[ Übersicht der Themen des Monats ] [ Rezensionen ] [ Homepage ]

 
       
   

Kommentierte Bibliografie

 
       
   

Chemnitz im demografischen Wandel

 
       
   

Eine Großstadt, der ein Abstieg ohne Ende prophezeit wurde (Teil 2)

 
       
     
   
     
 

Einführung

Der sächsischen Großstadt Chemnitz wurde von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung noch im Jahr 2006 ein Abstieg ohne Ende prophezeit. Die Einwohnerzahl könnte sogar unter 200.000 fallen, wurde uns erzählt. Im Jahr 2019 liegt Chemnitz jedoch eher bei 250.000 Einwohnern, obwohl die Großstadt immer wieder negative Schlagzeilen machte. Kann sich also Chemnitz von seinem negativen Image befreien oder stoßen hier die geplanten Gentrifizierungsprozesse an ihre Grenzen? Diese Frage steht im Mittelpunkt dieser Bibliografie.     

Kommentierte Bibliografie (2018 - 2019)

2018

HOYER, Niklas u.a. (2018): Das Heimspiel.
Immobilienatlas 2018: Der sagenhafte Anstieg der Haus- und Wohnungspreise geht weiter - noch. Unser Ranking der 50 größten Städte zeigt, wo der Markt überdreht und wo ein Kauf noch lohnt,
in:
WirtschaftsWoche Nr.7 v. 09.02.

25 Städte haben 200.000 Einwohner bis 500.000 Einwohner. Chemnitz liegt hier auf dem letzten Platz.

KOWALSKI, Matthias (2018): 401-mal Deutschland.
Regional-Ranking 2018: Wachstum und Stillstand. Job oder Warteschleife. Sicherheit oder Kriminalität, Stadt versus Land: Der neue große Focus-Vergleich der Wirtschafts- und Lebensumstände in allen 401 Landkreisen und kreisfreien Städten offenbar eine erstaunlich zerrissene Bundesrepublik,
in:
Focus v. 10.02.

Tabelle: Chemnitz im Focus-Regionenranking
Rang 2018
 
Rang 2016 Rang 2015 kreisfreie Stadt bzw. Landkreis Rang 2018 Rang 2016 Rang 2015
Sachsen

Deutschland

6 6 3 Chemnitz (Stadt) 333 320 330

LASCH, Hendrik (2018): Chemnitzer "Eiffelturm" gerettet.
Eisenbahnbundesamt verpflichtet Deutsche Bahn zum Erhalt eines einzigartigen Viadukts,
in:
Neues Deutschland v. 05.06.

Hendrik LASCH berichtet über den Erfolg der Bürgerinitiative Viadukt e.V. in Chemnitz, die den Abriss einer Eisenbahnbrücke in Chemnitz verhindert hat. Dabei ging es auch um eine Kostenschätzung der Bahn:

"Die Bahn ging von 12,3 Millionen für einen Neubau und 20,2 Millionen für die Sanierung aus. Kritiker warfen ihr vor, die erstere Variante schön- und den Erhalt der alten Brücke schlechtzurechnen. Inzwischen geht man für beide Varianten von 16 bis 17 Millionen Euro aus."

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG-Serie: Gipfelstürmer

WILKE, Felicitas (2018): Gemeinsam groß denken.
SZ-Serie Gipfelstürmer: Chemnitz hat eine lange Tradition als Stadt der Ingenieure - und längst eine kleine, innovative Start-up-Szene. Doch das Neue, das in den alten Industriegebäuden entsteht, wird von etablierten Unternehmen teils kritisch beäugt,
in: Süddeutsche Zeitung v. 21.08.

Wer wie Felicitas WILKE über Chemnitz schreibt, der zitiert immer noch Kraftklub, obwohl das schon sechs Jahre her ist und Chemnitz so trostlos ist wie sein ehemaliger Manchesterkapitalismus tot ist:

"Chemnitz, das war mal das »sächsische Manchester«. Zur Zeit der Industrialisierung siedelten sich in der Stadt zahlreiche Maschinenbauer an. In den 1840er-Jahren entwickelte Louis Schönherr hier den mechanischen Webstuhl; später in den Dreißigerjahren, fusionierten in Chemnitz mehrere Motorenwerke aus der Region zur Auto-Union und machten die Stadt zu einer Wiege der deutschen Automobilindustrie. Dann kam der Krieg, der die Innenstadt fast komplett zerstörte. Aus Chemnitz wurde Karl-Marx-Stadt, ein Ort in einem Land, das seine Bürger nicht gerade ermutigte (...).
Heute gilt Chemnitz als eine der ältesten Städte in Europa: Knapp die Hälfte der Einwohner ist über 50. Von den 1980ern an schrumpfte die Bevölkerung um ein Viertel,, doch seit ein paar Jahren wächst die Stadt wieder und zählt heute knapp 250.000 Einwohner. An der Technischen Universität studieren 11.000 junge Menschen, rund ein Viertel aus dem Ausland",

erzählt uns WILKE über die Stadt, weil die Start-up-Szene eher belanglos ist und sich diejenigen, die sich für die Zukunft halten, in einem Viertel eingeigelt haben:

"Wer sich aber dafür entscheidet, nach Chemnitz zu kommen, lebt meist auf dem Kaßberg, einem Viertel voll sanierter Häuser aus der Gründerzeit, wie sie schöner auch in Prenzlauer Berg stehen."

Es ist übrigens auch schon 6 Jahre her, dass der Kaßberg dafür herhalten musste, dass Chemnitz als "Sachsens Paris" angepriesen wurde.

KUHLBRODT, Jan (2018): Kindheit in Chemnitz.
Warum ich gerade sehr an die besorgten Bürger meiner Jugend in Karl-Marx-Stadt denken muss,
in: Süddeutsche Zeitung v. 31.08.

Jan KUHLBRODTs Artikel zeigt die ganze Arroganz unserer kreativen Klasse. In den 1990er Jahren feierten die Linken noch die besseren Partys (so jedenfalls will es die Legende) und wer nicht links war, der hatte keine Ahnung vom guten Leben, sondern war - mit Andreas RECKWITZ gesprochen - ein Lifestyletrottel.

"Meine Freunde (...) werden in den Diskurs zurückkehren, wenn die Biertrinker wieder frustriert in ihren Kneipen sitzen. Weil meine Freunde einfach die bessere Musik machen und die besseren Bilder malen, weil sie die interessanteren Menschen sind",

entgegnet Jan KUHLBRODT, dem man in den 1980er Jahren das Etikett "Skinhead" verpasst hätte, hätte er nicht in der DDR gelebt.

Kann man das Problem des Rechtspopulismus mit den Mitteln neubürgerlicher Distinktion bekämpfen wie die kulturalistische Linke zu glauben scheint? Oder führt ein solcher "Stylewar" nicht vielmehr zur Verkennung der Lage? Wer wie KUHLBRODT meint, den Gegner auf dem Felde des Lifestyles schlagen zu können, könnte in den nächsten Jahren sein blaues Wunder erleben. Es reicht nicht aus, den Gegner mit Etiketten wie "Biertrinker" zu belegen und ihren Lebensstil als unterlegen abzuwerten. Das mag das eigene Selbstwertgefühl heben, aber an der politischen Situation ändert sich nichts.

Fazit: Die Linksliberalen haben ihre Deutungshoheit verloren und versuchen das nun mit Distinktion zu kompensieren. Das sagt mehr über die desolate Lage aus, als es jede öffentliche Debatte könnte.

KAUL, Martin & Volkan AGAR (2018): Kampf um Chemnitz.
Nahaufnahme: Zwei Männer stehen im Stadtrat in der letzten Reihe und trauern um den erstochenen Daniel H. Es ist das Einzige, was den Rechten Martin Kohlmann und seinen Gegner Lars Fassmann verbindet,
in: TAZ v. 31.08.

BECKER, Kim Björn (2018): Nicht mehr dieselbe Stadt.
Viele Chemnitzer verstehen ihre Heimat nicht mehr. Doch wer nach Lösungen fragt, wird ausgelacht - das sei Aufgabe der Politik, nicht der Bürger,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 01.09.

Kim Björn BECKER beginnt seine Reportage im Plattenbauviertel des Stadtviertels Chemnitz-Kappel, wo der schwache sächsische Ministerpräsident Michael KRETSCHMER einen Auftritt hatte, der von den Ereignissen in Chemnitz überrollt wurde.

NIMZ, Ulrike (2018): Kapitalfehler.
Seit der Mob die Straßen übernahm, ist Chemnitz zum Spielfeld von Neonazis, Rassisten und all denen geworden, die den Osten gerne abschreiben. Was ist nur los in dieser Stadt,
in: Süddeutsche Zeitung v. 01.09.

Die Medien lassen sich von den Rechten inzwischen die Debatten und die Orte vorschreiben über die sie berichten müssen. Das ist die Kehrseite einer neoliberalen Politik der Stärkung der Starken, denn über die strukturschwachen Gebiete wird nur geschrieben, wenn Wahlkämpfe drohen oder die Ereignisse es erzwingen. Die mediale Konjunktur der Berichterstattung beschreibt Ulrike NIMZ folgendermaßen:

"Lange schrieben Reporter lieber Texte über das boomende Leipzig oder das barocke Dresden. Chemnitz war die Stadt mit dem Demografie-Problem, spätestens 2030 wäre sie die älteste Metropole Europas, wenn nicht ein Wunder geschieht. Dann kam die Band Kraftklub. Groß geworden in den Proberäumen der Stadt, goss sie das Loser-Image in Gold- und Platinplatten. Seit 2013 veranstaltet die Band mit Freunden das Kosmonaut Festival an einem nahe gelegen Stausee. (...).
In diesem Jahr begeht Chemnitz sein 875. Ju
biläum. Das Stadtfest am vergangenen Wochenende sollte ein besonders sein. (...). Nach dem Tod von Daniel H. wurde die Feier vorzeitig abgebrochen. Seitdem ist Chemnitz die Stadt mit dem Neonaziproblem."

Chemnitz ist nicht erst seitdem die Stadt mit dem Neonaziproblem. Bereits 2005 fuhr Axel RÜHLE wegen NPD-Erfolgen in Sachsen nach Chemnitz. 2006 ist Chemnitz Schlusslicht beim Demografie-Index des neoliberalen INSM-Städteränkings. 2008 legt die neoliberale Privatstiftung Bertelsmann nach: Chemnitz gilt gegenüber Dresden und Leipzig als abgehängt. Im gleichen Jahr wird Chemnitz im INSM-Städteranking als Aufsteiger gefeiert, weil dort die Lebenshaltungskosten besonders niedrig sind. 2010 prognostiziert EUROSTAT, dass Chemnitz im Jahr 2030 die älteste EU-Region unter 281 Regionen sein wird. 2012 bekennt das unter urbanen Kosmopoliten angesagte Musikmagazin Intro (das zusammen mit Neon eingestellt wurde), dass es das Phänomen Kraftclub unterschätzt hat. Man kann dies als das Datum ansehen, an dem den urbanen Kosmopoliten ihre heile Welt abhanden gekommen ist - ohne dass sie es begriffen hätten. 2015 entdeckt die FAZ, dass Chemnitz die Gründer lockt. 2016 wundert sich das neoliberale Berlin-Institut (das forderte, dass entlegene strukturschwache ländliche Gebiete von der Politik aufgegeben werden sollen), dass Chemnitz wächst, statt zu schrumpfen. Im gleichen Jahr entdeckt der neoliberaler Zukunftsatlas Chemnitz als Gründerstadt. Ebenfalls im gleichen Jahr ernennt das neoliberale Empirica-Institut Chemnitz zur Schwarmstadt, obwohl es (noch) nicht den eigenen Kriterien genügt. Ende 2016 entdeckt die FAZ, dass der totgesagte Chemnitzer Immobilienmarkt eine neue Dynamik entwickelt, was vor allem die Investoren freut. 2017 wird im neoliberalen Focus-Städteranking Chemnitz der vorletzte Platz vor Gelsenkirchen unter den 30 größten Städten zugewiesen. Die Welt entdeckt dagegen im gleichen Jahr Traumrenditen im Chemnitzer Immobilienmarkt. Im neoliberalen Zukunftsindex wird Chemnitz 2017 ein Platz im letzten Drittel von 70 Großstädten zugewiesen. Im diesjährigen Focus-Regionen-Ranking wendet sich die Entwicklung wieder zum Schlechteren. Im Juni feierte das Neue Deutschland noch die Rettung eines Chemnitzer Wahrzeichens durch bürgerschaftliches Engagement.

Man könnte sich fragen, wie es zu dieser Entwicklung kam, aber stattdessen geben sich die Medien lieber aufgezwungenen Konjunkturen hin.

"Chemnitz, das ist die Stadt der vielen Wirklichkeiten. Nirgendwo sieht man das besser als auf dem Sonnenberg, wo sich sanierte Jugendstilfassaden an blinde Schaufenster reihen. Das einstige Problemviertel im Osten der Stadt ist beliebt bei Künstlern und Studenten, weil das Gespenst der Gentrifizierung hier noch nicht umgeht, die Mieten niedrig sind und die Freiräume groß. (...).
Das Stadium des Chemnitzer Fußballclubs liegt auf der anderen Seite des Sonnenbergs",

erzählt uns NIMZ. Als vor kurzem noch niemand die kommenden Ereignisse ahnte, da erzählte uns die SZ von der anderen Wirklichkeit: Kaßberg liegt auf der anderen Seite des Zentrums. Dort leben jene Kreativen, die es geschafft haben und keine Pioniere der Gentrifizierung mehr sind, sondern als Gentrifier die Gentrifizierung nach der ersten Pionierphase vorantreiben.

Könnte man auch über Segregation schreiben? MÜHL & WITZECK erklärten uns in ihrer gestrigen Story zur geteilten Stadt Erfurt:

"Während andere ostdeutsche Städte wie Magdeburg und Dresden nach dem Krieg wieder aufgebaut und ihre herkömmlichen Aufteilungen neu geordnet wurden, ist das soziale Gefüge in Ehrfurt historisch gewachsen."

Ist Segregation also nur ein Problem von unzerstört gebliebenen Städten?

"Seit Jahren marschieren im Frühjahr Neonazis durch Chemnitz, weil alliierte Bomber am 5. März 1945 große Teile der Industriestadt in Schutt und Asche legten. (...).
Das Rathaus ist eines der wenigen Gebäude, das nicht zerstört wurde im Zweiten Weltkrieg",

erzählt uns NIMZ.

"Insgesamt sind 2014 die Städte mit der höchsten ethnischen Segregation in ansteigender Reihenfolge Berlin, Halle, Magdeburg, Krefeld, Erfurt, Dortmund und Chemnitz mit einem Indexwert von über 30 Prozent" (2018, S.32),

heißt es in der Segregationsstudie Wie brüchig ist die soziale Architektur unserer Städte? des WZB. Die Wissenschaftler interessieren sich jedoch nicht für die ethnische, sondern nur für die soziale Segregation, die sie mit den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges in Verbindung bringen. Chemnitz weist einen geringen Ausländeranteil bei höchster ethnischer Segregation auf. Ähnliches gilt für Magdeburg und Dresden.

Fazit: Es ist erstaunlich, dass der Zusammenhang zwischen einem hohen Organisationsgrad der Rechten und hoher ethnischer Segregation bei einem geringen Ausländeranteil in keiner Berichterstattung überhaupt erwähnt wird.

PINKRAH, Nelly Y. (2018): Mein Paradies in Chemnitz.
Früher war der Garten meiner Großeltern für mich das Größte. Er liegt in jener Stadt, in der jetzt Menschen durch die Straßen laufen und ihre Hände zum Hitlergruß erheben,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 02.09.

WEISBROD, Lars (2018): Der brutale Trotz der Jugend.
Gibt es schon den Roman zu den Ausschreitungen von Chemnitz?
in:
Die ZEIT Nr.37 v. 06.09.

"Fast hilflos nehmen sich (...) die Versuche aus, einen Zusammenhang zu stiften zwischen dieser Jugend und der politischen Großwetterlage",

kritisiert Lars WEISBROD die Geschichte über zwei Brüder in Sachsen, die als Buch der Stunde gehandelt wird.

RICHTER, Peter (2018): Mitteldeutsch.
An jedem Ort in Sachsen geht es um Chemnitz. Es gibt aber noch ganz andere Geschichten, die erzählt werden müssen. Eine Landpartie im Spätsommer des Missvergnügens,
in: Süddeutsche Zeitung v. 07.09.

MALINOWSKI, Bernadette & Winfried THIELMANN (2018): Unser Chemnitz.
Eine Stadt als Chiffre,
in: Süddeutsche Zeitung v. 25.09.

Bernadette MALINOWSKI, Dekanin der TU Chemnitz 2013-2016 und Winfried THIELMANN, Prodekan von 2014 - 2016, Angehörige der Generation Golf, und aus Bayern nach Chemnitz gewechselt, verteidigen ihr gutbürgerliches Chemnitz gegen Nestbeschmutzer:

"(D)ie Stadt Chemnitz unter Führung der sozialdemokratischen Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig - die geschichtsträchtige Industriestadt ist seit 1993 kontinuierlich sozialdemokratisch regiert (...) ist (...) trotz ihres äußerst umsichtigen Agierens zu Unrecht in Kritik geraten, a ihr Vorfälle, die sich in der unmittelbar am Stadtrand befindlichen und allein vom Freistaat Sachsen kontrollierten Erstaufnahmeeinrichtung in Ebersdorf ereigneten, angelastet wurden. (...). Es soll hier auch nicht unerwähnt bleiben, dass die kleine Nachbargemeinde Stollberg, mit der wir in engem Austausch gestanden sind, unter der Führung ihres Bürgermeisters Marcel Schmidt (Freie Wähler Union) ebenso vorbildlich agiert hat.
Durch die Ankunft der Flüchtlinge in Chemnitz hat sich das Stadtbild grundlegend verändert. Man muss sich klarmachen, dass Chemnitz - abgesehen von seit Jahrzehnten hier lebenden Vietnamesen und natürlich der bunten Studierendenpopulation der internationalen TU Chemnitz - eine weitgehend bevölkerungshomogene Stadt gewesen ist. (...).
Man kann sagen, dass der Umgang mit Zuwanderung, der in Westdeutschland über etliche Jahrzehnte - und keineswegs unproblematisch - erlernt worden ist, für die Bürgerinnen und Bürger von Chemnitz eine Übernachtanforderung gewesen ist. (...).
Wenn dann ein bundesweit angereister rechtsradikaler (...) Mob (...) der Zivilgesellschaft das Fürchten lehrt, ist dies weder ein Versagen der Regierung der Stadt Chemnitz noch ein Versagen ihrer Bürgerinnen und Bürger, sondern es ist das Versagen der Exekutive, die es kontinuierlich versäumt, verfassungsfeindliche Aktionen gerichtswirksam zu dokumentieren, die Straftäter dingfest zu machen und der Anklage zuzuführen."  

HILDEBRANDT, Antje & Christoph SEILS (2018): Wird der Osten unregierbar?
Die Ereignisse von Chemnitz haben gezeigt, wie tief Deutschland gespalten ist. Im Osten profitiert davon nur die AfD. Die anderen Parteien hat ein Hauch von Panik erfasst,
in:
Cicero, Oktober

RÖSLER, Jörg (2018): 1990 - Liquidierte Stadt.
Zeitgeschichte: In Chemnitz bemüht sich die Treuhandanstalt, eine ganze Industriemetropole einzuebnen. Werkzeug- und Textilmaschinenbau fristen jetzt nur noch ein Schattendasein,
in: Freitag Nr.42 v. 18.10.

Jörg RÖSLER macht die neoliberale Privatisierungspolitik der Treuhandanstalt für die Verfestigung rechtsextremer Strukturen in Chemnitz mitverantwortlich:

"Die Arbeitslosigkeit, für Chemnitz seit den 1950er Jahren ein unbekanntes Phänomen, steigt bis 1994 auf über zehn Prozent (sie liegt heute mit 7,4 Prozent über dem sächsischen Durchschnitt von 6,4 und deutlich über dem Wert 2,9 im benachbarten Bayern).
(...): Die Einwohnerzahl der Stadt schrumpft in 28 Jahren von 294.000 auf 247.000. Es sind vorzugsweise junge, gut qualifizierte Leute, oft ganze Familien, die Chemnitz verlassen. Der Rückgang des Anteils der bis 14-Jährigen von 18 auf 11 Prozent an der Chemnitzer Gesamtbevölkerung ist (...) die Konsequenz einer bisher irreversiblen Abwanderung. Auf der anderen Seite erhöht sich der Anteil der Rentner zwischen 1990 und 2017 von einem Siebtel auf ein Viertel der Gesamtbevölkerung.
Wer nach den Ursachen (...) sucht, stößt unweigerlich auf die Privatisierungen zwischen 1990 und 1994, die von der Treuhand begonnen und von der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) fortgesetzt worden ist."

LASKUS, Marcel (2018): Kratzer in der Platte.
Elternhaus: Der Rapper Trettmann glaubte, seine Heimat Chemnitz hinter sich gelassen zu haben. Dann kamen die Neonazis. Und Trettmann merkte, dass er die Stadt nicht so einfach loswird,
in: Die ZEIT Nr.45 v. 31.10.

"Wohngebiet Fritz Heckert. Hier wuchs Trettmann auf, unter seinem bürgerlichen Namen Stefan Richter, mit Bruder und Mutter in der fünften Etage eines Blocks, unverputzt und grau. (...).
Das Heckertgebiet war die drittgrößte Plattenbausiedlung der DDR, hier wohnten 1990 mehr als 90.000 Menschen. »Die Platten haben sie weggerissen«, sagt Trettmann. Dort wo früher sein Elternhaus stand, ist heute eine Wiese mit Hundekot und jungen Bäumen. (...). Plattenbauten in Schwarz-Weiß, kaum eine Kulisse strahlt mehr Street-Credibility aus. (...).
Anfangs hatte er noch versucht mit seiner sächsischen Identität berühmt zu werden (...) Seit Trettmann seine Herkunft in seiner Musik ganz ironiefrei verarbeitet, hat er Erfolg. (...).
Weil das Heckertgebiet auf einem Hügel liegt, ließ sich auch ferne Musik westlicher Radiosender empfangen. (...). Sein Bruder, der den Militärdienst bei der Volksarmee verweigert hatte, bekam die Erlaubnis, nach West-Berlin auszureisen (...) Er war der Erste in der Familie, der die Stadt verließ. (...). Als die Mauer fiel, änderte sich abrupt der Status, den man als Bewohner des einst beliebten Wohngebiets hatte. »Der Plattenbau wurde zu einem Urteil über Leute, die es nicht geschafft haben«, sagt Trettmann. (...).
Im Gegensatz zu anderen Bands aus Ostdeutschland wie Feine Sahne Fischfilet, die ihre Provinz in Mecklenburg-Vorpommern nie für längere Zeit verlassen haben, oder der Band Kraftklub, die als Chemnitzer zelebrieren, dass sie nicht nach Berlin wollen, ist Trettmann schon lange nicht mehr richtig da. Fast sein halbes Leben wohnt er in Leipzig, einer jungen Stadt, zu der man »Hypezig« sagt, weit weg vom ostdeutschen Klischee. Jeder Vierte hat Chemnitz seit der Wende verlassen.",

schreibt Marcel LASKUS, der die Biografie des ostdeutschen Rappers aus der Plattenbausiedlung mit einem Bild von Chemnitz verbindet, das die Gegensätze der Stadtviertel hervortreten lässt, aber vor allem mit feuilletonanschlussfähigen Klischeebildern aufwartet:

"Es ist noch nicht lange her, da hatte er den Eindruck, dass der Culture-Clash zwischen Ost und West vorbei sei. (...) Seit diesem Sommer weiß er, er hat sich geirrt.
Schletti parkt den Wagen in Chemnitz-Kaßberg, einem Viertel, in dem sich ein saniertes Jugendstilhaus an den nächsten imposanten Altbau reiht. Prenzlauer Berg auf Sächsisch. Heute ist der Kaßberg das bevölkerungsreichste Viertel von Chemnitz. »Sachsens Paris« sagen manche, und auch das gehört zu den inneren Widersprüchen der Stadt: Das ehemalige »Karl-Marx-Stadt« beherbergt eines der schönsten Jugendstilquartiere zwischen Prag und Brüssel. Trettmann zeigt auf eines der Häuser. (...) Dort habe er in seiner ersten WG gewohnt, zusammen mit Punks. (...).
Zwei Etagen unter ihm wohnten die beiden Kraftklub-Jungs bei ihren Eltern. Die Musiker der Indie-Band sind die anderen berühmten Künstler aus Chemnitz (...) Trettmann war so etwas wie ihr Babysitter."

Das urbane, kosmopolitische Milieu erscheint als Kiez, in dem jeder jeden kennt, und das einen krassen Gegensatz zum Plattenbaumilieu darstellt, das höchstens noch in der überwundenen Herkunft seine Spuren hinterlässt.      

LASCH, Hendrik (2018): "Der Kunde muss schwelgen können".
Buchhandlung »Lessing und Kompanie«: Die Buchhändler Susanne Meysick und Klaus Kowalke über Buchverkauf in Zeiten des Internets, Beschränkung auf Wesentliches und ihren Laden a politischer Ort,
in:
Neues Deutschland v. 17.11.

Hendrik LASCH spricht mit den Betreibern einer Buchhandlung auf dem Kaßberg in Chemnitz.

USLAR, Moritz von (2018): Innere Einkehr auf Sächsisch.
Chemnitz: Wie wird gefeiert, wenn der Ruf ramponiert ist? Ein besinnlicher Spaziergang über den Weihnachtsmarkt,
in: Die ZEIT Nr.51 v. 06.12.

Moritz von USLAR beschreibt die Scheußlichkeit des typisch deutschen Rathausmarktes in Chemnitz, auf dem der Weihnachtsmarkt eröffnet wurde.

"Trotz des Regens sind viele Chemnitzer zur Eröffnung (...) gekommen. Das grau-beige-braun gekleidete Rentnervolk - die Stadt hat eine der ältesten Bevölkerungen in Europa - ist praktisch vollständig angetreten. (...).
Chemnitz, die verletzte, die aufgeriebene Stadt. (...). Im nun zu Ende gehenden Jahr 2018 war die nach Leipzig und Dresden drittgrößte sächsische Stadt - mit ihren rund 250.000 Einwohnern ist Chemnitz auch die drittgrößte Stadt in den neuen Bundesländern - ein Zentrum, ein Brennpunkt der deutschen Politik",

fasst von USLAR zusammen und kommt anschließend nochmals auf die Ereignisse Ende August und die Krawalle zu sprechen, die eine "veritable Regierungskrise" ausgelöst haben sollen. USLAR spricht von sich nur als "der Reporter":

"Wie so viele Berliner hatte der Reporter am 3. September das Gegen-rechts-Konzert #wirsindmehr in der Chemnitzer Innenstadt besucht. Nun möchte er die Stadt einmal außerhalb des Ausnahmezustands erleben, sich auf dem Chemnitzer Weihnachtsmarkt umhertreiben, Vertreter der Zivilsgesellschaft treffen und gucken (...).
Eintritt in die Stadt, vom Bahnhof kommend: Die Plattenbauten hinter dem Opernhaus. Die für ostdeutsche Stadtzentren übliche Mischung aus Asia-Imbissen, Wettbüros, Spielotheken und dem Schnellrestaurant Vapiano. In so einer Umgebung ist dann endlich mal Schluss mit Gentrifizierung und Hipstertum. Es herrscht eine merkwürdig undepressive Stimmung, dafür ist der Plattenbau-Modernismus der DDR zu radikal".

USLAR wurde für sein Buch Deutschboden gescholten, weil er darin den Rechtsextremismus verharmlost hätte. Das war in der Vorweihnachtszeit vor zwei Jahren. Nun reiht er sich in dieses Anti-AfD-Bündnis ein, wobei das "linksliberale Bürgertum" nur am Rande ein Rolle spielt. Im Mittelpunkt steht das traditionelle Bürgertum und dessen Befindlichkeiten:

"Am Ende der Inneren Klosterstraße - hier findet der historische Weihnachtsmarkt statt, eine Art Manufactum-Abteilung des Marktes (...) - steht das Café Henrics (...), das In-Café von Chemnitz. Der Wirt (...) ist heute auf der Titelseite der Chemnitzer Morgenpost erschienen, jeden Tag um 16 Uhr proklamiert er, als Bergmann verkleidet, auf dem Markt ein Gedicht in sächsischer Mundart. (...). Natürlich müsse er als Unternehmer mehr kämpfen als in Leipzig oder Dresden, es gebe kaum Tourismus, die rund 10.000 Studenten der Stadt (IT-Technik, Maschinenbau), ein Großteil Inder und Bangladescher, stünden ihm weder als Personal noch als Gäste zur Verfügung: »Die gehen nicht in die Gastronomie, die schicken ihr Geld nach Hause«."   

GERTZ, Holger (2018): Nischels Jahr.
2018 wurde der 200. Geburtstag von Karl Marx gefeiert, ein nicht nur von linken Romantikern nach wie vor verehrter Denker. Das Bild des Jahres aber war das Marx-Monument in Chemnitz, vor dem sich Rechte versammelten. Wie konnte das passieren?
in: Süddeutsche Zeitung v. 29.12.

Die Reportage von Holger GERTZ beschränkt sich auf kosmopolitische Ressentiments, die in folgender Passage zum Ausdruck kommt:

"»Proletarier aller Länder, vereinigt euch.« Diese Aufforderung war (...) mit im Bild, als die Rechten sich vor Marx versammelten. (...). Wer zum Beispiel Didier Eribon gelesen hat, »Rückkehr nach Reims«, der weiß von der Fassungslosigkeit eines Intellektuellen, der heimkommt, nach Reims, wo die Arbeiter früher links gewählt haben, Kommunisten, Sozialisten. Und jetzt wählen sie Front National. Weil die schwer zu fassender Proletarier der Gegenwart nicht mehr automatisch eher Linke sind, SPD-Wähler, Gewerkschaftstypen, sondern auch schnell mal nach rechts rüberwechseln können - in dem Sinn jedenfalls, dass sie der AfD glauben, wenn sie behauptet, die neue Arbeiterpartei zu sein.
Proletarier aller Länder, vereinigt euch (...) ist mehr als eine Momentaufnahme, denn sie beschreibt weit über Chemnitz hinausgehend, ein Phänomen der Gegenwart. Die revolutionäre Klasse wird reaktionär. Marx hat's nicht vorausgesehen. Und die Sozialdemokratie in aller Welt hat noch keine Lösung gefunden, keine Antwort."

Didier ERIBONs Buch Rückkehr nach Reims beschreibt zuallererst die historischen Umstände des Aufstiegs eines Arbeiterkindes, der sich als Homosexueller in Abgrenzung zu seinem Herkunftsmilieu neu erfindet und als Intellektueller Teil jenes Milieus wird, das sich nicht mehr um die Belange der Arbeiterschaft kümmert, sondern eine neue klassenlose Identitätspolitik hervorbringt, die zur heutigen politischen Misere mit beigetragen hat. Nur vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, dass sich die politisch Alleingelassenen von den Regierungen abgewandt haben. Die AfD wird nicht gewählt, weil sie als neue Arbeiterpartei wahrgenommen wird, sondern weil sie - im Gegensatz zur zahnlosen Linken - erfolgreich die Regierung vorantreibt. "Proletarier" waren noch nie automatisch links wie uns GERTZ erzählt.

2019

PRIZKAU, Anna (2019): Chemnitz in echt und in Farbe.
Seit letztem Jahr denkt man an Skins, wenn man an Chemnitz denkt. Doch was geschieht da jetzt? Wenn man mit Frank Müller-Rosentritt, einem FDP-Politiker aus dem Osten, durch die Stadt geht, staunt man: wie eine Region mit autonom fahrenden Autos, gutem Rap und pragmatischen Demokraten die Lasten der Vergangenheit abzuschütteln versucht,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 07.07.

"Die Sätze des Politikers (...) sind voll FDP-haft und voller Worte wie Eigenverantwortung, Chancen-Nutzen und Mündigkeit - und nerven",

meint Anna PRIZKAU, deren Boulevardzeitungsstil nervt. Reine Zeitverschwendung, denn über Chemnitz erfährt der Leser nichts wirklich Neues.

SCHULTE, Ulrich (2019): Clash der Realitäten.
Landtagswahl in Sachsen: Den Grünen könnte in Ostdeutschland ein großer Erfolg gelingen. Parteichef Robert Habeck reist im Wahlkampf durch Sachsen. Dabei muss er erfahren, dass der Kampf gegen rechts manchmal schwieriger ist, als gedacht,
in:
TAZ v. 19.08.

Ulrich SCHULTE schreibt über einen Auftritt von Robert HABECK in Chemnitz und inszeniert das Spektakel als Sieg der Zivilgesellschaft, denn:

"Die rund 30 Sympathisanten von Pro Chemnitz brüllen los, sobald Robert Habeck die Bühne betritt. (...). Aber (...) der Applaus der 350 anderen ZuhörerInnen ist lauter. (...). »Die Geschichte des Abends war, dass der Platz mit demokratischen Mitteln gehalten wurde«",

wird HABECK zitiert. Doch die Antifa, die die Rechten lieber des Platzes verwiesen gesehen hätte, sieht das anders:

"(U)nvermittelt sind zwei Lebensrealitäten aufeinander geprallt. Die des Spitzenpolitikers, der morgen weiterreist. Und die der Leute, die jeden Tag mit Rassisten vor der Haustür leben müssen."

LOCKE, Stefan & Markus WEHNER (2019): Schwester Agnes und der Ostfaktor.
In Brandenburg weiß die Linke nicht, ob sie noch mal regieren will. In Sachsen wird sie nicht mehr stärkste Oppositionspartei,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 22.08.

"Vor allem in den Großstädten gewinnt sie junge Leute. In Leipzig gewann sie schon vor fünf Jahren ein Direktmandat - die anderen 59 holte wie stets die CDU. Diesmal sieht die Partei Chancen, in Leipzig, Chemnitz und Dresden mehrere Wahlkreise direkt zu gewinnen. Für eine Koalition mit SPD und Grünen aber würde es nicht reichen",

meinen LOCKE & WEHNER. Die Analysen von election.de und wahlkreisprognose.de sehen dagegen nur in folgenden Wahlkreisen Chancen der Linkspartei auf ein Direktmandat:

  WK 11 Chemnitz 2 WK 28 Leipzig 2 WK 29 Leipzig 3 WK 33 Leipzig 7
Election.de (24.08.2019) Susanne Schaper Juliane Nagel Adam Bednarsky -
Wahlkreisprognose.de (23.08.2019) - Juliane Nagel Adam Bednarsky Franz Sodann

Alle drei Direktmandate in Chemnitz gewann dann jedoch die CDU. In folgenden Chemnitzer Stadtteilen wurde die AfD stärkste Partei (Listenstimmen):

Tabelle: Stadtteile, in denen die AfD stärkste Partei bei der Landtagswahl 2019 wurde

Rang

Stadtteil Besonderes Merkmal Wahlkreis Listenstimmen
1 Einsiedel Erst seit 1997 zu Chemnitz gehörende Gemeinde 12 Chemnitz 3 37,26 %
2 Hutholz Teile gehören zur Plattenbausiedlung Fritz-Heckert 10 Chemnitz 1 36,48 %
3 Furth   11 Chemnitz 2 34,98 %
4 Kappel Teile gehören zur Plattenbausiedlung Fritz-Heckert 12 Chemnitz 3 33,20 %
5 Markersdorf Teile gehören zur Plattenbausiedlung Fritz-Heckert 12 Chemnitz 3 32,41 %
6 Altchemnitz   12 Chemnitz 3 32,28 %
7 Sonnenberg Überwiegend Gründerzeitviertel, das zur Gentrifizierung ansteht 11 Chemnitz 2 31,82 %
8 Helbersdorf Teile gehören zur Plattenbausiedlung Fritz-Heckert 12 Chemnitz 3 31,81 %
9 Morgenleite Teile gehören zur Plattenbausiedlung Fritz-Heckert 10 Chemnitz 1 31,77 %
10 Yorckgebiet Plattenbausiedlung 11 Chemnitz 2 31,06 %
11 Hilbersdorf   11 Chemnitz 2 29,91 %
12 Lutherviertel Geplante Gentifizierung des Gründerzeitstadtviertels 11 Chemnitz 2 25,05 %
13 Zentrum Innenstadt mit umkämpftem Brühl-Viertel 11 Chemnitz 2 23,18 %
Quelle: Chemnitz.de

Im Stadtteil Klaffenbach erhielt der AfD-Direktkandidat die meisten Stimmen (34,43 %), die AfD kam jedoch nur auf den zweiten Platz (31,34 %). Im Wahlkreis 10 Chemnitz 1 wurde die AfD in 2 der 13 Stadtteile stärkste Partei. Im Wahlkreis 11Chemnitz 2 gewann die AfD in 6 der 11 Stadtteile und im Wahlkreis 12 Chemnitz 13 siegte die AfD in 5 der 15 Stadtteile.

NIMZ, Ulrike (2019): Sächsische Klimakrise.
Landtagswahl in Sachsen: Kurz vor der Landtagswahl, bei der die AfD stärkste Kraft werden will, ist die Stimmung aufgeheizt. In Unternehmen und Politik wächst die Sorge um Image und wirtschaftliche Zukunft des Freistaats,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 27.08.

"Mehrere Firmen, jüngst Globalfoundries, haben Wahlaufrufe gestartet, in denen sie zumindest implizit davor warnen, den Populisten eine Stimme zu geben. (...).
In der Dreikönigskirche schilderte Andreas Bismarck, Chef des Chemnitzer Strickmaschinenherstellers Terrot und Sprecher von »Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen« die Lage wie folgt: Eine Reihe der etwa 70 Mitgliedsfirmen hätten schon Absagen erhalten, weil Bewerber befürchteten, sich in Sachsen nicht wohlzufühlen", schreibt Ulrike NIMZ.

LÖHR, Julia (2019): Die Stadt mit dem höchsten Leerstand.
Landtagswahl in Sachsen: Chemnitz steht im Schatten von Leipzig und Dresden. Woran liegt das?
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 27.08.

Julia LÖHR betrachtet die Lage in Chemnitz in erster Linie aus der Sicht von Lars FASSMANN, der uns folgendermaßen vorgestellt wird:

"Lars Fassmann, ein überzeugter Unternehmer aus Chemnitz, (...) ist in einem Vorort von Chemnitz aufgewachsen, er hat an der Technischen Universität studiert, und er ist, im Gegensatz zu anderen, danach in Chemnitz geblieben. Hat ein Softwareunternehmen namens Chemmedia gegründet, das heute 60 Mitarbeiter beschäftigt und in zwei Villen residiert. Und er hat inzwischen rund 30 Häuser in der Stadt gekauft, vor allem in dem einst so prächtigen und heute so heruntergekommenen Gründerzeitviertel Sonnenberg. Fassmann hat in den Altbauten nur das Nötigste saniert, vermietet sie dafür für wenig bis gar keine Miete an Künstler, in der Hoffnung, dass sich in Chemnitz eine kreative Szene ähnlich der in Leipzig entwickelt. (...).
Als »Bollwerk gegen den Extremismus« versteht Fassmann seine Künstlercommunity, seine Immobiliengeschäfte ffirmieren unter dem Namen »Bürger rettet Eure Stadt AG«"

Unerwähnt bleibt dagegen, dass FASSMANN von 2014 bis Mai 2019 für die Wählervereinigung Volkssolidarität Chemnitz (VOSI) im Stadtrat saß. Die Sitze der Wählervereinigung haben sich im neuen Stadtrat halbiert von zwei auf einen Sitz. Während FASSMANN auf Kreative setzt, fördert die Chemnitzer Wirtschaftsförderung lieber den traditionellen Mittelstand und die Industrie. Die Stadt wird seit 2006 von einer SPD-Oberbürgermeisterin regiert. Bei den letzten Stadtratwahlen hat die SPD fast die Hälfte der Sitze verloren (7 statt 12). Dagegen hat die AfD ihre Sitze fast verdreifacht (11 statt 3).

Am Schluss kommt ein TU-Professor zu Wort, der wie FASSMANN nur die Kreativen im Blick hat.

Der Leerstand in Chemnitz ist da nur am Rande ein Thema. Chemnitz ist auch nicht die Stadt mit dem höchsten Leerstand, sondern nur die Großstadt mit dem höchsten Leerstand:

"Schon 2011 hatte die Stadt nach den Zahlen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung die höchste Leerstandsquote einer deutschen Großstadt, knapp 14 Prozent."

Das heruntergekommene Gründerzeitviertel Sonnenberg soll gentrifiziert werden. FASSMANN gehört zu diesen Akteuren.

WEBER, Julian (2019): Die meisten haben die Klappe gehalten.
Die Wirtschaft wird's schon richten, und der Feind steht links. Die sächsischen Probleme haben mit der CDU zu tun, sind sich Musiker und Künstlerinnen in Chemnitz einig. Ein Besuch im ehemaligen "Sächsisch-Manchester",
in:
TAZ v. 30.08.

 
     
 
       
   

weiterführender Link

 
       
     
       
   
 
   

Bitte beachten Sie:
single-generation.de ist nicht verantwortlich für die Inhalte externer Internetseiten

 
   
 
     
   
 
   
© 2002-2019
Bernd Kittlaus
webmaster@single-generation.de Erstellt: 09. Oktober 2019
Update: 15. Oktober 2019