrichtung kaufen würden. Vorerst
aber, das sagte Gudrun immer wieder, mußte ich eine
Lehrstelle finden, und zwar so schnell wie möglich."
(2003, S.14) |
Gilt für die amtliche Statistik der Grundsatz:
zuerst das Geld und dann Partnerschaft und Zusammenwohnen,
so ist in der Realität das zusammenwohnende, aber jeder für sich
allein wirtschaftende Paar genauso möglich wie Paare ohne
gemeinsame Wohnung. Solche Arrangements werden von den amtlichen
Statistikern nicht ernst genommen, obgleich sie dauerhafter sein
können als durchschnittliche, eheliche Gemeinschaften.
Der Begriff des Alleinlebens unterstellt die Einheit von
Zusammenwirtschaften, Zusammenwohnen und Paarsein. Er
diskriminiert damit moderne Paarbeziehungen.
Alleinlebende sind begriffslogisch eine Teilmenge
der Alleinstehenden, die sich folgendermaßen darstellt:
Abbildung
3: Alleinlebende als Teilmenge der Alleinstehenden |
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Es soll hier
nicht unerwähnt bleiben, dass aufgrund eines
Kategorienwandels inzwischen auch Verheiratete einen
Einpersonenhaushalt führen können.
Wie wir noch sehen
werden, führt dies zu weiteren Problemen bei der
Erfassbarkeit von Singles, denn Ehemänner (weniger
Ehefrauen), die berufsbedingt sowohl in einer Paar- oder
Familienwohnung als auch in einer Single-Wohnung leben,
verfälschen die amtliche Erfassung der Singles.
Diese Verzerrung
muss vor allem bei historischen Vergleichen beachtet
werden, denn durch Kategorienwandel ist die Vergleichbarkeit
nicht mehr von vornherein gegeben.
Der dramatische
Anstieg der Einpersonenhaushalte ist u.a. auch eine Folge
solcher Kategorienwechseln, denn während bis zu einem bestimmten
Zeitpunkt Personengruppen noch gar nicht zu einer Kategorie
zählten, verschärfen sie den Anstieg nach der Änderung.
Umgekehrte
Phänomene sind natürlich auch möglich, sodass sich manche
Änderungen aufheben könnten. In dieser Einführung werden wir des
öfteren auf solche Kategorienänderungen stoßen. Wie sie zu
bewerten sind, wird dann im Einzelnen untersucht. Im weiteren wird
deutlich werden, dass der
Einpersonenhaushalt der
amtlichen Statistik eine Art Mülleimer für alle Fälle
ist, mit denen die Wissenschaftler bis vor kurzem nichts anzufangen
wussten: exotische Randgruppen, die vom
Normalfamilienmodell abwichen.
Singles als Partnerlose
Verwies der
Begriff Alleinstehender noch darauf, dass Partnerlosigkeit mit
verschiedenen Wohnformen einhergehen kann, so verengt
sich durch die Individualisierungsthese (siehe oben) der Fokus
auf den allein wohnenden Partnerlosen, während z.B. der
männliche
Nesthocker im mittleren Lebensalter
ausgeblendet wird. Oftmals gelten Alleinlebende - wie es der
amtliche Begriff suggeriert - auch als Partnerlose, obwohl Paare
ohne gemeinsame Wohnung selbst im mittleren Lebensalter keine
Seltenheit mehr sind.
Der Soziologe
Günter Burkart hat in dem Buch
Lebensphasen - Liebesphasen
die Gründe kritisiert, die dazu führen, dass Paare ohne
gemeinsamen Haushalt ignoriert werden:
Lebensphasen - Liebesphasen
"Manche
rechnen auch die Alleinlebenden mit festem Partner zu den
Singles. Die Begründung ist allerdings oft rein technisch:
Das Kriterium »feste Partnerschaft« sei nicht exakt meßbar.
Das mag für die üblichen Befragungen zutreffen. Doch für
eine soziologische Theorie des Paares wäre das Kriterium
»feste Partnerschaft« sehr wichtig - wenn auch dessen
Erfassung etwas aufwendiger wäre, als es in den üblichen
Befragungen geschieht. Der Verlauf einer Paarbeziehung hat
einen definitiven Übergangspunkt, an dem die Beziehung als
»fest« definiert ist. Wir unterscheiden im folgenden in
erster Linie zwei Grundtypen: Alleinlebende ohne festen
Partner (»Singles«) und Alleinlebende mit festem Partner."
(1997, S.148) |
Solange die
amtliche Statistik für die modernen Paarbeziehungen keinerlei
Kategorien bereithält wird sich an der Gleichsetzung von
Alleinlebenden und Partnerlosen nicht
viel ändern. Bisher gibt es nur wenige repräsentative
sozialwissenschaftliche Untersuchungen, die diesen Sachverhalt
erhellt haben. Bei der Verbreitung der verschiedenen
Single-Gruppen wird darauf näher eingegangen.
Zum Schluss soll
die hier vorgestellte Begriffslogik wieder durch ein Abbildung
veranschaulicht werden. Es sollte nun deutlich geworden sein,
dass Paare und Partnerlose sowohl
Teilmengen der Alleinstehenden als auch der Alleinlebenden sind.
Die Kategorie der
Alleinlebenden ist in der Abbildung durch eine Linie von den
Alleinstehenden abgegrenzt. Innerhalb des so entstandenen
Rechtecks sind die alleinlebenden Partnerlosen und Paare
dargestellt.
Abbildung
4: Paare und Partnerlose als Teilmenge der
Alleinstehenden und Alleinlebenden |
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Singles als Kinderlose
Bis Mitte der
80er Jahre spielte die Kinderlosigkeit von Singles keine große
Rolle in der öffentlichen Debatte.
Mit der
Veränderung der gesellschaftlichen Altersstruktur und der
damit verbundenen abnehmenden Zahl Jugendlicher und junger
Erwachsenen gilt die Kinderlosigkeit als entscheidendes Merkmal
von Singles.
Alleinlebende
gelten als Kinderlose, denn sie führen weder einen
Kleinfamilien- noch einen Alleinerziehendenhaushalt. Der
Familienbegriff wird durch die amtliche Statistik auf eine
Familienphase reduziert. Sobald die Kinder den elterlichen
Haushalt verlassen - egal ob durch Auszug oder durch Scheidung, gelten Eltern wieder als Kinderlose.
Die amtliche
Statistik ignoriert die heutzutage üblich gewordene
multilokale Mehrgenerationen-Familie. Haushaltsübergreifende
Hilfebeziehungen werden dadurch ausgeblendet.
Martin KOHLI,
Harald KÜHNEMUND, Andreas MOTEL und Marc SZYDLIK.
haben die Generationenbeziehungen jenseits des Familienhaushalts
untersucht. Im Beitrag
Generationenbeziehungen aus dem Sammelband
Die zweite Lebenshälfte aus dem Jahr 2000 haben sie den unsichtbaren privaten Generationenvertrag
beschrieben.
Generationenbeziehungen
"Krisendiagnosen
der Familie unterschätzen das tatsächliche Ausmaß an
intergenerationeller Solidarität. Wer sich lediglich auf
die Abnahme des Zusammenlebens mehrer Generationen (...)
stützt, kommt zu keinem wirklichkeitsgetreuen Bild der
Verbundenheit. Zunächst wird das tatsächliche Ausmaß der
Koresidenz unterschätzt, solange die jeweilige
Familiendemographie nicht in Rechnung gestellt wird.
Gleichzeitig werden die gestiegenen Möglichkeiten
vernachlässigt, eine »innere Nähe durch äußere Distanz« zu
realisieren. Dafür ist anstelle des gemeinsamen Lebens im
selben Haushalt das gemeinsame Leben im selben Haus oder
in der unmittelbaren Nachbarschaft aussagekräftiger".
(...).
Die Gültigkeit der »Krise der Familie« wird vollends
zweifelhaft, wenn man die Dimensionen intergenerationeller
familialer Solidarität berücksichtigt.
(...).
Die Auswertungen auf der Basis des Alters-Survey haben
beispielsweise gezeigt, daß dem öffentlichen
»Generationenvertrag« - der Umverteilung von den
Erwerbstätigen zu den Rentnern - ein privater Transferfluß
in der umgekehrten Richtung entspricht. (...). Es ist
davon auszugehen, daß die nach wie vor hohe Popularität
der Rentenversicherung auch bei den Jüngeren nicht zuletzt
von der Erfahrung getragen ist, daß sei auf die
Unterstützung durch ihre Eltern und Großeltern zählen
können".
(aus: Die zweite Lebenshälfte 2000,
S.205f.) |
Man könnte also
behaupten, dass der Haushaltsoptik ein individualistisches
Vorurteil innewohnt. Während Personen, die einen
Mehrpersonenhaushalt führen, Gemeinschaftsdenken unterstellt
wird (auch wenn es sich nur um pure Not handelt), steht der
Einpersonenhaushalt unter Egoismusverdacht (auch wenn die Person
vielfältige Unterstützungsbeziehungen mit anderen Haushalten
unterhält).
Der Soziologe Hans BERTRAM hat ins seinem Beitrag
Die
Sicherheit privater Beziehungen (1995) den amtlichen
Familienbegriff als überholt kritisiert.
Die Sicherheit privater Beziehungen
"Die
Orientierung am Haushalt als Familiendefinition führt
(...) dazu, daß die amtliche Statistik in diesem Punkt
konträr zum Verständnis von Familie in der Bevölkerung
steht. Die Bevölkerung definiert Familie mehrheitlich
nicht über den Haushalt, sondern unabhängig von der
Haushaltszugehörigkeit der Familienmitglieder mit
unterschiedlicher Gewichtung im Lebensverlauf. Die
amtliche Statistik arbeitet mit einem Familienbegriff, der
eigentlich nur gerechtfertigt war, solange Eltern das
Erwachsenwerden ihrer Kinder nicht mehr erlebten. Diese
Zeiten sind allerdings gut hundert Jahre vorbei."
(aus: Das Individuum und seine Familie 1995, S.120) |
Wir halten also
fest: Alleinlebende sind keineswegs immer kinderlos, sondern
ihre Kinder leben zum Zeitpunkt der Erfassung nur nicht im Haushalt
der Eltern.
Neben den
Fertilitätsstörungen, die das Medienbild bestimmen, können auch richterliche
Sorgerechtsentscheidungen zu ungewollter Kinderlosigkeit
führen.
Zum Schluss soll
jetzt noch einmal die Begriffslogik veranschaulicht werden.
Eltern und Kinderlose sind nicht nur eine Teilmenge der
Alleinstehenden, sondern auch der Alleinlebenden:
Abbildung 5: Eltern und Kinderlose als Teilmenge der
Alleinstehenden und Alleinlebenden |
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Singles als Alleinwohnende
Alleinwohnen
ist noch nicht lange selbstverständlich, denn es setzt das
Vorhandensein entsprechenden Wohnraums voraus.
Hartmut HÄUßERMANN
& Walter SIEBEL haben in ihrer
Soziologie des Wohnens
(1996) die Grundvorsetzungen einer Wohnung beschrieben.
Soziologie des Wohnens
"»Eine
Wohnung ist die Summe aller Räume, die die Führung eines
Haushaltes ermöglichen, darunter ist stets eine Küche oder
ein Raum mit Kochgelegenheit. Eine Wohnung hat
grundsätzlich einen abschließbaren Zugang unmittelbar vom
Freien, einem Treppenhaus oder einem Vorraum, ferner
Wasserversorgung, Ausguß und Toilette, die auch außerhalb
des Wohnungsabschlusses liegen können« (Statistisches
Bundesamt 1995b, 5). Eine Wohnung muß also die
Abgeschlossenheit der Privatsphäre garantieren, eine
selbständige Haushaltsführung, die mit Essenszubereitung
gleichgesetzt wird, und die körperliche Entleerung"
(1996, S.17). |
Das
Alleinwohnen wurde in seiner sozialökologischen Dimension
erst in den 1990er Jahren zum Thema.
Das Buch
Raum
ergreifen von Martina LÖW aus dem Jahre 1994 stellt
erstmalig die Raumnutzung und nicht den Bindungsaspekt in den
Mittelpunkt der Betrachtung.
Raum ergreifen
"Das Alleinwohnen von Frauen wurde
bis in die neunziger Jahre hinein (...) nur unter dem
Aspekt der Partnerschaftslosigkeit diskutiert. Dagegen
läßt sich heute eine Tendenz feststellen, wonach die
Unterscheidung z.B. zur Familie in der Wohnform gesucht
wird. Während die Familie aufgrund der für sie typischen
Personenkonstellation »Vater, Mutter, Kinder«
charakterisiert ist, ist das Alleinwohnen eine Lebensform,
die auf der Basis einer bestimmten Raumnutzung entsteht".
(1994, S.63) |
Einschränkend
muss gesagt werden, dass LÖWs Buch sich nur dem Alleinwohnen der
Frauen widmet. In der sozialwissenschaftlichen Literatur wird
davon ausgegangen, dass zwischen dem Alleinwohnen der Männer und
der Frauen erhebliche geschlechtertypische Unterschiede
bestehen. Auf diese sozialökologischen Aspekte des Alleinwohnens
kommen wir in einer späteren Folge zurück.
Hier wird dagegen
nun die Differenz zwischen dem Alleinwohnen und dem
Zusammenwohnen behandelt.
Mit dem
statistischen Begriff des Alleinlebenden wird der Aspekt des
Wohnens der Wirtschaftsweise untergeordnet.
Dies führt dazu,
dass
Wohngemeinschaften, die nicht gleichzeitig auch
Wirtschaftsgemeinschaften sind, in die Kategorie der
Alleinlebenden fallen.
Im Gegensatz zu
den Kommunen der 68er sind die Wohngemeinschaften der
Nach-68er jedoch selten Wirtschaftsgemeinschaften. Die
Feministin Herrad SCHENK hat in ihrem Buch mit dem
programmatischen Titel
Wir leben zusammen, nicht allein
aus dem Jahre 1984 verschiedene Typen von Wohngemeinschaften
vorgestellt, die sich durch Motivation und die Stärke des
Zusammengehörigkeitsgefühls unterscheiden.
Wir leben zusammen, nicht allein
"Für
junge Erwachsene, die sich in der Phase der Ausbildung und
der Ablösung vom Elternhaus befinden, stellt die
Wohngemeinschaft eine gebräuchliche Alternative zu
Wohnheimen, zur früher üblichen Form des isolierten
Alleinlebens in Untermiete und auch zum Wohnen zu zweit
dar. Obwohl heute die Möglichkeiten für unverheiratete
Paare, eine gemeinsame Wohnung zu mieten, größer sind als
noch vor einem Jahrzehnt, zeihen viele jüngere Leute das
Leben in der Wohngemeinschaft vor, entweder, weil sie die
entere Zweierbeziehung noch fürchten oder weil sie bereits
bestimmte Erfahrungen damit gemacht haben. Die am
stärksten verbreitete Form der Wohngemeinschaft ist sicher
die der Zwanzig- bis Dreißigjährigen, die noch in der
Ausbildung oder am Beginn einer Berufstätigkeit stehen und
kinderlos sind.
Manchmal ergibt sich aus solchen Wohngemeinschaften, die
für die einen nur Übergangsstadium zur Kleinfamilie oder
zum Leben allein oder zu zweit sind, für andere ein auf
längere Dauer angelegtes Lebensmodell. Sie bleiben als
Singles in Wohngemeinschaften oder integrieren einen
Partner, Kinder (oder Partner und Kinder) in eine
Wohngruppe.
Seltener kommt ein anderer Typ von Wohngemeinschaft vor:
Zusammenschlüsse von vorher für sich lebenden
Kleinfamilien oder Ein-Eltern-Familien, mit dem erklärten
Zweck, sich gegenseitig bei der Betreuung und Erziehung zu
unterstützen und die in dieser Zeit häufig entstehende
soziale Isolation der Erwachsenen, insbesondere der
Mütter, zu verringern. Ebenfalls noch selten ist die
Wohngemeinschaft als Lebensmodell für die späteren
Erwachsenenjahre, wenn Kinder aus dem Haus sind."
(1984, S.
10.f) |
Im Roman
Die Frau fürs Leben (2004) des Schriftstellers Daniel
BIELENSTEIN findet sich ein Dialog zwischen einem
Alleinwohnenden ohne feste Partnerschaft und einem Freund, der
sich selbst als Single bezeichnet, obwohl seine
Lebensverhältnisse eher einer traditionellen Partnerschaft
entsprechen.
Die Frau fürs Leben
"Herbert
behauptet stock und steif, er sei Single. Dabei lebt er
seit über zehn Jahren mit seiner Freundin Angelika
zusammen. Unsere Gespräche darüber verlaufen stets nach
dem gleich Strickmuster:
»Herbert, sieh es einfach ein. Du bist kein Single«
»Natürlich bin ich das. Genau wie du«
»Und was ist mit Angelika?«
»Was soll mit ihr sein?«
»Ihr wohnt seit zehn Jahren in einer Wohnung«
»Na und? Wir haben eine WG. Um genau zu sein, eine
Zweier-WG.«
»Natürlich. Und die Tatsache, dass ihr miteinander
schlaft, hat wohl auch nichts zu sagen?!«
»Genau. Wir haben Sex miteinander. Deswegen ist man doch
in keiner Beziehung. Das müsstest du doch am besten
wissen.«
»Ich habe aber nicht seit zehn Jahren Sex mit derselben
Frau.«
»Zufall. Es ergibt sich halt so, wenn man zusammenwohnt.«"
(2004, S.32f.). |
Es ist
anzunehmen, dass Herbert bei einer Mikrozensus-Befragung angibt,
dass er allein wirtschaftet und deshalb als Alleinlebender
eingeordnet wird, obwohl er eher traditionell mit einer Frau
zusammenwohnt.
Auch Paare ohne gemeinsame Wohnung,
also
Teilzeit-Alleinwohnende bzw. Teilzeit-Zusammenwohnende,
werden in der amtlichen Statistik den Alleinlebenden zugeordnet
(siehe hierzu näher das Kapitel über Singles als Partnerlose).
In dieser
Einführung wird argumentiert, dass sowohl Wohngemeinschaften als
auch Partnerschaften ohne gemeinsame Wohnung eigenständige
Lebensweisen sind, die durch den statistischen Begriff des
Alleinlebens negiert werden.
Hier halten wir
deshalb fest: Alleinwohnende und Wohngemeinschaften sind
Teilmengen der Alleinlebenden. Dies soll in der nachfolgenden
Abbildung nochmals veranschaulicht werden.
Abbildung 6: Alleinwohnende und Wohngemeinschaften als Teilmenge der Alleinlebenden
und Alleinstehenden |
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Fazit
Die amtliche
Statistik, die den Begriff des Alleinlebenden in den Mittelpunkt
stellt, ist
mit der Erfassung des modernen Single-Daseins völlig
überfordert.
Fassen wir
nochmals zusammen, welche zentralen Defizite die amtliche
Erfassung des Single-Daseins kennzeichnen:
-
Alleinlebende sind nicht unbedingt partnerlos, weil Paare ohne
gemeinsamen Haushalt (ob sie nun zusammenwohnen oder keine
gemeinsame Wohnung haben) nicht berücksichtigt werden.
- Alleinlebende sind keineswegs immer kinderlos. Die Kinder der
Alleinlebenden leben jedoch zum Zeitpunkt der Erfassung nicht im
Haushalt. Auszug der Kinder und richterliche
Sorgerechtsentscheidungen können dafür verantwortlich sein.
- Alleinlebende wohnen nicht immer allein. Sie können entweder
in Hausgemeinschaften, Wohngemeinschaften oder sogar mit einem
Partner zusammenwohnen, wenn sie keine Wirtschaftsgemeinschaft
bilden.
- Einzig Alleinwirtschaftende sind Alleinlebende immer,
wenn sie ehrlich geantwortet haben.
Nun sind wir
soweit, dass wir den Unterschied zwischen Anspruch und
Wirklichkeit der amtlichen Statistik durch eine Abbildung
darstellen können.
Nimmt man den
Begriff des Alleinlebenden ernst, dann ist damit eine Person
gemeint, die alleine wohnt, keinen festen Partner hat und
auch keine Kinder. Zwischen der statistisch erfassten
Personengruppe (äußere mittelblaue Linie) der Alleinlebenden
(Einpersonenhaushalte) und den tatsächlich allein lebenden
Personen (graue Fläche) besteht bereits auf dieser begriffslogischen Ebene ein
großer Unterschied.
Abbildung 7: Alleinlebende als kinderlose
Alleinwohnende ohne feste Partnerschaft |
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Farbkennzeichnung der einzelnen Singlegruppen: |
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Wir halten
also fest: Bei der
amtlichen Statistik entscheidet die Frage nach dem
Zusammenwirtschaften darüber ob ein Alleinstehender entweder
den Alleinlebenden, Paaren oder Familien zugeordnet wird.
Dadurch werden nicht zusammenwirtschaftende Paare, Eltern mit
Kindern außerhalb des Haushaltes und Wohngemeinschaftsmitglieder
nicht entsprechend ihren tatsächlich vorhandenen Bindungen
erfasst.
Neuere
sozialwissenschaftliche Ansätze haben diese
haushaltsübergreifenden Netzwerke untersucht und kommen
deshalb zu ganz anderen Ergebnis hinsichtlich der Lebensweisen
der Bevölkerung.
Die amtliche
Statistik mit ihrer starren Hierarchie ist der pluralistischen
Gesellschaft nicht mehr angemessen und diskriminiert moderne
Lebensformen.
Ausblick
Die weiteren
Teile der Einführung widmen sich der Verbreitung
unterschiedlicher Singlegruppen und ausgewählten Aspekten der
Lebensweise von Singles.
Im nächsten Teil
steht die Verbreitung der Alleinlebenden im Mittelpunkt.
Dabei geht es
u. a. um die Frage, warum vom
Terror der Individualisierungsthese
gesprochen werden kann.
Es wird gezeigt
mit welchen definitorischen, kategorialen und darstellerischen
Mitteln die Entwicklung der Einpersonenhaushalte
dramatisiert wird.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
Die
Single-Debatte ist längst in eine Sackgasse geraten. Dies
wird in diesem Buch u.a. der Individualisierungsthese des
Münchner Soziologen Ulrich Beck angelastet.
Das Buch
sollte als Beitrag zur Versachlichung der Debatte
verstanden werden und liefert deshalb Argumente für eine
neue Sichtweise auf das Single-Dasein im Zeitalter der
Demografiepolitik. |
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