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Vorbemerkung
Urbanität gilt in der Wissenschaft seit langem als
Leitbild und spätestens seit neoliberale Standortortpolitik und
Identitätspolitik eine Liaison eingegangen sind, wurde der
ländliche Raum abgeschrieben. Die Demografisierung
gesellschaftlicher Probleme hat dazu beigetragen, dass die
Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse kein Wert mehr ist,
sondern das angeblich Alternativlose wurde auch noch politisch
gefördert. Seit jedoch der Rechtspopulismus den neoliberalen
Konsens gefährdet, wurde auch in Deutschland der ländliche Raum
als Möglichkeit zur politischen Profilierung entdeckt. Die
kommentierte Bibliografie soll einen Überblick über diese Debatte
ermöglichen.
Kommentierte Bibliografie (Teil 1: 2001 - 2007)
2001
MOZ
(2001): Schwedt.
Brandenburg: Die Stadt junger Familien
wurde zur Single-Stadt,
in: Märkische
Oderzeitung v. 26.06.
VOLLWEITER, Rainer (2001): Im Vordertaunus ist das schwache
Geschlecht stark vertreten.
Frauenüberschuss in Kronberg und Bad Homburg bietet Anlass zu
Spekulationen. Neuerdings mehr männliche Babys
in:
Frankfurter Rundschau v. 14.08.
Was machen Journalisten,
wenn sie über die Veröffentlichung neuer statistischer Daten
berichten sollen? Sie versuchen unbrauchbare Daten mit einem
allgemein interessierenden Thema zu verbinden und heraus kommt
dann solch ein Artikel.
Was soll man von Angaben
halten, die sich nur auf die regionale Verteilung von Männern
und Frauen beziehen, aber sinnvolle Altersgruppen vermissen
lassen?
Rainer VOLLWEITER jedenfalls
spekuliert angesichts des Datendefizits über die Chancen von
Frauen auf dem Partnermarkt in zwei hessischen Gemeinden. Man
erfährt, dass Frauen der Altersgruppe 0-26 derzeit gute
Chancen haben einen Partner zu finden! "Früh gefreit, nie
gereut" heißt deshalb sein Motto. Am besten schon für
Säuglinge auf Partnersuche gehen.
Offensichtlich gibt es vor
allem bei über 60jährigen einen Frauenüberschuss. Über die
Chancen im mittleren Alter erfährt man nichts.
Angesichts
"globaler Nomaden" (Walter KIRN) scheinen solche regionalen
Ungleichgewichte der Geschlechter für Partnersuchende im
mittleren Alter an Bedeutung zu verlieren und
Fernbeziehungen
halten sich sowieso nicht an die Grenzen von
Statistikbezirken.
CARSTENS, Peter (2001): Geburtenrückgang und wachsende Mobilität
in Sachsen.
Der Bevölkerungsrückgang ist
nur bedingt auf die Abwanderung in die alten Bundesländer
zurückzuführen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 02.06.
HONNIGFORT, Bernhard & Franz SCHMIDER (2001): Zur Arbeit ohne
Rückfahrkarte.
Eine ostdeutsche Familie: Der
Vater jobbt in Bayern, die Mutter in Sachsen und die Töchter in
Baden-Württemberg,
in:
Frankfurter Rundschau v. 07.06.
"Living apart together" nannte sich
Anfang der 1990er Jahre die freiwillige Bindungsform der
"Aristokraten der Liebe" (Matthias HORX), heutzutage stehen
dagegen die berufsbedingten Formen der
"Spagatfamilie" (Ulrich BECK),
"Commuter-Ehe" (Rüdiger PEUCKERT)
oder
"Fernliebe" im Brennpunkt.
Die Romantisierung der
Familienpolitik - wie sie z.B. im
Imagewandel der Grünen zum Ausdruck kommt (vgl. Bernhard
PÖTTER "Harte Politik, kein Kinderspiel",
taz 07.06.2001)
- verkennt die Realitäten in Deutschland. Fehlende
Arbeitsplätze und damit verbundene Abwanderungsprozesse führen
genauso zum Bevölkerungsrückgang wie die Hoffnungslosigkeit
der Daheimgebliebenen:
"was Tochter Nicole in
Lörrach auffiel (...): 'Man sieht hier so viele Kinder
überall.' Im letzten Jahr vor der Wende wurden in den
ostdeutschen Ländern noch 220 000 Kinder geboren. 1994 waren
es gerade noch 79 000, im vergangenen Jahr 104 000.
Nirgendwo sonst auf der Welt werden weniger Kinder geboren
als in Ostdeutschland: 1,1 pro Frau (...). Die fünf
ostdeutschen Länder haben in den vergangenen zehn Jahren
eine Million Einwohner verloren. Hält der Trend an, wird die
Bevölkerungszahl bis 2020 noch einmal um eine halbe Million
sinken. Europaweit haben
Sachsen, Sachsen-Anhalt und
Thüringen die höchsten Abwanderungsraten. Nur die
portugiesische Armenregion Alentejo weist vergleichbare
Zahlen auf. Noch schmerzlicher als die reine Zahl ist, dass
vor allem die hoch qualifizierten und jungen Menschen den
Osten verlassen."
RICHTER, Peter (2001):
Region erahnter Kindheitsmuster.
Schwermut Ost: Die schrumpfenden,
abrißbedrohten - und die malerischen Städte,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 29.09.
Bericht über schrumpfende
Städte im Osten wie
Görlitz,
Leipzig und
Halle.
2002
KRANICH, Michael (2002): Schönbohm hält Baby-Begrüßungsgeld für
fragwürdig.
Brandenburg: Kommunen mit üppig gefüllter
Gemeindekasse können Bargeldzuwendungne an Neugeborene als
"Patenschaftsgeld" deklarieren,
in: Märkische
Allgemeine v. 09.01.
RAMELSBERGER, Annette (2002): Wo Altersheime die Zukunft sind.
In
Grimmen wandern ganze
Schulklassen in den Westen ab,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 09.04.
Annette RAMELSBERGER war im
Osten, dort wo es zwar eine kinderfreundliche Infrastruktur
gibt, aber kaum Menschen mehr, die dort eine Familie gründen
möchten.
HILLA, Dieter (2002): Krefeld gehen die Kinder aus.
Im Jahr 2015 werden 18 000
Menschen weniger in Krefeld wohnen als heute. Dies geht aus der
jüngsten Studie zur Bevölkerungsentwicklung hervor. OB Dieter
Pützhofen forderte gestern Gegenmaßnahmen.
in:
Rheinische Post v. 19.06.
Man wird in 13 Jahren den heutigen Bericht auf seinen
Wahrheitsgehalt überprüfen können. Nur wird dann keiner mehr
sagen können, ob die Prognose je hätte Realität werden können,
denn die Politik reagiert auf eine Problemdefinition und
verändert damit das Problem selbst. Allein die Plausibilität der
Problemdefinition reicht aus, um politische Projekte durchsetzen
zu können. So wird in Krefeld offenbar der demografische Wandel
dazu benutzt, um Neubaugebiete gegen missliebige Umweltschützer
durchzusetzen. Ob solche kleinräumige Bevölkerungsprognosen
überhaupt einen Sinn machen, diese wichtige Frage wird erst gar
nicht gestellt.
Es
belegt jedoch, dass die
bevölkerungspolitische Problemdefinition
mittlerweile zur Selbstverständlichkeit in der politischen
Alltagsrhetorik geworden ist. Christoph BUTTERWEGGE bezeichnet eine
solche Strategie als Biologisierung sozialer Konflikte.
SOMMER, Bettina & Hermann VOIT (2002): Bevölkerungsentwicklung
2000,
in: Wirtschaft und Statistik,
Heft 7, S.557-565
SOMMER & VOIT gehen u.a.
auf die Entwicklung der Wanderungsverluste in Ostdeutschland
ein (Wanderungssaldo neue Bundesländer und Ost-Berlin
gegenüber dem früheren Bundesgebiet), die aus der folgenden
Tabelle ersichtlich sind:
Jahr |
Abwanderungsverlust |
1990 |
359.126 |
1991 |
169.476 |
1992 |
87.825 |
1993 |
53.286 |
1994 |
27.260 |
1995 |
25.273 |
1996 |
14.034 |
1997 |
10.441 |
1998 |
30.728 |
1999 |
43.587 |
2000 |
61.277 |
|
Quelle: WIST
7/2002, Tabelle 4,
S.560 |
BISKY, Jens (2002): Angenehm leer.
In der demographischen Zeitenwende:
Ziellos mobil,
in: Süddeutsche Zeitung v.
04.09.
Es ist nichts als blanker
Zynismus, wenn Jens BISKY, Jahrgang 1966, die Probleme eines
strukturschwachen Gebietes - und damit die räumliche Dimension
sozialer Ungleichheit - in ein Modell der zukünftigen
Entwicklung der Altengesellschaft in Deutschland umdeutet.
Dieser Zynismus hat System und ist
durchaus kein zufälliger Einzelfall, sondern er ist
paradigmatisch für die neue Art den Verteilungskampf zu
verfechten. Neue Mythen braucht das Land!
Das ist das Motto der bevölkerungspolitisch motivierten
Sozialpopulisten. Im Jahr 1966 wurde in den USA der Roman
Make Room! Make Room! (deutsch: New York 1999) von Harry
HARRISON veröffentlicht. Damals war die Bevölkerungsexplosion
ein weit verbreitetes Schlagwort und
HARRISON malte sich aus,
wie New York im Jahr 1999 aussehen würde. Er beschrieb die
Metropole als 40 Millionen-Stadt,
in der die Menschen wegen Nahrungsmittelknappheit Soylent Green
(Menschenfleisch!) verabreicht bekommen.
Besser bekannt dürfte der Film von Richard FLEISCHER sein:
Jahr 2022 ... die überleben wollen (im Original Soylent
Green, USA 1973). Anfang der 70er Jahre musste man die
Geschichte bereits ins Jahr 2022 verlegen, um noch glaubwürdig
zu erscheinen. Heutzutage reden Bevölkerungswissenschaftler
nicht mehr von einer Bevölkerungsexplosion, denn auch die
Weltbevölkerung nimmt nicht in dem Maße zu, wie das die
Bevölkerungsexperten Mitte der 60er Jahre prognostiziert haben.
BISKYs Szenario des leeren Landes
wird in 30 Jahren genauso überholt sein wie heutzutage das
Science-Fiction-Szenario New York 1999.
New York City hatte im Jahr
2001 etwas mehr als 8 Millionen Einwohner. Und das ist gut so!
2003
ZEIT-Serie:
Land ohne Leute (Teil
1) |
NIEJAHR, Elisabeth (2003): Land ohne Leute.
Deutschland verliert jährlich
200000 Einwohner, da mehr Menschen sterben als geboren werden.
Es wächst ein demografisches Problem ungeheuren Ausmaßes heran,
doch die Politiker ignorieren es,
in: Die ZEIT Nr.2 v. 02.01.
HUMMEL, Katrin (2003): Kinder, Kinder, Kinder.
Im Landkreis Cloppenburg wären
die Renten noch sicher - wenn es den Rest Deutschlands nicht
gäbe,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 11.01.
Katrin HUMMEL, Jahrgang 1968,
berichtet aus Emstek, dem kinderreichsten Ort in ganz
Deutschland. 189 Neugeborene bei 10.250 Einwohnern im Jahr 2000
meldet HUMMEL. Gleichzeitig ist dort die Arbeitslosenquote am
niedrigsten, aber es herrscht Überproduktion von Schweinefleisch
("jede Stunde werden 600 Schweine geschlachtet"). Ob die Renten
sicher wären, wäre jedoch keineswegs ausgemacht, denn wer sollte
denn das ganze Schweinefleisch essen, wenn es Restdeutschland
nicht gäbe?
SEILER, Lutz (2003): Schwarze Abfahrt
Gera-Ost.
SZ-Serie Deutsche Landschaften
Thüringen
(9): Die Welt hinter Korbußen, Bethenhausen, Brahmenau,
Hirschfeld, Pölzig, Reichsstädt und Schwaara,
in: Süddeutsche Zeitung v. 25.01.
MELLE, Stefan (2003): Wiederbelebungsversuch.
Wo es an
Arbeit fehlt, schrumpfen die Städte. Die Kultur soll neue
Impulse geben,
in: Berliner Zeitung v. 22.02.
Für Sozialpopulisten wie Meinhard MIEGEL oder Hermann ADRIAN ist die Sache klar:
Der demographische Wandel bzw. Kinderlose sind schuld an allen
Problemen unserer Gesellschaft, also auch an schrumpfenden
Städten. Tatsache
ist jedoch: Die Bevölkerung wächst dort, wo Arbeitsplätze
entstehen, die Menschen ernähren können. Diesen Ansatz stellt
Stefan MELLE vor:
"In den meisten
Häusern, die in Ostdeutschland abgerissen werden, hätten
noch lange Leute wohnen können. Aber sie ziehen weg aus
Leinefelde, Schwedt oder Suhl - wie die Industrie, die sie
ernährte. Die leeren Häuser verfallen und kosten Geld. Also
beseitigen Bund, Länder und Kommunen sie für viel Geld als
unerwünschte Ruinen.
Aber der Abriss ist für die Städte keine Dauerlösung, und er
vergeudet Ressourcen. Daher will die Bundeskulturstiftung
jetzt die kulturellen Folgen für schrumpfende Städte
international untersuchen. Denn seit 1950 büßten 136
Großstädte aller Kontinente jeweils mehr als 100 000
Einwohner ein. In Afghanistan eher durch Kriege. Im Osten
der USA oder in
Großbritannien aber wie in Ostdeutschland durch den
Umbau der Wirtschaft.
Das
Projekt vergleicht die US-Autostadt Detroit sowie Liverpool
und Manchester, die alle rund die Hälfte der Bewohner
verloren - mehr als die Region Halle/Leipzig, die in dem
Projekt besonders beleuchtet wird."
BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA, Barbara (2003): König Ludwigs Volk
soll leben.
Babyprämie in einer bayerischen
Kleinstadt: In Marktoberdorf im Allgäu zahlt der Zigarrenhändler
Peter Fendt 1.000 Euro Prämie für das dritte und jedes weitere
Kind einer Familie. Ausländer und Heiden kriegen nichts. Denn
der Mann will, dass sich die bayerische Bevölkerung erhält. Am
Ende des Projekts steht die Unabhängigkeit des Freistaats,
in: TAZ v. 26.02.
Reportage über die rund
18.500 Einwohner zählende Kleinstadt
Marktoberdorf, in der Peter FENDT von der Bayernpartei eine
Gebärprämie von 1.000 Euro für dritte und weitere Kinder
biodeutscher Eltern aussetzte. Genutzt hat es der
Bevölkerungsentwicklung nichts, obwohl die Bayernpartei
weiterhin im Stadtrat sitzt. Im Stimmkreis Marktoberdorf kam die
AfD bei der
Landtagswahl 2018 auf 8,94 % und die Konkurrenz von der
Bayernpartei auf 3,26 % Zweitstimmenanteil.
STEINFELD, Thomas
(2003): Sennestadt.
Deutsche
Landschaften (13). Pepitahut mit Anspruch auf Besonnung.
Ein mildes Licht liegt heute auf der Stadt: Auf dem
ostwestfälischen Sand wurde vor fünfzig Jahren ein Gemeinwesen
für die ganze Familie errichtet. Eine Erinnerung an eine soziale
Utopie,
in: Süddeutsche Zeitung v. 12.04.
"Auf dem
kargen Boden der Senne, wo Schafe weideten, wo ein paar Bauern
(...) ihre Kartoffelfelder pflügten, (...) gründete im Jahr 1956
die »Sennestadt GmBH«, ausgestattet mit einem Kapital von
dreißigtausend Mark, eine Jahr 1956 die »Stadt im Grünen«.
Diese Stadt war eine der größten, aber zugleich unauffälligsten
sozialdemokratischen Utopien, die nach dem Zweiten Weltkrieg in
Deutschland erreichtet wurden, keine Trabantenstadt (...),
sondern ein neues Gemeinwesen einschließlich Industriegebiet,
Gymnasium und Kläranlage, eine Stadt für zwanzigtausend
Einwohner, deren Autonomie in ihren Grundriss gezeichnet worden
war, eine Neugründung, die ganz für sich allein bestehen
sollte",
schreibt
Thomas STEINFELD über den Bielefelder Stadtbezirk
Sennestadt in Nordrhein-Westfalen, der die Kluft zwischen
Planung und Wirklichkeit beschreibt, die natürlich dem
demografischen Wandel geschuldet ist:
"Nun aber
besichtigt man die einstige Planung von Kinderfreundlichkeit,
aber in der Stadt begegnet man vor allem alten Menschen: (...).
Von Systemvertrauen sprach der Soziologe Niklas Luhmann (...)
Eine Weile hat das funktioniert, sogar gut, dann schien sich der
Enthusiasmus zu erschöpfen. Die Schwimmhalle ist heute für die
Öffentlichkeit geschlossen, weil die Stadt nicht mehr den
Bademeister bezahlen kann. Aus Sennestadt, der Stadt der jungen
Familien, des behüteten Nachwuchses, sind die Kinder fortgezogen
und nur die Eltern sind geblieben."
Wie es sich
fürs Feuilleton gehört, wird der Mangel an Großbürgerlichkeit
kritisiert:
"Auf alles,
was an bürgerlichen Einrichtungen großartig war oder hätte
werden können, wurde hier verzichtet. Es fehlen die Villen, die
Fabriken und die Boulevards, die Kunst, die Salons und der
Krieg. Nach der großen Niederlage wurde klein gebaut. (...). Die
britische Armee mochte ihre Kasernen, Fliegerhorste und
Übungsplätze in (...) Sennelager haben."
HILBIG, Wolfgang (2003): Die farbigen
Gräber.
Deutsche
Landschaften Das Altenburger Land (19): Wer sich ins östliche
Thüringen begibt, kann dem Industriezeitalter in den Rachen
schauen. Ein Porträt,
in: Süddeutsche Zeitung v. 28.06.
BÀNK, Zsuzsa (2003): Der
Himmel, der alles wegfegt.
Deutsche Landschaften Fehmarn (20): Zwischen Brückengeländern
über eine bleiblaue Ostsee: Wei kann es sein, dass wir nicht am
Meer leben? Ein Porträt,
in: Süddeutsche Zeitung v. 05.07.
ROSENFELD, Dagmar
(2003): Land ohne Leute.
Auf einer
Wiese stehen rostige Pfosten, hier war mal ein Fußballplatz.
Jetzt brauchen sie keinen mehr, der Nachwuchs fehlt. In
Mecklenburg-Vorpommern entvölkern sich Städte und Dörfer. In 50
Jahren ist es in ganz Deutschland so, sagen Experten. Ein Blick
in die Zukunft,
in: Tagesspiegel v. 15.07.
Mit dem
Konstrukt "demografischer Wandel" hat sich die Politik elegant
aus der Verantwortung geschlichen! War früher ein Land ohne
Leute ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein Land seine Leute
nicht ernähren konnte - strukturschwaches Gebiet hieß so etwas
einmal - , so wird heute einfach die Argumentation
umgekehrt. Das Problem der Arbeitslosigkeit wird umgedeutet in
das Problem des Geburtenrückgangs. In
seinem Buch
Vorbild Deutschland deckt der
Wirtschaftsjournalist Detlef GÜRTLER diesen Betrug auf. Dort wo
die Menschen solche Arbeit finden, die eine Familie standesgemäß
ernährt, dort wächst auch die Bevölkerung.
ZEKRI, Sonja (2003): Eine Stadt bleibt
übrig.
Mezzogiorno an der Ostsee: Im
vorpommerschen Wolgast schließen schon die Schulen.
in: Süddeutsche Zeitung v. 07.08.
taz-Dossier:
Deutsche, wollt ihr ewig leben?
Arbeit,
Rente, Gesundheit: Der Nation gehen die Jungen aus. Ein Dossier
zum demografischen Wandel der Gesellschaft |
WINKELMANN, Ulrike (2003): Vom Jugendwahn verschont geblieben.
Was heisst das: Alt sein im Jahr 2030?
Wer in
einem Kurort aufgewachsen ist, weiß, wie sich das Leben im
Rentnerpark Deutschland künftig anfühlen wird,
in: TAZ v. 13.09.
"Wer in Bad
Lippspringe aufwächst, weiß, wie die deutsche Kleinstadt in
dreißig Jahren aussieht",
erzählt uns Ulrike
WINKELMANN, Jahrgang 1971, über den ostwestfälischen Kurort
Bad Lippspringe, der in der Nähe von Paderborn liegt:
"Städtchen am
Teutoburger Wald, das 15.000 Einwohner, 350.000
Übernachtungen vornehmlich von Gästen im Rentenalter und
drei Heilquellen zählt".
TKALEC, Maritta (2003): Die neue Republikflucht ist weiblich.
Viel mehr
junge Frauen als Männer ziehen in den Westen,
in: Berliner Zeitung v. 07.10.
"Warum sind unter den 620.000 Menschen, die der Osten zwischen 1991 und 2001 an den
Westen verlor, 409.000 Frauen und nur 211.000 Männer?"
fragt sich Maritta TKALEC,
Jahrgang 1956, und spekuliert über die Gründe:
"Bekannt aus alter Zeit
ist die Dienstmädchenmigration, die junge Frauen massenhaft
vom Land in die Städte führte. Historisch üblich ist es,
dass die Frau eher dem Manne an dessen Wohnort nachzieht.
Traditionell trifft zu, dass Frauen ihren Mann gern dort
suchen, wo sie Gutverdiener vermuten. Und noch immer gilt
die alte Regel, wonach der Arbeitsmarkt der größte
Heiratsmarkt ist.
Der Osten jedenfalls wird als Heiratsmarkt immer
unattraktiver. Und weil Frauen ihre Kinder dort bekommen, wo
sie wohnen, hat der Osten zwischen seinen Rentnern bald noch
mehr Platz für die Ansiedlung von Wölfen und Bären als heute
schon."
MAYER, Verena
(2003): Liebe in den Zeiten der Arbeitslosigkeit.
Frankfurt
an der Oder hat es schwer. Die geplante Chip-Fabrik wird nicht
gebaut, und nirgendwo in Deutschland werden mehr Ehen geschieden
als hier. Warum ist in dieser Stadt kein Platz für die Liebe?
in: Tagesspiegel v. 14.12.
2004
SCHLEGEL, Matthias (2004): "Wenn
Arbeitslose gehen, ist das eine Entlastung".
Wirtschaftsforscher sieht in der Abwanderung kein Drama. Nach
seiner Einschätzung ziehen mehr Höherqualifizierte in den Osten,
in: Tagesspiegel v. 02.01.
Herbert BUSCHE vom Institut
für Wirtschaftsforschung in Halle über die nicht vorhandenen
demografischen Probleme des Osten:
-
"Die
niedrige Geburtenrate in Ostdeutschland verschärft ja noch
das demografische Problem.
Das wird sich bald wieder entschärfen: Zu DDR-Zeiten
haben die Frauen mit 18 bis 20 Jahren Kinder bekommen. Nach
der Wende haben sie sich westdeutschen Verhältnissen
angepasst und warten damit zehn Jahre länger. Diesen Knick
in der Geburtenrate werden wir bald hinter uns haben.
Bleibt nicht die Zukunftsfähigkeit des Ostens insgesamt
auf der Strecke, wenn so viele junge Leute weglaufen?
In der DDR gab es damals eine Geburtenrate von 2,2, im
Westen von 1,4. 1990 ging sie im Osten sprunghaft auf 1,1
zurück. Wir schieben dort also immer noch einen
Geburtenüberschuss vor uns her. Auch deshalb ist die
Abwanderung von jungen Leuten unter dem Strich kein Drama."
HÖGE, Helmut (2004): Zurück aufs Land!
Das "freiwillige ökologische Jahr" auf dem
Land wird immer beliebter. Die Landverschickung von Künstlern
und Schriftstellern auch. Sind auch Sie bereit fürs Land?
tazzwei wird ab heute in unregelmäßiger Folge die "Agronauten"
zu Wort kommen lassen,
in: TAZ v. 12.01.
Helmut HÖGE droht eine neue taz-Serie
an. Was für die einen das Zurück zur Familie ist, das ist für
andere das Zurück zum Land. Im schwarz-grünen
Zukunftsmodell Laer
ist beides konsequent zusammengedacht. In der Krise entdeckt
unsere neue Werteelite nun die Gegenmoderne.
Kolja MENSING, Jahrgang
1971 und Autor des Buchs Wie komme ich hier raus?
(2002) über das Aufwachsen in der Provinz, hat die Annäherung von
Stadt und Land bereits letztes Jahr zum Thema eines Buches
gemacht, während Bodo MORSHÄUSER, Jahrgang 1953, im Buch In
seinen Armen das Kind die letzte
Landkommunenbewegung aufgearbeitet hat.
Die Stadtsoziologen haben sich allzu
lange mit der
Yuppisierung der innenstadtnaher Wohngebiete
beschäftigt,
währenddessen die Suburbanisierung die Topografie umgestaltet
hat.
Nun, da die besser verdienenden Family-Gentrifier die
Innenstädte in Besitz nehmen,
entdecken die Stadtsoziologen das Suburbane.
BISKY, Jens (2004):
Freiheit statt Wohlstand.
Abbau Ost:
Endlich beginnt die deutsch-deutsche Neiddebatte,
in: Süddeutsche Zeitung v. 07.04.
"Als Geisel der
bundesrepublikanischen Kartellgesellschaft konnte sich ein
ostdeutscher Mittelstand kaum entfalten. Er vor allem fehlt
heute. Die viel beredeten Großprojekte und Leuchttürme werden,
wie man in Eisenhüttenstadt oder Leipzig studieren kann, der
strukturellen Schwäche der ostdeutschen Gesellschaft insgesamt
nicht aufhelfen können. Noch immer ist er im Sozialismus
zerstörte Raum zwischen Familie und Staat kaum besetzt, ein
Bürgertum nicht wiedererstanden.
Verstärkt hat die Routine der Transferzahlungen das
Anspruchsdenken im Osten (...). 62 Prozent der Ostdeutschen
erklären in Umfragen noch heute, dass sie sich als
»Bürger zweiter Klasse«
fühlen",
jammert Jens BISKY, der in
einer Neiddebatte eine Chance sieht, um den Soli endlich zu
entsorgen, denn:
"Keines der kursierenden
Rezepte, Sonderwirtschaftszone, aktivierende Sozialhilfe,
Leuchtturmförderung, wird die desolate Lage im Osten
flächendeckend bessern. (...). Sachsen-Anhalt wird
Hunderttausende Einwohner verlieren. Werden Polen und Ukrainer
sich in der leeren Mark Brandenburg niederlassen? 1.250
Milliarden Euro nach der Wiedervereinigung liegen die Fragen des
Jahres 1990 wieder auf dem Tisch. Nur wer bereit ist, den Osten
aufzugeben, wird ihn retten können",
betet BISKY die neoliberale
Sicht des Spiegel nach.
HUMMEL, Katrin (2004): Wie eine Gemeinde die Geburtenfreude
steigert.
Das
Beispiel Laer bei Münster. Wo die Ganztagsbetreuung gesichert
ist, entscheiden Frauen sich leichter fürs Kinderkriegen,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 19.04.
Neben dem urbanen
Popelternmodell à la Prenzlauer Berg existiert noch die
katholische Landvariante im nordrheinwestfälischen Laer. Von
dort berichtet MEL. Was dabei zu beachten ist: Sozialpopulisten
nehmen den Geburtenrückgang, d.h. den zahlenmäßigen Rückgang von
Geburten, gerne zum Anlass, um die jungen Singles zu verdammen.
Heutzutage ist es jedoch so, dass hinter einem Geburtenrückgang
eine Steigerung der Geburtenrate, d.h. mehr Geburten pro Frau im
gebärfähigen Alter stehen kann. Dies ist in Laer der Fall.
Und es könnte auch bundesweit der Fall sein.
Der vor kurzem gemeldete Geburtenrückgang sagt für sich genommen
also noch nichts aus.
HERRMANN, Ulrike (2004): Wo Deutschland jung ist.
In religiös geprägten Gegenden
kommen viele Kinder zur Welt. Bald öd und leer: Gelsenkirchen
und Löbau-Zittau
in: TAZ v. 23.04.
Ulrike HERRMANN, früher
für die kinderlosenfreundliche Berichterstattung bei der
taz zuständig, muss nun zur Strafe über die Studie vom
Berlin-Institut berichten. Mehr muss man über die
bevölkerungspolitische Wende der taz nicht mehr sagen.
Mit dem Zusammenhang von Katholizismus, Sozialstaat und
Geburtenpolitik beschäftigt sich das
Mai-Thema
von single-generation.de:
"Kindersegen durch
Glaubensstrenge? Das Beispiel Cloppenburg in Niedersachsen
scheint dies nahe zu legen. Nirgendwo sonst kommen in
Deutschland so viele Kinder zur Welt wie in dieser
katholischen Enklave: 1,92 pro Frau. Allerdings, das
verwirrt, sind die Protestantinnen in Cloppenburg genauso
gebärfreudig - obwohl es kaum Kinderbetreuung gibt."
Der in Deutschland
dominante
Katholizismus ohne Katholiken
erklärt, warum dies so ist.
GRASSMANN, Philip (2004): Forscher sehen Deutschland auf dem Weg
in die zweite Liga.
Studie
über Folgen der Überalterung und des Wegzugs junger Menschen.
Schlechte Zukunftschancen für den Osten, aber auch für einige
Regionen im Westen/Bayern und Baden-Württemberg am besten
gerüstet,
in: Süddeutsche Zeitung v. 23.04.
Philip
GRASSMANN weist darauf hin, dass die 5 Landkreise mit der
schlechtesten Zukunftsfähigkeit allesamt Leidtragende des
Zusammenbruchs traditioneller Industrien seien: "Altenburger
Land (Braunkohletagebau), Wismar und Bremerhaven (Schiffbau),
Gelsenkirchen (Kohle),
Löbau-Zittau (Textilwirtschaft)."
SCHWÄGERL, Christian (2004): Im alten
Land.
Raum ohne Volk: Zwischen Usedom
und Fichtelgebirge wird man schon im Jahr 2020 kaum noch
Menschen begegnen,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 23.04.
BÄUMLISBERGER, B/BEHREND,
T./FUHRER, A./HEISSMEYER, A./SCHWAB, F. (2004): Die geteilte
Republik.
Bis zum
Jahr 2020 öffnet sich eine Riesenkluft zwischen Boomregionen und
Landschaften, die veröden. Der Abstieg trifft nicht nur den
Osten, sondern auch Teile des Westens,
in: Focus Nr.18 v. 26.04.
GEO-Titelgeschichte: Deutschlands Zukunft.
Wie werden wir leben? Wo
werden wir leben? Welche Aussichten hat unsere Gesellschaft? |
SPARMANN, Anke (2004): "Vielleicht irgendwann...".
Geburtenreichtum und -armut sind
ungleich verteilt. Im Kreis Cloppenburg bekommen Frauen doppelt
so viele Kinder wie in Heidelberg. In Hoyerswerda leben viele
Männer ohne Aussicht auf eine eigene Familie. Liegt das am Geld
oder am Glauben? An Beruf, Bildung oder Beziehungen? Die Suche
nach den Ursachen hat überraschende Einsichten zutage gebracht -
wenn auch keine einfachen Antworten,
in: GEO. Das neue Bild der Erde, Mai
Anke SPARMANN hat mit
dem Mannheimer Soziologen Karsten HANK gesprochen, der sich in
der Studie Zur Struktur und Kontinuität regionaler
Fertilitätsunterschiede mit regional unterschiedlichem
generativen Verhalten beschäftigt hat. Seine Erkenntnis:
"Geographisch siedeln
Kinderreichtum und Kinderarmut oft dicht beieinander. Die
geburtenstarken Landstriche Bayerns oder Baden-Württembergs
etwa liegen im Hinterland »extremer Ausreißer nach unten«,
den Universitätsstädten Würzburg und Heidelberg."
In Heidelberg hat sich
SPARMANN mit dem Soziologen Thomas KLEIN unterhalten, der
trotz Anstieg der Single-Haushalte keinen Anstieg der
Partnerlosen erkennen kann:
"der Anteil der
Personen, die ohne feste Partnerschaften leben, ist trotz
angeblichen »Individualisierungsschubes« seit den 1960er
Jahren weitgehend konstant geblieben."
KLEIN sieht jedoch einen
Unterschied bei der Dauerhaftigkeit der Partnerschaften. Das
Single-Dasein ist in dieser Sicht keine alternative
Lebensform, sondern Single- und Paarphasen wechseln sich im
Lebensverlauf ab. Dies ist nach KLEIN auch ein weiterer Grund
für den Geburtenrückgang. Erst Paare, die längere Zeit
zusammenleben entscheiden sich für Nachwuchs. KLEIN plädiert
deswegen dafür, Paarberatungsstellen staatlicherseits zu
fördern, denn Familiengründung beginnt mit der Partnerwahl und
nicht erst mit der Geburt, wie die traditionelle
Familienpolitik dies annimmt. Auch das Lieblingsthema von
KLEIN fehlt nicht: der Heiratsmarktengpass. Frauenüberschuss
unter Heidelberger Studenten einerseits und Männerüberschuss
in Hoyerswerda. Beides verringert die Chancen der
Familiengründung.
MICHAL, Wolfgang
(2004): Region der Zukunft.
...haben
Raumplaner die entvölkerten Gebiete in Deutschlands Mitte
genannt. Weil es hier schon heute aussieht wie bald vielerorts
auf dem Land: verlassen. Ein Teufelskreis aus Landflucht,
Alterung und wegbrechenden Steuereinnahmen, dem Politiker
ohnmächtig gegenüberstehen. Schulen, Geschäfte und Bahnhöfe
machen dicht. Zurück bleibt demographisches Ödland, zu schwach
für einen Neuanfang,
in: GEO. Das neue Bild der Erde, Mai
GEO -Extrabeilage: Kreise und Städte im Test.
Der
demographische Wandel: Daten, Trends und Analysen |
GEO (2004): Der
demographische Wandel: Daten, Trends und Analysen.
Kreise und Städte im Test,
in:
GEO. Beilage zu den demographischen Perspektiven Deutschlands,
Mai
Die Beilage
macht viele Worte, hat jedoch nur wenig Fakten zur regionalen
Bevölkerungsentwicklung zu bieten. Die Fakten werden durch Noten
verschleiert, die viel Spielraum für Spekulation lassen.
Beispielhaft hier einige Aussagen zu gesamtdeutschen und
regionalen Entwicklungen:
Aussagen zur Bevölkerungsentwicklung
von 2000 bis 2020:
"Während die
Bevölkerung auf Bundesebene - eben durch ausländische
Zuzügler - weiter gewachsen ist, haben in den 1990er
Jahren bereits ein Drittel aller Kreise Einwohner
verloren. Bis 2020 wird sich ihre Zahl fast verdoppeln und
die Gesamtbevölkerung amtlichen Prognosen zufolge
zurückgehen. Zugewinne sind dann in 428 von 440 Kreisen
nur noch durch inenrdeutsche Umverteilungen und den
Wettbewerb um Immigranten zu erzielen." (2004, S.4)
Baden-Württemberg:
"In den Kreisen Freudenstadt, Rastatt, dem
Bodenseekreis und dem Landkreis Heilbronn wird die Zunahme
(...) über zehnt Prozent betragen. Einzelne Städte dagegen
schrumpfen, am stärksten der Kurort Baden-Baden. Jeder
Vierte ist Rentner: bis 2020 wird die Stadt etwa 14
Prozent ihrer Einwohnerschaft verlieren" (2004, S.6)
Bayern:
"Nur
Oberfranken im Norden Bayerns erlebt demographisch einen
Niedergang: die Bevölkerung der Landkreise Wunsiedel, Hof
und Kronach wird bis 2020 um etwa 15 Prozent schrumpfen.
Die Region war im Gegensatz zum Rest des Bundeslandes
schon früh industrialisiert - nun wird ihr, mit dem
Zusammenbruch der Porzellan-, Textil- und Möbel-Industrie
in den 1990er Jahren, der einstige Vorsprung zum
Verhängnis." (2004, S.7)
Kassel:
"Bis
2020 wird die bereits seit 1994 schrumpfende Stadt
voraussichtlich weitere fünf Prozent an Einwohnern
verlieren." (2004, S.8)
Nordhessen:
"Besonders stark wird die Bevölkerung in den
strukturschwachen ländlichen nordhessischen Regionen im
ehemaligen Zonenrandgebiet zurückgehen - im
Werra-Meißner-Kreis sogar um 15 Prozent." (2004, S.8f.)
Pirmasens in
Rheinland-Pfalz:
"Bis 2020 könnte die Stadt im
Vergleich zu 1999 rund 18 Prozent an Bevölkerung
verlieren" (2004, S.12)
Sachsen:
"Zu den leidtragenden
Gebieten zählen vor allem die Oberlausitz im Osten und das
Erzgebirge im Südwesten. Im Kreis Löbau-Zittau etwa kamen
zudem im Jahr 2001 in der Altersgruppe der 18- bis
29-Jährigen auf 100 Männer nur noch knapp 80 Frauen, und
9,3 Prozent der Einwohner waren älter als 75 Jahre. Das
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung sagt für die Region
bis 2020 einen weiteren Bevölkerungsverlust von rund 15
Prozent voraus." (2004, S.13)
Für folgende
Kreise und Städte werden starke Bevölkerungsverluste bzw. -zugewinne
prognostiziert:
Tabelle:
Bevölkerungsentwicklung der Landkreise und kreisfreien
Städte im Zeitraum 2000-2020 |
Landkreise und Städte mit Bevölkerungsverlusten
von 15 und mehr Prozent (Note 6) |
Landkreise und Städte mit Bevölkerungswachstum von
10 und mehr Prozent (Note 1) |
Stadt Coburg (Bayern) |
Bodenseekreis (Baden-Württemberg) |
Kronach (Bayern) |
Freudenstadt (Baden-Württemberg) |
Wunsiedel im Fichtelgebirge (Bayern) |
Landkreis Heilbronn (Baden-Württemberg) |
Cottbus (Brandenburg) |
Rastatt (Baden-Württemberg) |
Oberspreewald-Lausitz (Brandenburg) |
Landkreis Augsburg (Bayern) |
Prignitz (Brandenburg) |
Bad Tölz-Wolfratshausen (Bayern) |
Spree-Neiße (Brandenburg) |
Dachau (Bayern) |
Uckermark (Brandenburg) |
Deggendorf (Bayern) |
Demmin (Mecklenburg-Vorpommern) |
Ebersberg (Bayern) |
Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) |
Eichstätt (Bayern) |
Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) |
Erding (Bayern) |
Rügen (Mecklenburg-Vorpommern) |
Freising (Bayern) |
Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern) |
Ingolstadt (Bayern) |
Wismar (Mecklenburg-Vorpommern) |
Kelheim (Bayern) |
Goslar (Niedersachsen) |
Landsberg am Lech (Bayern) |
Northeim (Niedersachsen) |
Landkreis Landshut (Bayern) |
Stadt Osnabrück (Niedersachsen) |
Neuburg-Schreobenh. (Bayern) |
Osterode am Harz (Niedersachsen) |
Pfaffenhofen a. d. Ilm (Bayern) |
Salzgitter (Niedersachsen) |
Landkreis Regensburg (Bayern) |
Wilhelmshaven (Niedersachsen) |
Stadt Rosenheim (Bayern) |
Wolfsburg (Niedersachsen) |
Landkreis Rosenheim (Bayern) |
Bremerhaven (Bremen) |
Starnberg (Bayern) |
Gelsenkirchen (Nordrhein-Westfalen) |
Straubing-Bogen (Bayern) |
Hagen (Nordrhein-Westfalen) |
Weilheim-Schongau (Bayern) |
Wuppertal (Nordrhein-Westfalen) |
Barnim (Brandenburg) |
Pirmasens (Rheinland-Pfalz) |
Dahme-Spreewald (Brandenburg) |
Aue-Schwarzenberg (Sachsen) |
Havelland (Brandenburg) |
Chemnitz (Sachsen) |
Märkisch-Oderland (Brandenburg) |
Görlitz (Sachsen) |
Oberhavel (Brandenburg) |
Löbau-Zittau (Sachsen) |
Potsdam-Mittelmark (Brandenburg) |
Mittweida (Sachsen) |
Teltow-Fläming (Brandenburg) |
Riesa-Großenhain (Sachsen) |
Main-Taunus-Kreis (Hessen) |
Aschersleben-Staßfurt (Sachsen-Anhalt) |
Bad Doberan (Mecklenburg-Vorpommern) |
Bernburg (Sachsen-Anhalt) |
Nordwestmecklenburg (Mecklenburg-Vorpommern) |
Bitterfeld (Sachsen-Anhalt) |
Ammerland (Niedersachsen) |
Dessau (Sachsen-Anhalt) |
Cloppenburg (Niedersachsen) |
Mansfelder Land (Sachsen-Anhalt) |
Harburg (Niedersachsen) |
Quedlinburg (Sachsen-Anhalt) |
Lüneburg (Niedersachsen) |
Sangerhausen (Sachsen-Anhalt) |
Stadt Oldenburg (Niedersachsen) |
Schönebeck (Sachsen-Anhalt) |
Landkreis Osnabrück (Niedersachsen) |
Stendal (Sachsen-Anhalt) |
Stade (Niedersachsen) |
Wittenberg (Sachsen-Anhalt) |
Borken (Nordrhein-Westfalen) |
Altenburger Land (Thüringen) |
Rhein-Sieg-Kreis (Nordrhein-Westfalen) |
Eichsfeld (Thüringen) |
Alzey-Worms (Rheinland-Pfalz) |
Greiz (Thüringen) |
Mainz-Bingen (Rheinland-Pfalz) |
Jena (Thüringen) |
Neuwied (Rheinland-Pfalz) |
Kyffhäuserkreis (Thüringen) |
Leipziger Land (Sachsen) |
Saale-Orla-Kreis (Thüringen) |
Muldentalkreis (Sachsen) |
Saalfeld-Rudolfstadt (Thüringen) |
Sächsische Schweiz (Sachsen) |
Sonneberg (Thüringen) |
Weißeritzkreis (Sachsen) |
Unstrut-Hainich-Kreis (Thüringen) |
Ohrekreis (Sachsen-Anhalt) |
|
Saalkreis (Sachsen-Anhalt) |
|
Quelle:
Geo-Beilage Heft 5, 2004, S.22ff. |
RHEINISCHER MERKUR-Spezial:
Deutschland - Uneinig Vaterland.
Die Armut
nimmt wieder zu. Neue Gegensätze spalten die Republik. Droht ein
Klassenkampf wie in der Vergangenheit? |
MEHLITZ, Johannes
(2004): West gegen Ost.
Hoyerswerda
blickt in eine blasse Zukunft,
in: Rheinischer Merkur Nr.32 v. 05.08.
BESSING, Joachim (2004): Lob der Provinz.
Warum will alle Welt in die
Großstadt ziehen? Plädoyer für ein Leben im Abseits,
in: Welt am Sonntag v. 22.08.
Die Glückskinder der
Generation Golf setzen sich in die Provinz ab, das hat
bereits Thomas MEDICUS (vgl. "Ewig uneingelöstes Versprechen",
FR 19.08.2004) beschrieben und Richard KÄMMERLINGS hat das für
die Schriftsteller hervorgehoben (vgl. "Das leichte Spiel ist
immer das schwerste", FAZ 04.11.2003).
Kolja MENSING hat schon
2002 das Loblied auf die Provinz gesungen.
Reichlich spät also, wenn jetzt Joachim BESSING seine Provinz
besingt.
Natürlich geht es bei BESSING
nicht wirklich um die Provinz, sondern um ein Loblied auf die
traditionelle Familie, denn die gedeiht am ungestörtesten im
Abseits. Aber
sooo viel Abseits solls doch nicht sein, also posaunt man sein
Glücklichsein in die Welt hinaus, den Medien sei Dank...
OCHS, Birgit (2004):
Wie schafft man eine lebenswerte Stadt für alle.
Gendermainstreaming im Städtebau, das ist bisher vor allem
Theorie. Nun experimentieren Dessau und Pulheim, ob und wie sich
die Interessen von Männern und Frauen in den Alltag kommunaler
Stadtplanung übertragen lassen,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 22.08.
BISKY, Jens (2004):
Wo liegt der tiefste Punkt?
Ankunft in
der Katastrophe:
Vom Schrumpfen der Städte,
in: Süddeutsche Zeitung v. 24.08.
"Dass in
Ostdeutschland 1,3 Millionen Wohnungen leer stehen, dass die
Abwanderung aus den neuen Ländern anhält, dass hier - scharf und
deutlich - Vergreisung, Verarmung und Verblödung - drohen, hat
sich herumgesprochen. (...).
In Wirklichkeit wie in der Wahrnehmung der Bewohner sind viele
Regionen des Ostens an den Rand gedrängt. Man spricht von
»Peripherisierung«.
(...).
Erst die Sorgen der Wohnungswirtschaft (...) haben dem Thema
Aufmerksamkeit gesichert. 1998 wurde eine Kommission
»Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den neuen
Bundesländern« gegründet. Kurz darauf wurde mit dem
Bund-Länder-Programm »Stadtumbau Ost« ein Maßnahmenplan
beschlossen, der den ersatzlosen Abriss von Wohnungen
subventioniert. Rund 2,5 Milliarden Euro stehen zur Verfügung.
Mehr als 260 ostdeutsche Kommunen beteiligen sich, weit über
60.000 Wohnungen wurde inzwischen abgerissen. Und das war erst
ein bescheidener Anfang",
meint Jens BISKY, der uns die
erste Fallstudie zum Thema empfiehlt: Stadtumbau unter
Schrumpfungsbedingungen, die sich mit dem
Niedergang der sächsischen Stadt Weißwasser befasst.
SPIEGEL-Titelgeschichte:
Jammertal Ost |
BERG, Stefan u.a.(2004): Trübsal in der Zwischenwelt.
Nach 15 Jahren ist ein großer Teil der Ostdeutschen noch nicht
in der Bundesrepublik angekommen. Viele hängen der
Bequemlichkeit der DDR nach und haben sich an das Prinzip der
Eigeninitiative nicht gewöhnt. Die extremen Parteien von links
und rechts haben Zulauf wie nie.,
in: Spiegel Nr.39 v. 20.09.
Der neoliberale
Spiegel sieht im Osten nur undankbare Menschen, die nicht
auf der Höhe des Selbstunternehmertums sind und Hartz IV wird
als Quittung für die westdeutsche Transferleistung verstanden:
"Sie sind unzufrieden
mit dem Leben, das sie haben. Sie klagen, sie jammern. Sie
wählen radikale Parteien, links wie rechts. Sie wählen nicht.
Sie stehen montags auf den Plätzen ihrer schmucken Städte und
fluchen laut über Hartz IV. Sie? Nein, es waren nie mehr als
90.000, sehr viel weniger als im Wendeherbst 1989. Zuletzt
sank die Zahl von Woche zu Woche. Der Osten hat sich längst
ausdifferenziert. Gleichwohl, der Westen nimmt Ostdeutschland
als Jammertal wahr, in doppelter Hinsicht: eine ewig
bedürftige Ökonomie, darin grämliche Menschen, die mehr
zurückschauen als nach vorn. (...).
Es reicht jetzt, dachte wohl auch Bundespräsident Horst Köhler
und sagte in „Focus“, dass es gleiche Lebensverhältnisse
überall nicht geben könne. (...).
Vier Prozent des deutschen Sozialprodukts fließen jährlich in
die ehemalige DDR, um gleiche Lebensverhältnisse zu schaffen.
Das ist mehr als die Zuwachsrate, die Republik zehrt von der
Substanz. Und Deutschland kommt nicht voran. Die
Arbeitslosigkeit stagniert bei 4,3 Millionen, davon 1,6
Millionen im Osten.
Das ist die Lage. Und die Stimmung ist noch schlechter. Ost
und West verlieren sich in einem Wettbewerb des Jammerns. Vor
allem im Ruhrgebiet werden dem Osten die hübsch renovierten
Städte geneidet. Und das alles, während die Welt ringsum
größte Anstrengungen unternimmt, um für die Arbeitsplätze
deutscher Unternehmen attraktiv zu sein. (...).
In keinem anderen Bundesland ist die DDR so über ihr
Todesdatum hinaus fortgeschrieben worden wie in Brandenburg.
(...).
Brutto 1.250 Milliarden Euro wurden seit der Wiedervereinigung
in den Osten transferiert (...). Sie konnten die
Massenarbeitslosigkeit nicht verhindern, nur die Folgen
lindern. Der Staat hat sich übernommen. Die Agenda 2010 ist
eine Folge auch davon.
Markierte der 9. November 1989 das Ende des Kalten Krieges, so
markiert Hartz IV das Ende der DDR. Auch deshalb ist das
Gesetz ein Schock für viele Ostdeutsche. Helmut Kohls
Versprechen, dass es niemandem schlechter gehen werde, ist mit
Hartz IV zurückgenommen."
An diesem Bild des
ostdeutschen Transfersstaats ist einiges falsch, denn der
Westen profitierte von den Sonderabschreibungen Ost, der
Übernahmen von Führungsposten usw. Was in Sachen Treundhand
schief lief - nichts ist hier zu lesen.
Was dem Spiegel
PDS und NPD sind, das wird 15 Jahre später Linkspartei und AfD
sein - nur dass dann dieser Protest um einiges härter sein
wird. Wer Agenda sät, der wird Hass ernten, könnte man dazu
sagen. Die Kanalisierung der damaligen Wut ist aus dem Ruder
gelaufen, spätestens mit Thilo SARRAZIN ("Deutschland schafft
ab"). Die Arroganz der westlichen Medien hat dazu enorm
beigetragen!
Der Spiegel gibt
Ratschläge, die sich 15 Jahre später als fatal erweisen
werden, denn die Neoliberalisierung der Linkspartei wie sie am
Bürgermeister von Hildburghausen in Thüringen gepriesen
wird, wird dann der AfD den Nimbus der einzigen verbliebenen
Protestpartei im Osten ebnen (mehr
hier).
Hartz IV ist für den
Spiegel nicht Fördern, sondern Strafen. Es ist ein
Disziplinierungsinstrument für die Verbliebenen im Osten, die
sich im Schlaraffenland wähnen. Dazu wird der Zusammenbruch
der DDR-Wirtschaft als Ursache der Abwanderung in den Westen
umgedeutet:
"Das Bürgertum trägt die
Demokratie, weil es die Freiheiten und Teilhaberechte
besonders schätzt. In der DDR war diese Schicht sehr dünn.
Nach der Wende wurde sie noch dünner, weil die gut
ausgebildeten Leute in den Westen abwanderten.
Von denen, die geblieben sind, pochen so viele auf Gleichheit,
weil das einen Aufstieg verheißt. Der zählt für sie mehr als
bürgerliche Freiheiten. Hartz IV aber ist die Betonung des
Unterschieds. Der Lebensstandard der Arbeitenden und der
langfristig Arbeitslosen wird sich stark auseinander
entwickeln."
Dass Hartz IV eine
Illusion ist, das wird zwar gesehen, aber es geht hier um das
Prinzip:
"Bei 1,6 Millionen
Arbeitslosen und 48.000 offenen Stellen werden auch die
stärkeren Anreize zur Jobsuche nur einem Teil der Arbeitslosen
Erfolg bescheren. Andererseits liegt in Hartz IV die klare
Aufforderung zur Eigeninitiative, und die ist nötig"
Als nächstes wird uns
Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt präsentiert. Hier steht
dem urbanen Kosmopolitismus mit seiner positivistischen
Lebensphilosophie die Plattenbautristesse gegenüber:
"Halle an der Saale ist
eine trostlose Stadt. Eine hässliche Autobrücke zerschneidet
das Zentrum. Es gibt immer noch Häuser, die aussehen, als wäre
der Zweite Weltkrieg gerade vorüber. In den Plattenbauvierteln
Silberhöhe und Neustadt glotzen leer die Fenster verlassener
Wohnungen. Ein Schild warnt vor »herabfallenden
Fassadenteilen«. Aus einigen rostigen Balkonbrüstungen sind
schon Platten herausgebrochen.
Halle an der Saale ist eine schöne Stadt. Schmucke
Bürgerhäuser säumen sanft geschwungene Straßen. Im
Paulusviertel strahlen die Säulen, Bögen und Engelsköpfe an
den Stadtvillen der Gründerzeit in frischen Cremetönen, die an
Vanilleeis erinnern. Hinter Balkonbrüstungen stehen bunte
Sonnenschirme und Palmen in Terrakottakübeln.
»Diese Stadt hat kulturell viel zu bieten«, sagt Christian
Rauch, stellvertretender Leiter der Agentur für Arbeit,
»selbst Nürnberg kann damit nicht mithalten.« Der gebürtige
Regensburger kam 1991 nach Halle. Er fühlt sich hier so wohl,
dass seine Familie gerade beschlossen hat, nicht nach Bayern
zurückzugehen. Doch wann immer er Einheimischen von ihrer
schönen Stadt vorschwärmt, trifft Rauch auf Unverständnis.
»Für mich ist das Glas halb voll, für manche Hallenser halb
leer«, sagt er. »Die Menschen hier machen ihre Stadt
schlechter, als sie ist.«
Oberbürgermeisterin Ingrid Häußler (SPD), die seit 1969 in
Halle lebt, kennt die Unzufriedenheit der Bürger: »Hallenser
sind sehr kritisch und schwer zu begeistern. Sie nehmen alle
positiven Dinge als selbstverständlich hin und sehen eher das
Negative. Den Hallenser zum Lächeln zu bringen ist sehr
schwer.«
Wie soll man lächeln, wenn jeder Fünfte keinen Job hat und
davon fast jeder Zweite seit längerem? Wie soll man lächeln,
wenn in 14 Jahren die Einwohnerzahl um 90.000 auf 238.000
Menschen gesunken ist, wenn 20 Prozent der Wohnungen leer
stehen?
Doch Oberbürgermeisterin Häußler hat sich für einen anderen
Blick auf Halle entschieden. Die Stadt hat sich um den Titel
»Europäische Kulturhauptstadt 2010« beworben. Mit dem Motto
»Halle verändert« geht die Bewerbung offensiv an das Thema
schrumpfende Stadt und Abriss heran. Ökonom Rosenfeld vom
Institut für Wirtschaftsforschung Halle unterstützt sie in
dieser Sicht. »Eine Stadt kann sich auch gesundschrumpfen.
Small is beautiful.« Das biete die Chance, die wesentlichen
Strukturen der Stadt zu erkennen, um sich auf das zu
konzentrieren, was nahe liegt.
Die Rettung ist es nicht. Aber ein Beginn für den Versuch,
sich mit der Welt, in der man lebt, versöhnen zu können.
Anders ist ein Aufbruch nicht möglich, weil aus Ablehnung zu
viel Verweigerung erwächst. (...).
Ein Motto für den gemeinsamen Aufbruch könnte aus Jena kommen,
aus dem Osten also. Aber es ist ein Osten, der glänzt."
Neoliberalismus heißt
Standortkonkurrenz, genug ist niemals genug. Immer gibt es die
Noch-Besseren. Dazu wird Jena in Thüringen zum Vorbild erkoren:
"Jena (...) ist ein
Osten, der glänzt. Das Bruttoinlandsprodukt dieser Stadt wuchs
zwischen 1997 und 2001 um 24,7 Prozent, in ganz Deutschland um
10,7 Prozent."
KIRBACH, Roland (2004): Die letzten Kinder.
23.000 Menschen leben in
Weißwasser in Sachsen. Jedes Jahr verlassen 1.000 Bewohner
den Ort. Auch der 19-jährige Paul überlegt, ob es an der Zeit
ist zu gehen,
in: Die ZEIT Nr.41 v. 30.09.
Jahr |
Einwohner |
Differenz zum
Vorjahr |
2000 |
26.107 |
|
2001 |
24.815 |
-
1.292 |
2002 |
23.862 |
-
953 |
2003 |
22.966 |
-
896 |
2004 |
22.218 |
-
748 |
2005 |
21.498 |
-
720 |
2006 |
20.823 |
-
675 |
2007 |
20.298 |
-
525 |
2008 |
19.906 |
-
392 |
2009 |
19.615 |
-
291 |
2010 |
19.055 |
-
560 |
2011 |
17.887 |
-
1.168 |
2012 |
17.541 |
-
346 |
2013 |
17.288 |
-
253 |
Quelle:
http://www.weisswasser.de/zahlen_fakten (Stand: 04.06.2015)
und eigene Berechnungen |
RHEINISCHER MERKUR-Spezial:
Deutschland im Jahr 2020.
Geisterstädte und leere Landstriche – das
Geburtendefizit wird unser Land radikal verändern. Blick in eine
düstere Zukunft |
KLINGHOLZ, Reiner (2004): Abstieg in die zweite Liga.
Einwohnerschwund nicht
ausgleichen. Der wirtschaftliche Niedergang ist programmiert,
in: Rheinischer Merkur Nr.42 v. 14.10.
"Bis 2020 wird das
Land etwa 700 000 Einwohner verlieren – nicht einmal ein
Prozent also. Doch diese Zahlen täuschen. Sie setzen voraus,
dass weiterhin jährlich mindestens 200 000 Migranten zu uns
kommen. Und sie sagen nichts über die Dynamik der
demografischen Veränderung. Denn ein Schwund, der einmal
eingesetzt hat, beschleunigt sich aus mathematischen Gründen
immer weiter",
schwadroniert Reiner
KLINGHOLZ. Denn er weis als selbsternannter Prophet ganz
genau:
"Ein
»Gesundschrumpfen« und eine sich danach stabilisierende
Bevölkerungszahl wird es nicht geben."
KLINGHOLZ meint auch
kleinräumige Aussagen machen zu können:
"Das Ruhrgebiet ist
heute bereits der rentnerreichste Großraum Deutschlands und
wird bis 2020 vermutlich eine halbe Million Menschen weniger
vorweisen können als noch im Jahr 2000."
Dummerweise hatte jedoch
Deutschland bereits 2011 aufgrund des Zensus viel weniger
Menschen aufzuweisen als man dachte - nicht weil Deutschland
über Nacht schrumpfte, sondern weil die Karteileichen
aussortiert wurden. Nur so viel zur scheinbaren Genauigkeit
von Bevölkerungszahlen. Denn merkwürdigerweise hat das Fehlen
von 1,5 Millionen Menschen kein einziger Ökonom oder
Bevölkerungswissenschaftler bemerkt. Alle rechneten bis dahin
so als ob es 1,5 Millionen Menschen mehr gab.
HAMANN, Götz (2004): Wie schrumpft man eine
Stadt?
Wir werden weniger (3):
Sachsen erlebt, was westliche Bundesländer
noch vor sich haben: Verlassene Wohnungen und verfallende
Viertel in fast jeder Kommune. Stadtplaner, Politiker und Bürger
lernen allmählich, mit der neuen Leere umzugehen,
in: Die ZEIT Nr.45 v. 28.10.
2005
DIENEL,
Christiane (Hrsg.)(2005): Abwanderung, Geburtenrückgang und
regionale Entwicklung. Ursachen und Folgen des
Bevölkerungsrückgangs in Ostdeutschland, Verlag für
Sozialwissenschaften
SCHIRRMACHER, Frank & Dieter BARTEZKO (2005): Wir altern im wachsenden Schatten
von Riesen.
Was bedeutet die Vergreisung
Deutschlands für die Städte? Man wird in Gespensterquartieren
hausen und die vitalen Metropolen der Dritten Welt beneiden. Ein
Gespräch mit Albert Speer,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 23.02.
BURGER, Reiner
(2005): Der trügerische Babyboom.
In
Sachsen
wurden 2004 so viele Kinder geboren wie lange nicht - und doch
schrumpft der Freistaat,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 24.02.
BIRG, Herwig (2005): Die innerdeutsche Migration.
Grundkurs Demographie - Neunte
Lektion,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 03.03.
Herwig BIRG setzt seinen
Kreuzzug
gegen die moderne Welt
fort und fordert eine Lenkung der Wohnortentscheidungen durch
ein steuerliches Anreizsystem
MÜLLER, Uwe (2005): Supergau Deutsche Einheit, Berlin:
Rowohlt
"Ze für Zeitz, ki
für Kinder, wa für Wagen: Zekiwa ist
(...) eine traditionsreiche
Kinderwagenfabrik. Die sechs Buchstaben sind eng verbunden mit
einem Kapitel deutscher Industriegeschichte: In Zeitz, einer
sachsen-anhaltinischen Kleinstadt an der Weißen Elster, steht
die Wiege der europäischen Kinderwagenherstellung. Ihre
Erfolgsgeschichte begann vor mehr als 150 Jahren. Weil der
Kinderreichtum die Bevölkerung schnell wachsen ließ, kannte die
Branche keine Krisen. Das änderte sich erst nach der
Wiedervereinigung: Plötzlich gab es immer weniger Bedarf, und
Zekiwa musste seine Produktion einstellen. Ein fatales Omen für
Ostdeutschland" (S.95),
beginnt Uwe
MÜLLER das Kapital Die demographische Katastrophe, in dem
der Geburtenrückgang im Osten als Niedergangsszenario auch der
Industriestandorte beschworen wird:
"1980 brachte
jede ostdeutsche Frau durchschnittlich fast zwei Babys auf die
Welt (...). Doch dann kam die Wende und ein Geburtenknick ohne
Beispiel. Er (...) gab auch die angestammte Industrie dem
Siechtum preis. Im Februar 1998 rollte Zekiwa in die Pleite. Der
Klapperstorch als Schutzpatron hatte die Region verlassen.
Riesige Brachen im Stadtzentrum erinnern an die einstige
Glanzzeit. (...). Ein kleiner Betrieb mit einer Hand voll
Mitarbeitern hat den Firmennamen gerettet. Er vertreibt jetzt
Kinderwagen und entwirft Modelle, die von Arbeitern in
Südostasien montiert werden. Geblieben ist Zeitz ein
beeindruckendes Kinderwagenmuseum, das die Stadtväter unlängst
mit dem Zusatz »Deutsches« versehen haben.
Wo ein kompletter Wirtschaftszweig einfach im Museum
verschwindet, obwohl seine Erzeugnisse noch konkurrenzfähig sind
- da läuft etwas grundsätzlich schief. Der Niedergang (...) sagt
auch etwas über die Erosion der Gesellschaft (...). In keinem
anderen Staat der Welt sind nach 1990 so wenige Kinder geboren
worden wie in den neuen Ländern, kaum anderswo altert die
Bevölkerung deshalb so rasant.
Das hat langfristige Folgen" (S.96f.).
Der
Geburtenrückgang ist jedoch gar nicht das Hauptproblem gewesen,
sondern die Abwanderung junger Frauen. MÜLLER beschreibt den
Osten als Jungbrunnen des Westens. Wie üblich werden Extremfälle
zur Dramatisierung hervorgehoben:
"Wahrscheinlich wird ein Drittel des Jahrgangs 1985 abwandern,
weshalb das Durchschnittsalter in Mecklenburg-Vorpommern bis
2040 voraussichtlich auf 57 Jahre steigen steigt.
Es fällt schwer, sich diese Zukunft auszumalen. Im »ältesten«
Dorf Mecklenburg-Vorpommerns, Hohenbollentin im Landkreis
Demmin, liegt heute der Altersdurchschnitt bei 50 Jahren. Was
bedeutet es, wenn dieser Wert im gesamten Land um sieben Jahre
steigt? Ein heute 57-jähriger Mecklenburger hat in aller Regel
keinen Job mehr - er wurde meist in den Vorruhestand geschickt
(...). In Zukunft werden die Menschen viel länger arbeiten
müssen.
Nach dem Exodus einer Vielzahl der Besten bleiben in
Ostdeutschland die weniger Mobilen zurück -
Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose und Alte. (...).
Verdummt der Osten?"
fragt MÜLLER
als ob die Zukunft nur die lineare Fortschreibung der
Vergangenheit wäre. Wie falsch dies ist, das zeigt sich, wenn
MÜLLER das Schrumpfen der Großstädte als gottgegebenes Schicksal
beschreibt:
"Ohne Berlin
gab es 1990 in Ostdeutschland dreizehn Großstädte mit mehr als
100.000 Einwohnern. Sie haben bis Ende 2003 ein Zehntel ihrer
Bevölkerung verloren (...). Doch viele Städte konnten im Rahmen
von Gebietsreformen zumindest einen Teil ihrer Einwohner
zurückholen. Seit 1990 hat Leipzig knapp 62.000 Bürger
eingemeindet, gut zwölf Prozent der heutigen Stadtpopulation.
Trotzdem ist Ostdeutschlands bevölkerungsreichste Kommune fast
auf das Maß von 1900 geschrumpft, als sie mit 456.000 Einwohner
(...) die viertgrößte Stadt des Kaiserreichs war. Gegenüber
1933, als die sächsische Metropole mit 713.000 Bürgern am
größten war, ist die Einwohnerzahl um ein knappes Drittel
gesunken.
Wenn die Bevölkerung schrumpft, stehen immer mehr Wohnungen
leer, und ein neuartiges Phänomen greift um sich: die
»Leerstandspanik« oder der »Leerstandsschock«. (...).
Jeder sanierte Plattenbau wird fünf bis zehn Altstadthäusern zum
Verhängnis. Selbst die schöne Leipziger Kernstadt hat hässliche
Lücken wie ein schlechtes Gebiss. (...). Geschieht nichts,
beginnt bald das große Häusersterben:
Dabei bleibt die Bevölkerungszahl der sächsischen Kommune nun
wohl stabil, ebenso wie Dresden. (...).
Gera und Cottbus sind in Gefahr, unter die Grenze von 100.000
Einwohner zu fallen, womit sie ihren Status als Großstadt
verlieren würden. In Zwickau ist das bereits geschehen. Ebenso
wie in Schwerin, wo es keine Eingemeindungen gab und noch knapp
98.000 Menschen leben. 2017 wird die Landeshauptstadt von
Mecklenburg-Vorpommern im besten Fall knapp 90.000 Einwohner
haben. Tritt allerdings die pessimistischere Variante einer
Prognose ein, die Stadtentwickler in Auftrag gegeben haben,
bleiben nur 81.500 Schweriner übrig.
Beim künftigen Rückgang wird die Abwanderung eine zunehmend
kleinere Rolle spiele - weil es immer weniger junge Menschen
gibt, die noch abwandern könnten. Die geringe Zahl der
Neugeborenen tut nun ihr Übriges.
Geburtenarmut ist auch Bevölkerungsflucht, allerdings eine, die
sich nicht im Raum, sondern in der Zeit vollzieht.
»Kinderlosigkeit könnte also auch als Abwanderung verstanden
werden, als eine Form der Abwanderung aus der Zukunft« erklärt
Kurt Biedenkopf." (S.109ff.)
Schwerin hatte Ende 2017 noch 95.797 Einwohner, also rund
6.000 Einwohner mehr als die positive Variante und 15.000 mehr
als die pessimistische Variante. Während
Gera keine Großstadt mehr ist, hat
Cottbus seinen Großstadtstatus im Jahr 2017 erhalten können.
Die Entwicklung der Großstädte in Ostdeutschland ist also
differenzierter als von MÜLLER beschrieben.
Leipzig gilt 2017 sogar als die bundesweit am stärksten
wachsende Großstadt! Kurt BIEDENKOPFs
Sachsen hatte lange Zeit das Image eines neoliberalen
Musterknaben, aber der ländliche Raum wurde verkommen lassen.
Die Quittung bekommt nun die CDU von Michael KRETSCHMER. Das
Kapitel Deutschlands Schrumpfhauptstadt widmet MÜLLER der
sächsischen Stadt
Hoyerswerda (vgl. S.114ff.)
Prognosen zum
Altersdurchschnitt (S. 118f.) und zum ältesten Bundesland im
Jahr 2020 (S. 125) könnten sich bald als nachprüfbar falsch
erweisen.
taz-Serie:
Deutschland - Räume ohne Volk und auseinanderklaffende
Lebenswelten |
KNIE, Andreas & Susanne SCHÖN (2005): Wenn der
Staat schrumpft.
Die Daseinsvorsorge gehört zum Kernbestand des deutschen
Staatswesens. Bisher. Angesichts dramatischer
Bevölkerungswanderungen kann er gleichwertige Lebensbedingungen
nicht mehr garantieren. Das eröffnet neue Freiheiten. Ein Essay,
in: TAZ v. 12.04.
Ist die
taz nicht überflüssig, wenn Deutschland schrumpft? Diese
Frage stellt sich die taz leider nicht. Was passiert
eigentlich, wenn es keinen Bevölkerungsrückgang bis zum Jahr
2020 gibt?
LBS-Research zweifelt die politisch
korrekten Schrumpfungsszenarien aufgrund der Kluft zwischen
Bevölkerungsvorausschätzungen und Bevölkerungsentwicklung nach
1989 an. Was in
Deutschland fehlt, ist eine Debatte über die Angemessenheit der
Vorausschätzungen. Aber hier herrscht einvernehmliches
Stillschweigen.
PLATZECK,
Matthias (2005): Hier Entvölkerung, dort Verdichtung.
Brandenburg erlebt beispielhaft für andere
Bundesländer eine gegenläufige demografische Entwicklung. Der
Osten hat die Chance, den Bevölkerungsrückgang selbst zu
bewältigen. Der Aufbau Ost ist längst nicht am Ziel. Dabei macht
die Abnahme der Bevölkerung schwierige Anpassungsprozesse nötig.
Das Land Brandenburg will die Entwicklung aus eigener Kraft
steuern,
in: Frankfurter Rundschau v. 16.04.
Warum ist jetzt plötzlich das
Thema
"Demografische Entwicklung" bei Politikern so überaus
populär?
Offenbar eignet es sich dazu, aktuelles Politikversagen zu
verschleiern. Falsche Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik kann
elegant zum demografischen Problem umdefiniert werden.
Tatsache aber ist: das so genannte demografische Problem ist
weder für die Abwanderung aus den neuen Bundesländern
verantwortlich noch ist der Geburtenrückgang Ursache für
ökonomische Probleme schlechthin. Würde
in den neuen Bundesländern die Wirtschaft florieren, dann gäbe
es dort auch ausreichend Arbeitnehmer.
Der
Versuch, die Kausalitäten umzukehren mag populär sein, ist aber
ein billiger Taschenspielertrick von Politikern, die ihre
Verantwortung gerne anderen zuschieben...
BILLERBECK, Liane von (2005): Nichts wie weg.
Was ist weiblich? Warum mehr
junge Frauen als Männer den Osten verlassen,
in: Die ZEIT Nr.17 v. 21.04.
In der Reportage von
BILLERBECK werden ohne Reibungsverluste die Antworten der
Sozialwissenschaftlerin Christiane DIENEL reportagemäßig
umgesetzt. Das mag pädagogisch wertvoll, ganz sicher politisch
korrekt sein, aber der Heterogenität der Lebensverhältnisse wird
es sicher nicht gerecht.
BURGER, Rainer
(2005): Silberbergwerke, Braunkohlebergbau, Brachland.
Demographie-Politik in
Sachsen: "Modellregionen" sollen zeigen,
wie es weitergeht, wenn kaum noch jemand weiß, wie es
weitergehen soll,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 27.04.
BISKY, Jens (2005):
Feigheit vor dem Osten.
Die
Verdrängung einer Frage: Wer kündigt den Solidarpakt?
in: Süddeutsche Zeitung v. 02.08.
"Es ist der Fluch
der Transfergesellschaft, dass sie fortwährend neuen
Transferbedarf schafft. (...).
Die alten Rezepte treffen freilich auf einen Gesellschaft, die
sich von der des Jahres 1995 dramatisch unterscheidet. Sie
befindet sich (...) in Auflösung. Zum einen wachsen die
regionalen Unterschiede: Den wenigen urbanen Zentren - Dresden,
Leipzig, Halle, Rostock -, die über ausreichend Potenzial für
eine eigenständige Entwicklung verfügen, stehen weite Regionen
gegenüber, die sich allmählich entleeren und (...) in den
kommenden fünfzig Jahren unterentwickelte Regionen bleiben
werden. In der
Priegnitz etwa, (...) leben heute so viele Menschen wie
1870. Wirtschaftsforschern ist es nicht gelungen,
Ausstrahlungseffekte der Leuchttürme festzustellen",
erklärt uns Jens
BISKY, der auf die Unter-Dreißigjährigen setzt, denn diese haben
die neoliberale Losung "Jeder ist seines Glückes Schmied"
akzeptiert, statt wie die "Zöglinge der Transfergesellschaft"
auf den Staat zu warten.
SCHÄUBLE, Juliane (2005): Wild auf den
Westen.
Junge
Frauen kehren Ostdeutschland den Rücken. Zurück bleibt eine "männerlastige
Bevölkerung",
in: Tagesspiegel v. 13.08.
"In ganz Ostdeutschland gibt
es keine einzige Region mit einem Frauenüberschuss, dafür
teilweise 20 Prozent weniger weibliche als männliche Einwohner",
berichtet Juliane SCHÄUBLE über eine Studie von Torsten OBST.
BOLLWAHN, Barbara (2005): Über zurückgebliebene Männer.
Im Osten gibt es Regionen, aus
denen Frauen in Scharen abwandern. Das ist fatal für das
männliche Geschlecht
in: TAZ v. 17.08.
Barbara BOLLWAHN
versucht sich eine missratene Grillparty zu erklären. Da kommt
ihr eine Studie über den
Männerüberschuss in Ostdeutschland
gerade recht.
SPIEGEL-Titelgeschichte:
Ein Gespenst kehrt zurück.
Die neue Macht der Linken |
BERG, Stefan u.a.(2005):
Aufschrei Ost.
Millionen sehen rot: Die Ostwähler verweigern sich den
Strategien der Westparteien. Sie machen eine neue Linke stark,
die eher auf Marx setzt als auf Hartz. Eine große Koalition der
Verdränger beschönigt die Lage der neuen Länder - vorneweg der
Kanzler und die Kandidatin,
in: Spiegel Nr.34 v. 22.08.
BISKY, Jens (2005): Ost gegen West.
SZ-Serie Der große Graben: Das Tabu, ängstlich gehütet: Die deutsche
Einheit ist gescheitert,
in: Süddeutsche Zeitung
v. 25.08.
Jens BISKY geißelt den
Transferwahn, der auf dem unerfüllbaren Versprechen von der
Angleichung der Lebensverhältnisse beruht. Eine innere Einheit
existiere nicht. Der Osten verweigere sich sogar der
westlichen Mitte-Presse, weil es im Osten an einem Bürgertum
wie in München mangele:
"Nach der
systematischen Entbürgerlichung in der DDR, nach der
Ausschaltung der sozialistischen Funktionseliten und der
anhaltenden Abwanderung fehlt es im Osten an einem
Bürgertum, einem Mittelstand, an Eliten. Der soziale Raum
zwischen Familie und Staat ist nur schwach besetzt."
BISKY fordert deshalb
eine Kultur der Ungleichheit und der Unterschiede, denn:
"Zuverlässig rechnen
können wir mit einer starken innerostdeutschen Differenzierung
in wenige städtische Zentren und unterentwickelte ländliche
Regionen, mit weitere Abwanderung und rascher Überalterung,
mit bleibenden Unterschieden bei Einkommen und Vermögen, mit
anhaltendem Transferbedarf und einer Tradierung ostdeutscher
Besonderheiten. Der Verteilungskonflikt um die Transfergelder
dürfte sich nicht mehr lange durch Solidaritätsbeschwörungen
verdrängen lassen."
BERG, Stefan u.a.(2005):
Permanente Revolution.
Spiegel-Serie Wege aus der Krise: Die Parteien drücken sich im
Wahlkampf um das Thema Aufbau Ost - aus gutem Grund: Viele
Programme sind gescheitert, die Milliarden fließen weiter, aber
die Menschen wandern ab. Experten fordern, ganze Landstriche
aufzugeben, um wenigstens zukunftsträchtige Zentren noch mehr zu
fördern,
in: Spiegel Nr.36 v. 05.09.
Der Spiegel malt
mit Zahlen des Wirtschaftsinstituts in Halle und des
Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung ein düsteres
Bild von Ostdeutschland. Außer in Berlin samt
brandenburgischem Umland und Dresden gibt es dort nur noch
Leipzig, wo die Lage schlechter ist als das Stadtimage -
sowie die Einöde von brandenburgischer Lausitz und die
sächsischen Problemstädte
Weißwasser,
Hoyerswerda oder
Görlitz:
"Schon das Leben im
Erzgebirge unterscheidet sich von dem in der Metropole Dresden
gewaltig. Und im Speckgürtel Berlins, der zu Brandenburg
gehört, lebt eine neue, wohlhabende Mittelschicht. Der hier
liegende Landkreis
Teltow- Fläming brachte es in einem gesamtdeutschen
Landkreis-Ranking auf Platz 1, er ist »deutscher
Wachstumsmeister« (»Handelsblatt«). (...).
Die Politik versucht, mit alten Instrumenten zu reagieren: Ein
Programm »Verkehrsprojekte Europäische Einheit« müsse her,
forderte Sachsens CDU-Fraktionschef Fritz Hähle. Dabei sind
die Projekte der Deutschen Einheit noch nicht mal alle gebaut.
Und längst ist der »Lausitzring« – eine Rennstrecke im alten
Braunkohlenrevier, errichtet mit 123 Millionen Euro
Steuermitteln – zum Symbol für Verschwendung beim Aufbau Ost
geworden. Dennoch bestehen Politiker wie Hähle auf neuen
Pisten. Zumindest könnte die gebeutelte Bevölkerung dann
schneller in den Nachbarländern billig tanken.
Die Natur holt sich derweil ihr Land zurück, in Teilen der
Lausitz ist der Wolf wieder heimisch. Ehemalige Tagebaue
werden geflutet, was den Einheimischen wie ein symbolischer
Abschied von der Zukunft erscheint. Es entsteht eine Seenkette
mit einer Wasserfläche von 130 Quadratkilometern.
Anderen Regionen im deutschen Osten sieht man die Probleme
nicht auf den ersten Blick an. Sie erscheinen gar als
wirtschaftlich potent – Leipzig etwa. (...).
In Dresden hingegen scheint der Traum von den »blühenden
Landschaften«, die Kohl einst versprach, Wirklichkeit geworden
zu sein. Hier hat die von Experten geforderte Verknüpfung von
Forschung und Industrie funktioniert, hier gab es genug
Fachkräfte, die schon Erfahrungen aus DDR-Zeiten mitbrachten.
(...).
Doch zur Wahrheit gehört, dass die Zuwachsraten noch lange
nicht reichen, um zum Westen aufzuschließen. Und zur Wahrheit
gehört auch, dass sie das Hauptproblem nicht beseitigen
können: die Arbeitslosigkeit. (...). Der Musterschüler ist gut
– doch noch immer nicht gut genug. Zudem entsteht in der
Hightech-Region eine Produktion, die viel Kapital braucht,
aber nur wenig Menschen. (...).
Mehr als ein Jahrzehnt lang zogen die Landesminister mit der
Gießkanne durch die Provinz: Jeder Landrat bekam sein
Gewerbegebiet, fast jeder Bürgermeister sein Spaßbad, kleine
Flughäfen wurden geplant – auch wenn niemand dort landen
wollte. Bund und EU waren wie Goldesel. (...).
Doch hinter der gigantischen Förderkulisse, die den Glauben an
die schnelle Angleichung nährte, entwickelte sich in den
Ostbetrieben eine harte, ganz andere Realität. Hier wurde der
Osten zum Experimentierfeld der Deregulierung. (...).
Längere und flexiblere Arbeitszeiten, um ein Drittel geringere
Arbeitskosten als im Westen, dazu schwache Gewerkschaften –
eigentlich beste Voraussetzungen für einen Aufschwung wie aus
dem Lehrbuch marktradikaler Makroökonomen. Doch weit gefehlt.
Denn kurz hinter der östlichen Landesgrenze finden die
Unternehmen noch günstigere Bedingungen: in den
Neu-EU-Mitgliedsländern Polen und Tschechien. Unternehmen, die
sich erst mit Millionen Fördergeldern Investitionen in
Ostdeutschland versüßen ließen, zogen weiter – vom Erzgebirge
nach Tschechien, aus dem Märkischen Sand an die Weichsel.
Freilich, auch dort läuft nicht alles reibungslos, deutsche
Investoren vermissen etwa gutausgebildetes Personal. Und hier
will nun die sächsische Wirtschaftsförderung einhaken – mit
einer wohl beispiellosen Kampagne: Emissäre der Sächsischen
Wirtschaftsförderungsgesellschaft schwärmten aus, um
Unternehmen den Wechsel zurück nach Deutschland schmackhaft zu
machen. (...).
Wenigstens bleibt so etwas Hoffnung für die
deindustralisierten Gebiete im Zittauer Dreiländereck, in
Vorpommern oder Nordthüringen, die sich aber in Wahrheit in
ihr Schicksal als Retiro für Alte fügen müssen. Die Zukunft
ist in Städten wie Görlitz schon heute zu sehen."
MANGOLD, Ijoma (2005): Stadt gegen Land.
Parasiten im Speckgürtel: Warum wir die City brauchen
Gigantische Pendlerströme fallen Tag für Tag in die Großstädte
ein. Doch bislang wollten immer weniger Menschen in den
Metropolen wohnen. Jetzt feiert die Stadt Renaissance,
in: Süddeutsche Zeitung v. 08.09.
Man muss sich fragen, warum
die Suburbanisierung lange Zeit KEIN Thema der Stadtforschung
war. Warum
befassten sich die selbstgefälligen Stadtforscher mit den
innenstadtnahen Wohngebieten,
während zur gleichen Zeit die Vorstädte explodierten und das
Reihenhaus zur Norm der Mittelschichten wurde? Der
Einzige und sein Eigenheim
war bis um die Jahrtausendwende der blinde Fleck einer
Stadtforschung, die yuppiefixiert war. Nun,
da Yuppies sich Kinder als Statussymbol bzw. zur
Selbstverwirklichung angeschafft haben und als
Family Gentrifier (Monika ALISCH)
die Städte entdecken, richtet sich der Blick auf die
Suburbanisierung. Ijoma
MANGOLD befasst sich nicht mit dieser
Geschichte der Stadtforschung und ihren
Fehldeutungen, sondern
gänzlich unhistorisch wird dem Optionalismus gefrönt:
"In
der Wirklichkeit ist der Stadt/Land-Gegensatz heute gerade
keiner hermetisch getrennter Welten mehr. Durch vielfache
mobile Ausnutzungs- und Parasitärbeziehungen sind beide eng
miteinander verflochten. Und ob einer in der Stadt oder auf
dem Land wohnt, ist kein lebenslanges Schicksal mehr,
sondern eine Frage der Optionen. Urbanität und
Provinzialität sind bewegliche Lebensformen geworden, die
man von einer biografischen Etappe zur nächsten wechseln
kann."
Die Renaissance der Städte
wird seit einiger Zeit ausgerufen. Ob sich die Entwicklungen
aber an Manifeste oder politische Gutachten wie jene über den
demografischen Wandel halten, das wird die Zukunft zeigen
müssen...
MÜLLER, Claus
Peter (2005): Platten zu Mustervillen.
Thüringen: Wie eine Stadt die
Folgen der Abwanderung dämpft,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 01.10.
WILTON, Jennifer (2005): Ein Viertel der
Männer geht leer aus.
Thüringen:
Wo in
Deutschland großer Frauenmangel herrscht: Der thüringsche
Ilm-Kreis steckt in Schwierigkeiten,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 19.10.
HEINSOHN, Gunnar (2005): Ausblutende Landschaften.
Gunnar Heinsohn fragt, warum sich Deutschland
nicht um die besten Köpfe der implodierenden Staaten Osteuropas
bemüht, sondern lieber Städterückbau betreibt,
in: Welt am Sonntag v. 13.11.
GROBECKER,
Claire/KRACK-ROBERG, Elle/SOMMER, Bettina (2005):
Bevölkerungsentwicklung 2004,
in: Wirtschaft und Statistik,
Heft 12, S.1261-1272
"Zwischen 1991 und 2004
zogen rund 2,60 Mill. Menschen von Osten (einschl. Berlin)
nach Westen; 1,70 Mill. wählten die umgekehrte Richtung,
wobei der Wanderungsstatistik nicht entnommen werden kann,
wie viele Rückkehrer in die neuen Länder sich darunter
befanden. Die Nettoabwanderung insgesamt aus dem Osten
betrug für diesen Zeitraum rund 871 000 Personen. Dabei sind
bis 1999 die Wanderungen von und nach Berlin-Ost und ab 2000
die Wanderungen von und nach Berlin berücksichtigt, da sich
seit der Gebietsreform in Berlin die Wanderungen nicht mehr
nach Berlin-Ost und Berlin-West unterscheiden lassen",
berichten GROBECKER/KRACK-ROBERG/SOMMER
über die ostdeutschen Abwanderungsverluste.
Für die Jahre 1991 bis 1999
werden für die neuen Länder Abwanderungsverluste von 535.345
Personen ausgewiesen. In der Darstellung
aus dem Jahr 2002 wurde für diesen Zeitraum ein
Abwanderungsverlust von nur 461.910 Personen ausgewiesen.
Dieser Unterschied von 73.435 Personen beruht auf der
geänderten Gebietseinteilung. Zählt man Berlin im Zeitraum
1991 bis 2004 zu den neuen Ländern, dann reduziert sich der
Abwanderungsverlust auf ca. 871.000 Personen.
2006
KLOEPFER, Inge (2006): Deutschland 2020.
Demographischer Wandel: Gewinner und Verlierer,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 05.02.
Inge KLOEPFER,
Jahrgang 1964, stellt eine Analyse der
Bertelsmann Stiftung vor. Jena ("Boom-Town des Ostens"),
Hamburg ("Zukunft für Junge"), Ahrensfelde ("Aufstieg mit
Berlin") werden als Gewinner porträtiert. Dagegen werden
Gelsenkirchen ("Trauer auf Schalke"), Chemnitz ("Abstieg
ohne Ende") und Mittenwald ("Berge ohne Kinder") als
Verlierer beschrieben.
BÖLSCHE,
Jochen
(2006): Verlassenes Land, verlorenes Land.
Deutsche
Provinz: Wissenschaftler sprechen von einer sozialen Zeitbombe.
Durch Geburtenschwund, Arbeitslosigkeit und Massenabwanderung
droht sich der ländliche Raum in einen "Ozean von Armut und
Demenz" zu verwandeln - eine Entwicklung, die ein Kartell der
Parteien tabuisiert,
in: Spiegel online v. 14.03.
Jochen BÖLSCHE zitiert aus
dem Buch
Deutschland, eine Reise von Wolfgang BÜSCHER nur jene
Passagen, die den demografischen Niedergang in Ostdeutschland
beschwören können:
"Unlängst (...) bilanzierte
der preisgekrönte Autor, ihm sei auf dem langen Marsch durch die
Grenzregionen klar geworden, dass sein Heimatland »große
geisterhafte Teile« umfasse (...). Finster war's an der
Ostseeküste: Büscher durchstreifte heruntergekommene Bahnhöfe,
die ihn an eine »Station in der Steppe« erinnerten, und triste
Orte mit ärmlichen Läden, die »Resterampe« oder »vietnamesischer
Kleidungsmarkt« hießen. Dann kam der Wandersmann in die
abgewrackte Industriestadt
Guben an der Neiße. Dort fand er nicht nur bestätigt, wovor
er tags zuvor gewarnt worden war: »dass es kein Wirtshaus in
Guben gab«. Büscher »Es war so, dass es Guben nicht gab.« "
Solcherart Demografisierung
gesellschaftlicher Probleme ist eine Steilvorlage für die
Rechten dieser Republik gewesen, denn die neoliberale Predigt
der Alternativlosigkeit sah darin ja nicht politisches Versagen,
sondern nur einen unausweichlichen demografischen Niedergang.
Ein ganzes Jahrzehnt wurde daher verschenkt!
"Die Grüne Künast zählt
innerhalb der politischen Klasse zu den Ausnahmeerscheinungen.
Die meisten (...) verdrängen lieber, dass der grassierende
Geburtenschwund und die Arbeitslosigkeit, die Vergreisung und
die Abwanderung vielerorts ein verlorenes Land hinterlassen
haben, keineswegs nur auf dem Gebiet der einstigen DDR -
Dunkeldeutschland goes West",
erzählt uns BÖLSCHE. Dass der
Begriff "Dunkeldeutschland" ein Jahrzehnt später Karriere machen
wird, aber auf ganz andere Art und Weise wie Neoliberale sich
das vorgestellt haben, ist eine andere Geschichte. Es wird
jedoch noch schlimmer, wenn behauptet wird, dass das Schrumpfen
mit Unausweichlichkeit ganz Deutschland betreffen würde:
"»Dass die Deutschen erst
keine Kinder zeugen und dann nicht sterben wollen«, wie der
Historiker Michael Stürmer die tückische Kombination von
sinkender Geburtenzahl und steigender Lebenserwartung
beschreibt, macht schon heute ganze Landstriche zu
Verliererregionen mit schrumpfender und zugleich überalterter
Bevölkerung.
Der »demografische Wandel« finde »überall in Deutschland« statt,
doziert der Berliner Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Busch, im
Osten allerdings habe er sich bereits zur »demografischen
Katastrophe« ausgewachsen. Busch: »Großstädte wie Halle,
Magdeburg, Frankfurt (Oder), Cottbus, Neubrandenburg, Gera und
Dessau verlieren innerhalb weniger Jahrzehnte bis zur Hälfte
ihrer Einwohner.« Der Ökonom weiß, dass es für Außenstehende
»kaum vorstellbar« ist, »was es für eine Stadt mit früher mehr
als 300.000 Einwohnern wie Halle oder Magdeburg bedeutet,
innerhalb von zwei Generationen auf 150.000 herunterzugehen«.
Während die großen Städte schrumpfen, sterben bereits die
Dörfer. »Ganze Regionen wie Nordthüringen, Ostprignitz, Altmark,
Uckermark, Vorpommern und die Lausitz sind der Verödung
preisgegeben,« konstatiert Busch. In Vorpommern beispielsweise,
das mit knapp 500.000 Einwohnern nur noch 65 Prozent der
Bevölkerung von 1970 hat, würden Wüstungen, also aufgegebene
Siedlungsstätten, allmählich zum »Flächenphänomen«, hat der
Greifswalder Bevölkerungswissenschaftler Helmut Klüter
beobachtet."
Die Beschwörung des
Niedergangs wird ein Jahrzehnt später als neue Wohnungsnot in
den Großstädten gravierende Folgen zeigen. Wen wundert es
angesichts dieser neoliberalen Horrorszenarien eigentlich, dass
Halle und Magdeburg ein Jahrzehnt später die Zentren der neuen
Rechten geworden sind? Und das, obwohl beide Städte nicht
schrumpfen?
Im Jahr 2009 wird Halle seinen Tiefststand mit 230.377
Einwohnern erreichen. 10 Jahre späte sind es rund 10.000
Einwohner mehr.
Magdeburg hatte bereits 2004 mit 226.675 Einwohnern den
Tiefststand erreicht und ist zum Zeitpunkt des Artikels bereits
wieder gewachsen. 2017 waren es rund 15.000 Einwohner mehr als
im Jahr 2004.
BÖLSCHE jubelt angesichts der
Erfolge der neoliberalen Bertelsmannstiftung, die mit ihren
Horrorszenarien der Bevölkerung das richtige Bewusstsein
einimpft. Die damals von Neoliberalen bejubelten
Standortschließungen in allen Bereichen werden uns ein Jahrzehnt
später zum Verhängnis werden, weil im Osten die neue Rechte auf
eine desolate staatliche Sicherheitsinfrastruktur trifft und sie
sich als die neuen Herren fühlen können.
"Während das
Problembewusstsein in der ostdeutschen Bevölkerung mittlerweile
»relativ gut ausgeprägt« sei, hat Philipp Oswalt, der im Auftrag
der Kulturstiftung des Bundes das Zukunftsthema »Schrumpfende
Städte« bearbeitet hat, in den alten Ländern ganz andere
Reaktionen beobachtet: »Der Großteil der Westdeutschen
realisiert bestimmte Problemlagen nicht.«",
zitiert BÖLSCHE den damaligen
Schrumpfologen Philipp OSWALT, der nicht einmal 10 Jahre
später die krassen Folgen seiner eigenen Bemühungen durch
"Raumpioniere" bekämpfen will. Die neoliberalen
Mainstreamzeitungen schüren Panik, indem sie mit Metaphern wie
"Ozean von Armut und Demenz" hantieren, die von der neuen
Rechten begierig aufgegriffen werden.
Der Neoliberalismus spielt mit dem Feuer, das er nicht mehr
wird löschen können.
Der Begriff "Rostgürtel" wird
ein Jahrzehnt später Karriere machen, um die Ursachen des
Aufstiegs von Donald TRUMP zu beschreiben:
"Die neue innerdeutsche
Grenze trennt nicht mehr Ost und West voneinander, sondern
umschließt eine breite Schneise der Entvölkerung genau dort, wo
früher einmal das Herz des Landes pochte: Betroffen sind unter
anderem die einstigen Industriegebiete von Sachsen über
Thüringen bis zum Kohlenpott - eine Art Rostgürtel quer durch
die Republik.
Abstiegskandidat Nummer eins innerhalb dieser Region ist das
Ruhrgebiet",
schreibt BÖLSCHE, der mit
Begriffen wie "Wüstungen" hantiert und den Nationalkonservativen
Bevölkerungswissenschaftler Herwig BIRG, der mit abstrusen
Vergleichen dramatisiert, zitiert, der ein Jahrzehnt später die
Ikone der AfD wird, die mit ihren Erfolgen den Neoliberalen jene
Panik spüren lässt, die sie selbst entfacht haben.
Fazit: Artikel von
Schrumpfologen wie jener von BÖLSCHE haben das Aufkommen der
neuen Rechten befeuert und rechtzeitige politische Maßnahmen
verhindert. Wer wie die Neoliberalen Panik schürt, der muss sich
nicht wundern, dass danach jene kommen, die von dieser Panik
profitieren!
BÖLSCHE,
Jochen
(2006): Keine Zukunft für die Kuhzunft.
Sterbendes
Land: Bauerndörfer ohne Bauern, Landgemeinden ohne Gemeinderat,
ohne Kneipe, ohne Arzt - das Dorfsterben hat begonnen. Nicht
einmal die Kirche ist heilig. Kritiker befürchten eine "soziale
und politische Erosion größten Ausmaßes". Doch das Land ohne
Volk hat keine Lobby in Berlin,
in: Spiegel online v. 15.03.
Jochen BÖLSCHE hält den
Bürgermeister des niedersächsischen Tiflingerorde für einen
Phantasten:
"Gerd Goebel (...)(ist)
Bürgermeister im niedersächsischen
Tiftlingerode, einem Dorf nahe dem ehemaligen Todesstreifen,
einem dieser von Abwanderung und Geburtenrückgang geplagten
Orte, von denen es Abertausende gibt - Dörfer ohne Laden und
ohne Bank, ohne Bäcker und ohne Kneipe.
Bürgermeister Goebel stemmt sich gegen den Abwärtstrend. Er
möchte verhindern, dass weiterhin die Jüngeren abwandern und
Tiftlingerode »zum Altersheim wird«. Statt dessen will er
erreichen, dass die Einwohnerschaft wieder wächst. Um die Zahl
der Bürger von seinerzeit 984 auf mindestens 1000 zu erhöhen,
ließ Goebel von 2003 an die Kinderspielplätze renovieren und
eine zusätzliche Grundschulklasse einrichten. Medienwirksam
offerierte er allen jungen Paaren im Dorf als Babyprämie einen
kostenlosen Leihwagen für drei Monate, dazu Lottoscheine,
Zoobesuche und allmorgendlich knackfrische Brötchen. Zweimal pro
Monat, versprach der Bürgermeister, werde er persönlich den
Babysitter spielen. Wegzugsprämien für Bewohner sterbender
Dörfer? Goebels Kalkül, mit dem Image des familienfreundlichen
Dorfs Zuwanderer anzulocken, ging auf. Im April vorigen Jahres
begrüßte er den sechsjährigen Till, der mit seinen Eltern
zugezogen war, als 1000. (...) Bundespräsident Horst Köhler
(rühmte) den kreativen Kommunalpolitiker aus Niedersachsen als
strahlendes Beispiel."
Dieser lediglich
medienwirksamen, aber untauglichen, weil isolierten politischen
Strategie, setzt BÖLSCHE die neoliberale Strategie entgegen, die
das Aussterben von Dörfern prämiert, denn Jochen RAGNITZ und
Rainer KLINGHOLZ empfinden alles andere als Geldverschwendung.
Schulschließungen werden von
Neoliberalen als willkommene Einsparmöglichkeiten betrachtet -
angesichts einer Familienpolitik, die auf Geburtenanstieg zielt,
doch eine völlig unvernünftige Politikmaßnahme.
"Während das Schulsterben im
Osten anschließend langsam abebben wird, steht es dem Westen
noch bevor: In den alten Ländern erreicht die Schülerzahl
derzeit mit knapp 10,2 Millionen ihr Maximum. Von nun an aber
bis 2020 wird sie auf weniger als 8,3 Millionen sinken,
überdurchschnittlich stark auf dem Lande",
droht BÖSCHE. Eine fatale
Fehleinschätzung! 10 Jahre später wird der Osten -
insbesondere das neoliberale Musterland Sachsen - die
gravierenden Folgen dieser Politik der Schulschließungen und des
Abbaus der Lehrer mit dem Aufstieg der AfD zur stärksten Partei
in Sachsen bezahlen müssen. Im Jahr 2018 wird die
Kultusministerkonferenz einen gravierenden Lehrermangel bis 2030
feststellen, weil die Schülerzahlen statt zu sinken, steigen.
Für 2020 werden rund 10,9 Millionen Schüler in Deutschland
erwartet - allein in den westlichen Flächenstaaten 8,6 Millionen
ohne die bevölkerungsreichen Stadtstaaten. In Hamburg und Bremen
kommen weitere 350.000 Schüler hinzu und Berlin wird diese mit
rund 470.000 Schüler übertreffen. Im Vergleich zu den Zahlen von
BÖLSCHE sind das weit mehr als 1 Million Schüler mehr als damals
erwartet. Die EU und der Bund verstärkt mit seiner Politik die
Lage im ländlichen Raum, insbesondere im neoliberalen Musterland
Sachsen:
"Entwicklungen in Berlin oder
Brüssel gehen seit langem überproportional oft zu Lasten der
Schrumpfregionen in Ost und West. Wenn die Bundeswehr die Zahl
ihrer Standorte binnen fünf Jahren, wie beschlossen, von 572 auf
392 reduziert, sind vielfach abgelegene Gemeinden betroffen wie
zum Beispiel der erzgebirgische Ort
Schneeberg. Dort, wo bereits vier von acht Schulen
geschlossen werden mussten, lässt der Abzug von 1400 Mann samt
Partnern und Kindern den Bürgermeister Frieder Stimpel nahezu
verzweifeln".
Brandenburg, das bislang
durchgängig von einem SPD-Ministerpräsidenten regiert wird,
dient als Beispiel verfehlter Gemeindereformen:
"In dem Bundesland ist die
Zahl der selbständigen Gemeinden seit der Wende von fast 2000
auf 727 zusammengeschnurrt. Wer nicht freiwillig mit dem
Nachbardorf fusionieren wollte, wurde vom Land zwangsvereinigt.
Ein Volksbegehren gegen den weiträumigen Demokratieabbau
scheiterte, wie der Berliner
»Tagesspiegel«
kommentierte, an der
»inzwischen
großen Lethargie«
in der entkräfteten, erschöpften Provinz. Wenn solche
Sparmaßnahmen Schule machen, werden bundesweit Zigtausende von
idealistischen Feierabendpolitikern überflüssig - was allerdings
manch ein Parteifunktionär insgeheim mit Erleichterung
quittieren würde. Denn in den ausgedünnten Regionen ist nicht
nur die Bereitschaft gesunken, Posten in der Feuerwehr oder im
Sportverein zu übernehmen, auch den Parteien fällt es immer
schwerer, geeignete Bewerber für Ratsmandate zu finden."
Ist aber die Provinz wirklich
erschöpft gewesen oder wurde sie von der neoliberalen
Standortpolitik ausgesaugt? Durch die neoliberale Organisation
der Finanzausgleiche werden benachteiligte Regionen zusätzlich
bestraft. Gemeinden wird aufgenötigt zu fusionieren und die
Politik zieht sich dadurch immer mehr aus der Fläche zurück.
Fehlende Strukturpolitik führte dazu, dass sich die
Wirtschaftskraft in den Metropolregionen ballt:
"Zur Jahreswende kam aus
Brüssel die Nachricht, als erste westdeutsche Region könne auch
das strukturschwache Elbe-Weser-Dreieck jene Finanzhilfen
beanspruchen, die bislang Süditalien, Griechenland und ähnlichen
Armutszonen vorbehalten waren, in denen die Wirtschaftskraft 75
Prozent des Durchschnitts der alten 15er-EU unterschreitet."
SCHRÖDER, Miriam (2006): Der Osten verliert, der
Süden profitiert.
Eine aktuelle Studie zeigt: Große Teile
Ostdeutschlands und manche Gebiete im Westen verlieren schon
jetzt dramatisch viele Einwohner. In den nächsten 15 Jahren
drohen ganze Landstriche auszubluten,
in: Spiegel Online v. 15.03.
Spiegel Online bläst
die Studie
Die demografische Lage der Nation
gleich zu einer ganzen Serie über das Verlorene Land,
verlassene Land auf. Der
68er Jochen BÖLSCHE erzählt Wohlfühlgeschichten
(MARTENSTEIN), denn hierzulande boomt nur noch die
Apokalypse-Industrie.
In den 1970er und 1980er Jahren sind die
68er extra in die Toscana und die Provence gefahren, um
sich in den niedergehenden Regionen zu erholen oder sogar für
immer niederzulassen. Warum also plötzlich diese Aufregung?
Offenbar verstellt der demografische
Tunnelblick einen nüchternen Blick auf die Realitäten: Wenn
Wirtschaft und Politik ganze Regionen fallen lassen - dafür hat zuletzt Jens BISKY
("Die
deutsche Frage", 2005) unter viel Beifall plädiert
- dann ist es ziemlich verlogen, wenn dies als demografischer
Wandel debattiert wird. Die Menschen tun nur das, was unter
den gegebenen Bedingungen sinnvoll ist.
BÖLSCHE,
Jochen
(2006): Polinnen als letzte Hoffnung.
Verlassenes Land, verlorenes Land: Auf der Suche nach einem
guten Job oder einer guten Partie fliehen junge Frauen
massenhaft vom Land in die Städte. Zurück bleiben Männer, die
sich in Fernsehsucht, Suff und Fremdenhass flüchten. Politiker
erwägen bereits, Ausländerinnen für die Frustrierten anzuwerben
- ein fragwürdiges Konzept,
in: Spiegel online v. 16.03.
"Obwohl der Westen seit 1990
mit Multi-Millionen-Aufwand geholfen hat, die matt gewordene
»Perle
der Lausitz«
mit ihren mehr als 4000 denkmalgeschützten Bauwerken
aufzupolieren, steht die aufwendig sanierte Altstadt heute fast
zur Hälfte leer, wirken die toten Fenster in den fein
restaurierten Renaissancefassaden auf Besucher wie
»Grabsteine
der Urbanität«
(»Frankfurter
Allgemeine«).
Seit der Wende sind aus der schmucken Geisterstadt an der
deutsch-polnischen Grenze mehr als 20.000 Menschen gen Westen
gezogen, jeder vierte Einwohner",
schreibt Jochen BÖLSCHE über
Görlitz
in Sachsen. Das brandenburgische Forst gilt BÖLSCHE als
exemplarisch für die Abwanderung im Osten:
"Mittlerweile, beobachtet
Markus Goldschmidt, Baudezernent der früheren Textilstadt
Forst, »gehen
sogar die Alten weg, sie ziehen ihren Kindern hinterher, in den
Westen«.
Seit der Wende hat der Ort in der Lausitz jeden fünften
Einwohner verloren. Goldschmidt:
»Wenn
die Entwicklung so weitergeht wie jetzt, dann werden ganze
Städte von den Landkarten verschwinden.«
Mehr als alles andere aber schreckt die Fachleute ein Trend, der
im Osten bereits spektakuläre Ausmaße angenommen hat und auch in
den alten Ländern bereits wahrnehmbar ist: die
Massenflucht junger Frauen aus dem ländlichen Raum in die
prosperierenden Stadtregionen. Dieser Aderlass trifft die
Abwanderungsregionen doppelt hart: Die Frauen sind zumeist
besser gebildet als die Männer, zugleich verlieren die Regionen
potenzielle Mütter - weiterer Schwund ist damit programmiert."
Die Geschlechterproportionen
werden als Ursache für die schlechten Heiratschancen der
verbliebenen Ostmänner beschrieben:
"»Sie
schrauben an ihren Mopeds herum, statt an ihrer Freundin«
- mit dieser Formulierung beschreibt die
»Sächsische
Zeitung«
die Lage der jungen Männer etwa im
Landkreis Riesa-Großenhain. Während die Mädchen, wild auf
den Westen, teils sogar als Kellnerinnen in Österreich und in
der Schweiz jobben, lungern die Jungs mancherorts, die
Pulloverkapuze ins Gesicht gezogen, mit der Bierdose in der Hand
im Bushäuschen herum und reißen Zoten. Schon heute kommen in den
neuen Ländern auf 100 Männer im Schnitt gerade mal 84 Frauen, im
thüringischen Ilm-Kreis nur noch 78 - dort geht rechnerisch fast
jeder vierte Mann leer aus. Und die Schieflage wird noch
dramatischer, weil sich die Geburtenzahl im Osten 1990
schlagartig halbiert hat.
»Was
da auf uns zukommt, ist wie ein Hurrikan, der auf die Küste
zurast,«
sagt der Chemnitzer Soziologieprofessor Bernhard Nauck:
»In
sechs bis sieben Jahren werden sich im Osten zwei Männer um eine
Frau bemühen müssen, das ist sicher.«"
Als Folgen dieser Abwanderung
wird das Gefühl des Abgehängtseins und der Stärkung des
Rechtsextremismus beschworen:
"Als
Sozialwissenschaftler die Schrumpfungsfolgen in der sächsischen
Stadt
Weißwasser analysierten, die seit 1990 ein Drittel ihrer
Einwohnerschaft verloren hat, stießen sie in der Restbevölkerung
vor allem auf Apathie und Trostlosigkeit. Auf die lokale
Arbeitslosenquote von 22 Prozent reagierten die ehemals
werktätigen Plattenbau-Bewohner, die in der DDR immerhin noch
verbal als »führende
Klasse«
hofiert worden waren, mit
»kognitiver
Einigelung«.
Typische Äußerungen:
»Die
ganze Gegend ist heute schon an den Westen verraten und verkauft
worden.«
- »Die
deutsche Einheit wird es wohl nie geben. Hass zwischen Ossis und
Wessis.«
- »Ein
Staat gegen die kleinen Leute, schlimmer als bei Honecker. Alle
Ostdeutschen haben Wut im Bauch.«
Politisch führt das allgegenwärtige Gefühl des Gekränkt- und
Abgehängtseins in Randregionen wie dem Erzgebirge (Volksmund:
»Schmerzgebirge«)
teils zur ostalgischen Verklärung der SED-Staates, teils
geradewegs in den Rechtsradikalismus. Immer häufiger zielen in
den Zonen mit gestörter Sexualökonomie die Aggressionen der
alkoholisierten Zwangssingles auf Fremde - nicht zuletzt wohl
auch aus Angst, Eindringlinge könnten den Einheimischen die
ohnehin knapp gewordene Ressource Frau streitig machen",
erklärt uns BÖLSCHE, aber
mehr als eine Diagnose haben Neoliberale nicht zu bieten. Es
werden zwar die "fehlenden Abwehrkräfte" beklagt, aber
Neoliberalismus mit seiner Politik der Stärkung der Starken hat
keine Rezepte für den Umgang mit den anderen, außer sie
moralisch zu delegitimieren. Was wohl die Stimmungslage eher
verstärkt als ihr erfolgreich zu begegnen.
"Dörfer wie das
600-Einwohner-Kaff
Potzlow in der Uckermark - ein Ort, der 2002 zum Menetekel
des moralischen Niedergangs in Schrumpfdeutschland wurde (...).
In Brandenburg kam die DVU auf 6,1 Prozent. In Sachsen ist die
NPD mit 9,2 Prozent seither fast so stark wie die SPD. Dort
votierten 20 Prozent der männlichen Erstwähler für die radikale
Rechte, im westdeutschen Schrumpfland an der Saar immerhin 14
Prozent. (...). Das extreme Wahlverhalten in diesen
Landstrichen, meint auch der Dresdner Soziologe Engler,
entspringe dem
»Gefühl,
verlassen, abgekoppelt zu sein«.
Für diesen Wählertypus hätten die Angelsachsen den Begriff
ugly citizen geprägt: Gemeint ist der hässliche Bürger, "der
sich gerade noch politisch äußert, aber in einer Art, die schon
eine Verwerfung des politischen Systems ist".
Nicht erst nach den Vorfällen
in Chemnitz im Jahr 2018 wird nahtlos an diese Sicht angeknüpft,
als ob ein Jahrzehnt lang nichts passiert wäre. Stillstand beim
Neoliberalismus, der zuschaut wie die neue Rechte seine offen
rechte Flanke nutzt, um politisch stärker zu werden. BÖLSCHE
zitiert den nationalkonservativen Bevölkerungswissenschaftler
Herwig BIRG, dessen Sicht ein Jahrzehnt später die AfD
übernehmen wird, um damit die Regierung vor sich her zu jagen:
"Weil vier von fünf
Einwanderern derzeit keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, beruht
laut Demografie-Professor Herwig Birg
»die
prekäre Finanzsituation der Kommunen nicht zuletzt auf der hohen
Belastung durch Sozialhilfeausgaben für die großenteils
nichtdeutschen Mitbürger«;
in Hannover beispielsweise sind 40 Prozent der
Sozialhilfeempfänger ausländischer Herkunft."
Die sächsische Stadt Görlitz
sieht in Polinnen ein Beitrag zur Stabilisierung der
Geburtenrate:
"Links der Oder das
ausblutende Stadtkleinod mit seinen 10.000 großenteils
sanierten, aber leer stehenden Wohnungen; rechts der Oder,
gleich vis-à-vis, das polnische Zgorzelec mit massiver
Wohnungsnot - liegt da nicht nahe, was dem langjährigen
Oberbürgermeister Rolf Karbaum vorschwebte: die Menschen aus
Westpolen zum Umzug nach Ostdeutschland zu animieren?
»Die
Polen sind unsere letzte Hoffnung«,
glaubt Karbaum.
»Wird
Görlitz«,
fragte bereits die konservative
»Welt«,
»in
20 Jahren zur Hälfte polnisch sein?«
Auch die sächsische Landesregierung setzt bei ihren Bemühungen,
wieder Leben in die sterbenden Städte zu bringen, offen auf die
Macht der Liebe: Auf ihrer Homepage weist sie darauf hin, dass
in diesem Bundesland laut Statistik 70.000 Frauen zwischen 18
und 40 Jahren fehlen, während im benachbarten Westpolen
Männermangel herrsche.
Die Sprachbarriere zwischen Deutschen und Polinnen sei »zwar ein
Hindernis, aber überwindbar«, zitiert die regierungsamtliche
Website eine deutsch-polnische Kontaktagentur aus Görlitz. In
der Stadt sei bereits jetzt zu beobachten, dass »deutsche Männer
durch die Straßen laufen, mit der einen Hand die polnische
Freundin haltend, mit der anderen das Wörterbuch«."
BERG, Lilo (2006): Das Land
zerfällt.
Eine neue Studie
benennt die Gewinner und Verlierer der demografischen Wende. Die
Schere zwischen starken und schwachen Regionen öffnet sich immer
weiter,
in: Berliner Zeitung v. 16.03.
ZYLKA, Regine (2006): Deutschlands Osten schrumpft,
in: Berliner Zeitung v.
16.03.
SCHUH, Hans (2006): Systematischer Frauenklau.
Demografische Analysen zeigen: Städte ziehen
junge Frauen an, im Osten droht regional der Niedergang,
in: Die ZEIT Nr.12 v. 16.03.
KRÖHNERT,
Steffen/MEDICUS, Franziska/KLINGHOLZ, Reiner (2006): Die
demographische Zukunft der Nation. Wie zukunftsfähig sind
Deutschlands Regionen? München: Dtv, April
Ein paar typische Aussagen
für das Buch zur Bevölkerungsentwicklung von 2004 bis 2020 und
deren Auswirkungen:
Deutschland:
"Tatsächlich
hat die Bevölkerung Deutschlands erst seit dem Jahr 2003
angefangen zu schrumpfen. Im ersten Jahr lag der Verlust
bei 5.000 Einwohnern, im nächsten waren es 31.000. Diese
Zahlen werden über die Jahre weiter steigen, weil immer
stärker besetzte Kohorten ins hohe Alter kommen und sich
gleichzeitig der Nachwuchsmangel verschärft". (2006, S.6)
"Selbst die
Lebenserwartung differiert aufgrund ungleicher
Lebensverhältnisse: Sieben Jahre leben die Frauen im
bayerischen Kreis Fürstenfeldbruck länger als im
pfälzischen Pirmasens. Bei den Männern beträgt der
Unterschied sogar acht Jahre zwischen dem (reichen)
bayerischen Kreis Starnberg und dem (armen)
mecklenburgischen Demmin." (2006, S.9)
Frauenmangel im
Osten:
"Zwischen 1991 und 2004 haben 513.000 Frauen
die neuen Bundesländer verlassen, die meisten davon im
besten Familiengründungsalter zwischen 18 und 29 Jahren.
Damit waren 63 Prozent aller Fortzügler weiblich. Dies hat
zu einem historisch einmaligen zahlenmäßigen
Missverhältnis der Geschlechter zwischen Vorpommern und
dem Vogtland geführt. Mittlerweile gibt es dort in den
jungen Erwachsenenjahrgängen der 18- bis 29-Jährigen ein
Defizit von etwa 140.000 Frauen. Je 100 Männer dieser
Altersklasse lebten 2004 in Ostdeutschland (einschließlich
Berlin) nur noch 90 Frauen." (2006, S.23f.)
Landflucht:
"Bereits heute erfahren abgelegene, ohnehin schon dünn
besiedelte Regionen einen starken Bevölkerungsrückgang,
der sich bis 2020 nicht nur fortsetzen, sondern ausdehnen
wird. (...). So sterben nach und nach die Dörfer - vor
allem in den ostdeutschen Ländern Mecklenburg-Vorpommern,
Thüringen und Sachsen-Anhalt. Zeitversetzt erleben
Nordhessen, Südniedersachsen oder Oberfranken die gleiche
Entwicklung. Europaweit ist dieses Phänomen der Landflucht
zu beobachten." (2006, S.28)
Wohnungsleerstand:
"Hoyerswerda ist überall: Allein in Ostdeutschland stehen
etwa 1,3 Millionen Wohnungen leer - etwa 16 Prozent des
Bestandes. Städte wie Gera und Dessau, aber auch Pirmasens
oder Bremerhaven im Westen tragen inzwischen das Stigma
des Verfalls" (2006, S.42f.)
Abwärtsspirale:
"Für die 15 kreisfreien Städte, die seit 1995 die größten
Bevölkerungsverluste vermelden, werden bis 2020 weitere
prognostiziert. Wer so viel verloren hat, wird weiter
verlieren." (2006, S.43)
Anmerkung: Folgenden
kreisfreien Städten wird ein weiterer Bevölkerungsrückgang
prognostiziert:
Hoyerswerda, Cottbus, Halle a.d.Saale,
Suhl,
Görlitz, Neubrandenburg, Dessau, Brandenburg, Gera,
Chemnitz, Magdeburg, Stralsund, Zwickau, Bremerhaven und
Pirmasens (vgl. 2006, S.42).
Für folgende
Kreise und Städte werden starke Bevölkerungsverluste bzw. -zugewinne
prognostiziert:
Tabelle:
Vergleich der Bevölkerungsentwicklung der Landkreise und kreisfreien
Städte im Zeitraum 2000-2020 und 2004-2020 (Die
fettgedruckten Regionen wurden in beiden Prognosen mit
der besten oder schlechtesten Note bewertet. Die grün
und rot markierten Regionen verbesserten bzw.
verschlechterten sich um mindestens 2 Noten) |
Landkreise und Städte mit Bevölkerungsverlusten
von 15 und mehr Prozent (Note 6) |
Landkreise und Städte mit Bevölkerungswachstum von
10 und mehr Prozent (Note 1) |
Stadt Coburg (Bayern); 2004: Nur noch 5-10 % |
Bodenseekreis (Baden-Württemberg) |
Kronach (Bayern); 2004: Nur noch 5-10 % |
Freudenstadt (Baden-Württemberg) |
Wunsiedel im Fichtelgebirge (Bayern); 2004: Nur noch
10-15 % |
Landkreis Heilbronn (Baden-Württemberg) |
Cottbus (Brandenburg); 2004: Nur noch 10-15 % |
Rastatt (Baden-Württemberg) |
Oberspreewald-Lausitz (Brandenburg) |
Landkreis Augsburg (Bayern) |
Prignitz (Brandenburg) |
Bad Tölz-Wolfratshausen (Bayern) |
Spree-Neiße (Brandenburg) |
Dachau (Bayern) |
Uckermark (Brandenburg) |
Deggendorf (Bayern) |
Demmin (Mecklenburg-Vorpommern); 2004: Nur noch
10-15 % |
Ebersberg (Bayern) |
Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) |
Eichstätt (Bayern) |
Rostock (Mecklenburg-Vorpommern); 2004: Nur noch
5-10 % -
2004: 198.993 Einwohner
- 2015: 206.011 Einwohner
- Bevölkerungswachstum 2004-2015: ca.3,4 % |
Erding (Bayern) |
Rügen (Mecklenburg-Vorpommern); 2004: Nur noch 5-10
% |
Freising (Bayern) |
Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern); 2004: Nur noch
10-15 % |
Ingolstadt (Bayern) |
Wismar (Mecklenburg-Vorpommern); 2004: Nur noch max.
5 Prozent
- 2004: 45.442
Einwohner
- 2015: 42.557 Einwohner
- Bevölkerungsrückgang 2004-2015: ca. 6,3 % |
Kelheim (Bayern) |
2000: Goslar; 2004: Göttingen (Niedersachsen) |
Landsberg am Lech (Bayern) |
Northeim (Niedersachsen); 2004: Nur noch 10-15 % |
Landkreis Landshut (Bayern) |
Stadt Osnabrück (Niedersachsen); 2004: Nur noch 5-10
% |
Neuburg-Schrobenhausen (Bayern) |
Osterode am Harz (Niedersachsen) |
Pfaffenhofen a. d. Ilm (Bayern) |
Salzgitter (Niedersachsen); 2004: Nur noch 5-10 % |
Landkreis Regensburg (Bayern) |
Wilhelmshaven (Niedersachsen); 2004: Nur noch 5-10 % |
Stadt Rosenheim (Bayern) |
Wolfsburg (Niedersachsen); 2004: Nur noch 5-10 % |
Landkreis Rosenheim (Bayern) |
Bremerhaven (Bremen); 2004: Nur noch 10-15 % |
Starnberg (Bayern) |
Gelsenkirchen (Nordrhein-Westfalen); 2004: Nur noch
5-10 % |
Straubing-Bogen (Bayern) |
Hagen (Nordrhein-Westfalen); 2004: Nur noch 10-15 % |
Weilheim-Schongau (Bayern) |
Wuppertal (Nordrhein-Westfalen); 2004: Nur noch
10-15 % |
Barnim (Brandenburg) |
Pirmasens (Rheinland-Pfalz); 2004: Nur noch 10-15 % |
Dahme-Spreewald (Brandenburg) |
Aue-Schwarzenberg (Sachsen) |
Havelland (Brandenburg) |
Chemnitz (Sachsen) |
Märkisch-Oderland (Brandenburg) |
Görlitz (Sachsen) |
Oberhavel (Brandenburg) |
Löbau-Zittau (Sachsen) |
Potsdam-Mittelmark (Brandenburg) |
Mittweida (Sachsen); 2004: Nur noch 10-15 % |
Teltow-Fläming (Brandenburg) |
Riesa-Großenhain (Sachsen) |
Main-Taunus-Kreis (Hessen) |
Aschersleben-Staßfurt (Sachsen-Anhalt) |
Bad Doberan (Mecklenburg-Vorpommern) |
Bernburg (Sachsen-Anhalt) |
Nordwestmecklenburg (Mecklenburg-Vorpommern) |
Bitterfeld (Sachsen-Anhalt) |
Ammerland (Niedersachsen) |
Dessau (Sachsen-Anhalt) |
Cloppenburg (Niedersachsen) |
Mansfelder Land (Sachsen-Anhalt); 2004: Nur noch
10-15 % |
Harburg (Niedersachsen) |
Quedlinburg (Sachsen-Anhalt); 2004: Nur noch 10-15 % |
Lüneburg (Niedersachsen) |
Sangerhausen (Sachsen-Anhalt) |
Stadt Oldenburg (Niedersachsen); 2004: Nur noch max.
5 % |
Schönebeck (Sachsen-Anhalt); 2004: Nur noch 10-15 % |
Landkreis Osnabrück (Niedersachsen); 2004: Nur noch
max. 5 % |
Stendal (Sachsen-Anhalt); 2004: Nur noch 10-15 % |
Stade (Niedersachsen) |
Wittenberg (Sachsen-Anhalt) |
Borken (Nordrhein-Westfalen) |
Altenburger Land (Thüringen) |
Rhein-Sieg-Kreis (Nordrhein-Westfalen) |
Eichsfeld (Thüringen); 2004: Nur noch 10-15 % |
Alzey-Worms (Rheinland-Pfalz) |
Greiz (Thüringen); 2004: Nur noch 10-15 % |
Mainz-Bingen (Rheinland-Pfalz) |
Jena (Thüringen); 2004: Nur noch 10-15 % |
Neuwied (Rheinland-Pfalz) |
Kyffhäuserkreis (Thüringen) |
Leipziger Land (Sachsen) |
Saale-Orla-Kreis (Thüringen); 2004: Nur noch 10-15 % |
Muldentalkreis (Sachsen) |
Saalfeld-Rudolfstadt (Thüringen) |
Sächsische Schweiz (Sachsen); 2004: Nur noch max. 5
% |
Sonneberg (Thüringen) |
Weißeritzkreis (Sachsen) |
Unstrut-Hainich-Kreis (Thüringen); 2004: Nur noch
10-15 % |
Ohrekreis (Sachsen-Anhalt) |
|
Saalkreis (Sachsen-Anhalt) |
Kreise und Städte für die erst 2006 ein
Bevölkerungsrückgang von 15 Prozent und mehr
prognostiziert wurde |
Elbe-Elster
(Brandenburg) |
|
Döbeln (Sachsen) |
|
Hoyerswerda
(Sachsen) |
|
Niederschlesischer Oberlausitzkreis (Sachsen) |
|
Zwickau (Sachsen) |
|
Gera (Thüringen) |
|
Burgenlandkreis
(Sachsen-Anhalt) |
|
Halberstadt
(Sachsen-Anhalt) |
|
Weißenfels
(Sachsen-Anhalt) |
|
|
Quelle:
Geo-Beilage Heft 5, 2004, S.22ff., Die demografische
Lage der Nation, 2006, S.56ff. |
BERTELSMANN-STIFTUNG (2006)(Hrsg.): Wegweiser Demographischer
Wandel 2020. Analysen und Handlungskonzepte für Städte und
Gemeinden, Gütersloh: Bertelsmann Verlag, April
Die neoliberale
Bertelsmann-Stiftung hat eine Rangordnung der Bundesländer
hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung ermittelt, die aus der
folgenden Tabelle ersichtlich ist:
Tabelle:
Bevölkerungsentwicklung der Bundesländer 2003-2020 |
Rang |
Bundesländer |
Bevölkerungs-
prognose |
1 |
Hamburg |
+ 2,8 % |
2 |
Bayern |
+ 2,2 % |
3 |
Baden-Württemberg |
+ 1,0 % |
4 |
Schleswig-Holstein |
+ 1,0 % |
5 |
Niedersachsen |
- 0,2 % |
6 |
Berlin |
- 0,5 % |
7 |
Brandenburg |
- 0,9 % |
8 |
Rheinland-Pfalz |
- 1,0 % |
|
Deutschland |
- 1,4 % |
9 |
Hessen |
- 1,8 % |
10 |
Nordrhein-Westfalen |
- 1,9 % |
11 |
Bremen |
- 2,3 % |
12 |
Saarland |
- 4,5 % |
13 |
Mecklenburg-Vorpommern |
- 5,8 % |
14 |
Thüringen |
- 8,2 % |
15 |
Sachsen |
- 8,6 % |
16 |
Sachsen-Anhalt |
- 11,9 % |
|
Quelle:
Wegweiser Demographischer Wandel, 2006, S.14 |
Die Bertelsmann-Stiftung hat
die 2959 deutschen Kommunen mit über 5.000 Einwohner in folgende
15 Demographietypen eingeordnet:
Tabelle:
Bevölkerungsentwicklung der Landkreise und kreisfreien
Städte im Zeitraum 2000-2020 |
82 Großstädte
(mehr als 100.000 Einwohner) |
Demographietypen |
Anzahl |
Prozentanteil |
G 1: Stabile
Großstädte mit geringem Familienanteil |
21 |
25,6 % |
G 2:
Schrumpfende Großstädte im postindustriellen
Strukturwandel |
19 |
23,2 % |
G 3:
Schrumpfende und alternde ostdeutsche Großstädte |
5 |
6,1 % |
G 4:
Prosperierende Wirtschaftszentren |
19 |
23,2 % |
G 5: Stabile
Großstädte mit hohem Familienanteil |
11 |
13,4 % |
G 6:
Aufstrebende ostdeutsche Großstädte mit
Wachstumspotenzialen |
7 |
8,5 % |
2877 Städte und
Gemeinden
(5.000 - 100.000 Einwohner) |
1: Stabile
Mittelstädte und regionale Zentren mit geringem
Familienanteil |
514 |
17,9 % |
2: Suburbane
Wohnorte mit hohen Wachstumserwartungen |
90 |
3,1 % |
3: Suburbane
Wohnorte mit rückläufigen Wachstumserwartungen |
361 |
12,5 % |
4:
Schrumpfende und alternde Städte und Gemeinden mit
hoher Abwanderung |
352 |
12,2 % |
5: Stabile
Städte und Gemeinden im ländlichen Raum mit hohem
Familienanteil |
740 |
25,7 % |
6: Städte und
Gemeinden im ländlichen Raum mit geringer Dynamik
|
579 |
20,1 % |
7:
Prosperierende Städte und Gemeinden im ländlichen
Raum |
165 |
5,7 % |
8:
Wirtschaftlich starke Städte und Gemeinden mit hoher
Arbeitsplatzzentralität |
71 |
2,5 % |
9: Exklusive
Standorte |
5 |
0,2 % |
|
Quelle:
Wegweiser Demographischer Wandel, 2006, S.24f. |
Die Entwicklung in den
Gemeinden der Jahre 2000-2003 wird linear in die Zukunft bis
2020 fortgeschrieben. Orientierung gibt die mittlere Variante
der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des
Statistischen Bundesamts, wobei die dortige Zuwanderung mit
200.000 Menschen pro Jahr als zu hoch angesehen wird. Dazu heißt
es:
"Besonders wichtig waren
Überlegungen zur künftigen Zuwanderung nach Deutschland. (...)
Prognosen der letzten Jahre (...) gehen von einem jährlichen
Wanderungsüberschuss zwischen 100.000 und 300.000 Personen -
meist aber der mittleren Varianten von 200.000 Personen - aus.
Allerdings bestehen aktuell Zweifel, ob diese Zahlen künftig
erreicht werden. Im Jahr 2003 fielen sie bereits unter 150.000,
und 2004 sank der Außenwanderungsüberschuss auf nur noch 83.000
Personen. Weitere Hinweise, wie stark rückläufige Asylbewerber-
und Spätaussiedlerzahlen sowie geringe Zuzugserwartungen durch
die EU-Ost-Erweiterung, führten dazu, mit einer eher
zurückhaltenden Annahme des Wanderungssaldos von
durchschnittlich 150.000 Personen zu arbeiten." (S.23)
Es handelt sich rückblickend
um einen der fatalen Irrtümer dieser Prognosen. Außerdem wurde
die niedrige Geburtenrate fortgeschrieben. Dies wundert kaum, da
mit E-Jürgen FLÖTHMANN ein nationalkonservativer Mitarbeiter des
berüchtigten Bevölkerungswissenschaftler Herwig BIRG an diesen
Berechnungen mitarbeitete.
Als Basis der Fortschreibung
wird der Bevölkerungsstand am 31.12.2003 genannt. Zur
Geburtenentwicklung wird eine
Angleichung der ostdeutschen Geburtenziffern an die westdeutsche
Entwicklung bis zum Jahr 2010 angenommen. Auch dies gehört
zu den fatalen Fehlschlüssen der Prognose. Bereits
im Jahr 2008 überholte Ostdeutschland das westdeutsche
Niveau bei der zusammengefassten Geburtenziffer.
Die neoliberale Stiftung
bleibt jedoch nicht bei Prognosen stehen, sondern leitet daraus
auch Handlungsempfehlungen ab. Beispielhaft steht dafür, dass
Handlungsansätze je Demographietyp anders aussehen. So wird z.B.
soziale Segregation vorrangig als Problem der Großstadttypen G1,
G2 und G3 beschrieben. Kein Problem wird jedoch für die
ostdeutschen Großstädte (G 3 und G6) gesehen (vgl. Matrix der
Handlungsempfehlungen, S.29). Auch das ist ein fataler Irrtum,
der erst nach der Bundestagswahl 2017 endlich auch von der
Wissenschaft wahrgenommen wurde (z.B.
HELBIG & JÄHNEN 2019).
Die 12 ostdeutschen
Großstädte werden folgenden Demographietypen zugeordnet:
Tabelle:
Die Zuordnung der ostdeutschen Großstädte zu den
Demographietypen |
G 3: Schrumpfende
und alternde ostdeutsche Großstädte |
Großstädte |
Bundesland |
Bevölkerungs-
entwicklung
(2003 - 2020 |
Medianalter
im Jahr 2020 |
Gera |
Thüringen |
- 21,6 % |
55,2 Jahre |
Cottbus |
Brandenburg |
- 18,3 % |
51,1 Jahre |
Chemnitz |
Sachsen |
- 16,7 % |
52,6 Jahre |
Halle/Saale |
Sachsen-Anhalt |
- 16,7 % |
44,1 Jahre |
Magdeburg |
Sachsen-Anhalt |
- 11,2 % |
49,5 Jahre |
G 6: Aufstrebende
ostdeutsche Großstädte mit Wachstumspotenzialen |
Rostock |
Mecklenburg-Vorpommern |
- 6,0 % |
46,3 Jahre |
Berlin |
Berlin |
- 0,5 % |
44,3 Jahre |
Leipzig |
Sachsen |
+ 1,8 % |
44,3 Jahre |
Erfurt |
Thüringen |
+ 2,5 % |
45,4 Jahre |
Dresden |
Sachsen |
+ 3,1 % |
42,8 Jahre |
Jena |
Sachsen-Anhalt |
+ 5,7 % |
38,4 Jahre |
Potsdam |
Brandenburg |
+ 11,0 % |
42,8 Jahre |
|
Quelle:
Wegweiser Demographischer Wandel, 2006, S.43 und S.56 |
WAGNER, Richard (2006): Frohe Botschaft!
Die Strukturprobleme einer Gesellschaft sind
primär ökonomisch und organisatorisch bedingt. Es gibt kein
Nachwuchsproblem. Allen demographischen Krisenmeldungen zum
Trotz: Die Lage ist besser als die Stimmung. Nachrichten aus
einem guten Land,
in: TAZ v. 15.04.
RIECHELMANN, Cord (2006): Mythen in den
Bevölkerungsdebatten.
Wer sagt eigentlich, wann ein Territorium
über- oder unterbevölkert ist? Ein Blick auf die überholten
Gegensätze in den Studien zur demografischen Lage der Nation,
in: TAZ v. 06.05.
METZNER, Thorsten
(2006): In der Altmark.
Brandenburg organisiert den Generationenwandel,
in: Tagesspiegel v. 28.05.
MARETZKE, Steffen (2006): Regionale Rankings - ein geeignetes
Instrument für eine vergleichende Bewertung regionaler
Lebensverhältnisse?
in: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 6-7, S.
325-335
Am Beispiel der Kreisregion
Eichstätt zeigt Steffen MARETZKE, dass sich für strukturstarke
Regionen große Rangplatzunterschiede in Abhängigkeit des
Rankingverfahrens ergeben können. So erreicht Eichstatt im einem
Verfahren den 22. und im anderen Verfahren den 175. Rangplatz
bei insgesamt 394 Kreisregionen.
TUTT, Cordula
(2006): "Man wird Jeep und Handy brauchen".
Brandenburg,
in: Financial Times Deutschland v. 18.07.
LUCIUS, Robert von
(2006): Das deutsche Sibirien.
Die Jungen
verlassen Gardelegen, weil es an Arbeitsplätzen fehlt - eine
wirtschaftliche Perspektive für die alte Stadt in Sachsen-Anhalt
ist nicht in Sicht,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 25.08.
NEU, Claudia (2006):
Territioriale Ungleichheit - Eine Erkundung,
in:
Aus Politik und
Zeitgeschichte Nr.37 v. 11.09.
Claudia NEU
definiert den Begriff der "territorialen Ungleichheit"
folgendermaßen:
"Im Folgenden
soll dieser Begriff verwendet werden, wenn sowohl der Zugang
zu erstrebenswerten Gütern und Dienstleistungen wie
Arbeitsplatz oder gesundheitliche Versorgung als auch das
Erreichen von begehrten Positionen auf Grund des Wohnortes
dauerhaft erschwert oder erleichtert ist und so
Teilhabechancen am gesellschaftlichen Leben für die
Betroffenen eingeengt oder erweitert werden." (2006, S.8)
Gemeint ist damit
die geografische Dimension der Ungleichheit. NEU wendet sich
dabei um eine allzu schlichte Gegenüberstellung gebräuchlicher
Differenzierungen:
"Prosperierende
- auch entlegene - ländliche Räume stehen neben
Kleinstädten, die mehr als 20 Prozent ihrer Einwohner
verloren haben, und Großstadtvierteln, die von Armut
gezeichnet sind. Ebenso wenig lassen sich die aktuellen
Entwicklungen als ein Ost-West-Problem abtun, das in Folge
der Transformation Ostdeutschlands entstanden ist. In der
Eifel werden ebenso händeringend Ärzte gesucht wie in
Vorpommern. Auch international lässt sich gut verfolgen -
was aber lange in Deutschland nicht wahrgenommen wurde -,
dass (binnennationale) territoriale Ungleichheit sich
ausbreitet. Die US-amerikanischen »rural ghettos« (ländliche
Ghettos) sind nicht weniger trostlos als »le désert français«
(die französische »Wüste« im Zentrum Frankreichs) oder der
Landkreis Demmin in Mecklenburg-Vorpommern. Und überall
finden sich die gleichen Anzeichen des Niederganges:
ökonomische Strukturschwäche mit hohem Grad an
Langzeitarbeitslosigkeit gepaart mit den Folgen des
demographischen Wandels (Geburtenrückgang, Abwanderung und
veränderter Altersaufbau). Für den ländlichen Raum treten
als besondere Erschwernisse dünne Besiedlung und weite
Entfernung zu Agglomerationsräumen, bei ungünstigen
naturräumlichen Standortbedingungen eine monostrukturelle,
verarbeitungsarme Landwirtschaft hinzu." (2006, S.9f.)
Solch eine
differenzierte Sicht wird jedoch durch das präferierte
Territorialkonzept wieder zurückgenommen. NEU diskutiert zwei
Raum-Konzepte: zum einen das Konzept des sozialen Raums von
Pierre BOURDIEU und zum anderen das Peripherie-Zentrum-Konzept
von Reinhard KRECKEL, auf den sie sich schon bei ihrer
Definition von territorialer Ungleichheit bezogen hat. Der
Ansatz von KRECKEL ist jedoch ungeeignet, die ganze
Spannbreite abzudecken, was NEU selber sieht:
"Es muss stets
ein (territorialer) Bezugsrahmen (Nation, Region, Stadtteil)
definiert werden, innerhalb dessen Ungleichheiten verhandelt
werden. Denn der Wert von Ressourcen wie Bildung oder Wissen
bzw. Kapitalsorten und das Ausmaß territorialer Ungleichheit
können nur im Verhältnis zu diesem Bezugsrahmen bestimmt
werden, da dort Ungleichheiten unmittelbar wirksam werden.
In diesem Zusammenhang gilt es zukünftig, das Kreckel'sche
Zentrum-Peripherie-Modell, das stark auf die territorialen
Unterschiede der (nationalstaatlich verfassten)
Weltgesellschaft abgestellt ist, konsequenter auf
kleinräumige Einheiten - in und zwischen Nationen -
anzuwenden. In umgekehrter Richtung ist mit Bourdieu zu
überprüfen, wie sich die - eher im Nahraum angelegten -
Wechselbeziehungen zwischen sozialem und physischem Raum in
einer globalisierten Welt bewähren." (2015, S.15).
Das
Territorialprinzip wird jedoch durch Wanderungen unter Druck
gesetzt:
"Wer anderswo
Alternativen sieht, wandert ab - vor allem junge Frauen
zwischen 18 und 25 Jahren sowie Hochgebildete. Oder - um es
mit Pierre Bourdieu zu sagen: Wer noch Kapital hat, das er
anderswo in die Waagschale werfen kann, geht weg. So finden
sich zunehmend Territorien (Regionen, Gemeinden), in denen
sich ein Mangel an erstrebenswerten Gütern und
Dienstleistungen mit der Anwesenheit von Personen paart, die
keinen oder kaum Zugang zu diesen Gütern haben." (2006,
S.14)
Unklar bleibt bei
den Ausführungen von NEU der Status demografischer Prozesse.
Sind sie tatsächlich entscheidend oder lediglich Vorwand, um
anders geartete Interessen zu verschleiern?
BARLÖSIUS, Eva (2006): Gleichwertig ist nicht gleich,
in:
Aus Politik und
Zeitgeschichte Nr.37 v. 11.09.
SCHIRRMACHER, Frank
(2006): Nackte Aste.
Die neue soziale Basis der NPD
ist eine demographische,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 20.09.
Der Sozialpsychologe Harald
WELZER und der Historiker Wolfgang BENZ halten nichts von
SCHIRRMACHERs biopolitischen Thesen vom Vortrag. Für sie ist die
hohe Arbeitslosigkeit und die fehlende demokratische Tradition
entscheidender als die demografischen Verhältnisse.
NIEDENTHAL, Clemens (2006): Die oberen 10.000.
Bayern: Die Jungen ziehen weg, die Alten
sterben aus. Was anderswo Gemeinden ruiniert und ganze
Landstriche entvölkert, kommt dem Örtchen Wunsiedel sehr
gelegen. In Zukunft will das fränkische Kleinstädtchen am
demografischen Wandel genesen, indem es sich ganz auf die
Zuwanderung älterer Menschen einrichtet,
in: TAZ v. 22.09.
PAETZ, Berthold
(2006): Sonderstudienpläne für Schwangere.
Menschenschwund und Back-Home-Bewegung: Gibt es einen Halt auf
der schiefen Ebene der ostdeutschen Demografie?
in: Freitag Nr.52 v. 22.12.
2007
PROKLA-Thema:
"Bevölkerung"
Kritik der Demographie |
BARLÖSIUS, Eva & Claudia NEU (2007): "Gleichwertigkeit - Ade?"
Die
Demographisierung und Peripherisierung entlegener ländlicher
Räume,
in: Prokla 146, H.1, März
Eva BARLÖSIUS &
Claudia NEU stellen anhand der
deutschen Serie Verlassenes Land, verlorenes Land (Spiegel
Online vom 14. bis 21. März 2006) und die französischen
Le Monde-Artikel über die Krise der französischen
Gesellschaft ("La crise de la société française") zwei
gegensätzliche Sichtweisen auf ländliche Regionen vor.
BARLÖSIUS & NEU
kritisieren, dass in der deutschen Debatte eine
Demografisierung gesellschaftlicher Probleme vorherrscht,
die sie folgendermaßen beschreiben:
"In der öffentlichen
Diskussion über die Zukunftsfähigkeit entlegener ländlicher
Regionen werden deren Entwicklungschancen beinahe einzig auf
ihre Bevölkerungsstruktur zurückgeführt. Aufgrund von hohen
Abwanderungsraten und zunehmender Alterung der verbleibenden
Bewohner hätten sie keine Zukunftsperspektive mehr. Alle
anderen Prozesse wie Globalisierung, Deindustrialisierung,
Umbau zur Wissensgesellschaft, durch welche diese
Landstriche zunehmend von den städtischen Ballungsgebieten
entkoppelt werden und die wiederum die dort lebende
Bevölkerung erst dazu drängen abzuwandern, um woanders
Erwerbsarbeit zu finden, werden als nachgeordnet betrachtet.
Tatsächlich gehen jedoch die ökonomischen Wandlungsprozesse
der besonderen Ausprägung des demographischen Wandels in
diesen Regionen zumeist voraus." (2007, S.86)
Als weiteres Beispiel
nennen die Autorinnen das Buch Die ausgefallene Generation
von Herwig BIRG, in dem Konflikte und soziale Ungleichheiten
auf den demografischen Wandel zurückgeführt werden.
Visualisiert werden diese
Szenarien gerne mit "demogaphischen Landkarten", die das
Berlin
Institut für Bevölkerung und Entwicklung und die
Bertelsmann Stiftung in Deutschland popularisiert
haben.
BARLÖSIUS & NEU weisen
darauf hin, dass mit der Demografisierung gesellschaftlicher
Probleme eine Umwertung der Gestaltbarkeit einhergeht:
"Charakteristisch für die
gesellschaftliche Semantik der Moderne ist, dass sie
Gegenwart und Zukunft als weitgehend offen und unbekannt
begreift ( vgl. Koselleck 1979, Luhmann 1997: 997-1010).
Ansonsten könnte die Gegenwart nicht als »Entscheidungsraum«
und die Zukunft als Gestaltungschance gedacht werden. Die
Demographisierung schreibt aber die gesellschaftliche
Semantik über die Gegenwart und Zukunft um: von weitgehend
offen und unbekannt zu größtenteils vorbestimmt und
bekannt."
(2007, S.88)
Den strategischen Vorteil
einer solchen Demografisierung gesellschaftlichen Probleme
erläutern die Autorinnen folgendermaßen:
"Angesichts der
steigenden Zukunftsungewissheit, mit der die modernen
Gegenwartsgesellschaften konfrontiert sind und die zumeist
mit den beiden Schlagworten Globalisierung und
Wissensgesellschaft umschrieben wird, verheißt die
Demographie eine gesicherte Zukunftsausdeutung und zudem
eine, die sich bestens dazu eignet, gesellschaftliche und
politische Entscheidungen zu treffen, die nicht als solche
rechtfertigungsbedürftig sind, da sie sich auf »biologische
Schicksalhaftigkeit« berufen können."
Die Autorinnen sehen das
Konzept der nachholenden Modernisierung, das bislang die
Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland
legitimiert hat, als nicht mehr zeitgemäß angesichts der
"globalisierten Wissensgesellschaft". Nicht mehr Gleichheit,
sondern Differenz soll nun der Maßstab territorialer
Gerechtigkeit sein:
"Gleichheit und
Angleichung waren typisch für die Vorstellung von
territorialer Gerechtigkeit, welche Zukunft als
Modernisierungsprojekt - für entlegene ländliche Räume als
nachholende Modernisierung - verstand. Zukünftig scheint
diese Vorstellung für eine »globalisierte
Wissensgesellschaft« wenig »passend« (...). Wird Zukunft
weiterhin als handlungsoffen verstanden, so ist eine
Vorstellung von territorialer Gerechtigkeit hilfreich, die
Differenz als gleichberechtigt anerkennt und
Verschiedenartiges zulässt ohne die Teilhabechancen und
Handlungsspielräume der Bewohner entlegener Regionen zu
verschließen."
(2007, S.91).
Für die Autorinnen stehen
damit einzelne Infrastrukturen in diesen Regionen zur
Disposition. Das Buch
Demografie und
Demokratie von Jens KERSTEN, Claudia NEU und Berthold
VOGEL, das 2012 erschienen ist, beansprucht eine Neuregelung
des Verhältnisses von Stadt und Land zu leisten.
PLATH, Jörg
(2007): Wachstum gibt's nicht mehr.
Cordula Tutt: "Das
große Schrumpfen",
in:
DeutschlandRadio
v. 23.04.
KRÖHNERT, Steffen & Reiner KLINGHOLZ (2007): Not am Mann.
Von Helden der Arbeit zur neuen Unterschicht? Lebenslagen junger
Erwachsener in wirtschaftlichen Abstiegsregionen der neuen
Bundesländer, herausgegeben vom Berlin-Institut für Bevölkerung
und Entwicklung
DIETRICH, Stefan
(2007): Männer in Not,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 31.05.
HONNIGFORT, Bernhard
(2007): Frau = schlau = weg.
Sie geht,
er bleibt. In Ostdeutschlands Dörfern leben zunehmend
Problem-Männer,
in: Frankfurter Rundschau v. 31.05.
OSCHLIES, Renate &
Andrea Beyerlein (2007): Junge Frauen verlassen den Osten.
Sozialstudie: 18- bis 29-Jährige suchen Jobs im Westen.
Dramatischer Männerüberschuss in den neuen Ländern / Forscher
warnen vor neuer Unterschicht und rechten Tendenzen,
in: Berliner Zeitung v. 31.05.
SCHLEGEL, Matthias
(2007): Osten ohne Frauen,
Schwestern, zur Sonne...,
in: Tagesspiegel v. 31.05.
TRETBAR, Christian
(2007): Junge Frauen verlassen den Osten.
Studie
warnt vor "neuer männerdominierter Unterschicht". Grund ist
unterschiedliches Bildungsniveau,
in: Tagesspiegel v. 31.05.
BURGER, Reiner
(2007): Zurückgelassen in der Ödnis,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 08.06.
WEDEL, Mathias
(2007): Not am Mann.
Dem Osten
laufen die Frauen weg,
in: Freitag Nr.23 v. 08.06.
MARTENSTEIN, Harald (2007): Über den
Frauenmangel,
in:
Tagesspiegel v. 01.06.
"Ich bin für Emanzipation und all das.
Gleichzeitig sehe ich, dass die Chancengleichheit den
Karrieredruck auf uns Männer wahnsinnig erhöht. Einerseits haben
wir jetzt all die ehrgeizigen Frauen als Konkurrentinnen,
andererseits werden wir, wenn wir es nicht nach oben schaffen,
dadurch zusätzlich bestraft, dass wir keine Partnerin finden
oder sogar Nazis werden müssen. Es gibt wirklich sehr nette
Fensterputzer!" meint Harald Martenstein zur
Not am Mann.
GÜNTNER, Joachim (2007): Opfer einer
Damenwahl,
in: Neue
Zürcher Zeitung v. 09.06.
"Noch lässt sich der
ostdeutsche Mann in Not mit hängenden Schultern darstellen.
Steht er bald stramm, wie es bereits heute einige tun, reckt den
geschorenen Kopf und die Hand zum unheilvollen Gruss? Über
Skinheads und Neonazis sang die Punkrock-Band «Die Ärzte» 1993
sinnig: «Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe /
Deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit.»", fragt
sich Joachim GÜNTNER angesichts der Studie
Not am Mann, die von FAZ
und Spiegel gehypt wird.
HEYMANN, Nana (2007): Aufbruch Ost,
in:
Tagesspiegel v. 24.06.
Nana HEYMANN, Jahrgang 1977, berichtet anlässlich der Studie
Not am Mann über Herzberg im Landkreis
Elbe-Elster.
KIRCHBACH, Roland (2007): Zum Dreinschlagen.
Der Frust Jugendlicher auf dem
Dorf nimmt zu. TV und Internet zeigen ihnen eine unerreichbare
Welt, sagt der Berliner Soziologe Hartmut Häußermann,
in:
Die ZEIT
Nr.28 v. 05.07.
Im ZEIT-Dossier über
die Samstagnacht auf dem Land, macht der 68er
Hartmut HÄUßERMANN den Frauenmangel für Exzesse
mitverantwortlich:
"Wenn
man in einem so beschränkten Handlungskreis lebt, wie es ein
Dorf darstellt, dann gibt es einen Energiestau, der sich
irgendeinen Ausweg sucht – vor allem bei jungen Männern,
Frauen sind davon ja kaum betroffen. Wahrscheinlich ist
sogar der Frauenmangel mit ein Grund, warum sich solche
Männlichkeitsrituale austoben können. Außerdem gibt es einen
kollektiven Teilnahmezwang."
WELT-Serie: Besser Altern (Teil
3) |
REENTS, Heino
(2007): Hoffnungszeichen für Eigenheimbesitzer.
Warum der
demografische Wandel nicht automatisch zum Preisverfall bei
Wohnimmobilien führt,
in: Welt v. 01.08.
BOECKER, Arne
(2007): Haus der Geborgenheit.
Wie sich
die ostdeutsche Stadt
Eggesin mit ihrem Bürgermeister gegen
Abwanderung und Überalterung stemmt,
in: Süddeutsche Zeitung v. 04.08.
WELT-Serie: Besser Altern (Teil 6) |
HOLLSTEIN, Miriam (2007): Ostdeutschland wird zum
Rentnerparadies.
Der Osten entwickelt sich zu einem Ruhesitz für
Westdeutsche. Während die einen sich über den Zuwachs freuen,
fürchten die anderen, dass Städte wie
Görlitz und Weimar in
Zukunft ausschließlich als Altersresidenz angesehen werden
könnten,
in: Welt v. 09.08.
RATHENOW, Lutz
(2007): Leben und trinken in der Trostlosigkeit.
Der Osten
zerfällt: In den Städten herrscht der Erfolg, in der Provinz
dagegen jugendlicher Stumpfsinn,
in:
Tagesspiegel v. 27.08.
NIKOLOW, Rita
(2007): Einbußen durch Abwanderung und Geburtendefizit,
in:
Tagesspiegel v. 30.08.
"Sachsen-Anhalts
Bevölkerung schrumpft: Seit 1990 ist die Zahl der Einwohner von
2,9 Millionen auf weniger als 2,4 Millionen gesunken",
berichtet Rita NIKOLOW.
SYLVESTER, Regine (2007): Männer allein zu Haus.
Im
deutschen Osten wandern die jungen Frauen ab,
in: Berliner Zeitung v. 15.09.
"Ueckermünde.
10 500 Einwohner, früher 12 000. Die meisten sind schon
älter. Bei den 18- bis 25-Jährigen - Anfang 2006 nur noch
943 Personen - waren 504 junge Männer und 439 junge Frauen.
Ein Unterschied von mehr als zehn Prozent. Und im gesamten
Landkreis Uecker-Randow mit vielen kleinen Ortschaften
kommen in derselben Altersgruppe auf hundert Männer nur noch
77 Frauen, das sind dann schon fast 25 Prozent. Ein
deutlicher Unterschied.
Es ist Zufall, dass ich in Ueckermünde bin",
schreibt SYLVESTER zu ihrer Reportage.
Ganz so zufällig war es doch nicht, denn am Anfang stand die
Studie
Not am Mann des
Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung:
"Man
kann sie im Internet runterladen und selber lesen, dass im
deutschen Osten eine Situation entstanden ist, die es noch
nie in der deutschen Geschichte gab und die man an keinem
anderen Ort in Europa findet - auch in den entlegensten und
frostigsten Gegenden kommt ein solcher Frauenmangel nicht
vor",
behauptet SYLVESTER, doch
Beweise dafür bleibt sie schuldig.
MÜLLER, Uwe (2007): Der Osten altert schneller als der Westen.
Glaubt man den jüngsten Zahlen
des Statistischen Bundesamtes aus Wiesbaden, dann sieht es
düster aus für Deutschlands Osten: Er vergreist. Nach
Berechnungen von WELT ONLINE rückt Sachsen-Anhalt zum
"Altersheim der Republik" auf. Jung ist nur noch der reiche
Süden der Republik,
in: Welt v. 24.11.
TAGESSPIEGEL (2007): Not am Mann.
Zum Beispiel in Großharthau,
Sachsen: Auf 100 Männer kommen hier nur 46 Frauen. "Die Mädels
haben sich einfach fortgemacht", heißt es an vielen Orten
Ostdeutschlands. Es entsteht eine Gesellschaft von Junggesellen,
die sich oft als Versager fühlen, sagt eine Studie. Und manche
driften in die rechte Szene ab,
in: Tagesspiegel v. 03.12.
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