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Kommentierte Bibliografie

 
       
   

Der ländliche Raum und Mittelstädte im demografischen Wandel

 
       
   

Abschied von der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse oder Rückbesinnung der Politik auf die Stärkung von Gebieten jenseits der Großstädte und Ballungszentren? Eine kommentierte Bibliografie der Debatte (Teil 6)

 
       
     
   
     
 

Vorbemerkung

Urbanität gilt in der Wissenschaft seit langem als Leitbild und spätestens seit neoliberale Standortortpolitik und Identitätspolitik eine Liaison eingegangen sind, wurde der ländliche Raum abgeschrieben. Die Demografisierung gesellschaftlicher Probleme hat dazu beigetragen, dass die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse kein Wert mehr ist, sondern das angeblich Alternativlose wurde auch noch politisch gefördert. Seit jedoch der Rechtspopulismus den neoliberalen Konsens gefährdet, wurde auch in Deutschland der ländliche Raum als Möglichkeit zur politischen Profilierung entdeckt. Die kommentierte Bibliothek soll einen Überblick über diese Debatte ermöglichen.   

Kommentierte Bibliografie (Teil 6: 2018)

2018

PREUß, Susanne (2018): Oberkochen und die Angst vor 1000 Arbeitsplätzen.
Baden-Württemberg: Auf der Schwäbischen Alb sorgt die Förderung und Ansiedelung eines koreanischen Unternehmens für Ärger,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 03.01.

ASTHEIMER, Sven & Rüdiger KÖHN (2018): Arbeitgeber in Eichstätt? Na, viel Spaß.
Bayern: 1,2 Prozent - nirgendwo ist die Arbeitslosigkeit niedriger als in dem bayerischen Landkreis. Wie finden kleinere Unternehmen dort noch Mitarbeiter?
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 04.01.

MORGENSTERN, Tomas (2018): Mit Fördergeld gegen den Verfall.
Brandenburg unterstützt mit Millionensummen den Erhalt seines baulichen Denkmalerbes,
in:
Neues Deutschland v. 04.01.

Warum gibt Brandenburg Millionen für "Kirchen und Religionsgemeinschaften" aus, um deren Gebäude zu erhalten, während das Geld im Bildungssystem besser angelegt wäre? Die deutschen Kirchen sind vermögend genug, um ihre Gebäude selber zu erhalten!

Im Gegensatz zu anderen ostdeutschen Ländern (z.B. Sachsen) klafft die aktuelle Prognose der Kultusministerkonferenz und die tatsächliche Geburtenentwicklung für Brandenburg noch nicht so weit auseinander wie die nachfolgende Tabelle zeigt:

Tabelle: Die Entwicklung der Geburten in Brandenburg 2009 - 2015 im Vergleich zur
Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK)
Jahr 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
Gesamtzahl 18.537 18.954 18.279 18.482 18.355 19.339 19.112
1. Kinder fehlt fehlt fehlt 9.369 9.305 9.836 9.443
2. Kinder fehlt fehlt fehlt 6.525 6.464 6.751 6.801
3. Kinder fehlt fehlt fehlt 1.755 1.788 1.875 1.948
4. Kinder fehlt fehlt fehlt 521 512 553 575
5. Kinder fehlt fehlt fehlt 188 168 188 198
6. u.w. Kinder fehlt fehlt fehlt 124 118 136 147
Geburtenrate (TFR) 1.397,6 1.446,8 1.410,3
1.432,3*
1.441,0
1.464,3*
1.443,5
1467,7*
1.550,3* 1.533,5*
KMK-Prognose   18.954 18.279 18.600 18.300 17.900 17.500
Differenz   0 0 - 118 + 55 + 1.439 +1.612
Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Statistische Berichte Eheschließungen, Geborene und
Gestorbene in Brandenburg 2009 - 2015;
Vorausberechnung der Kultusministerkonferenz
Anmerkung: * Geburtenrate auf Basis des Zensus 2011

In Brandenburg wurden 2016 zwischen Januar und November bereits 19.199 Kinder geboren (Prognose KMK: 17.100). Zuerst wird man dieses Auseinanderklaffen bei der Kinderbetreuung spüren und dann auch im Grundschulbereich. Lehrer, die nicht rechtzeitig ausgebildet wurden, stehen nicht rechtzeitig zur Verfügung. Zumal die Situation in anderen Bundesländern weit angespannter ist.

LAUER, Céline (2018): Dieses verdammte Dorf.
Alwine in Brandenburg wurde im Dezember versteigert. Für 140.000 Euro. Der neue Besitzer macht nun einen Rückzieher. Der Grund klingt beunruhigend - und lässt die Bewohner bang zurück,
in:
Welt v. 02.02.

LEITHÄUSER, Johannes & Matthias WYSSUWA (2018): Frust und Frieden.
Mecklenburg-Vorpommern: Alles hängt manchmal mit allem zusammen: eine Werft in der ostdeutschen Provinz mit den Koalitionsverhandlungen, der Streit über Rüstungsexporte mit den Sorgen in Vorpommern. Eine Geschichte über große Politik und die ganz kleine,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 03.02.

LEITHÄUSER & WYSSUWA haben mit ihrem Artikel zu einer Änderung des Passus im Sondierungspapier (Stand: 12.01.2018) beigetragen. Dort hieß es:

"Die Bundesregierung wird ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese am Jemen-Krieg beteiligt sind." (S.26).

Im Koalitionsvertrag (Stand: 07.02.2018) heißt es dagegen:

"Wir werden ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind. Firmen erhalten Vertrauensschutz, sofern sie nachweisen, dass bereits genehmigte Lieferungen ausschließlich im Empfängerland verbleiben."
(Zeilen 7075-7078)

In ihrem Artikel geht es um die Peene-Werft in Wolgast, dem Bundestagswahlkreis des CDU-Politikers Philipp AMTHOR. LEITHÄUSER & WYSSUWA stellen SPD- und Linkspartei-Politiker an den Pranger, sogar dass der Passus bereits von den Grünen in den Jamaika-Verhandlungen durchgesetzt wurde, wird hervorgehoben. CDU und AfD-Fraktion waren sich im Landtag bei einer aktuellen Stunde einig, dass der Export unproblematisch sei.

Der Tenor lautet, dass der Stopp des Exports die Werft bedroht. Dazu wird die Geschichte der Werft seit der Wiedervereinigung als Niedergang beschrieben. Die Autoren legen nahe, dass notfalls der Koalitionsvertrag mittels Bundessicherheitsrat umgangen werden könne.

Am Schluss wird ein "pragmatischer" Kommunalpolitiker der Linkspartei zitiert, der die Moral dieser Geschichte zusammenfasst:

"die Leute hier müssten arbeiten und ihre Familie ernähren. (...). »Ich habe Verantwortung für die Menschen hier.« Da müsse man die Ideologie einmal weglassen, sagt er. Und wenn man doch anders entscheide, dann müsse man sich den Wählern hier stellen."

Fazit: Um der AfD das Wasser abzugraben, gibt man seine Grundsätze auf. Das Beispiel aber zeigt auch, dass CDU und AfD bereits jetzt mehr verbindet als die ehemals linken Parteien. Es könnte also gut sein, dass Mitte-Rechts-Regierungen in Deutschland schneller kommen als so mancher meint. FAZ und Springer-Medien arbeiten jedenfalls bereits mehr oder weniger subtil an der Annäherung beider Parteien.

PEIKERT, Denise (2018): Wo Brohm sich täglich Beulen holt.
Sachsen-Anhalt: Tangerhütte in Sachsen-Anhalt ist dünn besiedelt und verschuldet. Doch Bürgermeister Andreas Brohm, ehemals Musical-Manager, will seinen Heimatort groß herausbringen. Ein Lehrstück aus einem Land der zwei Geschwindigkeiten,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 11.02.

MÄDLER, Katrin (2018): Wo Sachsens letzter König untertauchte.
Sachsen: Die Staatsbäder Bad Elster und Bad Brambach boomen - sie gelten als Wirtschaftsmotor des oberen Vogtlands,
in:
Neues Deutschland v. 14.02.

HUBER, Julia (2018): Viechtach forever.
Bayern: Rückständig und provinziell, so lautet das Klischee vom Bayerischen Wald. In einer Kleinstadt arbeiten ein paar junge Leute am Gegenteil, gründen Unternehmen und eröffnen Clubs. Aus Liebe zur Heimat,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 17.02.

Die Landtagswahl in Bayern wirft längst ihre Schatten voraus. Die SZ begreift sich inzwischen als PR-Agentur des bayerischen Heimatministeriums, so jedenfalls liest sich dieser Artikel, der mit Fakten über Viechtach geizt, aber dafür viel Folklore liefert:

"Die 8200-Einwohner-Stadt liegt mitten im Bayerischen Wald. Nach Prag ist es genauso weit, wie nach München. Die meisten kennen Viechtach nur vom Strafzettel - hier sitzt die zentrale Bußgeldstelle."

Die Hinterwäldler werden uns als Provinz-Hipster vorgestellt. Eine Handvoll Männer um die 30 sollen den neuen Lokalpatriotismus verkörpern - gemessen an der Einwohnerschaft irgendwo bei 0,irgendwas Prozent. Brauchen wir solchen Heimat-Journalismus, der sich in seichter PR erschöpft? 

LÖHR, Julia (2018): Berlins neue Landliebe.
Mit einem Heimatministerium will die Politik den Menschen auf dem Land schmeicheln. Die fühlen sich zunehmend abgehängt - woran sie selbst aber nicht ganz unschuldig sind,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 20.02.

"»Deutschland spaltet sich demographisch«, heißt es in einer kürzlich erschienenen Studie von Empirica. 193 der 402 Landkreise und kreisfreien Städte haben demnach in den Jahren 2010 bis 2014 junge Menschen durch Abwanderung verloren. 131 Landkreisen kamen sogar mehr als 10 Prozent der Jungen abhanden",

zitiert Julia LÖHR aus einem Hintergrundpapier von Harald SIMONS zu einer Auftragsstudie vom Oktober 2017. Außerdem zitiert sie aus dem Raumordnungsbericht 2017 über das Nebeneinander von Schrumpfung und Wachstum (BT-Drucksache 18/13700 v. 23.10.17, S.27ff.).

Unvermeidlich bei solchen Themen - wird Reiner KLINGHOLZ zitiert, der entsprechend der neoliberalen Ideologie, die die Schuld bei Missständen  den Menschen zuschreibt, im mangelnden bürgerschaftlichen Engagement der Menschen für ihre Gemeinde. Darauf spielt wohl auch die Schlagzeile ab.

GÖRES, Joachim (2018): Weg mit den Werbelogos.
Niedersachsen: Wie Celle um seine Fachwerkfassaden ringt,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 02.03.

Joachim GÖRES berichtet über die geplante Reform der Gestaltungssatzung aus dem Jahr 1978 in Celle:

"Welche widerstreitenden Interessen dabei aufeinanderstoßen, ist gegenwärtig im niedersächsischen Celle zu beobachten, wo sich mit fast 500 Fachwerkhäusern das größte geschlossene Fachwerkensemble Deutschlands findet. Eine Stadt mit 70.000 Einwohnern, die mit Leerstand von Geschäften im Zentrum zu kämpfen hat, wo abends - auch weil hier nur wenige Menschen leben - oft nicht mehr viel los ist. Dies dürfte auch ein Grund sein, warum die aktuelle Gestaltungssatzung von 1978 jetzt eine Neufassung bekommt und in einigen Punkten entschärft werden soll."

GÖRES beschreibt in erster Linie den Interessenkonflikt zwischen Tourismusbranche und der innenstädtischen Geschäfte und Gastronomie, wobei es hier um einen Scheinkonflikt geht. Dass verklebte Schaufenster und größere Werbelogos die Attraktivität von Läden für Käufer erhöhen, darf bezweifelt werden. Da lügen sich die Geschäftsinhaber und Wirtschaftsförderer in die eigene Tasche. Ohne Tourismus sähe es dagegen in manchen Kleinstädten noch trister aus als es jetzt schon ist. Die Klagen des Sozialverbands Deutschlands und die Interessen der Bewohner kommen bei GÖRES nur am Rande zur Sprache.  

JUNG, Hagen (2018): Kassen kündigen kleiner Klinik.
Harzer Krankenhaus "nicht gebraucht" - Niedersachsens Sozialministerium will es erhalten,
in:
Neues Deutschland v. 08.03.

"Dem Landkreis Goslar hatte das Haus gehört, bis der es 2003 an Deutschlands größten Klinikbetreiber (...) verkaufte. Nun wollen sich die Kassen vom Krankenhaus in Clausthal trennen (...).
Noch nie seit der Gründung des Landes Niedersachsen hatten sich die gesetzlichen Krankrenkassen zu so einem einschneidenden Schritt entschlossen (...): Die Kündigung eines Versorgungsvertrages",

berichtet Hagen JUNG über die Klinik im rund 15.000 Einwohner zählenden Clausthal-Zellerfeld.

RIBNITZKY, Simon (2018): "Muss sich erst herumsprechen".
Sachsen-Anhalt: Noch sind wenige Fahrgäste mit dem ersten Bürgerbus Sachsen-Anhalts unterwegs,
in:
Neues Deutschland v. 09.03.

JUNG, Hagen (2018): Kleinseenplatte will Kurtaxe kassieren.
Mecklenburg-Vorpommern: Aber Touristiker im Nordosten befürchten negative Auswirkungen auf Übernachtungszahlen,
in:
Neues Deutschland v. 09.03.

"Die Gemeinden Mirow, Wesenberg, Wustrow und Priepert wollen von Urlaubern künftig Kurtaxe kassieren, einen Euro pro Tag und Gast",

berichtet Hagen JUNG über das Amt Kleinseenplatte in Mecklenburg-Vorpommern. Touristisch gesondert vermarktet wird der Mirower Ortsteil Roggentin. Die Umsetzung setzt jedoch voraus, dass Wustrow und Priepert vom Wirtschaftsministerium als Kur- oder Erholungsort anerkannt werden.

SCHMIDIGEN, Tom (2018): Oh wie schön ist Pirmasens.
Rheinland-Pfalz: Kaum eine Stadt ist unter Flüchtlingen so beliebt wie Pirmasens - doch weil immer mehr in den Ort ziehen, fordern selbst Helfer eine Zuzugsperre,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 17.03.

Pirmasens, Foto: Bernd Kittlaus 2018

LEITHOLD, Iris (2018): Das Henne-Ei-Problem der Kleinstädte.
Mecklenburg-Vorpommern: Wie im mecklenburgischen Ludwigslust versucht wird, der Verödung der Innenstädte zu begegnen,
in:
Neues Deutschland v. 23.03.

"In Teilen der Ludwigsluster Innenstadt ist der Leerstand von Einzelhandelsgeschäften unübersehbar. Die knapp 13.000 Einwohner zählende Kommune im Südwesten Mecklenburg-Vorpommerns ist mit ihrem Problem nicht allein: Abgesehen von Lebensmittelmärkten, sind die Geschäfte des Einzelhandels im ganzen Land rückläufig",

berichtet Iris LEITHOLD über die Probleme des innerstädtischen Einzelhandels. Zur Rettung werden Möglichkeiten aufgezeigt, die von der Verkleinerung der Shopping-Zone bis zur Gastronomisierung reichen. Am Schluss wird auf den Einfluss eines geplanten Factory-Outlet Centers auf die umliegenden Innenstädte, zu denen Ludwigslust und Hagenow gehören, eingegangen.

taz-Titelgeschichte: We love Frankfurt (Oder).
Ganz im Osten der Republik in Frankfurt (Oder) wurde ein 33-Jähriger Links-Grüner zum Oberbürgermeister gewählt. Wie sich eine Stadt neu erfindet

DAUM, Philipp (2018): Aufbruch Ost.
Brandenburg: Ein links-grüner 33-Jähriger wurde Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder. Was man daraus für den Umgang mit der AfD lernen kann,
in:
TAZ v. 24.03.

SCHMIDT-LUNAU, Christoph (2018): Kein Platz für mehr Flüchtlinge.
Rheinland-Pfalz: Ab Montag will das pfälzische Pirmasens keine Asylbewerber mehr aufnehmen. Wie konnte es so weit kommen? Eine Geschichte von bemühten Erzieher*innen und einer überforderten Gemeinde,
in:
TAZ v. 26.03.

Pirmasens, Foto: Bernd Kittlaus 2018
 
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG-Wochenthema: Das Schicksal der Wirtshäuser.
Jeder hat gern ein Gasthaus in der Nähe. Aber geht man dort auch hin? Und wer mag sich noch vorstellen Wirt zu sein? Die Zahl der Häuser sinkt drastisch. Die gute Nachricht: Rettungsarbeiten haben begonnen

KOTTEDER, Franz (2018): Dorfkulturerbe.
Bayern: Was wäre eine Welt, in der es keine Wirtshäuser mehr gäbe? Wie ein Gasthaus in Oberbayern endlich wieder leuchtet und was sich von seinen Betreibern lernen lässt,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 31.03.

"Altenau ist eigentlich ein klassischer Kandidat fürs Wirtshaussterben: Gerade mal 680 Einwohner zählt das Dorf am Rand der Alpen; Murnau, die nächste Stadt im bayerischen Oberland ist mit dem Auto nur 20 Minuten entfernt. (...). Und tatsächlich war es ja schon einmal so weit, 2002 machte das Wirtshaus dicht und stand zehn Jahre lang leer, bis dann sieben Leute aus dem Dorf fanden, dass das kein Zustand ist",

heißt es in dem Artikel. Dass der SZ das Wirtshaussterben ein Wochenthema wert ist, während der Geburtenanstieg und seine Herausforderungen gerade mal einen lapidaren Kommentar wert ist, das zeigt die typisch deutsche Fixierung auf das Aussterben, statt die wirklich drängenden Fragen unserer Zeit anzugehen.

HÖLL, Susanne (2018): Wenn aus Freude Überforderung wird.
Rheinland-Pfalz: Nun gilt auch in Pirmasens ein Zuzugsstopp für Flüchtlinge - genehmigt von einer grünen Ministerin,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 31.03.

REY, Manfred (2018): Anzahl der Ärzte auf Rekordstand.
Es gibt wieder mehr Mediziner in Brandenburg. Jeder siebte von ihnen kommt aus dem Ausland,
in: Neues Deutschland v. 03.04.

EXNER, Ulrich (2018): Der zweifelhafte Nutzen der Zuzugssperren.
Städte mit "negativer Wohnsitzauflage" für Flüchtlinge haben noch immer gravierende Probleme,
in:
Welt v. 03.04.

SIEMONS, Mark (2018): Das Steakhaus als Erlebnispark.
Niedersachsen: Die deutschen Innenstädte drohen zu veröden. Können gastronomische Ersatzangebote sie retten? Überlegungen über die Zukunft der Zentren am Beispiel von Celle,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 05.04.

Mark SIEMONS wendet sich gegen das Modell innerstädtische Fußgängerzone, in dem die Filialisten bekannter Marken dominieren. Während die Interessenvertreter des Handels und der Immobilienwirtschaft das Konzept nur modifizieren wollen, z.B. durch die "Gastronomisierung", die Moralisierung des Konsums ("Heimat shoppen"), Lockerung des Denkmalschutzes im Sinne der Gewerbetreibenden oder die weitere Eventisierung durch verkaufsoffene Sonntage, sieht SIEMONS in der Rettung des Modells innerstädtischer Fußgängerzone keinen Sinn:

"Das kommerzielle Kalkül geht nicht mehr auf, das seit den siebziger Jahren zur Einrichtung von mehr als vierhundert deutschen Fußgängerzonen voller Ladenketten führte, als Reaktion und zugleich nach dem Vorbild von Einkaufszentren an der Peripherie. (...). Von der Altstadt werden nur einige formale dekorative Elemente benutzt, nicht aber die Funktionen, die sie außer dem Markt ursprünglich hatte wie Wohnen, Arbeiten, Spielen."

Die Frage wie Konflikte zwischen Tourismus und Einheimischen verhindert werden sollen, stellt sich SIEMONS nicht. Städtereisen sind ein boomendes Segment in Deutschland, aber können sie die Verödung der Fußgängerzonen aufhalten oder beschleunigen sie eher den Niedergang?   

VOLLMUTH, Hannes (2018): Meine Heimat.
Brandenburg: Der deutschen Provinz laufen seit Jahren die Leute davon. Nach Südbrandenburg aber sind inzwischen so viele Menschen zurückgekehrt, dass schon der Ministerpräsident vorbeigeschaut hat. Was ist los?
in: Süddeutsche Zeitung v. 07.04.

HÖPNER, Axel (2018): Der ungeliebte Retter.
Siemens-Werk Görlitz: Die Medizintechnik-Firma Euroimmun will den Standort übernehmen, doch die Beschäftigten bleiben skeptisch,
in: Handelsblatt v. 27.04.

FREITAG-Wochenthema: Stadt, Land, Frust.
Wer Deutschlands Problem finden will, muss an den Rändern der Republik suchen

GLADIC, Mladen (2018): Rand, ein Zustand.
Peripherie: Leerstand, Arbeitslosigkeit, Zuzugsperre für Flüchtlinge: In Pirmasens findet sich eine deutsche Realität, die in urbanen Debatten selten eine Rolle spielt,
in: Freitag Nr.18 v. 03.05.

Pirmasens, Foto: Bernd Kittlaus 2018

ROßMANNEK, Oliver (2018): Wo ich herkomme, gibt es kein DSL.
Heimat: Unser Autor wuchs in Mecklenburg auf, zog in die Stadt - nun kennt er die Schattenseiten heutiger Arbeitsmobilität,
in: Freitag Nr.18 v. 03.05.

Oliver ROßMANNEK blickt von seinem Freiburger Lehrstuhl aus auf seine Heimatstadt Lübtheen in Mecklenburg-Vorpommern. Er kritisiert die neoliberale Standortpolitik (z.B. Exzellenzinitiative der Bundesregierung und Clusterförderung), die sich in der Stärkung starker Regionen erschöpft und dadurch die regionale Ungleichheit zusätzlich verstärkt, statt gegenzusteuern.

LÖHR, Julia (2018): Mehr Behörden braucht das Land.
Die Politik will die ländlichen Regionen beleben. Eine derzeit besonders beliebte Idee: Stellen im öffentlichen Dienst dorthin verlagern. Doch das ist leichter gesagt als getan,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 05.05.

Am neoliberalen Leitbild des schlanken Staates festhalten und gleichzeitig die strukturschwachen Gebiete stärken, geht das? Diese Frage stellt Julia LÖHR eigentlich, wenn sie fragt:

"Mehr Behörden aufs Land - ist das die Zukunftsperspektive für ausblutende Regionen?"

Natürlich geht das nicht. Neoliberalismus ist das genaue Gegenteil von Gegensteuern und daran ändern auch rhetorische Wendungen nichts.

"Schon seit dem Jahr 1992 gibt es die Vorgabe, Behörden vorrangig im Osten anzusiedeln, bis eine annähernd gleiche Verteilung in ganz Deutschland gewährleistet ist."

Dass gemäß LÖHR ausgerechnet Sachsen und Thüringen großen Nachholbedarf haben, ist wohl eher dem Umstand geschuldet, dass dort bei den nächsten Landtagswahlen ein Fiasko für die etablierten Parteien droht. Von einem Willen zur Stärkung strukturschwacher Räume kann auch gar keine Rede sein. Das neue Fernstraßenbundesamt - ein neoliberales Projekt par excellence - soll ausgerechnet in die gehypte Großstadt Leipzig. Dass dabei auch ein paar Außenstellen in Halle, Magdeburg, Erfurt und Dresden abfallen, statt in wirklich strukturschwachen Gegenden wird von LÖHR als Großtat hingestellt.

Fazit: Weiter-So und Aussitzen heißt die Devise nicht nur bei Politik, sondern auch in den Mainstreammedien!  

ROTHHAAS, Julia (2018): Land in Sicht.
Rheinland-Pfalz: Viele Orte in Deutschland kämpfen gegen Abwanderung. Ein Bürgermeister im Westerwald will nicht zusehen, wie seine Heimat verödet. Deshalb holt er die Menschen ins Dorf zurück,
in: Süddeutsche Zeitung v. 19.05.

Julia ROTHHAAS berichtet über die Verbandsgemeinde Wallmerod im Westerwald und ihren umtriebigen CDU-Bürgermeister:

"Vor 14 Jahren zählt er mit seinen Kollegen alle leer stehenden Häuser, unbebaute Grundstücke, aber auch Gebäude, in denen Menschen über 70 wohnen. Potenzieller Leerstand also. (...).
Er ist bereits in zweiter Amtszeit Verbandsbürgermeister von Wallmerod, einem Zusammenschluss von 21 Orten mit insgesamt knapp 15.000 Menschen. (...). Der kleinste Ort hier hat 120 Einwohner, der größte 2.100, alle mit eigenem Haushalt, Zuständigkeiten und Bürgermeister.
Wallmerod, Sitz der Verwaltungsgemeinde, war in den Sechszigerjahren ein begehrter Kurort, die Zechen im Ruhrgebiet schickten ihre Arbeiter wochenweise zum Luftschnappen. Es gab drei Bäcker, zwei Metzger, sieben Gaststätten, drei Schuhgeschäfte und zwei Schuster (...). Davon ist fast nichts mehr übrig. (...).
300 Projekte haben sie im Rahmen der Initiative »Leben im Dorf« gefördert, sprich: 300 Grundstücke in den Ortskernen wiederbelebt. Etwa 80 Familien sind dafür von außen in die Gemeinden gezogen, ansonsten ist der Bevölkerungsstand etwa gleich geblieben."

Wallmerod wird als Vorzeigegemeinde gepriesen, die junge Familien fördert. Doch die Schattenseiten dieser Einöde bleiben:

"Der Leerstand mag weniger geworden sein, öde ist es trotzdem. (...). Die Orte haben weder Kern noch Marktplatz, deswegen trifft man sich nicht einfach zufällig. (...). Die Heimat ist überschaubar, sie umspannt den Karnevalsverein, die Kirche, den Sportplatz - und das Eigenheim. Muss reichen."

Die Eigenheimbaugebiete der 1970er Jahre gelten inzwischen als Problem vieler wachstumsschwacher Gemeinden. Der CDU-Bürgermeister setzt nicht auf Kindergärten, sondern auf altersgerechtes Wohnen, obwohl die ICE-Bahnhöfe in Limburg an der Lahn und Montabaur nicht weit weg sind.

Fazit: In Deutschland herrscht immer noch die Fixierung aufs Aussterben vor, weshalb der Geburtenanstieg und seine Herausforderungen verschlafen werden. 

FRITSCHE, Andreas (2018): Klettern am Kraftwerkskessel.
Brandenburg: Ein Buch versammelt Geschichten zum Strukturwandel im Lausitzer Revier,
in: Neues Deutschland v. 29.05.

FRITSCHE, Andreas (2018): Das kinderfreundlichste Dorf.
Brandenburg: Neutrebbin liegt nicht im Berliner Speckgürtel und hält seine Einwohnerzahl trotzdem stabil,
in: Neues Deutschland v. 01.06.

ROSSBACH, Henrike (2018): Hilf dir selbst.
Mecklenburg-Vorpommern: 28 Jahre war Reinhard Dettmann Bürgermeister in Teterow. So lange wie sonst kaum einer im Osten Deutschlands. Über einen, den man nie bitten musste,
in: Süddeutsche Zeitung v. 06.06.

Henrike ROSSBACHs Hymne auf den scheidenden Bürgermeister und Physiker Reinhard DETTMANN der Kleinstadt Teterow im Landkreis Rostock in Mecklenburg-Vorpommern ist wenig informativ:

"Vor der Wende lebte die Stadt von der Landwirtschaft, vom Bau, von einem Kleiderwerk und der Reparatur von Panzern. 600 Leute arbeiteten im Panzerwerk, nie wieder sollte es einen derart großen Betrieb geben in der Stadt. »Wir hatten innerhalb kurzer Zeit 30 Prozent Arbeitslosigkeit«, sagt Dettmann, heute sind es rund sechs. (...). Als Dettmann anfing, hatte Teterow 11.300 Einwohner, heute sind es fast 3.000 weniger. Das Durchschnittsalter ist von 33 Jahren auf 47 gestiegen, heute leben doppelt so viele über Sechzigjährige in der Stadt wie unter Zwanzigjährige."

NEIßE, Wilfried (2018): Grenzen der direkten Demokratie.
Brandenburg: Die Enquetekommission "Ländlicher Raum" befasste sich mit der Bürgerbeteiligung,
in: Neues Deutschland v. 11.06.

HÖLL, Susanne (2018): Das lederne Wunder von Pirmasens.
Rheinland-Pfalz: Wie der Hersteller Kennel & Schmenger dem Niedergang der pfälzischen Schuhbranche entgehen konnte,
in: Süddeutsche Zeitung v. 12.06.

Pirmasens, Foto: Bernd Kittlaus 2018

ROST, Christian (2018): Bürgermeisterin suspendiert.
Bayern: Gegen Rathauschefin von Bolsterlang wird als mutmaßliche "Reichsbürgerin" ermittelt,
in: Süddeutsche Zeitung v. 20.06.

Die einzigste wirkliche Sorge der Politik ist es, dass in der Tourismusregion die Urlauber nicht ausbleiben.

STENGER, Kurt (2018): Die Zukunft beginnt in Hohenmölsen.
Sachsen-Anhalt: In den Kohlregionen wird allmählich der Strukturwandel vorbereitet - Bund und Länder sollen Geld beisteuern,
in: Neues Deutschland v. 26.06.

LEITHOLD, Iris (2018): Grenzgänger an der Elbe.
Mecklenburg-Vorpommern: Vor 25 Jahren wechselten acht Orte von Mecklenburg nach Niedersachsen, aber eine Brücke fehlt. Gibt Schwerin Geld?
in: Neues Deutschland v. 27.06.

"(Der) Neuhäuser Streifen, der sich am Ostufer der Elbe zwischen Dömitz und Bolzenburg im heutigen Mecklenburg-Vorpommern erstreckt(,...) hatte bis 1948 jahrhundertelang zu Hannover gehört - und dort wollten die Dörfer nach der Wende wieder hin. Ein Staatsvertrag zwischen Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern besiegelte am 29. Juni 1993 den Wechsel der acht Gemeinden Dellien, Haar, Kaarßen, Neuhaus/Elbe, Stapel, Sückau, Sumte und Tripkau nach Niedersachsen. Und aus 6.100 Ossis wurden am Tag darauf Wessis.
Es war der einzige Wechsel eines Gebietes aus der ehemaligen DDR in ein Bundesland der alten Bundesrepublik",

berichtet Iris LEITHOLD aus Amt Neuhaus, das zu den schrumpfenden Gemeinden in Deutschland gehört. Im Artikel geht es um das Anliegen des Fördervereins "Brücken bauen", das auf wenig Gegenliebe in Mecklenburg-Vorpommern stößt.

HAHN, Thomas & Angelika SLAVIK (2018): Ehre sei dem Werk.
Niedersachsen: Cuxhaven war ein Ort, aus dem sich die Hoffnung verabschiedet hatte. Bis die neue Siemens-Fabrik kam. Jetzt gibt es Jobs, Geld und Perspektiven. Die Stadt kennt nur noch einen Gedanken: Der Heilsbringer muss bleiben,
in: Süddeutsche Zeitung v. 30.06.

Der Artikel zeigt, dass kein Argument haarsträubend genug sein kann, Hauptsache es passt zum Zeitgeist:

"Tatsächlich hat der Konzern 200 Millionen Euro in den Standort investiert. Aber das Land ließ für die nötige Infrastruktur 250 Millionen springen. Für die speziellen Anforderungen des Windkraftanlagen-Baus organisierte die Stadt über die Agentur für Arbeit und Jobcenter insgesamt 460 Qualifizierungsmaßnahmen. Und vielleicht kam der Stadt auch entgegen, dass Siemens etwas für sein Image in Deutschland tun wollte. (...).
Groß war jedenfalls die Empörung in Görlitz, als Siemens dort sein Turbinen-Werk schließen wollte",

schreiben HAHN & SLAVIK. Die Entscheidung für das Siemens-Werk Cuxhaven fiel jedoch lange Jahre vor dem Bekanntwerden der jetzigen Schließungen. Bereits 2015 fingen in Cuxhaven die Bauarbeiten an. Es zeigt jedoch, dass in Zeiten von Wahlkämpfen, in denen den etablierten Parteien große Verluste drohen, jede Erfolgsmeldung groß herausgestellt wird, um die Realität zu beschönigen.

"Das ist die erste Fabrik seit 20 Jahren, die Siemens in Deutschland eröffnet. Ein Widerspruch zu den geltenden Regeln kapitalistischer Effizienzrechnung",

tönen  HAHN & SLAVIK. Cuxhaven zeigt eher wie erpressbar Kommunen im neoliberalen Standortwettbewerb geworden sind. Um den Zuschlag zu erhalten bekam Siemens das Werk quasi von der Politik geschenkt. Ganz sicher hat Siemens damit kein Verlustgeschäft gemacht wie die Journalisten suggerieren.

"Cuxhaven mit seinen wenigen Einwohnern (knapp 50.000) auf vielen Quadratkilometern (knapp 162) hat eine neue Ausstrahlung bekommen",

schreiben HAHN & SLAVIK und porträtieren den Cuxhavener Oberbürgermeister Ulrich GETSCH als Held der Arbeit, der die Funktionsweise des Neoliberalismus verinnerlicht hat und deshalb letztlich so erfolgreich war - obgleich seine Erfolgsbilanz in den letzten Jahren mehr als mager war:

"Die Stadt hatte in den Jahrzehnten zuvor viel verloren. Die Fischindustrie war geschrumpft, die Bundeswehr hatte zwei Standorte geschlossen, Leute zogen weg, Läden verwaisten. Und die ersten Versuche des Landes Niedersachsen, Cuxhaven zum Standort der erwachenden Windkraftindustrie auszubauen, hatten zunächst keinen nachhaltigen Erfolg."

BAUM, Carla (2018): "Dann wird die ganze Region der AfD überlassen".
Die Braunkohle spaltet die Lausitz: Bei den einen leben ganze Familien seit Generationen vom Abbau, andere verdanken den Ausstiegsplänen der Regierung die Rettung ihres Dorfes. Wie es in der Region weitergeht, haben beide Gruppen nicht in der Hand,
in: Welt v. 30.06.

Carla BAUM berichtet über den Verein Pro Lausitzer Bergbau, der an der Seite der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG) für einen langsameren Ausstieg aus dem Braunkohleabbau kämpft und dabei auch die AfD als Drohpotenzial einsetzt.

"Gegner (...) wischen die Angst vor dem Verlust der Arbeitsplätze mit einem Satz vom Tisch: »Wir haben hier einen enormen Fachkräftemangel (...) Man müsste die Leute nur richtig umschulen«".

SCHWILDEN, Frédéric (2018): Pervers penibel.
CDU-Politiker Philipp Amthor ist 25 und versteht es, im Bundestag zu polarisieren. Er ist der junge Konservative aus der Zukunft. Ein Abend im Gipsy-Restaurant in Berlin. Die Braunkohle spaltet die Lausitz: Bei den einen leben ganze Familien seit Generationen vom Abbau, andere verdanken den Ausstiegsplänen der Regierung die Rettung ihres Dorfes. Wie es in der Region weitergeht, haben beide Gruppen nicht in der Hand,
in: Welt v. 30.06.

Den Medien von FAZ bis Welt erscheint der junge CDU-Politiker Philipp AMTHOR als letztes Aufgebot gegen die AfD.

WAHL-IMMEL, Yuriko (2018): Weg aus der Großstadt.
Bertelsmann-Studie konstatiert einen Zuwachs für Kommunen in ländlichen Regionen,
in: Frankfurter Rundschau v. 03.07.

"Bad Neustadt an der Saale in Bayern, das ostfriesische Aurich in Niedersachsen, Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern oder Heide in Schleswig-Holstein gehören (...) zu den Kleinstädten und Mittelstädten mit besonders deutlichem Zuwachs",

heißt es in der DpA-Meldung zur Studie Trend Reurbanisierung?. Die Aussagen sind jedoch nicht der Studie entnommen, sondern lediglich der Pressemitteilung. Es lässt sich deshalb nicht überprüfen, inwiefern diese Aussagen der BertelsmannStifung mit der ILS-Studie übereinstimmen.

2011 lebten z.B. in Aurich/Ostfriesland gemäß Datenbank des Statistischen Landesamts Niedersachsen 40.606 Menschen. 2016 waren es 41.793. Das ist ein Zuwachs von rund 2,9 Prozent. 2006 lebten 40.651 Menschen in Aurich, d.h. der Zuwachs ergab sich vor allem in den letzten Jahren. Inwiefern die Migration oder Suburbanisierungsprozesse dabei die entscheidende Rolle spielten, wäre zu fragen. Der Kommunale Wegweiser, auf den die BertelsmannStiftung verweist, liefert dafür keinerlei Daten, denn dieser endet mit dem Jahr 2012.

DRIBBUSCH, Barbara (2018): Im Alter gerne in kleinere Städte.
Zu Beginn der zweiten Lebenshälfte verlieren die Metropolen ihren Reiz,
in: TAZ v. 03.07.

BÜNNAGEL, Karin (2018): Tradition und Zukunft.
Bayern: Wichtiger Wirtschaftsstandort für die Region und Weltkulturerbestätte in einem: In Bamberg verbinden sich Kunst, Kultur und Wirtschaft u einem großen Ganzen,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21.07.

"Bamberg zählt zur Metropolregion Nürnberg, genauso wie Fürth, Erlangen, Bayreuth, Hof an der Saale sowie Coburg und Weiden in der Oberpfalz; 2014 hat die Region die bayerische Grenze überschritten, denn auch der thüringische Landkreis Sonneberg gehört seitdem dazu",

erzählt uns Karin BÜNNAGEL über die Mittelstadt Bamberg (über 76.000 Einwohner), die uns in dem Verlagsspezial zur Bamberger Kunst- und Antiquitätenwochen als Teil der deutschen Bereicherungsökonomie vorgestellt wird.

Bamberger Antiquitätenviertel, Foto: Bernd Kittlaus 2018

"Das Antiquitätenviertel unterhalb des Dombergs in Bamberg ist einmalig. Nirgendwo sonst findet man auf so engem Raum so viele hochklassige Antiquitätengeschäfte"

wird uns ein anderer Artikel angepriesen.   

FRICKE, Christiane (2018): Rezept für eine Boomtown.
Bayern: In Bamberg konzentriert sich der deutsche Antiquitätenhandel. Dahinter steht ein Oberbürgermeister, der weiß, warum Kultur für die Wirtschaft wichtig ist,
in: Handelsblatt
v. 27.07.

Wie in Frankreich die Sozialisten, so stehen auch in Deutschland die Sozialdemokraten für eine neoliberale Allianz. Christiane FRICKE porträtiert den SPD-Oberbürgermeister von Bamberg, der in der Bereicherungsökonomie eine wichtige Grundlage seiner Stadt sieht:

"Hinter den 1995 gegründeten Bamberger Kunst- und Antiquitätenwochen stehen in diesem Jahr acht Kunsthändler, ein Antiquar und ein stolzer Oberbürgermeister. (...). »Wir haben mit den Antiquitätenwochen ein Alleinstellungsmerkmal,« unterstreich der Oberbürgermeister die Bedeutung der Händler für die Kommune. Außerdem trage der hier ansässige Kunsthandel seinen Teil zum Status Bambergs als Unesco-Welterbe bei.(...).
Als »eine Boomtown« bezeichnet sie OB Starke mit einem Bevölkerungszuwachs von 7.000 Einwohnern binnen der letzten zehn Jahre. Das sind bei knapp 77.000 Einwohnern fast zehn Prozent. Wirtschaftlich liegt ein starker Fokus auf der Autozulieferindustrie. (...).
Um die Abhängigkeit von der Autozulieferindustrie zu reduzieren, setzt Bamberg zusätzlich auf die Digitalisierung, investiert in die universitäre Bildung und fördert Start ups. Vor diesem Hintergrund gewinnt auch der weiche Standortfaktor Kultur eine unverzichtbare Bedeutung. Man will attraktiv sein für Fachkräfte."

Bamberger Antiquitätenviertel, Foto: Bernd Kittlaus 2018

In Bamberg geht also die Floridaisierung der Stadtentwicklung mit der Bereicherungsökonomie einher, die auch auf eine ganz spezielle Zielgruppe setzt:

"(I)m späten Juli, nämlich genau dann, wenn sich auch die Musikbegeisterten aus Übersee auf den Weg ins benachbarte Bayreuth zu den Wagner-Festspielen machen, liefert die Kaiserstadt mit ihren »Bamberger Kunst- und Antiquitätenwochen« (...) viele Gründe für einen Zwischenstopp."    

OBERHUBER, Nadine (2018): In der Provinz wird geklotzt.
Bayern: Flächen sparen? Ist auf dem Land nicht nötig! Diese Haltung hat fatale Folgen. Nicht nur für die Umwelt, auch für die Gemeinden selbst. Doch es gibt Beispiele, die zeigen, wie es besser geht,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 29.07.

Die Grünen machen in Bayern Wahlkampf gegen den Flächenfraß und Nadine OBERHUBER gibt Schützenhilfe mit ihrem Artikel. Die bayerische Gemeinde Weyarn zwischen München und Chiemsee wird als Negativbeispiel genannt.

"Umgerechnet pro Kopf ist jeder Stadtbürger für 162 zubetonierte Quadratmeter verantwortlich. Jeder Landbewohner verbaut sogar 364 Quadratmeter. (...). Rund 80 Prozent aller neu entstehenden Gebäude hierzulande sind Einfamilienhäuser. Obwohl nur in gut 20 Prozent der Haushalte überhaupt Familienleben, also drei Personen oder mehr. 80 Prozent der Haushalte dagegen bestehen aus Singles und Paaren. Die brauchen nicht viel Platz, aber für die baut auch fast keiner. Das Durchschnittseinfamilienhaus dagegen beansprucht 730 Quadratmeter Grund. Allein dadurch verschwinden 19 Hektar Fläche täglich",

liest uns OBERHUBER die Leviten. Bisher galten Singles als die Bösen. Sie lebten vor allem in den Großstädten und verursachten dort die Wohnungsnot, die die Familien auf das Land vertrieb. Nun also sind die Singles in den Städten die Guten. Vielleicht aber ist das eine genauso irreführend wie das andere! Woher die Zahlen kommen, das legt OBERHUBER nicht offen. Als weiteres Negativbeispiel wird Ottenstein in Niedersachsen genannt, das mit seiner Aktion "Bauland zu verschenken" aneckt.

Als vorbildlich werden uns dagegen Irsee (und nicht Irrsee wie Text!) bei Kaufbeuren, Hiddenhausen in Nordrhein-Westfalen (Projekt "Jung kauft Alt"), das obere Wernetal bei Bad Kissingen und Brannenburg im Inntal ("Mehrgenerationenwohnanlage") genannt.

BECKER, Kim Björn (2018): Mein Hausarzt, der alte Genosse.
Ein neues Modell könnte ein probates Mittel gegen den Landarztmangel sein, doch die Zulassungsbehörden in der Provinz stellen sich oft quer. Während der Streit in der Eifel eskaliert, hat man im Odenwald nach langem Ringen einen Kompromiss gefunden,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 30.07.

Anhand von Bitburg in der Eifel (Rheinland-Pfalz) und Lindenfels im Odenwald (Hessen) stellt Kim Björn BECKER Medizinische Versorgungszentren (MVZ) als Alternative zur Landarztpraxis vor und geht auf eine Hürde ein, die vor Gründungen abschreckt.

ZIMMERMANN, Birgit (2018): Hoffen auf den "Überschwappeffekt".
Wie dick kann ein Speckgürtel werden? Die Antwort kann für Kleinstädte entscheidend sein,
in: Neues Deutschland v. 04.08.

LÖHR, Julia (2018): Ausgekohlt.
Brandenburg: Die Politik will raus aus der Kohle. Besonders hart trifft das die Lausitz. Neue Arbeitsplätze in der Industrie sind rar, auch der Tourismus läuft nur langsam an. Über eine Region, die sich alleingelassen fühlt,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 04.08.

LASCH, Hendrik (2018): Pödelwitzer Wiederbelegung.
Sachsen: 900 Aktivisten haben sich beim ersten Klimacamp im Leipziger Revier gegen Kohleverstromung engagiert,
in: Neues Deutschland v. 06.08.

DETTMER, Markus & Robin WILLE (2018): In einem anderen Land.
Wohnen: Dem Boom in den Städten steht ein kaum beachtetes Ausdünnen ganzer Landstriche gegenüber. Die Folgen für Millionen Menschen sind mindestens ebenso dramatisch - und die Herausforderungen für die Politik gewaltig,
in: Spiegel Nr.34 v. 18.08.

Der Spiegel hat uns als neoliberales Sturmgeschütz zwei Jahrzehnte lang mit demografischen Niedergangsszenarien verdummt und will uns nun weismachen, dass die Probleme in strukturschwachen Gebieten nun erst entdeckt werden!

"Deutschland wächst und schrumpft zugleich, oft machen nur wenige Kilometer den Unterschied aus. Zwischen 2005 und 2015 wuchs die Bevölkerung der 77 Großstädte um 1,4 Millionen Menschen. Es gab auch mittlere und kleinere Städte, vor allem mit Hochschulen, die wuchsen. Doch 37 Prozent der Mittelstädte sind geschrumpft, das gilt auch für 52 Prozent der Kleinstädte. Etwa 15 Millionen Menschen leben in solchen Gemeinden",

schwadronieren DETTMER & WILLE. 15 Millionen Menschen sind ca. 18 Prozent der Menschen in Deutschland, d.h. 82 Prozent der Menschen haben in Deutschland ganz andere Probleme, die sich aus interessengeleiteten Bevölkerungsprognosen ergeben, die der Spiegel gerne publiziert hat, weil sie in sein neoliberales Weltbild passten.

"Seit acht Wochen ist Christian Kehrer Bürgermeister von Oberzent. Mit mehr als 165 Quadratkilometer Fläche ist das die drittgrößte Stadt Hessens, nur Frankfurt und Wiesbaden sind größer. Der Ort hat viel Wald, aber nur wenige Bürger. Heute leben hier 10.401 Menschen. Vor über 20 Jahren waren es knapp 1.200 Menschen mehr."
Kehrers Stadt gibt es erst seit dem 1. Januar. Es ist die erste Gemeindegründung seit rund 40 Jahren in Hessen. Keine, die, wie sonst üblich, von oben als Gemeindereform verordnet wurde, sondern eine freiwillige (...) - und doch ist sie aus der Not geboren. Denn die Gemeinden Beerfelden, Hesseneck, Sensbachtal und Rothenberg im Odenwald schrumpfen seit Jahren, die Bevölkerung wird prozentual älter",

behaupten DETTMER & WILLE. Ein freiwilliger Zusammenschluss? So will es lediglich die neoliberale Großerzählung. In Wirklichkeit werden schrumpfende Gemeinden in Deutschland durch die neoliberale Politik stranguliert! Bei Oberzent handelt sich um eine Zwangsfusion, die sich aus der Finanzverfassung ergibt. Das schwarz-grüne Hessen lässt schrumpfende Gemeinden gewaltsam finanziell ausbluten, um erwünschte Gebietsreformen zu erzwingen. Solche Politik ist in Deutschland - und nicht nur hier - gängige Praxis. Hessen macht das geschickter als Brandenburg oder Thüringen, wo linke Regierungen statt der indirekten Zwänge auf direkte Zwänge setzten.

Zur neoliberalen Großerzählung gehören auch Orte - und wenn es nur eingemeindete Dörfer sind, in denen seit Jahren kein Kind mehr geboren wird:

"Hinterbach (...). 76 Menschen leben in diesem Ortsteil von Oberzent. Hier kam seit Jahren kein Kind zur Welt. Die drei Jugendlichen sind über 15 Jahre alt, die restlichen Einwohner volljährig. 56 Menschen sind 45 Jahre und älter."

Anfang des Jahrtausends hieß das aussterbende Dorf Affler und lag in der Eifel.

"Das große Schrumpfen erfasst zunehmend auch Landgemeinden, Klein- und Mittelstädte in Westdeutschland. Doch am deutlichsten ist es in Ostdeutschland zu sehen. Kein Landkreis verlor zwischen 2010 und 2016 mehr Einwohner als Mansfeld-Südharz in Sachsen-Anhalt - 6,2 Prozent",

schwadronieren DETTMER & WILLE. Das große Schrumpfen hieß 2007 ein Buch von Cornelia TUTT, in dem Deutschland ein endloses Schrumpfen prophezeit wurde. Dass der Spiegel nun den Begriff für kleinräumliche Schrumpfungsprozesse ummünzt, zeigt den ganzen Wahnsinn, der uns in dieser dummdreisten Story entgegentritt. Man sollte daran erinnern, dass im Jahr 2006 - das sind gerade einmal 12 Jahre! - das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Sachsen-Anhalt als "Land der Leere" bzw. "Raum ohne Volk" klassifizierte. Der Landkreis existierte damals noch gar nicht, sondern er ist ein Kunstprodukt, der 2007 aus den Kreisen Mansfelder Land und Sangerhausen entstand. Für beide Kreise wurde ein Bevölkerungsrückgang von 15 Prozent und mehr zwischen 2004 und 2020 prognostiziert. Gemäß der 5. Regionalisierten Bevölkerungsprognose von Sachsen-Anhalt 2008-2025 aus dem Jahr 2010 sollten im Kreis Mansfeld-Südharz im Jahr 2016 nur noch 134.914 Menschen leben. Tatsächlich waren es jedoch 139.781 - also fast 5.000 Menschen mehr als prognostiziert!

Obwohl sich sogar in den schlimmsten Gebieten die Lage verbessert hat, werden uns weiterhin Niedergangsszenarien präsentiert, ohne die Entwicklungen der letzten Jahre ausreichend zu würdigen. Stattdessen soll uns vorgegaukelt werden, dass die Politik machtlos sei angesichts des demografischen Wandels.

Natürlich wird uns das neoliberale Empirica-Institut mit seiner Interpretation der Abwanderung präsentiert und das mit Daten bis 2014, die hoffnungslos veraltet sind, aber sie passen eben ins Weltbild. 

Fazit: Strukturschwache Gemeinden in Deutschland erhalten aufgrund der neoliberalen Politik nicht die notwendigen Mittel, um attraktiv zu bleiben. Die Demografie ist nicht das Schicksal, sondern die Folge neoliberaler Politik!

ESSLINGER, Detlef (2018): Der Glaube von Görlitz.
Die IG Metall feiert, dass Siemens und Bombardier in der sächsischen Stadt bleiben - für die Bürger ein Intensivkurs in Kapitalismus und Demokratie,
in: Süddeutsche Zeitung v. 23.08.

LOCKE, Stefan (2018): Sanierer gesucht!
Wohnen in Görlitz: Deutschlands östlichste Stadt ist voller historischer Bauten. Trotzdem: Wer hinzieht, kann Görlitz noch mitgestalten,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 26.08.

LACHMANN, Harald (2018): Versteckte Perlen im Osterland.
Leipzig, Halle, Dresden oder Rostock boomen - doch was ist mit den Orten im Dunstkreis?
in: Neues Deutschland v. 27.08.

LASCH, Hendrik (2018): Einmal Großstadt und zurück.
Sachsen: Hoyerswerda feiert 750 Jahre Stadtgeschichte - die zuletzt viel Umbruch brachte,
in: Neues Deutschland v. 08.09.

WYSSUWA, Matthias (2018): Die Rolle seines Lebens.
Mecklenburg-Vorpommern: Patrick Dahlemann soll Vorpommern retten - und er genießt es,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 09.09.

"Vorpommern, das ist die übliche Geschichte des Abstiegs in der ostdeutschen Provinz. Nur noch etwas schlimmer. Mecklenburg ist immerhin dem Westen nah, Vorpommern ist weit weg von allem. Die Firmen nach der Wende platt, die Arbeitslosigkeit hoch. Schöne, leere Landschaft. Wer jung war und konnte und wollte, der ging.
Lange war die NPD hier stark. Bei der Landtagswahl 2016 holte die AfD plötzlich fast 21 Prozent im Land, in Vorpommern reichte es gar für drei Direktmandate. (...) Der damalige Ministerpräsident Erwin Sellering (...) machte Dahlemann zum Staatssekretär",

erzählt uns Matthias WYSSUWA die Ursachen für den Aufstieg des SPD-Politikers Patrick DAHLEMANN. Warum aber gerade er?

"Dahlemann ist in Vorpommern aufgewachsen, in dem Städtchen Torgelow. Er hat den Abstieg erlebt, war mit seiner Familie mittendrin, Arbeitslosigkeit, Sorgen ums Geld und Zukunft. Und auch er hat lange wenig von der Politik gesehen. (...) Mit 16 Jahren ist Dahlemann in die SPD eingetreten. (...). 2014 rückte er in den Landtag nach. 2016 gewann er seinen Wahlkreis direkt. Das war noch keinem Sozialdemokraten in seiner Heimat gelungen. Dann kam der Ruf von Sellering."

Mit Hilfe des "Vorpommern-Fonds" soll DAHLEMANN nun gute Laune verbreiten. Nach hemdsärmeligen Anfängen bestimmt inzwischen ein Vorpommern-Beirat über die Verteilung der Gelder, bei denen Prioritäten gesetzt werden müssen.

"In einer Umfrage für Mecklenburg-Vorpommern haben SPD und CDU weiter an Zustimmung verloren, die AfD ist auf 22 Prozent gestiegen",

erklärt WYSSUWA den Stand der Dinge. Denn mit Geld und guter Laune verbreiten ist es nicht getan:

"Demmin. Einst war es eine Kreisstadt, dann kam die Kreisgebietsreform, nun ist es ein Städtchen von vielen in einem Landkreis fast doppelt so groß wie das Saarland."

Die Kreisgebietsreformen in Mecklenburg-Vorpommern gelten inzwischen als fatale Fehlentscheidungen. Insbesondere die neoliberalisierte Linke hat sich damit auch in anderen ostdeutschen Bundesländern keinen Gefallen getan, weshalb die neue Rechte weiter Auftrieb bekommen wird. Ein Staatssekretär kann diese Folgen nicht aus der Welt schaffen. Dazu braucht es mehr als einen Gute-Laune-Onkel der SPD.  

DRIBBUSCH, Barbara (2018): Arme Familien leben besser in Schweinfurt.
In einigen Kommunen des CSU-regierten Bayerns wird das bayerische Familiengeld nicht auf Hartz IV angerechnet. SPD-Bundesminister Heil rügt die "Wahlkampfnummer",
in:
TAZ v. 11.09.

Barbara DRIBBUSCH empört sich darüber, dass in einigen bayerischen Landstrichen das Familiengeld nicht auf Hartz IV angerechnet wird. Ursprünglich war das Familiengeld bundesweit als Betreuungsgeld geplant. Elitenfeministinnen diffamierten es als "Herdprämie", weil es dem Modell der Doppel-Karriere-Familie widerspricht und nicht die Vollzeitbeschäftigung von Müttern für alle unterstützt. Zudem widerspricht es der Wirtschaft, die ein Heer von potenziellen Erwerbstätigen wünscht, um die Löhne niedrig halten zu können.

MAAK, Niklas (2018): Stadt, Land, Flucht.
Brauchen wir mehr sozialen Wohnungsbau - oder könnten wir auch wieder in die vielen leeren Dörfer ziehen?
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 17.09.

DESTATIS (2018): Bundesverfassungsgericht erklärt Zensus 2011 für verfassungskonform,
in: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts v. 20.09.

PFEIFFER, Hermannus (2018): Zurück auf's Land.
Wohnungspolitik kann eine Balance zwischen Stadt und Land herstellen,
in:
Neues Deutschland v. 21.09.

"Erst seit den späten 2000er Jahren hat die dramatische Landflucht eingesetzt, die heute dazu be(i)trägt, dass die Großstädte aus allen Nähten platzen.
(...). Wer die Wohnungsnot in den Städten bekämpfen will, muss das Land attraktiver machen",

behauptet Hermannus PFEIFFER. Gab es also vor der Finanzkrise im Jahr 2008 keine Landflucht? Oder wird hier nur etwas verwechselt? Die Großstädte haben vor allem durch die Zuwanderung aus dem Ausland an Bevölkerung gewonnen, aber durch Suburbanisierung in letzter Zeit immer mehr Einwohner verloren. PFEIFFER stellt uns zwei neoliberale Vorzeigeprojekte vor, mit denen das Land attraktiver gemacht werden soll: Zum einen das rund 20.000 Einwohner zählende Hiddenhausen, das 6 Dörfer umfasst,  zwischen Bielefeld und Herford (Projekt "Jung kauft Alt"). Das Förderprogramm wurde 2007 gestartet und soll inzwischen in weiteren Kommunen eingeführt worden sein, wobei sich PFEIFER auf die neoliberale Lobbyorganisation IW Köln beruft. Auch ein "Flächenzertifikatehandel" soll helfen, ebenfalls ein neoliberales Modellprojekt, das in 87 Kommunen erprobt wird. Das Vorhaben soll jedoch den Flächenfraß auf dem Lande eindämmen. Ob das die Menschen als attraktiver betrachten, dürfte durchaus kontrovers betrachtet werden. Es ist in erster Linie ein makroökonomisches Steuerungsinstrument, das der Stadt Vorherrschaft sichern soll und deshalb zur neoliberalen Weltordnung passt. Als letzte Alternative werden uns "Taobao Villages" in China gepriesen.

GAUTO, Anna/RICKENS, Christian/WERMKE, Christian (2018): Breitband allein reicht nicht.
Alle reden übers Internet. Nun zeigt eine Studie: Um als Region die Chancen der Digitalisierung kraftvoll nutzen zu können, sind neben einem guten Netz auch andere Faktoren wichtig,
in:
Handelsblatt v. 21.09.

GAUTO/RICKENS/WERMKE stellen ein Digitalisierungs-Ranking aller 401 Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland vor, das Clusterbildung als Erfolgsmodell ansieht, das nicht nur in Großstädten, sondern auch in Mittelstädten wie Flensburg erfolgsversprechend sein soll.

"Im Gesamtranking landete Flensburg auf Platz 46, eine erstaunlich hohe Platzierung angesichts der abseitigen Lage und der geringen Einwohnerzahl von weniger als 90.000 Menschen."

In 6 Klassen werden alle Regionen eingeteilt. An der Spitze stehen der Landkreis München, die Metropole München und die Großstadt Erlangen. Darmstadt wird als Beispiel dafür herangezogen, dass eine gute Platzierung auch bei schlechter Breitbandversorgung möglich ist. Das Ruhrgebiet (Ausnahme Dortmund) dient dagegen als Beispiel dafür, dass auch eine gute Breitbandversorgung nur eine notwendige, aber nicht hinreichende Erfolgsbedingung ist. In der Provinz ballen sich für die Autoren die schlechten Ausgangsbedingungen. Ausführlich wird auf die mittelfränkische Barockstadt Erlangen eingegangen. Die Mittelstadt Hof in Bayern dient als Beispiel für die notwendigen Anstrengungen, die nötig sind, um erfolgreich zu werden.

Zuletzt gibt es sogar noch eine Strategie für die "Schlusslichter", womit die rund 200 Kreise in der hinteren Hälfte gemeint sind.

"Diese Regionen sollten versuchen, zumindest als Wohnorte für digitale Impulsgeber und IKT-Fachkräfte attraktiv zu bleiben. (...) (Denn) es gebe eben auch jene, die das billige Wohnen, die intakte Natur und die Ruhe abseits der Großstädte zu schätzen wüssten.
Der Trend zum Heimbüro und Remote Working macht dabei (...) neue Lebens- und Arbeitsmodelle denkbar. (...).
Damit die ländlichen Regionen zumindest als Wohnort für digitale Impulsgeber attraktiv bleiben, müssen auch hier die Hausaufgaben erledigt werden: weiterführende Schulen für die Kinder, ausreichend Fachärzte, Sportvereine, Einkaufsmöglichkeiten und eine gute Verkehrsanbindung. Und wenn nicht jetzt schon durchgehend Breitband, dann zumindest einen flächendeckenden Mobilfunkempfang."

Diese Minimalanforderungen dürften die wirklichen Schlusslichter kaum erfüllen können:

"Die Zurückgebliebenen fühlen sich häufig von der Politik und ihren Problemen alleingelassen und machen besonders häufig ihr Kreuz bei der AfD. Im schlimmsten Fall droht eine Abwärtsspirale aus Abwanderung, schwindender Infrastruktur, steigender Unzufriedenheit der Zurückgebliebenen und geringe Attraktivität für Zuzügler."

WERMKE, Christian (2018): Dorfvisionen in Bayern.
Bayern: Der Landkreis München ist Sieger im Digitalranking. Doch auch dort ringen Gemeinden mit Problemen, kämpfen um Fachkräfte und Anerkennung. Zu Besuch in einem Dorf, das Großes vorhat,
in:
Handelsblatt v. 21.09.

"Der Landkreis München ist Spitzenreiter (...) Doch es gibt eben nicht nur die Universitäts- und Forschungsstadt Garching oder das Medienzentrum Ismaning. Es gibt auch Gemeinden wie Kirchheim. Ein Dörfchen, wo seit vielen Jahren schon Unternehmen wie die Chemiefirma Hubergroup doer der Skimodemacher Willy Bogner sitzen. Aber das jetzt auch etwa tun muss, um nicht den Anschluss zu verlieren",

erklärt uns Christian WERMKE. Kirchheim ist jedoch höchstens für urbane Verächter ein Dorf. Kirchheim gehört mit über 12.000 Einwohnern zu den Kleinstädten. Kirchheim soll ein Standort von Schlüsseltechnologien werden, wird das PR-Sprech eines städtischen Marketingangestellten zitiert.

"Nahverkehr steht ganz oben auf der Agenda. Es gibt eine S-Bahn-Linie im Ortsteil Heimstetten, die nach München führt. Eine neue Expressbuslinie zur nächsten U-Bahn-Station kommt 2019. (...) Bis 2030 soll die Gemeinde um gut ein Viertel auf 16.000 Einwohner anwachsen."

WERMKE, Christian (2018): Kein Anschluss in Jerichow.
Sachsen-Anhalt: Der Jerichower Landkreis in Sachsen-Anhalt ist das Schlusslicht im Digitalkompass. Aber es gibt Lichtblicke: Ein mutiger Unternehmer baute eine IT-lastige Firma auf - und investiert weiter,
in:
Handelsblatt v. 21.09.

BRIEGLEB, Till (2018): Weniger Fleisch, mehr Anarchie.
Was sind die Gründe der Landflucht in Deutschland? Wie lassen sich Kultur und Bürgersinn in Kleinstädten am Leben halten? Darüber diskutierte ein dreitägiger Kongress in Halle,
in: Süddeutsche Zeitung v. 24.09.

Till BRIEGLEB betrachtet die "Landflucht" aus dem Blickwinkel unserer arroganten, urbanen Kosmopoliten. BRIEGLEB lobt die Originalität des Neoliberalen Reiner KLINGHOLZ, der die "Forderung, nicht lebensfähige Kommunen sterben zu lassen" vertritt. Unwertes Leben einfach zu vernichten, liegt im neoliberalen Denken offenbar nicht so weit weg! Die aktuelle Kritik an Gebietsreformen münzt BRIEGLEB so um, dass sie zu seinem Denken passt. Die Anarchie der Nachwendejahre, die vor allem von der Popfraktion der Lifestyle-Linken zur Legendenbildung erkoren wird, scheint als Gegenentwurf zu den Niederungen der  politischen Arbeit in der Demokratie als verlockend:

"aus dieser von vielen Teilnehmern geteilten Erfahrung, dass Verantwortungsgemeinschaften die besseren Lösungen liefern als Beamtengemeinschaften wurde dann auch der Schlachtruf des Kongresses geboren".

Fazit: Urbane Kosmopoliten betrachten die Probleme unseres Landes als Abenteuerspielplatz ihrer selbstverliebten Vorstellungen vom guten Leben. Der Alltag der meisten Menschen in Deutschland spielt sich dagegen weit weg von diesen Vorstellungen ab.

KERSTING, Silke/KOCH, Moritz/RIEDEL, Donata (2018): Boomtowns und Geisterdörfer.
Gleichwertige Lebensverhältnisse,
in:
Handelsblatt v. 26.09.

LOCKE, Stefan (2018): Annäherung durch Wandel.
An diesem Mittwoch tagt die Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse zum ersten Mal. Sachsens Ministerpräsident fordert mehr Autonomie für Länder und Regionen, andere warnen jedoch schon vor zu hohen Erwartungen,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 26.09.

LÖHR, Julia (2018): "Manche Dörfer sollten wir besser schließen".
Im Gespräch: Die Politik hat im Osten viele Fehler gemacht, sagt Joachim Ragnitz, Ifo-Institut Dresden. Er rät zu Prämien, damit die Menschen in die größeren Städte ziehen. Und ist froh, über jeden Arbeitsplatz, der im Osten nicht entsteht,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 26.09.

Joachim RAGNITZ steht für die Hardliner des Neoliberalismus, die die Stärkung der Starken fordern und damit die Spaltung der Gesellschaft noch weiter vorantreiben:

"Leipzig, Jena, Berlin, das funktioniert alles wunderbar. Mit Abstrichen gilt das auch für die Städte aus der zweiten Reihe, Erfurt Eisenach, Halle oder Rostock zum Beispiel. Aber weite Teile Ostdeutschlands sind mies dran. Die Lausitz, Nordsachsen, Ostthüringen, das südliche Mecklenburg-Vorpommern. Als Ökonom sage ich: Manche Dörfer sollten wir besser schließen und die Menschen zu einem Umzug in die Zentren bewegen. (...). Warum nicht den Menschen in kleinen Siedlungen eine Prämie zahlen, wenn sie in die nächste 10.000-Einwohner-Stadt ziehen, und diese dafür gescheit anschließen?"

meint RAGNITZ, der jedoch von "einer insgesamt stark schrumpfenden Bevölkerung" ausgeht, obwohl dieses Szenario inzwischen keine Bevölkerungsvorausberechnung stützt. 

HAHN, Thomas (2018): Moorglühen.
Zu Besuch bei erstaunlich gelassenen Bewohnern im Emsland, wo die Bundeswehr vor drei Wochen versehentlich ein Feuchtgebiet in Brand gesetzt wird,
in: Süddeutsche Zeitung v. 26.09.

Das Emsland ist eine Bastion der CDU und gilt gleichzeitig Neoliberalen als Vorbild für die Bewältigung des "demografischen Wandels". Die SZ versucht nun die Brandstiftung der Bundeswehr zu verharmlosen. Feuchtgebiet? Davon kann keine Rede sein, längst handelte es sich um ein brandgefährliches Trockengebiet. Zuerst wochenlange Vertuschung des Vorfalls und dann Beschönigung. Im Emsland zeigt sich das wahre Ausmaß des Klimawandels in Deutschland. Das fahrlässige Vorgehen der Bundeswehr passt zur derzeitigen Lähmung der Regierung.

LOCKE, Stefan (2018): Die grüne Lebensader.
An der innerdeutschen Grenze, wo früher jeder Schritt tödlich enden konnte, erfahren Besucher heute etwas über den Stand der deutschen Einheit. Kann das Erinnern in der Natur Wunden heilen?
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 02.10.

BRANKOVIC, Maja (2018): Der große Graben.
Nicht nur politisch ist Deutschland gespalten: Wirtschaftlich hinkt der Osten dem Westen nach wie vor weit hinterher. Kann sich der Riss schließen?
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 02.10.

Maja BRANKOVIS zitiert pessimistische Stimmen neoliberaler Ökonomen. Für Joachim RAGNITZ ist Sachsen gar immer noch der neoliberale Musterknabe im Osten, obwohl die katastrophalen Folgen der neoliberalen Standortpolitik dort immer sichtbarer werden.  

DPA/ND (2018): Der Osten rutscht bald wieder ab.
Forscher warnen vor Bevölkerungsschwund,
in: Neues Deutschland v. 02.10.

Agenturmeldung zu einer Vorabpressemitteilung der Prognos AG und den Deutschlandreport 2025 2035 2045.

RITZER, Uwe (2018): Wildwest im Osten.
Nach der Wende schmiedete Siegfried Hofreiter den größten Landwirtschaftskonzern Deutschlands: KTG Agrar. Dessen Pleite beschäftigt nun die Justiz,
in: Süddeutsche Zeitung v. 02.10.

REUTER, Timo (2018): Nicht mal Handyempfang.
Abgehängt: Unbezahlbare Städte, sterbendes Land. Eine Rundreise durch Hessen vor den Wahlen im Oktober,
in: Freitag Nr.40 v. 04.10.

Die Landtagswahl in Hessen steht ganz im Schatten der Bayernwahl, deren Ausgang die Wahl in Hessen entscheidend mitprägen wird. Als letztes Jahr der SPD-Kanzlerkandidat gewählt wurde und der SCHULZ-Hype auf dem Höhepunkt war, da machte die Wahl im Saarland diesem Hype schnell ein Ende. Noch schlimmer die Kehrtwende des Kanzlerkandidaten sorgte dafür, dass die nächste Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gleich auch noch verloren ging, obwohl zwei Monate dazwischen lagen. Der Abstand zwischen den beiden nun anstehenden Wahlen ist mit 2 Wochen sehr gering, weshalb von einer ganz speziellen Dynamik ausgegangen werden kann. Wer davon jedoch profitieren wird, steht momentan noch nicht fest - allen Wahlumfragen zum Trotz.

"Rund 85 Prozent der Fläche Hessens ist ländlich geprägt, jeder zweite Einwohner ist dort zu Hause. In kaum einem Bundesland ist die Ungleichheit zwischen Ballungsräumen und Peripherie so große: In Frankfurt lag das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner zuletzt bei über 92.000 Euro, im kaum 60 Kilometer entfernten Vogelsberg waren es nur etwa 25.000 Euro",

erklärt uns Timo REUTER. Das mag stimmen, aber die Viertel innerhalb von Frankfurt dürften noch eklatantere Ungleichheiten aufweisen, was bei solch einem Zahlenfetischismus nicht vergessen werden sollte.

"Während Frankfurts Bevölkerung jedes Jahr um Tausende Menschen wächst, schrumpft der Vogelsberg. Und bald dürfte es gar keine echten Vogelsberger mehr geben: Anfang 2017 wurde die letzte Entbindungsstation im Landkreis geschlossen. Mit diesem Teufelskreis aus Landflucht und fehlender Infrastruktur kämpft auch die »Großgemeinde« Grebenhain im östlichen Vogelsberg. Hier leben kaum 5.000 Menschen, in 15 Ortsteilen, größer als ein Drittel der Fläche Frankfurts. Der größte ist Ilbeshausen, hier gab es mal eine Sparkasse, einen Tante-Emma-Laden, mehrere Gaststätten. Geblieben sind leere Häuser und ein paar Betonstümpfe. Immerhin: Die Volksbank öffnet dreimal pro Woche, zwei Kneipen schenken noch Bier aus, ein Hofladen hat neu eröffnet. Im benachbarten Ortsteil Metzlos gibt es nicht mal Handyempfang. (...).
Seit fünf Jahren ist der Parteilose (Anm.d.V.: Sebastian STANG) Bürgermeister in Grebenhain",

beschreibt REUTER die demografische Entwicklung zweier hessischer Kommunen. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat im Jahr 2011 in seinem Buch Die Zukunft der Dörfer den hessischen Vogelsbergkreis seziert. Aus der folgenden Tabelle ist die damals erhobene Entwicklung von Grebenhain ersichtlich, wobei für 3 Ortsteile die Daten nicht ausgewiesen wurden (vgl. 2011, Tabelle S.48-50) :

Ortsteil Bevölkerungsstand 2004 Bevölkerungsveränderung
2004 - 2010 in Prozent
Risikobewertung
(12-15 Punkte: sehr hoch; )
Vaitshain 103 - 18,5 % 12-15 Punkte
Metzlos-Gehaag 182 - 15,9 % 12-15 Punkte
Wünschen-Moos 45 - 11,1 % 12-15 Punkte
Metzlos 169 - 10,1 % 12-15 Punkte
Heisters 75 + 4,0 % 10 Punkte
Volkarstshain 162 - 5,6 % 9 Punkte
Hartmannshain 265 - 9,1 % 8 Punkte
Zahmen 144 - 6,9 % 8 Punkte
Nösberts-Weidmoos 220 - 3,2 % 7 Punkte
Bannerod 125 - 4,8 % 7 Punkte
Herchenhain 425 - 4,0 % 3 - 6 Punkte
Crainfeld 420 - 3,1 % 3 - 6 Punkte
Bermutshain fehlt fehlt fehlt
Grebenhain fehlt fehlt fehlt
Ilbeshausen-Hochwaldhausen fehlt fehlt fehlt

Spannend wäre es nun zu überprüfen, inwiefern die damalige Bewertung des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung tatsächlich den demografischen Wandel treffend beschrieben hat. Das muss hier vorerst offen bleiben.

"Das Thema Bildung dürfte wahlentscheidend sein. Die schwarz-grüne Koalition betont, Tausende Lehrerstellen geschaffen zu haben. Die Linke verweist hingegen auf eine Studie, wonach bis 2030 rund 26.000 Lehrer eingestellt werden müssten",

meint REUTER.  Ob die Linkspartei wirklich mit diesem Thema punkten kann, das werden die Wahlen zeigen müssen.

LACHMANN, Harald (2018): Goldene Zeit kehrt nicht zurück.
Bayern: Nordbayerns letzter Kneippkurort kämpft mit bescheidenen Mitteln um seine Existenz,
in: Neues Deutschland v. 05.10.

"Mancher Kurort, über dem bis heute der morbide Charme von Jugendstil und Biedermeier liegt, fing sich wieder. So werben die fünf Heilbäder Bad Rodach, Bad Steben, Bad Staffelstein, Weißenstadt und Bad Alexandersbad nun unter dem Label »Die 5 KurFranken« mit einem übergreifenden Gesundheits- und Wellnessangebot. Und da die Preise erschwinglicher als andernorts gerade in Bayern sind, kommen doch wieder mehr Leute.
Doch es gibt Kurstädte in Oberfranken, die bis heute kaum die Kurve kriegen. So etwa Bad Berneck, selbst wenn man sich hier gern noch als »Perle des Fichtelgebirges« wähnt. Der beschauliche Ort (...) lud ab 1930 zu Kneippkuren. 1950 wurde man Bad. Doch nachdem bereits 1974 die Bahn den Kurort von ihrem Netz abschnitt (...), folgte 1989 der Todesstoß für das Kurwesen. (...).
Noch immer erinnert der Kurpark unterhalb von Burg Hohenberneck mit seinen Bauten daran, dass hier mal Geld verkehrte (...). Doch nicht nur viele Häuser und Läden stehen längst leer, auch immer mehr Herbergen. (...).
Auch (...) Flüchtlingsunterkünfte in bester Marktlage sorgen nicht für rückkehrende Vitalität. Um diese sorgte sich stattdessen seit 2014 eine Forschergruppe der Universität Erlangen-Nürnberg. (...). Vier Jahre später existiert (...) ein Integriertes Stadtentwicklungskonzept (ISEK), das für Bad Berneck (...) bescheidene Hoffnung in kleinen Schritten verheißt. (...). Drei Projekte ragen dabei heraus: authentisch sanierte Hausfassaden, ein Mehrgenerationenhaus sowie ein künftiges Burgen-Freiland-Museum, as deutschlandweit ausstrahlen soll",

berichtet Harald LACHMANN über jene typische Stadtentwicklungstristesse, die auf Fördermillionen abzielt:

"Rund 1,52 Millionen Euro flossen (...) schon aus diversen Städtebautöpfen von Bund und Land in Nordbayerns letzten Kneippkurort. Denn fast alle Vorhaben werden mit 80 bis 90 Prozent bezuschusst".

Fazit: Was nicht zur neoliberalen Ideologie der Stadtentwicklung passt, bleibt außen vor. Schön sanierte Fassaden aber, das zeigt Ostdeutschland, rettet nicht vor dem Niedergang, denn was passiert, wenn auch das letzte Kaff tot saniert ist und mit Museen vollgepflastert wurde? In diesem neoliberalen Standortwettbewerb können nicht alle Gewinner sein, sondern im Gegenteil: die verkehrliche und soziale Daseinsvorsorge verkümmert weiter.     

FRITSCHE, Andreas (2018): Kreißsaal geschlossen.
Brandenburg: Weil zwei Hebammen kündigten, musst die Havelland Klinken GmbH den Kreißsaal in Nauen vorerst schließen,
in: Neues Deutschland v. 06.10.

HAHN, Thomas (2018): Kinder, zur Sonne.
Mecklenburg-Vorpommern: Wieso hat Schwerins Arbeiterwohlfahrt eine Kita auf Mallorca?
in: Süddeutsche Zeitung v. 10.10.

Thomas HAHN berichtet über die Kita Santa Maria del Cami auf Mallorca, die eine von 8 Kitas der Arbeiterwohlfahrt (AWO) des Kreises Schwerin-Parchim ist.

AWO-Kita Leuchtturm am Schweriner Pfaffenteich, Foto: Bernd Kittlaus 2018

SABRANSKY, Alina (2018): Stadt mit Platz.
Peripherie: Luckenwalde in Brandenburg hat, was Großstädten heute fehlt: jede Menge leerer Gebäude zum Wohnen und Arbeiten. Das trifft sich gut. Denn die Zeiten der Abwanderung sind vorbei,
in: Freitag Nr.41 v. 11.10.

LEITHOLD, Iris (2018): Greifswald ist besonders gefragt.
Mecklenburg-Vorpommerns größere Städte wachsen - Mietanstieg befürchtet,
in: Neues Deutschland v. 10.10.

Iris LEITHOLD berichtet über die Bevölkerungsentwicklung in Mecklenburg-Vorpommern. Die Daten zu Kreisen und Gemeinden wurden bereits mit der Pressemitteilung Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern 2017 leicht angestiegen vom 21.09.2018 zur Verfügung gestellt. Dort heißt es:

"Die Bevölkerung Mecklenburg-Vorpommerns ist 2017 gegenüber dem Vorjahr um 445 Personen auf 1.611.119 Einwohner angestiegen, davon waren 794.873 männlichen und 816.246 weiblichen Geschlechts.
Die Entwicklung der Bevölkerung ergibt sich einerseits aus den Geburten und Sterbefällen und andererseits aus den Zu- und Fortzügen. Die leichte Bevölkerungszunahme im Jahr 2017 basiert auf dem Wanderungsgewinn, der den Sterbeüberschuss knapp übersteigt.
So lag der Saldo aus Zu- und Fortzügen über die Landesgrenze im Zeitraum 01.01. bis 31.12.2017 bei + 8.120 Personen und hat sich gegenüber dem Vorjahr um + 2.728 Personen erhöht. Der Wanderungsgewinn gliedert sich etwa je zur Hälfte in Zuzüge aus anderen Bundesländern sowie aus dem Ausland.
Vom Wanderungsgewinn profitierten sowohl die beiden kreisfreien Städte als auch die Landkreise, allen voran die Landkreise Rostock (+ 1.700) und Vorpommern-Rügen (+ 1.599). Die geringsten Wanderungsgewinne erzielten der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte (+ 426) und die Landeshauptstadt Schwerin (+ 457).
Im Jahr 2017 wurden 13.081 Kinder lebend geboren. Das entspricht einem Rückgang zum Vorjahr von 361 Neugeborenen oder 2,7 Prozent. Dem standen 20.736 Sterbefälle gegenüber, was im Vergleich zum Vorjahreszeitraum einem Anstieg um 291 Personen oder 1,4 Prozent entspricht. Der daraus resultierende Sterbefallüberschuss von - 7.655 Personen lag somit über dem Vorjahreswert (- 7.003). Vom Sterbefallüberschuss waren alle Landkreise und kreisfreien Städte Mecklenburg-Vorpommerns betroffen, wenngleich regionale Unterschiede existierten. So ergaben sich für die Landkreise Mecklenburgische Seenplatte (- 1.648) und Vorpommern-Greifswald (- 1.459) die höchsten Werte, die beiden kreisfreien Städte Schwerin (- 282) und Rostock (- 312) wiesen dagegen die geringsten Sterbeüberschüsse auf."

LEITHOLD stellt Zusammenhänge zwischen dieser Bevölkerungsentwicklung und Entwicklungen auf dem Mietmarkt her, obwohl dafür nicht die Entwicklung der Personen- sondern der Haushaltszahlen maßgebender ist. Außerdem wird auf außergewöhnliche Entwicklungen eingegangen:

"Im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte schrumpfte die Bevölkerung mit minus 1.242 am stärksten. Besonders stark verlor dort zum Beipsiel die Stadt Stavenhagen: Ihre Einwohnerzahl sank um 361 oder 5,9 Prozent auf 5.766. Der Grund ist jedoch ein besonderer: Im vergangenen Jahr wurde die Flüchtlingsunterkunft in Stavenhagen-Basepohl geschlossen, sagte Hauptamtsleiter Joachim Demske. Ansonsten sei die Bevölkerungszahl in der Reuterstadt stabil."

GÜNTHER, Anna & Johann OSEL (2018): Lehrermangel wird Dauerproblem.
32.000 Pädagogen müssten Jahr für Jahr eingestellt werden, um den Bedarf bis 2030 zu decken. Laut Kultusministerkonferenz gibt es viel zu wenig ausgebildete Lehrkräfte - vor allem im Osten,
in: Süddeutsche Zeitung v. 12.10.

GÜNTHER & OSEL berichten, dass die Kultusministerkonferenz (KMK) ihre Lehrerbedarfsprognose vor der Bayernwahl geschönt hat. Der Lehrermangel fällt voraussichtlich wesentlich höher aus. Die alte Bevölkerungsvorausberechnung stammt aus dem Jahr 2013 und ist mittlerweile völlig überholt, weil der Geburtenanstieg nicht angemessen berücksichtigt wurde. Schuld daran sind die interessengeleiteten Bevölkerungsvorausberechnungen des Statistischen Bundesamts, das eine nachgeordnete Behörde des Bundesinnenministeriums ist, das seit 2005 in der Hand der Union ist.

LEHMANN, Anna (2018): Lehrermangel bis mindestens 2030.
Die Kultusminister haben eine eigene Prognose zum Lehrerbedarf erstellt. Besonders im Osten werden Lehrer_innen gesucht,
in: TAZ v. 13.10.

FABRICIUS, Michael (2018): Gute Aussichten im Osten.
Im Zuge der Wiederbelebung vieler Städte in den neuen Bundesländern werden die Immobilien vor Ort für Investoren attraktiver,
in: Welt v. 18.10.

Michael FABRICIUS berichtet über den jährlichen Wohnungsmarktbericht Ostdeutschland der TAG Immobilien AG

"Renditen zwischen vier und zwölf Prozent seien in den 27 größten Städten Ostdeutschlands möglich, heißt es in der diesjährigen Ausgabe",

lügt uns FABRICIUS an. Der Bericht umfasst lediglich 27 ostdeutsche Städte. Die Größe spielt dabei jedoch keine Rolle, sondern die Interessen der Firma. So umfasst z.B. die Region Rostock die Städte Rostock, Schwerin, Stralsund, Greifswald und Waren in Mecklenburg-Vorpommern. Waren (Müritz) ist jedoch nur die achtgrößte Stadt in Mecklenburg-Vorpommern. Die Städte Neubrandenburg, Wismar und Güstrow wären größer.

Fazit: Der Wohnungsmarktbericht ist sehr selektiv, was bereits anhand der letzten beiden Wohnungsmarktberichte aufgezeigt wurde.

FRITSCHE, Andreas (2018): Manches Dorf hat Zukunft.
Brandenburgs Politik stellte sich für die Gegenden fernab des Berliner Speckgürtels lange Jahre auf einen Schrumpfungsprozess ein. Doch teilweise lagen die Bevölkerungsprognosen falsch,
in: Neues Deutschland v. 20.10.

ÖCHSNER, Thomas (2018): Jetzt sind die Kleinen dran.
Bislang zogen die Mieten vor allem in den Metropolen an. Inzwischen aber steigen die Preise in Klein- und Mittelstädten am stärksten. Zugleich verstärken die höheren Wohnkosten die Ungleichheit im Land,
in: Süddeutsche Zeitung v. 23.10.

Im Gegensatz zum Handelsblatt stellt Thomas ÖCHSNER die Ergebnisse des IVD-Wohn-Preisspiegels 2018/2019 in den Mittelpunkt des Artikels und die Studie von FITZENBERGER/DUSTMANN/ZIMMERMANN wird nur nebenbei erwähnt. Die folgende Tabelle zeigt die 10 Städte mit der teuersten/günstigsten Kaltmiete der IVD-Erhebung.

Stadt Bundesland Kaltmiete (Euro/qm) Stadt Bundesland Kaltmiete (Euro/qm)
München Bayern 14,00 Dierdorf Rheinland-Pfalz 3,50
Stuttgart Baden-Württemberg 12,20 Rockenhausen Rheinland-Pfalz 3,50
Sylt Schleswig-Holstein 11,50 Altena Nordrhein-Westfalen 4,00
Ingolstadt Bayern 10,85 Aschersleben Sachsen-Anhalt 4,00
Köln Nordrhein-Westfalen 10,70 Eisenberg Rheinland-Pfalz 4,00
Frankfurt Hessen 10,50 Herscheid Nordrhein-Westfalen 4,00
Mainz Rheinland-Pfalz 10,30 Plettenberg Nordrhein-Westfalen 4,00
Vordertaunus Hessen 10,00 Rengsdorf Rheinland-Pfalz 4,00
Potsdam Brandenburg 10,00 Görlitz Sachsen 4,25
Hamburg Hamburg 10,00 Helmstedt Niedersachsen 4,30

Inwiefern diese Erhebung des Lobbyverbandes der "Beratungs- und Dienstleistungsberufe in der Immobilienwirtschaft" repräsentativ für den Mietwohnbereich in Deutschland ist, wird nicht transparent gemacht. Grundlage sind weniger als 400 der mehr als 2.000 Städte in Deutschland.

"Der IVD vertritt Makler, Sachverständige und Wohnungsverwalter, die etwa 3,5 Millionen Wohnungen in Deutschland betreuen. Auf ihren Angaben beruhen die Daten in dem Preisspiegel, für den der IVD Mietverträge berücksichtigte, die von April bis Ende September abgeschlossen wurden",

schreibt ÖCHSNER zur Erhebungspraxis des IVD.  

DROBINSKI, Matthias/RICHTER, Nicolas/RIEDEL, Katja (2018): Asche zu Asche.
Bayern: Bis zu 50 Millionen Euro hat das Bistum Eichstätt verspekuliert. Der Bischof ruft: "Herrgott, was willst du mir sagen?" Ein Besuch,
in: Süddeutsche Zeitung v. 23.10.

ÖFINGER, Hans-Gerd (2018): Mühseliger Kampf um das Nötigste.
Im ländlichen Hessen sieht man sich von der Landespolitik benachteiligt - Eindrücke aus Oberzent im Odenwald,
in: Neues Deutschland v. 26.10.

Oberzent, Hauptort Beerfelden, Foto: Bernd Kittlaus 2018

GROSSARTH, Jan (2018): Ölland.
Niedersachsen: Menschen und Wirtschaft: Wo es viel Erdöl gibt, da herrschen Gewalt und Korruption. Aber in Emlichheim ist das anders,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 26.10.

Jan GROSSARTH berichtet aus der beschaulichen, rund 7.300 Einwohner zählende Gemeinde Emlichheim im niedersächsischen Landkreis Grafschaft Bentheim an der deutsch-niederländischen Grenze. Von der Ölförderung profitiert die Gemeinde jedoch am wenigsten:

"Etwas Gewerbesteuer. Große Teilen fallen aber woanders an: dort, wo Wintershall oder seine Eigentümerin BASF ihre Sitze haben zum Beispiel. Und die Ölförderabgabe zwischen 9 und 18 Prozent der Fördermenge, kassiert das Land Niedersachsen. Fünfundneunzig Mitarbeiter verdiene hier ihr Geld, immerhind. Es waren mal achthundert.
Größer ist das Werk der Emsland Stärke, das Kartoffeln für die Industrie verarbeitet."

DRIBBUSCH, Barbara (2018): Im Wunderland.
Nahaufnahme: Die Metzgerei schließt wegen Personalmangel. Eigner Bau sucht Arbeitskräfte bis ins Ausland. Das Wartezimmer im Jobcenter ist leer. Ein Spaziergang durch Nördlingen, wo alle schon in Arbeit sind,
in: TAZ v. 29.10.

Journalisten lieben Extremfälle für ihre Zuspitzungen und der Zeitgeist steht neuerdings auf anderen Zuspitzungen als noch vor 15 Jahren als Journalisten zu den  Zentren hoher Arbeitslosigkeit pilgerten. Neuerdings sind die Pilgerstätten die Zentren der Vollbeschäftigung!

FAZ/FAS pilgern regelmäßig nach Eichstätt in Bayern. Inge KLOEPFER verglich im Jahr 2014 das fleißige katholische Bienchen mit dem faulen protestantischen Ruhrpott. Und erst im Januar pilgerten ASTHEIMER & KÖHN wieder nach Eichstätt, wo 1,2 % Arbeitslosigkeit - und damit Vollbeschäftigung - herrschte. Die taz als bessere faz/fas pilgert nun nach Nördlingen in Bayern, das mittlerweile das neue fleißige Bienchen sein soll (1,8 % Arbeitslosigkeit).

Dort müssen Metzgereien schließen, weil die weiblichen Fachkräfte massenweise schwanger werden. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zeigt hier in Zeiten des Geburtenanstiegs seine Kehrseite. In Nördlingen herrschen paradiesische Zustände, denn der Arbeitsmarkt ist dort ein "Arbeitnehmermarkt" meint zumindest Barbara DRIBBUSCH. Nicht etwa hochbezahlte Doppel-Karriere-Familien, für die notfalls der rote Teppich ausgerollt wird und der Partner auch noch gleich mitversorgt wird (das Paradies à la Ulrich BECK), gelten hier als "Gold auf zwei Beinen", sondern die Schlechterbezahlten. DRIBBUSCH erklärt uns die "neue" Arbeitsmarkthierarchie folgendermaßen:

"Wer mit (...) Firmenchefs in Nördlingen spricht, spürt, dass es eine unausgesprochene Hierarchie gibt im Wettbewerb um Fachkräfte und Schulabgänger, deren Zahl ohnehin demografisch bedingt sinkt: Größere Unternehmen haben es leichter als kleine, Nachwuchs zu gewinnen. Schwerer haben es Betriebe in der Provinz, obwohl Unternehmen oft gerade dort residieren. Schwerer als die Industrie hat es das Handwerk, und richtig schwer haben es Berufe, die als anstrengende und schlecht bezahlte Frauenjobs gelten. So wie die in der Altenpflege."

Hat etwa die AfD in Nördlingen zugelegt? In einem Stimmbezirk in Nördlingen erhielt die AfD bei der diesjährigen Landtagswahl  21,8 % und wurde dort zweitstärkste Kraft, während die Grünen nur drittstärkste Kraft mit 13,7 % der Zweitstimmen wurde - und das obwohl dort Vollbeschäftigung herrscht und es dort nur "245 arbeitslose Hartz-IV-Empfänger" in der rund 20.000 Einwohner zählenden Stadt gibt. Das Ergebnis zählt zu den Spitzenwerten im Landkreis Donau-Ries. Nur übertroffen von zwei Stimmkreisen in Donauwörth mit 27,7 % und 22,4 %. Darüber schweigt DRIBBUSCH jedoch.

"»Wir haben hier einen Rest heiler Welt«, sagt Ingrid Eicher, »wer einigermaßen gesund ist, den bringen wir unter  auf dem Arbeitsmarkt«. Die 60-Jährige Beamtin leitet das Jobcenter im Agenturbezirk Donauwörth, wozu auch Donau-Ries und Nördlingen gehören. Der Agenturbereich hat die niedrigste Arbeitslosenquote in Deutschland. (...) Die Langzeitarbeitslosen seien ja »keine faulen Leute«, sagt Eicher (...) Flüchtlinge sind in der Regel jünger und gesünder als die deutschen Langzeitarbeitslosen, ihre Vermittlungsquoten im Bezirk sind deshalb sogar höher. Auch Helferjobs gibt es in der Region",

zitiert DRIBBUSCH und fügt hinzu, dass wer nicht arbeiten will, erst gar nicht ins Jobcenter geht, weil er sonst eine der vielen freien Stellen angeboten bekommt. Weil sich "Fachkräftemangel" nach Bedürftigkeit anhört, wird neuerdings von "Fachkräftesicherung" gesprochen. Nördlingen wird uns zudem als demografisch unproblematische Stadt vorgestellt:

"Hermann Faul (...), 69, Mitglied in der Parteifreien Wählergemeinschaft (PWG), ist Oberbürgermeister von Nördlingen (...).
Nördlingen habe Zuzug, erzählt Faul nicht ohne Stolz. Kürzlich hatten Schlaumeier in irgendeiner Bertelsmann-Studie prophezeit, die Einwohnerzahl von Nördlingen werde in Zukunft sinken, wie in anderen Kleinstädten auch. Ist sie aber nicht, sondern sogar auf etwas über 20.000 gestiegen. Ab 20.000 Einwohnern ist man nicht mehr Kleinstadt, sondern Mittelstadt."

Fazit: Die Reportage zielt darauf ab, die Notwendigkeit von Zuwanderung im ländlichen Raum aufzuzeigen und zieht damit an einem Strang mit der neoliberalen Lobbyorganisation IW Köln.    

FUCHS, Thorsten (2018): Das Dorf, die Kohle und der Tod.
Keyenberg soll dem Braunkohle-Abbau im rheinischen Revier weichen - doch seit dem Rodungsstopp für den Hambacher Forst schöpft mancher in der Gemeinde neue Hoffnung,
in: Frankfurter Rundschau v. 29.10.

"In Keyenberg, 15 Kilometer südlich von Mönchengladbach, lebten mal knapp 900 Menschen. Jetzt sind es wohl noch rund 600. Die anderen sind schon weg, umgezogen ins Baugebiet »Keyenberg (neu)« sieben Kilometer von hier, oder verstreut in alle Winde. Bis 2023, so ist der Plan, sollen hier alle fort sein. Umgesiedelt, wie es heißt, damit die Bagger die Braunkohle aus der Erde holen können. Die Keyenberger sind nicht die Ersten, die dieses Schicksal trifft. (...).
Sie sind die Letzten. Zusammen mit ihren Nachbarorten, mit Kuckum, Beckerath, Unterwestrich und Oberwestrich, mit Proschim ind der Lausitz und Pödelwitz und Obertitz nahe Leipzig",

erzählt uns Thorsten FUCHS, der den Widerstand einer kleinen Gruppe beschreibt und fragt:

"Lässt sich das gegeneinander aufrechnen: Tausende Jobs gegen die Heimat von 1.600 Menschen in den fünf Umsiedlungsorten am Tagebau Garzweiler? Kann nicht auch Arbeit im besten Fall, eine Art von Heimat sein?"

NEIßE, Wilfried (2018): Fusionsdebatten lähmen die positiven Kräfte.
Brandenburg: Städte- und Gemeindebund fordert das Land Brandenburg auf, die Randgebiete zu stärken und die Berlin-Zentriertheit aufzugeben,
in: Neues Deutschland v. 30.10.

BEITZER, Hannah (2018): Kleinstadtidylle und Pendlerfrust.
Brandenburg: Können "Städte in der zweiten Reihe" das Berliner Wohnungsproblem lösen? Im brandenburgischen Eberswalde hat man sich dazu Gedanken gemacht,
in: Süddeutsche Zeitung v. 31.10.

HÖHNL, Franziska (2018): Gardelegen sucht Gardelehrer.
Sachsen-Anhalt: Wie Pädagogen mit Buschzulage und Stipendium in Sachsen-Anhalt aufs Land gelockt werden sollen,
in: Neues Deutschland v. 02.11.

ECKERT, Daniel (2018): Schulden teilt Städte in Gewinner und Verlierer.
Kommunen mit ohnehin guter Finanzlage profitieren von steigenden Einnahmen, so eine Studie. Andere hingegen stecken in einer Negativspirale,
in: Welt v. 02.11.

Nicht die Schulden teilen die Städte, sondern die neoliberale Standortpolitik, die nicht auf Ausgleich, sondern auf Konkurrenz setzt. Daniel ECKERT berichtet über die jährliche Veröffentlichung der Kommunenstudie durch die Unternehmensberatung EY.

MATZIG, Gerhard (2018): Raus aufs Land.
Samstagsessay: Alle ziehen in die Stadt, die Folgen sind Wohnungsnot, schlechte Luft und Stress. Es ist höchste Zeit, über Alternativen nachzudenken. Denn es gibt sie,
in: Süddeutsche Zeitung v. 03.11.

"Warum sollten Arbeit und Leben nicht dort organisiert werden, wo der Wohnraum schon ist - auf dem Land oder in urban organisierten Regionalzentren?
Dazu müsste dieser Raum ertüchtigt werden: infrastrukturell - und insbesondere auch mit einem leistungsstarken Internet. Die Ortskerne sollten architektonisch aufgewertet und kulturell bespielt werden. (...) Auch kleine Orte und Gemeinden können, wie der Blick ins Mittelalter zeigt, urban strukturiert sein.
Die Parteien müssen also keineswegs urbaner werden, sondern sich vielmehr um ein Land mit urbanen Qualitäten bemühen",

meint Gerhard MATZIG in seinem Wort zum Sonntag.

LASCH, Hendrik (2018): Willkommen in der Pampa.
Viele Städter träumen vom Landleben. Oft bleibt es bei der Idee. Eine Initiative in der Oberlausitz aber will Interessenten zum Schritt ins Dorf ermutigen - und als "Raumpioniere" gewinnen,
in: Neues Deutschland v. 03.11.

STEEGER, Gesa (2018): Reis und Rouladen.
Thüringen: Überall in Deutschland fehlen Fachkräfte. Während die Bundesregierung um ein Einwanderungsgesetz ringt, hilft sich ein Fleischer aus Thüringen selbst - mit Auszubildenden aus Vietnam,
in: TAZ v. 03.11.

SCHRINNER, Axel (2018): Neue Lehrer braucht das Land.
Grafik des Tages: Für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland ist die Jugend die wichtigste Ressource. Entgegen früheren Prognosen steigen die Schülerzahlen wieder. Nun fehlen 40.000 Lehrer, schätzt der Deutsche Lehrerverband. Weil die Lehrerausbildung viele Jahre dauert, bekommen jetzt zahlreiche Quereinsteiger eine Chance. Welche Folgen das für die Qualität des Unterrichts hat, ist offen,
in: Handelsblatt v. 05.11.

Die Unterscheidung zwischen guten "investiven" und bösen "konsumtiven" Ausgaben in der neoliberalen Politik hat dazu geführt, dass der propagierte "schlanke Staat" nun seine Kehrseite mit Lehrer- und Erziehermangel und fehlende Abwehrkräfte gegen die neuen Rechten in Ostdeutschland zeitigt. Diese Folgen unserer neoliberalen Austeritätspolitik werden unser Staatswesen noch zu schaffen machen.

FERSTL, Max (2018): Gefangen im Zustand des Verfalls.
Bayern: In der Amberger Frauenkirche ist der letzte Gottesdienst lange her. Aber noch ist in Bayern keine Kirche aufgegeben worden. Das könnte sich ändern,
in: Süddeutsche Zeitung v. 05.11.

"Es ist in Deutschland keine Seltenheit mehr, dass Kirchen verschwinden. Mehr als 500 wurden seit dem Jahr 2000 aufgegeben, die Zahlen hat das Internetportal katholisch.de im vergangenen Jahr veröffentlicht. Mancherorts gab es Massenschließungen, allein im Bistum Essen traf es 105 Kirchen. Die bayerischen Pfarreien haben sich bisher erfolgreich gegen diesen Trend gestemmt. (...).
Innerhalb des katholischen Bayerns gelten die Oberpfälzer als besonders gläubig. (...). In Amberg, einer Stadt mit gut 43.000 Einwohnern, gibt es fünf Pfarreien und - allein in der Innenstadt, wenige Gehminuten voneinander entfernt - vier stattliche Kirchen. (...) Über dem Marktplatz thront die Basilika (...). Größer in der Oberpfalz ist nur der Regensburger Dom. Auf der anderen Seite der Vils befinden sich St. Georg, die älteste Kirche Ambergs, und die Schulkirche. (...). Die Frauenkirche hingegen hat eine unscheinbare, glatte Fassade. Sie ist der Außenseiter des Quartetts",

erklärt uns Max FERSTL zum Niedergang der Kirchen in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Lage in Amberg, deren Einwohnerentwicklung stagniert. 

FRITSCHE, Andreas (2018): Ohne Kohle geht die Arbeit nicht aus.
Brandenburg: Selbst beim Wegfall von Tagebauen und Kraftwerken droht dem Revier in der Lausitz ein Fachkräftemangel,
in: Neues Deutschland v. 06.11.

JOUHAR, Jasmin (2018): Stadt Land Flucht.
Brandenburg: Das gute Leben auf dem Dorf? Regisseurin Lola Randl versucht es in der Uckermark,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 06.11.

FRITSCHE, Andreas (2018): Schwere Geburt.
In Brandenburg herrscht ein Hebammenmangel, der sich nicht schnell beheben lässt,
in: Neues Deutschland v. 07.11.

SCHRÖRS, Tobias (2018): Sie haben den Ostkreis-Blues.
Hessen: Warum in einem hessischen Dorf beinahe jeder vierte Bürger die AfD gewählt hat - und daran nicht nur die große Koalition schuld ist,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 09.11.

"Bei der Landtagswahl hat die rechtspopulistische AfD landesweit 13,1 Prozent der Zweitstimmen bekommen, in Hirzenhain, wo gerade einmal 2.900 Menschen wohnen, waren es 23,3 Prozent, damit ist die Partei in der Gemeinde stärkste Kraft",

berichtet Tobias SCHRÖRS aus dem osthessischen Wetteraukreis, wo die CDU letztes Jahr einen Bürgermeister vor seiner Abwahl wegen Wahlfälschung zu schützen versuchte.

BEDERKE, Jeanette (2018): Probewohnen in Eberswalde.
Brandenburg: Das Wohnungsunternehmen WHG wirbt in Kooperation mit der Stadtverwaltung um Zuzügler aus Berlin,
in: Neues Deutschland v. 14.11.

HAERDER, Max (2018): Ist Heimat zu teuer?
Der Ökonom Joachim Ragnitz glaubt, dass viele ländliche Regionen keine Zukunft mehr haben. Bürgermeisterin Christine Herntier dagegen will ihre Lausitz retten. Ein Gespräch über Kohleausstieg, kluges Schrumpfen und den politischen Mut, nicht zu viel zu versprechen,
in: Neues Deutschland v. 16.11.

Die parteilose Christine HERNTIER, die 2014 mit Unterstützung von SPD und Linkspartei zur Bürgermeisterin von Spremberg in Brandenburg gewählt wurde, ist Mitglied der Kohlekommission. Spremberg wird uns als schrumpfende Gemeinde präsentiert ("einst 28.000 Einwohner, heute noch 23.000"). Bei Wikipedia findet sich eine max. Einwohnerzahl von rund 26.600 und einem Stand für Ende 2017 von rund 22.500 Einwohner. Durch Eingemeindungen können sich aber für das heutige Gebiet andere Einwohnerzahlen ergeben.

PEZZEI, Kristina (2018): Fast schon Münchener Verhältnisse.
Wohnen in Bamberg: Bamberg ist kein Geheimtipp mehr. Die Einwohnerzahl in der Welterbe-Stadt wächst. Für Wohnungssuchende wird das zum Problem,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 16.11.

"Der Bamberger Wohnungsmarkt ist eng geworden.
So eng, wie es vor ein paar Jahren noch kaum jemand für möglich gehalten hätte. Das schmucke Städtchen mit bald 80.000 Einwohnern am Nordrand Bayerns galt als Geheimtipp. (...).
Das »fränkische Rom« nennen Touristiker Bamberg, wegen seiner Lage auf sieben Hügeln mit phantastischen Ausblicken auf die Fränkische Schweiz.
Doch die Idylle, die Tagesgäste ins Schwärmen bringt, hat Risse erfahren. In den vergangenen zehn Jahren ist Bamberg um etwa 7.000 Einwohner gewachsen, das sind gut zehn Prozent mehr.
»Bamberg ist Schwarmstadt geworden«, sagt Oberbürgermeister Andreas Starke (SPD). (...). Bamberg zieht Studenten an, Bewohner aus dem Umland, die es gerade im Alter in ein urbanes Umfeld mit hoher Versorgungsqualität lockt. Spätestens, seit die Stadt zum Verkehrsverbund des Großraums Nürnberg gehört, interessieren sich auch immer mehr Menschen, die in Erlangen, Fürth oder Nürnberg arbeiten, für Bamberg als Wohn- und Lebensort",

beschreibt Kristina PEZZEI die Attraktivität des Wohnorts Bamberg. Als Trendviertel wird uns Bamberg-Ost beschrieben, weil in anderen Teilen der Stadt kein bezahlbarer Wohnraum existiert:

"Westlich des Flusses Regnitz, wo die Ebene ins Hügelige übergeht, enge Altstadtgassen zwischen Kirchen in feine Villenviertel übergehen, gibt es kaum Bewegung auf dem Wohnungsmarkt. »Im Welterbe-Bereich ist es schwierig, Bauvorhaben zu verwirklichen«, erläutert Oberbürgermeister Starke. Daran anschließende Teile seien zum Teil »privilegiert«. (...).
Ein ehemaliges Industriegelände an der Regnitz etwa, Schauplatz einer Landesgartenschau, werde überwiegend zur Wohngegend für Wohlhabende.
Je mehr der Osten Bambergs ins Schlaglicht rückt, desto mehr steigt allerdings auch hier der Druck. Früher galt die Gegend als schmucklos und unattraktiv im Vergleich zu den intellektuell geprägten berg- und flussnahen Vierteln, heute wird verdichtet im Express.
"

STAIB, Julian (2018): Die wahren Konservativen?
Hessen: Im hessischen Zwingenberg gibt es fast keine Grünen - trotzdem ist die Partei dort sehr erfolgreich bei Wahlen,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 19.11.

"Unten, im Örtchen, gedeih große Feigenbäume. Eine fein hergerichtete Stadt mit renovierten Fachwerkhäuschen, Kopfsteinpflaster, wenigen Autos - und kaum Menschen, zumindest tagsüber. Da sind die meisten arbeiten. Die Arbeitslosigkeit ist gering, dem Örtchen mit seinen rund 7.000 Einwohnern geht es gut. Mehr als ein Viertel derer, die hier vor drei Wochen zur Wahl gingen, stimmten für die Grünen. 26,4 Prozent der Zweitstimmen holten sie bei der Landtagswahl, mehr als jede andere Partei. (...).
Dabei gibt es in Zwingenberg kaum Grüne. Es gibt zwar seit Jahrzehnten die »Gemeinschaft für Umweltschutz und Demokratie«, kurz GUD, eine unabhängige Bürgerinitiative. Die ist mit acht Sitzen in der Stadtverordnetenversammlung vertreten, was sie zur zweitstärksten Kraft hinter der CDU macht. Aber nur ein GUD-Mitglied der Versammlung ist auch Mitglied bei den Grünen",

berichtet Julian STAIB von oben herab. Anlass ist jedoch die Bürgermeisterwahl 2019 bei der das 42-jährige FDP-Mitglied Holger HABICH zum dritten Mal zum Bürgermeister gewählt werden will. FDP und CDU in Zwingenberg setzen auf das Marketinglabel "Cittaslow". In Deutschland haben sich bislang seit nur 21 Gemeinden unter diesem Marketinglabel versammelt.

SCHEPPE, Michael (2018): Die heimlichen Stars.
Titel: Kein Land bringt so viele Weltmarktführer hervor wie Deutschland. Davon profitiert die gesamte Volkswirtschaft. Doch ist das auch ein Erfolgsmodell für die Zukunft?
in: Wirtschaftswoche Nr.48 v. 19.11.

"IST Metz sitzt in einer Nebenstraße in Zizishausen, einem Vorort von Nürtingen im Landkreis Esslingen, 19 Kilometer südöstlich von Stuttgart. Der 3.000-Seelen-Ort dürfte der Öffentlichkeit genauso unbekannt sein wie die Firma selbst. Dabei ist sie Weltmarktführer. (...).
Im Landkreis Esslingen sind gleich 14 Weltmarktführer zu Hause, zeigt eine Auswertung der Universität St. Gallen für die WirtschaftsWoche. Das ist deutscher Rekord. (...).
In keinem anderen Staat gibt es so viele Weltmarktführer wie in Deutschland, nirgends basiert der volkswirtschaftliche Erfolg so stark auf der Leistungskraft hoch spezialisierter Industriebetriebe. Und im Gegensatz zu anderen Nationen ballen sich die Top-Arbeitgeber nicht in urbanen Zentren. Sie sind dezentral, über das gesamte Bundesgebiet verteilt. (...). (...).
Die (...) Universität St. Gallen (...) klassifiziert eine Firma als Weltmarktführer, wenn sie weltweit die Nummer eins oder zwei ist, mindestens in drei Kontinenten präsent ist und 50 Millionen Euro jährlich umsetzt, davon wenigstens 50 Prozent im Ausland. So definiert, gibt es hierzulande 455 Champions, die für weltweit 7,16 Millionen Arbeitsplätze und einen Umsatz von fast zwei Billionen Euro stehen.
Auch Dax-Konzerne wie Adidas oder VW gehören zu den Weltmarktführern; die Hälfte machen familiengeführte Mittelständler aus",

erzählt uns Michael SCHEPPE. Daneben wird uns jedoch auch der Begriff "Hidden Champions" von Hermann SIMON präsentiert:

"Nach seiner Zählung sitzt knapp die Hälfte der gut 2.700 heimlichen Weltmeister in Deutschland."

Der Begriff weicht also von der vorher propagierten Definition ab, ohne dass deren Kriterien genannt werden. Die wirklichen 455 Weltmarktführer in Deutschland sind zudem extrem ungleich verteilt wie die Grafik Die Lücke im Osten belegt:

"Mecklenburg-Vorpommern ist das einzige Bundesland, in dem kein Weltmarktführer seinen Sitz hat. Und insgesamt stammen nur knapp drei Prozent aller Weltmarktführer aus dem deutschen Osten - die Bundeshauptstadt Berlin mit eingerechnet." 

AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE-Thema: Nation und Nationalismus

KOPPETSCH, Cornelia (2018): In Deutschland daheim, in der Welt zu Hause?
Der Heimat-Diskurs und die Transnationalisierung von Klassenstrukturen,
in: Aus Politik und Zeitgeschichte Nr.48 v. 26.11.

Die Soziologin Cornelia KOPPETSCH unterscheidet zwei Heimatbegriffe, deren Vertreter in der öffentlichen Debatte für sich moralische Überlegenheit reklamieren: zum einen das kosmopolitische Selbstverständnis, das die Möglichkeit der Anverwandlung einer zweiten oder sogar dritten Heimat voraussetzt, und zum anderen das Heimat-als-Schicksal-Modell.

"Versucht man vor diesem Hintergrund nun, den Begriff »Heimat« allgemein und beide Lebensformen umfassend zu bestimmen, so stößt man auf insgesamt drei essentielle Bestandteile: Singularität, Vertrautheit und sozialräumliche Exklusivität beziehungsweise Schließung",

schlussfolgert KOPPETSCH. Beide Fraktionen kennzeichnen sich durch unterschiedliche Grenzziehungen aus: Kosmopoliten grenzen sich nach unten ab, während die Heimat-als-Schicksal-Fraktion nach außen abgrenzt.

Der Kosmopolit wird von KOPPETSCH als Besserverdienender konstruiert, denn die Grenzziehungen, die KOPPETSCH beschreibt, muss man sich erst einmal leisten können:

"Zu den wirkungsvollsten Grenzanlagen gehört die kapitalistische Ausrichtung des Lebensstils, denn das eigene Territorium wird primär im Modus ökonomischer Grenzen verteidigt. Kulturelle Offenheit wird somit kompensiert durch ein hochgradig effektives Grenzregime, das über Immobilienpreise und Mieten, über ein sozial und ethnisch hoch selektives Bildungswesen sowie über den Zugang zu exklusiven Freizeiteinrichtungen und Clubs gesteuert wird. Abgrenzung erfolgt nicht nach außen, sondern nach unten. Es sind vor allem die ökonomischen Privilegien, die wirkungsvolle Schutzzäune gegenüber unteren Schichten und Migranten darstellen. Gut situierte und gebildete Migranten werden von den einheimischen Kosmopoliten als unproblematisch empfunden, sozial schwache und gering qualifizierte hingegen kommen in den privilegierten Quartieren gar nicht erst vor. Deshalb werden sie von den Bewohnern der kulturell homogenen Milieus auch nicht als Konkurrenten um begehrte Güter wie gesellschaftliche Machtpositionen, Arbeitsplätze, günstigen Wohnraum, Sexualpartner, Sozialleistungen oder staatliche Zuwendungen wahrgenommen.
Das erklärt auch, warum sich Kosmopoliten für gewöhnlich nicht von Migranten irritieren lassen. Für Kosmopoliten in Berliner Bezirken wie Kreuzberg oder Prenzlauer Berg, die zumeist über exklusive Lebensräume und höhere Gehälter verfügen, besitzen fremdenfeindliche Anwandlungen schlicht keine lebensweltliche Grundlage. Migranten – sofern sie nicht auch zur gehobenen Mittelschicht gehören – kommen in dieser Welt zumeist als »Diener« vor" (S.22)

Bei dieser Konstruktion fehlt die Ambivalenz derjenigen, deren Lebenswelten dazwischen liegen und die mit dieser strikten Trennung der beiden Sphären nicht angemessen beschrieben sind. KOPPETSCH geht von einer Aufteilung der Welt in globale, nationale und lokale Zonen aus, d.h. der Nationalstaat spielt heutzutage keine große Rolle mehr, was sich als Irrtum erweisen könnte. Wenn es drei Zonen gibt, aber nur zwei Heimatbegriffe, dann gibt es ein Erklärungsvakuum. Das "transnationale Oben", beschreibt KOPPETSCH folgendermaßen:

"Die hochqualifizierten und gut bezahlten Arbeitnehmer der urbanen akademischen Mittelschicht stellen gemeinsam mit den an der gesellschaftlichen Spitze angesiedelten globalen Eliten das transnationale Oben dar. Sie verfügen über global einsetzbares kulturelles Kapital, transnational verwertbare Bildung und anerkannte Qualifikationen und sind in dem Maße eher lose mit dem nationalen Wirtschafts- und Gesellschaftsraum verbunden wie ihre transnationale Verflechtung in den globalen Metropolen zunimmt. Über ihre soziale Lage wird immer weniger allein im eigenen Land entschieden. Eine Unternehmensberaterin in Frankfurt am Main, ein Investmentbanker in London oder eine Architektin in Taiwan bewohnen einen gemeinsamen Verkehrs- und Transaktionsraum, selbst wenn sie sich nie persönlich begegnet sind und stets innerhalb ihrer Länder verbleiben. Häufig teilen die transnationalen Experten, die sich vorrangig in den Beratungs-, Finanz- und Kulturindustrien finden, nicht nur eine gemeinsame professionelle Identität, sondern eben auch einen gemeinsamen kosmopolitischen Lebensstil, der aus dem Leben in globalen Metropolen resultiert. Die global cities stellen gewissermaßen kosmopolitische Enklaven dar, die in allen Ländern der Welt ähnliche Infrastrukturen und Konsumkulturen aufweisen. Zudem sind die unterschiedlichen Territorien durch ökonomische Austauschbeziehungen und durch das Internet miteinander verbunden. Dadurch werden sich ihre Lebensbedingungen zukünftig noch stärker international angleichen. Das Zugehörigkeitsgefühl der kosmopolitischen Mittelschicht zur eigenen Nation dürfte sich dabei in demselben Maße lockern, wie ihre transnationale Verflechtung innerhalb der global cities zunimmt." (S.24)

Auf der anderen Seite steht dann das transnationale Unten:

"Hier finden sich Geringverdiener aus unterschiedlichen Weltregionen, gering- und de-qualifizierte einheimische Arbeitnehmer und Migranten aus Entwicklungs- und Schwellenländern als modernes transnationales Dienstleistungsproletariat wieder. Für die einheimischen Arbeitnehmer in den Ländern des Globalen Nordens entstehen daraus teilweise gravierende Nachteile, weil ihre Löhne an die niedrigeren internationalen Maßstäbe angeglichen werden. Für sie funktioniert die »soziale Rolltreppe« in die Mittelschicht nun nicht mehr, da sie als Arbeitnehmer innerhalb eines transnationalen Wirtschaftsraums faktisch nicht mehr unter dem Dach ihrer heimischen Volkswirtschaft angesiedelt sind, selbst wenn sie als Staatsbürger weiterhin über alle politischen Rechte verfügen." (S.25)

Dazwischen verortet KOPPETSCH nun die "untere Mittelschicht" als Verteidiger ihrer Privilegien:

"Zwischen dem »transnationalen Oben« aus Eliten und oberer Mittelschicht und dem »transnationalen Unten« befindet sich nun die in den nationalen Wirtschafts- und Wohlfahrtsraum eingebundene untere Mittelschicht, deren Wohlstandsniveau vorläufig weitgehend von innerstaatlichen und nationalen Institutionen geprägt wird und für die die Staatsangehörigkeit in einem reichen nationalen Wohlfahrtsstaat ein erhebliches Privileg darstellt. Doch dieser Teil der Mittelschicht verliert zunehmend seinen Einfluss auf die Geschicke des Landes. Über Lebenschancen und Ressourcenzuteilungen entscheiden immer weniger die klassischen Anwälte der Mitte, wie etwa die Gewerkschaften oder die lange Zeit etablierten Volksparteien, sondern globale Wirtschaftsverflechtungen sowie supra- oder transnationale Einrichtungen. Es zeichnet sich somit immer deutlicher eine zentrale Spaltungsachse innerhalb der Mittelschicht ab: Die akademisch ausgebildete urbane Mittelschicht entwickelt sich zunehmend zu einer transnationalen Oberschicht, während die in den Regionen und Kleinstädten angesiedelte mittlere und untere Mittelschicht noch im nationalen Wirtschafts- und Wohlfahrtsraum verankert ist und ein Interesse an dessen Stärkung, notfalls auch durch Abkopplung von der Globalisierung, hat. Heimat erscheint nicht wenigen von ihnen unter diesen Vorzeichen als etwas, das verteidigt werden muss – zur Not mit Klauen und Zähnen." (S.26)

KOPPETSCH beschreibt damit letztendlich auch einen Konflikt zwischen den Ballungsräumen und der Peripherie der Mittelstädte und ländlichen Regionen. Dabei stellt sich die Frage, ob die Wirtschaftsstruktur in Deutschland sich nicht von anderen Ländern unterscheidet, wie das z.B. der Wirtschaftswoche-Titel über Deutschlands Weltmarktführer behauptet.     

NEIßE, Wilfried (2018): Zuschlag zum Zuschlag.
Brandenburg: Rot-Rot will per Gesetz einige Gemeinden als "grundfunktionale Schwerpunkte" fördern,
in: Neues Deutschland v. 28.11.

WERNER, Uwe (2018): Schorfheide-Bahn am Kaiserbahnhof begrüßt.
Brandenburg: Nach zwölf Jahren wird die Regionalbahn RB 63 wieder bis Templin verlängert - ein Mobilitätsgewinn für die Region  Rot-Rot will per Gesetz einige Gemeinden als "grundfunktionale Schwerpunkte" fördern,
in: Neues Deutschland v. 28.11.

MORGENSTERN, Tomas (2018): Schöner Wohnen in alten Kasernen.
Brandenburg: Mit dem Bernauer Pankebogen entsteht im einstigen Heeresbekleidungsamt ein Wohnpark,
in: Neues Deutschland v. 29.11.

GERTH, Martin (2018): Vermieten, nie mehr arbeiten.
Zinshäuser versprechen sichere Mieteinnahmen und Wertzuwachs. Doch in Großstädten sind sie zu teuer. Günstiger geht es noch in der Provinz,
in: Wirtschaftswoche Nr.48 v. 30.11.

"Zinshäuser, Immobilien mit Mietwohnungen, sind begehrt. Viele träumen von einem Haus, das regelmäßige Mieten wie Zinsen abwirft. Zinsen, dank derer sie nicht mehr arbeiten müssen. Dafür sind sie bereit, mehr zu zahlen als ein professioneller Investor. (...).
Obwohl es in Deutschland 3,2 Millionen Häuser mit drei und mehr Wohnungen gibt, ist der Zinshausmarkt eng. Denn nur wenige Eigentümer verkaufen. Sie warten auf weiter steigende Preise. (...).
Professionelle Investoren legen ihr Geld daher lieber in mittelgroßen Städten an, etwa in Hannover, Dortmund oder Lübeck (B- und C-Städte). (...).
Wo Profis kaufen , steigen die Preise. Schnäppchen sind auch in Städten der zweiten und dritten Reihe selten. es gibt allerdings Märkte mit Potenzial (...). Zinshäuser mit fünf und mehr Wohnungen fangen bei rund einer Million Euro an",

erklärt uns Martin GERTH den Immobilienmarkt auf dem Zinshaussektor. Es ist die private Altersvorsorge - nicht nur in Deutschland, die den Ausverkauf lukrativer nationaler  Immobilienmärkte vorantreibt. Lebensversicherer und Pensionskassen sind die treibenden Kräfte. Daneben sieht GERTH auch Geldverwaltern der wohlhabenden Familien als Konkurrenten von weniger begüterten Möchtegern-Rentiers.

GERTH hält sich beim Begriff "Großstadt" und "Provinz" nicht an die üblichen Größenklassen. Unter den Begriff B- und C-Städte fallen ausschließlich Großstädte über 100.000 Einwohner und nicht etwa Klein- oder Mittelstädte.

HAAK, Sebastian (2018): Die Z-Frage ist wider da.
Thüringen: Die gescheiterte Fusion Eisenachs mit dem Wartburgkreis stellt die Frage von Zwangsreformen neu,
in: Neues Deutschland v. 14.12.

HANECKE, Alexander (2018): Der Dorfkern soll leben.
Bayern: Was kann ein Bürgermeister tun, wenn Leerstand um sich greift, die Straßen veröden und nur noch die Supermarktketten an der Ausfallstraße florieren? Wolfgang Borst hatte eine Idee,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 29.12.

Alexander HANECKE stilisiert den CSU-Bürgermeister Wolfgang BORST zum Helden des demografischen Wandels, der sozusagen die Avantgarde repräsentierte:

"Etwas lief schief in seinem Heimatort, das konnte Wolfgang Borst damals schon sagen. Es war kurz nach der Jahrtausendwende, das mittelalterliche Städtchen Hofheim in Unterfranken, einst Zonenrandgebiet, lag nun in der Mitte des wiedervereinigten Deutschlands. Trotzdem zog eine junge Familie nach der anderen Weg. (...).
Was für Borst, damals ein noch nicht ganz greifbares Gefühl war, ist inzwischen zum politischen Großthema geworden. Von der Verödung der Dörfer oder gar vom Heimatsterben ist die Rede. (...). Das Gefühl, abgehängt zu sein ist zum Leitmotiv politischer Debatten geworden. Der französische Geograph Christophe Guilluy (...) spricht vom »peripheren Frankreich« (...).
Der Wendepunkt war ein Abend im Jahr 2006. (...)(I)n Ostheim stand eine Bürgerversammlung an. Ein Dreihundertseelendorf mit barocker Kirche und mittelalterlichen Fachwerkhöfen, das zu Borsts Gemeinde gehört. Vier junge Familien aus dem Ort hatten Kinder bekommen und brauchten mehr Platz, also sollten vier neue Bauplätze ausgewiesen werden. Nur (...) erkannte die Prognosen: Strukturschwache Gegend weitab der nächsten Großstadt, die Fachleute rechneten mit bis zu 20 Prozent Bevölkerungsrückgang in den kommenden 20 Jahren. (...). Also sagte er nein, kein neues Baugebiet. (...).
Rügheim. In der Ferne sind die Hänge der Haßberge zu sehen, viele Burgen und alte Marktstädte gibt es hier. (...) Das knapp 30 Kilometer entfernte Schweinfurt ist die nächste größere Stadt. Doch die geschichtsträchtigen Häuser sind ohne die Bürger schwer zu erhalten."

Für junge Familien in der Gemeinde attraktiv zu sein, das ist einer der grundlegenden Politikgrundsätze der neoliberalen Standortpolitik. Die Ausweisung von Neubaugebieten galt Mitte der Nuller Jahre keineswegs mehr als Credo. 2006 war man da nur Mitläufer und keine Avantgarde.

"Was 2006 für ihn der Beginn eines »Nachdenkens« war, wie er es beschreibt, hat er heute zu einem Leerstandsmanagement ausgearbeitet. Die Gemeinde erfasst alle unbewohnten Gebäude, vermarktet sie über eine Internetseite, hilft in dem Wirrwarr an öffentlichen Fördermitteln und stellt den Interessenten gleich zu Anfang einen Architekten zur Seite. (...). Den alten Leitsatz, dass Familien nur gehalten werden könnten, wenn die Gemeinde Neubaugebiete ausweist, hat er inzwischen umgedreht: »Jeder Neubau in einer Siedlung bedeutet Leerstand im Altort«, sagt er (...). Das treffe vielleicht nicht auf die großen Ballungsräume für München oder Frankfurt zu, auf die restlichen 80 Prozent des Landes aber schon",

erzählt uns HANECKE. In Wirklichkeit ist die Geschichte etwas anders verlaufen. Die Grünen haben bei der Landtagswahl in Bayern 17,5 Prozent erreicht, u.a. mit ihrer Kampagne gegen Flächenfraß. Die CSU muss nun stärker umdenken, wenn sie nicht gänzlich ihre Dominanz verlieren will. Hofheim ist Teil eines Modellprojekts ab dem Jahr 2008 gewesen:

"Die Gemeinde-Allianz Hofheimer Land wurde im Jahre 2008 gegründet und entstand ursprünglich aus einem Förderprogramm für Investitionen zur Erhaltung und Nutzung vorhandener Bausubstand. Ziel war es die Abwanderung in den Siedlungsgebieten und die daraus resultierende Verödung der Altorte zu verhindern",

schreibt BORST zur Allianz Hofheimer Land. BORST sieht in der bayerischen Gemeindegebietsreform der 1970er Jahre den Beginn des Niedergangs der Dörfer:

"Damals galt das Ziel, eine leistungsfähigere, spezialisierte Verwaltung zu schaffen. Die einst knapp 7.000 bayerischen Gemeinden wurde in etwa 2.000 Verwaltungseinheiten zusammengefasst und die Zuständigkeiten geregelt. Die Gemeinde Hofheim besteht heute aus 21 Orten, der Landkreis Haßberge gliedert sich in 26 solcher Großgemeinden. »Früher waren die kleinen Dörfer für alle kommunalen Aufgaben selbst zuständig«, sagt Borst (...). Das hieß: Gemeinsam anpacken.
Mit der Gebietsreform gingen all diese Aufgaben auf die zentralen Gemeindeverwaltungen und die Landkreise über. (...). »Eigenverantwortung und lokale Initiativen sind verlorengegangen«, sagt Borst. Zuständig waren jetzt ja andere, die oft weit weg im Landratsamt saßen. Die Dorfgemeinschaft brauchte keiner mehr. Und Gemeinwesen hieß für die Menschen nicht mehr, zusammen ein Problem zu lösen, sondern alle paar Jahre wählen zu gehen. »Wir holen durch unsere Projekte die Eigenverantwortung zurück«, sagt Borst."

Fazit: Die Menschen sind letztendlich selber schuld am Niedergang ihrer Gemeinde, lautet die zentrale Botschaft dieser nostalgischen Verklärung der Dorfgemeinschaft. Ohne die Einstufung als Modellprojekt, die eine privilegierte Situation schafft, dürfte die Lage in Hofheim anders aussehen. Außerdem ist Hofheim Sitz einer Verwaltungsgemeinschaft. Die Personalunion von Verwaltungsgemeinschaftsvorsitz und Bürgermeisteramt ermöglicht ein völlig anderes Agieren als es einer kleinen Dorfgemeinschaft möglich wäre. BORST sieht deshalb die Lösung gegen den Flächenfraß in willfährigen Bürgermeistern:

"»Das Problem sind die Bürgermeister und die Gemeinderäte vor Ort, die in der alten Denkweise festhängen«, sagt er. (...). »Wenn eine Gemeinde mehr Bauland ausweist, als es Bedarf gibt, dann sollte ihr alle Städtebauförderung gestrichen werden«, sagt Borst."

Mit der Zuweisung von Zuwendungen werden heutzutage bereits Kommunen auf Linie gebracht. Eigenverantwortung ist letztlich nur dort gewünscht, wo sie den herrschenden Interessen nicht zuwiderläuft!

"Die Bevölkerungsentwicklung hat sich in den letzten Jahren entgegen allen Prognosen ins Positive gedreht",

heißt es in dem Artikel. Das zeigt im Grunde, dass langfristige Strategien, die auf angeblich treffsicheren Bevölkerungsvorausberechnungen beruhen,  mit Vorsicht zu genießen sind. Je kleinräumiger solche Berechnungen angestellt werden, desto unsicherer sind diese, sodass oftmals die lokalen Akteure, die Lage besser einschätzen können als Akteure auf höheren politischen Ebenen. Politische Steuerung von oben herab, ist genauso wenig ein Allheilmittel wie Eigenverantwortung oder Dorfgemeinschaft.

 
     
 
       
     
       
   

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Update: 05. Oktober 2019