|
Einführung
Der
Deutsche Heilbäderverband spricht auf seiner Website von
über 350 Kurorten in Deutschland.
Wikipedia listet die Kurorte auf, die ein anerkanntes
Prädikat des Verbandes aufweisen und in denen noch Kurbetrieb
stattfindet. Das Reisemagazin Merian nennt auf seiner
Website die 22 schönsten Kurorte Deutschlands.
![](bilder/badwildungenpanorama2018.jpg) |
Bad Wildungen, Foto: Bernd Kittlaus 2018 |
In der Debatte um den demografischen Wandel wurden
uns die Kurorte als Städte vorgeführt, die die Richtung für
andere Kleinstädte hinsichtlich der Zusammensetzung der
Bevölkerung in Deutschland vorgeben: Schrumpfung und Alterung
wurden uns - insbesondere in der ersten Hälfte der Nuller Jahre
als Hauptmerkmale dieses Wandels beschrieben. In dieser
Bibliographie soll also gefragt werden, inwieweit dieses Bild
der Wirklichkeit entspricht. Nimmt man die 22 Kurorte, die
Merian nennt, dann ergibt sich eine große Bandbreite an
Kurorten, die von der Großstadt Wiesbaden bis zur Kleinstadt mit
weniger als 5.000 Einwohnern reicht:
Übersicht:
Einwohnerzahlen der Merian-Kurorte 2017 |
Rang |
Gemeinde |
Bundesland |
Anmerkungen |
Einwohner |
1 |
Wiesbaden |
Hessen |
|
278.654 |
2 |
Baden-Baden |
Baden-Württemberg |
|
54.718 |
3 |
Bad
Oeynhausen |
Nordrhein-Westfalen |
|
48.747 |
4 |
Bad Neuenahr |
Rheinland-Pfalz |
Teilgemeinde
Bad Neuenahr-Ahrweiler |
28.048 |
5 |
Bad Kissingen |
Bayern |
|
22.245 |
6 |
Bad Pyrmont |
Niedersachsen |
|
19.067 |
7 |
Bad Tölz |
Bayern |
|
18.647 |
8 |
Bad
Reichenhall |
Bayern |
|
17.951 |
9 |
Bad Wildungen |
Hessen |
|
17.083 |
10 |
Bad
Wörishofen |
Bayern |
|
15.922 |
11 |
Heiligendamm |
Mecklenburg-Vorpommern |
Teilgemeinde
von Bad Doberan |
12.290 |
12 |
Bad Wildbad |
Baden-Württemberg |
|
10.083 |
13 |
Bad Ems |
Rheinland-Pfalz |
|
9.568 |
14 |
Bad Griesbach
im Rottal |
Bayern |
|
8.996 |
15 |
Bad Füssing |
Bayern |
|
7.416 |
16 |
Norderney |
Niedersachsen |
|
6.051 |
17 |
Bad Birnbach |
Bayern |
|
5.743 |
18 |
Bad Saarow |
Brandenburg |
|
5.608 |
19 |
Bad Wiessee |
Bayern |
|
5.016 |
20 |
Badenweiler |
Baden-Württemberg |
|
4.327 |
21 |
Bad Elster |
Sachsen |
|
3.668 |
22 |
Bad Steben |
Bayern |
|
3.378 |
|
Kleinstädte
dominieren zwar bei den Kurorten wie die Übersicht zeigt, aber
Kurort ist nicht gleich Kurort. In Baden-Württemberg führt
regelmäßig Baden-Baden die Liste der Städte mit dem höchsten
Durchschnittsalter (47,4 Jahre; Baden-Württemberg: 43,3) an
(vgl. Pressemitteilung
"Jüngste Bevölkerung in Heidelberg, älteste in Baden-Baden"
v. 29.01.2019). Die Mittelstadt Baden-Baden gehört zu den 44
Stadt- und Landkreisen, während es in dem Bundesland 1.101
Gemeinden gibt, deren Durchschnittsalter selten jemand kennt.
Der Kurort Badenweiler im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald
kommt z.B. im Jahr 2016 auf genau 50 Jahre (vgl.
Demografie-Spiegel des Statistischen Landesamts).
![](bilder/badwildbadbergbahnpanorama2017.jpg) |
Bad Wildbad, Foto: Bernd Kittlaus 2017 |
Für
Baden-Württemberg liegen Städteporträts für folgende Kurorte
vor, die einen Einblick auf die Unterschiedlichkeit der
einzelnen Orte ermöglichen:
Übersicht:
Städteporträts des Statistischen Landesamts zu Kurorten
in Baden-Württemberg |
|
Das
Durchschnittsalter der Bevölkerung lag in Baden-Württemberg bei
43,4 Jahren im Jahr 2017. Während vor einigen Jahren einige
dieser Kurorte noch ein niedrigeres Durchschnittsalter als das
Bundesland aufwiesen, liegen nun alle diese Orte über dem
Durchschnittsalter von Baden-Württemberg. Inwieweit die Kurorte
bereits vor 15 Jahren Vorboten
der "vergreisenden Gesellschaft" waren, das wäre also eine
interessante Frage. Der Fall Baden-Württemberg zeigt jedenfalls,
dass damals keineswegs alle Kurorte eine höhere Alterung als
andere Gemeinden und Städte aufwiesen. Auch die Schrumpfung war
offenbar nicht durchgängig das Problem. Anders sieht es dagegen
mit der Infrastruktur von Kurorten aus, sodass zumindest in den
jeweiligen Kurgebieten das Lebensgefühl ein anderes ist.
![](bilder/norderneystrandpromenade2016.jpg) |
Norderney, Foto: Bernd Kittlaus 2017 |
In der
folgenden Übersicht sind die 10 Gemeinden über 1.000 Einwohner
mit dem höchsten Durchschnittsalter im Jahr 2015 ersichtlich:
Übersicht:
Gemeinden mit mehr als 1000 Einwohner mit hohem
Durchschnittsalter im Jahr 2015 |
Rang |
Gemeinde |
Bundesland |
Kurortstatus |
Einwohner
(Jahr 2015) |
Durchschnittsalter
(Jahr 2015) |
1 |
Kellenhusen
(Ostsee) |
Schleswig-Holstein |
Ostseeheilbad |
1.037 |
56,7 Jahre |
2 |
Büsum |
Schleswig-Holstein |
Nordseeheilbad |
4.786 |
55,6 Jahre |
3 |
Dahme |
Schleswig-Holstein |
Ostseeheilbad |
1.278 |
54,8 Jahre |
4 |
Graal-Müritz |
Mecklenburg-Vorpommern |
Ostseeheilbad |
4.154 |
54,6 Jahre |
5 |
Sierksdorf |
Schleswig-Holstein |
Ostseebad |
1.596 |
54,4 Jahre |
6 |
Gartow |
Niedersachsen |
- |
1.397 |
54,4 Jahre |
7 |
Wustrow |
Mecklenburg-Vorpommern |
Ostseeheilbad |
1.157 |
54,3 Jahre |
8 |
Katzhütte |
Thüringen |
- |
1.373 |
53,9 Jahre |
9 |
Bad Eilsen |
Niedersachsen |
Heilquellen-Kurbetrieb |
2.480 |
53,5 Jahre |
10 |
Lubmin |
Mecklenburg-Vorpommern |
Ostseeheilbad |
2.120 |
53,3 Jahre |
|
Die Angaben
stammen von der Website
UrbiStat,
die eine Rangliste für das Durchschnittsalter von 11.139
Gemeinden in Deutschland erstellt hat. Kellenhusen steht auf
Rang 22. Lubmin wird mit Rang 72 angegeben (Stand: 01.02.2019).
Ein sehr hohes Durchschnittsalter von 60 und mehr Jahren geht
mit sehr geringen Einwohnerzahlen einher und ist deshalb nur für
Medien interessant, die damit Aufmerksamkeit erzielen möchten.
Acht der Gemeinden sind Kurorte, was ein weiterer Hinweis darauf
ist, dass Kurorte mit an der Spitze bei den Gemeinden mit einem
hohen Durchschnittsalter stehen. Das gilt umso mehr je kleiner
solche Kurorte sind.
![](bilder/graalmueritz2017.jpg) |
Graal-Müritz, Bemalung einer Transformatorenstation,
Foto: Bernd Kittlaus 2017 |
Bad Lippspringe mit 15.572
Einwohnern im Jahr 2015 lag mit einem Durchschnittsalter von
45,0 Jahren auf Rang 5296 und damit im Mittelfeld der Gemeinden
in Deutschland. Bad Sassendorf, das in den Medien gerne als
Vorzeigemodell gepriesen wurde (vgl.
hier und hier), gehört
dagegen mit seinen 11.931 Einwohnern und einem Durchschnittsalter von 49,4
Jahren nicht mehr zum Mittelfeld (Rang 739)
Kommentierte
Bibliografie (2001 - 2018)
2001
VOLLWEITER, Rainer (2001): Im Vordertaunus ist das schwache
Geschlecht stark vertreten.
Frauenüberschuss in Kronberg und Bad Homburg bietet Anlass zu
Spekulationen. Neuerdings mehr männliche Babys
in:
Frankfurter Rundschau v. 14.08.
Rainer VOLLWEITER spekuliert
angesichts des Datendefizits über die Chancen von Frauen auf
dem Partnermarkt in zwei hessischen Gemeinden. Man erfährt,
dass Frauen der Altersgruppe 0-26 derzeit gute Chancen haben
einen Partner zu finden! "Früh gefreit, nie gereut" heißt
deshalb sein Motto. Am besten schon für Säuglinge auf
Partnersuche gehen.
Offensichtlich gibt es vor
allem bei über 60jährigen einen Frauenüberschuss. Über die
Chancen im mittleren Alter erfährt man nichts.
2003
SEILER, Lutz (2003): Schwarze Abfahrt
Gera-Ost.
Deutsche Landschaften Thüringen
(9): Die Welt hinter Korbußen, Bethenhausen, Brahmenau,
Hirschfeld, Pölzig, Reichsstädt und Schwaara,
in: Süddeutsche Zeitung v. 25.01.
Das berühmte
Heilbad Bad Ronneburg zog mit seinen strahlenden Wassern
reichsweit ein illustres Publikum an. (...). Aus Bad Ronneburg
wird nach dem ersten Weltkrieg wieder
Ronneburg und nach dem zweiten die »Grube Ronneburg« mit
ihren weithin sichtbaren Kegelhalden (...). Wer die Uranprovinz
noch einmal sehen will, muss sich beeilen. 2007 sollen alle
Halden verschwunden sein, dann wird die Bundesgartenschau sich
mit ihrer guten dunklen Muttererde über den Schutt gelegt
haben",
schreibt der
Schriftsteller Lutz SEILER über das Schicksal eines ehemaligen
Kurorts in Thüringen.
WINKELMANN, Ulrike (2003): Vom Jugendwahn verschont geblieben.
Was heisst das: Alt sein im Jahr 2030?
Wer in
einem Kurort aufgewachsen ist, weiß, wie sich das Leben im
Rentnerpark Deutschland künftig anfühlen wird,
in: TAZ v. 13.09.
"Wer in
Bad Lippspringe aufwächst, weiß, wie die deutsche
Kleinstadt in dreißig Jahren aussieht",
erzählt uns Ulrike
WINKELMANN, Jahrgang 1971, über den ostwestfälischen Kurort
Bad Lippspringe, der in der Nähe von Paderborn liegt:
"Städtchen am
Teutoburger Wald, das 15.000 Einwohner, 350.000
Übernachtungen vornehmlich von Gästen im Rentenalter und
drei Heilquellen zählt".
![](bilder/badlippspringekurpark2011.JPG) |
Bad Lippspringe, Foto: Bernd Kittlaus 2011 |
2004
GEO -Extrabeilage: Kreise und Städte im Test.
Der
demographische Wandel: Daten, Trends und Analysen |
GEO (2004): Der
demographische Wandel: Daten, Trends und Analysen.
Kreise und Städte im Test,
in:
GEO. Beilage zu den demographischen Perspektiven Deutschlands,
Mai
"In den Kreisen Freudenstadt, Rastatt, dem
Bodenseekreis und dem Landkreis Heilbronn wird die Zunahme
(...) über zehnt Prozent betragen. Einzelne Städte dagegen
schrumpfen, am stärksten der Kurort Baden-Baden. Jeder
Vierte ist Rentner: bis 2020 wird die Stadt etwa 14
Prozent ihrer Einwohnerschaft verlieren", (2004, S.6)
heißt es in
der Beilage. Der Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen (Bayern) und
Bad Doberan (Mecklenburg-Vorpommern) werden uns dagegen als
Gemeinden mit einem Bevölkerungszuwachs von 10 und mehr Prozent
präsentiert. Auch
zwei Jahre später gehören der Kreis und die Stadt zu den
wachstumsstärksten Gebieten in Deutschland.
2005
KULLING, Ursula (2005): Im Blickpunkt.
Die Gemeinde Bad Waldsee im
Landkreis Ravensburg,
in:
Statistisches Monatsheft
Baden-Württemberg, Heft 12
"Bad Waldsee (Moorheilbad und
Kneippkurort) ist mit 19.779 Einwohnern die fünftgrößte der
insgesamt 39 Gemeinden im Landkreis Ravensburg. In den Städten
Ravensburg (48.895 Einwohner), Wangen im Allgäu (27.057
Einwohner), Weingarten (23.648 Einwohner) und Leutkirch im
Allgäu (22.374 Einwohner) war die Bevölkerungszahl zum
Jahresende 2004 höher.
Die Einwohner in Bad Waldsee sind 1 Jahr jünger als im
Landesdurchschnitt. Das Durchschnittsalter liegt bei 40,1
Jahren, im Landkreis Ravensburg ebenfalls bei 40,1 und im Land
bei 41,1 Jahren. Die Entwicklung der Bevölkerungszahl in Bad
Waldsee liegt über der landesweiten. Seit 1995 hat hier die Zahl
der Einwohner um 7,7 % zugenommen. Landesweit wurde ein Plus von
3,9 % erzielt. Begünstigt wurde die Bevölkerungsentwicklung von
Bad Waldsee zwischen 1996 und 2004 durch einen
Geburtenüberschuss von 20 je 1 000 Einwohner. Für den gleichen
Zeitraum trägt auch der Wanderungssaldo mit 54 neuen
Gemeindemitgliedern je 1 000 Einwohner ebenfalls ein positives
Vorzeichen. Zum Vergleich – zwischen 1996 und 2004 lag der
Wanderungssaldo je 1 000 Einwohner im Land Baden-Württemberg bei
rund 29 Personen. (...).
Als Moorheilbad und Kneippkurort hatte Bad Waldsee bei einer
durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 6,4 Tagen je Gast und
einer Auslastung der angebotenen Schlafgelegenheiten von 59,1 %
(Landesdurchschnitt 32,7 %) im Jahr 2004 insgesamt 342 404
Übernachtungen zu verzeichnen.", beschreibt Reinhard GÜLL die
Entwicklung des Kurorts.
2008
HORDYCH, Harald
(2008): Omi et Orbi.
Deutsche Zukunft: Ein
lehrreicher Besuch in Bad Orb, wo die Menschen heute schon älter
sind als in anderen Städten,
in: Süddeutsche Zeitung v. 28.06.
"Bad
Orb (...) (ist) nicht nur im Main-Kinzig-Kreis, sondern
auch bundesweit Greisstadt (...). Wer die Landesämter
abklappert, erfährt, dass von winzigen Eifel-Gemeinden
abgesehen, Deutschland erst in seinen Kurorten so richtig
alt ist, sogar älter als im Osten. Bad Alexandersbad (55,2)
oder Bad Eilsen (54,6) aber sind kaum größer als ein Dorf.
Unsere Wahl fiel auf Bad Orb. Knapp zehntausend Einwohner.
Hier sind die Menschen im Schnitt 51,4 Jahre alt. Zum
Vergleich: Ende 2006 war man in Deutschland im Schnitt 42,6.
2050 dann wird Deutschland Bad Orb eingeholt haben und
Ü-50-Land sein. Jeder dritte ein Ü-60er. sagen die
Prognosen",
erklärt uns Harald
Harald HORDYCH
(Jahrgang 1961), der uns von den zukünftigen, aktiven Alten
erzählt.
2010
KLOEPFER, Inge (2010): Alt braucht
Jung.
Deutschland wird älter. Bad Sassendorf hat das Problem aktiv
angepackt - und bewusst alte Menschen angesiedelt. Das hat die
Einwohnerzahl stabilisiert und die Immobilienvermögen. Jetzt
subventioniert Bad Sassendorf den Zuzug junger Familien - um
nicht zu überaltern,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 14.05.
"Der Altersdurchschnitt
der Einwohner von Bad Sassendorf ist mit gut 47 Jahren der
höchst in ganz Nordrhein-Westfalen. Und er ist einer der
höchsten in Deutschland. So alt wie Bad Sassendorf wird das
ganze Land nach den Vorhersagen des Prognos-Instituts im
Jahr 2034 sein, wenn der Altersdurchschnitt von derzeit 43
auf 47,5 Jahre gestiegen ist. Dass es sog kommt, ist sicher.
Dass es Deutschland dabei so gutgehen wird wie der kleinen
12.000-Seelen-Gemeinde, allerdings nicht.
Schließlich ist der Kurort eine Ausnahme, ein
demographischer Musterschüler, könnte man sagen, einer,
dessen Politiker vor Jahrzehnten Maßnahmen trafen, um der
Altersfalle zu entgehen. Die Falle - das ist das Schrumpfen
der Einwohnerzahl als Folge des Alterns. Und das Schrumpfen
ist ein Drama, weil es über kurz oder lang das Vermögen der
Menschen entwertet. Bad Sassendorf schrumpft aber nicht,
sondern wächst - vor allem durch den Zuzug der Senioren.
Darin hat die Gemeinde viel investiert und aus dem Kurort
ein Seniorenparadies gemacht",
erzählt uns Inge KLOEPFER,
Jahrgang 1964 und Autorin des Buchs Aufstand der
Unterschicht, und verkündet uns die Entwertung von
Immobilien in Gelsenkirchen, Oberhausen, Hamm. Der
Bürgermeister von Bad Sassendorf will nicht nur Alte, sondern
vor allem junge Familien anlocken. Was im neoliberalen
Standortwettbewerb, bei dem eine Abwerbungskonkurrenz
stattfindet, folgendermaßen beschrieben wird:
"Sie bekommen enorme
Vergünstigungen, wenn sie sich in Bad Sassendorf
niederlassen. Überall am Ortsrand stehen Einfamilienhäuser,
in deren Gärten man Sandkästen und Schaukeln sieht. »Wenn
es gelingt, die derzeitige Einwohnerzahl und den
Altersdurchschnitt im Abstand zu ganz Deutschland stabil zu
halten, dann hätten wir eine Menge erreicht«, sagt Bahlmann.
Die Bad Sassendorfer jedenfalls wären gegen den Werteverfall
ihres Vermögens gefeit. Keinesfalls soll der Ort noch
stärker überaltern. (...). Die Jugend von Bad Sassendorf
trifft sich (...) in Soest oder Lippstadt, um sich dort mit
ihresgleichen die Zeit zu vertreiben."
2011
GÜLL, Reinhard (2011): Im Blickpunkt.
Die Stadt Isny im Allgäu,
in:
Statistisches Monatsheft
Baden-Württemberg, Heft 10
"Die Stadt Isny liegt im
äußersten Südosten des Landes Baden-Württemberg an der
Hauptroute der Oberschwäbischen Barockstraße im Landkreis
Ravensburg. Die ehemals selbständigen und ländlich geprägten
Gemeinden Beuren, Großholzleute, Neutrauchburg und Rohrdorf
wurden im Zuge der Gemeindreform 1972 in die Stadt Isny
eingemeindet. In der Typisierung der kommunalen
Verwaltungsgliederung ist Isny eine Einheitsgemeinde und
gehört somit keiner Verwaltungsgemeinschaft oder
vereinbarten Verwaltungsgemeinschaft an. (...).
Am 31. Dezember 2010 lebten 14.392 Personen in Isny. Mit 169
Personen je Quadratkilometer entspricht die Besiedelung den
eher ländlich geprägten Teilen Baden-Württembergs und liegt
deutlich unter dem Landesdurchschnitt (301). Die
Bevölkerungsentwicklung war in den Jahren zwischen 2000 und
2010 mit einem Zuwachs von weniger als 1 % sehr verhalten.
Sie lag deutlich unter der landesweiten Entwicklung (+ 2,2
%) und auch dem Durchschnitt des Landkreises Ravensburg (+
3,0 %). Das Durchschnittsalter der Bürger von Isny lag bei
42,6 Jahren und entsprach somit fast dem Landesdurchschnitt
von 42,8 Jahren. (...)
Der Stellenwert der Stadt Isny als heilklimatischer Kurort
zeigt sich in den statistischen Erhebungen zum Tourismus.
Mit fast 4.000 Ankünften von Gästen je 1.000 Einwohner im
Jahre 2010 lag dieser Wert der Stadt deutlich über dem
Landesmittel von 1 555 Ankünften je 1 000 Einwohner. Die
Zahl der Übernachtungen von Gästen je 1.000 Einwohner lag im
gleichen Zeitraum bei 32.789 und damit um ein Vielfaches
über dem Landesmittelwert von 4.050 Übernachtungen von
Gästen je 1.000 Einwohner.",
beschreibt Reinhard GÜLL
die Entwicklung des Kurorts.
2012
GRAWE, Simone (2012): Wohnkonzept für
Singles und Senioren.
Bebauungsplan für Wohnpark:
Bad Laer geht neue Wege,
in: Neue Osnabrücker Zeitung Online v. 17.09.
2014
WELT-Sonderausgabe:
Welt der Zukunft |
FRIGELJ, Kristian (2014): Rollatoren und Kinderwagen in Bad
Sassendorf.
Ein Kurort in NRW zieht
Rentner und Familien an,
in:
Welt v. 06.09.
2015
FROMM, Anne (2015): Geboren wird nimmer.
Leben: Kliniken auf dem Land
schließen ihre Geburtsstationen. Weil es zu wenig neue Babys
gibt, weil Ärzte fehlen. Und weil Entbindungen teuer sind. Kann
man Kinder bald nur noch in Großstädten bekommen?
in:
TAZ v. 28.03.
"Jede
dritte Geburtsstation musste in den vergangenen 13 Jahren in
Deutschland schließen. Gab es im Jahr 2000 noch 670
Stationen, waren es 2013 nur noch 411. Als die einzige
Entbindungsstation auf der Insel Sylt Anfang 2014
verschwand, machte das bundesweit Schlagzeilen. Es geht um
die Frage, wie sich Krankenhäuser darauf einstellen, dass
die Leute immer älter und viele Regionen immer leerer
werden. Es geht darum, ob Menschen auf dem Land das gleiche
Recht auf Versorgung haben, wie Menschen in der Stadt. Und
darum, wie viel das kosten darf.
Man könnte auch sagen: In Bad Belzig wird um die Zukunft des
ländlichen Deutschlands gerungen. Wie soll sie aussehen?
Geburtshilfe müsse zentralisiert werden, sagen die Kliniken.
Die Bad Belziger sagen: Geburtshilfe gehört zur
Grundversorgung",
berichtet Anne FROMM. Was
daran ist jedoch eine angeblich alternativlose Konsequenz des
"demografischen Wandels"? Dies ist die entscheidende
Frage, wenn man die aktuellen Entwicklungen aus der
Perspektive einer Demografisierung gesellschaftlicher Probleme
betrachtet. Früher sprach man von "strukturschwachen Gebieten"
statt von "demografischem Wandel" obwohl die Probleme ähnlich
waren, aber die Lösungsansätze sind andere. Bei
strukturschwachen Gebieten ist klar, dass es um fehlende
zukunftsträchtige Arbeitsplätze in einer Region geht, die zur
Abwanderung junger Menschen führt. Dann ist Strukturpolitik
angesagt. Aber welche Strukturpolitik erfordert der
"demografische Wandel"? Darüber dürfte sich in den nächsten
Jahren ein politischer Konflikt entzünden, dessen Vorboten
Bücher wie
Demografie und Demokratie sind. Die derzeit übliche
politische Praxis der Demografisierung gesellschaftlicher
Probleme könnte zur zunehmenden Ununterscheidbarkeit von
Demokratie und Diktatur führen.
SOLDT,
Rüdiger
(2015): Revolution der Alten.
Eine neue Partei mischt Baden-Baden auf. Ihre Mitglieder sind
keine Wutbürger, sondern reiche, zufriedene Rentner,
in:
Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung
v. 02.08.
Rüdiger SOLDT beschreibt die
Gemeinderatfraktion Freie Bürger für Baden-Baden (FBB) um
den Immobilienmakler Martin ERNST als Anwalt der jungen
Generation.
2016
KELNBERGER, Josef (2016): Glanz und
Gloria.
Sie hatten Glück im Leben und
lieben ihre berühmte Stadt: Wie reiche Rentner Baden-Baden
aufmöbeln wollen,
in:
Süddeutsche Zeitung v.
29.03.
Josef
KELNBERGER rechnet mit dem Wahlverein Freie Bürger
Baden-Baden ab, beschreibt die wechselhafte Geschichte
Baden-Badens ab dem 19. Jahrhundert und verteidigt die
CDU-Bürgermeisterin:
"Denn Baden-Baden, diese
scheinbar so alte Stadt, hat einen gewaltigen Zuzug von
jungen Familien. Sie bräuchte mehr Gewerbe und zugleich mehr
bezahlbare Wohnungen. Aber beim Versuch, günstigen Wohnraum
zu schaffen, sind der Ruf und das Erbe der Stadt eher Fluch
als Segen."
Der von KELNBERGER
beschworene Zuzug junger Familien ist offensichtlich jedoch
keineswegs kennzeichnend für Baden-Baden:
"Tatsächlich ist
Baden-Badens Einwohnerschaft im Durchschnitt älter als der
Rest des Landes. Das sieht die Oberbürgermeisterin aber eher
als Chance. Baden-Baden könne dem Rest des Landes vorleben,
wie eine alternde Gesellschaft vom Engagement der
Seniorinnen und Senioren profitiert."
AUTHALER, Theresa (2016): Lieber
Kreuzfahrt als Kurpark.
Ausgerechnet die
traditionellen Kurorte verpassen den Boom in der
Gesundheitsbranche. Sie sind in der Krise, seit immer weniger
Aufenthalte von den Kassen bezahlt werden. Bad Pyrmont setzt
jetzt auf Schulungen gegen Burn-out statt auf Moorbäder und
Klassikkonzerte,
in:
Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung v. 05.06.
"Heute
kann es selbst an einem warmen Frühlingstag passieren, dass
Besucher die Hauptallee für sich alleine haben. Statt
Prinzessinnen flanieren dort nur noch Senioren in
Gesundheitsschuhen, junge Menschen sind kaum unterwegs. Sie
reisen seltener in Kurorte wie Bad Pyrmont, seit es
schwieriger geworden ist, eine Kur bezahlt zu bekommen. Für
die Heilbäder bedeutet das: Es reicht nicht mehr, nur auf
die Kranken zu setzen. Doch um die Gesunden, die
Erholungssuchenden, konkurrieren Kurorte mit
Wellness-Tempeln auf der grünen Wiese und mit Anbietern von
Bergurlauben und Kreuzfahrten",
klagt uns Theresa AUTHALER
über Kurorte, die uns vor einem Jahrzehnt noch als Prototypen
von Deutschlands Zukunft verkauft wurden. Ganz Deutschland
sehe im Jahr 2030 so aus wie Bad XYZ. Nun also werden uns
Kurorte als bedrohte Gemeinden dargestellt.
Bad Pyrmont wird uns als
Blaupause einer neoliberalen Zukunftsvision vorgestellt, die
auf eine verkürzte Form des allseits gepredigten
aktivierenden Sozialstaats (Fordern statt fördern!) setzt:
Resilienz ist dessen Zauberwort:
"»Die Menschen werden in
ihren Berufen immer mehr gefordert«, sagt er. Das könne man
nicht ändern. »Aber man kann die eigenen Ressourcen
stärken«.",
wird der Kurdirektor im
Sinne der "Schönheit schwarzer Zahlen" zitiert. Der neoliberal
verordnete "Sachzwang" wird hier als alternativ los
dargestellt. Statt auf Krankenkassenleistungen setzt man nun
vermehrt auf "betriebliches Gesundheitsmanagement" (BGM), das
durch ein dieses Jahr in Kraft getretenes "Präventionsgesetz"
gestärkt werden soll.
Aus Sicht des
Neoliberalismus sind Kurorte lediglich eine besondere Form von
Betrieben. Auf solche Betriebe namens Kurort hat sich das
Beratungsunternehmen
Project M
(beschreibt seinen Beratungsbereich jedoch umfangreicher als
"Tourismus und Freizeit") seit 15 Jahren spezialisiert.
AUTHALER stellt den Branchenreport Kurorte und Heilbäder
mit dem Titel Innovativer Gesundheitstourismus in
Deutschland aus dem Jahr 2011 vor, eine Auftragsarbeit für
das Bundeswirtschaftsministerium. Der hat jedoch wenig mit
betrieblichem Gesundheitsmanagement, sondern viel mit
Gesundheitstourismus zu tun. AUTHALER stellt uns 3 Gruppen von
Kurorten vor, die den künftigen Herausforderungen im
Gesundheitstourismus unterschiedlich gewachsen sind:
"Ein Teil der Orte sei
für die neuen Herausforderungen im Gesundheitstourismus
bereits gut gewappnet. Eine zweite Gruppe sei touristisch
allgemein gut aufgestellt, etwa durch die Lage am Meer oder
im Gebirge. In einer dritten Gruppe beschreibt der Bericht
die Orte, die seit der Krise immer noch straucheln. Sie
liegen weder am Meer noch im Gebirge, haben Probleme mit der
Infrastruktur und dem Service für ihre Gäste."
Als Folgen der Krise kann
der Verlust des Prädikats drohen, z.B. wie beim
niedersächsischen Bad Fallingbostel. Zur Zeit wird an der
Rettung des Prädikat Moorbad von Bad Freienwalde in
Brandenburg gearbeitet.
Besorgt zeigt sich die
FAS lediglich hinsichtlich der Kurkonzerte (Klassik!),
aber auch hier wird Entwarnung gegeben, dank "evidenzbasiertem
Ansatz". Das Bad Pyrmont der Zukunft wird uns deshalb als
Kurbad für die "Betagten und Betuchten" sowie "Geschäftsleute"
präsentiert.
AUTHALER, Theresa (2016): "Wir setzen
nicht auf Yoga, nur weil es zeitgeistig ist".
Bad Aibling hat sich aus der
Krise geackert. Kurdirektor Thomas Jahn sagt, das sei mit Mut
und dem Sinn für Identität gelungen,
in:
Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung v. 05.06.
Schlagzeilendichter und
Textlieferanten widersprechen sich, während die Schlagzeile
Yoga als Zeitgeist ausweist, wird im Text Ayurveda zum
Zeitgeist erklärt.
Der Kurdirektor von Bad
Aibling sieht in der Zielgruppendefinition anhand des Alters
(Junge contra Rentner) keinen Sinn, wichtiger sei die
jeweilige gemeinsame Lebenslage. So würden Thermen, die als
Spaßbäder konzipiert seien mit den Anforderungen an Wellness-
bzw. Gesundheitstourismus in Konflikt geraten. Bad Tölz wird
als Beispiel für einen solchen falschen Ansatz genannt.
EMPIRICA (2016): Schwarmverhalten in
Sachsen. Eine Untersuchung zu Umfang, Ursache,
Nachhaltigkeit und Folgen der neuen Wanderungsmuster im Auftrag
der Sächsischen Aufbaubank, des Verbands der Wohnungs- und
Immobilienwirtschaft in Sachsen, und des Verbands sächsischer
Wohnungsgenossenschaften. Endbericht
Bad Muskau (Rang 10) und
Bad Elster (Rang 18) werden unter die 20 größten Gewinner der
Altenwanderung 2009 - 2014 gezählt
MÜLLER, Benedikt (2016): Der
Regionalexpress treibt die Preise.
Viele Familien ziehen aus
teuren Metropolen ins Umland. Das führt zu einer beispiellosen
Teuerung bei Immobilien,
in:
Süddeutsche Zeitung
v. 13.12.
Benedikt MÜLLER berichtet
über ein Ranking der Immowelt, in dem die Preise von Häusern
und Wohnungen in allen Städten mit 50.000 bis 100.000
Einwohner verglichen wurden. Die teuersten 10 Städte waren
2016: (1) Konstanz, (2) Tübingen, (3) Rosenheim, (4) Landshut,
(5) Bad Homburg, (6) Baden-Baden, (7) Friedrichshafen, (8)
Meerbusch, (9) Bamberg und (10) Waiblingen.
2017
GÜLL, Reinhard (2017): Im Blickpunkt.
Die Gemeinde Bad Waldsee,
in:
Statistisches Monatsheft
Baden-Württemberg, Heft 2
"Bad Waldsee liegt in
Oberschwaben nördlich des Altdorfer Waldes. Die Altstadt
erstreckt sich auf einer Landenge zwischen zwei Seen, dem
Stadtsee im Osten und dem etwas kleineren Schlosssee im
Westen. Die Stadt ist ein Mittelzentrum in der Region
Bodensee-Oberschwaben, das neben Bad Waldsee die Gemeinden
Aulendorf, Bergatreute und Wolfegg umfasst. Im Zuge der
Gemeindegebietsreform Anfang der 1970er-Jahre wurden die bis
dahin selbstständigen Gemeinden Gaisbeuren, Mittelurbach,
Reute, Haisterkirch und Michelwinnaden eingemeindet. (...).
den 1950er-Jahren lebte die alte Tradition der Moorbadkuren in
Bad Waldsee wieder auf, was dazu führte, dass die Stadt 1956
das Prädikat »Moorheilbad« erhielt. 1974 erhielt Bad Waldsee
zusätzlich das Prädikat »Kneippkurort«. (...).
Am 31. Dezember 2015 lebten 20.011 Personen in Bad Waldsee.
Mit 184 Personen je Quadratkilometer (km2) entspricht die
Besiedelung den eher ländlich geprägten Teilen
Baden-Württembergs und liegt weit unter dem Landesdurchschnitt
(305). Die Bevölkerungsentwicklung in den Jahren zwischen 2005
und 2015 war positiv. In diesem Zeitraum hat die Bevölkerung
um 1,2 % zugenommen. Sie entsprach damit in etwa der
landesweiten Entwicklung und auch dem Durchschnitt des
Landkreises Ravensburg (1,3 %). Das Durchschnittsalter der
Bürger von Bad Waldsee betrug 43,3 Jahre und lag somit nur
dezent über dem Landesdurchschnitt von 43,2 Jahren",
beschreibt Reinhard GÜLL die Entwicklung des Kurorts. Bereits
im Jahr 2005 ist Ursula
KULLING auf die positive demografische Situation der Gemeinde
eingegangen.
Für das Ende 2016 weist die
Datenbank des Statistischen Landesamtes eine Einwohnerzahl von
20.090 aus.
GÜLL, Reinhard (2017): Im Blickpunkt.
Die Gemeinde Bad Urbach,
in:
Statistisches Monatsheft
Baden-Württemberg, Heft 4
"Bad Urach liegt im am
Rande der Schwäbischen Alb im Tal der Erms. In der Stadt
befindet sich die mit 61 Grad Celsius heißeste Thermalquelle
Baden-Württembergs.(...).
Am 31. Dezember 2015 lebten 12.143 Personen in Bad Urach. Mit
219 Personen je Quadratkilometer entspricht die Besiedelung
den eher ländlich geprägten Teilen Baden-Württembergs und
liegt weit unter dem Landesdurchschnitt (305). Die
Bevölkerungsentwicklung war in den Jahren zwischen 2005 und
2015 rückläufig. In diesem Zeitraum hat die Bevölkerung um
4,6 % abgenommen. Sie lag deutlich unter der Entwicklung des
Landes Baden-Württemberg (+ 1,3 %). Das Durchschnittsalter der
Bürger von Bad Urach betrug 45 Jahre und lag damit über dem
Landesdurchschnitt von 43,2 Jahren", beschreibt Reinhard GÜLL
die Entwicklung in dem Kurort.
KNUTH, Hannah (2017): Planet der Alten.
Die Hälfte der 8.000
Einwohner von Bad Füssing ist über 57. Was erzählt so ein Ort
vom Dasein im letzten Lebensdrittel? Ein Besuch,
in:
Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung v. 25.06.
Anfang
der 1990er Jahre machte der CDU-Begriff "Freizeitpark
Deutschland" die Runde. Bald wird man vom "Kurpark
Deutschland" sprechen, wenn es nach dem Willen unserer
Edelfedern ginge. Soll uns die Vergreisung vorgehalten werden,
dann schicken die Leitmedien dieser Republik ihre Reporter in
die Kurstädte. So soll angeblich ganz Deutschland aussehen,
wenn die Babyboomer in Rente gehen. Hannah KNUTH ist nur eine
von vielen, wenn sie schreibt:
"Bad Füssing, Europas
erfolgreichstem Kurort. Der Ort, der am besten erzählen
kann, wie Deutschland aussehen wird, wenn die Babyboomer
(...) in ein paar Jahrzehnten vergreist sind."
Das ist schon deshalb
dämlich, weil die Babyboomer bereits im nächsten Jahrzehnt in
Rente gehen und in dem Bericht lediglich Menschen Mitte 60
vorgestellt werden, die sonst als "junge Alte" oder "Best
Ager" als Vorzeige-Alte für das produktive Alter gelten.
"2030 wird Bad Füssing
die älteste Gemeinde in Deutschland sein. Jeder zweite
Einwohner ist dann 63 Jahre oder älter. Die
Bevölkerungspyramide wird dem Abbild einer Vogelscheuche
gleichen (...). Schon heute ist die Hälfte der knapp 8.000
Einwohner über 57 Jahre alt.
Trotzdem ist Bad Füssing keine dieser ländlichen Gemeinden,
denen Statistiker prophezeien, dass sie aussterben werden.
Die Geburtenrate ist zwar niedrig. 2016 wurden nur 54 Kinder
geboren; die Kitas haben freie Plätze, die Schulklassen
schrumpfen. Doch Bad Füssing wächst. Denn die Senioren
ziehen massenweise her",
nörgelt KNUTH. Jene, die
wie KNUTH unsere künftige Bevölkerungspyramide mit
Negativbegriffen belegen, glorifizieren gerne jene
Pyramidenform, die typisch ist für eine Gesellschaft mit hoher
Kindersterblichkeit wie sie heutzutage noch in Afrika südlich
der Sahara vorzufinden ist. Man sollte auch daran erinnern,
dass noch bis vor allzu langer Zeit die hohen Geburtenzahlen
im ländlichen Raum gelobt wurden. Das war zu jener Zeit als in
Deutschland das große Schrumpfen prophezeit wurde. Die
schrumpfenden Klassen wurden den Großstädten prophezeit, deren
Schulklassen inzwischen aus allen Nähten platzen, weil unsere
Demagogen - insbesondere in der FAZ/FAS - Deutschland derart
in Hysterie versetzt hatten, dass viele diesen Blödsinn für
bare Münze nahmen, so wie jetzt ganz Deutschland zum Kurort
stilisiert wird:
"In Bad Füssing kommen
auf 8.000 Einwohner 120 Physiotherapeuten, 30 Ärzte, drei
Rehakliniken und 23 Friseure. Es gibt einen Rollator-Verleih,
eine Spielbank und zwei Kinos (...) An fast jeder
Straßenecke stehen Sitzbänke. Auch sechst Telefonzellen gibt
es noch",
beschreibt KNUTH die
Infrastruktur, die typisch sein soll für das Deutschland nach
2030. Und natürlich werden nun alle unsere Städte so
hergerichtet wie das in Bad Füssing schon passiert ist:
"Seit 2002 sind über 250
Millionen Euro in die Gemeinde Bad Füssing geflossen.
Örtliche Banken und Familienbetriebe haben in den Ausbau und
die Sanierung der Kleinstadt investiert, ein Finanzmann aus
Abu Dhabi, im Nachbarort geboren, hat 14 Millionen Euro in
eine Restaurant-Anlage außerhalb des Zentrums gesteckt. 80
neue Eigentumswohnungen sind im vergangenen Jahr entstanden.
Bad Füssing floriert",
beschreibt KNUTZ was
angeblich in ganz Deutschland bevorsteht. Alles wird sich nur
noch um die Greise drehen, will das sagen. Und was machen
diese Alten den ganzen lieben langen Tag? Gottesdienst,
Thermenbesuch, Spielkasino oder Disco: "Erholung vom Leben"!
Aber Bad Füssing ist ein
Kunstprodukt der Gebietsreformen der 1970er Jahren in
Deutschland. Es ist eine Ansammlung von 40 Ortsteilen und kein
8.000 Seelen-Städtchen wie die Reportage suggeriert. Bad
Füssing hieß davor Safferstetten. Die Gesamtansammlung hatte
Anfang April 2017 7.280 Einwohner. Wie groß der Ortskern ist,
das verschweigt die Website der Gemeinde, die mit Fakten eher
geizt.
GÜLL, Reinhard (2017): Im Blickpunkt.
Die Gemeinde Bad Schönborn,
in:
Statistisches Monatsheft
Baden-Württemberg, Heft 7
"Bad Schönborn liegt im
nördlichen Landkreis Karlsruhe. Der Ort liegt am Ostrand des
Oberrheingrabens und am Tor zum Kraichgauer Hügelland, etwa
auf halber Strecke zwischen Karlsruhe und Heidelberg. Bad
Schönborn ist administrativ eine sehr junge Gemeinde. Sie
entstand unter diesem Namen erst am 7. August 1972 aus den
beiden ehemals selbstständigen Gemeinden Bad Langenbrücken und
Bad Mingolsheim im Zuge der baden-württembergischen Kreis- und
Gemeindereform. Bis zur Kreisreform am 1. Januar 1973 gehörte
Bad Schönborn zum damaligen Landkreis Bruchsal. In der
Typisierung der kommunalen Verwaltungsgliederung bildet Bad
Schönborn eine vereinbarte Verwaltungsgemeinschaft mit der
Gemeinde Kronau. (...).
Am 31. Dezember 2015 lebten 12 896 Personen in Bad Schönborn.
Mit 535 Personen je Quadratkilometer (km2) entspricht die
Besiedelung den eher städtisch geprägten Teilen
Baden-Württembergs und liegt weit über dem Landesdurchschnitt
(305). Die Bevölkerungsentwicklung war in den Jahren zwischen
2005 und 2015 positiv. In diesem Zeitraum hat die Bevölkerung
um 6,2 % zugenommen. Sie lag damit über der landesweiten
Entwicklung und auch über dem Durchschnitt des Landkreises
Karlsruhe (1,5 %). Das Durchschnittsalter der Bürger von Bad
Schönborn betrug 42,5 Jahre und lag damit unterer dem
Landesdurchschnitt von 43,2 Jahren", beschreibt Reinhard GÜLL
die Entwicklung des Kurorts Bad Schönborn.
HAGEN,
Hans von der & Jan SCHMIDBAUER (2017): Baden gegangen.
Das Kurwesen wirkte wie ein
Konjunkturprogramm für die deutsche Provinz. Es war für die
Patienten ein Segen und für die Heilbäder auch. Dann stürzte
Gesundheitsminister Seehofer viele Kurorte in die Krise,
in:
Süddeutsche Zeitung v.
19.08.
HAGEN & SCHMIDBAUER greifen
sich das hessische
Bad Orb und das niedersächsische
Bad Eilsen heraus, um den Wandel des Kurbetriebs in der
deutschen Provinz zu beschreiben.
Bad Eilsen wird uns als Ort
mit 6.700 Einwohner vorgestellt, obwohl der Ort lediglich rund
2.500 Einwohner zählt. 6.700 Einwohner zählt dagegen der
Gemeindeverband Eilsen, der die Gemeinden Ahnsen, Bad Eilsen,
Buchholz, Heeßen und Luhden umfasst. HAGEN & SCHMIDBAUER
schreiben einmal von Bad Eilsen, dann wieder von Eilsen,
wodurch sich ein Zerrbild ergibt:
"Eilsen zählte einst zu
den bekanntesten Kurorten Deutschlands - heute ist es ein
Fleck, in dem viele Hilfe brauchen (...), weil hier
ungewöhnlich viele alte Menschen wohnen. (...). Der kleine
Laden mit Bekleidung? Weg. Die Drogerie? Weg. Der alte
Elektroladen, der seit mindestens 50 Jahren hier war? Weg."
Verglichen wird das
dörfliche und schrumpfende Bad Eilsen mit der fast 10.000
Einwohner zählenden Kleinstadt Bad Orb, die den Wandel durch
den Bau einer teuren Therme angeblich geschafft hat. Der
Wandel wird weg vom Kur- hin zum Wellnessbetrieb beschrieben:
"Deutschland und seine
350 Heilbäder und Kurorte, das gehörte mal zusammen wie
Kaffee und Kuchen.
Es ist in dieser Form ein weltweit wohl einzigartiges
Phänomen, das seine Anfänge schon vor vielen Hundert Jahren
nahm. (...).
Die Kur, heute oft verlacht als staatlich alimentierter
Gratisurlaub, sollte der »Erhaltung der Arbeitskraft«
dienen. Die Generation, die dieses Angebot in den Boomjahren
des Kurtourismus - allen voran die 1970er - und 1980er Jahre
- nutzte, hatte den Krieg erlebt und überlebt. Viele übten
Berufe aus, in denen körperlich gearbeitet wurde."
Der Kurtourismus wird also
mit der Bonner Arbeitnehmerrepublik und der Kriegsgeneration
verknüpft. Der Niedergang findet dann in der Berliner Republik
statt:
"Die goldene Ära der
deutschen Heilbäder, sie endete spätestens im Jahr 1996.
(...). Die Dauer der Kuren wurde von vier auf drei Wochen
verkürzt, Genehmigungen wurden erschwert, außerdem mussten
Patienten jetzt Urlaubstage für die Kur opfern und deutlich
höhere Zuzahlungen leisten. Es vergingen nur Monate, bis die
Gästezahlen in den deutschen Heilbädern einbrachen.
Deutschlands Kurorte gerieten in eine Schwere Krise, von der
sich viele bis heute nicht erholt haben.
So wie Bad Elsen."
Bad Orb, das einst
fünftgrößte Bad der Republik, soll den Wandel im Gegensatz zu
Bad Eilsen geschafft haben, und zwar dank einer neuen Therme.
"Statt auf Kurgäste setzt
Bad Orb nun stärker auf Wellness-Touristen und auf
Reha-Patienten."
Anpassung an die neuen
Verhältnisse wird das genannt. Bad Eilsen dagegen habe den
Wandel verschlafen:
"Geblieben sind vor allem
ältere Menschen, viele von ihnen sind ehemalige Kurgäste,
die einst nach Eilsen zogen.
Aus den Pensionen wurden Altenheime - die Pflege von
Menschen ist nun das Metier des Ortes."
Aber kann ein 2.500
Einwohner zählender Ort mit einem vier mal so großen Kurort
verglichen werden? Bad Orb hat sich für seine Therme hoch
verschuldet. Ob das jedoch den Ort wirklich voranbringen wird,
bleibt dahin gestellt:
"Heute stehen in der
Fußgängerzone viele Häuser leer, trotz Aufschwung und
Toskana-Therme",
schreiben HAGEN &
SCHMIDBAUER über Bad Orb.
GÜLL, Reinhard (2017): Im Blickpunkt.
Die Doppelstadt
Villingen-Schwenningen,
in:
Statistisches Monatsheft
Baden-Württemberg, Heft 10
"Villingen-Schwenningen
liegt im Südwesten Baden-Württembergs. Die
badisch-württembergische Doppelstadt entstand bei der
Gemeindereform 1972. Sie ist die Kreisstadt und zugleich
größte Stadt des Schwarzwald-Baar-Kreises. (...).
Die Entfernung zwischen den beiden Zentren von
Villingen-Schwenningen beträgt etwa 8 Kilometer. Villingen
liegt zwischen dem Ostrand des Schwarzwaldes und der Hochmulde
der Baar an der Brigach. Etwas weiter östlich, bereits auf der
Baar, liegt Schwenningen. (...). Zwischen den beiden
Teilstädten verlaufen die Europäische Wasserscheide und die
Grenze zwischen den ehemaligen Ländern Württemberg und Baden.
(...).
In Villingen-Schwenningen gibt es zwei Bahnhöfe und fünf
Haltepunkte. Der Bahnhof Villingen liegt an der
Schwarzwaldbahn (Offenburg – Singen (Hohentwiel). Hier
verkehren einzelne Intercity-Züge, die in Villingen halten und
die Stadt mit Zielen bis nach Norddeutschland verbinden.
(...).
Am 31. Dezember 2015 lebten 84 674 Personen in
Villingen-Schwenningen. Mit 512 Personen je Quadratkilometer
(km2) liegt die Besiedelungsdichte zwischen den großstädtisch
und den ländlich geprägten Teilen Baden-Württembergs und
übersteigt den Landesdurchschnitt (305). Die
Bevölkerungsentwicklung war in den Jahren zwischen 2005 und
2015 positiv. In diesem Zeitraum hat die Bevölkerung um 3,9 %
zugenommen. Sie lag damit aber noch unter der landesweiten
Entwicklung. Das Durchschnittsalter der Bürger von
Villingen-Schwenningen betrug 43,7 Jahre und lag damit leicht
über dem Landesdurchschnitt von 43,2 Jahren.", beschreibt
Reinhard GÜLL die Entwicklung von Villingen-Schwennigen mit
dem Kneipkurort Villingen mit ca. 34.000 Einwohnern.
BOLLMANN, Ralph (2017): Migranten im eigenen Land.
17 Millionen Menschen kamen
1990 aus einem Land namens DDR in die Bundesrepublik. Das
Wahlergebnis zeigt: Viele von ihnen haben sich bis heute nicht
integriert,
in:
Frankfurter Allgemeine
Sonntagzeitung v. 01.10.
Ralph BOLLMANN begibt sich
auch u.a. ins "Tal der Ahnungslosen", nach
Bad Schandau:
"fehlendes Westfernsehen
und kulturelles Sonderbewusstsein förderten im Südosten
(...) die Ausbildung einer Parallelgesellschaft.
Ein gutes Beispiel ist Bad Schandau, das Tourismuszentrum
der Sächsischen Schweiz. Mehr als 350.000 Übernachtungen im
Jahr zählt die Stadt an der Elbe mit ihren rund 4.000
Einwohnern (...). Die Branche boomt. Nach mehreren
Hochwassern sind die Häuser perfekt renoviert. Weil in der
Saison die Arbeitskräfte fehlen, kellnern in vielen
Gasthöfen längst Pendler aus dem benachbarten Tschechien.
Auch die Infrastruktur lässt kaum Wünsche offen. Trotzdem
hat die AfD hier eines ihrer höchsten Ergebnisse bekommen.
37,5 Prozent der Zweitstimmen. Für die Direktkandidatin
Frauke Petry (...) votierten sogar 39,9 Prozent der Wähler
in Bad Schandau. Warum?"
Die Antwort überlässt
BOLLMANN einer Ladenbesitzerin. Kleinbürgerliche Selbständige
sollen die Partei besonders gerne gewählt haben.
BUCH,
Petra (2017): Harte Zeiten für Kaffeehäuser.
Lässt sich das
Geschäftsmodell in hektischer Zeit durchhalten? Ein Bericht aus
Sangerhausen,
in:
Neues Deutschland v.
07.10.
"Es gibt diverse
Beispiele, wo Traditionen nicht fortgeführt werden konnten.
Nur rund 60 Kilometer von Sangerhausen entfernt, in Halle
etwa, gingen in einem alten Kaffeehaus, das auch von
Feinschmeckern bundesweit empfohlen wurde, die Lichter aus.
Andernorts, so in Touristenhochburgen und Kurorten, sind
Kaffeehäuser hingegen der Treffpunkt schlechthin und werden
von Reisemanagern wärmstens empfohlen",
berichtet Petra BUCH. Sie
betrachtet die Bäckereifilialen als Konkurrenz zum Kaffeehaus,
wenn sie fragt:
"Was ist nun das Rezept
zum (Über)-Leben mit einem Kaffeehaus mit gut 80 Plätzen
(...). Zumal es mittlerweile gefühlt fast an jeder Ecke in
Deutschland Bäckereifilialen gibt, die Sitzecken für Kaffee,
Kuchen, Torte und auch Herzhaftes anbieten."
BAUMGÄRTNER, Maik/DEGGERICH, Markus/HORNIG, Frank/WASSERMANN,
Andreas (2017): Der Riss.
Einheit: 28 Jahre nach dem
Mauerfall gibt es in diesem Jahr wenig zu feiern. Was sind die
Gründe für den Rechtsruck in Deutschland? Und wie kann er
überwunden werden?
in:
Spiegel Nr.46 v.
11.11.
BAUMGÄRTNER/DEGGERICH/WASSERMANN
wollen dem ostdeutschen AfD-Wähler auf die Spur kommen, wobei
sie vor allem gegen die These von den wirtschaftlichen
Verhältnissen als Ursache angehen:
"Es sind die Reste einer
DDR-Plattenbausiedlung, die keiner mehr braucht.
Weißwasser in der Oberlausitz ist eine leere Stadt,
viele haben das Weite gesucht, und wer geblieben ist, kann
sich als Verlierer der Einheit fühlen. Knapp 28 Prozent von
ihnen wählten bei der Bundestagswahl die AfD.
Neun Kilometer östlich, an der Neiße, liegt
Bad Muskau. Es gibt ein Schloss und einen Park, der für
viele Millionen Euro restauriert wurde und zum
Unesco-Weltkulturerbe zählt. Das Städtchen und seine
Bewohner profitieren vom Tourismus, Bad Muskau ist eine
ostdeutsche Erfolgsgeschichte. Trotzdem stimmte fast jeder
Dritte bei der Bundestagswahl für die AfD. 3,6 Prozentpunkte
mehr als in Weißwasser",
erklären uns die Spiegel-Autoren,
als ob das Belege dafür wären, dass die sozioökonomischen
Verhältnisse keine Rolle spielen würden. Die Gegenüberstellung
sagt eher etwas über das Milieu aus, dessen Vorstellungen über
sozioökonomische Verhältnisse die Berichterstattung in den
Mainstreamzeitungen prägt. In Bad Muskau (ca. 3.600 Einwohner)
erhielt die AfD 31,4 Prozent der Zweitstimmen und deklassierte
damit die herrschende CDU, die nur auf 29,4 % kam.
2018
MÄDLER,
Katrin (2018):
Wo Sachsens letzter König
untertauchte.
Sachsen: Die Staatsbäder
Bad Elster und
Bad Brambach boomen - sie gelten als Wirtschaftsmotor des
oberen Vogtlands,
in:
Neues Deutschland v.
14.02.
ROTHHAAS,
Julia (2018):
Land in Sicht.
Viele Orte in Deutschland kämpfen gegen Abwanderung.
Ein Bürgermeister im Westerwald will nicht zusehen, wie seine
Heimat verödet. Deshalb holt er die Menschen ins Dorf zurück,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 19.05.
Julia ROTHHAAS berichtet
über die
Verbandsgemeinde Wallmerod im Westerwald und ihren
umtriebigen CDU-Bürgermeister:
"Vor 14 Jahren zählt er
mit seinen Kollegen alle leer stehenden Häuser, unbebaute
Grundstücke, aber auch Gebäude, in denen Menschen über 70
wohnen. Potenzieller Leerstand also. (...).
Er ist bereits in zweiter Amtszeit Verbandsbürgermeister von
Wallmerod, einem Zusammenschluss von 21 Orten mit insgesamt
knapp 15.000 Menschen. (...). Der kleinste Ort hier hat 120
Einwohner, der größte 2.100, alle mit eigenem Haushalt,
Zuständigkeiten und Bürgermeister.
Wallmerod, Sitz der Verwaltungsgemeinde, war in den
Sechszigerjahren ein begehrter Kurort, die Zechen im
Ruhrgebiet schickten ihre Arbeiter wochenweise zum
Luftschnappen. Es gab drei Bäcker, zwei Metzger, sieben
Gaststätten, drei Schuhgeschäfte und zwei Schuster (...).
Davon ist fast nichts mehr übrig. (...).
300 Projekte haben sie im Rahmen der Initiative »Leben im
Dorf« gefördert, sprich: 300 Grundstücke in den Ortskernen
wiederbelebt. Etwa 80 Familien sind dafür von außen in die
Gemeinden gezogen, ansonsten ist der Bevölkerungsstand etwa
gleich geblieben."
Wallmerod wird als
Vorzeigegemeinde gepriesen, die junge Familien fördert. Doch
die Schattenseiten dieser Einöde bleiben:
"Der Leerstand mag
weniger geworden sein, öde ist es trotzdem. (...). Die Orte
haben weder Kern noch Marktplatz, deswegen trifft man sich
nicht einfach zufällig. (...). Die Heimat ist überschaubar,
sie umspannt den Karnevalsverein, die Kirche, den Sportplatz
- und das Eigenheim. Muss reichen."
Die Eigenheimbaugebiete der
1970er Jahre gelten inzwischen als Problem vieler
wachstumsschwacher Gemeinden. Der CDU-Bürgermeister setzt
nicht auf Kindergärten, sondern auf altersgerechtes Wohnen,
obwohl die ICE-Bahnhöfe in Limburg an der Lahn und Montabaur
nicht weit weg sind.
Fazit: In Deutschland
herrscht immer noch die Fixierung aufs Aussterben vor, weshalb
der
Geburtenanstieg und seine Herausforderungen verschlafen
werden.
GÜLL, Reinhard (2018): Im Blickpunkt.
Die Stadt Bad Mergentheim,
in:
Statistisches Monatsheft
Baden-Württemberg, Heft 10
"1826 wurden die schon
früher bekannten Heilquellen wiederentdeckt, aufgrund derer
Mergentheim zur Badestadt wurde. 1926 wurde der Stadt das
Prädikat Bad verliehen. 1938 wurde das Oberamt Mergentheim in
den Landkreis Mergentheim überführt. Der Landkreis Bad
Mergentheim bestand bis zur Kreisreform zum 1. Januar 1973,
als er Bestandteil des neuen Main-Tauber-Kreises wurde.
Dadurch verlor Bad Mergentheim seine Funktion als Kreisstadt
zugunsten von Tauberbischofsheim. (...).
Am 31. Dezember 2016 lebten 23.227 Personen in Bad
Mergentheim. Mit 179 Personen je Quadratkilometer entspricht
die Besiedelungsdichte eher den ländlich geprägten Teilen
Baden-Württembergs und liegt unter dem Landesdurchschnitt
(307). Die Bevölkerungsentwicklung war in den Jahren zwischen
2006 und 2016 positiv. In diesem Zeitraum hat die Bevölkerung
um 3,5 % zugenommen. Sie lag damit über der landesweiten
Entwicklung. Das Durchschnittsalter der Bürger von Bad
Mergentheim betrug 44,9 Jahre und lag damit über dem
Landesdurchschnitt von 43,3 Jahren", beschreibt Reinhard GÜLL
die Entwicklung des Kurorts
LACHMANN,
Harald (2018): Goldene Zeit kehrt nicht zurück.
Bayern: Nordbayerns letzter
Kneippkurort kämpft mit bescheidenen Mitteln um seine Existenz,
in: Neues
Deutschland v. 05.10.
"Mancher Kurort, über dem
bis heute der morbide Charme von Jugendstil und Biedermeier
liegt, fing sich wieder. So werben die fünf Heilbäder Bad
Rodach, Bad Steben, Bad Staffelstein, Weißenstadt und Bad
Alexandersbad nun unter dem Label »Die 5 KurFranken« mit
einem übergreifenden Gesundheits- und Wellnessangebot. Und
da die Preise erschwinglicher als andernorts gerade in
Bayern sind, kommen doch wieder mehr Leute.
Doch es gibt Kurstädte in Oberfranken, die bis heute kaum
die Kurve kriegen. So etwa Bad Berneck, selbst wenn man sich
hier gern noch als »Perle des Fichtelgebirges« wähnt. Der
beschauliche Ort (...) lud ab 1930 zu Kneippkuren. 1950
wurde man Bad. Doch nachdem bereits 1974 die Bahn den Kurort
von ihrem Netz abschnitt (...), folgte 1989 der Todesstoß
für das Kurwesen. (...).
Noch immer erinnert der Kurpark unterhalb von Burg
Hohenberneck mit seinen Bauten daran, dass hier mal Geld
verkehrte (...). Doch nicht nur viele Häuser und Läden
stehen längst leer, auch immer mehr Herbergen. (...).
Auch (...) Flüchtlingsunterkünfte in bester Marktlage sorgen
nicht für rückkehrende Vitalität. Um diese sorgte sich
stattdessen seit 2014 eine Forschergruppe der Universität
Erlangen-Nürnberg. (...). Vier Jahre später existiert (...)
ein Integriertes Stadtentwicklungskonzept (ISEK), das für
Bad Berneck (...) bescheidene Hoffnung in kleinen Schritten
verheißt. (...). Drei Projekte ragen dabei heraus:
authentisch sanierte Hausfassaden, ein Mehrgenerationenhaus
sowie ein künftiges Burgen-Freiland-Museum, as
deutschlandweit ausstrahlen soll",
berichtet Harald LACHMANN
über jene typische Stadtentwicklungstristesse, die auf
Fördermillionen abzielt:
"Rund 1,52 Millionen Euro
flossen (...) schon aus diversen Städtebautöpfen von Bund
und Land in Nordbayerns letzten Kneippkurort. Denn fast alle
Vorhaben werden mit 80 bis 90 Prozent bezuschusst".
Fazit: Was nicht zur
neoliberalen Ideologie der Stadtentwicklung passt, bleibt
außen vor. Schön sanierte Fassaden aber, das zeigt
Ostdeutschland, rettet nicht vor dem Niedergang, denn was
passiert, wenn auch das letzte Kaff tot saniert ist und mit
Museen vollgepflastert wurde? In diesem neoliberalen
Standortwettbewerb können nicht alle Gewinner sein, sondern im
Gegenteil: die verkehrliche und soziale Daseinsvorsorge
verkümmert weiter.
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