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Debatte

 
       
   

Der Zukunftsatlas 2019

 
       
   

Wie die bevorstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland und die Angst vor der AfD die Bewertung des demografischen Wandels beeinflusst

 
       
     
       
   
     
 

Einführung

Seit 2004 veröffentlicht das Handelsblatt alle drei Jahre die Ergebnisse des Zukunftsatlas der neoliberalen Prognos AG, mit dem die Demografisierung gesellschaftlicher Probleme betrieben wird. Es ist kein Zufall, dass dies erstmals in der Hochphase der Agenda 2010-Debatte passiert, bei der der demografische Wandel als Hauptproblem des "kranken Manns Europas" gesehen wurde. Lediglich 15 Jahre später erscheint nun der demografische Wandel nicht mehr als das Hauptproblem, sondern wirtschaftspolitische Weichenstellungen. Die zukünftige Situation in Ostdeutschland wird nun außerordentlich optimistisch dargestellt. Dieser Rhetorikwandel ist lediglich verständlich, wenn man dies als Wahlkampfhilfe für die in Bedrängnis geratenen Regierungsparteien bei den anstehenden Landtagswahlkämpfen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen betrachtet.

Ostdeutschland in der demografischen Falle? Fehlanzeige! 

In der Titelgeschichte Aufholjagd der Schmuddelkinder vom 5. Juli 2019 werden von Christian RICKENS die sächsische Großstadt Leipzig und der brandenburgische Landkreis Teltow-Fläming als Beispiele für die abnehmende Kluft zwischen den Regionen in Deutschland hervorgehoben

Aufholjagd der Schmuddelkinder

"In dieser aufwendigen Regionalstudie ermittelt das Forschungsinstitut Prognos seit 2004 alle drei Jahre anhand von insgesamt 29 statistischen Indikatoren die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit der 401 deutschen Landkreise und kreisfreien Städte. (...). Auf Basis dieser Daten erstellt Prognos ein Ranking und ordnet die Region in eine von acht Kategorien ein, die von »besten Zukunftschancen« bis »sehr hohen Zukunftsrisiken« (...). Erstmals erhebt Prognos zusätzlich das Verhältnis von Wohnungsangebot zu -Nachfrage in einem eigenen Immobilienatlas (...).
(...).
Der Weg Leipzigs vom Schmuddelkind zum Wunderkind ist bezeichnend für eine Trendwende, die sich im Zukunftsatlas 2019 zeigt: Über zwei Jahrzehnte hinweg sah es so aus, als wären die Zukunftschancen in Deutschland zunehmend ungleich verteilt. Doch der Abgesang auf Ostdeutschland, das Ruhrgebiet und viele ländliche Landkreise in den alten Bundesländern wurde womöglich zu früh angestimmt.
Denn nun rücken Deutschlands Regionen wieder näher zusammen. »In früheren Ausgaben des Zukunftsatlas betrug der Unterschied zwischen der erst- und letztplatzierten Region maximal 32 Indexpunkte, jetzt sind es noch 29 Indexpunkte«, sagt Prognos-Chef Christian Böllhoff."
(S.45)

Im Jahr 2004 gab es in Deutschland noch 439 Landkreise und kreisfreie Städte in Deutschland, also 38 mehr als 15 Jahre später. Der abnehmende Unterschied könnte also auch auf der Reduzierung der Kreise beruhen, denn in der Regel verschwinden eher die strukturschwachen Gebiete von der Landkarte (siehe weiter unten). Zudem verhindern die Veränderung der Kriterien und Kategorien über die bislang 6 Rankings die Vergleichbarkeit. Die Interpretation von Prognos kann vom Leser aufgrund der Intransparenz der Faktendarlegung sowohl auf der Website des Unternehmens als auch des Artikels nicht überprüft werden. Wir werden dadurch auf den Glauben verwiesen. Damit Wissenschaft nicht zur neuen Religion wird, hilft nur das Hinterfragen der Argumentation. Das soll hier geschehen.

Sachsen im Spiegel des Zukunftsatlas 2004 und 2019: Wie Kreisreformen in Rankings politisch zu Aufstiegen umdeutbar sind, obwohl ihnen gar keine Verbesserungen entsprechen müssen 

Am Beispiel Sachsen soll anhand der 8 Stufen der Zukunftschancen und -risiken betrachtet werden, inwiefern die sächsischen Regionen auf- bzw. abgestiegen sind und was die Gründe dafür sein können. Die folgende Tabelle bietet einen Überblick über die Zuordnung der Kreise/kreisfreien Städte in Sachsen zu den Zukunftschancen und -risiken im Jahr 2004 und 2019:

Tabelle: Zukunftsfähigkeit der im Jahr 2004 18 Landkreise/kreisfreien Städte im Vergleich der 2019 nur noch 13 Landkreise/kreisfreien Städte in Sachsen
Klassen-
Stufe
Regionskategorien Zukunftsatlas 2004 Zukunftsatlas  2019
Anzahl der Kreise
und Städte in Sachsen
Region Anzahl der Kreise
und Städte in Sachsen
Region (verdeckter Auf-/Abstieg um Anzahl Stufen)
1 2004: Region mit Top-Zukunftschancen
2019: Region mit bester Chance
0 - 0 -
2 2004: Region mit sehr hohen Zukunftschancen
2019: Region mit sehr hohen Chancen
0 - 1 Dresden (+3)
3 2004: Region mit hohen Zukunftschancen
2019: Region mit hohen Chancen
0 - 0 -
4 2004: Region mit Zukunftschancen
2019: Region mit leichten Chancen
0 - 1 Leipzig (+2)
5 2004: Region mit ausgeglichenem Chancen- und Risikomix
2019: Regionen mit ausgeglichenen Chancen/Risiken
1 Dresden 5 Chemnitz (+1)
Zwickau (fusioniert mit Chemnitzer Land und Zwickauer Land)
Sächsische Schweiz/Osterzgebirge (Fusion von Sächsische Schweiz mit Weißeritzkreis)
Bautzen (fusioniert mit Hoyerswerda und Kamenz)
Meißen (+1) (fusioniert mit Riesa-Großenhain (+1))
6 2004: Region mit Zukunftsrisiken
2019: Regionen mit leichten Risiken
15 Leipzig 3 Landkreis Leipzig (+1) (ehemals Leipziger Land)
Mittweida   Vogtlandkreis (0)
Chemnitz   Mittelsachsen (Fusion von Döbeln (0), Freiberg (0) und Mittweida (0))
Chemnitzer Land    
Freiberg    
Zwickauer Land    
Zwickau    
Meißen    
Muldentalkreis    
Bautzen    
Döbeln    
Vogtlandkreis    
Weißeritzkreis    
Riesa-Großenhain    
Stollberg    
7 2004: Region mit hohen Zukunftsrisiken
2019: Region mit hohen Risiken
10 Delitzsch 3 Erzgebirgskreis (vormals Annaberg (0), Aue-Schwarzenberg (0), Mittlerer Erzgebirgskreis (0) und Stollberg (-1))
Kamenz Nordsachsen (ehemals Delitzsch (0) und Torgau-Oschatz (0))
Sächsische Schweiz Görlitz (+1) (fusioniert mit Löbau-Zittau (0) und Niederschlesischer Oberlausitzkreis (+1))
Plauen Vogtlandkreis (+1)
Aue-Schwarzenberg  
Torgau-Oschatz  
Annaberg  
Mittlerer Erzgebirgskreis  
Leipziger Land  
Löbau-Zittau
8 2004: Region mit sehr hohen Zukunftsrisiken
2019: Region mit sehr hohen Risiken
3 Görlitz 0  
Niederschlesiger-Oberlausitzkreis  
Hoyerswerda  
Quelle: Prognos AG Zusammenfassung Zukunftsatlas 2004, S.15ff., eigene Berechnungen, Zukunftsatlas 2019: Deutschlandkarte, eigene Berechnungen  

Wie weiter oben bereits erwähnt, führen Kreisreformen in der Regel dazu, dass strukturschwache Kreise von der Landkarte verschwinden. Dass in Sachsen die Stufe mit der geringsten Zukunftsfähigkeit weggefallen ist, liegt nicht an einem Aufstieg der Regionen, sondern daran, dass die Kreise/kreisfreien Städte mit stärkeren Kreisen fusioniert wurden und damit entweder aus dem Ranking fielen oder sich mit einem anderen Gebietszuschnitt verbesserten.

Bei den fusionierten Kreisen/kreisfreien Städte können die Auf- bzw. Abstiege der Teilgebiete mit der Entwicklung des neuen Gesamtgebiet verglichen werden. Das Beispiel des Landkreises Bautzen ist besonders interessant, weil dort sehr unterschiedliche Gebiete fusioniert wurden. Die Kreisstadt Bautzen wurde zum einen mit dem Schlusslicht, der einstigen Kreisstadt Hoyerswerda fusioniert, die damit verdeckt um 2 Stufen aufgestiegen ist. Zum anderen ist Kamenz ebenfalls verdeckt um eine Stufe aufgestiegen. Die Fusion führte zwar nicht zu einem Abstieg der Kreisstadt Bautzen, könnte aber deren Aufstieg verhindert haben. Bautzen ist eine der Hochburgen der AfD, was angesichts der Zusammenlegung mit problembehafteren Gebieten kaum verwundern dürfte. Es stellt sich deshalb auch die Frage, ob für Kreisreformen, die oftmals nur scheinbare Verbesserungen bringen, nicht ein zu hoher Preis zu zahlen ist (siehe weiter unten). Solche Fragen aber werden bei solchen Rankings nicht aufgeworfen.

Beim Landkreis Meißen wurden zwei Gebiete der gleichen Stufe fusioniert, was zu einem Aufstieg um eine Stufe führte. Ob dies einem tatsächlichen oder nur einem scheinbaren Aufstieg entspricht, müsste eine genaue Analyse klären, die in diesem Rahmen nicht geleistet werden kann. Das Beispiel zeigt damit die Problematik von Vergleichen, bei denen die Interpretationsspielräume durchaus groß sein können.

Die zweitschlechteste Stufe des Rankings wurde in Sachsen insbesondere durch die Fusion von Kreisen/kreisfreien Städten von 9 auf 3 um ein Drittel reduziert und bildet durch den Aufstieg des Landkreises Görlitz nun die sächsische Schlusslichtkategorie. Görlitz gehört wie Bautzen zu den Hochburgen der AfD. Die Fusion der Gebiete mag zwar unter Rankingsgesichtspunkten scheinbar erfolgreich gewesen sein, politisch ist sie dagegen eher zweifelhaft. Dieser politische Zusammenschluss problembeladener Gebiete könnte bei der anstehenden Landtagswahl dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael KRETSCHMER das Direktmandat kosten. Für Görlitz gilt wie für Bautzen, dass die Frage, ob es sich hier um einen tatsächlichen Aufstieg handelt unbeantwortet bleiben muss.

Für Sachsen gilt, dass die Großstädte den größten Anteil am Aufstieg verbuchen konnten, während die anderen Gebiete kaum aufschließen konnten. Es kann also kaum davon gesprochen werden, dass die Kluft zwischen Metropolen und ländlichem Raum spürbar geringer geworden ist, wie das im Artikel suggeriert wird. Aus der folgenden Tabelle sind die Veränderungen bei den Landkreisen zwischen 2004 und 2019 ersichtlich:

Tabelle: Veränderung der Regionalstruktur zwischen 2004 und 2019
Monat/Jahr Land Anzahl
weggefallener
Regionen
Gesamtzahl
Regionen
Deutschland
6/2007     439
7/2007 Sachsen-Anhalt 10 429
8/2008 Sachsen 16 413
10/2009 Nordrhein-Westfalen 1 412
9/2011 Mecklenburg-Vorpommern 10 402
11/2016 Niedersachsen 1 401
Quelle: Wikipedia

Während in Ostdeutschland 36 Regionen von der Landkarte verschwunden sind, waren es in Westdeutschland nur zwei Regionen. Sachsen lag dabei mit 16 Regionen an erster Stelle. Gemäß Prognos wurden bei der Indexberechnung der Einfluss von Größeneffekte zwar ausgeschlossen, aber das heißt nicht, dass die Regionenstruktur keinerlei Einfluss auf die Platzierung im Ranking hätte, da der Auswahl der Indikatoren Annahmen über deren Relevanz im Gesamtgefüge unterliegen. Falsche Annahmen führen deshalb zu falschen Einstufungen von Regionen.

Neoliberale Top-Down-Ökonomie und Vulgärdemografie

Die neoliberale Sichtweise, die RICKENS verbreitet ist schlicht: Das Wirtschaftswachstum wird hauptsächlich in den Metropolen bzw. Ballungsräumen generiert. Wenn dort die Rahmenbedingungen nicht stimmen (z.B. "Wohnungsbaulücke"), dann können zuerst die Umlandsgemeinden ("Speckgürtel") profitieren und zuletzt die ländlichen Räume ("Spill-over-und Tripple-down-Effekte"). Anhaltendes Wirtschaftswachstum wird damit zur Grundvoraussetzung der Zukunftsfähigkeit erklärt. Mit diesem Leuchtturm-Neoliberalismus korrespondiert eine Vulgärdemografie, bei der die Schrumpfung der Bevölkerung zum Hauptproblem wird. Entsprechend lautet die frohe Botschaft des Artikels: Das Aussterben ist abgesagt! Während die kürzlich vorgestellte 14. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung die unaufhaltsame Alterung der Bevölkerung betonte, arbeitet sich der Artikel dagegen an der Fehleinschätzung der Demografen/Ökonomen zur Bevölkerungsentwicklung ab, die auch den vergangenen Prognos-Analysen zugrunde liegen:

Aufholjagd der Schmuddelkinder

"Vom Tiefpunkt in den 90er Jahren, als pro Frau nur noch rund 1,3 Kinder zur Welt kamen, ist die Geburtenrate auf derzeit 1,57 Kinder angestiegen. Zusammen mit der anhaltenden Zuwanderung nach Deutschland sorgt diese Entwicklung dafür, dass die Einwohnerzahl der Bundesrepublik nicht wie lange prognostiziert sinkt, sondern steigt.
Jede zehnte Region schafft sogar einen sogenannten natürlichen Geburten
überschuss. (...). Dieses kleine Geburtenwunder gelang besonders häufig in Großstädten. Sie ziehen viele junge Menschen an, die die Familiengründung noch vor sich haben. Aber auch eine ländliche Gegend zwischen Bremen und Osnabrück widerlegt seit Jahren das Vorurteil von der zwangsläufig aussterbenden Provinz."
(S.46)

Der geburtenstarke Landkreis Vechta widerlegt die Rede von der Demografie als Ursache der Wirtschaftsschwäche von Regionen

In den letzten zwanzig Jahren pilgerten Heerscharen von Journalisten in den Landkreis Vechta (mehr noch nach Cloppenburg!), um das dortige Geburtenwunder als Lösung für die Wirtschaftskrise in Deutschland zu präsentieren. RICKENS erzählt uns diese Geschichte folgendermaßen:  

Aufholjagd der Schmuddelkinder

"Lebten im Kreis Vechta in den Siebzigern noch rund 90.000 Bürger, sind es heute mehr als 140.000, Tendenz weiter steigend. Die Arbeitslosenquote lag zuletzt bei 3,4 Prozent, weit unter Bundesdurchschnitt. Viele weltweit aktive Familienunternehmen sind seit Jahrzehnten in der Region verwurzelt.
(...). Vechta ist katholische Enklave im protestantisch geprägten Niedersachsen, das schweißt zusammen. Die CDU holte bei der letzten Kreistagswahl 2016 knapp 60 Prozent. (...).
Trotz allem rutscht der Landkreis im Vergleich zum Zukunftsatlas 2016 um 60 Plätze ab und gilt nun nicht mehr als Region mit hohen, sondern als eine mit »leichten Chancen«. Als schwach bewertete Prognos unter anderem die steigende Zahl von Einwohnern, die in Bedarfsgemeinschaften leben, auch die niedrige Akademikerquote und der geringe Anteil an Beschäftigten im Dienstleistungssektor fallen negativ auf. (...).
Spricht man mit Unternehmern und Bürgern vor Ort, sind es zwei andere Dinge, die zunehmend Probleme bereiten: fehlendes Bauland und zu wenig flexible Kinderbetreuung. (...).
Die meisten Familien entscheiden sich notgedrungen für das klassische Modell."
(S.49)

Das Problem von Rankings wie dem Zukunftsatlas ist, dass sie die sozioökonomische Diversität über einen einzigen neoliberalen Kamm scheren. Statt Vielfalt herrscht damit Einfalt - entgegen der neoliberalen Rhetorik. Warum sollten sich Deutschlands Regionen entsprechend den neoliberalen Vorstellungen vereinheitlichen, obwohl Krisen in der Regel durch Monokultur verursacht werden? Warum sollten nicht unterschiedliche Lebensstile besser sein als das neoliberale Einheitsmodell der Doppel-Karriere-Familie, deren Ressourcenausstattung die Einkommensklasse einer gehobenen Mittelschicht voraussetzt? Wenn alle Kommunen nur die Zielgruppen der Studenten und Akademiker mit Doppel-Karriere-Familie im Auge haben, dann werden weite Teile der Bevölkerung und deren anders gelagerten Bedürfnisse missachtet und die damit verbundenen Chancen vertan..

Viel wichtiger ist jedoch die Erkenntnis, dass demografische Rahmenbedingungen keinen Erfolg im neoliberalen Wettbewerbsstaat garantieren, sondern umgekehrt politische Weichenstellungen und Entscheidungen der Wirtschaftsunternehmen entscheidender sind. Vergleicht man im übrigen den Landkreis Vechta nicht mit dem Zukunftsatlas 2016, sondern mit dem Zukunftsatlas 2004, dann ergibt sich bei Vechta kein Abstieg um eine Stufe, sondern Stillstand: Vechta ist da, wo es auch schon vor 15 Jahren war! Gute demografische Ausgangslage hin und her. Im Zukunftsatlas 2004 wurde Vechta hinsichtlich seiner Demografie mit Rang 4 bedacht, 2019 dagegen nur mit Rang 26.

Tabelle: Die 5 besten Landkreise und kreisfreien Städte
im Bereich Demografie beim Zukunftsatlas 2004 und 2019
Rang Zukunftsatlas 2004 (2019) Zukunftsatlas 2019 (2004)
Landkreis/kreisfreie Stadt
1 Würzburg (29) Darmstadt (36)
2 Freiburg im Breisgau (10) Osnabrück (40)
3 Cloppenburg (16) Bamberg (180)
4 Vechta (26) Flensburg (20)
5 Freising (40) Leipzig (236)
Quelle: Zukunftsatlas 2019: Handelsblatt; Zukunftsatlas 2004: Prognos

Der Zusammenhang zwischen Demografie und Regionalentwicklung ist offenbar viel komplexer als es die vorherrschende Sichtweise verlautbaren lässt. Bamberg und Leipzig zeigen, dass Demografie kein Schicksal ist, die in eine ökonomische Abwärtsspirale führt. Gute demografische Rahmenbedingungen sind andererseits kein Garant, der vor einer Abwärtsspirale schützt. Vielmehr sorgen im neoliberalen Wettbewerbsstaat eine Vielzahl von sich gegenseitig verstärkenden bzw. abschwächenden Faktoren über die Entwicklung von Regionen. So faden sich z.B. 2004 mit Cloppenburg, Vechta und Freising noch drei Landkreise unter den besten Regionen mit sehr guten demografischen Bedingungen. 2019 waren es kein einziger unter den besten Zehn! Es kann also gar keine Rede davon sein, dass die Kluft zwischen Stadt und Land geringer geworden ist. Vielmehr hat die neoliberale Wettbewerbspolitik die Position der Metropolen und Ballungsräume gegenüber Restdeutschland dramatisch verändert. Die neoliberale Leuchtturmpolitik ist mitverantwortlich für die zunehmende Polarisierung in Deutschland. Sachsen zeigt dies besonders deutlich. Die dortigen Erfolge der AfD sind kein Zufall, sondern das Ergebnis einer Politik, die die Kluft vergrößert hat.

Welchen Anteil hat der demografische Wandel an den Problemen in Ostdeutschland? Und hilft dabei das Ranking überhaupt weiter?

Welchen Einfluss die Demografie auf die Regionalentwicklung hat, das hängt u.a. davon ab, welche Indikatoren als wichtig betrachtet werden. Prognos betrachtet nur vier Demografiefaktoren: die Geburtenrate, den Anteil bzw. den Wanderungssaldo junger Erwachsener sowie die Entwicklung der Bevölkerungszahl. Welchen Stellenwert die einzelnen Faktoren im Index einnehmen ist Betriebsgeheimnis und damit intransparent.

Der Artikel von RICKENS ist mit Schaubildern garniert, die wenig aussagekräftig sind. So wird uns ein Vergleich der zwölf größten Städte präsentiert, bei dem die Rangplatzierungen von 2004 bis 2019 ablesbar sind. Prognos weist dagegen ausdrücklich darauf hin, dass ein solcher Vergleich wenig sinnvoll ist, weil die Reduzierung der Kreise im Verlaufe der Zeit die Aussagekraft erheblich vermindert. Nichtsdestotrotz liefert uns auch Prognos - entgegen der eigenen Aussagen! - auf der Website nur Rangaufsteiger bzw. -absteiger und nicht etwa die Indexaufsteiger bzw. -absteiger oder noch eindeutiger die Klassenstufenaufsteiger bzw. -absteiger. Aus der folgenden Tabelle sind die Anzahl der Regionen ersichtlich, die zwischen 2004 und 2019 den jeweiligen Klassenstärken zugeordnet wurden.

Tabelle: Die Zuordnung von Regionen zu Klassenstufen im Zukunftsatlas zwischen 2004 und 2019
Klassen-
Stufen
Merkmal 2004 2007 2010 2013 2016 2019
1 Überwiegen der Chancen 6 8 7 10 11 12
Prozentanteil der klassenbesten Regionen 1,4 % 1,8 % 1,7 % 2,4 % 2,7 % 3,0 %
2 Überwiegen der Chancen 17 35 30 27 33 30
Prozentanteil der Regionen mit Stufe 2 3,9 % 8,0 % 7,3 % 6,7 % 8,2 % 7,5 %
3 Überwiegen der Chancen 28 39 41 41 45 51
Prozentanteil der Regionen mit Stufe 3 6,4 % 8,9 % 10,0 % 10,2 % 11,2 % 12,7 %
4 Überwiegen der Chancen 58 99 49 58 54 50
Prozentanteil der Regionen mit Stufe 4 13,2 % 22,6 % 11,9 % 14,4 % 13,4 % 12,5 %
Gesamtzahl der Regionen mit Chancenplus 109 138 127 136 143 143
Prozentanteil der Regionen mit Chancenplus 24,8 % 31,4 % 30,8 % 33,8 % 35,6 % 35,7 %
5 Gesamtzahl der Regionen im Gleichgewicht 210 202 176 167 163 166
Prozentanteil der Regionen im Gleichgewicht 47,8 % 46,0 % 42,7 % 41,5 % 40,5 % 41,4
6 Überwiegen der Risiken 62 48 56 61 54 45
Prozentanteil der Regionen mit Stufe 6 14,1 % 10,9 % 13,6 % 15,2 % 13,4 % 11,2 %
7 Überwiegen der Risiken 47 40 42 27 31 37
Prozentanteil der Regionen mit Stufe 7 10,7 % 9,1 % 10,2 % 6,7 % 7,7 % 9,2 %
8 Überwiegen der Risiken 11 10 11 11 11 10
Prozentanteil der klassenletzten Regionen 2,5  % 2,3 % 2,7 % 2,7 % 2,7 % 2,5 %
Gesamtzahl der Regionen mit Risikoplus 120 98 109 99 96 92
Prozentanteil der Regionen mit Risikoplus 27,3 % 22,3 % 26,5 % 24,6 % 23,9 % 22,9 %
Gesamtzahl der Regionen 439 439 412 402 402 401
Quelle: Zukunftsatlas 2004 bis 2019: Prognos

Betrachtet man die Verteilung der Regionen auf die Klassenstufen, dann zeigt sich bei den Regionen mit Zukunftsrisiken - trotz positiver demografischer Entwicklung kein Aufwärtstrend, sondern im Jahr 2007 gab es prozentual weniger betroffene Regionen als im Jahr 2019. In der Kategorie der Klassenletzten war der Prozentanteil im Jahr 2004 genauso hoch wie im Jahr 2019. Die beste Risikoklasse war im Jahr 2013 besser besetzt als in den nachfolgenden Jahren. Verbesserungen sehen anders aus!

Ganz im Gegenteil hat die Polarisierung in Deutschland stark zugenommen, denn die Klassenbesten konnten ihren Anteil von 1,4 % im Jahr 2004 auf 3,0 % im Jahr 2019 mehr als verdoppeln. Die folgende Tabelle zeigt die Klassenauf- und abstiege bei den Klassenbesten

Tabelle: Veränderungen bei den Klassenbesten im Zukunftsatlas 2004 bis 2019
Rang 2004 2007

2010

2013 2016 2019
1 München
(Landkreis)
München
(Landkreis)
München
(Landkreis)
München
(Landkreis)
München
(Landkreis)
München
(Landeshauptstadt)
2 München
(Landeshauptstadt)
München
(Landeshauptstadt)
München
(Landeshauptstadt)
München
(Landeshauptstadt)
München
(Landeshauptstadt)
München
(Landkreis)
3 Starnberg
(Landkreis)
Starnberg
(Landkreis)
Erlangen Erlangen Ingolstadt Ingolstadt
4 Darmstadt Erlangen Starnberg
(Landkreis)
Ingolstadt Böblingen
(Landkreis)
Darmstadt
5 Freising
(Landkreis)
Regensburg Böblingen
(Landkreis)
Böblingen
(Landkreis)
Wolfsburg
(VW-Stadt)
Stuttgart
(Landeshauptstadt)
6 Heidelberg Stuttgart
(Landeshauptstadt)
Ingolstadt Darmstadt Erlangen Erlangen
7   Freising
(Landkreis)
Frankfurt am Main
(Global City)
Regensburg Stuttgart
(Landeshauptstadt)
Böblingen
(Landkreis)
8   Ingolstadt   Starnberg
(Landkreis)
Starnberg
(Landkreis)
Starnberg
(Landkreis)
9       Wolfsburg
(VW-Stadt)
Darmstadt Wolfsburg
(VW-Stadt)
10       Stuttgart
(Landeshauptstadt)
Frankfurt am Main
(Global City)
Frankfurt am Main
(Global City)
11         Regensburg Main-Taunus-Kreis
(Landkreis)
12           Düsseldorf
(Landeshauptstadt)
             
  Stuttgart
(Landeshauptstadt)
Rang 8/Stufe 2
Darmstadt
Rang 29/Stufe 2
Darmstadt
Rang 12/Stufe 2
Freising
(Landkreis)
Rang 29/Stufe 2
Freising
(Landkreis)
Rang 44/Stufe 2
Freising
(Landkreis)
Rang 34/Stufe 2
  Ingolstadt
Rang 14/Stufe 2
Heidelberg
Rang 26 /Stufe 2
Freising
(Landkreis)
Rang 13/Stufe 2
Heidelberg
Rang 11/Stufe 2
Heidelberg
Rang 14/Stufe 2
Heidelberg
Rang 13/Stufe 2
  Erlangen
Rang 7/Stufe 2
Böblingen
(Landkreis)
Rang 23/Stufe 2
Heidelberg
Rang 20/Stufe 2
Frankfurt am Main
(Global City)
Rang 22/Stufe 2
Main-Taunus-Kreis
(Landkreis)
Rang 13/Stufe 2
 
    Frankfurt am Main
(Global City)
Rang 39/Sufe 2
Stuttgart
(Landeshauptstadt)
Rang 14/Stufe 2
  Düsseldorf
(Landeshauptstadt)
Rang 21/Stufe 2
 
      Regensburg
Rang 11/Stufe 2
     
      Wolfsburg
Rang 8/Stufe 2
     
Quelle: Zukunftsatlas 2019: Handelsblatt; Zukunftsatlas 2004 bis 2016: Prognos

Bei den Klassenbesten gab es zwischen 2004 und 2019 sechs Aufsteiger und nur zwei Absteiger. Alle Auf- und Abstiege geschahen zwischen den ersten beiden Klassenstufen, wobei beide Abstiege zwischen 2007 und 2010 stattfanden. Zwischendurch gab es 4 Regionen, die zwar abstiegen, dann aber wieder aufgestiegen sind. Nur 3 Regionen konnten sich dauerhaft im Bereich der Klassenbesten behaupten. Alle drei liegen in Bayern. Diese Regionen können am ehesten darüber Auskunft geben, welche Faktoren für eine gute Platzierung entscheidend sind. Der Landkreis Starnberg ist dabei besonders interessant, weil diese Region seine Platzierung im Laufe von 15 Jahren um 6 Ränge verschlechterte. Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung der Bereichsränge.

Tabelle: Bewertung des bayerischen Landkreises Starnberg im Zukunftsatlas 2004 bis 2019
Zeitpunkt
(Anzahl Regionen)
Gesamtrang

Bereichsrang

Demografie Lage/Wohlstand Arbeitsmarkt Innovation
2004 (439) 3 230 2 28 5
2007 (439) 3 263 1 37 4
2010 (412) 4 281 1 37 7
2013 (402) 8 235 1 67 9
2016 (402) 8 172 1 58 13
2019 (401) 8 253 1 44 10
Quelle: Zukunftsatlas 2004 bis 2016: Prognos

Die Demografie ist kein entscheidender Faktor für eine Platzierung unter den Klassenbesten. Alle Demografiewerte liegen - abgesehen von 2016 - in der zweiten Hälfte der Rangwerte. Gute Werte schützen dagegen nicht vor dem Abstieg wie z.B. Heidelberg oder Freising zeigen. Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung des Absteigers Freising:

Tabelle: Bewertung des bayerischen Landkreises Freising im Zukunftsatlas 2004 bis 2019
Zeitpunkt
(Anzahl Regionen)
Klassen-
Stufe
Gesamtrang

Bereichsrang

Demografie Lage/Wohlstand Arbeitsmarkt Innovation
2004 (439) 1 5 5 18 23 10
2007 (439) 1 7 20 21 10 66
2010 (412) 2 13 23 16 44 31
2013 (402) 2 29 37 52 52 82
2016 (402) 2 44 65 65 65 77
2019 (401) 2 34 40 73 54 71
Quelle: Zukunftsatlas 2004 bis 2016: Prognos

Auch Wiederaufsteiger wie Darmstadt können interessante Hinweise auf die Voraussetzungen für eine Platzierung unter den Klassenbesten geben. Aus der nachfolgenden Tabelle ist die Entwicklung der hessischen Stadt Darmstadt ersichtlich.

Tabelle: Bewertung der hessischen Stadt Darmstadt im Zukunftsatlas 2004 bis 2019
Zeitpunkt
(Anzahl Regionen)
Klassen-
Stufe
Gesamtrang

Bereichsrang

Demografie Lage/Wohlstand Arbeitsmarkt Innovation
2004 (439) 1 4 36 330 9 4
2007 (439) 2 29 18 289 24 49
2010 (412) 2 12 8 222 6 49
2013 (402) 1 6 1 291 2 23
2016 (402) 1 9 2 298 2 46
2019 (401) 1 4 1 301 1 13
Quelle: Zukunftsatlas 2004 bis 2016: Prognos

Darmstadt ist so ziemlich das Gegenteil von Starnberg: Gute Demografiewerte, aber miserable Werte bei sozialer Lage und Wohlstand.

Bei der Klassenstufe 2 gibt es - im Gegensatz zu den Klassenbesten - keine einheitliche Tendenz, weshalb hier eine Analyse der Klassenauf- und absteiger notwendig ist.

Bei der Klassenstufe 3 gibt es wieder eine aufsteigende Tendenz, die jedoch sowohl von Klassenabsteigern als auch von Aufsteigern verursacht sein kann. Die Verteilung bei der Klassenstufe 4 weist eine gravierende Abweichung im Jahr 2007 auf, bei der sich die Frage stellt, inwiefern dies auf eine mangelnde Trennschärfe der Klassifizierung hindeutet.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Betrachtung der Verteilung der Regionen auf die einzelnen Klassenstufen keine Tendenz der Annäherung der regionalen Unterschiede zwischen 2004 und 2019 erbracht hat.       

Aussagekräftiger wäre eine Analyse der Entwicklung der Indexwerte, die uns jedoch für die Jahre 2010 bis 2019 vorenthalten werden. Dies gilt auch für alle anderen Schaubilder und die überwältigende Mehrheit der Angaben im Text.      

Aufholjagd der Schmuddelkinder

"Niemand hätte vor zehn Jahren geglaubt, dass die Bevölkerung in den allermeisten deutschen Regionen jemals wieder wachsen könnte. Und erst recht nicht, dass die damalige Schrumpfstadt Leipzig als Aufsteigermetropole Nummer eins gefeiert würde",
(S.51)

erklärt uns RICKENS. War das wirklich so? War Leipzig im Jahr 2009 eine Schrumpfstadt? Leipzig ist seit dem Jahr 2003 ständig gewachsen, wenngleich das Wachstum nach der Zensuskorrektur erheblich zugenommen hat. 2014 gab es erstmalig einen kleinen Geburtenüberschuss. Die Bevölkerungsprognosen für Leipzig sahen bereits im Jahr 2007 ein - wenngleich auch geringes - Wachstum vor, das jedoch weit hinter dem tatsächlichen Wachstum zurückblieb. RICKENS präsentiert uns also Fake-News zu Leipzig!

Uns wird erzählt, dass der Wirtschaftsaufschwung nur lange genug anhalten muss, damit auch die letzte abgehängte Region profitieren kann. Natürlich ist eine andauernde, positive Wirtschaftsentwicklung lediglich ein Gedankenspiel ohne Alltagstauglichkeit, weshalb uns mantrahaft die Bedingungen der Angleichung aufgezählt werden:

Aufholjagd der Schmuddelkinder

"(D)die Prognos-Studie deutet darauf hin, dass der Unterschied in Zukunft eher kleiner als größer werden könnte - zumindest so lange die fundamentalen Trends anhalten, die Deutschland in den vergangenen Jahren geprägt haben: das stabile Wirtschaftswachstum und die Zuwanderung von Arbeitskräften aus anderen EU-Staaten.
(...).
Böllhoff analysiert: (...). »Solange die positive ökonomische und demografische Gesamtentwicklung in Deutschland anhält, werden sich auch die Regionen weiter aneinander annähern.« In einer längeren Phase ohne Wachstum oder mit gebremstem Zuzug könne sich die Entwicklung hingegen umkehren. (...).
Es sind jahrzehntealte Trends und Wahrheiten, die sich da vielleicht noch nicht in ihr Gegenteil verkehren, aber zumindest infrage gestellt werden müssen: Das Land entvölkert sich, den Großstädten gehört die Zukunft - wer sagt eigentlich, dass es zwangsläufig so kommen muss? (S.45)

Was auffällig bei der Indikatorenauswahl ist: 28 der 29 Indikatoren sind im Grunde Merkmale der Bevölkerung. Nur ein einziger Indikator bezieht sich auf die Infrastruktur: "Erreichbarkeit der Bundesautobahnen". Die Bedeutung der Infrastruktur fließt im Grunde nur indirekt - vermittelt über die Personenmerkmale - in die Betrachtung ein. Der Immobilienatlas wird uns dagegen separat präsentiert, obwohl auch dies die Infrastruktur im weitesten Sinne betrifft. Zum Indikator "Wohnungsbaulücken" wird uns folgendes erklärt:

Aufholjagd der Schmuddelkinder

"Wohnungsbaulücken zeigen an, dass in einer Stadt bzw. in einem Landkreis die Wohnungsnachfrage (Zahl der Haushalte) im Zeitraum 2011 bis 2017 stärker angestiegen ist als das Wohnungsangebot (Zahl der Wohneinheiten)"
(S.50)

Ein solcher Indikator ist eher fragwürdig, denn die weder die Haushaltsgröße noch die Wohnungsgröße fließt in die Betrachtung ein. Eine solche Wohnungsbaulücke kann den Mangel an Wohnungen für die einzelnen Bevölkerungsgruppen nicht angemessen erfassen. Was nützt es, wenn jedem Haushalt eine Wohnung gegenübersteht, aber die passende Wohnung fehlt?

Das Ranking weist im Grunde eklatante Leerstellen auf, die "demografischen" Personenmerkmalen eine Bedeutung zuweist, die ihr für die zukünftige Entwicklung in Deutschland nicht zukommt. Die Bedeutung der Infrastruktur wird nur ganz am Rande erwähnt, z.B. auch bei der fehlenden Kinderbetreuung.

Die Vernachlässigung der Bedeutung von Investitionen in die Infrastruktur gehört zu einem zentralen blinden Fleck neoliberaler Ökonomensicht. Das "Humankapital" und dessen "Demografiemerkmale" werden dagegen überbewertet. Dadurch bleibt auch der Einfluss politischer Entscheidungen für die Zukunftschancen unterbelichtet. Dagegen werden im Deutschlandatlas mittels 24 Indikatoren die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse unter die Lupe genommen. Die folgende Übersichttabelle wurde der Broschüre Unser Plan für Deutschland entnommen, die am 10. Juli 2019 - also nur wenige Tage nach der Veröffentlichung des Zukunftsatlas publiziert wurde.

Tabelle: Die Kluft bei den Lebensverhältnissen in Deutschland
Indikator

Mittelwert

Deutschland

für das Fünftel Deutschlands

insgesamt mit geringerem
Handlungsbedarf
mit größerem
Handlungsbedarf
Bevölkerungsentwicklung 2016-2017

+ 0,3 %

+2,6 %

-2,8 %

Bevölkerungsentwicklung 2008-2017

+0,9 %

+13,6 %

-12,3 %

Anteil älterer Menschen (über 65 Jahre)

21,8 %

16,7 %

27,8 %

Anteil Kinder und Jugendliche

16,4 %

19,7 %

13,0 %

Angebotsmieten

7,27 €/m2

5,19 €/m2

10,3 €/m2

Leerstandsquote (Wohnungen)

4,8 %

2,0 %

9,0 %

Verfügbares Einkommen je Einwohner/-in

21.717 €

25.253 €

18.589 €

Bruttoinlandsprodukt je Einwohner/-in

35.573 €

59.538 €

22.295 €

Arbeitslosenquote

4,7 %

1,8 %

8,4 %

Entwicklung Arbeitsvolumen 2000 zu 2016 (pro Jahr)

+0,9 %

+15,5 %

-14,5 %

Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in wissensintensiven Branchen

10,5 %

22,9 %

3,1 %

Leitungsgebundene Breitbandversorgung der privaten Haushalte (50 MBit/s)

76,7 %

95,8 %

53,5 %

Breitbandverfügbarkeit mit LTE in der Fläche einer Gemeinde

90,0 %

100,0 %

59,3 %

Erreichbarkeit Lebensmittelladen

4,1 km

1,3 km

8,2 km

Erreichbarkeit Hausarzt/-ärztin

3,7 km

1,2 km

7,5 km

Erreichbarkeit Kinderarzt/-ärztin

10,1 km

3,3 km

19,3 km

Erreichbarkeit Krankenhaus (Regelversorgung)

18,2 km

7,2 km

32,4 km

Erreichbarkeit Grundschule

3,3 km

1,2 km

6,6 km

Schulabgänger/-innen ohne Hauptschulabschluss

8,8 %

5,1 %

14,3 %

Personen in SGB II-Bedarfsgemeinschaften

6,7 %

2,5 %

12,5 %

Betreuungsquote unter 3-Jährige in der Kindertagesbetreuung

33,4 %

54,7 %

20,6 %

Personalschlüssel in Kindertagestätten (Anzahl Kinder pro Betreuungskraft)

8,6 Kinder

6,7 Kinder

11,3 Kinder

Steuerkraft je Einwohner/-in

1.042 €

2.248 €

443 €

Kommunale Kassenkredite je Einwohner/-in

604 €

0 €

2.443 €

Quelle: Unser Plan für Deutschland, 2019, S.10

Die 11 grau unterlegten Indikatoren verweisen direkt auf die Infrastruktur in Deutschland, wobei die leistungsfähigsten 20 Prozent der Regionen mit den strukturschwächsten 20 Prozent der Regionen sowie dem Durchschnittswert vergleichbar sind. 20 Prozent der Regionen sind bei derzeit 401 Regionen also rund 80 Regionen. 

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die Auswahl der Indikatoren bereits die Aufmerksamkeitsrichtung eines Rankings prägt. Die Demografie wird nur deshalb zum scheinbaren Problem, weil alternative Sichtweisen beim Zukunftsatlas gar nicht erst berücksichtigt werden. Obwohl dem Breitbandausbau angeblich eine große Bedeutung für die Zukunft zukommt, ist er im Ranking nicht durch einen Indikator vertreten. Nicht nur bei Ab- und Zuwanderungsprozessen kommt der vorhandenen Infrastruktur - neben den vorhandenen Arbeitsplätzen - eine hohe Bedeutung zu, denn wer will schon Kinder bekommen, wenn die entsprechenden Einrichtungen fehlen oder deren Qualität unzureichend ist?

Die versteckten Schmuddelkinder von Ostdeutschland - eine ostdeutsche Politikstrategie mit gravierenden Nebenwirkungen

Wir haben es in Ostdeutschland weniger mit einer Aufholjagd der Schmuddelkinder als vielmehr mit einem Versuch des Unsichtbarmachens der politischen Misserfolge zu tun. Die folgende Tabelle zeigt, wie durch Kreisreformen in Ostdeutschland Regionen mit hohen und sehr hohen Risiken (Klassenstufe 7 und 8) eliminiert wurden:

Tabelle: Klassenaufsteiger und -absteiger 2004 - 2019

Zukunftsatlas 2004

Zukunftsatlas 2019

Klassen-Stufe Gesamtrang Land Region Neuzuschnitt Gesamtrang Klassen-Stufe AfD-Ergebnis
Europawahl 2019
7 382 Mecklenburg-Vorpommern Nordwestmecklenburg Fusion mit Wismar 377 7 15,8 %
(-1,9 %)
383 Sachsen Delitzsch Nordsachsen 364 7 26,7 %
(+1,5 %)
384 Sachsen Kamenz Nordsachsen 364 7 26,7 %
(+1,5 %)
385 Brandenburg Frankfurt (Oder)   361 7 20,7 %
(+ 0,8 %)
386 Mecklenburg-Vorpommern Schwerin   347 6 15,8 %
(-1,9 %)
387 Sachsen-Anhalt Bernburg Salzlandkreis 390 7 21,7 %
(+1,3 %)
388 Thüringen Saalfeld-Rudolfstadt   375 7 27,6 %
(+5,1 %)
389 Sachsen-Anhalt Halle an der Saale   310 6 16,1 %
(-4,3 %)
390 Sachsen-Anhalt Schönebeck Salzlandkreis 390 7 21,7 %
(+1,3 %)
391 Sachsen Sächsische Schweiz Sächsische Schweiz/Osterzgebirge 286 5 32,9 %
(+7,6 %)
392 Sachsen Plauen Vogtlandkreis 322 6 23,9 %
(-1,4 %)
393 Sachsen-Anhalt Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld 381 7 22,6 %
(+2,2 %)
394 Sachsen-Anhalt Jerichower Land Fusion mit Teilen von Anhalt-Zerbst 399 8 19,4 %
(-1,0 %)
395 Thüringen Nordhausen   368 7 22,3 %
(-0,2 %)
396 Thüringen Unstrut-Hainich-Kreis   365 7 23,1 %
(+0,6 %)
397 Mecklenburg-Vorpommern Müritz Mecklenburgische Seenplatte 391 7 19,6 %
(+1,9 %)
398 Brandenburg Oberspreewald-Lausitz Widerstand gegen abgesagte Kreisreform in 2019     26,5 %
(+6,6 %)
399 Niedersachsen Lüchow-Dannenberg   396 8 7,5 %
(- 0,4 %)
400 Brandenburg Märkisch-Oderland   346 6 21,1 %
(+1,2 %)
401 Sachsen Aue-Schwarzenberg Erzgebirgskreis 359 7 28,1 %
(+ 2,8 %)
402 Brandenburg Ostprignitz-Ruppin   373 7 18,0 %
(-1,9 % )
403 Mecklenburg-Vorpommern Güstrow Landkreis Rostock 356 7 17,2 %
(-0,5 %)
404 Mecklenburg-Vorpommern Neubrandenburg Mecklenburgische Seenplatte 391 7 19,6 %
(+1,9 %)
405 Mecklenburg-Vorpommern Ostvorpommern Vorpommern-Greifswald 394 8 21,7 %
(+4,0 %)
406 Sachsen Torgau-Oschatz Nordsachsen 364 7 26,7 %
(+1,5 %)
407 Mecklenburg-Vorpommern Stralsund Vorpommern-Rügen 388 7 19,6 %
(+ 1,9 %)
408 Sachsen Annaberg Erzgebirgskreis 359 7 28,1 %
(+2,8 %)
409 Sachsen Mittlerer Erzgebirgskreis Erzgebirgskreis 359 7 28,1 %
(+2,8 %)
410 Sachsen-Anhalt Saalkreis Saalekreis 348 6 24,3 %
(-1,0 %)
411 Sachsen-Anhalt Aschersleben-Staßfurt Aufteilung in Harz und Salzlandkreis   7 x
412 Brandenburg Prignitz   395 8 19,1 %
(-0,8 %)
413 Sachsen-Anhalt Sangerhausen Mansfeld-Südharz 398 8 25,3 %
(+4,9 %)
414 Sachsen-Anhalt Weißenfels Landkreis Burgenland 382 7 24,6 %
(+4,2 %)
415 Thüringen Greiz   367 7 25,5 %
(+3,0 %)
416 Sachsen Leipziger Land Landkreis Leipzig 313 6 25,2 %
(-0,1 %)
417 Brandenburg Uckermark   392 8 20,8 %
(+0,9 %)
418 Mecklenburg-Vorpommern Rügen Vorpommern-Rügen 388 7 19,6 %
(+1,9 %)
419 Sachsen-Anhalt Mansfelder Land Mansfeld-Südharz 398 8 25,3 %
(+4,9 %)
420 Sachsen Löbau-Zittau Landkreis Görlitz 379 7 32,4 %
(+7,1 %)
421 Thüringen Kyffhäuserkreis   386 7 23,2 %
(+0,7 %)
422 Sachsen-Anhalt Burgenlandkreis Landkreis Burgenland 382 7 24,6 %
(+4,2 %)
423 Sachsen-Anhalt Anhalt-Zerbst Aufteilung in 3 Landkreise   7/8 x
424 Brandenburg Spree-Neiße   397 8 30.9 %
(+11,0 %)
425 Sachsen-Anhalt Quedlinburg Harz 369 7 17,9 %
(-2,5 %)
426 Sachsen-Anhalt Halberstadt Harz 369 7 17,9 %
(-2,5 %)
427 Thüringen Altenburger Land   389 7 27,1 %
(+4,6 %)
428 Sachsen-Anhalt Köthen Anhalt-Bitterfeld 381 7 22,6 %
(+2,2 %)
8 429 Mecklenburg-Vorpommern Nordvorpommern Vorpommern-Rügen 388 7 19,6 %
(+1,9 %)
430 Mecklenburg-Vorpommern Mecklenburg-Strelitz Mecklenburgische Seenplatte 391 7 19,6 %
(+1,9 %)
431 Sachsen Görlitz Landkreis Görlitz 379 7 32,4 %
(+7,1 %)
432 Sachsen-Anhalt Altmarkkreis Salzwedel   400 8 17,2 %
(-3,2 %)
433 Brandenburg Elbe-Elster Widerstand gegen abgesagte Kreisreform in 2019 393 8 24,7 %
(+4,8 %)
434 Sachsen-Anhalt Stendal   401 8 19,4 %
(-1,0 %)
435 Mecklenburg-Vorpommern Uecker-Randow Vorpommern-Greifswald 394 8 21,7 %
(+4,0 %)
436 Sachsen Niederschlesischer Oberlausitzkreis Landkreis Görlitz 379 7 32,4 %
(+7,1 %)
437 Sachsen-Anhalt Wittenberg Fusion mit Teilen von Anhalt-Zerbst 385 7 21,8 %
(+1,4 %)
438 Mecklenburg-Vorpommern Demmin Mecklenburgische Seenplatte 391 7 19,6 %
(+1,9 %)
439 Sachsen Hoyerswerda Landkreis Bautzen 294 5 32,1 %
(+6,8 %)
Quelle: Zukunftsatlas 2019: Handelsblatt; Zukunftsatlas 2004: Prognos

Von den 58 strukturschwächsten Regionen aus dem Jahr 2004 (11 Regionen der Klassenstufe 7 und 47 Regionen der Klassenstufe 8) schafften nur drei Regionen (Schwerin, Halle an der Saale und Märkisch Oderland) einen Klassenaufstieg ohne Neuzuschnitt der Region. Selbst ein Neuzuschnitt war kein Garant für den Klassenerhalt. Fünf Regionen stiegen trotz Neuzuschnitt mit ihrer neuen Region ab.

Betrachtet man die Klassenletzten und das Abschneiden der AfD bei der Europawahl 2019, dann ergeben sich erstaunliche Einsichten. In den Landkreisen von Sachsen-Anhalt, die von der letzten Kreisreform verschont geblieben sind (Altmarkkreis Salzwedel und Stendal) blieb die AfD unter dem Landesdurchschnitt von 20,4 %.

In Brandenburg plante die rot-rote Landesregierung im Jahr 2017 die Reduzierung der Regionen auf 8 (Gesetzesentwurf 13.07.2017), u.a. die Fusion der Landkreise Elbe-Elster und Oberspreewald-Lausitz. Das Vorhaben wurde dann jedoch aufgrund des großen Widerstandes fallengelassen. In allen Regionen mit Neuzuschnitt gewann die AfD überdurchschnittlich an Stimmen hinzu. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Regionen im Ranking einen verdeckten Aufstieg machten.

Auch in Thüringen scheiterte die geplante Kreisreform der rot-rot-grünen Landesregierung aufgrund der Widerstände.

2019 hat sich die Zahl der Klassenletzten um eine einzige Region auf 10 verringert, aber 9 Regionen liegen weiterhin in Ostdeutschland. Die einzige westdeutsche Region unter den 58 strukturschwächsten Regionen ist um eine Klassenstufe abgestiegen .

Die Klassenstufe 7 reduzierte sich dagegen um 10 Regionen auf 37. Davon liegen nun 8 in Westdeutschland.

Die Bilanz der 58 strukturschwächsten Regionen sieht folgendermaßen aus: 27 der 38 zwischen 2004 und 2019 weggefallenen Kreise, also mehr als zwei Drittel, fallen in diesen Bereich. 15 westdeutsche Regionen sind zwischen 2004 und 2019 in diesen Bereich abstiegen. Dazu kommen 10 ostdeutsche Absteiger, wobei 8 mit Brandenburg und Thüringen aus jenen ostdeutschen Ländern kommen, in denen geplante Kreisreformen scheiterten. Vier sächsische Regionen sind durch Kreisreformen heraus gefallen. Lediglich die kreisfreie Stadt Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt ist den 58 strukturschwächsten Regionen aus eigener Kraft entkommen. Für Sachsen-Anhalt gab es dadurch jedoch keine Verbesserung, weil die kreisfreie Stadt Dessau-Roßlau neu hinzukam.

Inwieweit kann aber der Abstieg von 15 westdeutschen Regionen unter die 58 strukturschwächsten Kreise als Erfolg einer ostdeutschen Aufholjagd gesehen werden? Die folgende Übersicht zeigt in wiefern es sich bei den westdeutschen Regionen um Klassenabsteiger handelt.

Tabelle: 15 westdeutsche Regionen, die sich im Zukunftsatlas 2019 - im Ver-
gleich zu 2004 neu unter den 58 strukturschwächsten Regionen befanden

Zukunftsatlas 2019

Zukunftsatlas 2004

Klassen-
Stufe
Gesamt-
Rang
Land Region

Klassen-
Stufe

Gesamt-
Rang

Bereichsrang

Demo-
grafie
Lage/
Wohl-
stand
Arbeits-
markt
Wett-
bewerb
6 344 Niedersachsen Celle 5 246 186 290 227 96
345 Rheinland-Pfalz Birkenfeld 5 308 280 201 211 385
349 Nordrhein-Westfalen Recklinghausen 5 259 293 331 224 153
350 Niedersachsen Uelzen 6 320 267 224 307 289
351 Bayern Kronach 6 358 339 227 360 333
352 Bayern Lkr Coburg 5 316 282 50 392 321
354 Nordrhein-Westfalen Hagen 5 299 305 337 204 297
7 355 Niedersachsen Wilhelmshaven 5 230 329 291 101 165
357 Nordrhein-Westfalen Herne 5 290 300 370 241 196
362 Saarland Neunkirchen 5 252 360 182 161 290
371 Nordrhein-Westfalen Gelsenkirchen 6 321 303 403 319 187
376 Rheinland-Pfalz Pirmasens 5 293 338 359 183 244
378 Nordrhein-Westfalen Oberhausen 5 292 288 421 96 243
383 Bremen Bremerhaven 6 367 319 439 217 216
387 Rheinland-Pfalz Kusel 5 277 328 222 213 278
Quelle: Zukunftsatlas 2019: Handelsblatt; Zukunftsatlas 2004: Prognos

Die Bereichsränge geben Auskunft darüber, wo bei den Regionen die Stärken und Schwächen gesehen werden. Nur in 3 der 15 Regionen gehörte die Demografie zur größten Schwäche. Bei mehr als 50 % gehörte die soziale Lage und der Wohlstand zum schwächsten Bereich. Die Arbeitsmarktsituation wurde mehrheitlich rosig gesehen. In fünf Regionen wurde gar die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationskraft als größte Stärke gesehen. Nur einer Region wurde dies als größte Schwäche angekreidet. Es stellt sich also die Frage, ob die Einschätzungen vor 15 Jahren nicht einer falschen Gewichtung der einzelnen Faktoren oder gar der Nichtberücksichtigung von wichtigen Faktoren geschuldet war.

Betrachtet man die Klassenabstiege, dann zeigt sich, dass nur zwei der 15 Regionen ihre Klasse erhalten konnten. 7 Regionen stiegen um eine Klasse ab, 6 Regionen sogar um zwei Klassen. Bei jenen, die um zwei Klassen abgestiegen sind, wurde nur in 50 % der Fälle die Demografie als größte Schwäche diagnostiziert. Bei einer Region wurde dagegen sogar die größte Stärke in Wettbewerbsfähigkeit und Innovation gesehen.

Beispielhaft soll hier die freie Kreisstadt Pirmasens und ihre Entwicklung im Zukunftsatlas betrachtet werden:

Tabelle: Bewertung der kreisfreien Stadt Pirmasens im Zukunftsatlas 2004 bis 2019
Zeitpunkt
(Anzahl Regionen)
Klassen-
Stufe
Index-
Wert
Gesamtrang

Bereichsrang

Demografie Lage/Wohlstand Arbeitsmarkt Innovation
2004 (439) 5 39,4 293 338 359 183 244
2007 (439) 5 40,7 290 321 310 266 223
2010 (412) 7 k.A. 379 328 394 328 394
2013 (402) 7 k.A. 372 294 393 359 299
2016 (402) 7 k.A. 374 308 394 308 279
2019 (401) 7 k.A. 376 251 397 327 269
Quelle: Zukunftsatlas 2019: Handelsblatt; Zukunftsatlas 2004 bis 2016: Prognos

Der Klassenabstieg von Pirmasens erfolgte bereits im Zukunftsatlas 2010. Seitdem hat sich an der Einschätzung der Zukunftsfähigkeit von Pirmasens kaum etwas verändert. Das Beispiel von Pirmasens zeigt, dass das Bild einer Aufholjagd des Ostens in den letzten Jahren kaum stimmig ist. Gleiches gilt für Wilhelmshaven, das ebenfalls 2010 um zwei Klassenstufen abstieg. Der Abstieg von Herne begann sogar schon 2007 (eine Klassenstufe), vollzog sich aber länger bis zum Zukunftsatlas 2013 (weiterer Abstieg um eine Klassenstufe). 

Eher muss also für die westdeutschen Städte Pirmasens und Wilhelmshaven das Bild einer Stagnation gezeichnet werden. Der gravierende Klassenabstieg in Pirmasens und Wilmhelmshaven ist in erster Linie der Reduzierung der Regionen im strukturschwächsten Sektor geschuldet und nicht einer Aufholjagd der ostdeutschen Regionen. Eine Ursachenanalyse kann kaum mit pauschalen Etiketten wie bei RICKENS erfolgen, sondern bedarf einer differenzierteren Betrachtung von Abstiegsverläufen einzelner Regionen.

Der Vergleich mit anderen "Rankings" kann hilfreich sein, um die Schwankungsbreite der Einschätzungen zu beurteilen. Beim Finanzreport 2019 der neoliberalen Bertelsmann-Stiftung werden z.B. die Höhe von Kassenkrediten und die SGB-II-Quote als Indikatoren für schwache Regionen erhoben. Der Zukunftsatlas verwendet im Index "soziale Lage & Wohlstand" ebenfalls die kommunale Schuldenlast und den Anteil bzw. die Veränderung der Bedarfsgemeinschaften als Indikatoren. Ob jedoch die gleichen Zahlen verwendet werden, lässt sich nicht nachvollziehen. Betrachtet man das Beispiel Pirmasens, dann zeigt sich, dass der Bereichsrang Lage/Wohlstand in der Stadt das Hauptproblem ist. Im Zukunftsatlas geht jedoch die Langzeitwirkung der Verschuldungssituation von Regionen nicht in die Betrachtung ein. Lediglich die Veränderung der SGB-II-Quote wird beim Dynamikrang betrachtet.

Bereits im April erstellte das neoliberale Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung mit Die demographische Lage der Nation ein Ranking zur Zukunftsfähigkeit der 401 Kreise vor. Anders als Prognos war dafür die Entwicklung der Regionen bis zum Jahr 2035 ausschlaggebend. Die folgende Tabelle vergleicht die Klassenstufen 7 und 8 mit den Rängen des Berlin-Instituts. Dieses klassifiziert 6 Klassen, wobei mit Schulnoten bewertet wird. Da in der Veröffentlichung nur die Ränge der 20 letzten Regionen angegeben werden und die Noten sich nur durch die dritte Stelle hinter dem Komma unterscheiden, sind in der nachfolgenden Tabelle die Ränge teilweise zusammengefasst.

Tabelle: Vergleich des Zukunftsatlas 2019 mit der demographischen Lage der Nation

Zukunftsatlas 2019

Die demographische Lage der Nation

Klassen-
Stufe
Gesamt-Rang Land Region Gesamt-Rang Land Region Note Klassen-
Stufe
7 355 Niedersachsen Wilhelmshaven 353-355 Bremen Bremerhaven 4,08 5

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Brandenburg Ostprignitz-Ruppin
Sachsen Görlitz
356 Mecklenburg-Vorpommern Landkreis Rostock 356 Thüringen Unstrut-Hainich-Kreis 4,09
357 Nordrhein-Westfalen Herne 357-358 Sachsen-Anhalt Jerichower Land 4,10
358 Brandenburg Oberspreewald-Lausitz Nordrhein-Westfalen Bochum 4,10
359 Sachsen Erzgebirgskreis 359-361 Schleswig-Holstein Wittmund 4,11
360 Thüringen Schmalkalden-Meiningen Thüringen Gera 4,11
361 Brandenburg Frankfurt (Oder) Nordrhein-Westfalen Märkischer Kreis 4,11
362 Saarland Neunkirchen 362-363 Schleswig-Holstein Schleswig-Flensburg 4,12
363 Brandenburg Cottbus Thüringen Altenburger Land 4,12
364 Sachsen Nordsachsen 364-366 Niedersachsen Aurich 4,13
365 Thüringen Unstrut-Hainich-Kreis Thüringen Nordhausen 4,13
366 Thüringen Gera Rheinland-
Pfalz
Zweibrücken 4,13
367 Thüringen Greiz 367-368 Mecklenburg-Vorpommern Mecklenburgische Seenplatte 4,14
368 Thüringen Nordhausen Nordrhein-Westfalen Unna 4,14
369 Sachsen-Anhalt Harz 369 Niedersachsen Goslar 4,15
370 Brandenburg Brandenburg a.d. Havel 370-371 Schleswig-Holstein Ostholstein 4,17
371 Nordrhein-Westfalen Gelsenkirchen Nordrhein-Westfalen Mönchengladbach 4,17
372 Thüringen Saale-Holzland-Kreis 372 Brandenburg Prignitz 4,20
373 Brandenburg Ostprignitz-Ruppin 373 Rheinland-Pfalz Kusel 4,21
374 Mecklenburg-Vorpommern Ludwiglust-Parchim 374-376 Schleswig-Holstein Neumünster 4,24
375 Thüringen Saalfeld-Rudolfstadt Mecklenburg-Vorpommern Vorpommern-Rügen 4,24
376 Rheinland-Pfalz Pirmasens Nordrhein-Westfalen Hagen 4,24
377 Mecklenburg-Vorpommern Nordwestmecklenburg 377 Rheinland-Pfalz Birkenfeld 4,25
378 Nordrhein-Westfalen Oberhausen 378-379 Thüringen Kyffhäuserkreis 4,26
379 Sachsen Landkreis Görlitz Nordrhein-Westfalen Hamm 4,26
380 Thüringen Saale-Orla-Kreis 380-381 Schleswig-Holstein Steinburg 4,28
381 Sachsen-Anhalt Anhalt-Bitterfeld Sachsen-Anhalt Anhalt-Bitterfeld 4,28
382 Sachsen-Anhalt Landkreis Burgenland 382 Niedersachsen Holzminden 4,29
383 Bremen Bremerhaven 383 Nordrhein-Westfalen Bottrop 4,30
384 Thüringen Sonneberg, Lkr 384 Mecklenburg-Vorpommern Vorpommern-Greifswald 4,30
385 Sachsen-Anhalt Wittenberg 385 Nordrhein-Westfalen Recklinghausen 4,31
386 Thüringen Kyffhäuserkreis 386 Niedersachsen Emden 4,32
387 Rheinland-Pfalz Kusel 387 Saarland Saarbrücken 4,33
388 Mecklenburg-Vorpommern Vorpommern-Rügen 388 Niedersachsen Lüchow-Dannenberg 4,35
389 Thüringen Altenburger Land 389 Sachsen-Anhalt Salzlandkreis 4,36
390 Sachsen-Anhalt Salzlandkreis 390 Saarland Merzig-Wadern 4,36
391 Mecklenburg-Vorpommern Mecklenburgische Seenplatte 391 Niedersachsen Wilhelmshaven 4,37
8 392 Brandenburg Uckermark 392 Saarland Neunkirchen 4,39
393 Brandenburg Elbe-Elster 393 Nordrhein-Westfalen Oberhausen 4,42
394 Mecklenburg-Vorpommern Vorpommern-Greifswald 394 Nordrhein-Westfalen Duisburg 4,44
395 Brandenburg Prignitz 395 Sachsen-Anhalt Mansfeld-Südharz 4,44
396 Niedersachsen Lüchow-Dannenberg 396 Brandenburg Uckermark 4,47
397 Brandenburg Spree-Neiße 397 Sachsen-Anhalt Stendal 4,50 6
398 Sachsen-Anhalt Mansfeld-Südharz 398 Nordrhein-Westfalen Herne 4,50
399 Sachsen-Anhalt Jerichower Land 399 Schleswig-Holstein Dithmarschen 4,51
400 Sachsen-Anhalt Altmarkkreis Salzwedel 400 Rheinland-Pfalz Pirmasens 4,54
401 Sachsen-Anhalt Stendal 401 Nordrhein-Westfalen Gelsenkirchen 4,71
Quelle: Zukunftsatlas 2019: Prognos; Die demographische Lage der Nation; eigene Berechnungen

Nur 32 Regionen von 58 Regionen wurden in beiden Rankings in die letzten beiden Klassen eingestuft. Im Zukunftsatlas werden 15 Regionen schlechter bewertet als im demographischen Lage-Ranking (gelbe Markierung). Eine Region wird gar um zwei Stufen schlechter eingestuft (Fettdruck). Im Lage-Ranking wurden unter den 58 Regionen des Zukunftsatlas 23 Regionen schlechter eingestuft. 12 Regionen sind im Zukunftsatlas sogar zwei Stufen besser eingestuft. Regionen in Schleswig-Holstein findet sich nur im demographischen Lage-Ranking. Unter den 58 Regionen des Zukunftsatlas finden sich nur 3 Regionen aus Nordrhein-Westfalen. Außer diesen Regionen finden sich im demographischen Lage-Ranking 9 weitere Regionen.

Selbst bei den 32 Regionen, die übereinstimmend von beiden Rankings zu den 58 strukturschwächsten Regionen gezählt werden, gibt es teils große Differenzen bei der Platzierung. So wird Gelsenkirchen im Zukunftsatlas mit Rang 371 um 30 Ränge besser eingestuft. Auch das hoch verschuldete Pirmasens wird mit Rang 371 besser eingestuft (Rang 400 beim Berlin-Institut). Bei der Ruhrgebietsstadt Herne beträgt der Unterschied sogar (Rang 357/398) 41 Ränge.

Fazit: Obwohl beide Rankings behaupten, dass sie die Zukunftsfähigkeit der Regionen in Deutschland prognostizieren können, gibt es eklatante Abweichungen hinsichtlich der strukturschwächsten Regionen in Deutschland. Die Auswahl und Anzahl der Indikatoren (29 vs 21) sowie die Gewichtung haben Einfluss auf die Einstufung. So fließt z.B. bei Prognos im Demografieindex die Entwicklung und der Anteil der jungen Bevölkerung stak ein, während beim Berlin-Institut mit Lebenserwartung und Anteil der Hochbetagten zwei Indikatoren einfließen, die auf die Alterung abzielen. 

Das Berlin-Institut behauptet gar, dass uns das Bild von Deutschland im Jahr 2035 präsentiert wird, obwohl lediglich einer der Indikatoren (Bevölkerungsprognose) überhaupt Daten für dieses Jahr liefert. Alle anderen Indikatoren beziehen sich auf Zeitpunkte in der Vergangenheit. Gerade Regionalprognosen sind äußerst anfällig für Fehlerhaftigkeit. Es hat einen guten Grund, dass Prognos sein Ranking alle drei Jahre erneuert, denn viele Indikatoren ändern sich sogar in dieser kurzen Zeitspanne gravierend.            

Ist Teltow-Fläming beispielhaft für Brandenburg? Oder warum nicht Dahme-Spreewald?

RICKENS stellt uns den brandenburgischen Landkreis Teltow-Fläming als beispielhaft für die Aufholjagd der ostdeutschen Bundesländer vor:    

Aufholjagd der Schmuddelkinder

"Nirgendwo in Deutschland haben sich die wirtschaftlichen Zukunftschancen derart schnell verbessert wie in Teltow-Fläming. Für den Kreis südlich von Berlin ging es seit 2016 um 115 Plätze nach oben, er liegt nun auf Platz 170 des Rankings."
(S.45)

Im Gegensatz zu Sachsen bestehen die 14 Landkreise und kreisfreien Städte in Brandenburg seit 1993, d.h. es gab keine Kreisgebietsreformen, die das Bild seit dem ersten Zukunftsatlas 2004 verfälscht haben könnten. Das liegt daran, dass die angestrebten Kreisreformen bislang nicht durchgesetzt werden konnten. Die rot-rote Landesregierung scheiterte zuletzt mit ihrem Reformvorhaben, bei der die 14 Landkreise auf 11 reduziert werden sollten. Teltow-Fläming hätte danach mit Dahme-Spreewald fusioniert werden sollen. Wäre also Rot-Rot nicht gescheitert, dann könnte uns RICKENS Teltow-Fläming nicht als Vorbild präsentieren. Aus der nachfolgenden Tabelle wird ersichtlich, was eine solche Fusion bedeutet hätte:

Tabelle: Vergleich der Landkreise Teltow-Fläming und Dahme-Spreewald
beim Zukunftsatlas 2004 und 2019
Bereich Zukunftsatlas 2019 (2004) Zukunftsatlas 2019 (2004)
Teltow-Fläming Dahme-Spreewald
Klassenstufe 5 (5) 5 (6)
Gesamtrang 170 (226) 200 (347)
Dynamikrang 7 (109) 41 (372)
Stärkerang 277 (280) 264 (317)
Demografierang 233 (256) 279 (269)
Arbeitsmarktrang 311 (318) 77 (401)
Innovationsrang 30 (45) 265 (242)
Lage/Wohlstandrang 205 (272) 243 (316)
Quelle: Zukunftsatlas 2019: Handelsblatt; Zukunftsatlas 2004: Prognos

Vergleicht man nicht wie RICKENS 2016 mit 2019, sondern 2004 mit 2019, dann ist einzig Dahme-Spreewald wirklich aufgestiegen. Dies zeigt auch eine Tabelle auf der Website von Prognos. Vergleicht man den Demografieindikator, dann gab es nur für das Berlinnahe Teltow-Fläming, aber nicht für Dahme-Spreewald eine Verbesserung. Über 15 Jahre hinweg konnte Teltow-Fläming seine Position kaum verändern, trotz Demografiebonus, während Dahme-Spreewald - trotz Demografiemalus - seine Position um eine Stufe verbessern konnte. Auch hier zeigt sich also kein enger Zusammenhang zwischen demografischer Entwicklung und Zukunftsfähigkeit einer Region.

Die Auswahl des Betrachtungszeitraums kann zudem die Interpretation der Ergebnisse stark beeinflussen. Warum hat also RICKENS Teltow-Fläming, statt Dahme-Spreewald herausgehoben? Offenbar passte die Demografieentwicklung von Dahme-Spreewald nicht zur Behauptung des Artikels, dass diese ein entscheidender Faktor für die Zukunftsfähigkeit einer Region ist. Außerdem widerspricht Dahme-Spreewald der Behauptung, dass die Berlinnähe die Positionierung bei der Zukunftsfähigkeit entscheidend verbessert ("Spill-over- und tripple-down-Effekte"). Entscheidender sind Infrastruktureffekte.

Der Lage/Wohlstandrang wird uns vom Handelsblatt auf der Website vorenthalten. Dies betrifft die Kaufkraft, die Kriminalitätsrate, die kommunale Schuldenlast und der Anteil bzw. die Entwicklung der Bedarfsgemeinschaften (Hartz-Gesellschaft!). Dieser Bereichsindikator findet man lediglich in der Prognos-Broschüre Auf einen Blick.

Die Angst vor der Alternative für Deutschland führt zur Tabuisierung von Entwicklungen, die nicht zur heilen kosmopolitischen Welt passen    

RICKENS hat sich als einzigen "unabhängigen" Experten einen im Saarland geborenen FDP-Politiker geholt, der unter der CDU/FDP-Regierung Finanzminister in Sachsen-Anhalt wurde. Karl-Heinz PAQUÉ sieht entsprechend seiner politischen Einstellung nicht falsche neoliberale Weichenstellungen als Problem für Ostdeutschland, sondern betont neben der demografischen Abwärtsspirale (Abwanderung der Mobilen, Zurückbleiben der Frustrierten), die zum notwendigen Abbau von Infrastruktur (z.B. Schulschließungen) führen, nur den gesellschaftspolitischen Aspekt:   

Aufholjagd der Schmuddelkinder

"Das größte Risiko sieht Paqué für entlegene ländliche Regionen vor allem im gesellschaftlichen Bereich. Er warnt vor einem »Zusammenbruch der Bürgergesellschaft«, der solche Regionen endgültig veröden lasse.
(...).
»Wenn die Bürger erst einmal das Gefühl haben, dass alles von anonymen Instanzen über ihren Kopf hinweg entschieden wird, entsteht schnell ein Gefühl des Ausgeliefertseins, das nebenbei auch einen Nährboden für die AfD bietet.«"
(S.46)

Bei dieser Beschreibung bleibt außen vor, dass z.B. Schulschließungen keineswegs eine notwendige Konsequenz des demografischen Wandels waren, sondern regelmäßig durch tendenziöse Annahmen zur Geburtenentwicklung bei Bevölkerungsvorausberechnungen gerechtfertigt wurden. Das Beispiel des neoliberalen Musterknaben Sachsen ist dafür kennzeichnend. Der Erzieherinnen- und Lehrermangel in Deutschland ist kein demografisches Problem, sondern ein von der herrschenden neoliberalen Politik verursachtes Phänomen.

Die Lobpreisung des "weltoffenen" Leipzig bei RICKENS geht einher mit der Tabuisierung der Entwicklung von Dresden. Die durch Pegida in Kritik geratende Stadt schaffte als einzige Stadt in Ostdeutschland einen Aufstieg über drei Klassenstufen zwischen 2004 und 2019. Dresden steht damit in Sachen Zukunftsfähigkeit im krassen Gegensatz zum Landkreis Görlitz als sächsisches Schlusslicht. Die Tatsache, dass sowohl in der erfolgreichsten als auch in der strukturschwächsten Region die AfD eine starke Stellung einnimmt, passt so gar nicht zu dem gängigen kosmopolitischen Weltbild.   

Fazit: Bei Rankings wie dem Zukunftsatlas ist die Blickrichtung zu sehr vorgegeben, was zu Fehleinschätzungen führt 

Wie hier gezeigt werden konnte, legt bereits die Auswahl der berücksichtigten Indikatoren die Blickrichtung fest. Dem demografischen Wandel wird dadurch viel Aufmerksamkeit gewidmet, während z.B. Infrastruktureffekte aus dem Blick geraten. Der Zukunftsatlas wird zudem von einem profitorientierten Unternehmen erstellt, worunter die Transparenz leidet. Wichtige Informationen zur Bewertung der Ergebnisse werden dadurch vorenthalten. Es konnte gezeigt werden, dass Zeitvergleiche schnell zu Fehleinschätzungen führen können, weil sich im Laufe der Zeit entweder die Regionenzuschnitte oder die Indikatoren/Kritierien geändert haben. Aussagekräftigere Angaben wie z.B. Indexwerte oder die Kriterien der Klassenstufen (Klassifizierung) bleiben im Unklaren. Aufgrund der mangelnden Transparenz des Rankings konnte daher nur auf mögliche Fehlerquellen hingewiesen werden. Außerdem zeigt sich, dass zwischen den Fakten und den Interpretationen zuweilen kein Zusammenhang besteht, der der Überprüfung standhält. Die behauptete Abnahme der Kluft zwischen Ost- und Westdeutschland ist keineswegs so umfassend, wie der Artikel von RICKENS das suggeriert. Stattdessen werden Aspekte wie z.B. der Bereich Wohlstand/Lage einfach ausgeblendet, weil er das schöne Bild nicht bestätigt. Die Polarisierung zwischen ostdeutschen Regionen, die durch politische Verstärkungsprozesse hervorgerufen wurden, werden tabuisiert. Alles in allem lässt der Zukunftsatlas zu viele Fragen offen. Zukunftsfähigkeit ist keine lineare Fortschreibung demografischer Faktoren der Vergangenheit wie sie das Ranking suggeriert. Vielmehr - das zeigen die früheren Rankings eindrucksvoll - zwingen Brüche zu Neubewertungen der Zukunftsfähigkeit. Sowohl die Digitalisierung als auch die Wohnungssituation blieben im Jahr 2004 völlig unberücksichtigt, weshalb dem demografischen Wandel viel zu sehr Gewicht beigemessen wurde, was nun korrigiert werden musste. Zusammenfassend kann deshalb gesagt werden: nichts ist so sehr veraltet wie die Gewissheiten vergangener Rankings!   

Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte

"Dies ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt. Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
          
 Es wird aufgezeigt, dass sich die nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen.
          
 Die Rede von der "Single-Gesellschaft" rechtfertigt gegenwärtig eine Demografiepolitik, die zukünftig weite Teile der Bevölkerung wesentlich schlechter stellen wird. In zahlreichen Beiträgen, die zumeist erstmals im Internet veröffentlicht wurden, entlarvt der Soziologe Bernd Kittlaus gängige Vorstellungen über Singles als dreiste Lügen. Das Buch leistet damit wichtige Argumentationshilfen im neuen Verteilungskampf Alt gegen Jung, Kinderreiche gegen Kinderarme und Modernisierungsgewinner gegen Modernisierungsverlierer."

 
     
 
       
   

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webmaster@single-generation.de Erstellt: 07. Juli 2019
Update: 09. August 2019