2018
PREUß, Susanne (2018): Oberkochen und die Angst vor 1000
Arbeitsplätzen.
Baden-Württemberg: Auf der Schwäbischen Alb sorgt die
Förderung und Ansiedelung eines koreanischen Unternehmens für Ärger,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
v. 03.01.
ASTHEIMER, Sven & Rüdiger KÖHN
(2018): Arbeitgeber in Eichstätt? Na, viel Spaß.
Bayern: 1,2 Prozent - nirgendwo ist die
Arbeitslosigkeit niedriger als in dem bayerischen Landkreis. Wie
finden kleinere Unternehmen dort noch Mitarbeiter?
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
v. 04.01.
MORGENSTERN, Tomas (2018): Mit Fördergeld gegen den Verfall.
Brandenburg unterstützt mit
Millionensummen den Erhalt seines baulichen Denkmalerbes,
in:
Neues Deutschland v. 04.01.
Warum gibt
Brandenburg Millionen für "Kirchen und Religionsgemeinschaften" aus,
um deren Gebäude zu erhalten, während das Geld im Bildungssystem
besser angelegt wäre? Die deutschen Kirchen sind vermögend genug, um
ihre Gebäude selber zu erhalten!
Im Gegensatz zu anderen
ostdeutschen Ländern (z.B.
Sachsen) klafft die aktuelle Prognose der
Kultusministerkonferenz und die tatsächliche Geburtenentwicklung für
Brandenburg noch nicht so weit auseinander wie die nachfolgende
Tabelle zeigt:
Tabelle: Die
Entwicklung der Geburten in Brandenburg 2009 - 2015 im
Vergleich zur
Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK) |
Jahr |
2009 |
2010 |
2011 |
2012 |
2013 |
2014 |
2015 |
Gesamtzahl |
18.537 |
18.954 |
18.279 |
18.482 |
18.355 |
19.339 |
19.112 |
1. Kinder |
fehlt |
fehlt |
fehlt |
9.369 |
9.305 |
9.836 |
9.443 |
2. Kinder |
fehlt |
fehlt |
fehlt |
6.525 |
6.464 |
6.751 |
6.801 |
3. Kinder |
fehlt |
fehlt |
fehlt |
1.755 |
1.788 |
1.875 |
1.948 |
4. Kinder |
fehlt |
fehlt |
fehlt |
521 |
512 |
553 |
575 |
5. Kinder |
fehlt |
fehlt |
fehlt |
188 |
168 |
188 |
198 |
6. u.w. Kinder |
fehlt |
fehlt |
fehlt |
124 |
118 |
136 |
147 |
Geburtenrate (TFR) |
1.397,6 |
1.446,8 |
1.410,3
1.432,3* |
1.441,0
1.464,3* |
1.443,5
1467,7* |
1.550,3* |
1.533,5* |
KMK-Prognose |
|
18.954 |
18.279 |
18.600 |
18.300 |
17.900 |
17.500 |
Differenz |
|
0 |
0 |
- 118 |
+ 55 |
+ 1.439 |
+1.612 |
|
Quelle:
Amt für Statistik
Berlin-Brandenburg, Statistische Berichte Eheschließungen,
Geborene und
Gestorbene in Brandenburg 2009 - 2015;
Vorausberechnung der Kultusministerkonferenz
Anmerkung: * Geburtenrate auf Basis des Zensus 2011 |
In Brandenburg wurden 2016
zwischen Januar und November bereits 19.199 Kinder geboren (Prognose
KMK: 17.100). Zuerst wird man dieses Auseinanderklaffen bei der
Kinderbetreuung spüren und dann auch im Grundschulbereich. Lehrer,
die nicht rechtzeitig ausgebildet wurden, stehen nicht rechtzeitig
zur Verfügung. Zumal die Situation in anderen Bundesländern weit
angespannter ist.
LAUER, Céline
(2018):
Dieses verdammte Dorf.
Alwine in Brandenburg wurde im
Dezember versteigert. Für 140.000 Euro. Der neue Besitzer macht nun
einen Rückzieher. Der Grund klingt beunruhigend - und lässt die
Bewohner bang zurück,
in:
Welt v. 02.02.
LEITHÄUSER, Johannes & Matthias WYSSUWA (2018):
Frust und Frieden.
Mecklenburg-Vorpommern: Alles hängt manchmal mit allem
zusammen: eine Werft in der ostdeutschen Provinz mit den
Koalitionsverhandlungen, der Streit über Rüstungsexporte mit den
Sorgen in Vorpommern. Eine Geschichte über große Politik und die ganz
kleine,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 03.02.
LEITHÄUSER & WYSSUWA haben mit ihrem Artikel zu einer Änderung des
Passus im
Sondierungspapier (Stand: 12.01.2018) beigetragen. Dort hieß es:
"Die Bundesregierung wird ab sofort
keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese am Jemen-Krieg
beteiligt sind." (S.26).
Im Koalitionsvertrag (Stand:
07.02.2018) heißt es dagegen:
"Wir werden ab sofort keine
Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am
Jemen-Krieg beteiligt sind. Firmen erhalten Vertrauensschutz, sofern
sie nachweisen, dass bereits genehmigte Lieferungen ausschließlich im
Empfängerland verbleiben."
(Zeilen 7075-7078)
In ihrem Artikel geht es um die
Peene-Werft in Wolgast, dem Bundestagswahlkreis des CDU-Politikers
Philipp AMTHOR.
LEITHÄUSER & WYSSUWA stellen SPD- und Linkspartei-Politiker an den
Pranger, sogar dass der Passus bereits von den Grünen in den
Jamaika-Verhandlungen
durchgesetzt wurde, wird hervorgehoben. CDU und AfD-Fraktion waren
sich im Landtag bei einer aktuellen Stunde einig, dass der Export
unproblematisch sei.
Der Tenor lautet, dass der Stopp
des Exports die Werft bedroht. Dazu wird die Geschichte der Werft seit
der Wiedervereinigung als Niedergang beschrieben. Die Autoren legen
nahe, dass notfalls der Koalitionsvertrag mittels Bundessicherheitsrat
umgangen werden könne.
Am Schluss wird ein "pragmatischer"
Kommunalpolitiker der Linkspartei zitiert, der die Moral dieser
Geschichte zusammenfasst:
"die Leute hier müssten arbeiten
und ihre Familie ernähren. (...). »Ich habe Verantwortung für die
Menschen hier.« Da müsse man die Ideologie einmal weglassen, sagt er.
Und wenn man doch anders entscheide, dann müsse man sich den Wählern
hier stellen."
Fazit: Um der AfD das Wasser
abzugraben, gibt man seine Grundsätze auf. Das Beispiel aber zeigt
auch, dass CDU und AfD bereits jetzt mehr verbindet als die ehemals
linken Parteien. Es könnte also gut sein, dass
Mitte-Rechts-Regierungen in Deutschland schneller kommen als so
mancher meint. FAZ und Springer-Medien arbeiten jedenfalls
bereits mehr oder weniger subtil an der Annäherung beider Parteien.
PEIKERT, Denise
(2018): Wo Brohm sich täglich Beulen holt.
Sachsen-Anhalt:
Tangerhütte in Sachsen-Anhalt ist
dünn besiedelt und verschuldet. Doch Bürgermeister Andreas Brohm,
ehemals Musical-Manager, will seinen Heimatort groß herausbringen. Ein
Lehrstück aus einem Land der zwei Geschwindigkeiten,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 11.02.
MÄDLER, Katrin
(2018):
Wo Sachsens letzter König
untertauchte.
Sachsen: Die Staatsbäder Bad Elster
und Bad Brambach boomen - sie gelten als Wirtschaftsmotor des oberen
Vogtlands,
in:
Neues Deutschland v. 14.02.
HUBER, Julia
(2018):
Viechtach forever.
Bayern: Rückständig und provinziell, so
lautet das Klischee vom Bayerischen Wald. In einer Kleinstadt arbeiten
ein paar junge Leute am Gegenteil, gründen Unternehmen und eröffnen
Clubs. Aus Liebe zur Heimat,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 17.02.
Die Landtagswahl in Bayern wirft
längst ihre Schatten voraus. Die SZ begreift sich inzwischen
als PR-Agentur des bayerischen Heimatministeriums, so jedenfalls liest
sich dieser Artikel, der mit Fakten über Viechtach geizt, aber dafür
viel Folklore liefert:
"Die 8200-Einwohner-Stadt liegt
mitten im Bayerischen Wald. Nach Prag ist es genauso weit, wie nach
München. Die meisten kennen Viechtach nur vom Strafzettel - hier sitzt
die zentrale Bußgeldstelle."
Die Hinterwäldler werden uns als
Provinz-Hipster vorgestellt. Eine Handvoll Männer um die 30 sollen den
neuen Lokalpatriotismus verkörpern - gemessen an der Einwohnerschaft
irgendwo bei 0,irgendwas Prozent. Brauchen wir solchen
Heimat-Journalismus, der sich in seichter PR erschöpft?
LÖHR, Julia (2018): Berlins neue Landliebe.
Mit einem Heimatministerium will
die Politik den Menschen auf dem Land schmeicheln. Die fühlen sich
zunehmend abgehängt - woran sie selbst aber nicht ganz unschuldig
sind,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 20.02.
"»Deutschland spaltet sich
demographisch«, heißt es in einer kürzlich erschienenen Studie von
Empirica. 193 der 402 Landkreise und kreisfreien Städte haben demnach
in den Jahren 2010 bis 2014 junge Menschen durch Abwanderung verloren.
131 Landkreisen kamen sogar mehr als 10 Prozent der Jungen abhanden",
zitiert Julia LÖHR aus einem
Hintergrundpapier von Harald SIMONS zu einer Auftragsstudie vom
Oktober 2017. Außerdem zitiert sie aus dem
Raumordnungsbericht 2017 über das Nebeneinander von Schrumpfung
und Wachstum (BT-Drucksache 18/13700 v. 23.10.17, S.27ff.).
Unvermeidlich bei solchen Themen -
wird Reiner KLINGHOLZ zitiert, der entsprechend der neoliberalen
Ideologie, die die Schuld bei Missständen den Menschen
zuschreibt, im mangelnden bürgerschaftlichen Engagement der Menschen
für ihre Gemeinde. Darauf spielt wohl auch die Schlagzeile ab.
GÖRES, Joachim (2018): Weg mit den Werbelogos.
Niedersachsen: Wie Celle um seine Fachwerkfassaden
ringt,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 02.03.
Joachim GÖRES berichtet über die geplante Reform der
Gestaltungssatzung aus dem Jahr 1978 in
Celle:
"Welche widerstreitenden Interessen
dabei aufeinanderstoßen, ist gegenwärtig im niedersächsischen Celle zu
beobachten, wo sich mit fast 500 Fachwerkhäusern das größte
geschlossene Fachwerkensemble Deutschlands findet. Eine Stadt mit
70.000 Einwohnern, die mit Leerstand von Geschäften im Zentrum zu
kämpfen hat, wo abends - auch weil hier nur wenige Menschen leben -
oft nicht mehr viel los ist. Dies dürfte auch ein Grund sein, warum
die aktuelle Gestaltungssatzung von 1978 jetzt eine Neufassung bekommt
und in einigen Punkten entschärft werden soll."
GÖRES beschreibt in erster Linie
den Interessenkonflikt zwischen Tourismusbranche und der
innenstädtischen Geschäfte und Gastronomie, wobei es hier um einen
Scheinkonflikt geht. Dass verklebte Schaufenster und größere
Werbelogos die Attraktivität von Läden für Käufer erhöhen, darf
bezweifelt werden. Da lügen sich die Geschäftsinhaber und
Wirtschaftsförderer in die eigene Tasche. Ohne Tourismus sähe es
dagegen in manchen Kleinstädten noch trister aus als es jetzt schon
ist. Die Klagen des Sozialverbands Deutschlands und die Interessen der
Bewohner kommen bei GÖRES nur am Rande zur Sprache.
JUNG, Hagen
(2018): Kassen kündigen kleiner Klinik.
Harzer Krankenhaus "nicht
gebraucht" - Niedersachsens Sozialministerium will es erhalten,
in:
Neues Deutschland
v. 08.03.
"Dem Landkreis Goslar hatte das
Haus gehört, bis der es 2003 an Deutschlands größten Klinikbetreiber
(...) verkaufte. Nun wollen sich die Kassen vom Krankenhaus in
Clausthal trennen (...).
Noch nie seit der Gründung des Landes Niedersachsen hatten sich die
gesetzlichen Krankrenkassen zu so einem einschneidenden Schritt
entschlossen (...): Die Kündigung eines Versorgungsvertrages",
berichtet Hagen JUNG über die
Klinik im rund 15.000 Einwohner zählenden
Clausthal-Zellerfeld.
RIBNITZKY, Simon (2018): "Muss sich erst herumsprechen".
Sachsen-Anhalt:
Noch sind wenige Fahrgäste mit dem
ersten Bürgerbus Sachsen-Anhalts unterwegs,
in:
Neues Deutschland
v. 09.03.
JUNG, Hagen (2018): Kleinseenplatte will Kurtaxe kassieren.
Mecklenburg-Vorpommern: Aber
Touristiker im Nordosten befürchten negative Auswirkungen auf
Übernachtungszahlen,
in:
Neues Deutschland
v. 09.03.
"Die Gemeinden Mirow, Wesenberg, Wustrow und Priepert wollen von
Urlaubern künftig Kurtaxe kassieren, einen Euro pro Tag und Gast",
berichtet Hagen JUNG über das
Amt Kleinseenplatte in Mecklenburg-Vorpommern.
Touristisch gesondert vermarktet wird der Mirower Ortsteil
Roggentin. Die Umsetzung setzt jedoch voraus, dass Wustrow und
Priepert vom Wirtschaftsministerium als Kur- oder Erholungsort
anerkannt werden.
SCHMIDIGEN, Tom
(2018):
Oh wie schön ist Pirmasens.
Rheinland-Pfalz: Kaum eine Stadt ist unter
Flüchtlingen so beliebt wie Pirmasens - doch weil immer mehr in den
Ort ziehen, fordern selbst Helfer eine Zuzugsperre,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 17.03.
|
Pirmasens,
Foto: Bernd Kittlaus 2018 |
LEITHOLD, Iris (2018): Das
Henne-Ei-Problem der Kleinstädte.
Mecklenburg-Vorpommern: Wie im mecklenburgischen
Ludwigslust versucht wird, der Verödung der Innenstädte zu begegnen,
in:
Neues Deutschland v. 23.03.
"In Teilen der Ludwigsluster
Innenstadt ist der Leerstand von Einzelhandelsgeschäften
unübersehbar. Die knapp 13.000 Einwohner zählende Kommune im
Südwesten Mecklenburg-Vorpommerns ist mit ihrem Problem nicht
allein: Abgesehen von Lebensmittelmärkten, sind die Geschäfte des
Einzelhandels im ganzen Land rückläufig",
berichtet Iris LEITHOLD über die
Probleme des innerstädtischen Einzelhandels. Zur Rettung werden
Möglichkeiten aufgezeigt, die von der Verkleinerung der
Shopping-Zone bis zur Gastronomisierung reichen. Am Schluss wird auf
den Einfluss eines geplanten Factory-Outlet Centers auf die
umliegenden Innenstädte, zu denen Ludwigslust und Hagenow gehören,
eingegangen.
taz-Titelgeschichte:
We love Frankfurt (Oder).
Ganz im Osten der Republik in
Frankfurt (Oder) wurde ein 33-Jähriger Links-Grüner zum
Oberbürgermeister gewählt. Wie sich eine Stadt neu erfindet |
DAUM, Philipp (2018): Aufbruch
Ost.
Brandenburg: Ein links-grüner 33-Jähriger wurde
Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder. Was man daraus für den
Umgang mit der AfD lernen kann,
in:
TAZ v. 24.03.
SCHMIDT-LUNAU, Christoph (2018):
Kein Platz für mehr Flüchtlinge.
Rheinland-Pfalz: Ab Montag will das pfälzische
Pirmasens keine Asylbewerber mehr aufnehmen. Wie konnte es so weit
kommen? Eine Geschichte von bemühten Erzieher*innen und einer
überforderten Gemeinde,
in:
TAZ v. 26.03.
|
Pirmasens,
Foto: Bernd Kittlaus 2018 |
|
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG-Wochenthema:
Das Schicksal der Wirtshäuser.
Jeder hat gern ein Gasthaus in der
Nähe. Aber geht man dort auch hin? Und wer mag sich noch
vorstellen Wirt zu sein? Die Zahl der Häuser sinkt drastisch. Die
gute Nachricht: Rettungsarbeiten haben begonnen |
KOTTEDER, Franz (2018):
Dorfkulturerbe.
Bayern:
Was wäre eine Welt, in der es keine
Wirtshäuser mehr gäbe? Wie ein Gasthaus in Oberbayern endlich wieder
leuchtet und was sich von seinen Betreibern lernen lässt,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 31.03.
"Altenau ist eigentlich ein
klassischer Kandidat fürs Wirtshaussterben: Gerade mal 680 Einwohner
zählt das Dorf am Rand der Alpen; Murnau, die nächste Stadt im
bayerischen Oberland ist mit dem Auto nur 20 Minuten entfernt.
(...). Und tatsächlich war es ja schon einmal so weit, 2002 machte
das Wirtshaus dicht und stand zehn Jahre lang leer, bis dann sieben
Leute aus dem Dorf fanden, dass das kein Zustand ist",
heißt es in dem Artikel. Dass der
SZ das Wirtshaussterben ein Wochenthema wert ist, während der
Geburtenanstieg und seine Herausforderungen gerade mal einen
lapidaren Kommentar wert ist, das zeigt die typisch deutsche
Fixierung auf das Aussterben, statt die wirklich drängenden Fragen
unserer Zeit anzugehen.
HÖLL, Susanne (2018): Wenn aus
Freude Überforderung wird.
Rheinland-Pfalz: Nun gilt auch in Pirmasens ein
Zuzugsstopp für Flüchtlinge - genehmigt von einer grünen Ministerin,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 31.03.
REY, Manfred (2018):
Anzahl der Ärzte auf Rekordstand.
Es gibt wieder mehr Mediziner in
Brandenburg. Jeder siebte von ihnen kommt aus dem Ausland,
in: Neues
Deutschland v. 03.04.
EXNER, Ulrich (2018): Der
zweifelhafte Nutzen der Zuzugssperren.
Städte mit "negativer
Wohnsitzauflage" für Flüchtlinge haben noch immer gravierende
Probleme,
in:
Welt v. 03.04.
SIEMONS, Mark (2018): Das Steakhaus als
Erlebnispark.
Niedersachsen: Die deutschen Innenstädte drohen zu
veröden. Können gastronomische Ersatzangebote sie retten? Überlegungen
über die Zukunft der Zentren am Beispiel von Celle,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 05.04.
Mark SIEMONS wendet sich gegen das Modell
innerstädtische Fußgängerzone, in dem die Filialisten bekannter Marken
dominieren. Während die Interessenvertreter des Handels und der
Immobilienwirtschaft das Konzept nur modifizieren wollen, z.B. durch
die "Gastronomisierung", die Moralisierung des Konsums ("Heimat
shoppen"), Lockerung des Denkmalschutzes im Sinne der
Gewerbetreibenden oder die weitere Eventisierung durch verkaufsoffene
Sonntage, sieht SIEMONS in der Rettung des Modells innerstädtischer
Fußgängerzone keinen Sinn:
"Das kommerzielle Kalkül geht nicht
mehr auf, das seit den siebziger Jahren zur Einrichtung von mehr als
vierhundert deutschen Fußgängerzonen voller Ladenketten führte, als
Reaktion und zugleich nach dem Vorbild von Einkaufszentren an der
Peripherie. (...). Von der Altstadt werden nur einige formale
dekorative Elemente benutzt, nicht aber die Funktionen, die sie außer
dem Markt ursprünglich hatte wie Wohnen, Arbeiten, Spielen."
Die Frage wie Konflikte zwischen
Tourismus und Einheimischen verhindert werden sollen, stellt sich
SIEMONS nicht.
Städtereisen sind ein boomendes Segment in Deutschland, aber können
sie die Verödung der Fußgängerzonen aufhalten oder beschleunigen sie
eher den Niedergang?
VOLLMUTH, Hannes
(2018): Meine Heimat.
Brandenburg: Der deutschen Provinz laufen seit
Jahren die Leute davon. Nach Südbrandenburg aber sind inzwischen so
viele Menschen zurückgekehrt, dass schon der Ministerpräsident
vorbeigeschaut hat. Was ist los?
in: Süddeutsche
Zeitung v. 07.04.
HÖPNER, Axel
(2018):
Der ungeliebte Retter.
Siemens-Werk Görlitz: Die
Medizintechnik-Firma Euroimmun will den Standort übernehmen, doch
die Beschäftigten bleiben skeptisch,
in:
Handelsblatt v. 27.04.
FREITAG-Wochenthema:
Stadt, Land, Frust.
Wer
Deutschlands Problem finden will, muss an den Rändern der Republik
suchen
|
GLADIC, Mladen (2018):
Rand, ein Zustand.
Peripherie: Leerstand,
Arbeitslosigkeit, Zuzugsperre für Flüchtlinge: In Pirmasens findet
sich eine deutsche Realität, die in urbanen Debatten selten eine
Rolle spielt,
in: Freitag Nr.18 v. 03.05.
|
Pirmasens,
Foto: Bernd Kittlaus 2018 |
ROßMANNEK, Oliver (2018): Wo ich herkomme, gibt
es kein DSL.
Heimat: Unser Autor wuchs in
Mecklenburg auf, zog in die Stadt - nun kennt er die Schattenseiten
heutiger Arbeitsmobilität,
in: Freitag Nr.18 v. 03.05.
Oliver ROßMANNEK blickt von seinem Freiburger Lehrstuhl aus auf
seine Heimatstadt
Lübtheen in Mecklenburg-Vorpommern. Er kritisiert die
neoliberale Standortpolitik (z.B. Exzellenzinitiative der
Bundesregierung und Clusterförderung), die sich in der Stärkung
starker Regionen erschöpft und dadurch die regionale Ungleichheit
zusätzlich verstärkt, statt gegenzusteuern.
LÖHR, Julia (2018): Mehr Behörden braucht das Land.
Die Politik will die ländlichen
Regionen beleben. Eine derzeit besonders beliebte Idee: Stellen im
öffentlichen Dienst dorthin verlagern. Doch das ist leichter gesagt
als getan,
in: Frankfurter
Allgemeine
Zeitung v. 05.05.
Am neoliberalen Leitbild des schlanken Staates festhalten und
gleichzeitig die
strukturschwachen Gebiete stärken, geht das? Diese Frage stellt
Julia LÖHR eigentlich, wenn sie fragt:
"Mehr Behörden aufs Land - ist
das die Zukunftsperspektive für ausblutende Regionen?"
Natürlich geht das nicht.
Neoliberalismus ist das genaue Gegenteil von Gegensteuern und daran
ändern auch rhetorische Wendungen nichts.
"Schon seit dem Jahr 1992 gibt es
die Vorgabe, Behörden vorrangig im Osten anzusiedeln, bis eine
annähernd gleiche Verteilung in ganz Deutschland gewährleistet ist."
Dass gemäß LÖHR ausgerechnet
Sachsen und Thüringen großen Nachholbedarf haben, ist wohl eher dem
Umstand geschuldet, dass dort bei den nächsten Landtagswahlen ein
Fiasko für die etablierten Parteien droht. Von einem Willen zur
Stärkung strukturschwacher Räume kann auch gar keine Rede sein. Das
neue Fernstraßenbundesamt - ein neoliberales Projekt par excellence
- soll ausgerechnet in die gehypte Großstadt Leipzig. Dass dabei
auch ein paar Außenstellen in Halle, Magdeburg, Erfurt und Dresden
abfallen, statt in wirklich strukturschwachen Gegenden wird von LÖHR
als Großtat hingestellt.
Fazit: Weiter-So und Aussitzen
heißt die Devise nicht nur bei Politik, sondern auch in den
Mainstreammedien!
ROTHHAAS, Julia
(2018):
Land in Sicht.
Rheinland-Pfalz: Viele Orte in Deutschland kämpfen gegen Abwanderung. Ein
Bürgermeister im Westerwald will nicht zusehen, wie seine Heimat
verödet. Deshalb holt er die Menschen ins Dorf zurück,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 19.05.
Julia ROTHHAAS berichtet über die
Verbandsgemeinde Wallmerod im Westerwald und ihren umtriebigen
CDU-Bürgermeister:
"Vor 14 Jahren zählt er mit
seinen Kollegen alle leer stehenden Häuser, unbebaute Grundstücke,
aber auch Gebäude, in denen Menschen über 70 wohnen. Potenzieller
Leerstand also. (...).
Er ist bereits in zweiter Amtszeit Verbandsbürgermeister von
Wallmerod, einem Zusammenschluss von 21 Orten mit insgesamt knapp
15.000 Menschen. (...). Der kleinste Ort hier hat 120 Einwohner, der
größte 2.100, alle mit eigenem Haushalt, Zuständigkeiten und
Bürgermeister.
Wallmerod, Sitz der Verwaltungsgemeinde, war in den Sechszigerjahren
ein begehrter Kurort, die Zechen im Ruhrgebiet schickten ihre
Arbeiter wochenweise zum Luftschnappen. Es gab drei Bäcker, zwei
Metzger, sieben Gaststätten, drei Schuhgeschäfte und zwei Schuster
(...). Davon ist fast nichts mehr übrig. (...).
300 Projekte haben sie im Rahmen der Initiative »Leben im Dorf«
gefördert, sprich: 300 Grundstücke in den Ortskernen wiederbelebt.
Etwa 80 Familien sind dafür von außen in die Gemeinden gezogen,
ansonsten ist der Bevölkerungsstand etwa gleich geblieben."
Wallmerod wird als
Vorzeigegemeinde gepriesen, die junge Familien fördert. Doch die
Schattenseiten dieser Einöde bleiben:
"Der Leerstand mag weniger
geworden sein, öde ist es trotzdem. (...). Die Orte haben weder Kern
noch Marktplatz, deswegen trifft man sich nicht einfach zufällig.
(...). Die Heimat ist überschaubar, sie umspannt den
Karnevalsverein, die Kirche, den Sportplatz - und das Eigenheim.
Muss reichen."
Die Eigenheimbaugebiete der
1970er Jahre gelten inzwischen als Problem vieler wachstumsschwacher
Gemeinden. Der CDU-Bürgermeister setzt nicht auf Kindergärten,
sondern auf altersgerechtes Wohnen, obwohl die ICE-Bahnhöfe in
Limburg an der Lahn und Montabaur nicht weit weg sind.
Fazit: In Deutschland herrscht
immer noch die Fixierung aufs Aussterben vor, weshalb der
Geburtenanstieg und seine Herausforderungen verschlafen werden.
FRITSCHE, Andreas
(2018):
Klettern am Kraftwerkskessel.
Brandenburg: Ein Buch versammelt Geschichten zum
Strukturwandel im Lausitzer Revier,
in: Neues Deutschland v.
29.05.
FRITSCHE, Andreas
(2018):
Das kinderfreundlichste Dorf.
Brandenburg: Neutrebbin liegt nicht im Berliner
Speckgürtel und hält seine Einwohnerzahl trotzdem stabil,
in: Neues Deutschland v.
01.06.
ROSSBACH, Henrike
(2018): Hilf dir selbst.
Mecklenburg-Vorpommern: 28 Jahre war Reinhard Dettmann
Bürgermeister in Teterow. So lange wie sonst kaum einer im Osten
Deutschlands. Über einen, den man nie bitten musste,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 06.06.
Henrike ROSSBACHs Hymne auf den
scheidenden Bürgermeister und Physiker Reinhard DETTMANN der
Kleinstadt Teterow im Landkreis Rostock in Mecklenburg-Vorpommern
ist wenig informativ:
"Vor der Wende lebte die Stadt
von der Landwirtschaft, vom Bau, von einem Kleiderwerk und der
Reparatur von Panzern. 600 Leute arbeiteten im Panzerwerk, nie
wieder sollte es einen derart großen Betrieb geben in der Stadt.
»Wir hatten innerhalb kurzer Zeit 30 Prozent Arbeitslosigkeit«, sagt
Dettmann, heute sind es rund sechs. (...). Als Dettmann anfing,
hatte Teterow 11.300 Einwohner, heute sind es fast 3.000 weniger.
Das Durchschnittsalter ist von 33 Jahren auf 47 gestiegen, heute
leben doppelt so viele über Sechzigjährige in der Stadt wie unter
Zwanzigjährige."
NEIßE, Wilfried
(2018): Grenzen der direkten Demokratie.
Brandenburg: Die Enquetekommission "Ländlicher Raum" befasste sich
mit der Bürgerbeteiligung,
in:
Neues Deutschland v.
11.06.
HÖLL, Susanne
(2018): Das lederne
Wunder von Pirmasens.
Rheinland-Pfalz: Wie der Hersteller Kennel &
Schmenger dem Niedergang der pfälzischen Schuhbranche entgehen
konnte,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 12.06.
|
Pirmasens,
Foto: Bernd Kittlaus 2018 |
ROST, Christian
(2018): Bürgermeisterin suspendiert.
Bayern: Gegen Rathauschefin von
Bolsterlang wird als mutmaßliche "Reichsbürgerin" ermittelt,
in: Süddeutsche Zeitung v.
20.06.
Die einzigste wirkliche Sorge der Politik ist es, dass in der
Tourismusregion die Urlauber nicht ausbleiben.
STENGER, Kurt (2018): Die Zukunft beginnt in Hohenmölsen.
Sachsen-Anhalt:
In den Kohlregionen wird allmählich der Strukturwandel vorbereitet -
Bund und Länder sollen Geld beisteuern,
in:
Neues Deutschland v.
26.06.
LEITHOLD, Iris
(2018):
Grenzgänger an der Elbe.
Mecklenburg-Vorpommern:
Vor 25 Jahren wechselten acht Orte von Mecklenburg nach
Niedersachsen, aber eine Brücke fehlt. Gibt Schwerin Geld?
in:
Neues Deutschland v.
27.06.
"(Der) Neuhäuser Streifen, der sich am Ostufer der Elbe zwischen
Dömitz und Bolzenburg im heutigen Mecklenburg-Vorpommern
erstreckt(,...) hatte bis 1948 jahrhundertelang zu Hannover gehört -
und dort wollten die Dörfer nach der Wende wieder hin. Ein
Staatsvertrag zwischen Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern
besiegelte am 29. Juni 1993 den Wechsel der acht Gemeinden Dellien,
Haar, Kaarßen, Neuhaus/Elbe, Stapel, Sückau, Sumte und Tripkau nach
Niedersachsen. Und aus 6.100 Ossis wurden am Tag darauf Wessis.
Es war der einzige Wechsel eines Gebietes aus der ehemaligen DDR in
ein Bundesland der alten Bundesrepublik",
berichtet Iris LEITHOLD aus
Amt Neuhaus, das zu den schrumpfenden Gemeinden in Deutschland
gehört. Im Artikel geht es um das Anliegen des Fördervereins
"Brücken bauen", das auf wenig Gegenliebe in Mecklenburg-Vorpommern
stößt.
HAHN, Thomas & Angelika SLAVIK (2018): Ehre sei dem Werk.
Niedersachsen: Cuxhaven war ein Ort, aus dem
sich die Hoffnung verabschiedet hatte. Bis die neue Siemens-Fabrik
kam. Jetzt gibt es Jobs, Geld und Perspektiven. Die Stadt kennt nur
noch einen Gedanken: Der Heilsbringer muss bleiben,
in: Süddeutsche Zeitung v.
30.06.
Der Artikel zeigt, dass kein
Argument haarsträubend genug sein kann, Hauptsache es passt zum
Zeitgeist:
"Tatsächlich hat der Konzern 200
Millionen Euro in den Standort investiert. Aber das Land ließ für
die nötige Infrastruktur 250 Millionen springen. Für die speziellen
Anforderungen des Windkraftanlagen-Baus organisierte die Stadt über
die Agentur für Arbeit und Jobcenter insgesamt 460
Qualifizierungsmaßnahmen. Und vielleicht kam der Stadt auch
entgegen, dass Siemens etwas für sein Image in Deutschland tun
wollte. (...).
Groß war jedenfalls die Empörung in Görlitz, als Siemens dort sein
Turbinen-Werk schließen wollte",
schreiben HAHN & SLAVIK. Die
Entscheidung für das Siemens-Werk Cuxhaven fiel jedoch lange Jahre
vor dem Bekanntwerden der jetzigen Schließungen. Bereits 2015 fingen
in
Cuxhaven die Bauarbeiten an. Es zeigt jedoch, dass in Zeiten von
Wahlkämpfen, in denen den etablierten Parteien große Verluste
drohen, jede Erfolgsmeldung groß herausgestellt wird, um die
Realität zu beschönigen.
"Das ist die erste Fabrik seit 20
Jahren, die Siemens in Deutschland eröffnet. Ein Widerspruch zu den
geltenden Regeln kapitalistischer Effizienzrechnung",
tönen HAHN & SLAVIK.
Cuxhaven zeigt eher wie erpressbar Kommunen im neoliberalen
Standortwettbewerb geworden sind. Um den Zuschlag zu erhalten bekam
Siemens das Werk quasi von der Politik geschenkt. Ganz sicher hat
Siemens damit kein Verlustgeschäft gemacht wie die Journalisten
suggerieren.
"Cuxhaven mit seinen wenigen
Einwohnern (knapp 50.000) auf vielen Quadratkilometern (knapp 162)
hat eine neue Ausstrahlung bekommen",
schreiben HAHN & SLAVIK und
porträtieren den Cuxhavener Oberbürgermeister Ulrich GETSCH als Held
der Arbeit, der die Funktionsweise des Neoliberalismus verinnerlicht
hat und deshalb letztlich so erfolgreich war - obgleich seine
Erfolgsbilanz in den letzten Jahren mehr als mager war:
"Die Stadt hatte in den
Jahrzehnten zuvor viel verloren. Die Fischindustrie war geschrumpft,
die Bundeswehr hatte zwei Standorte geschlossen, Leute zogen weg,
Läden verwaisten. Und die ersten Versuche des Landes Niedersachsen,
Cuxhaven zum Standort der erwachenden Windkraftindustrie auszubauen,
hatten zunächst keinen nachhaltigen Erfolg."
BAUM, Carla
(2018): "Dann wird die ganze Region der AfD überlassen".
Die Braunkohle spaltet die
Lausitz: Bei den einen leben ganze Familien seit Generationen vom
Abbau, andere verdanken den Ausstiegsplänen der Regierung die
Rettung ihres Dorfes. Wie es in der Region weitergeht, haben beide
Gruppen nicht in der Hand,
in: Welt v. 30.06.
Carla BAUM berichtet über den
Verein Pro Lausitzer Bergbau, der an der Seite der Lausitz Energie
Bergbau AG (LEAG) für einen langsameren Ausstieg aus dem
Braunkohleabbau kämpft und dabei auch die AfD als Drohpotenzial
einsetzt.
"Gegner (...) wischen die Angst
vor dem Verlust der Arbeitsplätze mit einem Satz vom Tisch: »Wir
haben hier einen enormen Fachkräftemangel (...) Man müsste die Leute
nur richtig umschulen«".
SCHWILDEN, Frédéric (2018): Pervers penibel.
CDU-Politiker Philipp Amthor ist
25 und versteht es, im Bundestag zu polarisieren. Er ist der junge
Konservative aus der Zukunft. Ein Abend im Gipsy-Restaurant in
Berlin. Die Braunkohle spaltet die Lausitz: Bei den einen leben ganze
Familien seit Generationen vom Abbau, andere verdanken den
Ausstiegsplänen der Regierung die Rettung ihres Dorfes. Wie es in
der Region weitergeht, haben beide Gruppen nicht in der Hand,
in: Welt v. 30.06.
Den Medien von FAZ bis
Welt erscheint der junge CDU-Politiker
Philipp AMTHOR als letztes Aufgebot gegen die AfD.
WAHL-IMMEL, Yuriko
(2018):
Weg aus der Großstadt.
Bertelsmann-Studie konstatiert
einen Zuwachs für Kommunen in ländlichen Regionen,
in: Frankfurter
Rundschau v. 03.07.
"Bad Neustadt an der
Saale in Bayern, das ostfriesische Aurich in Niedersachsen,
Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern oder Heide in
Schleswig-Holstein gehören (...) zu den Kleinstädten und
Mittelstädten mit besonders deutlichem Zuwachs",
heißt es in der DpA-Meldung
zur Studie
Trend Reurbanisierung?.
Die Aussagen sind jedoch nicht der Studie entnommen, sondern
lediglich der
Pressemitteilung. Es lässt sich deshalb nicht überprüfen,
inwiefern diese Aussagen der BertelsmannStifung mit der
ILS-Studie übereinstimmen.
2011 lebten z.B. in
Aurich/Ostfriesland gemäß Datenbank des Statistischen
Landesamts Niedersachsen 40.606 Menschen. 2016 waren es
41.793. Das ist ein Zuwachs von rund 2,9 Prozent. 2006 lebten
40.651 Menschen in Aurich, d.h. der Zuwachs ergab sich vor
allem in den letzten Jahren. Inwiefern die Migration oder
Suburbanisierungsprozesse dabei die entscheidende Rolle
spielten, wäre zu fragen. Der Kommunale Wegweiser, auf den die
BertelsmannStiftung verweist, liefert dafür keinerlei Daten,
denn dieser endet mit dem Jahr 2012.
DRIBBUSCH, Barbara (2018): Im Alter gerne in
kleinere Städte.
Zu Beginn der zweiten
Lebenshälfte verlieren die Metropolen ihren Reiz,
in: TAZ v.
03.07.
BÜNNAGEL, Karin
(2018): Tradition und Zukunft.
Bayern: Wichtiger Wirtschaftsstandort für
die Region und Weltkulturerbestätte in einem: In Bamberg verbinden
sich Kunst, Kultur und Wirtschaft u einem großen Ganzen,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 21.07.
"Bamberg zählt zur
Metropolregion Nürnberg, genauso wie Fürth, Erlangen,
Bayreuth, Hof an der Saale sowie Coburg und Weiden in der
Oberpfalz; 2014 hat die Region die bayerische Grenze
überschritten, denn auch der thüringische Landkreis
Sonneberg gehört seitdem dazu",
erzählt uns Karin
BÜNNAGEL über die Mittelstadt Bamberg (über 76.000
Einwohner), die uns in dem Verlagsspezial zur Bamberger
Kunst- und Antiquitätenwochen als Teil der deutschen
Bereicherungsökonomie vorgestellt wird.
|
Bamberger
Antiquitätenviertel, Foto: Bernd Kittlaus 2018 |
"Das Antiquitätenviertel
unterhalb des Dombergs in Bamberg ist einmalig. Nirgendwo
sonst findet man auf so engem Raum so viele hochklassige
Antiquitätengeschäfte"
wird uns ein anderer
Artikel angepriesen.
FRICKE, Christiane
(2018): Rezept für eine Boomtown.
Bayern: In Bamberg konzentriert sich der
deutsche Antiquitätenhandel. Dahinter steht ein Oberbürgermeister,
der weiß, warum Kultur für die Wirtschaft wichtig ist,
in:
Handelsblatt
v. 27.07.
Wie in Frankreich
die Sozialisten, so stehen auch in Deutschland die
Sozialdemokraten für eine neoliberale Allianz. Christiane
FRICKE porträtiert den SPD-Oberbürgermeister von
Bamberg, der in der
Bereicherungsökonomie eine wichtige Grundlage seiner Stadt
sieht:
"Hinter den 1995
gegründeten Bamberger Kunst- und Antiquitätenwochen stehen
in diesem Jahr acht Kunsthändler, ein Antiquar und ein
stolzer Oberbürgermeister. (...). »Wir haben mit den
Antiquitätenwochen ein Alleinstellungsmerkmal,« unterstreich
der Oberbürgermeister die Bedeutung der Händler für die
Kommune. Außerdem trage der hier ansässige Kunsthandel
seinen Teil zum Status Bambergs als Unesco-Welterbe
bei.(...).
Als »eine Boomtown« bezeichnet sie OB Starke mit einem
Bevölkerungszuwachs von 7.000 Einwohnern binnen der letzten
zehn Jahre. Das sind bei knapp 77.000 Einwohnern fast zehn
Prozent. Wirtschaftlich liegt ein starker Fokus auf der
Autozulieferindustrie. (...).
Um die Abhängigkeit von der Autozulieferindustrie zu
reduzieren, setzt Bamberg zusätzlich auf die
Digitalisierung, investiert in die universitäre Bildung und
fördert Start ups. Vor diesem Hintergrund gewinnt auch der
weiche Standortfaktor Kultur eine unverzichtbare Bedeutung.
Man will attraktiv sein für Fachkräfte."
|
Bamberger
Antiquitätenviertel, Foto: Bernd Kittlaus 2018 |
In Bamberg geht also die
Floridaisierung der Stadtentwicklung mit der
Bereicherungsökonomie einher, die auch auf eine ganz spezielle
Zielgruppe setzt:
"(I)m späten Juli,
nämlich genau dann, wenn sich auch die Musikbegeisterten aus
Übersee auf den Weg ins benachbarte Bayreuth zu den
Wagner-Festspielen machen, liefert die Kaiserstadt mit ihren
»Bamberger Kunst- und Antiquitätenwochen« (...) viele Gründe
für einen Zwischenstopp."
OBERHUBER, Nadine (2018): In der Provinz wird
geklotzt.
Bayern: Flächen sparen? Ist auf dem Land
nicht nötig! Diese Haltung hat fatale Folgen. Nicht nur für die
Umwelt, auch für die Gemeinden selbst. Doch es gibt Beispiele, die
zeigen, wie es besser geht,
in: Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung v. 29.07.
Die Grünen machen in Bayern
Wahlkampf gegen den Flächenfraß und Nadine OBERHUBER gibt
Schützenhilfe mit ihrem Artikel. Die bayerische Gemeinde
Weyarn zwischen München und Chiemsee wird als Negativbeispiel
genannt.
"Umgerechnet pro Kopf ist jeder
Stadtbürger für 162 zubetonierte Quadratmeter verantwortlich. Jeder
Landbewohner verbaut sogar 364 Quadratmeter. (...). Rund 80 Prozent
aller neu entstehenden Gebäude hierzulande sind Einfamilienhäuser.
Obwohl nur in gut 20 Prozent der Haushalte überhaupt Familienleben,
also drei Personen oder mehr. 80 Prozent der Haushalte dagegen
bestehen aus Singles und Paaren. Die brauchen nicht viel Platz, aber
für die baut auch fast keiner. Das Durchschnittseinfamilienhaus
dagegen beansprucht 730 Quadratmeter Grund. Allein dadurch
verschwinden 19 Hektar Fläche täglich",
liest uns OBERHUBER die Leviten.
Bisher galten Singles als die Bösen. Sie lebten vor allem in den
Großstädten und verursachten dort die Wohnungsnot, die die Familien
auf das Land vertrieb. Nun also sind die Singles in den Städten die
Guten. Vielleicht aber ist das eine genauso irreführend wie das
andere! Woher die Zahlen kommen, das legt OBERHUBER nicht offen. Als
weiteres Negativbeispiel wird
Ottenstein in Niedersachsen genannt, das mit seiner Aktion
"Bauland zu verschenken" aneckt.
Als vorbildlich werden uns
dagegen
Irsee
(und nicht Irrsee wie Text!) bei Kaufbeuren,
Hiddenhausen in Nordrhein-Westfalen (Projekt "Jung kauft Alt"),
das obere Wernetal bei Bad Kissingen und
Brannenburg im Inntal ("Mehrgenerationenwohnanlage") genannt.
BECKER,
Kim Björn
(2018):
Mein Hausarzt, der alte Genosse.
Ein neues Modell könnte ein
probates Mittel gegen den Landarztmangel sein, doch die
Zulassungsbehörden in der Provinz stellen sich oft quer. Während der
Streit in der Eifel eskaliert, hat man im Odenwald nach langem
Ringen einen Kompromiss gefunden,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 30.07.
Anhand von
Bitburg in der Eifel (Rheinland-Pfalz) und
Lindenfels im Odenwald (Hessen) stellt Kim Björn BECKER
Medizinische Versorgungszentren (MVZ) als Alternative zur
Landarztpraxis vor und geht auf eine Hürde ein, die vor Gründungen
abschreckt.
ZIMMERMANN, Birgit (2018): Hoffen auf den "Überschwappeffekt".
Wie dick kann ein Speckgürtel
werden? Die Antwort kann für Kleinstädte entscheidend sein,
in: Neues
Deutschland v. 04.08.
LÖHR, Julia
(2018):
Ausgekohlt.
Brandenburg: Die Politik will raus aus der
Kohle. Besonders hart trifft das die Lausitz. Neue Arbeitsplätze in
der Industrie sind rar, auch der Tourismus läuft nur langsam an.
Über eine Region, die sich alleingelassen fühlt,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 04.08.
LASCH, Hendrik
(2018): Pödelwitzer Wiederbelegung.
Sachsen: 900 Aktivisten haben sich beim ersten Klimacamp im
Leipziger Revier gegen Kohleverstromung engagiert,
in: Neues
Deutschland v. 06.08.
DETTMER, Markus
& Robin WILLE (2018): In einem anderen Land.
Wohnen: Dem Boom in den Städten
steht ein kaum beachtetes Ausdünnen ganzer Landstriche gegenüber.
Die Folgen für Millionen Menschen sind mindestens ebenso dramatisch
- und die Herausforderungen für die Politik gewaltig,
in: Spiegel
Nr.34 v. 18.08.
Der
Spiegel hat uns als neoliberales Sturmgeschütz zwei
Jahrzehnte lang mit demografischen Niedergangsszenarien
verdummt und will uns nun weismachen, dass die Probleme in
strukturschwachen Gebieten nun erst entdeckt werden!
"Deutschland wächst und
schrumpft zugleich, oft machen nur wenige Kilometer den
Unterschied aus. Zwischen 2005 und 2015 wuchs die
Bevölkerung der 77 Großstädte um 1,4 Millionen Menschen. Es
gab auch mittlere und kleinere Städte, vor allem mit
Hochschulen, die wuchsen. Doch 37 Prozent der Mittelstädte
sind geschrumpft, das gilt auch für 52 Prozent der
Kleinstädte. Etwa 15 Millionen Menschen leben in solchen
Gemeinden",
schwadronieren DETTMER &
WILLE. 15 Millionen Menschen sind ca. 18 Prozent der Menschen
in Deutschland, d.h. 82 Prozent der Menschen haben in
Deutschland ganz andere Probleme, die sich aus
interessengeleiteten Bevölkerungsprognosen ergeben, die der
Spiegel gerne publiziert hat, weil sie in sein neoliberales
Weltbild passten.
"Seit acht Wochen ist
Christian Kehrer Bürgermeister von
Oberzent. Mit mehr als
165 Quadratkilometer Fläche ist das die drittgrößte Stadt
Hessens, nur Frankfurt und Wiesbaden sind größer. Der Ort
hat viel Wald, aber nur wenige Bürger. Heute leben hier
10.401 Menschen. Vor über 20 Jahren waren es knapp 1.200
Menschen mehr."
Kehrers Stadt gibt es erst seit dem 1. Januar. Es ist die
erste Gemeindegründung seit rund 40 Jahren in Hessen. Keine,
die, wie sonst üblich, von oben als Gemeindereform verordnet
wurde, sondern eine freiwillige (...) - und doch ist sie aus
der Not geboren. Denn die Gemeinden Beerfelden, Hesseneck,
Sensbachtal und Rothenberg im Odenwald schrumpfen seit
Jahren, die Bevölkerung wird prozentual älter",
behaupten DETTMER & WILLE.
Ein freiwilliger Zusammenschluss? So will es lediglich die
neoliberale Großerzählung. In Wirklichkeit werden schrumpfende
Gemeinden in Deutschland durch die neoliberale Politik
stranguliert! Bei Oberzent handelt sich um eine Zwangsfusion,
die sich aus der Finanzverfassung ergibt. Das schwarz-grüne
Hessen lässt schrumpfende Gemeinden gewaltsam finanziell
ausbluten, um erwünschte Gebietsreformen zu erzwingen. Solche
Politik ist in Deutschland - und nicht nur hier - gängige
Praxis. Hessen macht das geschickter als Brandenburg oder
Thüringen, wo linke Regierungen statt der indirekten Zwänge
auf direkte Zwänge setzten.
Zur neoliberalen
Großerzählung gehören auch
Orte -
und wenn es nur eingemeindete Dörfer sind, in denen seit
Jahren kein Kind mehr geboren wird:
"Hinterbach (...). 76
Menschen leben in diesem Ortsteil von Oberzent. Hier kam
seit Jahren kein Kind zur Welt. Die drei Jugendlichen sind
über 15 Jahre alt, die restlichen Einwohner volljährig. 56
Menschen sind 45 Jahre und älter."
Anfang des Jahrtausends
hieß das aussterbende Dorf Affler und lag in der Eifel.
"Das große Schrumpfen
erfasst zunehmend auch Landgemeinden, Klein- und
Mittelstädte in Westdeutschland. Doch am deutlichsten ist es
in Ostdeutschland zu sehen. Kein Landkreis verlor zwischen
2010 und 2016 mehr Einwohner als
Mansfeld-Südharz in
Sachsen-Anhalt - 6,2 Prozent",
schwadronieren DETTMER &
WILLE.
Das große Schrumpfen hieß 2007 ein Buch von Cornelia
TUTT, in dem Deutschland ein endloses Schrumpfen prophezeit
wurde. Dass der Spiegel nun den Begriff für
kleinräumliche Schrumpfungsprozesse ummünzt, zeigt den ganzen
Wahnsinn, der uns in dieser dummdreisten Story entgegentritt.
Man sollte daran erinnern, dass im Jahr 2006 - das sind gerade
einmal 12 Jahre! - das Berlin-Institut für Bevölkerung und
Entwicklung
Sachsen-Anhalt als "Land der Leere" bzw. "Raum
ohne Volk" klassifizierte. Der Landkreis existierte damals
noch gar nicht, sondern er ist ein Kunstprodukt, der 2007 aus
den Kreisen Mansfelder Land und Sangerhausen entstand. Für
beide Kreise wurde ein Bevölkerungsrückgang von 15 Prozent und
mehr zwischen 2004 und 2020 prognostiziert. Gemäß der
5. Regionalisierten Bevölkerungsprognose von Sachsen-Anhalt
2008-2025 aus dem Jahr 2010 sollten im Kreis
Mansfeld-Südharz im Jahr 2016 nur noch 134.914 Menschen leben.
Tatsächlich waren es jedoch 139.781 - also fast 5.000
Menschen mehr als prognostiziert!
Obwohl sich sogar in den
schlimmsten Gebieten die Lage verbessert hat, werden uns
weiterhin Niedergangsszenarien präsentiert, ohne die
Entwicklungen der letzten Jahre ausreichend zu würdigen.
Stattdessen soll uns vorgegaukelt werden, dass die Politik
machtlos sei angesichts des demografischen Wandels.
Natürlich wird uns das
neoliberale Empirica-Institut mit seiner Interpretation der
Abwanderung präsentiert und das mit Daten bis 2014, die
hoffnungslos veraltet sind, aber sie passen eben ins
Weltbild.
Fazit: Strukturschwache
Gemeinden in Deutschland erhalten aufgrund der neoliberalen
Politik nicht die notwendigen Mittel, um attraktiv zu bleiben.
Die Demografie ist nicht das Schicksal, sondern die Folge
neoliberaler Politik!
ESSLINGER, Detlef (2018): Der Glaube von Görlitz.
Die IG Metall feiert, dass
Siemens und Bombardier in der sächsischen Stadt bleiben - für die
Bürger ein Intensivkurs in Kapitalismus und Demokratie,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 23.08.
LOCKE, Stefan (2018): Sanierer gesucht!
Wohnen in Görlitz: Deutschlands
östlichste Stadt ist voller historischer Bauten. Trotzdem: Wer
hinzieht, kann Görlitz noch mitgestalten,
in: Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung v. 26.08.
LACHMANN,
Harald (2018): Versteckte Perlen im Osterland.
Leipzig, Halle, Dresden oder
Rostock boomen - doch was ist mit den Orten im Dunstkreis?
in: Neues
Deutschland v. 27.08.
LASCH, Hendrik (2018): Einmal Großstadt und
zurück.
Sachsen: Hoyerswerda feiert 750 Jahre Stadtgeschichte - die
zuletzt viel Umbruch brachte,
in: Neues
Deutschland v. 08.09.
WYSSUWA,
Matthias (2018): Die Rolle seines Lebens.
Mecklenburg-Vorpommern: Patrick Dahlemann soll Vorpommern
retten - und er genießt es,
in: Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung v. 09.09.
"Vorpommern, das ist die
übliche Geschichte des Abstiegs in der ostdeutschen Provinz.
Nur noch etwas schlimmer. Mecklenburg ist immerhin dem
Westen nah, Vorpommern ist weit weg von allem. Die Firmen
nach der Wende platt, die Arbeitslosigkeit hoch. Schöne,
leere Landschaft. Wer jung war und konnte und wollte, der
ging.
Lange war die NPD hier stark. Bei der Landtagswahl 2016
holte die AfD plötzlich fast 21 Prozent im Land, in
Vorpommern reichte es gar für drei Direktmandate. (...) Der
damalige Ministerpräsident Erwin Sellering (...) machte
Dahlemann zum Staatssekretär",
erzählt uns Matthias
WYSSUWA die Ursachen für den Aufstieg des SPD-Politikers
Patrick DAHLEMANN. Warum aber gerade er?
"Dahlemann ist in
Vorpommern aufgewachsen, in dem Städtchen Torgelow. Er hat
den Abstieg erlebt, war mit seiner Familie mittendrin,
Arbeitslosigkeit, Sorgen ums Geld und Zukunft. Und auch er
hat lange wenig von der Politik gesehen. (...) Mit 16 Jahren
ist Dahlemann in die SPD eingetreten. (...). 2014 rückte er
in den Landtag nach. 2016 gewann er seinen Wahlkreis direkt.
Das war noch keinem Sozialdemokraten in seiner Heimat
gelungen. Dann kam der Ruf von Sellering."
Mit Hilfe des
"Vorpommern-Fonds" soll DAHLEMANN nun gute Laune verbreiten.
Nach hemdsärmeligen Anfängen bestimmt inzwischen ein
Vorpommern-Beirat über die Verteilung der Gelder, bei denen
Prioritäten gesetzt werden müssen.
"In einer Umfrage für
Mecklenburg-Vorpommern haben SPD und CDU weiter an
Zustimmung verloren, die AfD ist auf 22 Prozent gestiegen",
erklärt WYSSUWA den Stand
der Dinge. Denn mit Geld und guter Laune verbreiten ist es
nicht getan:
"Demmin. Einst war es
eine Kreisstadt, dann kam die Kreisgebietsreform, nun ist es
ein Städtchen von vielen in einem Landkreis fast doppelt so
groß wie das Saarland."
Die Kreisgebietsreformen in
Mecklenburg-Vorpommern gelten inzwischen als fatale
Fehlentscheidungen. Insbesondere die neoliberalisierte Linke
hat sich damit auch in anderen ostdeutschen Bundesländern
keinen Gefallen getan, weshalb die neue Rechte weiter Auftrieb
bekommen wird. Ein Staatssekretär kann diese Folgen nicht aus
der Welt schaffen. Dazu braucht es mehr als einen
Gute-Laune-Onkel der SPD.
DRIBBUSCH, Barbara
(2018): Arme Familien leben besser in Schweinfurt.
In einigen Kommunen des
CSU-regierten Bayerns wird das bayerische Familiengeld nicht auf
Hartz IV angerechnet. SPD-Bundesminister Heil rügt die
"Wahlkampfnummer",
in:
TAZ v. 11.09.
Barbara DRIBBUSCH empört sich
darüber, dass in einigen bayerischen Landstrichen das Familiengeld
nicht auf Hartz IV angerechnet wird. Ursprünglich war das
Familiengeld bundesweit als Betreuungsgeld geplant.
Elitenfeministinnen diffamierten es als "Herdprämie", weil es dem
Modell der Doppel-Karriere-Familie widerspricht und nicht die
Vollzeitbeschäftigung von Müttern für alle unterstützt. Zudem
widerspricht es der Wirtschaft, die ein Heer von potenziellen
Erwerbstätigen wünscht, um die Löhne niedrig halten zu können.
MAAK, Niklas (2018): Stadt, Land, Flucht.
Brauchen wir mehr sozialen
Wohnungsbau - oder könnten wir auch wieder in die vielen leeren
Dörfer ziehen?
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 17.09.
DESTATIS (2018): Bundesverfassungsgericht erklärt Zensus 2011 für
verfassungskonform,
in:
Pressemitteilung des
Statistischen Bundesamts v. 20.09.
PFEIFFER, Hermannus
(2018): Zurück auf's Land.
Wohnungspolitik kann eine Balance
zwischen Stadt und Land herstellen,
in:
Neues Deutschland v.
21.09.
"Erst seit den späten
2000er Jahren hat die dramatische Landflucht eingesetzt, die
heute dazu be(i)trägt, dass die Großstädte aus allen Nähten
platzen.
(...). Wer die Wohnungsnot in den Städten bekämpfen will,
muss das Land attraktiver machen",
behauptet Hermannus
PFEIFFER. Gab es also vor der Finanzkrise im Jahr 2008 keine
Landflucht? Oder wird hier nur etwas verwechselt? Die
Großstädte haben vor allem durch die Zuwanderung aus dem
Ausland an Bevölkerung gewonnen, aber durch Suburbanisierung
in letzter Zeit immer mehr Einwohner verloren. PFEIFFER stellt
uns zwei neoliberale Vorzeigeprojekte vor, mit denen das Land
attraktiver gemacht werden soll: Zum einen das rund 20.000
Einwohner zählende Hiddenhausen, das 6 Dörfer umfasst,
zwischen Bielefeld und Herford (Projekt "Jung kauft Alt"). Das
Förderprogramm wurde 2007 gestartet und soll inzwischen in
weiteren Kommunen eingeführt worden sein, wobei sich PFEIFER
auf die neoliberale Lobbyorganisation IW Köln beruft. Auch ein
"Flächenzertifikatehandel" soll helfen, ebenfalls ein
neoliberales Modellprojekt, das in 87 Kommunen erprobt wird.
Das Vorhaben soll jedoch den Flächenfraß auf dem Lande
eindämmen. Ob das die Menschen als attraktiver betrachten,
dürfte durchaus kontrovers betrachtet werden. Es ist in erster
Linie ein makroökonomisches Steuerungsinstrument, das der
Stadt Vorherrschaft sichern soll und deshalb zur neoliberalen
Weltordnung passt. Als letzte Alternative werden uns "Taobao
Villages" in China gepriesen.
GAUTO, Anna/RICKENS, Christian/WERMKE, Christian (2018): Breitband
allein reicht nicht.
Alle reden übers Internet. Nun
zeigt eine Studie: Um als Region die Chancen der Digitalisierung
kraftvoll nutzen zu können, sind neben einem guten Netz auch andere
Faktoren wichtig,
in:
Handelsblatt v. 21.09.
GAUTO/RICKENS/WERMKE
stellen ein Digitalisierungs-Ranking aller 401 Kreise und
kreisfreien Städte in Deutschland vor, das Clusterbildung als
Erfolgsmodell ansieht, das nicht nur in Großstädten, sondern
auch in Mittelstädten wie Flensburg erfolgsversprechend sein
soll.
"Im Gesamtranking landete
Flensburg auf Platz 46, eine erstaunlich hohe Platzierung
angesichts der abseitigen Lage und der geringen
Einwohnerzahl von weniger als 90.000 Menschen."
In 6 Klassen werden alle
Regionen eingeteilt. An der Spitze stehen der Landkreis
München, die Metropole München und die Großstadt Erlangen.
Darmstadt wird als Beispiel dafür herangezogen, dass eine gute
Platzierung auch bei schlechter Breitbandversorgung möglich
ist. Das Ruhrgebiet (Ausnahme Dortmund) dient dagegen als
Beispiel dafür, dass auch eine gute Breitbandversorgung nur
eine notwendige, aber nicht hinreichende Erfolgsbedingung ist.
In der Provinz ballen sich für die Autoren die schlechten
Ausgangsbedingungen. Ausführlich wird auf die mittelfränkische
Barockstadt Erlangen eingegangen. Die Mittelstadt Hof in
Bayern dient als Beispiel für die notwendigen Anstrengungen,
die nötig sind, um erfolgreich zu werden.
Zuletzt gibt es sogar noch
eine Strategie für die "Schlusslichter", womit die rund 200
Kreise in der hinteren Hälfte gemeint sind.
"Diese Regionen sollten
versuchen, zumindest als Wohnorte für digitale Impulsgeber
und IKT-Fachkräfte attraktiv zu bleiben. (...) (Denn) es
gebe eben auch jene, die das billige Wohnen, die intakte
Natur und die Ruhe abseits der Großstädte zu schätzen
wüssten.
Der Trend zum Heimbüro und Remote Working macht dabei (...)
neue Lebens- und Arbeitsmodelle denkbar. (...).
Damit die ländlichen Regionen zumindest als Wohnort für
digitale Impulsgeber attraktiv bleiben, müssen auch hier die
Hausaufgaben erledigt werden: weiterführende Schulen für die
Kinder, ausreichend Fachärzte, Sportvereine,
Einkaufsmöglichkeiten und eine gute Verkehrsanbindung. Und
wenn nicht jetzt schon durchgehend Breitband, dann zumindest
einen flächendeckenden Mobilfunkempfang."
Diese Minimalanforderungen
dürften die wirklichen Schlusslichter kaum erfüllen können:
"Die Zurückgebliebenen
fühlen sich häufig von der Politik und ihren Problemen
alleingelassen und machen besonders häufig ihr Kreuz bei der
AfD. Im schlimmsten Fall droht eine Abwärtsspirale aus
Abwanderung, schwindender Infrastruktur, steigender
Unzufriedenheit der Zurückgebliebenen und geringe
Attraktivität für Zuzügler."
WERMKE, Christian (2018): Dorfvisionen in Bayern.
Bayern: Der Landkreis München ist Sieger
im Digitalranking. Doch auch dort ringen Gemeinden mit Problemen,
kämpfen um Fachkräfte und Anerkennung. Zu Besuch in einem Dorf, das
Großes vorhat,
in:
Handelsblatt v. 21.09.
"Der Landkreis München
ist Spitzenreiter (...) Doch es gibt eben nicht nur die
Universitäts- und Forschungsstadt Garching oder das
Medienzentrum Ismaning. Es gibt auch Gemeinden wie
Kirchheim. Ein Dörfchen, wo seit vielen Jahren schon
Unternehmen wie die Chemiefirma Hubergroup doer der
Skimodemacher Willy Bogner sitzen. Aber das jetzt auch etwa
tun muss, um nicht den Anschluss zu verlieren",
erklärt uns Christian
WERMKE.
Kirchheim ist jedoch höchstens für urbane Verächter ein
Dorf. Kirchheim gehört mit über 12.000 Einwohnern zu den
Kleinstädten. Kirchheim soll ein Standort von
Schlüsseltechnologien werden, wird das PR-Sprech eines
städtischen Marketingangestellten zitiert.
"Nahverkehr steht ganz
oben auf der Agenda. Es gibt eine S-Bahn-Linie im Ortsteil
Heimstetten, die nach München führt. Eine neue
Expressbuslinie zur nächsten U-Bahn-Station kommt 2019.
(...) Bis 2030 soll die Gemeinde um gut ein Viertel auf
16.000 Einwohner anwachsen."
WERMKE, Christian (2018): Kein Anschluss in Jerichow.
Sachsen-Anhalt:
Der Jerichower Landkreis in
Sachsen-Anhalt ist das Schlusslicht im Digitalkompass. Aber es gibt
Lichtblicke: Ein mutiger Unternehmer baute eine IT-lastige Firma auf
- und investiert weiter,
in:
Handelsblatt v. 21.09.
BRIEGLEB, Till (2018): Weniger
Fleisch, mehr Anarchie.
Was sind die Gründe der
Landflucht in Deutschland? Wie lassen sich Kultur und Bürgersinn in
Kleinstädten am Leben halten? Darüber diskutierte ein dreitägiger
Kongress in Halle,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 24.09.
Till BRIEGLEB betrachtet die "Landflucht"
aus dem Blickwinkel unserer arroganten, urbanen Kosmopoliten.
BRIEGLEB lobt die Originalität des Neoliberalen Reiner
KLINGHOLZ, der die "Forderung, nicht lebensfähige Kommunen
sterben zu lassen" vertritt. Unwertes Leben einfach zu
vernichten, liegt im neoliberalen Denken offenbar nicht so
weit weg! Die aktuelle Kritik an Gebietsreformen münzt
BRIEGLEB so um, dass sie zu seinem Denken passt. Die Anarchie
der Nachwendejahre, die vor allem von der Popfraktion der
Lifestyle-Linken zur Legendenbildung erkoren wird, scheint als
Gegenentwurf zu den Niederungen der politischen Arbeit in der
Demokratie als verlockend:
"aus dieser von vielen
Teilnehmern geteilten Erfahrung, dass
Verantwortungsgemeinschaften die besseren Lösungen liefern
als Beamtengemeinschaften wurde dann auch der Schlachtruf
des Kongresses geboren".
Fazit: Urbane Kosmopoliten
betrachten die Probleme unseres Landes als Abenteuerspielplatz
ihrer selbstverliebten Vorstellungen vom guten Leben.
Der Alltag der meisten Menschen in Deutschland spielt sich
dagegen weit weg von diesen Vorstellungen ab.
KERSTING, Silke/KOCH,
Moritz/RIEDEL, Donata
(2018): Boomtowns und Geisterdörfer.
Gleichwertige Lebensverhältnisse,
in:
Handelsblatt v. 26.09.
LOCKE, Stefan (2018): Annäherung durch Wandel.
An diesem Mittwoch tagt die
Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse zum ersten Mal.
Sachsens Ministerpräsident fordert mehr Autonomie für Länder und
Regionen, andere warnen jedoch schon vor zu hohen Erwartungen,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 26.09.
LÖHR, Julia (2018):
"Manche Dörfer sollten wir besser schließen".
Im Gespräch: Die Politik hat im
Osten viele Fehler gemacht, sagt Joachim Ragnitz, Ifo-Institut
Dresden. Er rät zu Prämien, damit die Menschen in die größeren
Städte ziehen. Und ist froh, über jeden Arbeitsplatz, der im Osten
nicht entsteht,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 26.09.
Joachim RAGNITZ steht für
die Hardliner des Neoliberalismus, die die Stärkung der
Starken fordern und damit die Spaltung der Gesellschaft noch
weiter vorantreiben:
"Leipzig, Jena, Berlin,
das funktioniert alles wunderbar. Mit Abstrichen gilt das
auch für die Städte aus der zweiten Reihe, Erfurt Eisenach,
Halle oder Rostock zum Beispiel. Aber weite Teile
Ostdeutschlands sind mies dran. Die Lausitz, Nordsachsen,
Ostthüringen, das südliche Mecklenburg-Vorpommern. Als
Ökonom sage ich: Manche Dörfer sollten wir besser schließen
und die Menschen zu einem Umzug in die Zentren bewegen.
(...). Warum nicht den Menschen in kleinen Siedlungen eine
Prämie zahlen, wenn sie in die nächste
10.000-Einwohner-Stadt ziehen, und diese dafür gescheit
anschließen?"
meint RAGNITZ, der jedoch
von "einer insgesamt stark schrumpfenden Bevölkerung" ausgeht,
obwohl dieses Szenario inzwischen keine
Bevölkerungsvorausberechnung stützt.
HAHN, Thomas (2018):
Moorglühen.
Zu Besuch bei erstaunlich
gelassenen Bewohnern im Emsland, wo die Bundeswehr vor drei Wochen
versehentlich ein Feuchtgebiet in Brand gesetzt wird,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 26.09.
Das Emsland ist eine Bastion der CDU und gilt gleichzeitig
Neoliberalen als Vorbild für die Bewältigung des "demografischen
Wandels". Die SZ versucht nun die Brandstiftung der
Bundeswehr zu verharmlosen. Feuchtgebiet? Davon kann keine Rede
sein, längst handelte es sich um ein brandgefährliches
Trockengebiet. Zuerst wochenlange Vertuschung des Vorfalls und dann
Beschönigung. Im Emsland zeigt sich das wahre Ausmaß des
Klimawandels in Deutschland. Das fahrlässige Vorgehen der Bundeswehr
passt zur derzeitigen Lähmung der Regierung.
LOCKE, Stefan (2018): Die grüne Lebensader.
An der innerdeutschen Grenze, wo
früher jeder Schritt tödlich enden konnte, erfahren Besucher heute
etwas über den Stand der deutschen Einheit. Kann das Erinnern in der
Natur Wunden heilen?
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 02.10.
BRANKOVIC, Maja (2018): Der große Graben.
Nicht nur politisch ist
Deutschland gespalten: Wirtschaftlich hinkt der Osten dem Westen
nach wie vor weit hinterher. Kann sich der Riss schließen?
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 02.10.
Maja BRANKOVIS zitiert pessimistische Stimmen neoliberaler Ökonomen.
Für Joachim RAGNITZ ist Sachsen gar immer noch der neoliberale
Musterknabe im Osten, obwohl die katastrophalen Folgen der
neoliberalen Standortpolitik dort immer sichtbarer werden.
DPA/ND (2018): Der Osten rutscht bald wieder ab.
Forscher warnen vor
Bevölkerungsschwund,
in: Neues
Deutschland v. 02.10.
Agenturmeldung zu einer
Vorabpressemitteilung der Prognos AG und den
Deutschlandreport 2025 2035 2045.
RITZER, Uwe (2018): Wildwest im Osten.
Nach der Wende schmiedete
Siegfried Hofreiter den größten Landwirtschaftskonzern Deutschlands:
KTG Agrar. Dessen Pleite beschäftigt nun die Justiz,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 02.10.
REUTER, Timo (2018): Nicht
mal Handyempfang.
Abgehängt: Unbezahlbare Städte,
sterbendes Land. Eine Rundreise durch Hessen vor den Wahlen im
Oktober,
in: Freitag
Nr.40 v. 04.10.
Die Landtagswahl in Hessen steht ganz im
Schatten der Bayernwahl, deren Ausgang die Wahl in Hessen
entscheidend mitprägen wird. Als letztes Jahr der
SPD-Kanzlerkandidat gewählt wurde und der SCHULZ-Hype auf dem
Höhepunkt war, da machte die Wahl im Saarland diesem Hype
schnell ein Ende. Noch schlimmer die Kehrtwende des
Kanzlerkandidaten sorgte dafür, dass die nächste Landtagswahl
in Nordrhein-Westfalen gleich auch noch verloren ging, obwohl
zwei Monate dazwischen lagen. Der Abstand zwischen den beiden
nun anstehenden Wahlen ist mit 2 Wochen sehr gering, weshalb
von einer ganz speziellen Dynamik ausgegangen werden kann. Wer
davon jedoch profitieren wird, steht momentan noch nicht fest
- allen Wahlumfragen zum Trotz.
"Rund 85 Prozent der
Fläche Hessens ist ländlich geprägt, jeder zweite Einwohner
ist dort zu Hause. In kaum einem Bundesland ist die
Ungleichheit zwischen Ballungsräumen und Peripherie so
große: In Frankfurt lag das Bruttoinlandsprodukt je
Einwohner zuletzt bei über 92.000 Euro, im kaum 60 Kilometer
entfernten Vogelsberg waren es nur etwa 25.000 Euro",
erklärt uns Timo REUTER.
Das mag stimmen, aber die Viertel innerhalb von Frankfurt
dürften noch eklatantere Ungleichheiten aufweisen, was bei
solch einem Zahlenfetischismus nicht vergessen werden sollte.
"Während Frankfurts
Bevölkerung jedes Jahr um Tausende Menschen wächst,
schrumpft der Vogelsberg. Und bald dürfte es gar keine
echten Vogelsberger mehr geben: Anfang 2017 wurde die letzte
Entbindungsstation im Landkreis geschlossen. Mit diesem
Teufelskreis aus Landflucht und fehlender Infrastruktur
kämpft auch die »Großgemeinde« Grebenhain im östlichen
Vogelsberg. Hier leben kaum 5.000 Menschen, in 15
Ortsteilen, größer als ein Drittel der Fläche Frankfurts.
Der größte ist Ilbeshausen, hier gab es mal eine Sparkasse,
einen Tante-Emma-Laden, mehrere Gaststätten. Geblieben sind
leere Häuser und ein paar Betonstümpfe. Immerhin: Die
Volksbank öffnet dreimal pro Woche, zwei Kneipen schenken
noch Bier aus, ein Hofladen hat neu eröffnet. Im
benachbarten Ortsteil Metzlos gibt es nicht mal
Handyempfang. (...).
Seit fünf Jahren ist der Parteilose (Anm.d.V.: Sebastian
STANG) Bürgermeister in Grebenhain",
beschreibt REUTER die
demografische Entwicklung zweier hessischer Kommunen. Das
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat im Jahr
2011 in seinem Buch
Die Zukunft der Dörfer den hessischen Vogelsbergkreis
seziert. Aus der folgenden Tabelle ist die damals erhobene
Entwicklung von Grebenhain ersichtlich, wobei für 3 Ortsteile
die Daten nicht ausgewiesen wurden (vgl. 2011, Tabelle
S.48-50) :
Ortsteil |
Bevölkerungsstand 2004 |
Bevölkerungsveränderung
2004 - 2010 in Prozent |
Risikobewertung
(12-15 Punkte: sehr hoch; ) |
Vaitshain |
103 |
- 18,5 % |
12-15 Punkte |
Metzlos-Gehaag |
182 |
- 15,9 % |
12-15 Punkte |
Wünschen-Moos |
45 |
- 11,1 % |
12-15 Punkte |
Metzlos |
169 |
- 10,1 % |
12-15 Punkte |
Heisters |
75 |
+ 4,0 % |
10 Punkte |
Volkarstshain |
162 |
- 5,6 % |
9 Punkte |
Hartmannshain |
265 |
- 9,1 % |
8 Punkte |
Zahmen |
144 |
- 6,9 % |
8 Punkte |
Nösberts-Weidmoos |
220 |
- 3,2 % |
7 Punkte |
Bannerod |
125 |
- 4,8 % |
7 Punkte |
Herchenhain |
425 |
- 4,0 % |
3 - 6 Punkte |
Crainfeld |
420 |
- 3,1 % |
3 - 6 Punkte |
Bermutshain |
fehlt |
fehlt |
fehlt |
Grebenhain |
fehlt |
fehlt |
fehlt |
Ilbeshausen-Hochwaldhausen |
fehlt |
fehlt |
fehlt |
Spannend wäre es nun zu
überprüfen, inwiefern die damalige Bewertung des
Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung tatsächlich
den demografischen Wandel treffend beschrieben hat. Das muss
hier vorerst offen bleiben.
"Das Thema Bildung dürfte
wahlentscheidend sein. Die schwarz-grüne Koalition betont,
Tausende Lehrerstellen geschaffen zu haben. Die Linke
verweist hingegen auf eine Studie, wonach bis 2030 rund
26.000 Lehrer eingestellt werden müssten",
meint REUTER. Ob die
Linkspartei wirklich mit diesem Thema punkten kann, das werden
die Wahlen zeigen müssen.
LACHMANN,
Harald (2018): Goldene Zeit kehrt nicht zurück.
Bayern: Nordbayerns letzter
Kneippkurort kämpft mit bescheidenen Mitteln um seine Existenz,
in: Neues
Deutschland v. 05.10.
"Mancher Kurort, über dem
bis heute der morbide Charme von Jugendstil und Biedermeier
liegt, fing sich wieder. So werben die fünf Heilbäder Bad
Rodach, Bad Steben, Bad Staffelstein, Weißenstadt und Bad
Alexandersbad nun unter dem Label »Die 5 KurFranken« mit
einem übergreifenden Gesundheits- und Wellnessangebot. Und
da die Preise erschwinglicher als andernorts gerade in
Bayern sind, kommen doch wieder mehr Leute.
Doch es gibt Kurstädte in Oberfranken, die bis heute kaum
die Kurve kriegen. So etwa Bad Berneck, selbst wenn man sich
hier gern noch als »Perle des Fichtelgebirges« wähnt. Der
beschauliche Ort (...) lud ab 1930 zu Kneippkuren. 1950
wurde man Bad. Doch nachdem bereits 1974 die Bahn den Kurort
von ihrem Netz abschnitt (...), folgte 1989 der Todesstoß
für das Kurwesen. (...).
Noch immer erinnert der Kurpark unterhalb von Burg
Hohenberneck mit seinen Bauten daran, dass hier mal Geld
verkehrte (...). Doch nicht nur viele Häuser und Läden
stehen längst leer, auch immer mehr Herbergen. (...).
Auch (...) Flüchtlingsunterkünfte in bester Marktlage sorgen
nicht für rückkehrende Vitalität. Um diese sorgte sich
stattdessen seit 2014 eine Forschergruppe der Universität
Erlangen-Nürnberg. (...). Vier Jahre später existiert (...)
ein Integriertes Stadtentwicklungskonzept (ISEK), das für
Bad Berneck (...) bescheidene Hoffnung in kleinen Schritten
verheißt. (...). Drei Projekte ragen dabei heraus:
authentisch sanierte Hausfassaden, ein Mehrgenerationenhaus
sowie ein künftiges Burgen-Freiland-Museum, as
deutschlandweit ausstrahlen soll",
berichtet Harald LACHMANN
über jene typische Stadtentwicklungstristesse, die auf
Fördermillionen abzielt:
"Rund 1,52 Millionen Euro
flossen (...) schon aus diversen Städtebautöpfen von Bund
und Land in Nordbayerns letzten Kneippkurort. Denn fast alle
Vorhaben werden mit 80 bis 90 Prozent bezuschusst".
Fazit: Was nicht zur
neoliberalen Ideologie der Stadtentwicklung passt, bleibt
außen vor. Schön sanierte Fassaden aber, das zeigt
Ostdeutschland, rettet nicht vor dem Niedergang, denn was
passiert, wenn auch das letzte Kaff tot saniert ist und mit
Museen vollgepflastert wurde? In diesem neoliberalen
Standortwettbewerb können nicht alle Gewinner sein, sondern im
Gegenteil: die verkehrliche und soziale Daseinsvorsorge
verkümmert weiter.
FRITSCHE,
Andreas (2018): Kreißsaal geschlossen.
Brandenburg: Weil zwei Hebammen
kündigten, musst die Havelland Klinken GmbH den Kreißsaal in Nauen
vorerst schließen,
in: Neues
Deutschland v. 06.10.
HAHN, Thomas (2018): Kinder, zur Sonne.
Mecklenburg-Vorpommern: Wieso hat Schwerins
Arbeiterwohlfahrt eine Kita auf Mallorca?
in: Süddeutsche
Zeitung v. 10.10.
Thomas HAHN berichtet über die Kita Santa
Maria del Cami auf Mallorca, die eine von 8 Kitas der
Arbeiterwohlfahrt (AWO) des Kreises Schwerin-Parchim ist.
SABRANSKY, Alina
(2018): Stadt mit Platz.
Peripherie: Luckenwalde in
Brandenburg hat, was Großstädten heute fehlt: jede Menge leerer
Gebäude zum Wohnen und Arbeiten. Das trifft sich gut. Denn die
Zeiten der Abwanderung sind vorbei,
in: Freitag
Nr.41 v. 11.10.
LEITHOLD, Iris (2018):
Greifswald ist besonders gefragt.
Mecklenburg-Vorpommerns größere
Städte wachsen - Mietanstieg befürchtet,
in: Neues
Deutschland v. 10.10.
Iris LEITHOLD berichtet über die
Bevölkerungsentwicklung in Mecklenburg-Vorpommern. Die Daten
zu Kreisen und Gemeinden wurden bereits mit der
Pressemitteilung
Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern 2017 leicht angestiegen
vom 21.09.2018 zur Verfügung gestellt. Dort heißt es:
"Die Bevölkerung
Mecklenburg-Vorpommerns ist 2017 gegenüber dem Vorjahr um
445 Personen auf 1.611.119 Einwohner angestiegen, davon
waren 794.873 männlichen und 816.246 weiblichen Geschlechts.
Die Entwicklung der Bevölkerung ergibt sich einerseits aus
den Geburten und Sterbefällen und andererseits aus den Zu-
und Fortzügen. Die leichte Bevölkerungszunahme im Jahr 2017
basiert auf dem Wanderungsgewinn, der den Sterbeüberschuss
knapp übersteigt.
So lag der Saldo aus Zu- und Fortzügen über die Landesgrenze
im Zeitraum 01.01. bis 31.12.2017 bei + 8.120 Personen und
hat sich gegenüber dem Vorjahr um + 2.728 Personen erhöht.
Der Wanderungsgewinn gliedert sich etwa je zur Hälfte in
Zuzüge aus anderen Bundesländern sowie aus dem Ausland.
Vom Wanderungsgewinn profitierten sowohl die beiden
kreisfreien Städte als auch die Landkreise, allen voran die
Landkreise Rostock (+ 1.700) und Vorpommern-Rügen (+ 1.599).
Die geringsten Wanderungsgewinne erzielten der Landkreis
Mecklenburgische Seenplatte (+ 426) und die Landeshauptstadt
Schwerin (+ 457).
Im Jahr 2017 wurden 13.081 Kinder lebend geboren. Das
entspricht einem Rückgang zum Vorjahr von 361 Neugeborenen
oder 2,7 Prozent. Dem standen 20.736 Sterbefälle gegenüber,
was im Vergleich zum Vorjahreszeitraum einem Anstieg um 291
Personen oder 1,4 Prozent entspricht. Der daraus
resultierende Sterbefallüberschuss von - 7.655 Personen lag
somit über dem Vorjahreswert (- 7.003). Vom
Sterbefallüberschuss waren alle Landkreise und kreisfreien
Städte Mecklenburg-Vorpommerns betroffen, wenngleich
regionale Unterschiede existierten. So ergaben sich für die
Landkreise Mecklenburgische Seenplatte (- 1.648) und
Vorpommern-Greifswald (- 1.459) die höchsten Werte, die
beiden kreisfreien Städte Schwerin (- 282) und Rostock (-
312) wiesen dagegen die geringsten Sterbeüberschüsse auf."
LEITHOLD stellt
Zusammenhänge zwischen dieser Bevölkerungsentwicklung und
Entwicklungen auf dem Mietmarkt her, obwohl dafür nicht die
Entwicklung der Personen- sondern der Haushaltszahlen
maßgebender ist. Außerdem wird auf außergewöhnliche
Entwicklungen eingegangen:
"Im Landkreis
Mecklenburgische Seenplatte schrumpfte die Bevölkerung mit
minus 1.242 am stärksten. Besonders stark verlor dort zum
Beipsiel die Stadt Stavenhagen: Ihre Einwohnerzahl sank um
361 oder 5,9 Prozent auf 5.766. Der Grund ist jedoch ein
besonderer: Im vergangenen Jahr wurde die
Flüchtlingsunterkunft in Stavenhagen-Basepohl geschlossen,
sagte Hauptamtsleiter Joachim Demske. Ansonsten sei die
Bevölkerungszahl in der Reuterstadt stabil."
GÜNTHER,
Anna & Johann OSEL
(2018): Lehrermangel wird Dauerproblem.
32.000 Pädagogen müssten Jahr für
Jahr eingestellt werden, um den Bedarf bis 2030 zu decken. Laut
Kultusministerkonferenz gibt es viel zu wenig ausgebildete
Lehrkräfte - vor allem im Osten,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 12.10.
GÜNTHER & OSEL berichten, dass
die Kultusministerkonferenz (KMK) ihre
Lehrerbedarfsprognose vor der Bayernwahl geschönt hat. Der
Lehrermangel fällt voraussichtlich wesentlich höher aus. Die alte
Bevölkerungsvorausberechnung stammt aus dem Jahr 2013 und ist
mittlerweile völlig überholt, weil der Geburtenanstieg nicht
angemessen berücksichtigt wurde. Schuld daran sind die
interessengeleiteten Bevölkerungsvorausberechnungen des
Statistischen Bundesamts, das eine nachgeordnete Behörde des
Bundesinnenministeriums ist, das seit 2005 in der Hand der Union
ist.
LEHMANN, Anna
(2018): Lehrermangel bis mindestens 2030.
Die Kultusminister haben eine
eigene Prognose zum Lehrerbedarf erstellt. Besonders im Osten werden
Lehrer_innen gesucht,
in: TAZ v.
13.10.
FABRICIUS, Michael
(2018): Gute Aussichten im Osten.
Im Zuge der Wiederbelebung vieler
Städte in den neuen Bundesländern werden die Immobilien vor Ort für
Investoren attraktiver,
in: Welt v.
18.10.
Michael FABRICIUS berichtet
über den jährlichen
Wohnungsmarktbericht Ostdeutschland der TAG Immobilien AG
"Renditen zwischen vier
und zwölf Prozent seien in den 27 größten Städten
Ostdeutschlands möglich, heißt es in der diesjährigen
Ausgabe",
lügt uns FABRICIUS an. Der
Bericht umfasst lediglich 27 ostdeutsche Städte. Die Größe
spielt dabei jedoch keine Rolle, sondern die Interessen der
Firma. So umfasst z.B. die Region Rostock die Städte Rostock,
Schwerin, Stralsund, Greifswald und Waren in
Mecklenburg-Vorpommern.
Waren (Müritz) ist jedoch nur die achtgrößte Stadt in
Mecklenburg-Vorpommern. Die Städte Neubrandenburg, Wismar
und Güstrow wären größer.
Fazit: Der
Wohnungsmarktbericht ist sehr selektiv, was bereits anhand der
letzten beiden Wohnungsmarktberichte aufgezeigt wurde.
FRITSCHE, Andreas
(2018): Manches Dorf hat Zukunft.
Brandenburgs Politik stellte sich
für die Gegenden fernab des Berliner Speckgürtels lange Jahre auf
einen Schrumpfungsprozess ein. Doch teilweise lagen die
Bevölkerungsprognosen falsch,
in: Neues
Deutschland v. 20.10.
ÖCHSNER, Thomas (2018): Jetzt sind die Kleinen dran.
Bislang zogen die Mieten vor
allem in den Metropolen an. Inzwischen aber steigen die Preise in
Klein- und Mittelstädten am stärksten. Zugleich verstärken die
höheren Wohnkosten die Ungleichheit im Land,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 23.10.
Im Gegensatz zum
Handelsblatt stellt Thomas ÖCHSNER die Ergebnisse des
IVD-Wohn-Preisspiegels 2018/2019 in den Mittelpunkt des
Artikels und die Studie von FITZENBERGER/DUSTMANN/ZIMMERMANN
wird nur nebenbei erwähnt. Die folgende Tabelle zeigt die 10
Städte mit der teuersten/günstigsten Kaltmiete der
IVD-Erhebung.
Stadt |
Bundesland |
Kaltmiete
(Euro/qm) |
Stadt |
Bundesland |
Kaltmiete
(Euro/qm) |
München |
Bayern |
14,00 |
Dierdorf |
Rheinland-Pfalz |
3,50 |
Stuttgart |
Baden-Württemberg |
12,20 |
Rockenhausen |
Rheinland-Pfalz |
3,50 |
Sylt |
Schleswig-Holstein |
11,50 |
Altena |
Nordrhein-Westfalen |
4,00 |
Ingolstadt |
Bayern |
10,85 |
Aschersleben |
Sachsen-Anhalt |
4,00 |
Köln |
Nordrhein-Westfalen |
10,70 |
Eisenberg |
Rheinland-Pfalz |
4,00 |
Frankfurt |
Hessen |
10,50 |
Herscheid |
Nordrhein-Westfalen |
4,00 |
Mainz |
Rheinland-Pfalz |
10,30 |
Plettenberg |
Nordrhein-Westfalen |
4,00 |
Vordertaunus |
Hessen |
10,00 |
Rengsdorf |
Rheinland-Pfalz |
4,00 |
Potsdam |
Brandenburg |
10,00 |
Görlitz |
Sachsen |
4,25 |
Hamburg |
Hamburg |
10,00 |
Helmstedt |
Niedersachsen |
4,30 |
Inwiefern diese Erhebung
des Lobbyverbandes der "Beratungs- und Dienstleistungsberufe
in der Immobilienwirtschaft" repräsentativ für den
Mietwohnbereich in Deutschland ist, wird nicht transparent
gemacht. Grundlage sind weniger als 400 der
mehr als 2.000 Städte in Deutschland.
"Der IVD vertritt Makler,
Sachverständige und Wohnungsverwalter, die etwa 3,5
Millionen Wohnungen in Deutschland betreuen. Auf ihren
Angaben beruhen die Daten in dem Preisspiegel, für den der
IVD Mietverträge berücksichtigte, die von April bis Ende
September abgeschlossen wurden",
schreibt ÖCHSNER zur
Erhebungspraxis des IVD.
DROBINSKI,
Matthias/RICHTER, Nicolas/RIEDEL, Katja (2018): Asche zu Asche.
Bayern: Bis zu 50 Millionen Euro hat das
Bistum Eichstätt verspekuliert. Der Bischof ruft: "Herrgott, was
willst du mir sagen?" Ein Besuch,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 23.10.
ÖFINGER, Hans-Gerd
(2018): Mühseliger Kampf um das Nötigste.
Im ländlichen Hessen sieht man
sich von der Landespolitik benachteiligt - Eindrücke aus Oberzent im
Odenwald,
in: Neues
Deutschland v. 26.10.
|
Oberzent,
Hauptort Beerfelden,
Foto: Bernd Kittlaus 2018 |
GROSSARTH, Jan (2018):
Ölland.
Niedersachsen: Menschen und Wirtschaft: Wo es
viel Erdöl gibt, da herrschen Gewalt und Korruption. Aber in
Emlichheim ist das anders,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 26.10.
Jan
GROSSARTH berichtet aus der beschaulichen, rund 7.300
Einwohner zählende Gemeinde
Emlichheim im niedersächsischen Landkreis Grafschaft
Bentheim an der deutsch-niederländischen Grenze. Von der
Ölförderung profitiert die Gemeinde jedoch am wenigsten:
"Etwas Gewerbesteuer.
Große Teilen fallen aber woanders an: dort, wo Wintershall
oder seine Eigentümerin BASF ihre Sitze haben zum Beispiel.
Und die Ölförderabgabe zwischen 9 und 18 Prozent der
Fördermenge, kassiert das Land Niedersachsen. Fünfundneunzig
Mitarbeiter verdiene hier ihr Geld, immerhind. Es waren mal
achthundert.
Größer ist das Werk der Emsland Stärke, das Kartoffeln für
die Industrie verarbeitet."
DRIBBUSCH, Barbara
(2018): Im Wunderland.
Nahaufnahme: Die Metzgerei
schließt wegen Personalmangel. Eigner Bau sucht Arbeitskräfte bis
ins Ausland. Das Wartezimmer im Jobcenter ist leer. Ein Spaziergang
durch Nördlingen, wo alle schon in Arbeit sind,
in: TAZ v.
29.10.
Journalisten lieben Extremfälle für ihre Zuspitzungen und der
Zeitgeist steht neuerdings auf anderen Zuspitzungen als noch
vor 15 Jahren als Journalisten zu den Zentren hoher
Arbeitslosigkeit pilgerten. Neuerdings sind die Pilgerstätten
die Zentren der Vollbeschäftigung!
FAZ/FAS pilgern
regelmäßig nach Eichstätt in Bayern. Inge KLOEPFER verglich
im Jahr 2014 das fleißige katholische Bienchen mit dem
faulen protestantischen Ruhrpott.
Und erst im Januar pilgerten ASTHEIMER & KÖHN wieder nach
Eichstätt, wo 1,2 % Arbeitslosigkeit - und damit
Vollbeschäftigung - herrschte. Die taz als bessere
faz/fas pilgert nun nach
Nördlingen in Bayern, das mittlerweile das neue fleißige
Bienchen sein soll (1,8 % Arbeitslosigkeit).
Dort müssen Metzgereien
schließen, weil die weiblichen Fachkräfte massenweise
schwanger werden. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
zeigt hier in Zeiten des Geburtenanstiegs seine Kehrseite. In
Nördlingen herrschen paradiesische Zustände, denn der
Arbeitsmarkt ist dort ein "Arbeitnehmermarkt" meint zumindest
Barbara DRIBBUSCH. Nicht etwa hochbezahlte
Doppel-Karriere-Familien, für die notfalls der rote Teppich
ausgerollt wird und der Partner auch noch gleich mitversorgt
wird (das Paradies à la Ulrich BECK), gelten hier als "Gold
auf zwei Beinen", sondern die Schlechterbezahlten. DRIBBUSCH
erklärt uns die "neue" Arbeitsmarkthierarchie folgendermaßen:
"Wer mit (...)
Firmenchefs in Nördlingen spricht, spürt, dass es eine
unausgesprochene Hierarchie gibt im Wettbewerb um Fachkräfte
und Schulabgänger, deren Zahl ohnehin demografisch bedingt
sinkt: Größere Unternehmen haben es leichter als kleine,
Nachwuchs zu gewinnen. Schwerer haben es Betriebe in der
Provinz, obwohl Unternehmen oft gerade dort residieren.
Schwerer als die Industrie hat es das Handwerk, und richtig
schwer haben es Berufe, die als anstrengende und schlecht
bezahlte Frauenjobs gelten. So wie die in der Altenpflege."
Hat etwa die AfD in
Nördlingen zugelegt? In einem Stimmbezirk in Nördlingen
erhielt die AfD
bei der diesjährigen Landtagswahl 21,8 % und wurde dort
zweitstärkste Kraft, während die Grünen nur drittstärkste
Kraft mit 13,7 % der Zweitstimmen wurde - und das obwohl dort
Vollbeschäftigung herrscht und es dort nur "245 arbeitslose
Hartz-IV-Empfänger" in der rund 20.000 Einwohner zählenden
Stadt gibt. Das Ergebnis zählt zu den Spitzenwerten im
Landkreis Donau-Ries. Nur übertroffen von zwei Stimmkreisen in
Donauwörth mit 27,7 % und 22,4 %. Darüber schweigt DRIBBUSCH
jedoch.
"»Wir haben hier einen
Rest heiler Welt«, sagt Ingrid Eicher, »wer einigermaßen
gesund ist, den bringen wir unter
auf dem Arbeitsmarkt«.
Die 60-Jährige Beamtin leitet das Jobcenter im Agenturbezirk
Donauwörth, wozu auch Donau-Ries und Nördlingen gehören. Der
Agenturbereich hat die niedrigste Arbeitslosenquote in
Deutschland. (...) Die Langzeitarbeitslosen seien ja »keine
faulen Leute«, sagt Eicher (...) Flüchtlinge sind in der
Regel jünger und gesünder als die deutschen
Langzeitarbeitslosen, ihre Vermittlungsquoten im Bezirk sind
deshalb sogar höher. Auch Helferjobs gibt es in der Region",
zitiert DRIBBUSCH und fügt
hinzu, dass wer nicht arbeiten will, erst gar nicht ins
Jobcenter geht, weil er sonst eine der vielen freien Stellen
angeboten bekommt. Weil sich "Fachkräftemangel" nach
Bedürftigkeit anhört, wird neuerdings von
"Fachkräftesicherung" gesprochen. Nördlingen wird uns zudem
als demografisch unproblematische Stadt vorgestellt:
"Hermann Faul (...), 69,
Mitglied in der Parteifreien Wählergemeinschaft (PWG), ist
Oberbürgermeister von Nördlingen (...).
Nördlingen habe Zuzug, erzählt Faul nicht ohne Stolz.
Kürzlich hatten Schlaumeier in irgendeiner
Bertelsmann-Studie prophezeit, die Einwohnerzahl von
Nördlingen werde in Zukunft sinken, wie in anderen
Kleinstädten auch. Ist sie aber nicht, sondern sogar auf
etwas über 20.000 gestiegen. Ab 20.000 Einwohnern ist man
nicht mehr Kleinstadt, sondern Mittelstadt."
Fazit: Die Reportage zielt
darauf ab, die Notwendigkeit von Zuwanderung im ländlichen
Raum aufzuzeigen und zieht damit an einem Strang mit der
neoliberalen Lobbyorganisation IW Köln.
FUCHS, Thorsten (2018): Das
Dorf, die Kohle und der Tod.
Keyenberg soll dem
Braunkohle-Abbau im rheinischen Revier weichen - doch seit dem
Rodungsstopp für den Hambacher Forst schöpft mancher in der Gemeinde
neue Hoffnung,
in: Frankfurter
Rundschau v. 29.10.
"In Keyenberg, 15
Kilometer südlich von Mönchengladbach, lebten mal knapp 900
Menschen. Jetzt sind es wohl noch rund 600. Die anderen sind
schon weg, umgezogen ins Baugebiet »Keyenberg (neu)« sieben
Kilometer von hier, oder verstreut in alle Winde. Bis 2023,
so ist der Plan, sollen hier alle fort sein. Umgesiedelt,
wie es heißt, damit die Bagger die Braunkohle aus der Erde
holen können. Die Keyenberger sind nicht die Ersten, die
dieses Schicksal trifft. (...).
Sie sind die Letzten. Zusammen mit ihren Nachbarorten, mit
Kuckum, Beckerath, Unterwestrich und Oberwestrich, mit
Proschim ind der Lausitz und Pödelwitz und Obertitz nahe
Leipzig",
erzählt uns Thorsten FUCHS,
der den Widerstand einer kleinen Gruppe beschreibt und fragt:
"Lässt sich das
gegeneinander aufrechnen: Tausende Jobs gegen die Heimat von
1.600 Menschen in den fünf Umsiedlungsorten am Tagebau
Garzweiler? Kann nicht auch Arbeit im besten Fall, eine Art
von Heimat sein?"
NEIßE, Wilfried (2018): Fusionsdebatten lähmen
die positiven Kräfte.
Brandenburg: Städte- und
Gemeindebund fordert das Land Brandenburg auf, die Randgebiete zu
stärken und die Berlin-Zentriertheit aufzugeben,
in: Neues
Deutschland v. 30.10.
BEITZER, Hannah
(2018): Kleinstadtidylle und Pendlerfrust.
Brandenburg: Können "Städte in der zweiten
Reihe" das Berliner Wohnungsproblem lösen? Im brandenburgischen
Eberswalde hat man sich dazu Gedanken gemacht,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 31.10.
HÖHNL, Franziska
(2018): Gardelegen sucht Gardelehrer.
Sachsen-Anhalt:
Wie Pädagogen mit Buschzulage und
Stipendium in Sachsen-Anhalt aufs Land gelockt werden sollen,
in: Neues
Deutschland v. 02.11.
ECKERT, Daniel
(2018): Schulden teilt Städte in Gewinner und Verlierer.
Kommunen mit ohnehin guter
Finanzlage profitieren von steigenden Einnahmen, so eine Studie.
Andere hingegen stecken in einer Negativspirale,
in: Welt v.
02.11.
Nicht die Schulden teilen die
Städte, sondern die neoliberale Standortpolitik, die nicht auf
Ausgleich, sondern auf Konkurrenz setzt. Daniel ECKERT berichtet
über die
jährliche Veröffentlichung der Kommunenstudie durch die
Unternehmensberatung EY.
MATZIG, Gerhard (2018): Raus aufs Land.
Samstagsessay: Alle ziehen in die
Stadt, die Folgen sind Wohnungsnot, schlechte Luft und Stress. Es
ist höchste Zeit, über Alternativen nachzudenken. Denn es gibt sie,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 03.11.
"Warum sollten Arbeit und
Leben nicht dort organisiert werden, wo der Wohnraum schon
ist - auf dem Land oder in urban organisierten
Regionalzentren?
Dazu müsste dieser Raum ertüchtigt werden: infrastrukturell
- und insbesondere auch mit einem leistungsstarken Internet.
Die Ortskerne sollten architektonisch aufgewertet und
kulturell bespielt werden. (...) Auch kleine Orte und
Gemeinden können, wie der Blick ins Mittelalter zeigt, urban
strukturiert sein.
Die Parteien müssen also keineswegs urbaner werden, sondern
sich vielmehr um ein Land mit urbanen Qualitäten bemühen",
meint Gerhard MATZIG in
seinem Wort zum Sonntag.
LASCH, Hendrik
(2018): Willkommen in der Pampa.
Viele Städter träumen vom
Landleben. Oft bleibt es bei der Idee. Eine Initiative in der
Oberlausitz aber will Interessenten zum Schritt ins Dorf ermutigen -
und als "Raumpioniere" gewinnen,
in: Neues
Deutschland v. 03.11.
STEEGER, Gesa
(2018): Reis und Rouladen.
Thüringen: Überall in Deutschland fehlen
Fachkräfte. Während die Bundesregierung um ein Einwanderungsgesetz
ringt, hilft sich ein Fleischer aus Thüringen selbst - mit
Auszubildenden aus Vietnam,
in: TAZ v.
03.11.
SCHRINNER, Axel (2018): Neue Lehrer braucht das
Land.
Grafik des Tages: Für ein
rohstoffarmes Land wie Deutschland ist die Jugend die wichtigste
Ressource. Entgegen früheren Prognosen steigen die Schülerzahlen
wieder. Nun fehlen 40.000 Lehrer, schätzt der Deutsche
Lehrerverband. Weil die Lehrerausbildung viele Jahre dauert,
bekommen jetzt zahlreiche Quereinsteiger eine Chance. Welche Folgen
das für die Qualität des Unterrichts hat, ist offen,
in:
Handelsblatt v. 05.11.
Die Unterscheidung zwischen guten
"investiven" und bösen "konsumtiven" Ausgaben in der neoliberalen
Politik hat dazu geführt, dass der propagierte "schlanke Staat" nun
seine Kehrseite mit Lehrer- und Erziehermangel und fehlende
Abwehrkräfte gegen die neuen Rechten in Ostdeutschland zeitigt.
Diese Folgen unserer neoliberalen Austeritätspolitik werden unser
Staatswesen noch zu schaffen machen.
FERSTL, Max (2018): Gefangen im Zustand des
Verfalls.
Bayern: In der Amberger
Frauenkirche ist der letzte Gottesdienst lange her. Aber noch ist in
Bayern keine Kirche aufgegeben worden. Das könnte sich ändern,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 05.11.
"Es ist in Deutschland
keine Seltenheit mehr, dass Kirchen verschwinden. Mehr als
500 wurden seit dem Jahr 2000 aufgegeben, die Zahlen hat das
Internetportal katholisch.de im vergangenen Jahr
veröffentlicht. Mancherorts gab es Massenschließungen,
allein im Bistum Essen traf es 105 Kirchen. Die bayerischen
Pfarreien haben sich bisher erfolgreich gegen diesen Trend
gestemmt. (...).
Innerhalb des katholischen Bayerns gelten die Oberpfälzer
als besonders gläubig. (...). In Amberg, einer Stadt mit gut
43.000 Einwohnern, gibt es fünf Pfarreien und - allein in
der Innenstadt, wenige Gehminuten voneinander entfernt -
vier stattliche Kirchen. (...) Über dem Marktplatz thront
die Basilika (...). Größer in der Oberpfalz ist nur der
Regensburger Dom. Auf der anderen Seite der Vils befinden
sich St. Georg, die älteste Kirche Ambergs, und die
Schulkirche. (...). Die Frauenkirche hingegen hat eine
unscheinbare, glatte Fassade. Sie ist der Außenseiter des
Quartetts",
erklärt uns Max FERSTL zum
Niedergang der Kirchen in Deutschland unter besonderer
Berücksichtigung der Lage in
Amberg, deren Einwohnerentwicklung stagniert.
FRITSCHE, Andreas (2018): Ohne Kohle geht die Arbeit nicht aus.
Brandenburg: Selbst beim Wegfall
von Tagebauen und Kraftwerken droht dem Revier in der Lausitz ein
Fachkräftemangel,
in: Neues
Deutschland v. 06.11.
JOUHAR, Jasmin (2018): Stadt Land Flucht.
Brandenburg: Das gute Leben auf dem Dorf?
Regisseurin Lola Randl versucht es in der Uckermark,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 06.11.
FRITSCHE, Andreas
(2018): Schwere Geburt.
In Brandenburg herrscht ein
Hebammenmangel, der sich nicht schnell beheben lässt,
in: Neues
Deutschland v. 07.11.
SCHRÖRS, Tobias (2018): Sie haben den
Ostkreis-Blues.
Hessen: Warum in einem hessischen Dorf
beinahe jeder vierte Bürger die AfD gewählt hat - und daran nicht
nur die große Koalition schuld ist,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 09.11.
"Bei
der Landtagswahl hat die rechtspopulistische AfD landesweit
13,1 Prozent der Zweitstimmen bekommen, in
Hirzenhain, wo gerade einmal 2.900 Menschen wohnen,
waren es 23,3 Prozent, damit ist die Partei in der Gemeinde
stärkste Kraft",
berichtet Tobias SCHRÖRS
aus dem osthessischen Wetteraukreis, wo die CDU letztes Jahr
einen Bürgermeister vor seiner Abwahl wegen Wahlfälschung zu
schützen versuchte.
BEDERKE, Jeanette
(2018): Probewohnen in Eberswalde.
Brandenburg: Das
Wohnungsunternehmen WHG wirbt in Kooperation mit der Stadtverwaltung
um Zuzügler aus Berlin,
in: Neues
Deutschland v. 14.11.
HAERDER, Max
(2018): Ist Heimat zu teuer?
Der Ökonom Joachim Ragnitz
glaubt, dass viele ländliche Regionen keine Zukunft mehr haben.
Bürgermeisterin Christine Herntier dagegen will ihre Lausitz retten.
Ein Gespräch über Kohleausstieg, kluges Schrumpfen und den
politischen Mut, nicht zu viel zu versprechen,
in: Neues
Deutschland v. 16.11.
Die
parteilose Christine HERNTIER,
die 2014 mit Unterstützung von SPD und Linkspartei zur
Bürgermeisterin von
Spremberg in Brandenburg gewählt wurde, ist Mitglied der
Kohlekommission. Spremberg wird uns als schrumpfende Gemeinde
präsentiert ("einst 28.000 Einwohner, heute noch 23.000"). Bei
Wikipedia findet sich eine max. Einwohnerzahl von rund 26.600 und
einem Stand für Ende 2017 von rund 22.500 Einwohner. Durch
Eingemeindungen können sich aber für das heutige Gebiet andere
Einwohnerzahlen ergeben.
PEZZEI, Kristina (2018):
Fast schon Münchener Verhältnisse.
Wohnen in Bamberg: Bamberg ist
kein Geheimtipp mehr. Die Einwohnerzahl in der Welterbe-Stadt
wächst. Für Wohnungssuchende wird das zum Problem,
in: Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung v. 16.11.
"Der
Bamberger Wohnungsmarkt ist eng geworden.
So eng, wie es vor ein paar Jahren noch kaum jemand für möglich
gehalten hätte. Das schmucke Städtchen mit bald 80.000 Einwohnern am
Nordrand Bayerns galt als Geheimtipp. (...).
Das »fränkische Rom« nennen Touristiker Bamberg, wegen seiner Lage
auf sieben Hügeln mit phantastischen Ausblicken auf die Fränkische
Schweiz.
Doch die Idylle, die Tagesgäste ins Schwärmen bringt, hat Risse
erfahren. In den vergangenen zehn Jahren ist Bamberg um etwa 7.000
Einwohner gewachsen, das sind gut zehn Prozent mehr.
»Bamberg ist Schwarmstadt geworden«, sagt Oberbürgermeister Andreas
Starke (SPD). (...). Bamberg zieht Studenten an, Bewohner aus dem
Umland, die es gerade im Alter in ein urbanes Umfeld mit hoher
Versorgungsqualität lockt. Spätestens, seit die Stadt zum
Verkehrsverbund des Großraums Nürnberg gehört, interessieren sich
auch immer mehr Menschen, die in Erlangen, Fürth oder Nürnberg
arbeiten, für Bamberg als Wohn- und Lebensort",
beschreibt Kristina PEZZEI die
Attraktivität des Wohnorts Bamberg.
Als Trendviertel wird uns Bamberg-Ost beschrieben, weil in anderen
Teilen der Stadt kein bezahlbarer Wohnraum existiert:
"Westlich des Flusses Regnitz, wo
die Ebene ins Hügelige übergeht, enge Altstadtgassen zwischen
Kirchen in feine Villenviertel übergehen, gibt es kaum Bewegung auf
dem Wohnungsmarkt.
»Im
Welterbe-Bereich ist es schwierig, Bauvorhaben zu verwirklichen«,
erläutert Oberbürgermeister Starke. Daran anschließende Teile seien
zum Teil »privilegiert«. (...).
Ein ehemaliges Industriegelände an der Regnitz etwa, Schauplatz
einer Landesgartenschau, werde überwiegend zur Wohngegend für
Wohlhabende.
Je mehr der Osten Bambergs ins Schlaglicht rückt, desto mehr steigt
allerdings auch hier der Druck. Früher galt die Gegend als
schmucklos und unattraktiv im Vergleich zu den intellektuell
geprägten berg- und flussnahen Vierteln, heute wird verdichtet im
Express."
STAIB,
Julian (2018): Die wahren Konservativen?
Hessen: Im hessischen Zwingenberg gibt es
fast keine Grünen - trotzdem ist die Partei dort sehr erfolgreich
bei Wahlen,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 19.11.
"Unten,
im Örtchen, gedeih große Feigenbäume. Eine fein hergerichtete Stadt
mit renovierten Fachwerkhäuschen, Kopfsteinpflaster, wenigen Autos -
und kaum Menschen, zumindest tagsüber. Da sind die meisten arbeiten.
Die Arbeitslosigkeit ist gering, dem Örtchen mit seinen rund 7.000
Einwohnern geht es gut. Mehr als ein Viertel derer, die hier vor
drei Wochen zur Wahl gingen, stimmten für die Grünen. 26,4 Prozent
der Zweitstimmen holten sie bei der Landtagswahl, mehr als jede
andere Partei. (...).
Dabei gibt es in Zwingenberg kaum Grüne. Es gibt zwar seit
Jahrzehnten die »Gemeinschaft für Umweltschutz und Demokratie«, kurz
GUD, eine unabhängige Bürgerinitiative. Die ist mit acht Sitzen in
der Stadtverordnetenversammlung vertreten, was sie zur
zweitstärksten Kraft hinter der CDU macht. Aber nur ein GUD-Mitglied
der Versammlung ist auch Mitglied bei den Grünen",
berichtet Julian STAIB von oben
herab. Anlass ist jedoch die Bürgermeisterwahl 2019 bei der das
42-jährige FDP-Mitglied Holger HABICH zum dritten Mal zum
Bürgermeister gewählt werden will. FDP und CDU in Zwingenberg setzen
auf das Marketinglabel
"Cittaslow".
In Deutschland haben sich bislang seit nur 21 Gemeinden unter diesem
Marketinglabel versammelt.
SCHEPPE, Michael
(2018): Die heimlichen Stars.
Titel: Kein Land bringt so viele
Weltmarktführer hervor wie Deutschland. Davon profitiert die gesamte
Volkswirtschaft. Doch ist das auch ein Erfolgsmodell für die
Zukunft?
in: Wirtschaftswoche
Nr.48 v. 19.11.
"IST
Metz sitzt in einer Nebenstraße in Zizishausen, einem Vorort von
Nürtingen im Landkreis Esslingen, 19 Kilometer südöstlich von
Stuttgart. Der 3.000-Seelen-Ort dürfte der Öffentlichkeit genauso
unbekannt sein wie die Firma selbst. Dabei ist sie Weltmarktführer.
(...).
Im Landkreis Esslingen sind gleich 14 Weltmarktführer zu Hause,
zeigt eine Auswertung der Universität St. Gallen für die
WirtschaftsWoche. Das ist deutscher Rekord. (...).
In keinem anderen Staat gibt es so viele Weltmarktführer wie in
Deutschland, nirgends basiert der volkswirtschaftliche Erfolg so
stark auf der Leistungskraft hoch spezialisierter Industriebetriebe.
Und im Gegensatz zu anderen Nationen ballen sich die Top-Arbeitgeber
nicht in urbanen Zentren. Sie sind dezentral, über das gesamte
Bundesgebiet verteilt. (...). (...).
Die (...) Universität St. Gallen (...) klassifiziert eine Firma als
Weltmarktführer, wenn sie weltweit die Nummer eins oder zwei ist,
mindestens in drei Kontinenten präsent ist und 50 Millionen Euro
jährlich umsetzt, davon wenigstens 50 Prozent im Ausland. So
definiert, gibt es hierzulande 455 Champions, die für weltweit 7,16
Millionen Arbeitsplätze und einen Umsatz von fast zwei Billionen
Euro stehen.
Auch Dax-Konzerne wie Adidas oder VW gehören zu den
Weltmarktführern; die Hälfte machen familiengeführte Mittelständler
aus",
erzählt uns Michael SCHEPPE.
Daneben wird uns jedoch auch der Begriff "Hidden Champions" von
Hermann SIMON präsentiert:
"Nach seiner Zählung sitzt knapp
die Hälfte der gut 2.700 heimlichen Weltmeister in Deutschland."
Der Begriff weicht also von der
vorher propagierten Definition ab, ohne dass deren Kriterien genannt
werden. Die wirklichen 455 Weltmarktführer in Deutschland sind zudem
extrem ungleich verteilt wie die Grafik Die Lücke im Osten belegt:
"Mecklenburg-Vorpommern ist das
einzige Bundesland, in dem kein Weltmarktführer seinen Sitz hat. Und
insgesamt stammen nur knapp drei Prozent aller Weltmarktführer aus
dem deutschen Osten - die Bundeshauptstadt Berlin mit eingerechnet."
KOPPETSCH, Cornelia
(2018): In Deutschland daheim, in der Welt zu Hause?
Der Heimat-Diskurs und die
Transnationalisierung von Klassenstrukturen,
in:
Aus Politik und Zeitgeschichte
Nr.48 v. 26.11.
Die Soziologin Cornelia KOPPETSCH
unterscheidet zwei Heimatbegriffe, deren Vertreter in der
öffentlichen Debatte für sich moralische Überlegenheit reklamieren:
zum einen das kosmopolitische Selbstverständnis, das die Möglichkeit
der Anverwandlung einer zweiten oder sogar dritten Heimat
voraussetzt, und zum anderen das Heimat-als-Schicksal-Modell.
"Versucht man vor diesem
Hintergrund nun, den Begriff »Heimat« allgemein und beide
Lebensformen umfassend zu bestimmen, so stößt man auf insgesamt drei
essentielle Bestandteile: Singularität, Vertrautheit und
sozialräumliche Exklusivität beziehungsweise Schließung",
schlussfolgert KOPPETSCH. Beide
Fraktionen kennzeichnen sich durch unterschiedliche Grenzziehungen
aus: Kosmopoliten grenzen sich nach unten ab, während die
Heimat-als-Schicksal-Fraktion nach außen abgrenzt.
Der Kosmopolit wird von KOPPETSCH
als Besserverdienender konstruiert, denn die Grenzziehungen, die
KOPPETSCH beschreibt, muss man sich erst einmal leisten können:
"Zu den wirkungsvollsten
Grenzanlagen gehört die kapitalistische Ausrichtung des Lebensstils,
denn das eigene Territorium wird primär im Modus ökonomischer
Grenzen verteidigt. Kulturelle Offenheit wird somit kompensiert
durch ein hochgradig effektives Grenzregime, das über
Immobilienpreise und Mieten, über ein sozial und ethnisch hoch
selektives Bildungswesen sowie über den Zugang zu exklusiven
Freizeiteinrichtungen und Clubs gesteuert wird. Abgrenzung erfolgt
nicht nach außen, sondern nach unten. Es sind vor allem die
ökonomischen Privilegien, die wirkungsvolle Schutzzäune gegenüber
unteren Schichten und Migranten darstellen. Gut situierte und
gebildete Migranten werden von den einheimischen Kosmopoliten als
unproblematisch empfunden, sozial schwache und gering qualifizierte
hingegen kommen in den privilegierten Quartieren gar nicht erst vor.
Deshalb werden sie von den Bewohnern der kulturell homogenen Milieus
auch nicht als Konkurrenten um begehrte Güter wie gesellschaftliche
Machtpositionen, Arbeitsplätze, günstigen Wohnraum, Sexualpartner,
Sozialleistungen oder staatliche Zuwendungen wahrgenommen.
Das erklärt auch, warum sich Kosmopoliten für gewöhnlich nicht von
Migranten irritieren lassen. Für Kosmopoliten in Berliner Bezirken
wie Kreuzberg oder Prenzlauer Berg, die zumeist über exklusive
Lebensräume und höhere Gehälter verfügen, besitzen fremdenfeindliche
Anwandlungen schlicht keine lebensweltliche Grundlage. Migranten –
sofern sie nicht auch zur gehobenen Mittelschicht gehören – kommen
in dieser Welt zumeist als »Diener« vor" (S.22)
Bei dieser Konstruktion fehlt die
Ambivalenz derjenigen, deren Lebenswelten dazwischen liegen und die
mit dieser strikten Trennung der beiden Sphären nicht angemessen
beschrieben sind. KOPPETSCH geht von einer Aufteilung der Welt in
globale, nationale und lokale Zonen aus, d.h. der Nationalstaat
spielt heutzutage keine große Rolle mehr, was sich als Irrtum
erweisen könnte. Wenn es drei Zonen gibt, aber nur zwei
Heimatbegriffe, dann gibt es ein Erklärungsvakuum. Das
"transnationale Oben", beschreibt KOPPETSCH folgendermaßen:
"Die hochqualifizierten und gut
bezahlten Arbeitnehmer der urbanen akademischen Mittelschicht
stellen gemeinsam mit den an der gesellschaftlichen Spitze
angesiedelten globalen Eliten das transnationale Oben dar. Sie
verfügen über global einsetzbares kulturelles Kapital, transnational
verwertbare Bildung und anerkannte Qualifikationen und sind in dem
Maße eher lose mit dem nationalen Wirtschafts- und Gesellschaftsraum
verbunden wie ihre transnationale Verflechtung in den globalen
Metropolen zunimmt. Über ihre soziale Lage wird immer weniger allein
im eigenen Land entschieden. Eine Unternehmensberaterin in Frankfurt
am Main, ein Investmentbanker in London oder eine Architektin in
Taiwan bewohnen einen gemeinsamen Verkehrs- und Transaktionsraum,
selbst wenn sie sich nie persönlich begegnet sind und stets
innerhalb ihrer Länder verbleiben. Häufig teilen die transnationalen
Experten, die sich vorrangig in den Beratungs-, Finanz- und
Kulturindustrien finden, nicht nur eine gemeinsame professionelle
Identität, sondern eben auch einen gemeinsamen kosmopolitischen
Lebensstil, der aus dem Leben in globalen Metropolen resultiert. Die
global cities stellen gewissermaßen kosmopolitische Enklaven
dar, die in allen Ländern der Welt ähnliche Infrastrukturen und
Konsumkulturen aufweisen. Zudem sind die unterschiedlichen
Territorien durch ökonomische Austauschbeziehungen und durch das
Internet miteinander verbunden. Dadurch werden sich ihre
Lebensbedingungen zukünftig noch stärker international angleichen.
Das Zugehörigkeitsgefühl der kosmopolitischen Mittelschicht zur
eigenen Nation dürfte sich dabei in demselben Maße lockern, wie ihre
transnationale Verflechtung innerhalb der global cities
zunimmt." (S.24)
Auf der anderen Seite steht dann
das transnationale Unten:
"Hier finden sich Geringverdiener
aus unterschiedlichen Weltregionen, gering- und de-qualifizierte
einheimische Arbeitnehmer und Migranten aus Entwicklungs- und
Schwellenländern als modernes transnationales
Dienstleistungsproletariat wieder. Für die einheimischen
Arbeitnehmer in den Ländern des Globalen Nordens entstehen daraus
teilweise gravierende Nachteile, weil ihre Löhne an die niedrigeren
internationalen Maßstäbe angeglichen werden. Für sie funktioniert
die »soziale Rolltreppe« in die Mittelschicht nun nicht mehr, da sie
als Arbeitnehmer innerhalb eines transnationalen Wirtschaftsraums
faktisch nicht mehr unter dem Dach ihrer heimischen Volkswirtschaft
angesiedelt sind, selbst wenn sie als Staatsbürger weiterhin über
alle politischen Rechte verfügen." (S.25)
Dazwischen verortet KOPPETSCH nun
die "untere Mittelschicht" als Verteidiger ihrer Privilegien:
"Zwischen dem »transnationalen
Oben« aus Eliten und oberer Mittelschicht und dem »transnationalen
Unten« befindet sich nun die in den nationalen Wirtschafts- und
Wohlfahrtsraum eingebundene untere Mittelschicht, deren
Wohlstandsniveau vorläufig weitgehend von innerstaatlichen und
nationalen Institutionen geprägt wird und für die die
Staatsangehörigkeit in einem reichen nationalen Wohlfahrtsstaat ein
erhebliches Privileg darstellt. Doch dieser Teil der Mittelschicht
verliert zunehmend seinen Einfluss auf die Geschicke des Landes.
Über Lebenschancen und Ressourcenzuteilungen entscheiden immer
weniger die klassischen Anwälte der Mitte, wie etwa die
Gewerkschaften oder die lange Zeit etablierten Volksparteien,
sondern globale Wirtschaftsverflechtungen sowie supra- oder
transnationale Einrichtungen. Es zeichnet sich somit immer
deutlicher eine zentrale Spaltungsachse innerhalb der Mittelschicht
ab: Die akademisch ausgebildete urbane Mittelschicht entwickelt sich
zunehmend zu einer transnationalen Oberschicht, während die in den
Regionen und Kleinstädten angesiedelte mittlere und untere
Mittelschicht noch im nationalen Wirtschafts- und Wohlfahrtsraum
verankert ist und ein Interesse an dessen Stärkung, notfalls auch
durch Abkopplung von der Globalisierung, hat. Heimat erscheint nicht
wenigen von ihnen unter diesen Vorzeichen als etwas, das verteidigt
werden muss – zur Not mit Klauen und Zähnen." (S.26)
KOPPETSCH beschreibt damit
letztendlich auch einen Konflikt zwischen den Ballungsräumen und der
Peripherie der Mittelstädte und ländlichen Regionen. Dabei stellt
sich die Frage, ob die Wirtschaftsstruktur in Deutschland sich nicht
von anderen Ländern unterscheidet, wie das z.B. der
Wirtschaftswoche-Titel
über Deutschlands Weltmarktführer behauptet.
NEIßE, Wilfried
(2018): Zuschlag zum Zuschlag.
Brandenburg: Rot-Rot will per
Gesetz einige Gemeinden als "grundfunktionale Schwerpunkte" fördern,
in: Neues
Deutschland v. 28.11.
WERNER, Uwe
(2018): Schorfheide-Bahn am Kaiserbahnhof begrüßt.
Brandenburg: Nach zwölf Jahren
wird die
Regionalbahn RB 63 wieder bis Templin verlängert - ein
Mobilitätsgewinn für die Region Rot-Rot will per Gesetz einige
Gemeinden als "grundfunktionale Schwerpunkte" fördern,
in: Neues
Deutschland v. 28.11.
MORGENSTERN, Tomas
(2018): Schöner Wohnen in alten Kasernen.
Brandenburg: Mit dem Bernauer
Pankebogen entsteht im einstigen Heeresbekleidungsamt ein Wohnpark,
in: Neues
Deutschland v. 29.11.
GERTH, Martin (2018): Vermieten,
nie mehr arbeiten.
Zinshäuser versprechen sichere
Mieteinnahmen und Wertzuwachs. Doch in Großstädten sind sie zu
teuer. Günstiger geht es noch in der Provinz,
in: Wirtschaftswoche
Nr.48 v. 30.11.
"Zinshäuser, Immobilien mit
Mietwohnungen, sind begehrt. Viele träumen von einem Haus, das
regelmäßige Mieten wie Zinsen abwirft. Zinsen, dank derer sie nicht
mehr arbeiten müssen. Dafür sind sie bereit, mehr zu zahlen als ein
professioneller Investor. (...).
Obwohl es in Deutschland 3,2 Millionen Häuser mit drei und mehr
Wohnungen gibt, ist der Zinshausmarkt eng. Denn nur wenige
Eigentümer verkaufen. Sie warten auf weiter steigende Preise. (...).
Professionelle Investoren legen ihr Geld daher lieber in
mittelgroßen Städten an, etwa in Hannover, Dortmund oder Lübeck (B-
und C-Städte). (...).
Wo Profis kaufen , steigen die Preise. Schnäppchen sind auch in
Städten der zweiten und dritten Reihe selten. es gibt allerdings
Märkte mit Potenzial (...). Zinshäuser mit fünf und mehr Wohnungen
fangen bei rund einer Million Euro an",
erklärt uns Martin GERTH den
Immobilienmarkt auf dem Zinshaussektor. Es ist die private
Altersvorsorge - nicht nur in Deutschland, die den Ausverkauf
lukrativer nationaler Immobilienmärkte vorantreibt.
Lebensversicherer und Pensionskassen sind die treibenden Kräfte.
Daneben sieht GERTH auch Geldverwaltern der wohlhabenden Familien
als Konkurrenten von weniger begüterten Möchtegern-Rentiers.
GERTH hält sich beim Begriff
"Großstadt" und "Provinz" nicht an die üblichen Größenklassen. Unter
den Begriff B- und C-Städte fallen ausschließlich Großstädte über
100.000 Einwohner und nicht etwa Klein- oder Mittelstädte.
HAAK, Sebastian
(2018): Die Z-Frage ist wider da.
Thüringen: Die gescheiterte
Fusion Eisenachs mit dem Wartburgkreis stellt die Frage von
Zwangsreformen neu,
in: Neues
Deutschland v. 14.12.
HANECKE,
Alexander (2018): Der Dorfkern soll leben.
Bayern: Was kann ein Bürgermeister tun,
wenn Leerstand um sich greift, die Straßen veröden und nur noch die
Supermarktketten an der Ausfallstraße florieren? Wolfgang Borst
hatte eine Idee,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 29.12.
Alexander HANECKE stilisiert den
CSU-Bürgermeister Wolfgang BORST zum Helden des demografischen
Wandels, der sozusagen die Avantgarde repräsentierte:
"Etwas lief schief in seinem
Heimatort, das konnte Wolfgang Borst damals schon sagen. Es war kurz
nach der Jahrtausendwende, das mittelalterliche Städtchen
Hofheim in Unterfranken, einst Zonenrandgebiet, lag nun in der
Mitte des wiedervereinigten Deutschlands. Trotzdem zog eine junge
Familie nach der anderen Weg. (...).
Was für Borst, damals ein noch nicht ganz greifbares Gefühl war, ist
inzwischen zum politischen Großthema geworden. Von der Verödung der
Dörfer oder gar vom Heimatsterben ist die Rede. (...). Das Gefühl,
abgehängt zu sein ist zum Leitmotiv politischer Debatten geworden.
Der französische Geograph Christophe Guilluy (...) spricht vom
»peripheren Frankreich« (...).
Der Wendepunkt war ein Abend im Jahr 2006. (...)(I)n Ostheim stand
eine Bürgerversammlung an. Ein Dreihundertseelendorf mit barocker
Kirche und mittelalterlichen Fachwerkhöfen, das zu Borsts Gemeinde
gehört. Vier junge Familien aus dem Ort hatten Kinder bekommen und
brauchten mehr Platz, also sollten vier neue Bauplätze ausgewiesen
werden. Nur (...) erkannte die Prognosen: Strukturschwache Gegend
weitab der nächsten Großstadt, die Fachleute rechneten mit bis zu 20
Prozent Bevölkerungsrückgang in den kommenden 20 Jahren. (...). Also
sagte er nein, kein neues Baugebiet. (...).
Rügheim. In der Ferne sind die Hänge der Haßberge zu sehen, viele
Burgen und alte Marktstädte gibt es hier. (...) Das knapp 30
Kilometer entfernte Schweinfurt ist die nächste größere Stadt. Doch
die geschichtsträchtigen Häuser sind ohne die Bürger schwer zu
erhalten."
Für junge Familien in der
Gemeinde attraktiv zu sein, das ist einer der grundlegenden
Politikgrundsätze der neoliberalen Standortpolitik. Die Ausweisung
von Neubaugebieten galt Mitte der Nuller Jahre keineswegs mehr als
Credo. 2006
war man da nur Mitläufer und keine Avantgarde.
"Was 2006 für ihn der Beginn
eines »Nachdenkens« war, wie er es beschreibt, hat er heute zu einem
Leerstandsmanagement ausgearbeitet. Die Gemeinde erfasst alle
unbewohnten Gebäude, vermarktet sie über eine Internetseite, hilft
in dem Wirrwarr an öffentlichen Fördermitteln und stellt den
Interessenten gleich zu Anfang einen Architekten zur Seite. (...).
Den alten Leitsatz, dass Familien nur gehalten werden könnten, wenn
die Gemeinde Neubaugebiete ausweist, hat er inzwischen umgedreht:
»Jeder Neubau in einer Siedlung bedeutet Leerstand im Altort«, sagt
er (...). Das treffe vielleicht nicht auf die großen Ballungsräume
für München oder Frankfurt zu, auf die restlichen 80 Prozent des
Landes aber schon",
erzählt uns HANECKE. In
Wirklichkeit ist die Geschichte etwas anders verlaufen. Die Grünen
haben bei der Landtagswahl in Bayern 17,5 Prozent erreicht, u.a. mit
ihrer Kampagne gegen Flächenfraß. Die CSU muss nun stärker umdenken,
wenn sie nicht gänzlich ihre Dominanz verlieren will.
Hofheim ist Teil eines Modellprojekts ab dem Jahr 2008 gewesen:
"Die Gemeinde-Allianz Hofheimer
Land wurde im Jahre 2008 gegründet und entstand ursprünglich aus
einem Förderprogramm für Investitionen zur Erhaltung und Nutzung
vorhandener Bausubstand. Ziel war es die Abwanderung in den
Siedlungsgebieten und die daraus resultierende Verödung der Altorte
zu verhindern",
schreibt BORST zur
Allianz Hofheimer Land. BORST sieht in der bayerischen
Gemeindegebietsreform der 1970er Jahre den Beginn des Niedergangs
der Dörfer:
"Damals galt das Ziel, eine
leistungsfähigere, spezialisierte Verwaltung zu schaffen. Die einst
knapp 7.000 bayerischen Gemeinden wurde in etwa 2.000
Verwaltungseinheiten zusammengefasst und die Zuständigkeiten
geregelt. Die Gemeinde Hofheim besteht heute aus 21 Orten, der
Landkreis Haßberge gliedert sich in 26 solcher Großgemeinden.
»Früher waren die kleinen Dörfer für alle kommunalen Aufgaben selbst
zuständig«, sagt Borst (...). Das hieß: Gemeinsam anpacken.
Mit der Gebietsreform gingen all diese Aufgaben auf die zentralen
Gemeindeverwaltungen und die Landkreise über. (...).
»Eigenverantwortung und lokale Initiativen sind verlorengegangen«,
sagt Borst. Zuständig waren jetzt ja andere, die oft weit weg im
Landratsamt saßen. Die Dorfgemeinschaft brauchte keiner mehr. Und
Gemeinwesen hieß für die Menschen nicht mehr, zusammen ein Problem
zu lösen, sondern alle paar Jahre wählen zu gehen. »Wir holen durch
unsere Projekte die Eigenverantwortung zurück«, sagt Borst."
Fazit: Die Menschen sind
letztendlich selber schuld am Niedergang ihrer Gemeinde, lautet die
zentrale Botschaft dieser nostalgischen Verklärung der
Dorfgemeinschaft. Ohne die Einstufung als Modellprojekt, die eine
privilegierte Situation schafft, dürfte die Lage in Hofheim anders
aussehen. Außerdem ist Hofheim Sitz einer Verwaltungsgemeinschaft.
Die Personalunion von Verwaltungsgemeinschaftsvorsitz und
Bürgermeisteramt ermöglicht ein völlig anderes Agieren als es einer
kleinen Dorfgemeinschaft möglich wäre. BORST sieht deshalb die
Lösung gegen den Flächenfraß in willfährigen Bürgermeistern:
"»Das Problem sind die
Bürgermeister und die Gemeinderäte vor Ort, die in der alten
Denkweise festhängen«, sagt er. (...). »Wenn eine Gemeinde mehr
Bauland ausweist, als es Bedarf gibt, dann sollte ihr alle
Städtebauförderung gestrichen werden«, sagt Borst."
Mit der Zuweisung von Zuwendungen
werden heutzutage bereits Kommunen auf Linie gebracht.
Eigenverantwortung ist letztlich nur dort gewünscht, wo sie den
herrschenden Interessen nicht zuwiderläuft!
"Die Bevölkerungsentwicklung hat
sich in den letzten Jahren entgegen allen Prognosen ins Positive
gedreht",
heißt es in dem Artikel. Das
zeigt im Grunde, dass langfristige Strategien, die auf angeblich
treffsicheren Bevölkerungsvorausberechnungen beruhen, mit
Vorsicht zu genießen sind. Je kleinräumiger solche Berechnungen
angestellt werden, desto unsicherer sind diese, sodass oftmals die
lokalen Akteure, die Lage besser einschätzen können als Akteure auf
höheren politischen Ebenen. Politische Steuerung von oben herab, ist
genauso wenig ein Allheilmittel wie Eigenverantwortung oder
Dorfgemeinschaft.