2017
BARTSCH, Michael (2017): Boomtown zulasten der
Mieter.
Gentrifizierung: Leipzig galt als
Mekka für Mieter. Wohnen war günstig, das Angebot an bezahlbaren
Wohnungen groß. Das ändert sich gerade. Doch die Menschen wehren sich,
in:
TAZ v. 05.01.
WELT
(2017): Wer Geld verdienen will, zieht nach Wolfsburg.
Die Stadt ist Spitzenreiter beim
Einkommen, der Erzgebirgskreis Schlusslicht. Ein Grund: die ungleiche
Verteilung der Geringverdiener,
in:
Welt v. 09.01.
Agenturmeldung über eine Antwort auf eine Anfrage der
Linkspartei-Abgeordneten Sabine ZIMMERMANN, deren Ergebnisse sie als
Verstoß gegen die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in
Deutschland interpretiert. Der folgenden Tabelle sind die Ergebnisse
der besten und schlechtesten vier Kreise bzw. kreisfreien Städte zu
entnehmen:
Kreise/kreisfreie
Städte mit höchstem Bruttomonatseinkommen |
Kreise/kreisfreie
Städte mit niedrigstem Bruttomonatseinkommen |
Wolfsburg (4.610
Euro) |
Görlitz (2.068 Euro) |
Ingolstadt (4.545
Euro) |
Kreis Elbe-Elster
(2.060 Euro) |
Ludwigshafen (4.491
Euro) |
Kreis
Vorpommern-Rügen (2.057 Euro) |
Erlangen (4.486 Euro) |
Erzgebirgskreis
(2.036 Euro) |
Es wird jedoch keine Jahreszahl angegeben. Gemäß Pressemeldung lag das
Medianbruttoeinkommen in Deutschland bei 3.084 Euro. Dies war im Jahr
2015 der Fall, sodass davon ausgegangen werden muss, dass auch die
anderen Zahlen für 2015 und nicht etwa für 2016 gelten.
POLLMER, Cornelius (2017): Ferner Osten.
Leipzigs Eisenbahnstraße ist
eine Topadresse - für solche, allerdings auch für solche. Zu
Besuch auf einer einzigartigen Meile in den neuen Bundesländern,
in:
Süddeutsche Zeitung
v. 21.01.
BAULIG, Christian
(2017): Leipzig-Altlindau.
Die Lage der Nation: Jeden
Monat stellt Capital ein spannendes Viertel einer deutschen
Stadt oder Gemeinde vor,
in:
Capital, Februar
IÖR (2017): Studienergebnisse liegen vor: Wohnen in Görlitz -
attraktive Alternative zum Großstadtstress,
in:
Pressemitteilung des
Leibnitz Instituts für ökologische Raumentwicklung v.
02.02.
LASCH,
Hendrik (2017): Eine Woche Feldversuch in der Kleinstadt.
Zweite Auflage des
Probewohnens in Görlitz: Deutsch-polnische Grenzstadt überzeugt
viele der Zuzügler,
in: Neues
Deutschland
v. 04.02.
HOYER, Niklas u.a.
(2017):
Der Traum von mehr Raum.
Immobilienatlas 2017: Der
Immobilienboom steuert aufs Finale zu. Unser Ranking der 50
größten Städte zeigt, wo der Kauf noch lohnt,
in:
WirschaftsWoche Nr.7
v. 10.02.
Das Städteranking soll das
Immobilienmarktpotential einer Stadt für die nächsten 10 Jahre
ausloten können. Die 50 Städte sind in 3 Einwohnerklassen
unterteilt: 14 Städte mit mehr als 500.000 Einwohner. Dazu
gehören Leipzig (Rang 1) und Dresden (Rang 5). 25 Städte haben
200.000 Einwohner bis 500.000 Einwohner.
Chemnitz liegt hier auf
Platz 22. 11 Städte gehören zur Kategorie 100.000 bis 200.000
Einwohner. Bei allen drei sächsischen Städten lautet die
Empfehlung kaufen statt mieten.
Nur in den 5 größten Städten
wird zwischen Stadtvierteln differenziert.
DÖRR, Julian
(2017): EU-Strukturpolitik auf Abwegen.
Einst nur für arme Regionen
gedacht, fließen die Fördergelder heute bis ins reiche Bayern - mit
absurden Verteilungseffekten. Höchste Zeit für die Reform der
heimlichen Ersatzwirtschaftspolitik,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 07.04.
Julian DÖRR kritisiert die so genannte
Kohäsionspolitik der EU und plädiert für einen Wettbewerb der
Regionen:
"Schlussendlich sollte die
Förderung tatsächlich auf die Regionen beschränkt werden, die
weder selbst die Leistungsfähigkeit haben, sich zu entwickeln,
noch auf eine wirtschaftstarke, übergeordnete Instanz
zurückgreifen können."
Bei der Betrachtung der
Kohäsionspolitik aus neoliberaler Perspektive wird jener Punkt
ausgeklammert, mit dem die EU ihre "uneinsichtigen" Mitgliedsstaaten
zur Räson bringen will:
"Die Kommission kann die
Fondsmittel für einen Mitgliedstaat aussetzen, falls er sich nicht
an die EU-Wirtschaftsregeln hält." ( Juni 2014)
Die Kohäsionspolitik der EU setzt
mit ihrer Förderung auch Akzente hinsichtlich der Gleichwertigkeit
der Lebensbedingungen in Deutschland, bei der es um die Frage der
Benachteiligung ländlicher Regionen geht, die aufgrund der Angst
unserer neoliberalen Eliten vor populistischen Erfolgen immer
stärker auf die politische Agenda drängt.
GROSSARTH, Jan (2017): Jugendstil.
Ein Künstler wagt den Neuanfang in
Görlitz. Mit achtzig. Das ist eine typische Geschichte für diese
Stadt, die alt ist und doch sehr in Bewegung. Jeder Vierte zog weg.
Aber für viele ist das zurückgelassende Paradies aus Barock und
Jugendstil, tief im Osten, wie ein Magnet,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 13.04.
HUNZIKER, Christian (2017):
Platzmacher.
Leipzig: Die Messestadt zieht Jahr
für Jahr mehr Bewohner an. Das dämpft den Leerstand und ruft jede
Menge Projektentwickler auf den Plan, die neuen Wohnraum schaffen,
in: Capital
Immobilien-Kompass,
Mai
ERTLE, Marcus
(2017): Stolz und Vorurteil.
In Schkeuditz werden die meisten
Deutschlandflaggen verkauft. Ist diese Stadt besonders patriotisch?
in:
Süddeutsche Zeitung v. 06.05.
"Schkeuditz,
Flaggenhauptstadt Sachsens"
"Diesen Status hat Schkeuditz durch
die Auswertung von Verkaufsranglisten und Pro-Kopf-Verkaufsquotienten
verschiedener deutscher Flaggenversandhändler erlangt"
Das ist für Marcus ERTLE und die
SZ ein gefundenes Fressen, um in der ca. 17.000 Einwohner
zählenden Kleinstadt einzufallen und die Bewohner nach ihrem
Patriotismus zu befragen.
"Auf den ersten Blick ist
Schkeuditz eine ziemlich normale deutsche Kleinstadt. Nüchterne
Gewerbegebiete, dörfliche Strukturen, schmucklose Zweckbauten in Grau,
schmucke Neubauten in freundlichen Pastellfarben, bewohnt von
freundlichen Menschen. Dann gibt es noch den Flughafen Leipzig/Halle,
der auf Schkeuditzer Gebiet liegt und der Stadt viel nächtlichen
Fluglärm, aber auch viele Arbeitsplätze und Wachstum beschert. Große
Frachthallen von DHL direkt neben pittoresken Kleingärten mit
blühenden Kirschbäumen",
beschreibt ERTLE die sächsische
Gemeinde.
"Die NPD – mit 3,5 Prozent unter
dem Landesdurchschnitt. Die AfD – neun Prozent, auch das sind weniger
Stimmen als landesweit",
berichtet ERTLE über die Ergebnisse
bei der letzten Landtagswahl. Da dies nichts hergibt, müssen die
Nichtwähler als Grund dieser Unauffälligkeit herhalten:
"In Schkeuditz, wo so fleißig
Flaggen gekauft werden, gehen erschreckend wenig Menschen wählen –
gerade einmal 38 Prozent waren es bei der letzten Landtagswahl. Im
Allgemeinen wird eine niedrige Wahlbeteiligung als Zeichen mangelnden
Vertrauens in die demokratischen Institutionen gesehen."
Weil die Flaggen in dem Ort für
ERTLE nicht sichtbar sind, spekuliert er:
"Offenbar herrscht in Schkeuditz
ein verborgener patriotischer Stolz, der womöglich etwas von einer
Kränkung in sich trägt, weil mit ihm der Anschein engstirniger
Kleinbürgerlichkeit verbunden wird. Ein Stolz, der vor allem die
Sehnsucht nach Stolz ist."
Wie wäre es, wenn die SZ eine Meute investigativer Journalisten darauf ansetzen würde. Vielleicht käme
dann eine ganz andere Wahrheit heraus? Vielleicht lügen auch nur die
erfassten Verkaufszahlen. An solch Naheliegendes denken Journalisten
jedoch zuletzt.
GROSSARTH, Jan (2017): Görlitz ist fürs Kapital ein gefährliches Pflaster.
Die vielleicht schönste Stadt
Deutschlands ist paradoxerweise eine der günstigsten, was die
Hauspreise betrifft. Das hat seine Gründe, und somit will ein Kauf gut
überlegt sein,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 19.05.
BBSR (2017): Deutschland altert unterschiedlich.
Freiburg im Breisgau und
Heidelberg haben die jüngste Bevölkerung,
in:
Pressemitteilung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und
Raumforschung
v. 22.05.
HONNIGFORT, Bernhard (2017):
Auferstehung in Ruinen.
Leipzig ist lebendig, wächst
und platzt ein bisschen aus allen Nähten. Vor allem junge Leute
kommen und bleiben. Sie leben und arbeiten in ehemaligen
Fabriken oder Altbauten und helfen der Stadt damit, zu altem
Glanz zurückzukehren,
in:
Frankfurter Rundschau
v. 31.05.
Bernhard
HONNIGFORT betätigt sich als Mitarbeiter des Stadtmarketings,
so jedenfalls liest sich seine Hymne auf Leipzig (mehr
hier).
ROßBACH, Henrike (2017): Osten steht vor Leerstandswelle.
Steigende Preise in den
Metropolen, Tristesse auf dem Land,
in:
Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 09.06.
VETTER, Philipp (2017): Das Geheimnis von
Sachsens Silicon Valley.
Die Region um Dresden zieht
Hightech-Unternehmen an. Bosch investiert dort eine Milliarde
Euro in eine Chipfabrik,
in:
Welt v. 20.06.
"Über 200 Millionen Euro für
700 Jobs - das sind fast 300.000 Euro pro Arbeitsplatz",
rechnet Philipp VETTER die
staatliche Förderung um. Gerne schmücken sich Gemeinden mit Labels,
die Anklänge zum kalifornischen Silicon Valley suggerieren.
Marketing ist eben alles. Oftmals gehen solche Projekte jedoch
schief wie nicht nur das Beispiel
Bitterfeld ("Solar Valley") zeigt.
SAB (2017): SAB legt zehnten Bericht "Wohnungsbaumonitoring"
vor,
in:
Pressemitteilung der Sächsischen Aufbaubank
v. 30.06.
"Sachsen hat weiterhin den höchsten
Wohnungsleerstand wie auch den ältesten Wohnungsbestand aller
Bundesländer, obwohl seit 2000 der Rückbau von mehr als 120.000
Wohneinheiten gefördert wurde. Nach Berechnungen der SAB standen Ende
2015 in Sachsen rund 247.500 Wohnungen leer. Das entspricht einer
Leerstandsquote von 10,7 Prozent. Damit hat derzeit im Durchschnitt
jede neunte sächsische Wohnung keinen Nutzer mehr. Dies betrifft
zunehmend auch Ein- und Zweifamilienhäuser in ländlich geprägten
Räumen. Da drei Viertel der 59 Wohnungsmarktregionen Einwohnerverluste
zu verzeichnen haben und damit in vielen Regionen der
Wohnungsleerstand weiter zunehmen wird, gibt es keine Entwarnung für
den Stadtumbau in Sachsen", heißt es in der Pressemitteilung der
Sächsischen Aufbaubank.
SAB (2017): Wohnungsbaumonitoring 2016/2017. Perspektiven
und Trends der Entwicklung auf dem sächsischen Wohnungsmarkt,
herausgegeben von der Sächsischen Aufbaubank
ND/DPA (2017): Leerstand,
Notverkäufe und ruinöser Wettbewerb.
Sachsen: Wer in Dresden oder
Leipzig eine Wohnung sucht, kann kaum glauben, dass anderswo im
Freistaat eine Fülle davon leer steht,
in:
Neues Deutschland v. 04.07.
Die Agenturmeldung zitiert
wortwörtlich die ersten beiden Absätze der Rubrik Große regionale
Unterschiede beim Wohnungsleerstand des
Wohnungsbaumonitoring 2016/2017 der Sächsischen Aufbaubank
(vgl. S.47), was nicht immer kenntlich gemacht ist. Die Sächsische
Aufbaubank (SAB) veröffentlicht
seit 2001 zum zehnten Mal einen solchen
Wohnungsbaumonitoringbericht.
BLUME, Jakob (2017): Eine Stadt rückt
zusammen.
Dresden: Der jahrelange Bauboom
hinterlässt Spuren in Dresden: Baugrundstücke werden knapp - und die
Renditen für Wohnimmobilien sinken,
in:
Handelsblatt v. 05.07.
MEYER, Jörg (2017):
Arbeitsplatzabbau mit Steuergeld.
Vier Standorte des
Feinkostherstellers Homann werden geschlossen, 1500 Jobs vernichtet.
800 neue Stellen sollen in Sachsen entstehen,
in:
Neues Deutschland v. 14.07.
Neoliberaler Standortwettbewerb
heißt nicht, dass freier Markt herrscht, sondern dass die Politik
mittels Subventionen die Standortkonkurrenz verschärft. Die Folge:
Weitere Senkung des Lohnniveaus mit Hilfe von Steuermitteln, denn
Unternehmen siedeln sich dort an, wo die Arbeitskraft möglichst billig
ist und die Politik mitspielt. Der wilde Osten Deutschlands reißt
insofern den noch prosperierenden Westen mit in den neoliberalen
Abwärtsstrudel.
NIEMANN, Julia (2017): Heimat, die ich meine.
Dem Dorf Glaubitz in Sachsen laufen
die Frauen davon. Die Männer mögen Zoten und Pegida. Aber nach ein
paar Bier erzählen sie, warum sie immer noch da sind,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 15.07.
"Glaubitz ist einer der
männlichsten Orte Deutschlands. Seit Jahren laufen dem sächsischen
Dorf die Frauen davon, weil sie lieber in den Städten wohnen
wollen, im Westen oder einfach anderswo. Die Gemeinde hat den
höchsten Männerüberschuss Sachsens, hier leben dreimal so viele
Männer zwischen 18 und 35 wie Frauen. (...).
Auch wenn sich der Überhang zu einem kleinen Teil daraus ergibt,
dass es bei Glaubitz ein Gefängnis gibt, dessen Insassen teilweise
zur Glaubitzer Bevölkerung gezählt werden, kommen in Glaubitz auf
34,8 junge Frauen immer noch 100 gleichaltrige Männer - zu viele",
berichtet Julia NIEMANN über die
rund 2.100 Einwohner zählende sächsische Gemeinde
Glaubitz im Landkreis Meißen.
"Vor knapp zehn Jahren
konstatierte eine Studie des Berlin Instituts für
Bevölkerungsentwicklung, dass in manchen strukturschwachen und
ländlichen Gegenden Ostdeutschlands bis zu 25 Prozent der jungen
Frauen fehlten. Diese Frauendefizite seien europaweit einzigartig,
selbst Polarkreisregionen im Norden Schwedens und Finnlands, die
traditionell unter der Landflucht junger Frauen litten, würden an
ostdeutsche Werte nicht heranreichen. Auch heute noch zieht es vor
allem junge, gebildete Frauen stadtwärts, während die Männer
zurückbleiben",
zitiert NIEMANN aus der Studie
Not am Mann. Diese beschäftigte sich jedoch nur exemplarisch mit
dem Problem Männerüberschuss anhand der sächsischen Stadt Ebersbach
im Landkreis Löbau-Zittau und der brandenburgischen Gemeinde
Herzberg im Landkreis Elbe-Elster. Das Statistische Landesamt in
Sachsen präsentiert auf der
Website Zensus-Zahlen vom Mai 2011 zur Geschlechterproportion.
Dort heißt es zu den sächsischen Gemeinden:
"Von den 432 Gemeinden wiesen
279 einen Frauenüberschuss und 153 einen Männerüberschuss aus. In
den Gemeinden Rathmannsdorf, Bad Brambach sowie in der Stadt Aue
betrug der Anteil 88 Männer je 100 Frauen. Den größten
Männerüberschuss wiesen die Gemeinden Glaubitz (124 Männer je 100
Frauen), Ralbitz-Rosenthal (114 Männer je 100 Frauen) und
Deutschneudorf (113 Männer je 100 Frauen) auf. (...).
Zum 9. Mai 2011 wiesen 153 der 432 sächsischen Gemeinden mehr
Männer je 100 Frauen auf, während in 279 Gemeinden ein
Frauenüberschuss festgestellt wurde. Die Betrachtung der
Altersgruppe der 18 bis unter 30-Jährigen zeigt dagegen, dass nur
17 Gemeinden einen Frauenüberschuss aufwiesen. In allen anderen
sächsischen Gemeinden überwiegen die Männer in dieser
Altersgruppe.
Die Kreisfreien Städte sind davon tendenziell weniger betroffen.
Bei ihnen liegt der Anteil junger Männer in der Altersgruppe
zwischen 90 Männern je 100 Frauen in Leipzig und 108 Männern je
100 Frauen in Dresden.
Am stärksten von dieser Entwicklung betroffen ist der Osten
Sachsens mit den Landkreisen Bautzen und Görlitz. Dort weisen mehr
Gemeinden einen hohen Männerüberschuss auf. Den höchsten Anteil
hat dabei die Gemeinde Puschwitz mit 216 Männern je 100 Frauen.
Den geringsten Anteil weist die die Gemeinde Ottendorf-Okrilla mit
84 Männern je 100 Frauen auf.
Den höchsten Männerüberschuss für ganz Sachsen wies die Gemeinde
Glaubitz mit einer Geschlechterproportion von 282 Männern je 100
Frauen im Alter von 18 bis unter 30 Jahren auf. So lebten zum
Zensusstichtag in Glaubitz 82 Frauen und 231 Männer, die zwischen
18 und 30 Jahren alt waren.
Bei den Landkreisen hat Mittelsachsen mit 125 Männern je 100
Frauen den größten Überschuss an jungen Männern." (Seitenabruf:
15.07.2017)
Die Schwierigkeit eine Partnerin
zu finden wird zwar angesprochen, aber Fakten werden dazu nicht
geliefert, sondern lediglich subjektive Einschätzungen.
"Auch viele ältere Glaubitzer
leben schon seit Jahren alleine, manche verbringen ihre Tage noch
in ihrem alten Kinderzimmer, bevor sie sich am Abend betrinken.
Dass hier die Sehnsucht nach hergebrachten Rollenbildern und
vergangenen Zeiten besonders groß ist, erstaunt nicht",
erzählt NIEMANN, nur um dann auf
die Pegida-Demonstrationen in Dresden, zu den ein paar Glaubitzer
Männer fahren. Besonders engagiert scheint der AfD-Anhang jedoch in
Glaubitz nicht zu sein, denn die AfD ist dort im Gemeinderat nicht
vertreten.
Bebildert ist die Reportage mit
Fotos aus dem Bildband
Was tun von Gesche Jäger.
HUNZIKER, Christian (2017): Markt mit
Fragezeigen.
Leipzig: Der Zuzug in die Stadt
hält an. Der Preisanstieg ebenso. Doch viele bezweifeln, dass Käufer
das hohe Niveau noch lange mitgehen können,
in:
Handelsblatt v. 17.07.
KEILHOLZ, Christine
(2017): Eine Fünf in
Demografie.
Bildung: Hunderttausende Schüler
mehr kommen in die Schulen. Ein Segen - wenn die Kultusminister nur
Lehrer eingestellt hätten,
in:
Freitag Nr.29 v. 20.07.
Eine
Fünf in Demografie könnte man auch der Wochenzeitung
ausstellen, denn schließlich hat sie mit der Herde
mitgeblökt, wenn es darum ging den demografischen Wandel
zu beklagen.
"Das ewige Gerede von
Dörfern, in denen bald keiner mehr wohnt, und von ganzen
Landstrichen, die der Wolf zurückerobert, verdüstert die
Stimmung. Und jetzt das: 2015 wurden fast 2.000 kleine
Sachsen mehr geboren als 2013. Der Boom betrifft
freilich nicht die Dörfer, sondern die schickeren
Viertel von
Dresden und
Leipzig, wo bio gegessen und Rot-Grün gewählt wird.
Es geht wieder aufwärts",
meint jetzt Christine
Keilholz.
NIMZ, Ulrike
& Cornelius POLLMER
(2017): Unser Land.
Das politische Klima im Osten hat
sich verändert - nicht bloß an den Rändern, sondern gerade in der
Mitte der Gesellschaft. Sind die Rechten bürgerlich geworden oder
die Bürgerlichen rechts?
in:
Süddeutsche Zeitung v.
22.07.
NIMZ & POLLMER sind
durch Sachsen gereist, um den Rechten auf den Grund zu
gehen. Ihre erste Station ist
Aue im Erzgebirgskreis, wo sie eine engagierte
Sozialarbeiterin treffen. Über die Gegend erfahren wir
nur:
"Das Erzgebirge gilt
als Heimat des Kunsthandwerks, als Land der Klöppler und
Drechsler. (...). Kreativ war hier immer auch der
Protest gegen die Asylpolitik und Menschen, die sich für
Geflüchtete einsetzen",
was bereits die Haltung
zeigt, mit der den Menschen begegnet wird. Die nächste
Station ist
Niederdorf:
"einer der kleinsten,
aber wirtschaftsstärksten Gemeinden im Erzgebirge. 1.200
Einwohner, weiße Einfamilienhäuschen. (...). Es gibt
keine Schule mehr."
Dort treffen sich die
Journalisten mit dem Gründer des Vereins Heimattreue
Niederdorf. Was man nicht erfährt: Dort ist die CDU mit 75
% im Gemeinderat die mit Abstand stärkste Partei und die
NPD kam auf 7,8 %. Station 3 ist
Bautzen, wo ein Treffen mit einer Holocaust-Forscherin
stattfindet, mit der sie dann in einem Gewerbegebiet den
Vortrag Wider die Spaltung der Bürgergesellschaft anhören.
Das Fazit zur anschließenden Diskussion:
"Optimistisch
bilanziert, erleben die Gäste hier einen weitgehend
sachlichen Streit (...).
Pessimistisch bilanziert, muss sich nach solch einem
Abend die Frage stellen: In was für einem Land leben wir
eigentlich? Bürger einer Stadt sitzen zusammen und
diskutieren in ihrer Mehrheit »das System« als etwas
irgendwie Verkommenes."
Da stellt sich die
Frage, ob die staatsfeindliche Linke, die in der
Antiparteien-Partei der Grünen nur ihren sichtbaren
Ausdruck fand, nicht auch einen großen Teil zur
Systemverachtung beigetragen hat. Und auch Aufrufe wie
jener von Arnulf BARING (Bürger auf die Barrikaden!)
Anfang des Jahrtausends waren nicht unbedingt hilfreich,
sondern Ausdruck eines Extremismus der Mitte.
Zwangsläufig endet die
Reise bei der sächsischen Innenministerin Petra KÖPPING
(SPD) und der gescheiterten Integration der
Wendeverlierer. Der Ruf nach mehr "Zwischenmenschlichkeit"
wird uns ernsthaft als "der beste Vorschlag, der derzeit
auf dem Markt ist" verkauft. Die Rolle der Medien, die das
gesellschaftliche Klima entscheidend prägt, bleibt bei
dieser Sicht außen vor!
GUTSCH,
Jochen-Martin
(2017): Fernost.
Mentalitäten: Warum wählen viele
Ostdeutsche die AfD? Warum schauen sie oft so fremdenfurchtsam auf
die Welt? Warum verklären sie die DDR? Oder, kürzer: Was ist los mit
dir, Ossi? Eine Reise durch ein erschöpftes Land,
in: Spiegel
Nr.31
v. 29.07.
Nach Mecklenburg-Vorpommern stellt uns Jochen-Martin
GUTSCH in Großräschen die Zukunft der strukturschwachen,
ostdeutschen Regionen vorgestellt:
"Großräschen - das
war immer die Braunkohle, der große Tagebau lag direkt
vor der Tür. Zusammen mit Senftenberg, Lauchhammer,
Hoyerswerda und Schwarze Pumpe bildete Großräschen das rußene Kohle- und Energiezentrum der DDR. Nach 1990
brauchte das Energiezentrum dann niemand mehr.
(...). Zenkers Vision: Von der Bergbaustadt zur
Seestadt. (...) Seit über 20 Jahren ist das kleine
Großräschen jetzt auf dem Weg von der alten Identität in
die neue. So wie die ganze Region.
(...). Und überall wurden alte Tagebaue geflutet, um das
»Lausitzer Seenland« zu erschaffen - das Superprojekt
der Zukunft, mehr als 20 neue Seen, die »größte von
Menschenland geschaffene Wasserlandschaft Europas«, so
heißt es im Werbeprospekt.
Und jetzt? Sollen die Touristen kommen, jährlich 1,5
Millionen Übernachtungen im Seenland und damit auch hier
in Großräschen. (...). Dort, wo die Seen schon fertig
sind, kommen die Tschechen, die Polen und die Sachsen.
(...).
2018 soll der alte Tagebau fertig geflutet sein. 2019
ist der See hoffentlich »schiffbar«. Dann ist
Großräschen also Seestadt. Auferstanden aus Ruinen."
Ob die
Braunkohlereviere in Ostdeutschland jedoch vom Tourismus
leben können, ist fraglich. Nach dieser Zukunftsvision
geht es zurück in die bundesrepublikanische Realität: nach
Bischofswerda im sächsischen Landkreis Bautzen:
"Bei rund 20 Prozent
liegt die AfD zurzeit in Sachsen. Das würde wohl reichen
für Hilse.
Er ist der Direktkandidat für den Landkreis Bautzen, 52
Jahre alt, von Beruf Polizeihauptmeister. In der DDR war
Hilse Volkspolizist. (...).
Seit Januar 2016 ist er AfD-Mitglied. Und nun schon auf
dem Weg in den Bundestag. Eine ostdeutsche
Politikkarriere im Zeitraffertempo."
Aber nicht nur die AfD,
sondern auch die SPD kämpft um die ostdeutschen Belange,
weshalb der weitere Weg nach Zittau zu Petra KÖPPING, der
sächsischen Integrationsministerin, führt. Deren Rede zur
Deutschen Einheit im Herbst 2016 wird als
Erweckungsgeschichte gedeutet. Das Thema der Aufarbeitung
der Nachwendezeit ist seitdem in der Welt:
"Im
Regierungsprogramm der SPD ist jetzt der sogenannte
Gerechtigkeitsfonds berücksichtigt. Eine
Rentenentschädigung für erlittenes Nachwendeunrecht. Das
hat Köpping durchgesetzt."
Die
Deindustrialisierungsgeschichte in Ostdeutschland ist
neben der Rente das zweite Aufarbeitungsthema:
"Petra Köpping war
lange Zeit Bürgermeisterin und Landrätin in Sachsen.
»Noch im Jahr 2005 hatten wir in der Region Borna eine
Arbeitslosenquote von 30 Prozent. Das prägt die
Menschen, bis heute.« Und man muss jetzt nur durch die
Ostprovinz fahren, durch Wolgast, Demmin, Anklam,
Pasewalk, Eisenhüttenstadt - dort ist die Nachwendezeit
noch immer Gegenwart.
Und auch hier, in Zittau."
Aber GUTSCH wäre nicht
GUTSCH, wenn nicht am Ende das Lieblingsthema der
Identitätslinken stehen würde:
"Pirna? Eine
Kleinstadt kurz vor Tschechien, bekannt für Sandstein,
rund 38.000 Einwohner. »Wir sind der kleinste CSD in
Deutschland«, sagt Hesse stolz. Und vermutlich: auch
weltweit.
(...). Alles misch sich. Alles liegt in großer
Widersprüchlichkeit sehr eng beieinander. Gestern AfD.
Heute CSD.
Ein gutes Schlussbild eigentlich."
Fazit: Die Welt ist in
Ordnung, solange Großstadtmenschen selbst in der Provinz
auf Ihresgleichen treffen können!
STROHSCHNEIDER, Tom (2017): Das langsame Verschwinden des Ostens.
ND-Serie zur Bundestagswahl (1):
In den Wahlprogrammen der meisten Parteien spielen die "neuen
Länder" keine besondere Rolle mehr,
in: Neues
Deutschland
v. 04.08.
LOCKE, Stefan (2017): Vom Ende der Sprachlosigkeit.
Seit Sachsens
Integrationsministerin Petra Köpping über die harte Nachwendezeit
spricht, kommen erschütternde Geschichten ans Licht. Diese
Aufarbeitung aber passt nicht allen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v.
05.08.
HONNIGFORT, Bernhard (2017): 700 Jahre Heimat für ein Jahr Feuer.
Das Dorf Pödelwitz bei Leipzig soll
geschlossen werden, weggebaggert, damit dort Braunkohle abgebaut
werden kann. Eine kleine Gruppe Anwohner will das verhindern,
in:
Frankfurter Rundschau v. 21.08.
Bernhard HONNIGFORT berichtet
über das Dorf
Pödelwitz, das ein Ortsteil der Gemeinde
Groitzsch in Sachsen ist. Bereits
vor 3 Jahren berichtete HONNIGFORT über den Widerstand in
Pödelwitz.
"Fast dreihundert Jahre lang ist
der Leipziger Süden Braunkohlerevier. So wie die Lausitz in
Brandenburg und Ostsachsen oder das Rheinische Kohlerevier zwischen
Aachen und Köln. Es ging los im Jahr 1669, als der Altenburger
Stadtphysikus Dr. Matthias Zacharias Pilling »brennbare Erde« fand.
1718 entstand der erste Tagebau. Seit vier Generationen wird das
Land hunderte Meter tief ausgegraben, Dörfer werden abgerissen,
Menschen umgesiedelt. Bis heute: 51 000 aus 126 Dörfern oder
Ortsteilen: Schleenhain, Pulgar, Piegel, Droßdorf, Peres, Breunsdorf,
Leipen, Heuersdorf – alles Orte, die es nicht mehr gibt. Kleine
Rundlingsdörfer mit einer Kirche, Wiesen drumherum und kleinen
Bauernhöfen, alle verschwunden zwischen 1964 und 2008, insgesamt 400
Quadratkilometer Land",
skizziert HONNIGFORT die
Geschichte des sächsischen Braunkohlereviers.
ARAB, Adrian (2017): Anatomie des Wahlkampfs.
Merkel und Schulz touren durch
die Republik, begegnen sich aber selten. Die Auswahl der Orte, die
von den Kandidaten besucht werden, folgt einer Strategie,
in:
Welt v. 22.08.
"Ihre Wahlstrategen sind
bei der Planung dem gleichen Grundgedanken gefolgt: Sie
konzentrieren sich auf Orte, an denen die beiden
Spitzenkandidaten auf möglichst viele ihrer Stammwähler
treffen",
erklärt uns Adrian ARAB die
Strategie der Mobilisierung der eigenen Wählerschaft.
"Eine SPD-Hochburg dürfte
niemals fallen, wenn die CDU-Kandidatin sie meidet",
wird uns außerdem erklärt.
Umgekehrt sollte das ebenfalls stimmen.
Aus der folgenden
Übersicht sind die Orte der Wahlkampfauftritte von Angela MERKEL
und Martin SCHULZ in Ostdeutschland ersichtlich:
Orte, in denen
Angela Merkel auftritt |
Orte, in denen
Martin Schulz auftritt |
Annaberg-Buchholz
(Sachsen; ca. 20.000 Einw.) |
|
Apolda
(Thüringen; ca. 22.000 Einw.) |
|
Binz
(Mecklenburg-Vorpommern; ca. 5.000 Einw.) |
|
Bitterfeld-Wolfen
(Sachsen-Anhalt; ca. 40.000 Einw.) |
|
Brandenburg/Havel
(Brandenburg; ca. 71.000 Einw.) |
|
|
Erfurt
(Thüringen; Großstadt) |
Finsterwalde
(Brandenburg; ca. 16.000 Einw.) |
|
|
Leipzig
Sachsen; Metropole) |
|
Magdeburg
(Sachsen-Anhalt; Großstadt) |
|
Potsdam
(Brandenburg; Großstadt) |
Quedlinburg
(Sachsen-Anhalt; ca. 24.000 Einw.) |
|
Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern; ca. 97.000 Einw.) |
Torgau
(Sachsen; ca. 20.000 Einw.) |
|
Vacha
(Thüringen; ca. 5.000 Einw.) |
|
Wismar
(Mecklenburg-Vorpommern; ca. 42.000 Einw.) |
|
Angela Merkel absolviert mehr
Wahlkampfauftritte im Osten und bevorzugt kleinere Städte als
Martin Schulz.
LAHRTZ, Stephanie (2017): Eine Bühne für Rechtsextreme.
In Bautzen
ergeben Bürger mit Zukunftssorgen, Flüchtlinge und Neonazis eine
explosive Mischung,
in:
Neue Zürcher Zeitung v.
26.08.
RADOMSKY, Stephan (2017): Zig
Hypes.
Leipzig wollte über die Jahre
vieles sein - nur bitte nicht egal,
in:
Süddeutsche Zeitung v.
30.08.
LASCH,
Hendrik (2017): Nahverkehr im Ehrenamt.
Bürgerbus erhält in der
Lommatzscher Pflege Mobilität trotz demografischen Wandels,
in:
Neues Deutschland v.
01.09.
"Wuhnitz (war) ein
Ort voller Leben. In dem kleinen Dorf in der
Lommatzscher Pflege, nicht weit von Meißen oberhalb
des Elbtals gelegen, gab es Krippe und Kindergarten, ein
Gemeindeamt, den Konsum. Das ist lange her. Die
Verwaltung sitzt inzwischen in
Lommatzsch, die Kinder müssen etliche Kilometer weit
in die Kita gefahren werden, und der Konsum ist auch
schon seit beinahe einem Vierteljahrhundert zu.
(...)
Wissenschaftler von der TU Dresden (...), die vor ein
paar Jahren die »Folgen des demografischen Wandels für
die Infrastruktur« in der Gegend untersuchten
(...)(, hätten) die Lommatzscher Pflege als
»peripherstrukturschwacher Raum« beschrieben, sagt Anita
Maaß, die Bürgermeisterin von Lommatzsch. (...).
Nach Dresden oder nach Leipzig dauert es eine Stunde.
Und viele der 5.000 Bürger wohnen auch nicht in
Lommatzsch selbst, sondern in einem seiner 38 Ortsteile,
die über 66 Quadratkilometer verstreut (...) liegen.
(...). Zwischen den weiten Äckern liegen winzige Orte,
die Pitschütz, Prositz oder Löbschütz heißen und in
denen teils kaum ein Dutzend Menschen lebt",
beschreibt Hendrik
LASCH die Gegend, in dem vor 9 Jahren die Idee vom
Bürgerbus aufkam, der nun an einem oder zweit Tagen
pro Woche durch die Dörfer fährt. Wuhnitz ist mittlerweile
einer der 38 Ortsteile von Lommatzsch.
taz-Titelgeschichte:
Merkels vergessene Schwestern.
Ostdeutsche: Große Enttäuschung
nach der Wende und bis heute schlechtere Bezahlung als im Westen.
Das betrifft insbesondere ältere Frauen im Osten. Warum so viele
wütend sind und vielleicht AfD wählen |
MAIER, Anja (2017): Die verpasste
Integration.
Frust: Im Westen stößt die Wut der
Ostdeutschen auf Unverständnis. Die sächsische SPD-Frau Petra
Köpping hört Wendeverlierern zu. Die erzählen von der Arroganz des
Westens und ganz realer Benachteiligung - auch heute noch,
in:
TAZ v. 07.09.
AMANN, Melanie u.a. (2017): Früchte des Zorns.
Opposition: Selten wurde in der
deutschen Politik so erbittert gestritten und gehasst wie derzeit
auf Marktplätzen und im Internet. Mit der AfD wird die Wut wohl in
den Bundestag einziehen. Wie umgehen mit einer Partei, die vom
Tabubruch lebt?
in:
Spiegel Nr.37 v. 09.09.
Der Spiegel
berichtet u.a. über den Wahlkampfauftritt von Angela
MERKEL in Torgau in Nordsachsen. Im Mittelpunkt steht
Sandro OSCHIKINATs Verein Spektrum aufrechter
Demokraten, dem das Niederbrüllen von MERKEL
zugeschrieben wird.
"Das Pfeifen und
Trillern auf dem Marktplatz von Torgau ist der Vorbote
einer Wut, die wohl bald den Bundestag erreichen wird",
erklärt uns das
Autorenteam. Man sollte vielleicht noch einmal nachlesen,
was vor dem Einzug der Grünen in den Bundestag geschrieben
wurde. Man sollte sich auf ein Déjà-vu-Erlebnis gefasst
machen!
"Wenn die AfD bei der
Wahl um die 10 Prozent holt, wird sie ungefähr 70
Abgeordnete stellen, einer von ihnen wird Jens Maier
sein, er kandidiert auf Platz zwei der sächsischen
Landesliste",
droht das Spiegelteam
mit dem völkischen Flügel der AfD.
LOCKE, Stefan & Matthias WYSSUWA (2017): Schrei nach Anerkennung.
Wahlveranstaltungen gehen im
Wutgebrüll unter, aus Banalitäten entstehen Verschwörungstheorien.
Warum brandet der Bundeskanzlerin gerade in Ostdeutschland so viel
Hass entgegen?
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
v. 14.09.
"»Bei der
Bundestagswahl werden wir enorme Ergebnisse der
AfD in Sachsen haben«, sagte die SPD-Politikerin
(Petra Köpping) voraus. Und die Prognose gilt, legt man
die
Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und
Mecklenburg-Vorpommern im vergangenen Jahr zugrunde,
wohl für den gesamten Osten. (...). In Umfragen ist die
Partei in manchen Ost-Ländern wie Sachsen inzwischen
zweitstärkste Kraft hinter der CDU, und das, obwohl es dem
Land noch nie so gut ging wie heute", meinen Stefan LOCKE
& Matthias WYSSUWA.
KEILHOLZ, Christine (2017):
Notgedrungen auf die Wiese.
Mieten: In Dresden scheitert der
soziale Wohnungsbau nicht nur am Geld, sondern auch am Widerstand von
alteingesessenen Bewohnern,
in:
Freitag Nr.37 v. 14.09.
Christine KEILHOLZ berichtet über
die selbstverschuldete Wohnungsnot in Dresden.
"Sachsen Landeshauptstadt ist
einer der Wachstumskerne im Osten. Hier hat seit 2014 ein
Linksbündnis das Sagen.
Dresden ist attraktiv und wächst, daran konnte auch Pegida nichts
ändern. In naher Zukunft wird die Stadt 600.000 Einwohner haben.
(...).
In Dresden werden Schätzungen zufolge in 15 Jahren bis zu 35.000
Wohnungen fehlen. Für eine Bevölkerung, die immer älter wird und
zunehmend allein lebt. In der Hälfte der 300.000 Dresdner Haushalte
leben Singles. (...).
Die gründerzeitlichen Altbau-Quartiere der Neustadt, von Pieschen
und Blasewitz erleben seit den 1990er Jahren einen Zustrom von 30
Prozent. Verlierer sind die Ecken, wo die DDR ihre
Betonschließfächer lieblos hinknallte. Ein Viertel der Dresdner ist
über 60 Jahre alt. Diese Altersgruppe ist in der Landeshauptstadt
oft gediegen links und residiert in weitläufigen DDR-Quartieren der
1950er und 60er Jahre. Sie hat es nicht gern, wenn in ihrem
Vorgarten gebaut wird",
erläutert uns KEILHOLZ die Lage in
Dresden, der auf eine Konflikt zwischen dem westdeutschen, grünen
Baubürgermeister und einem ostdeutschen Linken-Politiker, der gegen
die "Nachverdichtung der Innenstadt" kämpft, zugespitzt wird. Nur am
Rande wird erwähnt, dass Dresden seine jetzige Wohnungsnot selbst
durch den Verkauf der stadteigenen Wohnungsgesellschaft mit rund
48.000 Wohnungen verschuldet hat. Dadurch kam die Wohnungsgesellschaft
Vonovia günstig an einen Wohnungsbestand und Dresden konnte sich als
"erste schuldenfreie deutsche Großstadt" brüsten. Die vor 10 Jahren
verkauften Wohnungen fehlen nun bitter als Wohnungen, die sich auch
weniger betuchte Menschen leisten könnten.
Hinzu kommt, dass das jetzige
Wachstum der Städte gegen jegliche Prognose stattfindet. Entsprechend
dem Leitbild der schrumpfenden Stadt, das angesichts des
prognostizierten Bevölkerungsrückgangs landauf, landab proklamiert
wurde, wurden Tausende Wohnungen abgerissen, die nun dringend benötigt
werden. Hier zeigt sich die Fatalität des Glaubens an demografische
Prognosen besonders deutlich.
RIVUZUMWAMI, Malaika (2017): Wo das Herz schlägt.
AfD: In diesem Wahljahr macht
sich die sächsische CDU zum ersten Mal sorgen. Aber muss sie das?
in:
TAZ v. 14.09.
Malaika RIVUZUMWAMI
berichtet aus dem Erzgebirge in Sachsen, wo die Gemeinden
Crottendorf und Annaberg-Buchholz heißen und Angela MERKEL
bei Wahlkampfauftritten mit Gegenwind zu kämpfen hatte.
Nichtsdestotrotz ist RIVUZUMWAMI hoffungsvoll, wenn sie
schreibt:
"Vielleicht blieben
die ErzgebirglerInnen ihren alten Traditionen, ihren
christlichen Werten treu und wählen wie früher."
WENDT,
Alexander (2017):
In diesen Städten lebt
Deutschlands Zukunft.
Ein Ranking der 30 größten
Kommunen überrascht: Ost-Metropolen schließen zur Spitze auf.
Die Liste der Leuchttürme und Verlierer zeigt auch, wo die
Risiken für den Wirtschaftsstandort liegen,
in:
Focus Nr.38 v. 16.09.
Der Focus
veröffentlicht das
HWWI/Berenberg-Städteranking der 30 einwohnerstärksten Städte in
Deutschland. Leipzig belegt Rang 2, Dresden Rang 4, während
Chemnitz den vorletzten Platz vor Gelsenkirchen belegt.
"Die Messestadt und die
Elbmetropole sind die Überraschungsaufsteiger im renommiertesten
deutschen Städtevergleich",
erzählt Alexander WENDT.
FRANKFURTER
RUNDSCHAU-Titelgeschichte: Heimat ohne
Aussicht.
Keine Arbeit, wenig Menschen, null
Perspektiven: In der Provinz sterben die Dörfer. Ein Besuch beim
Wahlvolk im Sauerland und in der Oberlausitz
|
HONNIGFORT, Bernhard (2017): Die
Abgehängten.
Die meisten Deutschen leben in der
Provinz. Im Wahlkampf spielt diese aber keine Rolle. Ortstermine
in Ost und West,
in:
Frankfurter Rundschau v. 20.09.
Ein Besuch beim Wahlvolk bietet
uns Bernhard HONNIGFORT nicht, sondern er lässt nur den
Bürgermeister von
Altena in Nordrhein-Westfalen (Märkischer Kreis) und die
Bürgermeisterin von
Seifhennersdorf in Sachsen (Landkreis Görlitz) ihr Leid
klagen und gibt ihnen Gelegenheit sich als Gestalter zu
profilieren. Man hätte sich deshalb eine weniger einseitige
Perspektive gewünscht.
"Andreas Hollstein (...)
ist Bürgermeister von Altena im Sauerland. 54 Jahre alt, CDU
(...).
Seit 1999 ist er Bürgermeister einer Stadt, die wie keine
andere in Westdeutschland zusammengeschrumpft ist. Altena
hatte 1970 34.000 Einwohner, heute 17.000 Einwohner. (...).
Die Arbeit verschwand, die Leute zogen weg, die Kaufkraft
brach ein, die Hauspreise gingen in den Keller. Ein Wandel,
der ein Niedergang war. (...) Seine Stadt steht seit 22 Jahren
unter Finanzaufsicht, sie hat 80 Millionen Euro Schulden",
erzählt uns HONNIGFORT. Nicht
erzählt wird dagegen, dass viel Fördergeld in die Stadt gepumpt
wurde, um Altena zum "Leuchtturmprojekt" in der Provinz zu
stilisieren. Gemäß Wikipedia hatte Altena 1970 nur 32.000
Einwohner und sie ist auch nur die am schnellsten schrumpfende
Gemeinde in Nordrhein-Westfalen, ob das identisch ist mit der am
schnellsten schrumpfenden Gemeinde in Westdeutschland, das wäre
deshalb zu überprüfen.
"Mehr als die Hälfte der 82
Millionen Deutschen wohnt in Kleinstädten und Dörfern, nicht
in Metropolen wie München, Frankfurt, dem Ruhrgebiet, Hamburg,
Berlin oder Leipzig",
behauptet HONNIGFORT. Eine vor kurzem
veröffentlichte Studie zu den Wohnverhältnissen in
Deutschland kommt dagegen für das Jahr 2014 zu ganz anderen
Ergebnissen (vgl. Stefan SAUER "Armutsgefahr Wohnen", FR
13.09.2017). Demnach lebten 2014 von den ca. 81, 2 Millionen
Menschen nur 33,6 Millionen in Kleinstädten und Landgemeinden
(vgl. 2017, S.18, Tabelle 1). Nur wenn man die Provinz als
wertenden Begriff und damit als Gegenbegriff zu den Metropolen
versteht, könnte man HONNIGFORT zustimmen. Manche sehen ja nicht
einmal Berlin als Metropole! Nur: Mit Empirie hat das dann
nichts zu tun.
HONNIGFORT kennt zudem beim
demografischen Wandel nur das neoliberale Privatinstitut von
Reiner KLINGHOLZ, der noch vor ein paar Jahren das Prämieren von
Wegzügen aus kleinen Dörfern forderte. Die Gleichwertigkeit von
Lebensverhältnissen will KLINGHOLZ wie unnötigen, politischen
Ballast abwerfen. Von daher ist der Zorn der Bevölkerung - vor
allem in Ostdeutschland - durchaus verständlich.
"650 Kilometer östlich von
Altena liegt Seifhennersdorf in der Oberlausitz, 3.800
Einwohner. Nur noch. 1990 waren es mehr als 7.000 (...). 150
Menschen minus pro Jahr, das war etwa der Schnitt bislang."
Die parteilose
Bürgermeisterin Karin BERNDT wird uns als erfolgreiche Kämpferin
gegen die Schließung der Oberschule präsentiert.
"Jedes Jahr lässt sie drei
Häuser in der Stadt abreißen. Dafür sei Fördergeld da, für
eine Umnutzung oder für eine Instandhaltung nicht",
klagt BERNDT. Eine solche
Politik zur Stabilisierung der Häuserpreise ist
mitverantwortlich für die heutige Wohnungsnot in den
Großstädten, denn aufgrund gravierender Fehlprognosen galt
Deutschland als endlos schrumpfendes Land. Und Journalisten wie
HONNIGFORT verkünden weiterhin, dass "das Altern und Schrumpfen
der Bevölkerung" unser einziges Problem sei. Ob Deutschlands
Bevölkerung jedoch überhaupt schrumpfen wird, ist längst nicht
sicher und die Alterung der Bevölkerung ist
im Vergleich mit anderen Staaten
keineswegs so drastisch wie das in Deutschland behauptet wird.
LOCKE, Stefan
(2017): Das macht uns Angst.
Nirgends ist die AfD so stark wie
in Ostsachsen - manche fühlen sich hier von der Politik vergessen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 26.09.
Das Mantra von FAS/FAZ und
CDU/CSU war vor der Wahl, dass es in Deutschland keine Abgehängten
gibt. In Ostsachsen hat die Union dafür nun die Quittung erhalten:
"Die AfD ist deutschlandweit
drittstärkste Partei geworden, aber in
Oppach
in der Oberlausitz ist sie aus dem Stand auf Platz 1 geschnellt. 46
Prozent! Fast jeder zweite Einwohner hat hier sein Kreuz bei der AfD
gemacht. Auch die umliegenden Kleinstädte und Dörfer verzeichnen fast
alle AfD-Ergebnisse jenseits der 40 Prozent, hier und in den beiden
Nachwahlkreisen hat die Partei drei Direktmandate geholt.(...).
Chrupalla hat Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer aus dem
Bundestag geworfen, er war nicht mal auf der Landesliste
abgesichert",
berichtet Stefan LOCKE über das
CDU-Desaster im Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechische Republik.
Oppach liegt im Wahlkreis 157 Görlitz. Im Mittelpunkt steht die
Geschichte eines Nachwendeverlierers, der sich mit einer freien
Tankstelle selbständig machte und nun als Rentner weiterarbeiten muss,
weil er seine Schulden zurückzahlen muss, die ihm sein
Selbstunternehmertum bescherte.
RIVUZUMWAMI, Malaika (2017): Die
sächsische Union wird abgestraft.
Protestwähler: In Crottendorf hat
die AfD stark zugelegt - viele wollten der CDU, die bisher in Sachsen
konkurrenzlos war, einen Denkzettel verpassen,
in:
TAZ v. 26.09.
"Im eher beschaulichen
Crottendorf, mitten im Erzgebirge gelegen, lag die Wahlbeteiligung
bei erstaunlich hohen 80,4 Prozent. (...). Die AfD konnte auch hier
stark zulegen, 28,5 Prozent gingen an den Direktkandidaten, der selbst
nur einmal im Dorf zu Besuch war (...)",
berichtet
Mailaika RIVUZUMWAMI aus
Crottendorf, wobei unklar bleibt, warum gerade von dort berichtet
wird. Crottendorf liegt im
Wahlkreis 164 Erzgebirgskreis. Die Zahlen, die uns die taz
präsentiert, findet man jedoch weder unter dem Bundeswahlleiter noch
auf election.de, sondern auf der Website
sachsen.de. Dort kann man für jede sächsische Gemeinde den
Zweitstimmenanteil finden.
Die AfD gewann in den Wahlkreisen
156, 157 und 158 ihre Direktmandate. Die höchsten Zweitstimmeanteile
finden sich dort in den Gemeinden Schönbach (157: 46,9 %),
Rathmannsdorf (158: 43,9 % ) und Großdubrau (156: 42,4 %). Im Walkreis
161 Mittelsachsen lag der Zweitstimmenanteil der AfD in
Dorfchemnitz sogar bei 47,4 %.
ROHNSTOCK, Katrin (2017):
Vergessene Lebenswege.
AfD-Erfolg: Plötzlich ist der
Stimmenzuwachs einer rechtsradikalen Partei ein Grund, sich mal kurz
dem Frust im Osten zuzuwenden,
in:
Freitag Nr.39 v. 28.09.
FISCHER,
Eva & Donata RIEDEL (2017): Der Rechtsschock.
Report: Leipzig hat sich immer
gerühmt, anders zu sein als die anderen Städte im Osten. Die Metropole
steht wirtschaftlich gut da und hat eine lebhafte linke Szene.
Trotzdem hat die AfD hier deutlich mehr Stimmen als im Bundesschnitt
geholt. Warum ist das so?
in:
Handelsblatt v. 29.09.
FISCHER & RIEDEL berichten
in ihrem
Leipzig-Report über die Erfolge der AfD (mehr
hier).
BARTSCH, Michael (2017): Verliebt
in die Angst.
Reportage: Wirklich regieren solle
die AfD nicht, sagen manche. "Aber punkten und mitreden und anderen
auf die Finger kloppen." Ein Stimmungsbild nach der Wahl aus
Ostsachsen,
in:
TAZ v. 29.09.
LASCH,
Hendrik (2017): Ohne Zug und Zeitung.
Dorfbewohner fühlen sich vergessen
- und zeigen das bei Wahlen,
in:
Neues Deutschland v. 30.09.
"Es gibt dieser Tage viele
Versuche, den Wahlerfolg der AfD in Ostdeutschland, in Sachsen
und nicht zuletzt in der Oberlausitz zu ergründen - ein Erfolg,
zu dem auch
Dürrhennersdorf beitrug. Von 824 Wahlberechtigten gaben 528
ihre Stimme ab, davon 238 für die AfD, ein Ergebnis von 45,1
Prozent. (...).
Das Kreuz für die AfD ist dabei auch der - zweifelhafte -
Versuch, ein in vielen Dörfern verbreitetes Gefühl zu
artikulieren: das, wonach die eigenen Probleme von der Politik
nicht mehr wahrgenommen werden.
Exemplarisch wird das deutlich in Berichten aus dem
mittelsächsischen
Dorfchemnitz, jenem Ort, in dem die AfD bei der
Bundestagswahl sogar 47,4 Prozent einfuhr und mit 414 Stimmen
exakt so stark war wie die fünf anderen im Bundestag vertretenen
Parteien zusammen",
meint Hendrik LASCH, der den
Niedergang der rund 1.000 Einwohner zählenden Gemeinde
Dürrhennersdorf beschreibt.
BOLLMANN,
Ralph (2017): Migranten im eigenen Land.
17 Millionen Menschen kamen 1990
aus einem Land namens DDR in die Bundesrepublik. Das Wahlergebnis
zeigt: Viele von ihnen haben sich bis heute nicht integriert,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagzeitung v. 01.10.
Der ehemalige tazler
Ralph BOLLMANN inszeniert sich als Ossiverächter und ist doch nur
ein scheinheiliger Moralist im Interesse des Neoliberalismus.
"Einiges spricht für die
These, dass die Ostdeutschen so etwas sind wie Migranten im
eigenen Land. (...).
Die Misserfolge dieses Integrationsprozesses lassen sich an den
Wahlerfolgen der AfD ablesen. In Ostdeutschland stimmten am
vorigen Sonntag im Durchschnitt 21,9 Prozent der Wähler für die
Partei, doppelt so viele wie im Westen. Gewiss gab es auch in
Niederbayern oder im Ruhrgebiet überdurchschnittliche
AfD-Anteile. Aber der Unterschied zwischen Ost und West bleibt
auch beim Vergleich der Hochburgen miteinander bestehen: Im
bayerischen Deggendorf, wo die Partei mit 19 Prozent ihr bestes
Ergebnis im Westen einfuhr, fand sie nur halb so viel Zustimmung
wie in ihrer östlichen Hochburg, der sächsischen Schweiz. Dort
kam sie auf fast 36 Prozent der Zweitstimmen",
erklärt uns Ralph BOLLMANN. Die
Linkspartei diffamiert er als "ostdeutsche Regionalpartei", obwohl
sie gerade in Westdeutschland erfolgreicher war als in
Ostdeutschland.
"Städte wie Leipzig oder
Jena, Rostock oder in Teilen selbst Dresden haben sich zu
weltoffenen, wohlhabenden und liberalen Zentren entwickelt.
(...) Dort ist die Integration im Ganzen geglückt",
behauptet BOLLMANN. Dabei hat
die AfD in Leipzig fast genauso viele Zweitstimmenanteile erhalten
- nämlich 18,3 % - als im bayerischen Deggendorf. Das
Handelsblatt schrieb gar vom
"Rechtsschock". Im
thüringischen Jena erhielt die AfD 14,4 %. In
Rostock waren es 14,7 % (Rostock-Lichtenhagen: 19,2 %). In
Rostock-Stadtmitte wählten 9,9 % und im in Kröpeliner-Tor-Vorstadt
7,8 % die AfD.
In
Dresden erreichte die AfD sogar 22,5 % und lag damit nur 1 %
hinter der CDU als stärkste Kraft in der Landeshauptstadt. Einzig
in der Äußeren Neustadt blieb die AfD mit 5,9 % im einstelligen
Bereich (Innere Neustadt: 12,3 %). In ettlichen Dresdner
Stadtteilen wurde die AfD mit bis zu 35 Prozent der Zweitstimmen
die stärkste Kraft.
Ein Gegensatz zwischen bösen
Landbewohnern und guten Kosmopoliten lässt sich anhand der
Stimmenanteile der AfD in den ostdeutschen Großstädten nicht
aufrechterhalten.
"Mehr als zwei Millionen
Ostdeutsche sind (...) seit 1990 nach Westdeutschland umgezogen
(...), auch dies ein Indikator für gelungene Integration",
behauptet BOLLMANN, obwohl über
deren Wahlverhalten gar nichts bekannt ist. Petra KÖPPING wird uns
als ostdeutsche Kümmertante vorgestellt, die sich an Problemen
abarbeitet, die irrelevant sind, denn:
"Nüchtern betrachtet, sind
das die üblichen Begleiterscheinungen vieler Migrationsprozesse.
Die erste Generation von Einwanderern muss oft Jobs annehmen,
die unter ihrem ursprünglichen Qualifikationsniveau liegen",
meint BOLLMANN, der noch einen
erfolgreichen Ossi-Ökonomen Gelegenheit zum Nachtreten gibt:
"Die Altersgenossen schauen,
wem es aus dem eigenen Jahrgang relativ gutgeht. Sie messen ihre
materielle Lage nicht am früheren Lebensstandard der DDR,
sondern daran, was ihnen ihrer Meinung nach eigentlich zustehen
müsste. (...).
So kommt es, dass die größte Unzufriedenheit gar nicht bei den
objektiv Ärmsten herrscht, dass die AfD im Osten in Regionen mit
relativ niedriger Arbeitslosigkeit mehr Zulauf hat als in
Gegenden, denen es wirtschaftlich schlechter geht."
Die Ossis legen also lediglich
den falschen Vergleichsmaßstab an und sind deshalb nichts als
undankbar. Das Argument lässt sich auch gegen Wessis wenden und
ist eine beliebte neoliberale Argumentationsfigur, denn die
Erfolglosen sind selber schuld. Oder wie es BOLLMANN selber
formuliert:
"Angelika Merkel (zieht) im
Osten auch deshalb so viel Hass auf sich (...), weil sie ihren
Landsleuten den Spiegel vorhält: Seht her, wer sich anstrengt,
der schafft es auch."
BOLLMANN erzählt uns also die
übliche Story von der deutschen Leistungsgesellschaft. Wer sich
nur ausreichend anstrengt, der wird dafür mit guten Jobs oder
Reichtum belohnt. Dumm nur, dass dieser neoliberale Mythos längst
entlarvt wurde. BOLLMANN begibt sich auch noch ins Tal der
Ahnungslosen, nach
Bad Schandau:
"fehlendes Westfernsehen und
kulturelles Sonderbewusstsein förderten im Südosten (...) die
Ausbildung einer Parallelgesellschaft.
Ein gutes Beispiel ist Bad Schandau, das Tourismuszentrum der
Sächsischen Schweiz. Mehr als 350.000 Übernachtungen im Jahr
zählt die Stadt an der Elbe mit ihren rund 4.000 Einwohnern
(...). Die Branche boomt. Nach mehreren Hochwassern sind die
Häuser perfekt renoviert. Weil in der Saison die Arbeitskräfte
fehlen, kellnern in vielen Gasthöfen längst Pendler aus dem
benachbarten Tschechien. Auch die Infrastruktur lässt kaum
Wünsche offen. Trotzdem hat die AfD hier eines ihrer höchsten
Ergebnisse bekommen. 37,5 Prozent der Zweitstimmen. Für die
Direktkandidatin Frauke Petry (...) votierten sogar 39,9 Prozent
der Wähler in Bad Schandau. Warum?"
Die Antwort überlässt BOLLMANN
einer Ladenbesitzerin. Kleinbürgerliche Selbständige sollen die
Partei besonders gerne gewählt haben. Zum Schluss wird der Vorwurf
der Undankbarkeit nochmals auf die europäische Ebene gehoben.
Ostdeutschland erscheint dann als eine Variante des polnischen und
ungarischen Nationalkonservatismus, der dort sogar
Regierungsfähigkeit erlangt hat, während während Westeuropa die
Rechtspopulisten in ihre Schranken verweist. Das könnte sich
jedoch als sehr kurzsichtige Analyse erweisen. Deutschland zeigt,
dass die AfD gar nicht an die Macht muss, um einen Rechtsruck
sondergleichen in den etablierten Parteien zu erreichen. Und
sollten die Neoliberalen weiter scheitern, dürften auch in
Westeuropa autoritäre Regime drohen. Emmanuel MACRON zeigt bereits
jetzt Tendenzen zu einem autoritären Führungsstil.
LASCH,
Hendrik (2017): Linkspartei will "Kampf um die Dörfer".
Sachsens Linke steht vor Wechsel
bei Landesvorsitz,
in:
Neues Deutschland v. 02.10.
Hendrik LASCH berichtet über ein
Positionspapier der sächsischen Linkspartei, das Antje FEIKS und
Thomas DUZAK verfasst haben. Die Linkspartei möchte den ländlichen
Raum zurückgewinnen, wofür derzeit nichts spricht, denn auch die
Linkspartei ist mittlerweile zu einer Partei des Akademikermilieus
geworden, was sich bereits daran zeigt, dass das einzige Direktmandat
in Sachsen Wahlkreis 152 Leipzig II errungen wurde.
WILTON, Jennifer (2017): Kümmerin
des Ostens.
27 Jahre nach der Vereinigung hat
Sachsens Integrationsministerin noch immer eine andere Aufgabe als
ihre Westkollegen. Petra Köpping versucht Kränkungen und Ängste ihrer
Mitbürger zu lindern,
in:
Welt v. 02.10.
KAUFMANN, Stephan (2017): Zukunftsangst wählt rechts.
Die AfD hat im Osten besonders gut
abgeschnitten. Abstiegssorgen und schlechte Wirtschaftslage werden als
Gründe genannt. Doch stimmt die Annahme? Wie geht es dem deutschen
Osten 27 Jahre nach der Wiedervereinigung?
in:
Frankfurter Rundschau v. 02.10.
Stephan KAUFMANN präsentiert
uns eine Tabelle, die einen Vergleich der Zweitstimmenanteile der
AfD mit ausgewählten Indikatoren ermöglichen soll. Das Land
Schleswig-Holstein fehlt jedoch in der Tabelle der FR. Für
die 16 Bundesländer ergibt sich folgende Rangreihe:
Bundesland |
Anteil der
Zweitstimmen
der AfD |
Arbeits-
losen-
quote
(März
2017) |
Arbeits-
losen-
quote
(September
2017) |
Armutsquote
(Jahr
2016) |
Median-
einkommen
(im Monat
für Einper-
sonen-
haushalt) |
Sachsen |
27,0 % |
7,3
% (10) |
6,2
% (8) |
17,7 % (11) |
1.443 € (14) |
Thüringen |
22,7 % |
6,6
% (7) |
5,7
% (6) |
17,2 % (9) |
1.450 € (13) |
Brandenburg |
20,2 % |
7,6
% (11) |
6,5
% (10) |
15,6 % (7) |
1.537 € (11) |
Sachsen-Anhalt |
19,6 % |
9,1
% (13) |
7,9
% (14) |
21,4 % (15) |
1.400 € (16) |
Mecklenburg-Vorpommern |
18,6 % |
9,6
% (15) |
7,8
% (13) |
20,4 % (14) |
1.410 € (15) |
Deutschland |
12,6 % |
6,0 % |
5,5 % |
|
1.615 € |
Bayern |
12,4 % |
3,5
% (1) |
3,0
% (1) |
12,1 % (2) |
1.732 € (3) |
Baden-Württemberg |
12,2 % |
3,7
% (2) |
3,4
% (2) |
11,9 % (1) |
1.758 € (1) |
Berlin |
12,0 % |
9,4
% (14) |
8,7
% (15) |
19,4 % (13) |
1.538 € (10) |
Rheinland-Pfalz |
11,2 % |
5,1
% (3) |
4,6
% (3) |
15,5 % (6) |
1.660 € (5) |
Saarland |
10,1 % |
7,0
% (8) |
6,5
% (9) |
17,2 % (9) |
1.593 € (7) |
Bremen |
10,0 % |
10,4 % (16) |
10,0 % (16) |
22,6 % (16) |
1.485 € (12) |
Nordrhein-Westfalen |
9,4
% |
7,6
% (11) |
7,3
% (12) |
17,8 % (12) |
1.577 € (9) |
Niedersachsen |
9,1
% |
6,0
% (5) |
5,6
% (5) |
16,7 % (8) |
1.588 € (8) |
Schleswig-Holstein |
8,2
% |
6,4
% (6) |
5,8
% (7)
|
15,1 % (4) |
1.658 € (6) |
Hamburg |
7,8
% |
7,1
% (9) |
6,7
% (11) |
14,9 % (3) |
1.733 € (2) |
Hessen |
7,8
% |
5,2
% (4) |
4,8
% (4) |
15,1 % (4) |
1.663 € (4) |
Stephan KAUFMANN sucht auf der
Ebene der Bundesländer nach Zusammenhängen zwischen sozialer Lage
und Zweitstimmenanteil der AfD. Dabei werden von ihm lediglich
drei Indikatoren aus einer Vielzahl möglicher Indikatoren
berücksichtigt. Aber lassen sich auf dieser Ebene überhaupt
Zusammenhänge finden? Korrelationen sind noch lange keine
Kausalzusammenhänge und allein die Arbeitslosenquote zeigt, dass
sich die Rangreihe innerhalb relativ kurzer Zeit verändern kann.
Kann also ein Momentanwert das Lebensgefühl eines Menschen
ausdrücken? Und was ist mit den Fernpendlern, die nicht dort
wohnen wo sie arbeiten? Hinzu kommt, dass die Zweitstimmenanteile
innerhalb eines Bundeslandes und sogar innerhalb der Wahlkreise
und selbst innerhalb von Gemeinden stark schwanken können.
Fazit: Wenn auf Bundeslandebene
keine eindeutigen Zusammenhänge feststellbar sind, dann heißt das
nicht, dass sie nicht existieren, sondern nur dass die
Herangehensweise möglicherweise nicht angemessen war. KAUFMANN
kommt aufgrund von Ergebnissen weiterer Umfragen zu folgendem
Schluss:
"Wie Menschen wählen, hängt
nur zu einem Teil von ihrer objektiven wirtschaftlichen Lage ab.
Wichtig ist, wie sie ihre Lage subjektiv bewerten und ob sie
eher pessimistisch in die Zukunft sehen. Und schließlich zählt,
welche Ursachen sie für ihre Lage sehen und welchen Schluss sie
daraus ziehen - ob sie beispielsweise ihr Gerechtigkeitsgefühl
eher mit einer Vermögensteuer oder einer Zuwanderungsobergrenze
befriedigt sehen."
FTH (2017): Der
Boom ostdeutscher Städte.
Junge Ostdeutsche ziehen nach
Leipzig, Dresden oder Potsdam,
in:
Neues Deutschland v. 02.10.
Der Artikel beklagt, dass zwar die
Abwanderung junger Menschen aus Ostdeutschland gestoppt sei, davon
aber nur Städte wie Leipzig, Dresden, Jena oder Potsdam profitieren,
während der ländliche Raum weiterhin stark altert.
NOWOTNY,
Konstantin (2017): Menschen, mit denen er reden kann.
Leipzig: Sören Pellmann hat für die
Linke in Sachsen das erste Direktmandat seit 1990 gewonnen. Wie konnte
das gelingen?
in: Freitag
Nr.40
v. 05.10.
Konstantin NOWOTNY
berichtet über den
Wahlkreis 153 Leipzig II, den Sören PELLMANN von der
Linkspartei gewann (mehr
hier).
BÄHR, Sebastian
(2017): Von den Platte in den Bundestag.
Sören Pellmann gewann in Leipzig
ein Direktmandat für die Linkspartei,
in:
Neues Deutschland v. 07.10.
BARTSCH, Michael (2017):
Selbstfindung der Zivilgesellschaft.
Das Wahlergebnis als kulturelle
Herausforderung: Kulturleute in Sachsen zwischen Kapitalismuskritik
und Sinnstiftung,
in:
TAZ v. 18.10.
Michael BARTSCH sieht in der
(potenziellen) Wählerschaft der AfD eine Art
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für das akademische Kreativprekariat:
"Das ist die Zeit der Philosophen,
Künstler und aller, die nicht nur auf Geld aus sind",
zitiert BARTSCH einen Intendanten.
Ein Problem besteht jedoch:
"wie man die Reichweite über das
etablierte Theaterpublikum hinaus vergrößern könnte".
Man kann dies auch als Beitrag zur
neuen Klassengesellschaft lesen, in der die
akademische "Kulturoberschicht" (Cornelia KOPPETSCH "ich
Globus, du Dorf", Freitag 19.10.2017) nicht nur von
den Migranten, sondern auch von den einheimischen Benachteiligten
selber profitieren möchte. Der aktivierende Sozialstaat ist die
Cashcow der akademischen Klasse.
Künstler, die auf vielfältige Art und Weise vom Staat subventioniert
werden, sind in dieser Sicht nichts weiter als eine Variante des
Sozialarbeiters im Lifestyle-Staat.
DELHAES, Daniel (2017): Plötzlich
Ministerpräsident.
Michael Kretschmer: Der
Generalsekretär der Sachsen-CDU soll neuer Ministerpräsident des
Bundeslandes werden. Stanislaw Tillich tritt nach der Schlappe bei der
Bundestagswahl zurück,
in:
Handelsblatt v. 19.10.
Michael KRETSCHMER war der
Verlierer der Bundestagswahl. Sein Direktmandat ging an die AfD, womit
seine Karriere als Bundestagsabgeordneter besiegelt schien. Doch die
Personaldecke der CDU ist so dünn, dass nun die letzte Reserve an die
vorderste Front geschickt werden muss. Die CDU hat sich offenbar zu
Tode regiert!
LOCKE, Stefan (2017): Sächsischer
Befreiungsschlag.
Ministerpräsident Stanislaw Tillich
tritt zurück - die Luft um ihn war schon lange dünn geworden,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 19.10.
Stefan LOCKE beschreibt die
Differenzen zwischen den CDU-Landräten und dem Ministerpräsidenten,
der den "angeschlagenen" Michael KRETSCHMER aufgrund der "personellen
Not der Landespartei" zum Nachfolger vorschlug. Inhaltlich wird der
Sparkurs als Problem beschrieben, der bei Polizei und Lehrern zu
Problemen führte:
"Es fehlen vor allem Lehrer und
Polizisten, in manchen Schulen arbeiten inzwischen fast drei Viertel
sogenannter Seiteneinsteiger ohne pädagogische Ausbildung als
Lehrkräfte, weil die Landesregierung die Lehrerausbildung versäumte."
Man darf das getrost als Humbug
bezeichnen, denn Bildung interessiert stramme Konservative höchstens
rhetorisch aber nie praktisch. Schon immer galt strammen Konservativen
Pädagogik als überflüssig, denn allein die Herkunft ist ihnen wichtig.
Bildung (also Habitus) - so diese Sicht - ist in erster Linie Sache
des Elternhauses. Man kann diesen Standesdünkel z.B. auch bei den
Redakteuren der FAZ wiederfinden, wenn es nicht gerade wie hier
um politische Rhetorik geht. Wenn es in der Politik um Bildung geht,
dann meint man meist nur Beton aber selten das Personal. Aller
Bildungsrhetorik und Wertschätzung zum Trotz!
BARTSCH, Michael (2017):
Ratlos in Sachsen.
Wie die sächsische CDU die neuen
Zeiten verschlief,
in:
TAZ v. 20.10.
MAIER, Anja (2017): Fleisch vom
Fleische der Sachsen-CDU.
Personalien: Michael Kretschmer,
christdemokratischer - und politisch gescheiterter - Hardliner, soll
der nächste sächsische Regierungschef werden. Das wünscht sich
jedenfalls Noch-Ministerpräsident Tillich,
in:
TAZ v. 20.10.
"Nun soll (...) mit Kretschmer
jemand die Dresdner Staatskanzlei übernehmen, der nicht einmal ein
politisches Mandat hat. Ein Amt hat er zwar - seit 2005 ist er
Generalsekretär der sächsischen CDU, aber im Landtag saß er nie.
Stattdessen ab 2002 im Bundestag, das dürfte man getrost eine
Turbokarriere nennen. (...).
Bei der Bundestagswahl holte ein No-Name von der AfD seinen Görlitzer
Wahlkreis", berichtet Anja MAIER über den designierten
Ministerpräsidenten Michael KRETSCHMER.
POLLMER, Cornelius (2017): "Wir
hatten kein DDR-Ergebnis".
Die CDU-Fraktion in Sachsen spricht
sich nach "harten" Fragen mehrheitlich für Michael Kretschmer als
neuen Ministerpräsidenten aus. Dieser muss jetzt nicht nur den
Koalitionspartner von sich überzeugen,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 20.10.
LOCKE, Stefan (2017): Der Jüngste.
Michael Kretschmer,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 20.10.
Stefan LOCKE zeichnet ein
wohlwollendes Porträt des designierten Ministerpräsidenten, den er als
"eines der größten politischen Talente der Sachsen-CDU" tituliert,
obwohl der gerade durch den Verlust seines Direktmandats, das er
"viermal mit großem Abstand gewonnen hatte", gezeigt hat, dass er das
"Volk" nicht mehr versteht. Am Ende bleibt nur noch die Gnade der
späten Geburt als sein "Verdienst", wenn LOCKE schreibt:
"Sollte er im Dezember gewählt
werden, wäre er der jüngste Ministerpräsident Deutschlands und der
erste Regierungschef Sachsens, der weder in der alten Bundesrepublik
noch in der DDR, sondern im wiedervereinigten Deutschland sozialisiert
wurde."
Bis vor kurzem wurde noch Manuela
SCHWESIG als jüngste Ministerpräsidentin tituliert. Sie ist gerade
einmal ein Jahr vor KRETSCHMER geboren. Im "alternden Deutschland"
gilt offenbar das junge Alter bereits als Auszeichnung, was ja durch
den Hype um Emmanuel MACRON und seinen österreichischen Kollegen
befördert wird. Nur: geliefert hat noch keiner!
WASSERMANN, Andreas & Steffen WINTER (2017): Der Betriebsunfall.
Sachsen: Nach dem überraschenden
Rücktritt von Ministerpräsident Stanislaw Tillich soll ein
Wahlverlierer die angeschlagene Partei retten. Michael Kretschmer
kündigt einen starken Staat an,
in:
Spiegel Nr.43 v. 21.10.
"Kretschmer steht für die
Niederlage der heimischen CDU bei der Bundestagwahl. Auch weil er als
Generalsekretär seiner Partei die Kampagne maßgeblich gesteuert hat.
Nach verlorenen Wahlen sind für gewöhnlich die Generalsekretäre die
Ersten, die ihren Kopf hinhalten müssen. (...). Doch nun wird der
große Wahlverlierer befördert.
Nach Lage der Dinge gab es nur einen Mann, der Tillichs
Wunschnachfolger hätte verhindern können: Bundesminister Thomas de
Maizière",
erklären uns WASSERMANN & WINTER
zum designierten Ministerpräsidenten Michael KRETSCHER und bestätigen
damit die Einschätzung, die hier bereits vor
zwei Tagen zu lesen war.
FABRICIUS, Michael (2017):
Traumrenditen in der Provinz.
Die Mieten steigen, die Kaufpreise
sind niedrig: Ostdeutschland wird für Anleger interessant,
in:
Welt v. 21.10.
Wie bereits beim
Bericht vor einem Jahr ködert Michael FABRICIUS die Welt-Leser
mit hohen Renditen und zielt damit auf Anleger und nicht auf jene, die
eine Immobilie selbst bewohnen. Auch ist der Bericht nicht
repräsentativ für Ostdeutschland, sondern den Interessen des
Auftragsgebers geschuldet.
"Entweder muss die Stadt in der
Nähe einer der größeren Metropolen oder Schwamstädte liegen (...).
Oder die Stadt ist ein Wissens- oder Industriestandort",
erklärt uns FABRICIUS die
Auswahlkriterien, die man eher als Wetten auf die Zukunft betrachten
muss. Als Zielgruppen werden folgende vier Käufertypen gepriesen:
"Rückkehrer aus Westdeutschland,
Zuzügler, denen es in den größeren Städten zu teuer geworden ist,
Umzügler, die höhere Ansprüche an die Qualität und Wohnfläche haben.
Und Studenten".
Die Bevölkerung wächst, wird uns
erklärt, auch wenn dann lediglich die Haushaltszahlen gemeint sind,
die uns als "entscheidende" Größe präsentiert wird. Aus der Übersicht
ist ein Vergleich der Renditen mit dem Vorjahr ersichtlich, wie sie in
den beiden Welt-Artikeln in einer Grafik dargestellt wurden:
Stadt |
Wohnungsmarktbericht 2016
(durchschnittliche Bruttorendite in Prozent) |
Wohnungsmarktbericht 2017
(durchschnittliche Bruttorendite in Prozent) |
Görlitz |
11,8 % |
11,8 % |
Merseburg |
9,5 % |
10,2 % |
Dessau-Roßlau |
9,5 % |
10,2 % |
Gera |
10,0 % |
10,0 % |
Nauen |
10,0 % |
10,0 % |
Freiberg |
9,5 % |
9,5 % |
Döbeln |
9,1 % |
9,1 % |
Chemnitz |
9,1 % |
9,1 % |
Eberswalde |
9,5 % |
9,1 % |
Waren
(Müritz) |
8,7 % |
8,7 % |
Auf dem ersten Blick handelt es
sich bei diesen Städten eher um Problemstädte mit schrumpfenden oder
stagnierenden Bevölkerungen bzw. um Städte, die ihr Image durch
Marketingkampagnen zu verbessern versuchen.
Ob es ein gutes Zeichen ist, dass
sich in 7 der 10 Städte die Bruttorenditen nicht verändert haben, darf
bezweifelt werden, denn das deutet eher drauf hin, dass wenig Bewegung
auf diesen Märkten herrscht. Und für Eberswalde gilt sogar, dass die
dortigen Angebote nicht der Nachfrage entsprachen und deshalb nun die
Renditen sogar gesunken sind. Wer also auf hohe Renditen schielt,
könnte am Ende der Dumme sein!
NEUES
DEUTSCHLAND-Titelgeschichte:
Die Strategie der Union.
Die CDU in Sachsen hat wie die CSU
in Bayern AfD-Themen aufgegriffen und eine harte Politik gegenüber
Flüchtlingen gefordert. Und dann hat die Union in den beiden
Bundesländern massiv an Zustimmung verloren. Warum?
|
LASCH, Hendrik (2017): Der
humpelnde Freistaat.
Sachsens Langzeit-Regierungspartei
CDU entdeckt nach der Wahlpleite die Kluft zwischen Stadt und Land,
in:
Neues Deutschland v. 24.10.
"Die Kluft zwischen Stadt und Land
wird immer tiefer. Die Erkenntnis dämmert der seit 27 Jahren
regierenden CDU, seit sie bei der Bundestagswahl eine empfindliche
Niederlage einsteckte. Sie kam hinter der AfD nur auf Rang 2 ein und
verlor damit erstmals überhaupt eine Wahl. Vor allem in den Dörfern
ging ihr oft jeder vierte Wähler von der Fahne, während die AfD bis
über 40 Prozent holte",
beschreibt Hendrik die
Ausgangssituation. Dem CDU-Fraktionschef Frank KUPFER wird - im
Gegensatz zum designierten Ministerpräsidenten Michael KRETSCHMER
mangelnde Einsichtsfähigkeit für die landestypischen Probleme
attestiert:
"Kretschmer (...) sieht (...) eine
»sächsische Komponente«: eine eklatante Unzufriedenheit mit der
Landespolitik in Fragen von Schule und innerer Sicherheit, aber auch
wegen der Vernachlässigung des ländlichen Raumes."
Diese Defizitanalyse deckt sich mit
der Sicht von FAZ-Kollege Stefan LOCKE. LASCH führt die Defizite aber
ausführlicher an. Zudem sieht er vergleichbare Probleme auch in
Westdeutschland, wenn er der Oberlausitz die Oberpfalz und dem
Erzgebirge die Eifel zur Seite stellt. Außerdem führt LASCH an, dass
auch die Linkspartei das Problem entdeckt hat und nun für "Regionengerechtigkeit"
eintritt.
Fazit: Von LASCH erhält Michael
KRETSCHER einen Vertrauenvorschuss. Er sieht ihn vor einer
Herkulesaufgabe, denn:
"Schon 2019 wird im Freistaat
wieder abgestimmt - und zwar ausschließlich über Landespolitik."
SCHMIDT,
Kristin (2017): Der Mythos vom Mangel.
Arbeitsmarkt: Der deutschen
Wirtschaft fehlt es angeblich an Fachkräften. Dabei sind die
Unternehmen oft selber schuld - sie suchen einfach nicht richtig,
in:
Wirtschaftswoche Nr.45 v. 27.10.
Kristin SCHMIDT berichtet über
Kritiker der Deutung vom Fachkräftemangel in Deutschland, den z.B.
die Arbeitgeberlobbyorganisation IW Köln in ihrem MINT-Report
beklagt. Anhand eines Falles eines Ingenieurs wird hervorgehoben,
dass die Unternehmen nicht bereit sind für Fachkräfte angemessene
Löhne zu zahlen.
Der Soziologe Karl BRENKE
kritisiert, dass die simple Gegenüberstellung von
Arbeitslosenzahlen und offenen Stelle in die Irre führt, weil zum
einen nicht jeder Jobsuchende arbeitslos gemeldet ist und zum
anderen offene Stellen nicht selten doppelt ausgeschrieben werden.
BRENKE lässt deshalb einzig die Lohnentwicklung als geeigneten
Indikator für personelle Engpässe gelten.
Auch Lars FIEHLER von der IHK
Dresden sieht keinen Fachkräftemangel, denn rückkehrwillige
Ostdeutsche fänden nur sehr selten Arbeitsplätze im Landkreis
Bautzen.
Am Ende des Artikels lautet der
Tenor, dass die schlechten Arbeitsbedingungen in Deutschland dafür
verantwortlich sind, dass ein "Brain Drain" stattfinde.
NIMZ, Ulrike &
Josef KELNBERGER (2017): Komm doch mal rüber.
Buch zwei: Protestwähler gab es bei
der Bundestagswahl in Ost und West. Aber treibt sie wirklich das
Gleiche? Die SZ hat zwei Reporter auf eine sehr persönliche Erkundung
in zwei AfD-Hochburgen geschickt: Eine Sächsin sieht sich in
Niederbayern um - ein Niederbayer in Sachsen,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 04.11.
Der
Bayer Josef KELNBERGER präsentiert uns eine Sozialpädagogin in
Neukirch/Lausitz die linksliberale Sicht auf die
AfD-Wählerschaft in Sachsen. Denen mangelt es nur an einem
demokratischen Bewusstsein. KELNBERGER setzt deshalb auf das
Einüben von Demokratie - notfalls über Volksentscheide.
"35 Prozent AfD wirken
überraschend für einen 5.000-Einwohner-Ort, dem es so schlecht
nicht geht. Man klagt über die mangelhafte Verkehrsanbindung,
weiterhin ziehen junge Leute weg. Aber immerhin gibt es Schulen,
Ärzte, Geschäfte, jede Menge Vereine. Die Arbeitslosigkeit hält
sich in Grenzen, mit den Flüchtlingen im Ort gibt es keine
nennenswerte Probleme. Dennoch 35 Prozent AfD, und dann gab es
noch diese U-18-Bundestagswahl. Im Kreis Bautzen, zu dem
Neukirch gehört, stimmte die Jugend wie folgt ab: 26 Prozent der
Jungs und Mädchen unter 18 Jahren wählten AfD - und acht Prozent
sogar NPD. Ist das Sachsens Zukunft?"
fragt KELNBERGER. In
Neukirch lag der Zweitstimmenanteil der AfD mit 38,1 % unter
dem Erststimmenanteil von 38,4 %. Neukirch gehört zum
Wahlkreis 256 Bautzen I, in dem die AfD das Direktmandat
gewann. KELNBERGER besucht deshalb den Wahlkreisabgeordneten der
AfD in Bautzen ("Posterboy der sächsischen AfD), der in
Hoyerswerda aufgewachsen ist und als Streifenpolizist tätig war.
Dass der Wahlkreissieger ein "gemäßigt konservativer AfD-Mann"
sei, will KELNBERGER nicht so sehen. Als Bayer sieht er seinen
Freistaat in einem milderen Licht als die Sachsen, wo er die CDU
sogar mit der NPD kooperieren sieht.
In
Zittau besucht KELNBERGER einen evangelischen Pfarrer, der von
den "30,8
Prozent für die AfD" erschüttert ist.
"Zittau ist eine dieser
Ost-Städte, die den Besucher schier umhauen, besichtigt man das
sanierte alte Zentrum. Leute, denkt man, wo ist euer Problem?
Aber vermutlich hätte der Staat mehr in die Menschen als in
historische Bauten investieren sollen."
Mehr fällt ihm dazu nicht ein.
Sport
statt Religion heißt das Motto für Weißwasser (mehr
hier).
GERLACH,
Thomas (2017): Die Reformatorin.
Nahaufnahme: In der Oberlausitz, am
Rande Deutschlands: Im Dorf von Jadwiga Mahling haben die Rechten
triumphiert. Dabei predigt die sorbische Pfarrerin Gnade und
Barmherzigkeit. Was soll da aus ihrer Kirche werden?
in:
TAZ v. 04.11.
Thomas GERLACH porträtiert die
erste sorbische Pfarrerin, die in
Schleife, einem Dorf im sächsischen Landkreis Görlitz, tätig
ist.
"Gut
36 Prozent haben in Schleife für die AfD gestimmt. Dazu
kommen 1,5 Prozent für die NPD. (...).
25 Prozent, etwa 1.700 Einwohner, sind in Schleife und den
sieben Dörfern ringsum evangelisch. (...).
Bei den katholischen Sorben, sie galten eigentlich als
vollkommen immun gegenüber deutschnationalen Tönen, war das
AfD-Ergebnis übrigens mit rund 20 Prozent auch noch
überdurchschnittlich. Jadwiga Mahling ist selbstverständlich
froh, dass die meisten Sorben, etwa 80 Prozent, vor 500 Jahren
evangelisch geworden sind."
POLLMER, Cornelius (2017): Im Land der toten Augen.
Probleme durch Landflucht und eine
immer ältere Bevölkerung plagen gerade ostdeutsche Kommunen schon
länger - in Sachsen keimt nun mancherorts aber auch Hoffnung,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 06.11.
"Das Landesprogramm
Demografie läuft seit zehn Jahren, 171 Projekte wurden seitdem mit 7,3
Millionen Euro gefördert, vom Bürgerbus über Kleingartenprojekte bis
zur »Analyse von Bleibefaktoren junger Frauen in der Oberlausitz«.
Sachsen hat als erstes Bundesland ein solches Förderprogramm
ermöglicht, auch weil es bis 2006 den höchsten Altersdurchschnitt im
bundesweiten Vergleich aufgewiesen hatte",
berichtet Cornelius POLLMER. Das
soll offenbar beeindrucken, bedeutet aber das Gegenteil: 730.000 Euro
pro Jahr, um dem demografischen Wandel zu begegnen. Das kann man nur
als Witz bezeichnen und zeigt höchstens, dass Demografie vor allem
eines ist: Rhetorik!
Anlass ist ein Treffen von
Delegierten aus 12 sächsischen Kommunen, bei dem es vor allem um
Selbstbeweihräucherung in Sachen Demografie ging - zumindest wenn man
den Artikel liest. POLLMER nennt nur 8 der 12 Kommunen:
Stollberg (AfD-Zweitstimmenanteil
bei der Bundestagswahl 2017: 26,5 %),
Pulsnitz (AfD-Zweitstimmenanteil:
30,9 %),
Hirschstein (AfD-Zweitstimmenanteil:
35,3 %),
Meerane (AfD-Zweitstimmenanteil:
26,3 %),, Neukirch,
Rothenburg (AfD-Zweitstimmenanteil:
26,3 %),
Johanngeorgenstadt (AfD-Zweitstimmenanteil:
33,6 %) und Weißwasser. Im
Landesdurchschnitt erhielt die AfD in Sachsen bei den Zweitstimmen
27,0 Prozent.
"So sehr sich die Bürgermeister
darauf eingerichtet zu haben scheinen, Schrumpfungsprozesse zu
moderieren und auszuhalten, so sehr keimt mancherorts auch Hoffnung.
Auf die eher allgemeine Aussage der Moderatorin in Limbach, jedem
Trend folge irgendwann einen Gegentrend und sei es bei der
Globalisierung, folgt die Beobachtung einer Umkehr von Bürgermeister
Conrad Seifert aus Hirschstein. Man habe es »seit
ein paar Jahren mit der Enkel-Generation zu tun und die wollen wieder
in der Heimat leben«."
berichtet POLLMER, um dieser
optimistischen Sicht das
Modell Weißwasser
entgegenzuhalten, obwohl dies ein Extrembeispiel ist. Solche
Extrembeispiele haben in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass Chancen
des demografischen Wandels nicht genutzt wurden.
In den Nuller Jahren bereitete sich Deutschland bekanntlich auf ein
endloses Schrumpfen vor. Wer sich dem widersetzte, wurde von den
Mainstreamzeitungen an den Pranger gestellt. Besonders drastisch
argumentierte Reiner KLINGHOLZ, der
noch 2011 die Zukunft der Dörfer in Deutschlands Peripherie im
Ausbluten lassen sah. DIE SZ hofierte KLINGHOLZ besonders
gerne. Die AfD kann sich bei solchen Ideologen bedanken. Ihr Erfolg
ist auch das Versagen unserer linksliberalen Eliten.
UHLMANN, Steffen (2017): Die Mieten
steigen, die Leerstände auch.
Der ostdeutsche Immobilienmarkt ist
gespalten. Einerseits gibt es eine wachsende Zahl von Boomstädten,
andererseits immer mehr abgehängte Landstriche. Sachsen beispielsweise
wird ein starker Bevölkerungsrückgang prophezeit. Und nun?
in:
Süddeutsche Zeitung v. 10.11.
Steffen UHLMANN spricht beim
Wohnungsmarktbericht von "gerade erschienen, obwohl das 4 Wochen
zurück liegt und die Welt bereits damals darüber berichtete.
UHLMANN kritisiert deshalb die Zahlen als zu optimistisch und stellt
ihm Zahlen entgegen, die Iris GLEICKE kommuniziert hat:
"Die noch amtierende Ostbeauftragte
der Bundesregierung warnt vor einer gewaltigen neuen Leerstandswelle,
die den Osten in den nächsten 15 Jahren zu überrollen droht. Und auch
Gleicke stützt sich dabei auf aktuelle Analysen, die zum Beispiel das
Ifo-Institut Dresden angestellt hat. Ob
Hoyerswerda, Stadtilm, Waren,
Aschersleben oder Zeitz - der Boom ostdeutscher Großstädte geht an
diesen Kommunen meilenweit vorbei, heißt es. Schon jetzt stehen nach
Ifo-Berechnungen in Ostdeutschland 600.000 Wohnungen leer. Diese Zahl
werde sich bis 2030 auf 1,1 bis 1,2 Millionen verdoppeln, schätzt
Ifo-Chef Joachim Ragnitz."
Wer hat nun Recht? Die Optimisten
der TAG Immobilien AG oder die Pessimisten vom Dresdner Ifo-Institut?
Die Wahrheit dürfte dazwischen liegen, denn der
Wohnungsmarktreport Ostdeutschland ist nicht repräsentativ und
die Bevölkerungsvorausberechnungen in diesem Jahrzehnt waren immer zu
pessimistisch. Und es gilt: Je kleinräumiger solche Vorausberechnungen
sind, desto ungenauer sind sie in der Regel.
LASCH, Hendrik (2017): Plagwitzer
Entmischung.
Siemens stellt einen der letzten
Industriebetriebe im Leipziger Westen in Frage,
in: Neues
Deutschland
v. 10.11.
LACHMANN, Harald (2017): Bezirk
Leipzig mit anderen Mitteln.
Die touristische Großregion um die
sächsische Messestadt reicht bis vor die Tore Dresdens,
in: Neues
Deutschland
v. 10.11.
Harald LACHMANN berichtet über die
Tourismus-Marke "Leipziger Region" als Ersatz für den früheren
DDR-Bezirk Leipzig. Die Marke "Leipziger Region" umfasst die dreit
Teilbereiche
"Leipziger Neuseenland, Sächsisches
Burgenland und Sächsische Heideland - und erstreckt sich bis nach
Ostthüringen und in einige sachsen-anhalttische Zipfel um Bitterfeld.
Und im Süden und Südosten geht es bis kurz vor die Tore von
Chemnitz
und Dresden."
BAUMGÄRTNER, Maik/DEGGERICH, Markus/HORNIG, Frank/WASSERMANN,
Andreas (2017): Der Riss.
Einheit: 28 Jahre nach dem
Mauerfall gibt es in diesem Jahr wenig zu feiern. Was sind die
Gründe für den Rechtsruck in Deutschland? Und wie kann er überwunden
werden?
in:
Spiegel Nr.46 v. 11.11.
BAUMGÄRTNER/DEGGERICH/WASSERMANN
wollen dem ostdeutschen AfD-Wähler auf die Spur kommen,
wobei sie vor allem gegen die These von den
wirtschaftlichen Verhältnissen als Ursache angehen:
"Es sind die Reste
einer DDR-Plattenbausiedlung, die keiner mehr braucht.
Weißwasser in der Oberlausitz ist eine leere Stadt,
viele haben das Weite gesucht, und wer geblieben ist,
kann sich als Verlierer der Einheit fühlen. Knapp 28
Prozent von ihnen wählten bei der Bundestagswahl die AfD.
Neun Kilometer östlich, an der Neiße, liegt
Bad Muskau. Es gibt ein Schloss und einen Park, der
für viele Millionen Euro restauriert wurde und zum
Unesco-Weltkulturerbe zählt. Das Städtchen und seine
Bewohner profitieren vom Tourismus, Bad Muskau ist eine
ostdeutsche Erfolgsgeschichte. Trotzdem stimmte fast
jeder Dritte bei der Bundestagswahl für die AfD. 3,6
Prozentpunkte mehr als in Weißwasser",
erklären uns die
Spiegel-Autoren, als ob das Belege dafür wären, dass
die sozioökonomischen Verhältnisse keine Rolle spielen
würden. Die Gegenüberstellung sagt eher etwas über das
Milieu aus, dessen Vorstellungen über sozioökonomische
Verhältnisse die Berichterstattung in den
Mainstreamzeitungen prägt. In Bad Muskau (ca. 3.600
Einwohner) erhielt die AfD 31,4 Prozent der Zweitstimmen
und deklassierte damit die herrschende CDU, die nur auf
29,4 % kam. Auch in dem ca. 16.8000 Einwohner zählenden
Weißwasser (siehe
auch SZ) wurde die Sachsen-CDU deklassiert. Beide
Gemeinden gehören zum Wahlkreis 157 Görlitz, in dem ein
ehemaliger CDU-Kollege, der zur AfD gewechselt ist, dem
designierten Ministerpräsidenten Michael KRETSCHMER den
Wahlkreis abjagte. Das hatte der Spiegel genauso
wenig auf dem Schirm wie der CDU-Kandidat, der seinen
Mißerfolg der Kanzlerin zuschreibt. Ob ein Wahlverlierer
wie KRETSCHMER eine gute Wahl für Sachen ist, das wird die
nächste Landtagswahl zeigen. Ob dann die alten
CDU-Kumpanen eine Koalition bilden werden? Der Spiegel hat
an dem AfD-Mann jedenfalls nichts auszusetzen, denn er ist
"bislang nicht als Demagoge aufgefallen".
Am Ende wird die
Bertelsmann-Studie
Populäre Wahlen präsentiert, die eine Spaltung
zwischen Modernisierungsbefürwortern und
Modernisierungsskeptikern konstatiert. Darauf darf Reiner
HASELOFF darauf erwidern, dass die AfD-Gründung ein
Wessi-Produkt sei.
Der Erkenntnisgewinn
des Artikels ist letztlich gering. Dass die AfD eine
heterogene Wählerschaft anspricht, die sich von
"neoliberalen", "nationalkonservativen" oder gar
völkischen Elementen das Passende heraussucht, ist nicht
sonderlich originell. Der Versuch den Anteil der
sozioökonomischen Verhältnisse kleinzureden, ist der
neoliberalen Stoßrichtung des Blattes geschuldet. Die
Linkspartei, die einmal so etwas wie eine ostdeutsche
Volkspartei war, ist für viele Ostdeutsche keine
Alternative mehr, denn sie hat als Regierungspartei
durchaus einen Anteil an dem Rechtsruck. Der Versuch
Gebietsreformen als alternativlos darzustellen und von
oben herab durchsetzen zu wollen, ist sowohl in
Brandenburg als auch in Thüringen gescheitert. Kommunen
durch Zuckerbrot (Förderung) und Peitsche (Zwang zu Fusion
oder zumindest Kooperation) zu knechten, dürfte ebenfalls
Kollateralschäden zur Folge haben. Statt den
Strukturwandel und den demografischen Wandel abzufedern,
ist die neoliberale Strategie darauf gerichtet die Lage
zusätzlich zu verschärfen. Die dadurch erzeugte Angst
kommt den rechtspopulistischen Parteien zugute, während
die Linke hilflos agiert bzw. sich selber zerfleischt.
HONNIGFORT, Bernhard (2017): Der Bauch hat das Wort.
Michael Kretschmer ist nicht zu
beneiden. Ministerpräsident von Sachsen muss er werden, die
gedemütigte CDU wiederbeleben und er hat weder Zeit noch einen
echten Plan,
in:
Frankfurter Rundschau v.
13.11.
"1000 Schulen hat
Sachsen seit 1990 wegen des Geburtenknicks geschlossen
und dann den Zug verpasst, als ab 2010 die Kinderzahlen
wieder stiegen. Seit einem Jahr will die Regierung
gegensteuern",
erklärt uns Bernhard
HONNIGFORT ein Problem das keineswegs nur für Sachsen
typisch ist. Die Mainstreammedien haben ihren Teil dazu
beigetragen, dass der Zug verpasst wurde, denn
seit Jahren leugnet das Statistische Bundesamt eine
Trendwende bei den Geburten und verweist darauf, dass
wir lediglich ein "demografisches Zwischenhoch" erleben.
Tatsächlich wurde der Babyboom der 1960er Jahre genauso
wenig erkannt, sondern erst als er bereits vorbei war, was
zu Bevölkerungsvorausberechnungen führte, die weit weg
jeglicher Realität waren.
Am Mittwoch verkündet
das Statistische Bundesamt die Geburtenzahlen für das Jahr
2016. Dann wird sich zeigen müssen, ob die Schätzung der
Bertelsmann-Stiftung
vom Juli diesen Jahres realistisch war.
LOCKE, Stefan (2017):
Machtlos gegen den Umbruch.
Siemens will fast 7.000 Menschen
entlassen. Görlitz trifft das besonders hart. Die Arbeitslosigkeit
könnte sich verdoppeln. Stärkt das jetzt die radikalen Kräfte?
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
v. 18.11.
LEMBKE,
Judith & Kristina PEZZEI (2017): Raus aus der Großstadt.
Die Wohnungskrise kennt auch
Gewinner: Die Provinz will von den hohen Preisen in den Metropolen
profitieren. Die Städte im Schatten bringen sich in Stellung - und
wähnen den Zeitgeist auf ihrer Seite,
in:
Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung v. 19.11.
LEMBKE & PEZZEI berichten über
die Vorstellungen der Lobbyisten der Wohnungswirtschaft, die bereits
Ende Juni das
Handlungskonzept zur polyzentralen Standortsicherung von
Abwanderungsregionen veröffentlichten. Durch
Preissteigerungen in den Metropolen und den Erfolg der AfD ist der
ländliche Raum in den Blickpunkt gerückt.
BECKER,
Kim Björn & Kristiana LUDWIG (2017): In Behandlung.
Übung macht den Meister - das
gilt auch für Ärzte. Gesundheitsexperten fordern, das sich einige
deutsche Klinken auf bestimmte Eingriffe spezialisieren und andere
dafür schließen. Doch für die Krankenhausplanung sind die
Bundesländer und Kommunen zuständig. Und die haben eigene
Interessen. Ein Besuch in zwei Kliniken,
in:
Süddeutsche Zeitung v.
21.11.
BECKER & LUDWIG
beschreiben die Politik als Störfaktor bei
betriebswirtschaftlicher (Beispiele Tauberbischofsheim/Bad
Mergentheim und Leipzig) Effizienz. Obwohl die Bevölkerung
wächst und altert, soll die Anzahl der Krankenhäuser wegen
des Spardiktats reduziert werden:
"Überall im Land
kämpfen Krankenhäuser ums Überleben, ihre Zahl ist seit
den Neunzigerjahren schon um gut ein Fünftel gesunken,
von 2411 auf 1951. Und sie wird wohl noch weiter sinken,
denn eine Studie attestierte weiteren 20 Prozent der
Häuser, dass sie auf wirtschaftlich wackeligen Beinen
stehen. Das neoliberale Lobbyinstitut RWI erstellte die
Liste von Krankenhäusern mit erhöhter Insolvenzgefahr.
Eine PR der neoliberalen Privatstiftung
Bertelsmann sieht in der Spezialisierung das
Allheilmittel. Es wird mit geringen Durchschnittswerten
zu Anfahrtswegen argumentiert - was wenig aussagt, denn
der Durchschnitt zweier Kliniken mit 5 Minuten und 55
Minuten beträgt lediglich 30 Minuten. In Notfällen
entscheidet das über Leben und Tod."
RIETZSCHEL, Antonie (2017):
"Verraten und verkauft".
Für viele Beschäftigte in Görlitz
war Siemens nicht nur ein Arbeitgeber, sondern eine Familie. Doch
über die geplante Schließung wurden sie nur per Mail informiert.
Besuch in einer Stadt, die um ihre Zukunft bangt,
in:
Süddeutsche Zeitung v.
22.11.
LOSSE, Bert & Katharina
MATHEIS
(2017):
Prinzip Darmstadt.
Exklusivstudie: Der große
WirtschaftsWoche-Städtetest zeigt, wo es sich in Deutschland am
besten arbeiten, leben und investieren lässt - und welche
Faktoren für den Erfolg einer Stadt entscheidend sind,
in:
WirtschaftsWoche
Nr.49
v. 24.11.
Das neoliberale
Städte-Ranking wird seit 2004 durchgeführt und
bewertet die 69 kreisfreien Großstädte nach ihrer
Wirtschaftsfreundlichkeit. Das Abschneiden der sächsischen
Großstädte ist aus der nachfolgenden Übersicht ersichtlich:
Tabelle: Rang
der sächsischen Großstädte unter den 70 größten
kreisfreien Städten
im Städtevergleich 2016 |
Großstadt |
Rang im Zukunftsindex |
Rang im Niveauranking |
Rang im Dynamikranking |
Dresden |
13 |
29 |
23 |
Chemnitz |
52 |
52 |
50 |
Leipzig |
27 |
40 |
11 |
|
Quelle:
IW Köln 2009, Tabellen S.8, 11 und13 |
Es wird nur der Rang
betrachtet, weil die Punktewertung aufgrund der wechselnden
Indikatorenbildung keine Aussagekraft besitzt.
WOLFF,
Bettina (2017): Dann trägt Siemens Görlitz zu Grabe.
Das Görlitzer Turbinenwerk soll
nach 170 Jahren geschlossen werden. Die Belegschaft wehrt sich. Es
ist ihre letzte Chance,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
v. 25.11.
LACHMANN, Harald (2017): "So geht
sächsisch nicht!"
Der Freistaat hat den bundesweit
schlechtesten Betreuungsschlüssel - das soll sich ändern,
in:
Neues Deutschland v.
27.11.
MÄDLER,
Katrin (2017): Mit Jugend und frischem Wind.
Junge Menschen wollen in Adorf
gegen die Bevölkerungsprognose kämpfen,
in:
Neues Deutschland v.
04.12.
Katrin MÄDLER berichtet
über ein Projekt des Bundesprogramms Demografiewerkstatt
Kommunen, zu dem Adorf in Sachsen als eine von acht
geförderten Gemeinden gehört. Das Projekt ist eine Art
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für einen Sozialpädagogen.
Anfang des Jahrtausends forderte der nationalkonservative
Bevölkerungswissenschaftler Herwig BIRG, dass
Bevölkerungspolitik ein Bevölkerungsbewusstsein benötige.
Das Projekt, das auf die Jugend abzielt, kann als Teil
dieser Propaganda betrachtet werden.
"Seit 1990 ist die
Bevölkerungszahl in der vogtländischen Kommune um ein
Viertel zurückgegangen. Nach Zahlen des Statistischen
Landesamtes in Sachsen dürfte
Adorf bald die 5.000-Einwohner-Grenze unterschreiten
- schon im Jahr 2022 könnte es soweit sein. Für das Jahr
2030 sind nur noch 4.500 Adorfer Bewohner
prognostiziert. Ende 2015 lebten knapp 5.100 Menschen in
Adorf - nachdem es im Jahr 2000 noch gut 6.200 waren,
berichtet MÄDLER über
die prognostizierte Bevölkerungsentwicklung in Adorf. Bei
der Bundestagswahl erhielt dort die
AfD nur 25 % der Zweitstimmen und wurde damit nur
zweitstärkste Kraft hinter der CDU.
SCHÖNBACH, Miriam (2017):
Schöne Bescherung frü "Görliwood".
Nachfrage nach dem Drehort in der
internationalen Filmbranche ist hoch,
in:
Neues Deutschland v.
05.12.
LASCH,
Hendrik (2017): Anderthalb Jahre auf Bewährung.
Hoffnungsträger mit 42: Michael
Kretschmer soll die CDU in Sachsen wieder aufrichten,
in:
Neues Deutschland v.
07.12.
Der Wahlverlierer Michael
KRETSCHMER, der seinen Wahlkreis bei der Bundestagswahl an einen
unbekannten Handwerksmeister der AfD verloren hat, ist das letzte
Aufgebot der Sachsen-CDU. Am Samstag soll er zum Landeschef gewählt
werden und am Mittwoch noch schnell zum Ministerpräsident des
einstigen CDU-Vorzeigelands ernannt werden. Am Ende könnte für die
CDU eine Koalition als Juniorpartner der AfD winken.
HONNIGFORT, Bernhard
(2017): Schöne Kulisse, hässliche Aussichten.
Siemens will in Görlitz sein
Turbinenwerk schließen. Für die wirtschaftsschwache Grenzregion zu
Polen ist das eine Tragödie,
in:
Frankfurter Rundschau v.
09.12.
LEMBKE, Judith (2017): Gesundschrumpfen nicht möglich.
Sinkt in einem Ort die
Bevölkerung, steigen oft die Ausgaben,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
v. 11.12.
LOCKE, Stefan
(2017): Menetekel Sachsen.
Michael Kretschmer muss schaffen,
was kaum zu schaffen ist: den Abstieg der CDU verhindern,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
v. 14.12.
Die niedergehende
Sachsen-CDU hat Michael KRETSCHMER, der im September sein
Bundestagsmandat gegen einen AfD-Mann verlor, als neuen
Ministerpräsidenten durchgesetzt.
"Jahrelang hat es die Union
versäumt, für Nachwuchs zu sorgen und Lehrkräfte anständig zu
bezahlen. Heute fehlen Tausende Lehrer. Die Verbeamtung, die der neue
Kultusminister nun fordert, ist jetzt die letzte Möglichkeit, um auf
dem heftig umkämpften Lehrermarkt überhaupt noch mithalten zu können
und das sächsische Bildungssystem zu retten",
meint
Stefan LOCKE zu einem
Problem, das Sachsen mit nahezu allen Bundesländern teilt, denn
Deutschland hat den Geburtenanstieg verschlafen. Aktuell gilt die 6.
regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung für Sachsen, die am 19.
April 2016 veröffentlicht wurde. Dazu heißt es in einer
Pressemitteilung:
"Die Geburtenrate ist mit 1,57
Kindern pro Frau in Sachsen bundesweit die höchste und damit höher als
in der vorangegangenen Berechnung erwartet. Die für die Zukunft
angenommene Geburtenrate in Sachsen liegt mit 1,6 (weniger
optimistische Variante) und zeitweise 1,7 (optimistische Variante)
Kindern pro Frau noch einmal leicht darüber."
Die Annahmen werden in der
6. regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung folgendermaßen
beschrieben:
"Die Grundannahme in beiden
Varianten war ein weiterer Anstieg der Geburtenhäufigkeit ausgehend
vom Basisjahr 2014. In der unteren Variante wurden die Annahmen zur
Geburtenhäufigkeit aus der 13. koordinierte
Bevölkerungsvorausberechnung übernommen. Diese geht für Sachsen von
einem weiteren, wenn auch gedämpften, Anstieg der zusammengefassten
Geburtenrate auf knapp 1,6 Kinder je Frau bis zum Jahr 2028 aus. In
der oberen Variante wurde ein temporärer Anstieg der Geburtenrate
modelliert. Damit soll einer möglichen Veränderung der Geburtenrate
auf Grund des höheren Anteils junger Frauen in Folge erhöhter
Zuwanderung Rechnung getragen werden. Die Geburtenrate wird für den
Zeitraum 2018 bis 2020 auf 1,7 Kinder je Frau gesetzt und sinkt danach
bis 2028 wieder auf den vorausberechneten Wert der unteren Variante
(1,6 Kinder je Frau)."
(2016, S.6)
Die Entwicklung der Geburten in
Sachsen im Vergleich zur Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK)
ist aus der folgenden Tabelle ersichtlich:
Tabelle: Die
Entwicklung der Geburten in Sachsen 2009 - 2015 im
Vergleich zur
Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK) |
Jahr |
2009 |
2010 |
2011 |
2012 |
2013 |
2014 |
2015 |
Gesamtzahl |
34.093 |
35.091 |
34.423 |
34.686 |
34.800 |
35.935 |
36.466 |
1. Kinder |
17.462 |
17.757 |
17.438 |
17.226 |
17.131 |
17.701 |
17.810 |
2. Kinder |
11.584 |
12.188 |
11.853 |
12.156 |
12.274 |
12.610 |
12.837 |
3. Kinder |
3.444 |
3.510 |
3.522 |
3.687 |
3.708 |
3.862 |
3.943 |
4. Kinder |
1.002 |
1.067 |
1.014 |
1.011 |
1.103 |
1.124 |
1.205 |
5. u. w. Kinder |
601 |
569 |
596 |
606 |
584 |
638 |
671 |
Geburtenrate (TFR) |
1.437,6 |
1.492,8 |
1.475,2 |
1.484,4
1.518,3* |
1.526,7* |
1.572,3* |
1.588,4* |
KMK-Prognose |
|
33.000 |
32.800 |
32.600 |
32.300 |
32.000 |
31.700 |
Differenz |
|
+ 2.091 |
+ 1.623 |
+ 2.086 |
+ 2.500 |
+ 3.935 |
+ 4.766 |
|
Quelle:
2009: Statistisches
Jahrbuch Sachsen 2010; 2010-2012: Statistisches Jahrbuch
Sachsen
2010, 2013 und 2014; 2013-2015:
Statistisches Jahrbuch Sachsen 2017; eigene Berechnungen
Anmerkung: * Geburtenrate auf Basis des Zensus 2011 |
Die aktuelle
Vorausberechnung der Kultusministerkonferenz stammt vom Mai 2013
und leitet ihre Zahlen noch aus der 12. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes ab. Die
Berechnungen der KMK liegen für Sachsen im Zeitraum von nur 6 Jahren
um 17.000 Kindern unter den tatsächlichen Geburtenzahlen. Für das
erste Halbjahr 2016 meldet das Statistische Bundesamt 18.289
Geburten. Im Jahr 2015 waren es 16.516 Geburten (2. Halbjahr: 19.950).
Es kann also davon ausgegangen werden, dass die Differenz 2016
erheblich steigen wird (KMK-Prognose: 31.400)
Das Statistische Bundesamt geht in
ihrer im März 2017 aktualisierten 13. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung für die 5 ostdeutschen Flächenländern von
102.700 Geburten aus. Aus der nachfolgenden Übersicht ist der Stand
der Geburten für die ostdeutschen Flächenländer abzulesen. Die Zahlen
deuten darauf hin, dass die Prognose übertroffen wird. Derzeit sind
83.097 Geburten gemeldet, wobei für Sachsen das zweite Halbjahr und
für Mecklenburg-Vorpommern noch die letzten 4 Monate fehlen.
Tabelle:
Die bislang veröffentlichten Geburtenzahlen in den
ostdeutschen
Flächenländer für das Jahr 2016 (Stand: 14.12.2017) |
Bundesland |
Geburtenzahl
(vorläufig) |
Geburtenzahl
(1. Halbjahr) |
Geburtenzahl
(Jan. - Aug.) |
Geburtenzahl
(Jan. - Nov.) |
Brandenburg |
|
|
|
19.199 |
Mecklenburg-
Vorpommern |
|
|
9.042 |
|
Sachsen |
|
18.289 |
|
|
Sachsen-Anhalt |
18.093 |
|
|
|
Thüringen |
18.474 |
|
|
|
|
Quelle:
Zahlenspiegel Mecklenburg-Vorpommern September -
Dezember 2017;
eigene Berechnungen |
Fazit: Sachsen ist kein Einzelfall,
aber dort war das Spardiktat besonders ausgeprägt.
HAVENSTEIN, Bernd (2017):
Von Puppen und Toilettenbecken.
Seit über 300 Jahren gibt es den
Spielwarenladen Loebner im sächsischen Torgau. In der DDR hat die
Familie clever gewirtschaftet, heute boomt der Onlinehandel. Ein
Besuch,
in:
Neues Deutschland v.
16.12.
"1989 hatte Torgau rund 22.000
Einwohner. Diese Zahl sank bis 2007 auf 17.800. Nur durch
Eingemeindungen konnte die offizielle Zahl danach wieder
aufgebessert werden. Dennoch, so Jörg Loebner: »Torgau ist eine tote
Stadt.« Um das historische Geschäft zu halten, musste Loebner in den
Internethandel einsteigen. Heute entfällt der geringste Umsatzanteil
auf das Geschäft am Ladentisch", erklärt uns Bernd HAVENSTEIN zur
sächsischen Kleinstadt, die im
September in die Schlagzeilen geriet.
GERLACH, Thomas (2017): Görlitz flackert.
Reportage: Weihnachten naht, und
die Stadt strahlt. Wäre da nicht dieses unglaubliche Verdikt aus
München: Siemens will sein Werk tief im Osten schließen,
in:
TAZ v. 21.12.
LASCH,
Hendrik
(2017): Kein Platz für Seiteneinsteiger.
Sachsen: Die plötzliche
Entlassung von Kurzzeit-Minister Haubitz sorgt für Unruhe,
in:
Neues Deutschland v. 21.12.
"Ohne
Seiteneinsteiger geht in Sachsens Schulen nichts mehr.
Weil Tausende Lehrer benötigt werden, es aber an
ausgebildeten Bewerbern fehlt, werden Umsteiger aus
anderen Berufen in die Klassenzimmer geschickt. Ihr
Anteil an den Neueinstellungen liegt bei über 50
Prozent, in Grund- und Oberschulen sind es fast zwei
Drittel",
berichtet Hendrik LASCH
über die
Schulmisere in Sachsen, die auch das Statistische
Bundesamt und die Kultusministerkonferenz
mitzuverantworten hat.
KUNTZ, Michael (2017): Pensionopolis.
Görlitz ist mehr als nur Siemens
- schon seit langem ist die östlichste Stadt Deutschlands mit
niedrigen Mieten und ihren 4000 Baudenkmälern ein attraktiver Ort,
um den Ruhestand zu verleben. Rentner sind hier willkommen. Das gilt
umso mehr, wenn jetzt Arbeitsplätze wegfallen,
in:
Süddeutsche Zeitung v.
23.12.