2018
AGENTUREN
(2018):
Verbeamtet Sachsen mehr
Lehrer?
Linke kritisiert
entsprechende Pläne scharf,
in:
Neues Deutschland v.
25.01.
Die
Linkspartei könnte in den neuen Bundesländern in der
Bedeutungslosigkeit verschwinden, da sie keine Alternative mehr
zum Neoliberalismus bietet. Stattdessen stützt sie die
Demografisierung gesellschaftlicher Prozesse.
In Sachsen herrscht katastrophaler Lehrermangel - und nicht
nur dort, weil der Geburtenanstieg der vergangenen Jahre nicht
zur angemessenen Ausbildung von Erziehern und Lehrern geführt
hat. Die Linkspartei hat in Sachen Demografie lieber ins gleiche
Horn wie der Mainstream geblasen. Das wird sich in den nächsten
Jahren rächen.
MEINHARDT,
Birk (2018): Nicht ohne Zorn.
Einst war hier ein Dorf. Dann
kamen die Sozialisten, später die Privatisierer, zuletzt kamen
Flüchtlinge. Nun ist Prohlis ein armer, gespaltener Stadtteil
von Dresden mit empörten Bewohnern,
in:
Cicero, Februar
Birk MEINHARDT berichtet aus der Plattenbausiedlung
Dresden-Prohlis:
"Prohlis
war einst ein Dorf am Rande Dresdens. Ab 1975 musste es den
Plattenbauten weichen, die hier errichtet wurden",
heißt es lapidar.
Drastischer beschreibt es ein
Artikel von Lars KÜHL im Februar 2016:
"Prohlis, jenes bäuerliche
Runddorf mit seinem hübschen Schloss im Zentrum am südöstlichen
Stadtrand, von Sorben als Siedlung Prolos wahrscheinlich vor rund
tausend Jahren gegründet. Verschlafen, gesäumt von duftenden
Obstwiesen, Ackerflächen und Kleingärten. Vorm Spatenstich vor
genau 40 Jahren für Dresdens damals größtes Wohngebiet –
bekanntlich legte Gorbitz später noch ein paar Blöcke drauf – galt
das Örtchen als der am vollständigsten erhaltene Dorfkern der
Stadt (Dresdner Geschichtsbuch, Band 4).
Zehn Jahre später war Alt-Prohlis Geschichte. Was der Zweite
Weltkrieg nicht geschafft hatte, holten Bagger und Abrissbirnen in
ihrer erbarmungslosen Effektivität nach."
Eine tragende Rolle in der
Geschichte spielen zwei einheimische Tafel-Kunden, deren
Lebenssituation wohl exemplarisch für die Lebenssituation der
einheimischen Bewohner der Plattenbausiedlung gelesen werden sollen:
Zum einen ein arbeitslos gewordener ehemaliger Ingenieur, der nach
der Wende aus seinem Hobby einen Hauptberuf als "Kulturmanager"
machte. Die Finanzkrise degradierte ihn zum Handelsvertreter, für
den seine Einstellung jedoch ungeeignet war:
"Er will nicht wahrhaben, dass
er in die Armut driftet, er lässt sich, um nicht zum Amt gehen zu
müssen, seine private Rentenvorsorge auszahlen, und erst als die
verbraucht ist, begreift er das wahre Ausmaß seines Dilemmas".
Das zweite Beispiel ist eine
58jährige Frau, die mit ihrem Lohn als Leiharbeiterin unzufrieden
war und deshalb arbeitslos ist. Die Zivilgesellschaft wird zum einen
von einem Erstbezieher der Plattenbausiedlung und Chef der
Bürgerinitiative Prohlis ("35 Mitstreiter") und zum anderen von eine
engagierte einheimische Frau vom Verein Querformat. Beide kümmern
sich um die sozial benachteiligten Einheimischen im sozialen
Brennpunkt:
"Am Jahresende 2016 hatte
Prohlis 15.000 Einwohner. Nach Prohlis-Nord und Prohlis-Süd
unterteilt, bezogen 25,7 respektive 32,1 Prozent aller
Erwerbsfähigen Sozialleistungen nach SGB II, in ganz Dresden waren
es 9,3 Prozent. Von den Nichterwerbsfähigen einschließlich der
Kinder erhielten in Prohlis sogar 38,7 beziehungsweise 43,5
Prozent staatliche Stütze, zum Vergleich wieder Dresden gesamt,
12,8 Prozent."
Ein sozialer Brennpunkt wurde
Prohlis erst nach der Wende, denn vorher gab es gemäß MEINHARDT
keine Segregation: Arzt und Verkäuferin wohnten friedlich
nebeneinander, denn Plattenbausiedlungen waren modern. Die
Entmischung, d.h. die zunehmende Segregation, beschreibt MEINHARDT
in verschiedenen Stufen: Am Anfang stand für ihn der Verkauf des
städtischen Wohnungseigentums an Immobilienfirmen. Heute beherrscht
die Vonovia den Immobilienmarkt von Prohlis. Der Konzern verdient
glänzend an der Armut der jetzigen Bewohner. Die Besserbetuchten
wanderten ab in die sanierten Altbaugebiete. Mit der
Flüchtlingswelle im Jahr 2015 ist für MEINHARDT die zweite Stufe der
Entmischung erreicht: hier die vernachlässigten, einheimischen
Transferempfänger, dort die von der Flüchtlingsindustrie umsorgten
Zugewanderten. Die schlecht entlohnte bzw. geförderte
Zivilgesellschaft wird der profitablen Hilfsindustrie, hier
repräsentiert durch zwei Caritas-Funktionäre.
"Ende 2016 lebten 16,6
beziehungsweise 16,7 Prozent Ausländer sowie Deutsche mit
Migrationshintergrund im Stadtteil, in ganz Dresden waren es 10,6
Prozent. 47,5 respektive 41,5 Prozent der Ausländern in Prohlis
erhielten Leistungen nach SGB II, in Dresden gesamt: 20,1
Prozent."
Die präsentierten Statistiken
beinhalten eine Schieflage, denn ungenannt bleibt der Anteil der
Einheimischen Transferempfänger in Prohlis. Diese Lücke füllt
MEINHARDT durch die Sichtweisen der Einheimischen und die
Charakterisierung seines einheimischen Armutspersonals. Die
Einheimischen erscheinen als schamvoll, während die Zugewanderten
als unverschämt erscheinen. Dazu wird die Leiterin der Tafel
sozusagen als Expertin zitiert:
"Die Ausländer wollen gern
Südfrüchte. Sie verstehen nicht, dass wir pro Person nur fünf
geben können. (...). Eine Russin hatte sich über ihren viel zu
voll gepackten Kasten gelegt und mich übel beschimpft, die dachte,
die kann sich hier alles rausnehmen. Wenn ich mir dagegen unsere
deutschen Rentner angucke: Die erscheinen nur einmal in der Woche,
obwohl sie es viel öfter nötig hätten, ich kenn ja jeden, die
schämen sich."
An dieser plakativen
Gegenüberstellung ändert wenig, wenn MEINHARDT ab und an einwirft,
dass auch Vorurteile die Sicht auf die Zugewanderten prägen. Die AfD
profitiert davon:
"Bei der Bundestagswahl im
vergangenen Herbst hat die AfD in Prohlis 32,4 beziehungsweise
33,4 Prozent der Stimmen erhalten, in Dresden gesamt waren es 22,5
Prozent."
MEINHARDT sieht die etablierten
Parteien als Problemverursacher, die jedoch aus dem Erfolg der AfD
nicht gelernt haben:
"Die Politik, deretwegen aus
Prohlis ein schrecklich armer, unterschwellig empörter Stadtteil
wurde, haben andere zu verantworten, und diese anderen scheinen
nicht im Mindesten zu begreifen, was sie anrichten und sich auch
selber antun, wenn sie die AfD immer weiter zu stigmatisieren
versuche: Vielen Bürgern ist das nicht einmal mehr ein
sarkastisches Lächeln wert."
Am Schluss stellt er den
AfD-Ortsbeirat und Referent eines Landtagsabgeordneten vor, der die
Rolle des Kümmerers für seine Partei einnimmt. Mit ihm hofft die AfD
auf den Auftrag zur Regierungsbildung in Sachsen 2019.
Die Linkspartei gehört im Osten
zu den etablierten Parteien. Sie könnte dort weiter schrumpfen, denn
sie bietet keine Antworten auf die Probleme der Demografisierung
gesellschaftlicher Probleme, sondern ist Teil des Problems.
HOYER, Niklas u.a.
(2018):
Das Heimspiel.
Immobilienatlas 2018: Der sagenhafte Anstieg der Haus- und
Wohnungspreise geht weiter - noch. Unser Ranking der 50 größten
Städte zeigt, wo der Markt überdreht und wo ein Kauf noch lohnt,
in:
WirschaftsWoche Nr.7
v. 09.02.
Das Städteranking soll das
Immobilienmarktpotential einer Stadt für die nächsten 10 Jahre
ausloten können. Die 50 Städte sind in 3 Einwohnerklassen
unterteilt: 14 Städte mit mehr als 500.000 Einwohner. Dazu
gehören Dresden (Rang 5) und Leipzig (Rang 10). 25 Städte
haben 200.000 Einwohner bis 500.000 Einwohner. Chemnitz liegt
hier auf dem letzten Platz. 11 Städte gehören zur Kategorie
100.000 bis 200.000 Einwohner. Bei allen drei sächsischen
Städten lautet die Empfehlung kaufen statt mieten.
KOWALSKI, Matthias
(2018): 401-mal Deutschland.
Regional-Ranking 2018: Wachstum und Stillstand. Job oder
Warteschleife. Sicherheit oder Kriminalität, Stadt versus Land:
Der neue große Focus-Vergleich der Wirtschafts- und
Lebensumstände in allen 401 Landkreisen und kreisfreien Städten
offenbar eine erstaunlich zerrissene Bundesrepublik,
in:
Focus v. 10.02.
Die sächsischen Landkreise
und kreisfreien Städte sind aus der folgenden Übersicht zu
ersehen:
Tabelle:
Die sächsischen Städte und Landkreise im
Focus-Regionenranking |
Rang 2018
|
Rang 2016 |
Rang 2015 |
kreisfreie Stadt
bzw. Landkreis |
Rang 2018 |
Rang 2016 |
Rang 2015 |
Sachsen |
Deutschland |
1 |
2 |
1 |
Leipzig (Stadt) |
238 |
222 |
224 |
2 |
1 |
2 |
Dresden (Stadt) |
239 |
200 |
294 |
3 |
4 |
6 |
Sächsische
Schweiz / Osterzgebirge (Landkreis) |
313 |
274 |
369 |
4 |
5 |
5 |
Meißen
(Landkreis) |
320 |
317 |
340 |
5 |
7 |
8 |
Zwickau
(Landkreis) |
322 |
328 |
376 |
6 |
6 |
3 |
Chemnitz (Stadt) |
333 |
320 |
330 |
7 |
8 |
12 |
Bautzen
(Landkreis) |
350 |
338 |
387 |
8 |
3 |
4 |
Görlitz
(Landkreis) |
355 |
261 |
337 |
9 |
11 |
9 |
Erzgebirgskreis |
356 |
368 |
380 |
10 |
10 |
10 |
Mittelsachsen
(Landkreis) |
358 |
359 |
381 |
11 |
13 |
11 |
Vogtlandkreis
|
380 |
378 |
383 |
12 |
9 |
7 |
Leipzig
(Landkreis) |
395 |
355 |
374 |
13 |
12 |
13 |
Nordsachsen
(Landkreis) |
400 |
374 |
395 |
|
MÄDLER,
Katrin (2018):
Wo Sachsens letzter König
untertauchte.
Sachsen: Die Staatsbäder
Bad
Elster und
Bad Brambach boomen - sie gelten als Wirtschaftsmotor
des oberen Vogtlands,
in:
Neues Deutschland v.
14.02.
LASCH,
Hendrik (2018): Im Berg der Batterien.
Sachsen: Das Erzgebirge
könnte bald Lithium liefern,
in:
Neues Deutschland v.
28.02.
Hendrik LASCH berichtet über ein Projekt, das dem
Erzgebirge Jobs für eine Generation von Arbeitern in Zinnwald,
Altenberg und Schwarzheide sichern soll. Sachsen steht politisch am
Abgrund und da wird jeder Hoffnungsschimmer publizistisch wertvoll:
"Zinnwaldit (...) enthält (...)
1,4 Prozent Lithium. Und das ist ein Metall, das bald so gegehrt
werden dürfte wie das Silber aus dem Erzgebirge, auf dem Sachsens
Wohlstand einst gründete. (...).
Lithium ist für die künftige Mobilität das, was Erdöl für das
Fahren im 20. Jahrhundert war",
erklärt uns LASCH. Die Firma
Deutsche Lithium GmbH aus Freiburg ist der Hoffnungsträger. Die
Firma Solarworld - ein anderes gescheiterter Hoffnungsträger - hält
noch 50 Prozent. Doch wird die Firma ein kanadisches Unternehmen
übernehmen, sollte sich die Förderung überhaupt rentieren.
Frühestens ab 2021 soll es dann so weit sein, d.h. für die
sächsischen Landtagswahlen, bei der die CDU als bislang stärkste
Kraft von der AfD abgelöst werden könnte, kommt das Erzgebirgswunder
- wenn es denn überhaupt eines ist - zu spät!
CARSTENS,
Peter (2018): Kretschmer rennt.
Sachsens neuer
Ministerpräsident muss schnell beweisen, dass er es besser macht
als sein Vorgänger. Auf dem Lande liegt der Schlüssel zum
Erfolg,
in:
Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung v. 04.03.
Peter CARSTENS baut den Wahlverlierer Michael
KRETSCHMER zum letzten Hoffnungsträger der Sachsen-CDU auf, der mit
Bürgergesprächen auf dem Lande die Arroganz der sächsischen
CDU-Elite vergessen machen soll.
"Lange rühmte sich die
Landespolitik, mit billigsten, nur angestellten Lehrern die besten
Ergebnisse zu erzielen. Doch immer mehr junge Pädagogen machen da
nicht mehr mit. Inzwischen wandert die Hälfte der sächsischen
Absolventen in Bundesländer ab, wo sie verbeamtet werden. Hunderte
Leerstellen in den Klassenzimmern werden mit Quereinsteigern und
Aushilfen gefüllt. In diesem Jahr sind es sechzig Prozent der
Neulehrer (...) Darüber wuchs über Jahre eine Riesen-Elternwut im
ganzen Land. (...). Bald werden auch Sachsens Lehrer verbeamtet",
berichtet CARSTENS aus dem Land,
das wie fast alle Bundesländer, den Geburtenanstieg der letzten
Jahre verschlafen hat und deshalb nun im harten Konkurrenzkampf um
die zu wenigen ausgebildeten Lehrer steht. CARSTENS entdeckt nun
nach der Bundestagswahl das Land als Schlüssel zum
Landtagswahlerfolg 2019:
"was nützt es, wenn in Leipzig
die Künstlerkolonien blühen, in Dresden die Beamtenschaft flaniert
und in Chemnitz der Maschinenbau wieder floriert, solange in
kleineren Städten wie Bautzen, Görlitz, Plauen oder Zwickau die
Leute wegziehen, die Bahnverbindungen abreißen und drumherum in
den Kleinstädten und Gemeinden, die Postämter schließen oder die
freiwillige Feuerwehr eingeht? Denn dort wohnt die Mehrheit der
Sachsen."
KRETSCHMER, der Teil des Problems
ist, soll nun als reuiger Konvertit AfD-Land zurückgewinnen.
CARSTENS berichtet von einem Bürgergespräch in
Reichenbach, einer schrumpfenden Großen Kreisstadt im Vogtland,
das für KRETSCHMER schmeichelhaft erscheint, weil CARSTENS
verschweigt, dass sich die CDU nicht wirklich in die Höhle des Löwen
getraut hat. In Reichenbach blieb die CDU
bei der Bundestagswahl 2017 mit 28,8 % der Zweitstimmen die
stärkste Kraft vor der AfD (25,5 %) im Gegensatz zum Land Sachsen,
wo die AfD knapp vorne lag. Das gilt auch für den ganzen
Vogtlandkreis.
"Nächste Woche ist Neustadt im
Erzgebirge dran. Dort hat die AfD im September mit 34 Prozent und
Riesenvorsprung die CDU deklassiert",
erzählt uns CARSTENS, der
folgende Bedingungen für einen Erfolg der Sachsen-CDU ausmacht:
"Gemessen wird Kretschmer aber
an Taten. (...) Passiert nichts oder wird Kretschmer in Berlin
Unterstützung verweigert, könnte die Rechtspartei in fünfzehn
Monaten zum ersten Mal bei einer Landtagswahl die Mehrheit
gewinnen."
LASCH,
Hendrik
(2018): Sachsen macht Lehrer wieder zu Beamten.
CDU und SPD einigen sich nach
zähem Ringen auf Paket für Schulen. Linke warnt vor
Zweiklassen-Kollegien,
in:
Neues Deutschland v.
10.03.
Nicht nur Sachsen, sondern ganz Deutschland hat den Geburtenanstieg
verschlafen. Der Lehrernotstand in Sachsen ist nur ein kleiner
Teil des Problems. Es darf zudem bezweifelt werden, dass das jetzt
beschlossene Paket ausreicht. Vielmehr werden damit nur die
Versäumnisse der Vergangenheit anerkannt, aber die Herausforderungen
durch den Geburtenanstieg sind bei weitem nicht abgedeckt. Die
Prognose der Kultusministerkonferenz mit völlig überholten Annahmen
zur Geburtenentwicklung ist noch immer nicht revidiert.
Bereits für das Jahr 2015 besteht
eine
Kluft zwischen Prognose und tatsächlicher Geburtenentwicklung in
Sachsen von 4.766 Kindern. 2016 wuchs diese Kluft noch weiter.
Es wurden 37.941 Kinder geboren, während die KMK-Prognose 31.440
vorgesehen sind. Dies bedeutet, dass Erzieher und Lehrer für 6.501
Kinder in Sachsen fehlen.
Die Prognose liegt für Sachsen gut 21 Prozent hinter der
Geburtenentwicklung des Jahres 2016 zurück. Das Problem wird
Jahr für Jahr größer. Da dies für viele Bundesländer gilt, sind
isolierte Lösungen wie jene in Sachsen vollkommen unzureichend.
Fazit: Nicht nur die
Bundesregierung war lange Zeit in Deutschland lahmgelegt, sondern
auch die amtliche Statistik hinkt der Gegenwart dramatisch
hinterher. Wir schreiben März 2018 und es gibt noch nicht einmal
bundesweite Daten zu den Geburten im Jahr 2016, geschweige denn für
das Jahr 2017. Die 13. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung vom
April 2015 musste bereits im letzten Jahr notdürftig aktualisiert
werden, bildet die Geburtenentwicklung jedoch auch in ihrer
aktuellen Variante nicht annähernd ab. Dieses Desaster spielt in den
Mainstreammedien keinerlei Rolle. Hier gefällt man sich immer noch
in der Fixierung auf das Aussterben der Deutschen. Die Quittung
dafür wird im nächsten Jahrzehnt präsentiert, wenn Deutschland vor
den Herausforderungen des gegenwärtigen Geburtenanstiegs scheitert!
HÄNNIG, Anne (2018): Kampf gegen die
Wut.
Sachsen galt manchen schon
fast als AfD-Staat. Jetzt hat es den jüngsten
CDU-Ministerpräsidenten seiner Geschichte, und anders als sein
Vorgänger stellt sich Michael Kretschmer dem Proteststurm. Was
erlebt er da?,
in:
Die ZEIT Nr.13 v.
22.03.
Anne HÄNNIG zeichnet ein wohlwollende Porträt des
neuen sächsischen Ministerpräsidenten, der um jeden Preis die
Landtagswahl 2019 gewinnen muss - oder als Koalitionspartner der AfD
endet.
"Von Flüchtlingen ist nur noch
selten die Rede. Kretschmer versucht nun gute Stimmung zu
verbreiten",
erklärt uns HÄNNIG, aber Worte
dürften kaum ausreichend sein.
"In Sachsen ist der
Ministerpräsident in Personalunion Heimatminister. Seine Regierung
wirft jetzt mit Geld fürs Land um sich. Jede Gemeinde erhält
jährlich eine Pauschale über 70.000 Euro, zur weitgehend freien
Verfügung. Ein sogenanntes Lehrer-Paket lässt sich die Regierung
1,7 Milliarden Euro kosten. Schnelles Breitband-Internet wird
selbst dem kleinsten Dorf versprochen. Kretschmer will nicht nur
Zuhörer sein, sondern auch Problemlöser",
listet HÄNNIG auf. Es darf
bezweifelt werden, dass Peanuts ausreichen werden, um die
Versäumnisse der Vergangenheit vergessen zu machen.
Das Kinderbetreuungs- und Grundschulproblem wird sich weiter
verschärfen, denn Sachsen ist nicht das einzige Bundesland, in
dem Erzieher und Lehrer fehlen. Schnelle Besserung ist da nicht in
Sicht.
"Im Moment läuft einiges darauf
hinaus, dass die AfD einen Mann namens Tino Chrupalla ins Rennen
schickt. Jenen Malermeister aus Görlitz, der Kretschmer bei der
Bundestagswahl bereits sein Direktmandat abgejagt hatte. Michael
Kretschmer könnte sich dann für die Niederlage damals rächen. Er
ist jedenfalls vorbereitet",
glaubt HÄNNIG. Man könnte den
Artikel aber auch als Verzweiflungstat lesen, denn in Sachsen hängt
die SPD am Tropf der CDU. Gute Stimmung verbreiten ist deshalb so
etwas wie das Pfeifen im Walde.
ECKERT, Daniel (2018): Ausgerechnet Olaf Scholz hat 2017 am
meisten neue Schulden gemacht.
So schlecht wie in Hamburg
haben sich die Finanzen in keinem anderen Bundesland entwickelt.
Immerhin 13 der 16 Landesregierungen konnten im vergangenen Jahr
sogar Defizite abbauen,
in:
Welt v. 28.03.
"Der Musterschüler in Punkto
öffentliche Verschuldung ist Sachsen",
prahlt ECKERT und zeigt damit wie
unsinnig ein isolierter Blick auf die Schuldensituation ist, denn
Sachsen hat gewaltige Probleme im Bildungsbereich (und nicht nur
dort), weil nicht genug in das Personal investiert wurde. Der
neue Ministerpräsident muss nun das Ruder herumreißen, damit Sachsen
nicht ab 2019 das erste AfD-regierte Bundesland wird, was aufgrund
des "Musterschülers" durchaus möglich ist. Die Versäumnisse der
Vergangenheit aufgrund der Austeritätspolitik lassen sich nicht bis
zur nächsten Landtagswahl korrigieren. Vielmehr werden sich die
Probleme noch verstärken, weil Deutschland den Geburtenanstieg
verschlafen hat!
PEZZEI, Kristina
(2018): Pompös in der Provinz.
Wo vor Kurzem noch Häuser
abgerissen wurden, entstehen nun teure Wohnungen: Auch im
Erzgebirge und Sachsen-Anhalt steigen Zahlungsbereitschaft und
Ansprüche. Die Rettung für schrumpfende Kleinstädte?
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 15.04.
GERLACH,
Thomas (2018):
Unter Sachsen.
Reportage: Sachsens
Ministerpräsident Michael Kretschmer reist durch sein Bundesland
und sucht das Gespräch mit dem Volk. Warum? Weil die Entfremdung
zwischen der CDU und den Leuten so groß wurde, dass diese bei
der letzten Bundestagswahl massiv zur AfD rannten,
in: TAZ v.
21.04.
ZDRZALEK, Lukas
(2018): Die Lagen der Nation.
Immobilien-Kompass 2018: Immer mehr Deutsche ziehen
raus aus den Großstädten. Capital zeigt in einer exklusiven
Auswertung, welche Kommunen abseits der Metropolen am
attraktivsten sind,
in: Capital,
Mai
Fast 50 Prozent der Kommunen
wurden von Capital aufgrund der Bertelsmannstiftungs-Daten
erst gar nicht berücksichtigt. Aus den 100 Toplagen lässt sich
rekonstruieren, welche der Demografietypen bei Capital
berücksichtigt wurden. Es waren:
1) Typ 1: Stabile ländliche
Städte und Gemeinden
2) Typ 2: Zentren der Wissensgesellschaft
3) Typ 3: Prosperierende Kommunen im Umfeld dynamischer
Wirtschaftszentren
4) Typ 4: Wohlhabende Kommunen in ländlichen Räumen
5) Typ 6: Stabile Mittelstädte
Die Demografietypen sind
keineswegs gleich verteilt, sondern die Chancen sind je Bundesland
sehr unterschiedlich. Von den 12 niedersächsischen Gemeinden gehören
11 dem Demografietyp 6 und eine dem Typ 1 an. Das Saarland ist mit
einer einzigen Gemeinde vertreten, die dem Typ 1 angehört: Perl.
Sachsen ist ebenfalls nur mit einer Gemeinde vertreten:
Machern (Typ
6).
LÖHR, Julia
(2018):
Mehr Behörden braucht das
Land.
Die Politik will die
ländlichen Regionen beleben. Eine derzeit besonders beliebte
Idee: Stellen im öffentlichen Dienst dorthin verlagern. Doch das
ist leichter gesagt als getan,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 05.05.
Am neoliberalen Leitbild des schlanken Staates
festhalten und gleichzeitig die
strukturschwachen Gebiete
stärken, geht das? Diese Frage stellt Julia LÖHR eigentlich, wenn
sie fragt:
"Mehr Behörden aufs Land - ist
das die Zukunftsperspektive für ausblutende Regionen?"
Natürlich geht das nicht.
Neoliberalismus ist das genaue Gegenteil von Gegensteuern und daran
ändern auch rhetorische Wendungen nichts.
"Schon seit dem Jahr 1992 gibt
es die Vorgabe, Behörden vorrangig im Osten anzusiedeln, bis eine
annähernd gleiche Verteilung in ganz Deutschland gewährleistet
ist."
Dass gemäß LÖHR ausgerechnet
Sachsen und Thüringen großen Nachholbedarf haben, ist wohl eher dem
Umstand geschuldet, dass dort bei den nächsten Landtagswahlen ein
Fiasko für die etablierten Parteien droht. Von einem Willen zur
Stärkung strukturschwacher Räume kann auch gar keine Rede sein. Das
neue Fernstraßenbundesamt - ein neoliberales Projekt par excellence
- soll ausgerechnet in die gehypte Großstadt Leipzig. Dass dabei
auch ein paar Außenstellen in Halle, Magdeburg, Erfurt und Dresden
abfallen, statt in wirklich strukturschwachen Gegenden wird von LÖHR
als Großtat hingestellt.
Fazit: Weiter-So und Aussitzen
heißt die Devise nicht nur bei Politik, sondern auch in den
Mainstreammedien!
FRIEDRICHS, Julia/HURST, Fabienne/SPINRATH,
Andreas (2018): Unten ist näher als oben.
"Der gemeine Sachse kann da
nicht mithalten": Familie Clauß gehört zur Mittelschicht. Aber
wie lange noch? In Sachsen fürchten sich viele vor dem sozialen
Abstieg,
in: Die
ZEIT Nr.22 v. 24.05.
FRIEDRICHS/HURST/SPNRATH porträtieren eine
privilegierte ostdeutsche Akademikerfamilie in Leipzig, das
ostdeutsche Pendant zur Generation Scharnigg, nur ohne
westdeutsche Erbschaftsoption (mehr
hier).
NIMZ, Ulrike
(2018): Stolz statt Vorurteil.
Dirk Neubauer war einmal
Journalist, jetzt ist er Bürgermeister einer Kleinstadt in Sachsen,
in der fast jeder Dritte AfD wählt. Über einen, der versucht die
Stimmung zu drehen,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 26.05.
Ulrike NIMZ porträtiert den
Geschäftsmann Dirk NEUBAUER, der in
Augustusburg Bürgermeister und
SPD-Mitglied ist.
"Dirk Neubauer hat gelernt,
wie man eine Geschichte gut erzählt, und wenn er von seiner
Vision einer digitalen Kleinstadt spricht (...), wird klar,
warum die Augustusburger einen zugezogenen Journalisten zum
Bürgermeister machten. Warum bei der Bundestagswahl vier Jahre
später trotzdem fast jeder Dritte AfD wählte, ist das Rätsel,
das es zu lösen gilt. Dirk Neubauer war damals gerade neu in die
SPD eingetreten. Er ist nun der einzige Sozialdemokrat im
Stadtrat. (...). Die SED mag Geschichte sein, aber ein
Parteibuch ist für viele Menschen im Osten bis heute kein
Ausweis von Eignung und Engagement, sondern Anlass zu
Misstrauen",
erklärt uns NIMZ. Die Erklärung
macht es sich jedoch zu einfach, denn dann müsste auch die AfD von
einer Parteienaversion getroffen werden. Plausibler ist jedoch,
dass die SPD durch ihre Regierungspolitik das in sie gesetzte
Vertrauen verspielt hat.
"Facebook gilt als Instrument
der Wütenden. Aber das Netzwerk hat den Austausch zwischen
Bürgern und ihren Meistern auch einfacher gemacht. Sachsen
Ministerpräsident Michael Kretschmer hat das verstanden",
meint NIMZ. Das
Landtagswahlergebnis 2019 wird zeigen, ob KRETSCHMER tatsächlich
verstanden hat.
TRÄGER,
Hendrik
(2018): Sachsens "blaues Wunder" bei der Bundestagswahl 2017,
in: Zeitschrift
für Politik, Juni
"Dass der Regierungschef
eines Bundeslandes zurücktritt, ist nichts Ungewöhnliches. Aber,
dass dafür eine Bundestagswahl verantwortlich ist, ist ein
einmaliger Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Allerdings ist auch das Ergebnis der Bundestagswahl in Sachsen
außergewöhnlich. Die Partei (...) verlor - wenngleich denkbar knapp
die Position als stärkste politische Kraft an die AfD (...).
Außerdem gewann die Partei drei Direktmandate, die für die CDU als
»sicher« galten. Davon war mit Michael Kretschmer auch der
Generalsekretär des Landesverbandes betroffen. (...). Die
Christdemokraten verloren auch das Mandat im politisch umkämpften
Leipziger Süden an die Linke, sodass sie nur noch in zwölf
Wahlkreisen die meisten Erststimmen auf sich vereinen konnten.
(...). Bei den Zweitstimmen wurde die CDU sogar in sechs Wahlkreisen
als stärkste Partei abgelöst. Das betrifft (...) auch den Landkreis
Meißen, in dem der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière
(...) knapp gegen den AfD-Landtagsabgeordneten (...) verteidigen
konnte, und den Wahlkreis Dresden II/Bautzen II. (...). Ähnlich
knapp war das Rennen in
Chemnitz. (...). Der Absturz der CDU hinter
die AfD (ist) so einschneidend, dass zurecht von einer
»Zäsur im Freistaat«
gesprochen werden kann." (S.196ff.),
beschreibt Hendrik TRÄGER die
Folgen der Bundestagswahl 2017 für die Sachsen-CDU.
TRÄGER stellt drei Aspekte in den Mittelpunkt seiner Analyse: die
große Kluft zwischen den Wahlumfragen und dem tatsächlichem Absturz
der CDU, die Zweiteilung des Landes (die AfD war insbesondere im
östlichen Teil erfolgreich) und die Kriterien für sichere Wahlkreise
und Hochburgen.
"Die Diasporagebiete der
sächsischen AfD, in denen die Partei aber sogar besser als
bundesweit (12,6 Prozent) abgeschnitten hat, befinden sich in
Leipzig. Innerhalb der Messestadt schwanken die
Zweitstimmenanteile mit Werten zwischen 7,7 und 29,5 Prozent noch
stärker als im Freistaat. In 16 der 63 Ortsteile schaffte es die AfD
auf den ersten Platz; das sind zwei Ortsteile mehr als Die Linke und
fast halb so viele wie die CDU. Zehn dieser Gebiete befinden sich in
den Stadtbezirken
»Nordost« und »West«, sodass diese die Leipziger Hochburgen der
AfD bilden. Demgegenüber gibt es zwei Stadtbezirke (»Mitte«, »Süd«),
wo die Partei in allen Ortsteilen - teilweise sehr deutlich - unter
dem Leipziger Ergebnis liegt (...)" (S.202f.),
beschreibt TRÄGER die Lage in
Leipzig.
TRÄGER beschreibt die
Merkmale, die den AfD-Wählern in verschiedenen Studien zugeschrieben
wurden und fasst sie folgendermaßen zusammen:
"Die »Hochburgen« der AfD müssten
(...) überdurchschnittliche Werte bei der Arbeitslosigkeit und der
Kriminalitätsrate, viele Einwohner je niedergelassenem Arzt und
viele Schüler pro Schule einerseits sowie einen
unterdurchschnittlichen Ausländeranteil andererseits aufweisen."
(S.204)
In einer Tabelle werden die
Strukturmerkmale der 3 kreisfreien Städte und 10 Landkreise mit
ihrem Ausländeranteil, der Arbeitslosenquote, den Straftaten je
1.000 Einwohner und der Einwohner je Arzt aufgelistet (vgl.S.205).
TRÄGER kommt zu keinen eindeutigen Ergebnissen beim Zusammenhang
zwischen den Indikatoren und der Häufigkeit der AfD-Wählerschaft.
Doch kommt er zum Schluss, dass sich gute Ergebnisse von AfD und
Grünen ausschließen. Problematisch sieht TRÄGER die fehlende
organisatorische Verankerung von SPD, Grünen und teilweise der
Linkspartei auf der regionalen Ebene. Für die Prognostizierbarkeit
von sicheren Wahlkreisen in Sachsen kommt TRÄGER zu einem
ernüchternden Urteil:
"Nach einer entsprechenden
Auswertung für Sachsen muss konstatiert werden, dass seit der
Bundestagswahl 2017 kein 'Wahlkreis mehr - nach irgendeinem der
vorgestellten Konzepte als »sicher« gelten kann." (S.212)
SIEVERS, Markus
(2018): "Die
reicheren Länder werden belohnt, die ärmeren bestraft".
Wirtschaftsprofessor Thomas Lenk
über den künftigen Finanzausgleich,
in: Frankfurter
Rundschau v. 02.06.
Der Finanzwissenschaftler Thomas LENK kritisiert
die Reform des Länderfinanzausgleichs als Paradigmenwechsel vom
brüderlichen zum paternalistischen Finanzausgleich. Dadurch sieht er
die Finanzsituation der ärmeren Länder noch mehr geschwächt als
bisher. LENK geht es im Grunde nicht um den Finanzausgleich, sondern
um den primären Steuerzuteilungsmechanismus, bei dem nicht die
Wirtschaftskraft eines Bundeslandes der Maßstab der Steuerzuteilung
ist, sondern das Einkommensniveau der Bevölkerung:
"Bayern. Dessen
Wirtschaftskraft (...) liegt bei 116 Prozent. Bayerns
Einkommensniveau hingegen liegt derzeit bei 127 Prozent des
Bundesdurchschnitts. Umgekehrt ist es (...) in (...) Sachsen. Hier
liegt die Wirtschaftskraft bei 77 Prozent des Bundesdurchschnitts.
Beim Einnahmenniveau kommt Sachsen jedoch nur auf 60 Prozent.
(...). Die Spreizung zwischen starken und schwachen Ländern ist
wirtschaftlich nicht so groß wie es die primären
Einnahmeunterschiede suggerieren."
Die Ursache liegt im
Einkommensniveau der Bevölkerung, das das Einnahmeniveau bestimmt.
Außerdem wird kritisiert, dass die Kopfzahl als
Zuweisungsmechanismus unangemessen ist. Stattdessen müsste die
Altersstruktur in die Bemessung der Zuweisungen einfließen. Ein
solcher Mechanismus existiert bereits in einzelnen Bundesländern,
aber eben nur beim kommunalen Finanzausgleich, was in dem Artikel
nicht angesprochen wird. Eine Änderung beim Länderfinanzausgleich
ist jedoch frühestens 2031 wieder zulässig. Bis dahin müssten andere
Mechanismen gefunden werden, um einen Ausgleich zu schaffen.
LASCH,
Hendrik (2018): Chemnitzer "Eiffelturm" gerettet.
Chemnitz: Eisenbahnbundesamt
verpflichtet Deutsche Bahn zum Erhalt eines einzigartigen
Viadukts,
in:
Neues Deutschland v.
05.06.
HONNIGFORT, Bernhard (2018): Hasen und Igel in Sachsen.
Umfrage: Es reicht nicht mehr für
die schwarz-rote Koalition,
in: Frankfurter
Rundschau v. 13.06.
All die schönen Bürgerdialoge,
die in den Mainstreammedien gehypt wurden, haben bislang nichts
gefruchtet. Im Gegenteil: der SPD droht sogar ein Absturz in die
Einstelligkeit! So jedenfalls das
Ergebnis einer INSA-Umfrage, die im Juni durchgeführt und
gestern publiziert wurde. Die AfD befindet sich weiter im Aufwind.
"Rechnerisch möglich wären
Koalitionen aus CDU und Linken, aus CDU und AfD oder (...) ein
Viererbündnis aus CDU, SPD, FDP und Grünen",
erläutert Bernhard HONNIGFORT die
Konsequenzen der Umfrage.
NIMZ, Ulrike
(2018): Leipziger Häuserkampf.
Der SPD in Sachsen gehen die
Wähler aus. Sie sucht Bürgernähe an der Haustür - auch in
Problemvierteln,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 16.06.
LOCKE, Stefan
(2018): Zwischen Gefühl und Realität.
Politische Bücher: Innere
Sicherheit in Zeiten von Terrorangst und Flüchtlingskrise - das
Beispiel Sachsen,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 19.06.
GERLACH, Thomas (2018):
Der
Rebell im toten Winkel.
Nahaufnahme: Andreas Schönfelder will aufklären. Schon zu DDR-Zeiten
hat er sich mit der Obrigkeit angelegt. Heute führt er einen
Kulturkampf gegen engstirnige Nationalisten - und das tief in der
sächsischen Provinz, wo die AfD Triumphe feiert,
in:
TAZ v.
21.06.
"Schönfelder (sagt) diesen Satz,
der klingt wie eine Abrechnung, dabei ist er doch eher eine Mission:
»Diese Gegend hat keinen Geist. Er ist ihr abhanden gekommen.«
Im letzten Herbst fuhr die AfD hier deutschlandweit ihr bestes
Ergebnis ein. Die Partei holte in vielen Gemeinden über 40 Prozent,
überflügelte so die CDU und erhielt drei Direktmandate.
(...).
Was tun? (...). Geist zurückholen, eine Landschaft mit Bewusstsein
tränken, Altes erinnern, Neues versuchen, eine Gegen begrünen, wie
man einen ausgekohlten Tagebau begrünt.",
heißt es pathetisch in der Reportage aus
Ostsachsen von Thomas GERLACH, der Andreas SCHÖNFELDER, Jahrgang
1958, der aus einem strammen SED-Elternhaus stammte, zuerst als
Baufacharbeiter arbeitete und dann im Katharinenhof, einem
kirchlichen Heim und Magnet für "Unangepasste", als Pfleger
arbeitete. Im Grunde sieht er sich nun als Erzieher der Angepassten.
Seine diversen Initiativen verstehen sich als "Gegenkultur (...)
gegen das Abgeschottete und Völkische". Eine Bibliothek in
Großhennersdorf und eine Akademie in Herrnhut sind das Zentrum
dieser Gegenkultur
"Herrnhut (...) Schönfelder hat in diesem 6.000-Einwohner-Städtchen
eine Akademie initiert.
Im Gegensatz zu Großhennersdorf, das irgendwie zersiedelt wirkt, ist
Herrnhut mit seinen Barockbauten eine Augenweide. »Herrnhut ist der
weltläufigste Ort der Oberlausitz«, schwärmt Schönfelder. (...). Der
fromme Reichsgraf Zinzendorf hatte sich (...) der evangelischen
Hussiten erbarmt, die hinter der böhmischen Grenze von der
Gegenreformation verfolgt wurden, und bot ihnen Platz auf seinen
Gütern an.
Die Glaubensflüchtlinge gründeten eine Siedlung, nannten sie
Herrnhut und schufen (...) eine pietistische Freikirche, die sich
der Bildung und der Mission verschrieb",
erläutert GERLACH den Hintergrund dieser Weltläufigkeit.
LOCKE, Stefan
(2018): Bericht aus Bonn.
In einem kleinen Ort in der
Oberlausitz erzählt ein AfD-Abgeordneter seinen Wählern, wie sie
sich das Politikerdasein in der Hauptstadt vorzustellen haben - und
die sind von seinen Anekdoten ganz begeistert,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 23.06.
LOCKE, Stefan
(2018): Eine Milliarde für die Chipfabrik der Zukunft.
Bosch legt in Dresden den
Grundstein für die größte Einzelinvestition der
Unternehmensgeschichte,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 26.06.
BEHR, Runa (2018): "Der Osten wird gerade ein zweites Mal entdeckt".
Das Online-Magazin
"Krautreporter" plant eine Lokalausgabe in Sachsen. Redakteur Josa
Manie-Schlegel erzählt, warum,
in: Süddeutsche Zeitung v. 27.06.
"Ich bin überzeugt, dass durch so ziemlich jedes Thema, das die
Bundesrepublik bewegt, immer noch eine Grenze zwischen Ost und West
verläuft. Sei es Hartz IV, Renten, Gehälter oder Essgewohnheiten und
Popmusik. Diese Grenze würden wir gerne entdecken - oder
hinterfragen",
erklärt uns Josa MANIA-SCHLEGEL.
Vielleicht läuft jedoch die Grenze zwischen den Klassen und nicht
zwischen den verschiedenen Himmelsrichtungen. Dass der
Ost-West-Konflikt der drängendste sei, darf stark bezweifelt werden.
Als "Bürgerjournalismus" versteht sich Krautreporter, aber Bürger
haben da genauso wenig zu sagen wie in allen anderen Medien, in
denen Profi-Journalisten das Sagen haben.
ZIMMERMANN,
Birgit (2018): Hoffen auf den "Überschwappeffekt".
Wie dick kann ein Speckgürtel
werden? Die Antwort kann für Kleinstädte entscheidend sein,
in: Neues
Deutschland v. 04.08.
"Ziel des Eilenburger
Oberbürgermeisters ist eine Zahl: 20.000. So viele Einwohner
sagt Ralf Scheler (parteilos), soll die sächsische Kleinstadt
einmal zählen. Das ist sportlich.
Ende vorigen Jahres hat Eilenburg gerade erst wieder die
16.000er-Marke erreicht. Schelers große Hoffnung liegt
rund 30 Kilometer südwestlich seiner Kleinstadt - und heißt
Leipzig.
Eilenburg soll vom Boom der Großstadt ein Stück
abgekommen",
berichtet Birgit ZIMMERMANN,
die die politische Agenda des Oberbürgermeisters mit den
Ergebnissen einer Bertelsmann-Auftragsstudie
Trend
Reurbanisierung?
des ILS konfrontiert:
"»Besonders hohe Zunahmen
der Wanderungsverluste an das direkte Umland zeigen sich in
den Regionen München, Berlin und
Leipzig«, heißt es in der Studie.
Für den Osten wäre das die Umkehrung einer jahrelangen
Entwicklung."
Doch Magdeburg und Halle
zeigen, dass es keinen generellen Trend zu solcher
Suburbanisierung gibt. Mit Imagekampagne versuchen Kleinstädte
wie Eilenburg von den Problemlagen der Metropolen zu
profitieren:
"Scheler wirbt mit allem,
was Leipzig, das seit 2012 um rund 70.000 Einwohner gewachsen
ist, derzeit Probleme macht: ausreichend Schulen von der
Grundschule bis zum Gymnasium, genügend Kitaplätze und
günstiges Bauland. Schön grün sei seine Stadt noch dazu.
(...).
Und dank des S-Bahnanschlusses sei Eilenburg ziemlich gut an
Leipzig angebunden."
Pessimismus verbreitet
dagegen Dieter RINK vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung:
"Verdrängungseffekte aus
der Stadt heraus - wegen Wohnungsknappheit und extrem hoher
Mieten - gebe es jedenfalls selbst im stark wachsenden Leipzig
nicht."
LASCH, Hendrik
(2018): Pödelwitzer Wiederbelegung.
900 Aktivisten haben sich
beim ersten Klimacamp im Leipziger Revier gegen
Kohleverstromung engagiert,
in: Neues
Deutschland v. 06.08.
SCHÖNBACH, Miriam (2018): Mehr als Schaumschläger
Im sächsischen Hirschfelde
wird mit Erfolg ein DDR-Klassiker produziert,
in: Neues
Deutschland v. 13.08.
Miriam SCHÖNBACH berichtet über die Marke
"Fit", ein Spülmittel, das die Wende überlebte und in
Hirschfelde, einem Ortsteil der Stadt Zittau im Kreis
Görlitz, hergestellt wird.
LASCH,
Hendrik (2018): Anbandeln vor der "Zäsurwahl".
In Sachsen formiert sich
ein Lager, das eine schwarz-blaue Koalition verhindern will,
in: Neues
Deutschland v. 14.08.
Hendrik LASCH berichtet
über eine Debatte anlässlich der Analyse
Sachsen wird schwarz-blau. Die Linken müssen sich die
Frage gefallen lassen, ob nicht ihre Zerstrittenheit den Boden
für den Erfolg der AfD bereitet. Das Pro und Kontra von MEYER
& KALBE beschreibt nicht wirklich einen Gegensatz, denn MEYER
sieht in einer Tolerierung einer Minderheitsregierung eine
Möglichkeit der Schadensminimierung. Beide Positionen sind
jedoch dadurch gekennzeichnet, dass ihnen eine selbstbewusste
Strategie der Linken fehlt. Wer auf einen defensiven
Abwehrkampf setzt, der hat jedoch bereits verloren.
MEYER, Robert D. (2018): Keine Option verbauen.
Pro: Plädoyer dafür, eine
Zusammenarbeit zwischen CDU und Linken im Osten nicht per se
auszuschließen,
in: Neues
Deutschland v. 14.08.
KALBE, Uwe (2018): Diese Option gibt es nicht.
Kontra: Jeder Versuch einer
Regierungskooperation mit der CDU ist das unausweichliche Ende der
Linkspartei,
in: Neues
Deutschland v. 14.08.
LOCKE,
Stefan (2018):
Ein Theoretiker im
Praxiseinsatz.
Jahrelang hat der Theologe
Frank Richter in Sachsen die Demokratie erklärt. Jetzt
wechselt er die Seiten - und bewirbt sich als Bürgermeister
der Stadt Meißen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 15.08.
"Die tausend Jahre alte
Stadt, elbabwärts im Westen Dresdens gelegen, ist eine der
Wiegen Sachsen, weltbekannt für ihr Porzellan, und hat heute
mit sehr typischen Problemen zu kämpfen: Überalterung,
Leerstand, Ladensterben",
beschreibt Stefan LOCKE die
rund 20.000 Einwohner zählende
"Corporate City" Meißen, in der der ehemalige Direktor der
Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank
RICHTER, am 9. September bei der Wahl zum Oberbürgermeister
antritt. Der Theologe und Lehrer ist kürzlich aus der CDU
ausgetreten und tritt nun als Parteiloser, der von der
Initiative Bürger für Meißen - Meißen kann mehr gegen
den von der CDU unterstützten Amtsinhaber antritt. Der
Lehrermangel in Sachsen war gemäß LOCKE einer der Gründe für
den Austritt von RICHTER aus der CDU.
SCHURIG, Jörg
(2018): Mehr Geld statt Eierschecke.
Sachsen umwirbt
abgewanderte Arbeitnehmer - der Billiglohnland-Stempel soll
weg,
in: Neues
Deutschland v. 15.08.
Jörg SCHURIG berichtet
darüber, dass ein Unternehmer aus Roßwein im Landkreis
Mittelsachsen, Werbespots in Münchener und Stuttgarter Kinos
laufen lässt, um Fachkräfte mit schönen Bildchen nach Sachsen
zurückzulocken. Wer aber will nach Sachsen, wo das Erziehungs-
und Schulsystem seit Jahrzehnten kaputt gespart wurde?
NOWOTTNY, Konstantin (2018): Der
Blutdrucksenker.
Michael Kretschmer will das
Ansehen des Freistaates Sachsen wiederherstellen, mit
Diplomatie als Drahtseilakt,
in:
Freitag Nr.33 v. 16.08.
ND/DPA
(2018): Ein 43-Punkte-Plan soll's richten.
Sachsens CDU/SPD-Regierung
präsentiert Strategiepapier für den ländlichen Raum,
in: Neues
Deutschland v. 17.08.
Die Agenturmeldung berichtet über die
Vorstellung der sächsischen Strategie für den ländlichen Raum
mit dem Werberprospekt-Titel
Vielfalt leben - Zukunft sichern.
"Die Hälfte der etwa vier
Millionen Einwohner Sachsens leben in dem als
strukturschwach geltenden ländlichen Raum. Mit rund 3.000
Dörfern sowie 500 Klein- und Mittelstädten nimmt er eine
Fläche von 83 Prozent des Freistaates ein",
erklärt uns die Meldung. Zu
Beginn von Kapitel 1.4 auf Seite 19 findet sich diese
Formulierung lediglich ganz leicht abgewandelt. Uns wird
erzählt, dass auf 138 Seiten die Strategie ausgebreitet wird.
Mindestens die Hälfte wird jedoch von Werbeprospektbildern
geziert und nicht von Information.
"An der
Städtebauförderung nehmen gegenwärtig insgesamt 137
Programmgemeinden teil. 92 dieser Programmgemeinden liegen
im ländlichen Raum. Gemeinsam erhielten sie 50,7 % der seit
dem Programmjahr 2013 bewilligten Mittel aus den
Bund-Länder-Programmen der Städtebauförderung. Konkret: An
die Programmgemeinden im ländlichen Raum flossen rund 314
Mio. Euro" (S.67),
brüstet sich das
Staatsministerium. Wie sich die Gelder auf die
Gemeindehierarchie verteilen, darüber schweigt das
Werbeprospekt. Aus der folgenden Auflistung lässt sich leicht
erkennen, dass die meisten Menschen dort leben, wo die
Versorgung besonders ungenügend ist:
"Im
Landesentwicklungsplan 2013 wurden 38 Mittelzentren
festgelegt. 21 davon befinden sich im ländlichen Raum -
darunter ein mittelzentraler Städteverbund, dem vier Städte
angehören. Somit nehmen insgesamt 24 Städte im ländlichen
Raum eine mittelzentrale Funktion wahr.
In den Regionalplänen wurden außerdem 80 Grundzentren
festgelegt, darunter mehrere grundzentrale Städteverbünde.
Insgesamt haben dadurch 99 Städte und Gemeinden in Sachsen
eine grundzentrale Funktion. 80 von ihnen liegen im
ländlichen Raum.
Mittelzentren und Grundzentren spinnen ein dichtes Netz über
den Freistaat. Rund 1.800.000 Menschen leben im ländlichen
Raum Sachsens. Mehr als die Hälfte davon lebt in einem
sogenannten Zentralen Ort. Mehr als 500.000 Wohnen in einem
Grundzentrum, rund 430.000 in einem Mittelzentrum und
weitere etwa 190.000 in Städten mit oberzentraler Funktion
im ländlichen Raum." (S.78)
In der Agenturmeldung
werden vor allem jene Punkte hervorgehoben, die werbewirksam
sind, weshalb das große Problem Sachsens bei Kinderbetreuung
und Schule ausgespart bleibt. Dieses wird in Kapitel 4
behandelt. Man muss bis auf Seite 85 lesen, um unter den
vielen belanglosen Zahlen das Problem zu erkennen:
"Vor dem Hintergrund
steigender Schülerzahlen und Klassengrößen, gilt es bei
gleichzeitigem Lehrkräftemangel, Disparitäten in der
schulischen Qualität zu vermeiden",
heißt es da im
Behördendeutsch. Personalnotstand im Bereich der
Kinderbetreuung? Kennt das Werbeprospekt nicht. Und im
Schulbereich? Da gedenkt man sich auf den Erfolgen der
Vergangenheit auszuruhen:
"Das gute Abschneiden der
sächsischen Schulen in verschiedensten Ländervergleichen ist
nicht zuletzt auch auf die erfolgreiche Arbeit der Schulen
und Bildungseinrichtungen im ländlichen Raum gegründet."
(S.86)
Fazit: Die sächsische
Strategie beschränkt sich auf die Produktion einer
Werbebroschüre, die die eigenen Erfolge der Vergangenheit
hervor streicht und die Probleme der Gegenwart und Zukunft
unter den Tisch fallen lässt. Ob das reichen wird, um die
nächste Landtagswahl zu gewinnen, darf stark bezweifelt
werden.
WILKE, Felicitas
(2018): Gemeinsam groß denken.
SZ-Serie Gipfelstürmer: Chemnitz
hat eine lange Tradition als Stadt der Ingenieure - und längst eine
kleine, innovative Start-up-Szene. Doch das Neue, das in den alten
Industriegebäuden entsteht, wird von etablierten Unternehmen teils
kritisch beäugt,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 21.08.
NIMZ, Ulrike
(2018): Debakel mit Hut.
SZ-Tagesthema: Regierungschef
Kretschmer will mit Blick auf die Wahl 2019 die AfD eindämmen - und
besorgt nun deren Geschäft,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 24.08.
Es ist geradezu peinlich, wie wendig die SZ
in Sachen von Michael KRETSCHMER ist.
Gestern stilisierte Detlef ESSLINGER den Ministerpräsidenten
noch zum Retter von Görlitz, heute gilt er als Verteidiger der
Polizei und Verächter der Pressefreiheit.
"Schon als er noch
Generalsekretär seiner Partei war, hat Kretschmer sehr genau
zugehört, was die Sachsen zu sagen haben",
heißt es wohlwollend bei Ulrike
NIMZ. Hätte KRETSCHMER richtig zugehört, dann hätte er wohl kaum bei
der Bundestagswahl sein allzu sicher geglaubtes Direktmandat an die
AfD verloren. Unsere neoliberalen Medien stehen mit dem Rücken zur
Wand, denn sie müssen das allerletzte Aufgebot der CDU in Sachsen
schönreden wo es nur geht. Das führt so weit, dass NIMZ davor warnt,
den pöbelnden LKA-Mitarbeiter aus seinem Job zu werfen, weil er
sonst von der AfD zum Märtyrer erhoben werden könnte. Sollte man ihn
also besser zum Ministerpräsidenten von Sachsen befördern? Mehr
Schaden als KRETSCHMER kann er dort kaum anrichten und als Märtyrer
wäre er dann auch nicht mehr zu vermarkten.
Fazit: Die Panik, mit denen
unsere neoliberalen Mainstreammedien auf Ereignisse im Dunstkreis
der AfD reagieren, ist beschämend. Statt Souveränität herrscht
journalistischer Aktionismus. Die AfD muss gar nichts mehr tun, um
die Ernte einzufahren.
NAUMANN, Annelie (2018):
Hin und weg.
Franziska Schreiber trat 2013 in
die AfD ein, stieg rasch zur Vorsitzenden der Jugendorganisation in
Sachsen auf und trat 2017 wieder aus. Über diese Zeit hat sie ein Buch
geschrieben, das jetzt unter anderem den Präsidenten des
Verfassungsschutzes in Erklärungsnot bringt,
in:
Welt v. 25.08.
"An diesem 22. April
2017 wird die AfD-Vorsitzende auf dem Bundesparteitag in Köln
endgültig vom rechtsnationalen Flügel der Partei entmachtet. Es
ist auch der Tag, an dem Franziska Schreiber beschließt
hinzuschmeißen",
erzählt uns
Annelie NAUMANN über die
Vertraute der ehemaligen AfD-Vorsitzenden Frauke PETRY, deren Buch
Inside AfD gerade gehypt wird. Der Artikel zeigt in erster
Linie wie bedeutend der Nationalkonservatismus als Bindeglied
zwischen AfD und bürgerlicher Mitte ist. Und er zeigt, dass ein
linkes Elternhaus bis zur AfD führen kann:
"Schreiber erzählt von ihrer
Kindheit (...) in einer
Plattenbausiedlung in Dresden-Prohlis (...) und wie (sie) sich
in der Schule gegen rechts engagierte. Erzählt von ihrer Mutter,
die der Linken nahestehe, eine typische »Bauchlinke« wie auch ihr
Großvater, der zur SPD stehe, so wie ihre Schwester zur Antifa.
Und wie sie selbst aus dem linken Familienmilieu ausscherte und
als Erstwählerin der FDP ihre Stimme gab, die Liberalen dann aber
zur »Mövenpick-Partei« verkümmert seien. Wie sie fürs Studium nach
Leipzig zog und dort ihre politische Karriere begann."
Bei solchen Erzählungen darf
jedoch nicht vergessen werden, dass es sich um eine Autobiographie
handelt, die dem jetzigen Selbstbild als Aussteigerin entspringt und
deshalb kaum geeignet ist, den tatsächlichen Weg von SCHREIBER zu
erklären.
NEUERER &
KOCH
(2018): Sorge um den Rechtsstaat.
Die Bundeskanzlerin und Ökonomen
warnen vor den Folgen ausländerfeindlicher Übergriffe in Sachsen,
in: Handelsblatt
v. 29.08.
Es ist angesichts der Vorfälle in
Sachsen pervers, wenn Ökonomen ausländerfeindliche Übergriffe nur
deshalb als Problem sehen, weil sie den Standort gefährden. Können
also ausländerfeindliche Übergriffe geduldet werden, wenn sie dem
Standort nicht schaden? Eine solche funktionalistische Sichtweise
einer Ökonomisierung des Sozialen ist Teil der Verrohung der Eliten
in Deutschland.
CARSTENS,
Peter (2018): Mit dem Rücken zur Wand.
Was, wenn Sachsen wirklich
Deutschlands Problemzone ist? Helfen statt draufschlagen,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 29.08.
Peter CARSTENS versucht Sachsen
zum deutschen Sonderweg zu stilisieren. Tatsächlich ist Sachsen der
neoliberale Musterknabe in Ostdeutschland. Dies verbindet Sachsen
mit den westdeutschen Musterknaben des Neoliberalismus:
Baden-Württemberg und Bayern. Auch dort hat die AfD beste Ergebnisse
erzielt. Der Rechtspopulismus ist die Kehrseite des Neoliberalismus.
In diesen Musterländern wurde durch die Austeritätspolitik das
Bildungssystem auf Elitenbildung reduziert, während ansonsten Mittel
gekürzt wurden.
"Er macht viele Fehler, aber er
verdient dennoch Unterstützung. Denn Sachsen sollte nicht
aufgegeben werden",
beschreibt CARSTENS das Problem
Michael KRETSCHMER. Der Ministerpräsident wird von unseren
neoliberalen Mainstreammedien nur deshalb gehätschelt, weil er das
allerletzte Aufgebot der CDU ist und die anderen etablierten
Parteien in Sachsen aufgrund der Dominanz der CDU keine große
Gegenwehr leisten. Die beiden Sätze stellen nichts weniger als eine
Bankrotterklärung dar. Anders formuliert: Wenn KRETSCHMER fällt,
dann gibt es für die AfD in Sachsen keinen ernst zu nehmenden Gegner
mehr. Eine solche Strategie könnte schnell ins Auge gehen, denn die
Rechten werden aufgrund dieser Schwäche Sachsen nun erst Recht mit
allen Mitteln unter Druck setzen. Schließlich sind es kaum mehr als
ein Jahr bis zur nächsten Landtagswahl und die CDU hat kein Personal
mehr, um Widerstand zu leisten, wenn KRETSCHMER sich selbst ins
Abseits manövriert. Wer wie KRETSCHMER in einem Fernsehinterview
derart auf die Handlungsfähigkeit insistieren muss, der steht längst
mit dem Rücken zur Wand. Und es wird nichts nützen, wenn unsere
neoliberalen Medien KRETSCHMER nun besonders schonen, was eigentlich
angesichts der letzten Monaten schon gar nicht mehr möglich ist.
KUHLBRODT, Jan (2018):
Kindheit in Chemnitz.
Chemnitz: Warum ich gerade sehr an die
besorgten Bürger meiner Jugend in Karl-Marx-Stadt denken muss,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 31.08.
KAUL, Martin & Volkan AGAR
(2018): Kampf um Chemnitz.
Chemnitz Nahaufnahme: Zwei Männer stehen im
Stadtrat in der letzten Reihe und trauern um den erstochenen Daniel H.
Es ist das Einzige, was den Rechten Martin Kohlmann und seinen Gegner
Lars Fassmann verbindet,
in: TAZ v.
31.08.
LASCH,
Hendrik
(2018): Und immer noch ein Magenschwinger.
Michael Kretschmer, der als
"Gute-Laune-Onkel" für die CDU die Wahl 2019 retten will, ist in
schwerem Fahrwasser,
in: Neues
Deutschland v. 31.08.
"Kretschmer (versucht sich) in
schonungsloser Analyse von Fehlern. Von denen muss sich die CDU
etliche ankreiden lassen: den dramatischen Lehrermangel in den
Schulen, der ebenso der Preis für eine rigiden Sparkurs war wie
die personell ausgedünnte Polizei. Im Freistaat, der sich gern als
ostdeutsches Musterland feiert, gibt es viele Dörfer, in denen
Ärzte, Busse und schnelles Internet fehlen. (...). Kretschmer
(...) weiß, dass die Zeit gegen ihn läuft: Landtagswahl ist in
einem Jahr, das 1,7 Milliarden Euro schwere Lehrerpaket greift
frühestens in drei Jahren. (...). Seine Partei (...) profitiert
nicht davon, dass er mit dem Füllhorn über Land zieht: Sie
rutschte in Umfragen auf inzwischen nur noch 30 Prozent ab. Die
AfD liegt derweil nur noch fünf Prozentpunkte zurück, zudem wird
nicht ausgeschlossen, dass sie viele Wahlkreise gewinnt - gerade
in Ostsachsen, wo auch der Regierungschef sich um ein
Landtagsmandat bewirbt. Es drohen viele weitere Magenschwinger",
meint Hendrik LASCH. Die
letzte Umfrage wurde zwischen dem 20. und 25. August
durchgeführt, d.h. noch vor den Ereignissen in Chemnitz. Aufgrund
der wenigen Umfragen, die nur in großen Abständen durchgeführt
werden, lassen sich aus den Ergebnisse kaum Rückschlüsse auf die
Lage in Sachsen ziehen.
BECKER, Kim Björn (2018): Nicht mehr dieselbe
Stadt.
Chemnitz: Viele Chemnitzer verstehen ihre
Heimat nicht mehr. Doch wer nach Lösungen fragt, wird ausgelacht - das
sei Aufgabe der Politik, nicht der Bürger,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 01.09.
NIMZ, Ulrike (2018):
Kapitalfehler.
Chemnitz: Seit der Mob die Straßen übernahm,
ist Chemnitz zum Spielfeld von Neonazis, Rassisten und all denen
geworden, die den Osten gerne abschreiben. Was ist nur los in dieser
Stadt,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 01.09.
KEILHOLZ,
Christine (2018): Auf tönernen Füßen.
Die CDU in Sachsen hat ein ernstes
Problem,
in: Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung v. 02.09.
Christine KEILHOLZ erklärt die fatale Schwäche
des Ministerpräsidenten Michael KRETSCHMER mit dem desolaten Zustand
der CDU in Sachsen:
"Seine Sachsen-CDU ist zu
weiten Teilen gar keine CDU, sie besteht in großen Teilen aus
einer Phalanx von parteilosen Mandatsträgern, die für die CDU in
Stadt- und Gemeinderäten sitzen. (...). Mehr als die Hälfte der
CDU-Mandatsträger sind nicht in der CDU: 3835 Abgeordnete stellt
die Partei in Kommunen und Kreisen - aber 2108 von ihnen gehören
der Union nicht an. (...). Das bedeutet: die CDU hat nicht genug
Kraft, AfD-Sympathisanten zur Ruhe zu bringen - und sie hat nicht
den Mut, sie aus der Partei von Kurt Biedenkopf hinauszuwerfen.
Nur vor diesem Hintergrund lässt sich verstehen, warum Michael
Kretschmer im eigenen Land als strammer Konservativer auftritt. Er
würde sonst womöglich Hunderte von CDU-Abgeordneten in die Arme
der AfD treiben."
Als Fallbeispiele, die ihre Sicht
stützen sollen, berichtet sie über die Lage in Oschatz, Dresden,
Görlitz
und Marienberg im Erzgebirge. Was daran jedoch stört, das ist, dass
sich auch die anderen Parteien in anderen Bundesländern auf der
kommunalen Ebene keineswegs nur auf die eigenen Parteimitglieder
stützen können, um zu regieren. KEILHOLZ beschreibt eher den
Normalfall. Der Unterschied ist jedoch, dass die Sachsen-CDU mit dem
rechten Spektrum von NPD und AfD verwurzelt ist.
Fazit: Es ist kaum anzunehmen,
dass die rechtslastige Sachsen-CDU und ihr schwacher
Ministerpräsident unter den gegebenen Umständen viel Widerstand
gegen die AfD leisten wird. Hoffnungen der Linken, dass es reicht
die CDU und ihren schwachen Ministerpräsidenten zu stützten, könnten
die Lage in Sachsen eher noch verschlimmern, weil sie ihre eigene
Schwäche damit nur rechtfertigt und deshalb zu wenig tut, um in die
eigene Parteiinfrastruktur zu investieren. In Sachsen rächen sich
nun die Versäumnisse von zwei Jahrzehnten CDU-Herrschaft. Der
angebliche neoliberale Musterknabe ist in Wirklichkeit nur noch eine
Fassade, die schnell einbrechen kann.
PINKRAH, Nelly Y. (2018): Mein Paradies in
Chemnitz.
Chemnitz: Früher war der Garten meiner
Großeltern für mich das Größte. Er liegt in jener Stadt, in der jetzt
Menschen durch die Straßen laufen und ihre Hände zum Hitlergruß
erheben,
in: Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung v. 02.09.
WEISBROD, Lars
(2018): Der brutale Trotz der Jugend.
Gibt es schon den Roman zu den
Ausschreitungen von
Chemnitz?
in:
Die ZEIT Nr.37 v. 06.09.
BARTSCH, Michael (2018): Ein Schlichter in
Angriffslaune.
Weil er Pegida in die
Landeszentrale für politische Bildung lud, stand Frank Richter in der
Kritik. Am Sonntag will er Bürgermeister von Meißen werden,
in: TAZ v.
07.09.
RICHTER, Peter (2018):
Mitteldeutsch.
An jedem Ort in Sachsen geht es um
Chemnitz. Es gibt aber noch ganz andere Geschichten, die erzählt
werden müssen. Eine Landpartie im Spätsommer des Missvergnügens,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 07.09.
Peter RICHTER verknüpft 3 Milieugeschichten aus
Sachsen mit der Vergangenheit des Bundeslandes. Das traditionelle
Erzgebirge wird uns als Bauernland geschildert, wo der Herr Kindern
nicht nur von seiner Bäuerin, sondern von der Magd hat, außerdem
wird Sachsen als Land gezeichnet, das sich Osteuropa näher fühlt als
der Bundeshauptstadt und in Freiberg wird uns Silber als die
brandenburgische Version der Soldaten vorgestellt. Vor diesem
geschichtlichen Hintergrund werden uns eine Freitag-lesende
Ärztin im Speckgürtel von
Leipzig mit Verwandtschaft in
Chemnitz,
ein konvertierter Münchner Alt-68er in Dresden und ein Antifa-Pärchen in der Dresdner Neustadt ("Berlin-Kreuzberg von
Dresden") vorgestellt. Das kulminiert in dem Satz:
"Wahrscheinlich hat noch kein
Bundesland so viele grundverschiedene Formen von Heimatbewusstsein
hervorgebracht."
Als Quintessenz ist das jedoch
eher eine Plattitüde und eher der journalistischen Vorliebe für
kontrastierende Einzelfälle geschuldet, die zuweilen unfreiwillig
komisch wird, wenn es heißt, dass ihm :
"die Ärztin noch den Freitag
in die Tasche geschoben hat, weil sich jeder nun einmal nur in
seiner Blase informiere, und das linke Wochenblatt bilde halt die
ihre."
In den 1970er Jahren als die
Zeitungen noch Weltanschauungen vertraten und nicht nur Mainstream
absonderten, wäre der Satz noch sinnvoll gewesen. In Zeiten, in
denen Journalisten munter zwischen taz , FAZ, SZ
oder Welt hin- und hergereicht werden, scheinen höchstens
Journalisten in einer Blase zu leben. Und was bitte ist mit jenen,
die sich in keiner Printzeitung repräsentiert sehen? Alles nur
Leute, die Fake News aufsitzen?
LASCH, Hendrik (2018): Einmal Großstadt und zurück.
Sachsen:
Hoyerswerda feiert 750
Jahre Stadtgeschichte - die zuletzt viel Umbruch brachte,
in: Neues
Deutschland v. 08.09.
LÖWISCH, Georg (2018):
Scheitert Kretschmer, scheitert viel mehr.
Sachsen: Der sächsische
Ministerpräsident hat in den letzten Wochen Zweifel an seinen
Fähigkeiten gelassen. Und doch muss man ihm die Daumen drücken,
in: TAZ v.
08.09.
Steht es schon so schlimm um die Linke, dass der
schwache Ministerpräsident zum letzten Hoffnungsträger stilisiert
werden muss? Diese defensive Verteidigungshaltung ist wohl einer der
Gründe, warum die AfD überhaupt derart stark werden konnte. Der
andere Grund ist, dass es sich die Linke im urban kosmopolitischen
Umfeld gemütlich gemacht hat und die Zeichen der Zeit übersehen hat.
Was aber wäre gewonnen? LÖWISCH ist der irrigen Meinung, dass bei
einer Niederlage der AfD (was immer das wäre) die AfD gestoppt
werden könnte. Eher ist es so, dass sich die CDU mit der AfD
arrangieren wird und die Linke dann erst recht außen vor ist.
WEIDERMANN,
Volker (2018): Wir sind weniger.
Literatur: Lukas Rietzschels
Debütroman über das langsame Wachsen des Zorns in Sachsen,
in: Spiegel
Nr.37 v. 08.09.
Volker WEIDERMANN stellt das Buch
Mit der Faust in die Welt schlagen von Lukas RIETZSCHEL vor,
das vom Verlag als "Buch der Stunde" vermarktet wird. Die
biografische Herkunft und Jugendlichkeit des Autors soll für die
Authentizität der Geschichte bürgen:
"Lukas Rietzschel (...) ist
sehr jung. 1994 kam er in Räckelwitz in Ostsachsen auf die Welt.
Jetzt lebt er in Görlitz, der bunten, alten Kulissenstadt am
deutschen Rand, wo man über die alte Brücke über die
Lausitzer Neiße von der deutschen Stadthälfte
in die polnische spazieren kann. Einfach so. Nicht mal ein Schild
verweist auf die Grenze über den Fluss. (...). In Görlitz hat Wes
Anderson (...) gedreht. (...) Eine nahezu unzerstörte Stadt,
leuchtend bunt gestrichen. »Aber einige Straßen lässt man extra
unsaniert«, sagt Rietzschel. »Für manche Filme braucht man das
authentisch Alte.« Da müssen die Häuser auf die Farbe verzichten.
Und die echten Menschen, die darin wohnen, auf renovierte Häuser."
Aber was wäre ein Roman über
Sachsen ohne Bezüge zur rechten Szene?
"In Görlitz hat der sächsische
Ministerpräsident Michael Kretschmer bei der Bundestagswahl 2017
sein Direktmandat an den AfD-Kandidaten verloren. Und auch für die
Oberbürgermeisterwahl im nächsten Jahr erwarten viele einen Sieg
des AfD-Bewerbers. Doch die aktive Neonaziszene ziehe es eher ins
nahe gelegene Bautzen, meint Rietzschel."
Bezeichnend ist, dass dem
gemeinen Sachsen erst in Westdeutschland die Augen geöffnet werden:
"Rietzschel erzählt, dass er
erst in Kassel, wo er Germanistik studierte, politisiert worden
sei. Zufällig wohnte er in einem WG-Zimmer in dem Haus, in dem
Halit Yozgal sein Internetcafé betrieb. Bis dieser 2006 von einem
Mitglied des NSU dort ermordet wurde.
»Vom NSU hatte ich vorher in Sachsen nie etwas
gehört. Das war hier einfach kein Thema.« Und dann in Kassel
plötzlich - am Ort jüngster Geschichte. Es hat ihn geprägt und
erschüttert.
Er ging dann zurück nach Sachsen, hier nach Görlitz, um
Kulturmanagement zu studieren."
Weil für WEIDERMANN die Biografie
eines Romanschreibers wichtiger ist als das Buch, bleibt die
eigentliche Rezension lediglich nebensächliche Zugabe im typischen
WEIDERMANN-Sound, der eher abschreckt als zum Kauf des Buches
animiert.
"Keine dieser
Nachrichtenweisheiten schreibt Lukas Rietzschel. Er beschreibt
ihre Auswirkungen",
meint WEIDERMANN, der uns die
Nachrichtenweisheiten liefert.
Ein Brüderpaar soll klarmachen, dass gleiche
Umstände zu unterschiedlichen Verhaltensweisen führen:
"Ja, weglaufen können sie beide
nicht. Sie sind gefesselt durch ihre Trägheit, falsche Vorbilder
und Anhänglichkeit an ihre Vorfahren, an diese Gegend. Aber
während Tobias den Weg der Gewalt einschlägt, zieht sich Philipp
in sich selbst zurück."
Hinter der Ausgangslage verbirgt
sich das typisch neoliberale Menschenbild westdeutscher Prägung, das
sattsam aus den westdeutschen Medien in alle Ohren geblasen wird,
die noch hinhören:
"Und seit vielen Jahren hauen
alle, die was können, alle, die was wollen, alle, die mobil sind,
einfach ab. Wer bleibt, ist an seinem ganzen Elend auch noch
selber schuld."
Will man das alles als Roman
lesen? Wohl kaum, höchstens jene, die schon immer wussten, dass sie
anders sind, eben die Mobilen, die Weggeher, die Individualisierten.
Die können sich wohlig im Ohrensessel zurücklehnen und sich ihren
Lifestyle bestätigen lassen. Führt das weiter? Wohl kaum!
Am Schluss geht es dann um
Chemnitz und den musikalischen Popkulturkampf mit dem Slogan "Wir
sind mehr", dem eine Absage erteilt wird und das Statement des
Buchautors:
"Einer muss ja dableiben (...).
Wenn all die Kurzzeitbeobachter, die Entsetzten und die
Meinungswerfer wieder abgereist sind."
Da ist dann nichts mehr von dem
übrig, was WEIDERMANN Mitte der Nuller Jahre angesichts von Uwe
TELLKAMPs Eisvogel ausmachte: Der damalige Ironiker ist auf
der Strecke geblieben! Ein verlorenes Jahrzehnt, in dem der
Scherbenhaufen noch gekittet hätte werden können. Mittlerweile
setzen andere die Agenda.
REICHWEIN, Marc
(2018): Abbau Ost.
Aufstand und Lethargie in der
sächsischen Provinz: Der Debütant Lukas Rietzel hat das Buch zur
Stunde geschrieben,
in: Welt v.
08.09.
Marc REICHWEIN steckt das Buch in die
Hillbilly-Elegy-Kategorie, wobei dies zur neoliberalen Ideologie
der Springer-Zeitung passt. "Sein Roman ist kein
literaturgewordenes Soziologieseminar", heißt es an anderer Stelle,
was man als Abgrenzung zur französischen Literatur verstehen kann,
die dem Ungeist dieser Zeit etwas entgegenzusetzen verspricht. Der
weit hergeholte Vergleich mit Christoph HEINs Der fremde Freund
(besser bekannt als Drachenblut) zeigt die
Vermarktungsphantasielosigkeit des deutschen
Fastfood-Literaturbetriebs auf.
REICHWEIN fährt bei der
Vermarktung zweigleisig, denn nicht jeder will öden Fastfood à la
Buch der Stunde serviert bekommen, weswegen der Roman auch als "Coming-Of-Age"-Geschichte
erzählt wird, aber immer wieder im Versuch endet, seine Aktualität
zu behaupten:
"In einer Umgebung, in der mehr
und mehr leer steht, ist ein Eigenheim ein atypischer
Lebensentwurf",
schwadroniert REICHWEIN, als ob
der Versuch Normalität zu leben nicht typisch für unsere
konformistische Gesellschaft wäre. Neoliberalen ist es natürlich ein
Dorn im Auge, wenn in "Leerstandsgebieten", die eigentlich per
Prämien völlig entleert gehören, weiterhin gebaut wird, als ob es
keine Prognosen gäbe, die keinerlei Bedarf dafür sehen, was uns die
Mainstreamzeitungen ja ständig mantrahaft wiederholen. Aber warum
muss das immer wieder unters Volk gebracht werden? Weil es nicht der
Realität entspricht, die sich um Elitediskurse schlicht nicht
kümmert!
Was an der Geschichte
"tiefenpsychologisch" sein soll, das kann REICHWEIN auch nicht
darlegen. Seine Rezension verdoppelt nur das typische Marketing des
Literaturbetriebs und die oberflächliche Betrachtungen zu
Ostdeutschland.
MALZAHN, Claus Christian
(2018): Der Zuhörer.
Meißen galt als AfD-Hochburg. Nun
liegt mit Frank Richter ein Außenseiter bei der Oberbürgermeisterwahl
vorn. Wie hat er dieses Wunder vollbracht?
in: Welt v.
11.09.
Die Welt bläst den Artikel von Claus
Christian MALZAHN zur Titelgeschichte auf und stilisiert den ersten
Wahlgang zur Oberbürgermeisterwahl zum Wunder. Doch von einem Wunder
kann keine Rede sein. Die FAZ schrieb bereits
Mitte August von einem "guten Netzwerk an
Unterstützern". Bis vor kurzem war Frank RICHTER ein CDU-Mann, der
sich durch seinen Austritt und Auftritt als Parteiloser medial
inszenierte. In einer überregional bedeutsamen Talkshow nannte er
den Lehrermangel als einen Grund für seinen Austritt, als ob dieses
Desaster gerade erst entdeckt worden wäre und nicht unter dem
CDU-Bundesinnenminister aus Sachsen jahrelang mitverantwortet war
(Stichwort: interessengeleitete Bevölkerungsvorausberechnungen).
Meißen wird von MALZAHN zur
AfD-Hochburg stilisiert. Das aber gilt nicht zuerst für die Stadt,
sondern für den
Wahlkreis 155. Das Ergebnis für die Stadt war im Wahlkreis knapp
unterdurchschnittlich. Die CDU, also die Partei des Amtsinhaber
schwächelte jedoch. In der Stadt Meißen erhielt die CDU gerade
einmal 24,1 Prozent und damit ganze 2 Prozentpunkte weniger als im
Wahlkreis. Für Ostverhältnisse ist jedoch die FDP
überdurchschnittlich stark. Es wundert deshalb kaum, dass RICHTER
der Wunschkandidat eines Bauunternehmers und Initiators der
Unterstützer (so jedenfalls die FAZ) war. Auch Rot-Rot-Grün
kamen zusammen auf mehr Stimmen in Meißen als die CDU. Wunder sehen
deshalb anders aus!
Fazit: Meißen ist für unsere
Neoliberalen eine Art Strohhalm, an den man sich klammern möchte, um
der unschönen Realität in Sachsen nicht ins Auge sehen zu müssen.
KOESTER, Elsa (2018): Hase, du bleibst hier.
Osten: Von Vorpommern bis in den
Süden Sachsens herrscht Männerüberschuss. Darin liegt eine Ursache für
den dortigen Rechtsruck,
in: Freitag
Nr.37 v. 13.09.
Elsa KOESTER bastelt sich aus der Broschüre
Not am Mann aus dem Jahr 2007 und der Studie
Wer kommt? Wer geht? Wer bleibt? von
Julia GABLER u.a. aus dem Jahr 2016 über die Verbesserung der
Bleibechancen von Frauen im sächsischen Landkreis Görlitz eine
angebliche
Übereinstimmung von
AfD-Wählerschaft (wohlgemerkt für ganz Deutschland!) und der
Partnerlosigkeit von Männern bzw. des Männerüberschusses. Die
Angaben zum Männerüberschuss stammen aus dem Jahr 2004, sind also
fast 15 Jahre alt und sollen nun die These des Alarmisten Frank
SCHIRRMACHER aus dem 2006er Artikel Nackte Aste
revitalisieren. SCHIRRMACHER hatte seine Spekulation auf die
NPD-Wählerschaft bezogen. Ohne Umschweife soll diese Spekulation nun
der AfD übergestülpt werden. In der Studie von GABLER u.a. heißt es:
"Tendenziell weisen Gemeinden
mit geringer Bevölkerungsdichte die höchsten
Geschlechterdisproportionen in der Altersgruppe der 18- bis
35-Jährigen auf. Diese altersspezifischen
Geschlechterungleichgewichte sind kein neues Phänomen und die
Folge von geschlechtsselektiven Wanderungen. Einen geringen
Frauenüberschuss verzeichnen sowohl der Hochschulstandort Görlitz
als auch die nördlich angrenzende Gemeinde Neißeaue mit jeweils
104 Frauen je 100 Männer. Das größte Ungleichgewicht weist die
Gemeinde Weißkeißel aus, in der 56 Frauen auf 100 Männer gezählt
werden. In Boxberg/O.L. sind es 72 Frauen je 100 Männer." (2016,
S.8)
Im
Wahlkreis 157 Görlitz erhielt die AfD 32,9 Prozent der
Zweitstimmen und der Direktkandidat der AfD gewann den Wahlkreis
gegen den nun amtierenden Ministerpräsidenten Michael KRETSCHMER.
Nach der Spekulation von KOESTER müsste Weißkeißel mit dem höchsten
Männerüberschuss auch das höchste Ergebnis für die AfD erzielen (Die
zeitliche Differenz der Erhebung zur Bundestagswahl 2017 beträgt
immerhin nur 4 statt der 13 Jahre, die KOESTER offenbar zur
Grundlage ihrer Spekulation macht). Doch mit 35,6 Prozent der
Zweitstimmen lag es weit unter den 46,9 Prozent in Schönbach. Auch
Boxberg o/L. bestätigt die Spekulation mit 31,5 Prozent nicht.
Fazit: Wie KOESTER auf eine
angebliche Übereinstimmung von AfD-Wählerschaft und
Männerüberschuss/Partnerlosigkeit von Männern kommt, lässt sich
anhand der überprüfbaren Faktenlage nicht nachvollziehen, aber in
der Debatte geht es offenbar weniger um Fakten, sondern um
Plausibilitäten, die sich aus den Befindlichkeiten unserer
journalistischen Klasse ergeben.
LASCH, Hendrik
(2018): Überraschendes aus Meißen.
Der Theologe Frank Richter gewinnt
als Kandidat von Rot-Rot-Grün erste Runde der OB-Wahl,
in: Neues
Deutschland v. 13.09.
Es ist erstaunlich wie rechte und
linke Zeitungen die Oberbürgermeisterwahl in Meißen so darstellen,
dass ihre Klientel jeweils den Sieg im ersten Wahlgang für sich
verbuchen kann. Während die Welt vor zwei Tagen den Erfolg
des Kandidaten in erster Linie auf die Initiative "Bürger für
Meißen", bei der "Architekten, Werbefachleute, Pädagogen und
Bauunternehmer" besonders hervorgehoben wurden, zurückführt, spricht
Hendrik LASCH von "Bürgerinitiative", die von dem Linksbündnis
unterstützt wurde.
LASCH hebt hervor, dass der
AfD-Kandidat ein Ex-CSU-Mann war und die CDU im Kreis erzkonservativ
sei und u.a. Thomas de MAIZIÉRE hervorgebracht hat.
RENNEFATZ, Sabine
(2018): "Auch die AfD wird die Ostdeutschen letztlich enttäuschen".
Nach Chemnitz fragen viele: Was ist
da los im Osten? Sind die alle rechts? Die Journalistin Jana Hensel
und der Soziologe Wolfgang Engler sprechen über die Folgen des
Umbruchs nach 1989, die Flüchtlingskrise - und darüber, warum in
Ostdeutschland die Revolte nicht von links kommt,
in: Frankfurter
Rundschau v. 21.09.
"Es war uns wichtig, den Osten
nicht aus der DDR heraus zu erklären, sondern den Fokus auf die
Nachwendezeit zu legen. Da vollziehen wir einen Paradigmenwechsel.
Wir müssen uns alles noch mal neu anschauen, weil wir eine
gigantische Emanzipationsbewegung von rechts erleben. Eine
Revolte. (...).
Dass der Protest von rechts kommt, hat auch etwas mit der
mangelnden Repräsentanz zu tun. die Linkspartei steht für die
Bewältigung der DDR-Biografien, die AfD für die Nachwendeerfahrung",
erklärt uns Jana HENSEL. Wolfgang
ENGLER sieht in der Erfolglosigkeit der Linken eine Ursache:
"Die Linkspartei laboriert seit
Jahren an ihrer bundesdeutschen Wirksamkeit, kommt nie über zehn,
zwölf Prozent hinaus. Und da denken die Leute: Wenn wir so nicht
gehört werden, schwenken wir einfach um."
Beide stammen aus Sachsen und
sind in den Großstädten Leipzig und Dresden zuhause gewesen. Sie
beschreiben die Sicht erfolgreicher, urbaner Kosmopoliten auf die
anderen Ostdeutschen.
LOCKE, Stefan
(2018): Langer Arm der Vergangenheit.
Der Theologe Frank Richter, der im
Dialog mit Pegida bekannt wurde, hat gute Chancen, Bürgermeister von
Meißen zu werden - und versetzt die CDU damit in Sorge,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 22.09.
Stefan LOCKE spottet, dass das
AfD-Bundestagswahlergebnis nichts Wert sei, wenn es darum ginge,
dass die Bürger "Gefahr laufen, direkt vor der eigenen Haustür von
ihr regiert zu werden".
KITTLAUS, Bernd (2018): Zur
Oberbürgermeisterwahl in Meißen,
in: single-generation.de v.
23.09.
Die Oberbürgermeisterwahl in
Meißen wurde von den Mainstreamzeitungen als Stimmungstest für die
Landtagswahl in Sachsen gewertet und der Kandidat Frank RICHTER zur
Heilsfigur in Sachen Kampf gegen die AfD stilisiert. Beim zweiten
Wahlgang unterlag Frank RICHTER jedoch gemäß
vorläufigem amtlichen Endergebnis dem von der CDU unterstützten
Amtsinhaber mit 42,6 Prozent. Das waren knapp 1 Prozent weniger als
der Sieger (es fehlten genau 98 entscheidende Stimmen). Ausgerechnet
der noch einmal angetretene Kandidat der FDP könnte RICHTER die
entscheidenden Stimmen gekostet haben, was ein bezeichnendes Licht
auf diese Wahl und die Rolle der FDP in Sachsen wirft.
Der AfD-Kandidat war zum zweiten
Wahlgang gar nicht erst angetreten, wofür die FAZ
gestern die AfD mit Spott überzog. Stefan
LOCKE sieht RICHTER gar schon als Anführer einer neuen
Bürgerbewegung, die bei der nächsten Landtagswahl antreten könnte:
"Sollte Richter hier gewinnen,
wäre das nicht nur eine Niederlage, sondern ein Fanal, nicht
wenige trauen ihm zu, dann im kommenden Jahr auch bei der
Landtagswahl mit einer Bürgerplattform anzutreten."
Die CDU und ihr Amtsinhaber wird
wenig schmeichelhaft dargestellt:
"Meißen ist ein spezielles
Pflaster, die Stadt steht exemplarisch für so manche
Kommunalspitze in Sachsen, die sich den Dingen eher fügt, als sie
zu gestalten, die bürgerliches Engagement eher lästig empfindet,
als es zu fördern, und die im Zweifel lieber keine klare Position
bezieht."
Der von Neoliberalen und
Konservativen positiv besetzte Begriff "bürgerschaftliches
Engagement" bzw. sein linksliberales Pendant "Zivilgesellschaft" ist
in Zeiten des Rechtsrucks jedoch eine zweifelhafte Sache. Wenn sich
wie in Sachsen Politikgestaltung auf neoliberale Austeritätspolitik
und Elitenbildung beschränkt, dann liegt mehr im Argen als uns die
Mainstreammedien weismachen wollen.
Fazit: Der geplante Aufbruch in
Meißen ist - trotz überregionaler medialer Unterstützung -
gescheitert. Das wird die Mainstreammedien nicht daran hindern, dies
trotzdem als Erfolg zu vermarkten. Doch ein Frank RICHTER macht noch
keine Wende im desolaten Sachsen.
LASCH, Hendrik
(2018): Zum Wunder fehlten 98 Stimmen.
Sachsen: Schwarz-blauer Erfolg bei
Wahl des Oberbürgermeisters in Meißen,
in: Neues
Deutschland v. 25.09.
Hendrik LASCH
schiebt den schwarzen Peter der
AfD zu, um die Niederlage von Frank RICHTER
zu erklären. Das macht es sich zu einfach, denn die Stimmen zum Sieg
hat der FDP dem "Mitte-Links"-Kandidaten weggenommen. Es ist die
fatale Rolle der neoliberalen FDP, die immer wieder das Zünglein an
der Waage spielt und einen Aufbruch verhindert. Das gilt umso mehr
im neoliberalen Musterland Sachsen. Die Sache beschönigen zu wollen,
hilft bei den anstehenden Wahlen in Sachsen nicht weiter.
MALINOWSKI, Bernadette &
Winfried THIELMANN (2018): Unser Chemnitz.
Eine Stadt als Chiffre,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 25.09.
HASSENFRATZ, Celestine (2018): "Manchmal denke ich, ihr seid
verrückt".
Feuilletons zeichnen ein Bild des
sächsischen Romanautors Lukas Rieztschel, das in die Zeit von
Chemnitz
und Köthen passt. Aber der junge Schriftsteller widerspricht,
in: Neues
Deutschland v. 25.09.
Celestine HASSENFRATZ zeichnet die Ereignisse
nach, die dazu führten, dass Lukas RIETZSCHELs Roman auf dem
deutschen Fastfood-Buchmarkt als Roman der Stunde vermarktet wurde.
Mit dem Manuskript des Romans bewarb sich RIETZSCHEL bereits 2016
für den Retzhof-Preis junger Literatur:
"Ein
Literaturagent, selbst kaum älter als Rietzel, nimmt Kontakt
zu ihm auf. Bis das Manuskript fertigt ist, dauert es noch ein
Jahr.
September 2017, wenige Tage nach der Bundestagswahl, schickt der
Literaturagent das Manuskript an fünf große Verlage. Die AfD holt
12,6 Prozent und zieht ins Parlament ein, in Sachsen wird sie mit
27 Prozent stärkste Kraft."
Beim Ullstein-Verlag, der zum
schwedischen Bonnierkonzern gehört, bei dem gerade auch Thilo
SARRAZIN publiziert wurde, stieß das Buch bei der Lektorin Linda
VOGT und dem vom Aufbau-Verlag gewechselten Verleger Gunnar CYNYBULK
auf Interesse. Auch die anderen vier Verlage hätten das Buch
gedruckt. Mit großer Verlagsmacht wurde der Spitzentitel - nach den
Ereignissen in Chemnitz - in die Feuilletons der Mainstreammedien
gebracht:
"Sommer 2018, das Werk ist
fertig. In Chemnitz gehen 6.000 Menschen auf die Straße (...).
Ganz Deutschland will verstehen, weshalb der rechte Hass im Osten
weiter wächst. (...).
Der Ullstein-Verlag hat zum »Literatourbus« geladen. Safari durch
Ostdeutschland, dorthin, wo Lukas' Buch spielt, in die Gegend, wo
die AfD 44 Prozent geholt hat. (...).
Noch acht Tage bis zur Veröffentlichung. Der Verlag hat eine
Rezensionssperre bis zum 7. September erbeten, das offizielle
Datum der Veröffentlichung, der »Stern« hält sich nicht daran. Sie
sind die Ersten, bringen die Story über den Jungautor des Jahres.
Die »Berliner Zeitung« zieht nach, die »Frankfurter Rundschau«,
die »Welt«, der
»Spiegel«. Sie alle sind sich einig. (...). Der Autor wird
noch vor Erscheinen seines Buches zum gefragten Rassismusexperten,
spricht in einer Talkrunde mit Politikern und Wissenschaftlern
über die »Gemengelage«, wie er es nennt, in Sachsen. Der Ullstein
Verlag beschließt die Veröffentlichung vorzuziehen."
HASSENFRATZ lässt dann
Silke HORSTKOTTE vom Institut für Germanistik der Universität
Leipzig zu Wort kommen, die das Buch nicht als Erwachsenenbuch bzw.
als Gewalterklärungsbuch sieht, sondern als solides Jugendbuch.
HORSTKOTTE sieht wie diese Website einen
"Trend der Literaturkritik, von
literarischen Neuerscheinungen zu fordern, dass sie aktuelle
Ereignisse darzustellen haben, eine Art Pflicht, dass
Schriftsteller ein komplexes Geschehen erläutern soll, das wir
anderweitig nicht erfassen können. (...).
Es sei letztlich auch ein journalistischer Trend, sagt Horstkotte,
eine Großerklärung für den Osten zu fordern. Rietzschels Roman sei
(...) interessant, so gebe ihr die Debatte über den Roman darüber
Auskunft, dass sich die Gattungsregeln des Romans wie wir sie
kennen, zu wandeln scheinen. »Ein Roman ist ein fiktionaler Text.
Er bildet Wirklichkeit nicht ab, sondern simuliert Wirklichkeit.
Wenn man den Roman als Erklärung für den Osten liest, versteht man
ihn (...) gerade nicht als Simulation, sondern als Abbild.«"
Mit diesem Trend geht ein anderer
Trend zwangsläufig einher: Der Autor muss mit seiner Biografie für
die Wahrheit des Geschriebenen stehen. HASSENFRATZ zeigt nun auf,
wie die Biografie des Autors so zurecht gebogen wurde, dass er zu
den Buchprotagonisten passt, aber sich im entscheidenden Detail
unterscheidet:
"Rietzschels Geschichte ist die
eines literarischen Underdogs, einer, der es geschafft hat, auf
der anderen Seite zu stehen. Und der sich nicht, wie die beiden
Brüder in seinem Roman, in rechten Kreisen stetig mehr und mehr
radikalisiert. Rietzschels Geschichte ist auch die Suche nach der
Bedeutung von Literatur in aktuellen Debatten.
Die Spurensuche beginnt im Jahr 2014. Lukas Rietzschel, 1994 in
Ostsachsen auf die Welt gekommen, Sohn einer Krankenschwester und
eines Fliesenlegers, hätte eigentlich eine Ausbildung machen
sollen, so erzählt er es. Sein Vater motivierte ihn, doch noch das
Fachabitur zu machen. (...) Er zieht nach Kassel, schreibt sich
für Germanistik und Politik ein. Kassel, Westen, sei für ihn
zuerst ein Kulturschock gewesen, erzählt er. Der Landkreis
Bautzen, aus dem er stammt, hat nicht einmal zwei Prozent
Ausländer. In Kassel Nordstadt ist es jeder Dritte.
(...).
13. September 2018, zwei Wochen ist das Buch schon im Verkauf. Der
Verlag hatte gehofft, es würde bereits jetzt auf der
Bestsellerliste stehen. (...).
Lukas Rietzschel bekommt einen eigenen Wikipediaeintrag. (...) Die
Medienberichte zu Rietzschels Biografie werden immer verdrehter.
In einem Bericht heißt es, das Buch habe er geschrieben, um zu
verstehen, weshalb sein Bruder auf rechtsextreme Demos gehe, ein
anderes Mal erzählt er von der gähnenden Leere der Bücherregale
seines Zuhauses. Nie wolle er vergessen, wo er herkomme. Aus der
unteren Mittelschicht. So, berichten die Medien, habe er es ihnen
erzählt. Die Journalisten graben tiefer in seiner Biografie.
(...). Immer mehr Parallelen zwischen seiner Lebensgeschichte und
der seiner Romanfiguren tauchen auf. (...). Es scheint, als wolle
der Autor seine eigene Lebensgeschichte mehr und mehr mit der
seiner Protagonisten verweben. Die Leser und Medien nehmen es
begeistert an. Endlich spricht da einer, der auch noch Ahnung hat,
weil er es doch quasi selbst erlebt hat.
Das alles, sagt Rietzschel habe er so gar nie gesagt. Irgendetwas
habe sich da verselbständigt. Sein Bruder sei nie auf einer
rechtsextremen Demo gewesen und aus der unteren Mittelschicht
komme er schon dreimal nicht. (...). Die Geschichte, in der Lukas
Rietzschel der aufgestiegene bildungsferne Autor ist, der
literarische Underdog, einer ohne Abi, einer, der fast Nazi, aber
dann Schriftsteller geworden ist, beginnt zu bröckeln."
Der Trend, der hier beschrieben
wird, ist wahrlich nicht neu. Spätestens mit Michel HOUELLEBECQ
gehört Imagedesign zum Handwerk des Literaturbetriebs. Man könnte
auch von einem Authentizitätswahn sprechen. Notfalls werden
Legenden, um die eigene Biografie gewoben, bei der selbst vor der
Fälschung von Fakten nicht Halt gemacht wird. Solche Fälle lassen
sich bereits Ende der 1970er Jahre aufzeigen, eine Zeit, in denen
ähnliche Motive eine Rolle spielten. Damals strebte die Linke und
nicht die Rechte die Deutungshoheit an. Romane und Autoren können
dann allzu schnell politisch instrumentalisiert werden, insbesondere
wenn dies nicht als Intention bewusst geplant ist, wie das z.B. auf
jene französische Literatur zutrifft, die eine Erneuerung im Geiste
einer Minderheitenbewegung anstrebt.
"Selbst als Sachbuch sei der
Text schwach, erzähle nichts von rechten Strukturen und Akteuren,
sondern von labilen Mitläufertypen, die aus Langweile zu Nazis
werden",
kritisiert HORSTKOTTE den
Versuch, den Roman von RIETZEL als Gewalterklärungsbuch zu lesen,
statt als Symptom des Literaturbetriebs.
LÖHR, Julia (2018): "Manche Dörfer sollten wir besser schließen".
Im Gespräch: Die Politik hat im
Osten viele Fehler gemacht, sagt Joachim Ragnitz, Ifo-Institut
Dresden. Er rät zu Prämien, damit die Menschen in die größeren Städte
ziehen. Und ist froh, über jeden Arbeitsplatz, der im Osten nicht
entsteht,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 26.09.
HOBRACK,
Marlen
(2018): Ständig fallen Kastanien.
Abhänger: Lukas Rietzschel lotet
die ostsächsische Seele aus: Sie besteht zu 80 Prozent aus Ennui und
dazu ein wenig Bautzener Senf,
in: Freitag
Nr.39 v. 27.09.
"Zwischen Tobis und Philipps
ganz kleiner Welt in dem winzigen Örtchen Neschwitz bei Bautzen
gelegen, und der großen Welt da draußen gibt es eigentlich keine
Überschneidungen. Selbst die Nachbardörfer wie Königswartha (...)
sind schon die Welt da draußen. (...).
In dieser Region Ostsachsens sind Dörfer wahlweise deutsch oder
sorbisch geprägt, auch wenn jede Ortschaft stets zweisprachige
Straßenschilder besitzt. Neschwitz ist eher deutsch, die Sorben
aus den Nachbardörfern werden misstrauisch beäugt und sind
zunächst die Lieblingsfeinde der dauergelangweilten Jugendlichen",
erklärt uns Marlen HOBRACK die
Ausgangssituation der Dorfgeschichte. HOBRACK betont besonders, dass
die Eltern der beiden Brüder keine Wendeverlierer sind:
"Die Brüder wachsen wohlbehütet
auf, mit dem Einzug ins eigene Häuschen, vom Vater eigenhändig
kurz vor Tobias' Einschulung errichtet, gelingt ein sozialer
Aufstieg, der es fortan erlaubt, auf die anderen Dörfler
herabzusehen."
Aber was hat dies mit der
aktuellen Situation zu tun?
"In den 2010ern kippt die
Stimmung. Die Brüder geraten in schlechte Kreise, wie man so gerne
sagt. (...).
Der Vater verbringt mehr und mehr Zeit mit seiner Geliebten, die
Mutter vereinsamt, der Großvater stirbt. Irgendwann geht alles
Schlag auf Schlag. Tobis Welt zerbricht.
Als dann auch noch die längst stillgelegte örtliche Grundschule
als Unterkunft für Flüchtlinge hergerichtet werden soll, ist das
Maß für Tobias voll."
Wenn die private Situation den
Zulauf zur rechten Szene erklären soll, dann müsste Ostdeutschland
eigentlich schon längst den Rechten in die Hände gefallen sein. Oder
ist die Abwanderung eine einleuchtende Erklärung?
"Ob sich Menschen so wie Tobias
radikalisieren? In jedem Fall wirkt seine Geschichte plausibel,
weil er so durchschnittlich ist. Er leidet allenfalls an
unendlichem Ennui, dem er eventuell entgehen könnte - zöge er
vielleicht in eine der Großstädte Sachsens, gar nicht so fern von
der Heimat."
Es muss den kosmopolitisch
urbanen Lebenslügen angerechnet werden, dass der Glaube weiterhin
existiert, dass ein Umzug in die Großstadt vor rechtem Mitläufertum
schützt. In Leipzig und anderen Großstädten zeigt sich, dass durch
die zunehmende Gentrifizierung und Segregation immer mehr Viertel
jenseits der schicken Mitte-Quartieren entstehen, in denen die
Rechte Zulauf erhält. Es könnte also genauso gut sein, dass im
ländlichen Raum nur schneller sichtbar wird, was zukünftig auch in
Großstädten auf uns zukommt.
"Tobias ist nicht abgehängt,
irgendwie hat er sich selbst abgehängt",
lautet die Erklärung von HOBRACK,
was doch arg nach der neoliberalen Parole klingt, dass jeder seines
Unglücks Schmieds ist.
HILDEBRANDT, Antje & Christoph SEILS
(2018): Wird der Osten unregierbar?
Die Ereignisse von Chemnitz haben
gezeigt, wie tief Deutschland gespalten ist. Im Osten profitiert davon
nur die AfD. Die anderen Parteien hat ein Hauch von Panik erfasst,
in:
Cicero, Oktober
"Deutschland steht vor dem
Untergang. (...). (I)m haus des Gastes im Chemnitzer Ortsteil
Reichenbrand, malt ihn (...) Leyla Bilge (aus), sie ist kurdischstämmige
Deutsche und arbeitet für die AfD-Bundestagsfraktion (...). An
diesem Tag hält sie (...) einen Vortrag zu dem Thema: »Ist
Deutschland noch zu retten?«
Der Saal ist voll. 250 Menschen (...). Es sind zu 75 Prozent
Männer, die meisten schon in Rente oder kurz davor. (...). Es
klingt wie ein Aufruf zum Sturz der Regierung. So wie Parteichef
Alexander Gauland zuvor in einem Zeitungsinterview erklärt hatte,
das ganze politische System müsse weg. So wie AfD-Mitglieder in
Hessen bereits damit gedroht hatten, nach einer Revolution
Funkhäuser und Presseverlage zu stürmen und Mitarbeiter auf die
Straße zu zerren. Die Stimmung in Deutschland ist explosiv. Nicht
nur in Chemnitz",
erklären uns HILDEBRANDT & SEILS.
Nicht erklärt wird uns dagegen, dass
diese panische Stimmungslage bereits in den Nuller Jahren die
öffentlichen Debatten prägte.
Da
riefen Historiker wie Arnulf BARING die Bürger auf die Barrikaden.
Es war die Hochzeit des Neoliberalismus und SCHRÖDER musste weg! Das
ist lange vergessen, weil SCHRÖDER heutzutage der Säulenheilige der
SPD ist und danach der Niedergang der Partei, die ihm nicht folgen
wollte, begann. So jedenfalls die neoliberale Lesart.
Deutschland steht
am Abgrund posaunte der Spiegel 2006 hinaus. Frank
SCHIRRMACHER hatte gerade wieder ein Pamphlet veröffentlicht und
danach Thilo SARRAZIN. Der Osten ist das Problem? Das übersieht,
dass im Osten lediglich das Echo dessen zu vernehmen ist, das im
Westen die Rahmenbedingungen für die heutige Stimmung im Osten
geschaffen hat. Die AfD ist nicht nur im Osten, sondern auch im
Westen stark, gerade dort, wo die etablierten Parteien und die
Demografisierung gesellschaftlicher Probleme einen fruchtbaren Boden
geschaffen haben.
Die Mainstreammedien sind in
Panik, denn ihre Kampagnen der Vergangenheit laufen aus dem Ruder.
Mit Schönfärberei aufgrund neoliberaler Kennzahlen wird uns ständig
zugerufen: Euch geht es so gut wie nie!
"Die öffentlichen Kassen sind
gefüllt, die Landesregierungen wissen kaum, wohin mit dem vielen
Geld. Selbst der Linken-Politiker Benjamin Hoff, der in der
rot-rot-grünen Landesregierung Chef er Staatskanzlei ist, spricht
von »objektiv blühenden Landschaften«"
Hätten die Neoliberalen
Deutschland nicht zwei Jahrzehnte kaputt gespart, dann wären prall
gefüllte Kassen kein Problem, nun sind sie lediglich ein Symbol
dafür, dass etwas gravierend schiefgelaufen ist. Oder wie erklärt
sich sonst der Lehrermangel, der ausgerechnet im neoliberalen
Musterland Sachsen besonders gravierend ist?
"Früher, so der
Linken-Politiker, sei die Partei gewählt worden, die die
Zukunftsfragen positiv beantworten konnte. Wenn jedoch eine
Mehrheit der Bürger der Auffassung sei, der kommenden Generation
würde es schlechter gehen als der heutigen, dann sei die
Zukunftsfrage obsolet",
zitieren die Autoren den
Repräsentanten der Thüringer Linkspartei, die im segregierten Erfurt
Teil des Problems ist. Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit
sind politische Begriffe aus dem Horrorkasten der Demografisierung
gesellschaftlicher Probleme, den der Westen in den Nuller Jahren
entworfen hat, und der inzwischen ein Eigenleben entwickelt hat. Der
Ungeist ist aus der Flasche. Aber im Grunde sind sich
Mitte-Journalisten und Rechte in dieser Sache einig, gäbe es nur
keine Wahlen:
"Im September und Oktober
nächsten Jahres werden in Brandenburg, Sachsen und Thüringen neue
Landtage gewählt, bereits im Mai finden parallel zur Europawahl in
allen fünf ostdeutschen Ländern Kommunalwahlen statt. In Umfragen
wird die AfD immer stärker. (...). Und während die Zustimmung zur
AfD nach den Ereignissen in Chemnitz im Westen leicht gesunken
ist, stieg sie im Osten weiter an. Wenn das so weitergeht, wird
der Osten unregierbar."
Das Gespenst der Unregierbarkeit
drohte in Deutschland des Öfteren. Mit jedem Wandel des
Parteiensystems wurde Weimar an die Wand gemalt. Inzwischen hat sich
der Begriff in seiner ermüdenden Wiederholtheit immer mehr
verbraucht. Und angesichts der Handlungsunfähigkeit der amtierenden
Regierung hört sich diese Einschätzung geradezu verharmlosend an.
"Ängste schüren, Neid wecken,
pauschalieren. Das ist ihre Methode",
schreiben HILDEBRANDT & SEILS.
Eine ziemlich genaue Beschreibung der neoliberalen Demografisierung
gesellschaftlicher Probleme. Aber die Autoren beschreiben damit die
Methoden der AfD, die sie anschlussfähig an die erfolgreichen
westdeutschen Sozialschmarotzer-Kampagnen der Nuller Jahre macht.
Der neoliberale Ungeist wird von der AfD nur mit anderen Inhalten
gefüllt.
"Jörg Urban (..., Der)
Vorsitzende der AfD-Fraktion im sächsischen Landtag (...), 54,
Ingenieur, verheiratet, drei Kinder, redet vom Lehrermangel in
Sachsen und vom Unterrichtsausfall. (...) Urban gefällt sich in
der Rolle als Anwalt der Wendeverlierer. (...). Urban kommt aus
der kirchlichen Umweltbewegung der DDR. Er war kurzzeitig Mitglied
bei den Piraten und Landesgeschäftsführer der Grünen Liga Sachsen.
Die AfD hat ihm eine Tür zur Macht geöffnet",
beschreiben HILDEBRANDT & SEILS
ein Problem, das im neoliberalen Musterland, das mit Fokus auf den
Sektor der Elitenbildung die Breitenbildung kaputtsparte und dafür
noch Lob bekam. In Sachsen zeigen sich die Probleme nur deutlicher,
die unseren etablierten Parteien überall auf die Füße fallen werden.
Typisch für die defensive
Argumentation der Verteidiger der etablierten Parteien ist der
Versuch, durch das Zusammenrücken von linken und mittig-rechten
Parteien der AfD Paroli zu bieten. So soll sich die Linkspartei mit
der Union zusammentun. Das dürfte die AfD freuen, denn damit wird
die Linkspartei als Alternative ausgeschaltet. Es ist ziemlich
dämlich zu glauben, dass man durch einen Mitte-Konformismus die AfD
in Schach halten könnte. Nur die Bildung neuer Alternativen links
der Mitte ermöglicht eine Stärkung der Demokratie.
KÖPPING, Petra
(2018): Ostdeutschland oder Das große Beschweigen.
Wie die Fehler der Nachwendezeit
unsere Demokratie vergiften,
in:
Blätter für deutsche und internationale Politik, Oktober
SCHRÖDER, Jens
(2018): Cover-Check: Spiegel erfolgreich mit umstrittenem
Sachsen-Titel, Focus floppt mit "Zeitbombe Altersvorsorge".
in: meedia.de v. 02.10.
LASCH, Hendrik
(2018): Ein-Personen-Wahl in Sachsen.
Rico Gebhardt will die Linke in die
Landtagwahl 2019 führen - jetzt stimmt die Basis ab,
in: Neues
Deutschland v. 04.10.
Hendrik LASCH berichtet über die Simulation von
Basisdemokratie bei der Linkspartei, die eher an die letzten Tage
der SED in der DDR erinnert. Offenbar ist die Linkspartei derart
schwach, dass es kein fähiges Spitzenpersonal mehr gibt, das ein
Konkurrenzangebot machen könnte. Die AfD darf sich freuen, dass die
Linkspartei an ihrer Selbstabschaffung arbeitet.
RIEL, Art von
(2018): "In Sachsen ist Schwarz-Blau möglich".
Der Politologe Christoph
Butterwegge über Ursachen für den AfD-Aufstieg und Strategien gegen
Rechtspopulismus,
in: Neues
Deutschland v. 05.10.
Anlässlich der Veröffentlichung
des Buches
Rechtspopulisten im Parlament von Christoph BUTTERWEGGE,
Gudrung HENTGES und Gerd WIEGEL wird der
Ex-Bundespräsidentschaftskandidat und Politikwissenschaftler
BUTTERWEGGE zum Aufstieg der AfD befragt. BUTTERWEGGE gehört zu den
wenigen Wissenschaftler, die den zentralen Zusammenhang zwischen
Neoliberalismus, Armut und demografischen Wandel als Ursachen für
den Aufstieg der AfD in die öffentliche Debatte einbringen. Für
BUTTERWEGGE beruht der politische Erfolg darin, dass sie drei
Milieus für sich gewinnen kann: die verunsicherte Mittelschicht, die
Prekarisierten und die Wendeverlierer. Ihr Erfolg beruht zudem
darauf, dass sie sich bei der sozialen Frage durchlavieren konnte,
weil die Mainstreammedien ihnen durch das Eingehen auf ihre
Lieblingsthemen kräftig unter die Arme griffen. Die Zukunft der AfD
entscheidet sich für BUTTERWEGGE deshalb auf dem Felde der
Sozialpolitik, insbesondere in der Rentenpolitik:
"Nach den Wahlen in Bayern
und Hessen wird sie in allen Landesparlamenten vertreten sein.
(...) Im nächsten Jahr soll sich ein Bundesparteitag mit der
Sozial- und Rentenpolitik beschäftigen. Das ist bisher ein
blinder Fleck der AfD, die schon seit über fünf Jahren existiert
und noch immer kein Rentenkonzept hat. Vielleicht steht die
Partei vor ihrer größten Zerreißprobe. Denn das Konzept von
Höcke und seines Thüringer Landesverbandes würde die gesetzliche
Rentenversicherung stärken, das von dem Bundesvorsitzenden Jörg
Meuthen und der Faktionschefin Alice Weidel favorisierte Modell
setzt dagegen in wirtschaftsliberaler Manier auf die private,
finanzmarktabhängige Altersvorsorge. Beide wollen Ausländer bei
der Alterssicherung benachteiligen, was verfassungswidrig ist,
und kinderreiche Familien besserstellen. So soll mit der
Rentenpolitik auch Bevölkerungspolitik gemacht werden."
Eine Prognose über den Ausgang
der innerparteilichen Kontroverse mag BUTTERWEGGE nicht abgeben. In
Sachsen hält der Politikwissenschaftler eine Koalition von AfD/CDU
nach der Landtagswahl durchaus für möglich:
"Gut drei Jahre lang war ich
Mitglied in einer Enquetekommission des sächsischen Landtages zum
demografischen Wandel. Dort war noch nicht die AfD, aber dafür die
NPD vertreten. In der CDU-Fraktion waren ideologische
Überschneidungen mit ultrarechten Kernideologien nicht zu
übersehen. Zwar sprechen sächsische CDU-Politiker lieber von
Patriotismus als von Nationalismus. Im Hinblick auf die
demografische Entwicklung teilen sie aber die Befürchtung der AfD,
das deutsche Volk und die Sachsen könnten aussterben. Die
sächsische CDU hat solche Positionen hoffähig gemacht und somit
den Boden für Pegida und die AfD bereitet."
Eine Koalition von Linkspartei
und CDU schließt BUTTERWEGGE nicht rundweg aus, sondern macht sie
davon abhängig, dass dann die Differenzen deutlich sichtbar gemacht
werden müssten. In diesem Punkt scheint BUTTERWEGGE eher naiv zu
sein. Dass dies nicht klappen kann, das sieht man an der Situation
der SPD im Bundestag. Sie mag mit dem Rentenvorstoß von Olaf SCHOLZ
zwar ihre Differenzen zur CDU-Rentenpolitik dargestellt haben, ob
das jedoch von den Wählern goutiert wird, darf doch sehr bezweifelt
werden, denn am Ende zählt lediglich das was auch politisch
umgesetzt wurde. Die Linie von Sahra WAGENKNECHT beurteilt
BUTTERWEGGE folgendermaßen:
"Aus meiner Sicht ist es
falsch, so zu tun, als würden die Flüchtlinge und die deutsche
Unterschicht zueinander in einem Interessengegensatz stehen. Das
scheint zwar so (...) Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass es
lange vor der »Flüchtlingskrise« zu wenig Arbeitsplätze und
bezahlbare Wohnungen gab. Die genannten Probleme sind lediglich
klarer hervorgetreten, jedoch nicht durch die Flüchtlinge
entstanden. Folgt man einer marxistischen Analyse, besteht der
Interessengegensatz zwischen dem Finanzkapital und den
Lohnabhängigen, unabhängig von deren Herkunft. Nur wenn
»Aufstehen« die soziale Frage weiterhin als zentrales Problem der
Gesellschaft behandelt, vermeidet die Sammlungsbewegung eine
falsche Frontstellung."
BUTTERWEGGE lässt es also im
Grunde offen, ob die Bewegung diesen Grundsätzen folgt oder nicht,
sondern gibt lediglich Kriterien zur Beurteilung der Bewegung vor.
Das Grundproblem besteht jedoch darin, dass sie Mainstreammedien
keineswegs objektiv über die Ursachen von Problemen berichtet,
sondern sie politisch instrumentalisieren. Es nützt kaum etwas, wenn
Zusammenhänge bestritten werden, die in der Öffentlichkeit aber von
(fast) allen Seiten so dargestellt werden.
Es lässt sich nachweisen, dass
z.B. beim Wohnungsthema das Fehlen von Wohnungen für Singles erst um
das Jahr 2015 thematisiert wurde, denn vorher wurden Singles für die
Wohnungsnot verantwortlich gemacht, statt dass für den Bau von
preiswerten Singlewohnungen plädiert wurde. Von daher ist es kaum
verwunderlich, dass Flüchtlinge nun als perfekte neue Sündenböcke
für strukturelle Probleme erscheinen. Indem die Medien Sündenböcke
präsentieren, statt über strukturelle Probleme aufzuklären, sind sie
mitverantwortlich für die Eskalation von Gewalt in Deutschland. Die
Rolle der Medien bleibt in der Rechtspopulismus-Debatte zu
unterbelichtet.
LAHRTZ, Stephanie (2018):
Ein radikaler Unterschied.
Sachsen ist ein besserer Nährboden
für Rechtsextremismus - dafür gibt es Gründe,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 09.10.
Stephanie LAHRTZ sieht
in der Schwäche der Zivilgesellschaft und dem fehlenden Eingreifen
der staatlichen Stellen das sächsische Hauptproblem und bescheinigt
Bayern, dass es durch das härtere staatliche Eingreifen einen Export
des Rechtsextremismus nach Sachsen geschafft habe. Ob man dies als
einen Erfolg werten darf, ist eine andere Frage.
LASCH, Hendrik (2018): Ein Haushaltstag für das
Selbstbewusstsein.
ND-Tagesthema: Die sächsische
SPD-Politikerin Petra Köpping über Anerkennung für Ostdeutschland und
Enttäuschung über Merkel,
in: Neues Deutschland
v. 10.10.
LASCH, Hendrik (2018): Auf der Suche nach den
Gründen der Wut.
ND-Tagesthema: Petra Köpping will,
dass über den Osten nicht mehr nur im Osten geredet wird - ihr erstes
Buch soll dazu beitragen,
in: Neues Deutschland
v. 10.10.
RÖSLER, Jörg
(2018): 1990 - Liquidierte Stadt.
Zeitgeschichte: In
Chemnitz
bemüht sich die Treuhandanstalt, eine ganze Industriemetropole
einzuebnen. Werkzeug- und Textilmaschinenbau fristen jetzt nur
noch ein Schattendasein,
in: Freitag
Nr.42 v. 18.10.
KEILHOLZ, Christine (2018): Wurzelfäule.
In Sachsen bringt's nichts
mehr, in der CDU zu sein,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 21.10.
Wenn es
in einer politischen Partei keine sicheren Posten mehr zu
vergeben gibt, dann macht sich das Spitzenpersonal auf und
davon. Christine KEILHOLZ präsentiert zwei prominente Fälle
aus der Sachsen-CDU: zum einen
Thomas FEIST, der seinen Leipziger Bundestagswahlkreis
(Wahlkreis 153 Leipzig II) an die Linkspartei verlor und
Patrick SCHREIBER, dem im
Wahlkreis 45 Dresden 5 (inklusive hipper Dresden-Neustadt)
das selbe Schicksal bei der nächsten Landtagswahl ereilen
könnte und deshalb
nicht mehr antreten will:
"Mit
Patrick Schreiber wirft ein liberaler Kopf hin, der in
der Lage war, auch fortschrittliche Großstädter für die
Christdemokraten zu gewinnen. Schreiber ist Werbefachmann,
Unternehmer und Reserveoffizier. Solche Leute gehen der
Sachsen-CDU nun von der Fahne - und das vor der
entscheidenden Wahlschlacht."
Die AfD wird als
Angstgegner der CDU beschrieben, denn sie kann der Partei die
entscheidenden Stimmen kosten, was viel über die
grundsätzliche Nähe beider Parteien aussagt.
Enttäuschte Politiker suchen die Schuld nicht bei der eigenen
Partei, sondern bei den doofen Wählern:
"Was positiv ist, wird
nicht mehr der Politik zugeschrieben. Was negativ ist, wird
nur der Politik zugeschrieben."
Dass die CDU bislang von
solchen Zuschreibungsprozessen profitiert hat, hieße dies im
Umkehrschluss. Dass einer Partei Erfolge zugeschrieben werden,
für die sie gar nichts getan hat, das wird gerne mitgenommen.
Die Sachsen-CDU lebte lange gut von ihrer glorreichen
Vergangenheit und neoliberalen Kennziffern, die angeblich
Sachsen zum Musterknabe gemacht haben. Doch nun zeigen sich
die Folgen dieses Ausruhens auf früheren "Erfolgen".
Fazit: Was der SPD im Bund
passiert, das passiert mittlerweile auch in der Sachsen-CDU.
Die Bayern-Wahl war dafür nur ein Vorgeschmack. Im November
sollen die
CDU-Kandidaten für die 7 Dresdener Direktmandate nominiert
werden.
LASKUS, Marcel
(2018): Kratzer in der Platte.
Elternhaus: Der Rapper
Trettmann glaubte, seine Heimat
Chemnitz hinter sich gelassen
zu haben. Dann kamen die Neonazis. Und Trettmann merkte, dass
er die Stadt nicht so einfach loswird,
in: Die
ZEIT Nr.45 v. 31.10.
LASCH,
Hendrik (2018): Willkommen in der Pampa.
Weißwasser: Viele Städter träumen vom
Landleben. Oft bleibt es bei der Idee. Eine Initiative in der
Oberlausitz aber will Interessenten zum Schritt ins Dorf
ermutigen - und als "Raumpioniere" gewinnen,
in: Neues
Deutschland v. 03.11.
LASCH, Hendrik
(2018): Viel Hass und eine nervöse Mitte.
Dritter Sachsen-Monitor offenbart
anhaltend verbreitete Ressentiments im Freistaat,
in:
Neues Deutschland
v. 14.11.
"Der
Lehrermangel ist das gravierendste Problem in Sachsen.
Dieser Aussage stimmt beim jetzt vorgelegten dritten
Sachsen-Monitor jeder Fünfte der gut 1.000 Befragten zu. Der
Wert stieg binnen Jahresfrist um sieben Prozentpunkt",
berichtet Hendrik LASCH.
LASCH, Hendrik
(2018): "Der Kunde muss schwelgen können".
Chemnitz:
Buchhandlung »Lessing
und Kompanie«: Die Buchhändler Susanne Meysick und Klaus Kowalke
über Buchverkauf in Zeiten des Internets, Beschränkung auf
Wesentliches und ihren Laden a politischer Ort,
in:
Neues Deutschland
v. 17.11.
KEUCHEL, Jan
(2018): Weißes Gold, rote Zahlen.
Meissen: Die Porzellan-Manufaktur
schreibt seit Jahren Verluste. Trotzdem pumpt Sachsen weiter
Steuergelder in die Firma. Ein Fall für den Staatsanwalt,
in:
Handelsblatt
v. 23.11.
Jan KEUCHEL geht Verstrickungen zwischen der landeseigenen
Meissen-Porzellan-Stiftung, der Manufaktur und der
Landesregierung nach und fragt, ob Investitionsmittel nicht nur
zur Schuldentilgung eingesetzt wurden. Die NZZ spricht
von Meissen als "Corporate-City".
BAYER, Felix
(2018): Mit der Faust in die Welt schlagen von Lukas Rietzschel.
Debüt des Jahres: Ein 24-Jähriger
aus Görlitz hat aus der irregeleiteten Wut der Jugendlichen im
Osten einen Roman gemacht,
in:
Spiegel Nr.48 Literaturbeilage
v. 24.11.
"Eine
Kausalität zur rechten Gewalt (...) stellen weder Autor noch
Buch her.
Lukas Rietzschel hat zwar Politikwissenschaft studiert und einen
politischen Antrieb gehabt, gerade diesen Roman zu schreiben
(...). Aber politische Antworten will Lukas Rietzschel dennoch
finden. Seit Kurzem engagiert er sich im Görlitzer Ortsverein
der SPD", meint Felix BAYER.
THIEL, Thomas
(2018): Gebt uns unseren Zorn zurück.
Sprachlos im Osten: Lukas
Rietzschels glänzender Debütroman "Mit der Faust in die Welt
schlagen",
in:
Spiegel Nr.48 Literaturbeilage
v. 24.11.
Thomas THIEL erzählt uns erst langatmig seine Weltsicht auf das
ostdeutsche Trauma, das er mit dem psychiatrischen Begriff der
"posttraumatischen Verbitterungsstörung" umschreibt. Den Begriff
"Verbitterung" hat der Soziologe
Heinz BUDE
populär gemacht, der bis 2016 der Stichwortgeber der Berliner
Republik war, aber durch das unerwartete Erstarken der AfD auf
dem falschen Fuß erwischt wurde. Seitdem ist die Zeit neuer
soziologischer Zeitdiagnostiker in den Medien angebrochen, z. B.
Cornelia KOPPETSCH ("Die Wiederkehr der Konformität") als
Alternative zum gehypten Kulturalisten Andreas RECKWITZ
("Gesellschaft der Singularitäten") . Was bei THIEL bleibt, ist
dünne konservative Kulturkritik der bedrohten Printmedien gegen
die moderne Welt des Internets und der Kommunikationsmedien:
"Die literarische Spurensuche
in der sächsischen Wutlandschaft erscheint (...) als Protest
gegen eine von stummen Menschen bewohnte Welt der Klingeltöne."
LASCH, Hendrik
(2019): Die Basis macht Gebhardt zum Boss.
Sachsens Linke-Fraktionschef bei
Mitgliederentscheid zum Spitzenkandidaten für Landtagswahl 2019
gewählt,
in:
Neues Deutschland
v. 03.12.
Hendrik LASCH berichtet über die alternativlose Wahl durch die
Basis, die einer Farce gleichkommt.
Die Wahl zeigt, dass die Linkspartei in Sachsen eine eklatante
Schwäche aufweist.
USLAR, Moritz von (2018): Innere Einkehr auf
Sächsisch.
Chemnitz: Wie wird gefeiert, wenn
der Ruf ramponiert ist? Ein besinnlicher Spaziergang über den
Weihnachtsmarkt,
in: Die ZEIT
Nr.51 v. 06.12.
GERTZ, Holger (2018): Nischels Jahr.
2018 wurde der 200. Geburtstag von
Karl Marx gefeiert, ein nicht nur von linken Romantikern nach wie vor
verehrter Denker. Das Bild des Jahres aber war das Marx-Monument in
Chemnitz, vor dem sich Rechte versammelten. Wie konnte das passieren?
in: Süddeutsche
Zeitung v. 29.12.