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Kommentierte Bibliografie

 
       
   

Chemnitz im demografischen Wandel

 
       
   

Eine Großstadt, der ein Abstieg ohne Ende prophezeit wurde (Teil 1)

 
       
     
   
     
 

Einführung

Der sächsischen Großstadt Chemnitz wurde von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung noch im Jahr 2006 ein Abstieg ohne Ende prophezeit. Die Einwohnerzahl könnte sogar unter 200.000 fallen, wurde uns erzählt. Im Jahr 2019 liegt Chemnitz jedoch eher bei 250.000 Einwohnern, obwohl die Großstadt immer wieder negative Schlagzeilen machte. Kann sich also Chemnitz von seinem negativen Image befreien oder stoßen hier die geplanten Gentrifizierungsprozesse an ihre Grenzen? Diese Frage steht im Mittelpunkt dieser Bibliografie.     

Übersicht: Einwohnerwachstum durch Eingemeindungen 1990 - 2000

Tabelle: Eingemeindungen in Chemnitz 1990 - 2000
Zeitpunkt Eingemeindete Gemeinde (Einwohnerzahl jeweils Ende des Jahres)
1994 Euba
1996 Teile von Lichtenwalde
1997 Einsiedel, Kleinolbersdorf-Altenhain, Klaffenbach
1999 Grüna, Röhrsdorf, Mittelbach, Wittgensdorf
Quelle: Statistisches Jahrbuch Chemnitz 2008,

Übersicht: Die Bevölkerungsentwicklung der Stadt Hoyerswerda 1990 - 2018

Tabelle: Die Bevölkerungsentwicklung in der Großstadt Chemnitz
Jahr Chemnitz (Stadt)  
Bevölkerungs-
stand
(31.12.)
Bevölkerungsentwicklung
zum Vorjahr (in Prozent)
Anzahl
Lebendgeborene
Zusammengefasste
Geburtenziffer
(15 - 45-Jährige)
1990 294.244   2.837  
1991 287.511 - 6.733 (- 2,3 %) 1.713  
1992 283.590 - 3.921 (- 1,4 %) 1.429  
1993 279.520 - 4.070 (- 1,4 %) 1.308  
1994 274.162 - 5.358 (- 1,9 %) 1.213  
1995 266.737 - 7.425 (- 2,7 %) 1.314  
1996 259.187 - 7.550 (- 2,8 %) 1.425  
1997 259.126 - 61 (0,0 %) 1.564  
1998 251.903 - 7.284 (- 2,8 %) 1.571  
1999 263.222 + 11.319 (+ 4,5 %) 1.734  
2000 259.246 - 3.976 (- 1,5 %) 1.870  
2001 255.798 - 3.448 (- 1,3 %) 1.835  
2002 252.618 - 3.180 (- 1,2 %) 1.799 1,27
2003 249.922 - 2.696 (- 1,1 %) 1.771 1,28
2004 248.365 - 1.557 (- 0,6 %) 1.786 1,31
2005 246.587 - 1.778  (- 0,7 %) 1.795 1,32
2006 245.700 - 887 (- 0,4 %) 1.852 1,36
2007 244.951 - 749 (- 0,3 %) 1.896 1,39
2008 243.880 - 1.071 (- 0,4 %) 1.967  
2009 243.089 - 791 (- 0,3 %) 1.917  
2010 243.248 + 159 (+ 0,1 %) 2.044 1,51
2011 240.543** - 2.705  (- 1,1 %)** 2.019 1,48
2012 241.210 + 667 (+ 0,3 %) 2.082 1,52
2013 242.022 + 812 (+ 0,3 %) 2.123 1,51
2014 243.521 + 1.499 (+ 0,6 %) 2.096 1,49
2015 248.645 + 5.124 (+ 2,1 %) 2.356 1,64
2016 246.353 - 2.292 (- 0,9 %)    
2017 246.855 - 502 (+ 0,2 %)    
2018 247.237 + 382 (+ 0,2 %)    
Quelle: Statistisches Jahrbuch Chemnitz 2008 (Lebendgeborene bis 2007); Statistisches Jahrbuch Chemnitz 2015/16
(Lebendgeborene 2008 - 2015); Wikipedia (Bevölkerungsstand 1990-2004); Statistisches Jahrbuch Sachsen 2006 - 2011;
Statistische Berichte Statistisches Landesamt Sachsen 2011-2018; ** zensuskorrigierte Zahlen ab 2011; eigene Berechnungen

Kommentierte Bibliografie (2005 - 2017)

2004

JUNGLE WORLD-Thema: Hartz wie Kruppstahl.
Neonazis in Sachsen vor der Landtagswahl

SEITZ, André (2004): Zu jung für diese Stadt.
Chemnitz schrumpft. Unter den Verbliebenen gewinnen konservative und rechtsextreme Kräfte an Einfluss,
in: Jungle World Nr.38 v. 08.09.

"Nach drei Uhr (...) sammeln sich (die letzten Partylöwen) an der Theke des Chemnitzer Clubs »Atomino«. (...) »Die Leute hier begreifen sich nicht als Mitte von Europa.« Jens Farag (...) spricht. »Bei der letzten SPD-Ortsvereinssitzung habe ich vorgeschlagen Chemnitz für alle Ausländer zu öffnen, die hierher ziehen wollen. Die Genossen haben nur mit den Köpfen geschüttelt.« (...).
Demographische Studien zeichnen ein trostloses Bild von Chemnitz. Der Altersdurchschnitt von 45 Jahren ist der höchste Deutschlands. Auf Plakaten des städtischen Netzwerks für Kultur- und Jugendarbeit verkündete ein bekümmerter junger Mann: »Ich bin zu jung für diese Stadt!«. Vor allem jüngere Frauen wandern ab, weil sie keine Lohnarbeit finden. Chemnitz gleich vielerorts einer Geisterstadt, 42.000 Wohnungen stehen leer. Die aktuelle Studie »Deutschland 2020« prognostiziert einen weiteren Bevölkerungsrückgang um 25 Prozent bis zum Jahr 2020. »Wir müssen uns darauf einrichten, statt in einer Stadt mit 300.000 Einwohnern in einer Stadt mit 200.000 zu leben«, meint Dominik Zschocke, ein Vertreter der Grünen im Chemnitzer Stadtrat.
Dort sitzen seit der Kommunalwahl im Juni auch fünf Republikaner. (...) Ihr Spitzenergebnis erzielten die Republikaner im Stadtteil Ebersdorf, wo sich das zentrale Asylbewerberheim für Sachsen befindet. (...).
Rassistische Übergriffe werden nur in drastischen Fällen bekannt. (...). Die NPD plakatierte (...): »Grenzen dicht für Lohndrücker«, »Quittung für Hartz IV« oder »Wahltag ist Zahltag« (...).
Ganz oben auf dem Sonnenberg steht das Humboldt-Gymnasium (...). Dort (...) liest man Publikationen rechtsintellektueller Institutionen (...).
Der Stuhl des Chemnitzer Bürgermeisters Peter Seifert (SPD) wackelt, seit die SPD nur noch mit zehn Sitzen im Stadtrat vertreten ist. (...) Dagegen hofft die CDU auf den Sieg bei der Bürgermeisterwahl, die mit den Landtagswahlen am 19. September stattfindet. (...):
Die Freie Presse ist treu konservativ. (...).
In den Prognosen zur sächsischen Landtagswahl liegt die NPD bei acht Prozent, die SPD im Rekordtief bei 10 Prozent. »Über meinen Listeplatz habe ich keine Chance, in den Landtag zu kommen«, sagt Jens Farag, dem die Hoffnung bleibt, wegen seiner lokalen Prominenz genügend Erststimmen sammeln zu können",

berichtet André SEITZ über die Lage in Chemnitz. Jens FARAG, der im Wahlkreis Chemnitz 1 antrat, war chancenlos und belegte nur den dritten Platz hinter dem CDU-Wahlkreissieger und dem PDS-Kandidaten.

2005

RÜHLE, Axel (2005): Bin ich jetzt rechtsextrem?
NPD? Die Probleme liegen viel tiefer. Ein Besuch in Sachsen,
in: Süddeutsche Zeitung  v. 05.02.

Axel RÜHLE fährt nach dem Wahlerfolg der NPD bei der Landtagswahl nach Chemnitz, um die rechte Jugendkultur zu inspizieren. Dabei fallen Begriffe wie "Skins" und "Stinos", die 10 Jahre später kaum noch jemand kennt.

"In Sachsen müssen wegen Schülermangels Schulen geschlossen werden. Wenn da jemand zugibt, dass er Probleme mit den Rechten hat, ist seine Schule quasi schon zu",

zitiert RÜHLE einen Linken.

"Soziologen sprechen (...) von langfristig gewachsenen Minderwertigkeitsgefühlen, fehlender Ich-Stärke, antizipatorischem Hospitalismus, der auf Hilfe von höheren Instanzen wartet",

behauptet RÜHLE. Das Vokabular entstammt jedoch der Persönlichkeits- bzw. Entwicklungspsychologie und nicht der Soziologie. Der Bericht ist typisch für die damalige Zeit und den Rechtsruck - nicht nur - im Osten. 

2006

KLOEPFER, Inge (2006): Chemnitz.
Abstieg ohne Ende,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 05.02.

"Gera, Cottbus, Halle, Leipzig, Magdeburg und eben Chemnitz als größte dieser Städte bilden ein eigenes Cluster nach den Kriterien der Forscher: das der schrumpfenden und alternden ostdeutschen Großstädte. Demographisch und wirtschaftlich geht es bergab. Alle entsprechenden Merkmale sind schlechter als im Schnitt der insgesamt 82 deutschen Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern. Chemnitz wird im Jahr 2020 womöglich nur noch gut 200.000 Einwohner haben. Fast ein Fünftel wird der Stadt den Rücken gekehrt haben, vor allem auch 18- bis 24jährige, die andernorts Perspektiven suchen. In 15 Jahren werden 40 Prozent der Menschen, die dort leben, 60 Jahre und älter sein. (...).
Chemnitz hat kaum Chancen, den Prozeß des Niedergangs aufzuhalten. Es muß sich darauf einstellen und stabile Siedlungskerne schaffen, die Infrastruktur an den sinkenden Bedarf anpassen, sich regional vernetzen und vor allem viel für Familienfreundlichkeit tun, um nicht eine noch größere Abwanderung zu riskieren",

schreibt Inge KLOEPFER über die düsteren Aussichten für Chemnitz, die die Bertelsmann-Stiftung prognostiziert hat.

KRÖHNERT, Steffen/MEDICUS, Franziska/KLINGHOLZ, Reiner (2006): Die demographische Zukunft der Nation. Wie zukunftsfähig sind Deutschlands Regionen? München: Dtv, April

BERTELSMANN-STIFTUNG (2006)(Hrsg.): Wegweiser Demographischer Wandel 2020. Analysen und Handlungskonzepte für Städte und Gemeinden, Gütersloh: Bertelsmann Verlag, April

Die 12 ostdeutschen Großstädte werden folgenden Demographietypen zugeordnet:

Tabelle: Die Zuordnung der ostdeutschen Großstädte zu den Demographietypen
G 3: Schrumpfende und alternde ostdeutsche Großstädte Großstädte Bundesland Bevölkerungs-
entwicklung
(2003 - 2020
Medianalter
im Jahr 2020
Gera Thüringen - 21,6 % 55,2 Jahre
Cottbus Brandenburg - 18,3 % 51,1 Jahre
Chemnitz Sachsen - 16,7 % 52,6 Jahre
Halle/Saale Sachsen-Anhalt - 16,7 % 44,1 Jahre
Magdeburg Sachsen-Anhalt - 11,2 % 49,5 Jahre
G 6: Aufstrebende ostdeutsche Großstädte mit Wachstumspotenzialen Rostock Mecklenburg-Vorpommern - 6,0 % 46,3 Jahre
Berlin Berlin - 0,5 % 44,3 Jahre
Leipzig Sachsen + 1,8 % 44,3 Jahre
Erfurt Thüringen + 2,5 % 45,4 Jahre
Dresden Sachsen + 3,1 % 42,8 Jahre
Jena Sachsen-Anhalt + 5,7 % 38,4 Jahre
Potsdam Brandenburg + 11,0 % 42,8 Jahre
Quelle: Wegweiser Demographischer Wandel, 2006, S.43 und S.56 

LOSSE, Bert (2006): 50 Städte im Test.
Wo gibt es in Deutschland die meisten Jobs, die höchste Wirtschaftskraft, die beste Lebensqualität? Wo ist die Dynamik am größten, sind die Zukunftsaussichten am besten?. Ein Exklusiv-Ranking mit den Stärken und Schwächen der 50 größten Städte,
in: WirtschaftsWoche Nr.27 v. 03.07.

Bert LOSSE präsentiert zum dritten Mal das jährliche Städteranking, das von den neoliberalen Lobbyorganisationen INSM und IW Köln gesponsert wird. Dresden wird als Aufsteiger des Jahres gefeiert (Rang 10 von 50 in der Gesamtwertung; Vorjahr Rang 30). Chemnitz  liegt auf Rang 38; Vorjahr: Rang 43) vor Leipzig (Rang 41; Vorjahr: Rang 47).

Beim Demografie-Index (Wachstum/Schrumpfung) liegt Dresden auf Rang 28 vor Leipzig (Rang 43) und Schlusslicht Chemnitz.

2007

GROSSMANN, Katrin (2007): Am Ende des Wachstumsparadigmas? Zum Wandel von Deutungsmustern in der Stadtentwicklung. Der Fall Chemnitz, Bielefeld: transcript

Katrin GROSSMANN beschreibt die Debatte zu schrumpfenden Städten folgendermaßen:

"Der Diskurs zum Thema schrumpfende Städte lässt sich m.E. rückblickend in drei Phasen einteilen. Da wäre zunächst die Phase der Tabuisierung des Themas in Politik und Wissenschaft, die bis in das Jahr 2000 hineinreicht und spätestens mit der Veröffentlichung des Berichts der Leerstandskommission endet (ausführlich beschrieben bei Hannemann 2004: 77ff.). Dem folgte etwa von 2000 bis etwa 2003 die Phase der Problematisierung, für die eine Mischung aus praxisbezogenen und alarmierenden, appellierenden Beiträgen charakteristisch war. Etwa seit etwa 2004 beginnt nun eine Phase der Differenzierung des Themas und der Beiträge, die zunehmend analytischer und weniger normativ gestaltet werden.
In der Phase der Problematisierung durchziehen zwei wesentliche Motive die Beiträge zum Thema: Auf der einen Seite ist von Schwierigkeiten die Rede, von einer Krise, von Verlusten und Abwärtsspiralen. Auf der anderen Seite, meist in denselben Beiträgen – und tendenziell am Schluss – werden Chancen und Möglichkeiten beschrieben, Experimente eingefordert, Kreativität und Mut oder Gelassenheit angemahnt. (...).
Inzwischen beginnt sich die wissenschaftliche Diskussion zu differenzieren und tritt damit in die dritte Phase, die durch die Ausbildung von speziellen Themenstellungen gekennzeichnet sein wird. Das Thema ist nun nicht mehr neu, die Beiträge beginnen nicht mehr mit der Verkündung der ungeheuerlichen Nachricht. Die experimentellen, appellativen Texte werden von systematischeren und spezialisierteren Darstellungen abgelöst. Die ersten Monographien von Forschungsprojekten erscheinen wie beispielsweise die Pionierstudie von Hannemann (2004), die Schrumpfungsprozesse in ostdeutschen Kleinstädten untersucht (...).
Kennzeichnend für die jetzige, dritte Phase der Diskussion ist auch, dass Einigkeit darüber besteht, dass die Phänomene in Ostdeutschland kein Sonderfall sind, sondern nur zuspitzen, was sich als grundsätzliche, allgemeine Tendenz auch in weiten Teilen der Bundesrepublik, Europas bzw. überhaupt der westlichen Welt abspielen wird. Überall da, wo die Deindustrialisierung bzw. Deökonomisierung Wanderungsschübe auslöst, wo aufgrund einer Geburtenrate unterhalb des Reproduktionsniveaus, aufgrund von Suburbanisierung oder neuer, noch nicht beobachteter Ursachenkomplexe die Einwohnerzahlen in Zukunft sinken und bauliche Strukturen brach fallen, wird über kurz oder lang die Rede sein von schrumpfenden Städten und Regionen." (S.22ff.)

GROSSMANN folgt gewissermaßen der Christiane HANNEMANN-Doktrin: Hoyerswerda ist überall. Das Fallspiel Chemnitz steht gewissermaßen exemplarisch für die Irrtümer der deutschen Stadtsoziologie, die den Fehlprognosen der Bevölkerungsvorausberechnungen neoliberaler Privatstiftungen aufgesessen ist.

IW Köln (2007): Deutsche Großstädte im Vergleich. Untersuchung für das Jahr 2007 und den Zeitraum von 2001 bis 2006. Im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und der Wirtschaftswoche v. 09.09.

2008

BERTELSMANNSTIFTUNG (2008): Regionalreport Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.  Differenzierung des »Wegweisers Demographischer Wandel« für drei ostdeutsche Bundesländer, August

Die Großstadt Chemnitz wird als "schrumpfende und alternde ostdeutsche Großstadt" klassifiziert (vgl. Tabelle 3, S.15). Dresden und Leipzig gelten dagegen als aufstrebende ostdeutsche Großstädte mit Wachstumspotenzialen:

Tabelle: Vergleich der Bevölkerungsentwicklung der Landkreise und kreisfreien Städte im Zeitraum 2000-2020 und 2004-2020 (Die fettgedruckten Regionen wurden in beiden Prognosen mit der besten oder schlechtesten Note bewertet. Die grün und rot markierten Regionen verbesserten bzw. verschlechterten sich um mindestens 2 Noten)
Demographie-Typ

Thüringen

Sachsen-Anhalt

Sachsen Anzahl
Großstadt Bevölkerungs-
entwicklung
2005-2020
Großstadt Bevölkerungs-
entwicklung
2005-2020
Großstadt Bevölkerungs-
entwicklung
2005-2020
 
G 3: Schrumpfende und alternde ostdeutsche Großstädte Gera - 19,7 % Halle
Magdeburg
- 15,7 %
- 11,8 %
Chemnitz - 15,6 % 4
(von 5)
G 6: Aufstrebende ostdeutsche Großstädte mit Wachstumspotenzialen Erfurt
Jena
+ 1,94 %
+ 5,84 %
-   Dresden
Leipzig
+ 0,66 %
+ 0,75 %
4
(von 7)
Großstädte in Ostdeutschland gesamt 3   2   3   8
von 12)
Quelle: Regionalreport, Tabelle 3, S.15 

LOSSE, Bert (2008): Im hellen Schein.
Wohlstand, Wachstum, Jobs, Zukunftsperspektiven. Der große Städtetest der WirtschaftsWoche sagt, wo es sich am besten arbeiten und leben lässt. Wo Politik und Verwaltung tüchtig arbeiten. Und wo sich Bürger und Unternehmen am wohlsten fühlen,
in: WirtschaftsWoche Nr.37 v. 08.09.

Bert LOSSE präsentiert das jährliche Städteranking, das von den neoliberalen Lobbyorganisationen INSM und IW Köln gesponsert wird. Dresden wird als dynamischste Stadt (Rang 9 von 50 in der Gesamtwertung; Vorjahr Rang 8), Chemnitz als billigste Stadt (Rang 27; Vorjahr: Rang 41 und damit Aufsteiger des Jahres!) vorgestellt, während Leipzig (Rang 23; Vorjahr: Rang 34) unerwähnt bleibt.

ZÜTPHEN, Thomas van (2008): Exodus der Neuzeit.
Nach einer Demografiestudie der Bertelsmann Stiftung altert Deutschland bis 2025 rasant,
in: Focus Nr.50 v. 08.12.

"Die aktuelle Prognose für alle 3.000 Kommunen mit mehr als 5.000 Einwohnern zufolge stehen vor allem die neuen Bundesländer mit Ausnahme weniger Regionen vor einem enormen Bevölkerungsverlust. Zwar sind Städte wie Dresden (plus acht Prozent) und Potsdam (plus sieben Prozent) mit steigenen Einwohnerzahlen die demografischen Gewinner der nächsten 17 Jahre. Doch den Schnitt der Landeshauptstädte ruinieren im selben Zeitraum andere Ost-Städte wie Rostock (minus 8,6 Prozent) oder Chemnitz (minus 15 Prozent). (...).
Die arbeitsfähigen Jungen flüchten westwärts. Nur die Alten bleiben im Osten. So sind Chemnitz und Halle an der Saale die ersten deutschen Großstädte, in denen der Anteil der über 80-Jährigen schon zweistellige Prozentzahlen erreicht",

berichtet Thomas van ZÜTPHEN über die Ergebnisse einer Bevölkerungsvorausberechnung der neoliberalen Bertelsmann-Stiftung für die Jahre 2006 bis 2025 (mehr hier). Die Privatstiftung definiert die Hochbetagten als 80-Jährige und älter "mit einem höheren Anteil an Pflegebedüftigen". Der Focus hat folgende Anteile in einem Schaubild zusammengefasst: 

Tabelle: Anteil der 80-Jährigen (Hochbetagte) in ausgewählten Städten über 100.000 Einwohner
Großstadt Bundesland Anteil der 80-Jährigen
im Jahr 2006
Anteil der 80-Jährigen
im Jahr 2025
Chemnitz Sachsen 5,89 % 11,83 %
Halle/Saale Sachsen-Anhalt 4,94 % 10,13 %
Bergisch-Gladbach Nordrhein-Westfalen 5,36 % 9,79 %
Magdeburg Sachsen-Anhalt 4,86 % 9,47 %
Rostock Mecklenburg-Vorpommern 3,64 % 9,40 %
Leipzig Sachsen 4,96 % 8,99 %
Mülheim a.d.R. Nordrhein-Westfalen 5,66 % 8,95 %
Lübeck Schleswig-Holstein 6,11 % 8,83 %
Dresden Sachsen 4,90 % 8,75 %
Wolfsburg Niedersachsen 5,09 % 8,65 %
Solingen Nordrhein-Westfalen 5,05 % 8,32 %
Koblenz Rheinland-Pfalz 6,03 % 8,32 %
Erfurt Thüringen 4,18 % 8,31 %
Remscheid Nordrhein-Westfalen 4,94 % 8,07 %
Leverkusen Nordrhein-Westfalen 4,59 % 8,07 %
Quelle: Focus 08.12.2008, Schaubild "Seniorenstädte der Nation", S.35

HONNIGFORT, Bernhard (2008): Der Osten vergreist,
in:
Frankfurter Rundschau v. 09.12.

"Besonders dramatisch wird sich der Bevölkerungswandel in Ostdeutschland vollziehen. Dort werden nur wenige Städte wie Dresden, Potsdam und Leipzig noch wachsen und in Zukunft mehr Einwohner haben. Städte wie Chemnitz, Halle, Magdeburg oder Rostock werden dagegen zwischen acht und 15 Prozent ihrer Einwohner verlieren",

erklärt uns Bernhard HONNIGFORT anlässlich einer neuen Bevölkerungsvorausberechnung der Bertelsmann-Stiftung bis 2025 und zitiert den Ökonom Joachim RAGNITZ, der uns erklärt, dass wir das nur hinnehmen können!

2010

BOLZEN, Stefanie (2010): Chemnitz wird zur "ältesten" Stadt in ganz Europa.
Die meisten Senioren - Deutschland ist Rentnerland,
in: Welt v. 20.01.

"Die Stadt Chemnitz wird in 20 Jahren die älteste Stadt Europas sein. Keine andere Region hat dann einen so hohen Anteil an über 65-Jährigen: 37,7 Prozent. In der britischen Hauptstand London werden es nur 10,4 Prozent sein.
Diese Entwicklung blegt eine neue Studie von Eurostat, die eine Bevölkerungsprojektion für die 281 EU-Regionen zwischen 2008 und 2030 aufstellt", berichtet Stefanie BOLZEN.

2012

PILZ, Michael (2012): Die Luschen und Trottel aus dem Osten.
Alle Jungen fliehen aus Chemnitz. Die Band Kraftklub bleibt. Und will von dort aus die deutsche Popmusik retten,
in: Welt v. 18.01.

Michael PILZ hebt bei Kraftklub den Aspekt des demografiegetriebenen Generationenkonflikts hervor, der gemäß Diedrich DIEDERICHSEN in der Popmusik bislang belanglos war:

"Chemnitz, sagt Felix Brummer, sei die älteste Stadt Deutschlands. Demografisch. 25 Prozent der Einwohner sind über 65, schon 2020 wird die Stadt ein Drittel der Bevölkerung im Rentenalter zu verkraften haben. Nie zuvor ist das Methusalem-Komplott so schön besungen worden wie von Kraftklub in »Zu jung«, dem Lied der abgehängten Jugend: »Ich bin 20/ Einer ganzen Generation geht es ähnlich/ Pornos, Gruppensex - alles schon mal da gewesen/ Wir haben Philip Roth zehn Jahre danach gelesen/ Unsere Eltern kiffen mehr als wir/ Wie soll man rebellieren?/ Egal, wo wir hinkommen, unsere Eltern waren schon eher hier/«. Im Video pöbeln sich fünf Greise in Collegejacken durch die Stadt. Sie schüchtern die Jugend ein und pochen auf das Recht der sicheren Rente. Man kann sagen: Kraftklub pflegen ihre Handicaps, verspätete Geburt und Herkunft, und machen daraus das Beste."

Aber der Song Zu jung behandelt gar keinen demografisch bedingten Generationenkonflikt im Sinne eines Rentnerproblems ("Recht auf sichere Rente") wie PILZ weismachen will (wenn überhaupt: eher ein "Bellheim-Syndrom"), sondern im Kern geht es um ein Hipster-Problem mangelnder Distinktionsmöglichkeiten (das 1999 bereits die Dandys der Generation Golf in ihrer Tristesse Royale beklagt haben), hier nicht auf dem Feld der Gleichaltrigen, sondern eben im Generationenvergleich ("Generationenspiel"). Eine Steigerung zu den  rebellischen Eltern scheint nicht möglich. Man könnte zwar gegen den "Rock 'n' Roll"-Lebensstil der Eltern mit dem "Spießer"-Lebensstil punkten, wie Gerhard MATZIG bereits vor über einem halben Jahrzehnt  gezeigt hat. Wie könnte das aber auf dem Felde der Popkultur funktionieren? Eine Vision von single-generation.de aus dem Jahre 2006, die heute im Prenzlauer Berg bereits Realität geworden ist: Der Wandel der Popkultur und die Verdrängung der Hipster durch die Family-Gentrifier. 

STREICH, Juliane (2012): Ich bin Verlierer, Baby.
Pop: Super-Ossis als neue Hipster: die Indierocker von der Band Kraftklub. Auf ihrem Debütalbum " … mit K" geben sie den Slacker, mokieren sich über den Osten, wollen aber auch nicht nach Berlin - und haben auch noch Erfolg damit,
in: TAZ v. 28.01.

VOLKMANN, Linus (2012): Wie Karl-Marx-Stadt dein komisches Leben rettet.
Vor den Türen zu ihren Auftritten lecken sich die Ausgeh-Kids den Schnapsbart wund. Denn mit Kraftklub zieht die derzeit aufregendste Gang durch die Städte. Im Intro wurden die fünf Chemnitzer bis dato allerdings als Party-Stullen für Atzen mit Abitur bezeichnet. Was verdammt noch mal ist denn nun Sache?
in: Intro Nr. 199, Februar

Der Erfolg der "Anti-Hipster-Hymne" Ich will nicht nach Berlin beruht für VOLKMANN nicht auf einem Missverständnis (Der Hipster weiß nicht, dass er ein Hipster) ist, sondern auf den strukturellen Zwängen des kulturellen Kapitalismus:

"jeder hier in diesem Saal kennt den kalten Hauch von Berlin im Nacken - und er fühlt sich nicht nur gut an: Wenn was gehen soll, dann musst du nach Berlin, wenn nichts mehr geht, dann erst recht. Dieses Gespenst eines popkulturellen Zentralismus hat sich das letzte Jahrzehnt noch mehr als zuvor schon in den Vordergrund gespukt. Jeder Club der Kraftklub-Tour schreit aus Trotz und Verzweiflung: »Ich will nicht nach Berlin!« Selbst in Berlin ist das ein Hit."

HENSEL, Jana (2012): Ich bin ein Verlierer, Baby!
Die Band Kraftklub holt den ostdeutschen Diskurs aus dem Museum heraus und bringen ihn dorthin zurück, wo er hingehört: auf die Straße,
in: Freitag Nr.6 v. 09.02.

POMOGAJKO, Kirill & Michael VOIGTLÄNDER (2012): Demografie und Immobilien. Der Einfluss der erwarteten Flächennachfrage auf die heutigen Wohnimmobilienpreise, IW-Trends Nr.2, Juni

Tabelle: Schätzungen der Flächennachfrage bis 2025 in Chemnitz
Stadttyp Stadt Bevölkerungsentwicklung
2006 - 2025
Veränderung der Flächennachfrage
2006 - 2025
jährliche Veränderung
der Flächennachfrage 2010 - 2025
C Chemnitz - 15,2 % - 13,0 % - 0,73 %
Quelle: IW Köln 2009 Immobilien 2025 und IW Köln 20012, Anhang S.14ff.

BIALLAS, Jörg (2012): Vom Leben unterm Nischel.
Parlament-Thema Demografischer Wandel: Chemnitz - Besuch in einer Stadt, die sich dem demografischen Wandel gestellt hat und optimistisch in die Zukunft blickt,
in: Das Parlament v. 06.08.

2014

OVERBECK, Jochen (2014): Kraftklub - Aber hier leben? Sehr gerne!
Titel: Kraftklub begannen als Antithese zum hippen Grossstadtkünstler und wurden zu einer der erfolgreichsten Rockbands Deutschlands. Warum eigentlich? Zum zweiten Album, In Schwarz, begaben wir uns auf Ursachenforschung in ihre Heimatstadt Chemnitz,
in: Musikexpress, Oktober

Die Hauptrolle im Artikel spielt der Brühl und die Vertreibung des Clubs Atomico durch einen Investor.

HAYLER, Flo (2014): Aber die Welt ist bunt.
Titel: Kraftklub sind vielleicht zurück in schwarz, aber nicht überall in Chemnitz sind bereits die Lichter ausgegangen. Zwei Jahre, nachdem die "Luschen aus dem Osten" mitsamt ihrem Album K zur neuen deutschen Indiie-Rock-Sensation aufgestiegen sind, gibt es auch für ihre unfreiwillig in den öffentlichen Fokus gezogene Heimatstadt neue Hoffnung. Visions hat sich von Kraftklub in das Nachleben der Stadt entführen lassen, vom Schlossteich über die Kanalisation bis auf den Kaßberg. Eine einsame, aber spannende Angelegenheit,
in: Visions Nr. 259, Oktober

"10.000 zukünftige Akademiker sollen es sein, die sich in Chemnitz auf ihrem abgeschirmten Campus zwischen zentralem Hörsaalgebäude, Edeka und den beiden Uni-Clubs bewegen und sich deshalb nur selten hinab ins Zentrum wagen. Wieso auch? Wenn man auf den hochgeklappten Bordsteinen des Brühl entlang schlendert, ist Schlafengehen immer noch die beste Alternative.
Der Brühl. Seit sie die Möglichkeit dazu haben, schwärmen Kraftklub von dem Potenzial, das in dieser stillgelegten Einkaufsstraße steckt. Leere Läden, von den Stadtwerken vom Netz genommene Altbauten mit großzügigen, stuckbehängten Wohnungen. Eine breite Fußgängerzone mit ausreichend Platz zum Abhängen und Zeittotschlagen, nah am Schlossteich, kaum rumstreunende Nazis und nur einen Steinwurf entfernt vom Bahnhof - falls man doch Lust bekommt, nach Leipzig, Dresden oder eben Berlin zu flüchten",

beschreibt Flo HAYLER die Geografie von Chemnitz, die geradezu nach Gentrifizierung zu schreien scheint.

VOLK, Pia (2014): Gegenwart war Gestern.
Leipzig gilt als das neue Berlin. Wird nun Chemnitz das neue Leipzig? Versuch über eine Stadt,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 19.10.

"Es ist der Tag, an dem die Band Kraftklub (...) ihr zweites Album veröffentlicht. (...).
Chemnitz ist die drittgrößte Stadt Sachsens mit rund 250.00 Einwohnern. Das sind fast so viele wie in Mannheim oder Münster und doppelt so viele wie in Ulm oder Würzburg. Per Definition ist Chemnitz also eine Stadt, aber urban ist sie deswegen noch lange nicht. Sie hat Stadtviertel, aber alle sind gleich: Überall leben Studenten, Rentner und Arbeitstätige nebeneinander. Es gibt keine Kneipenmeile und kein Clubareal. Keins Segregation und keine Gentrifizierung. (...). Karl-Marx-Stadt hieß sie mal, wegen der starken Arbeiterbewegung. (...). Brühl (...) war einst die Vorzeigeeinkaufsstraße der sozialistischen Vorzeigestadt. Chemnitz war seit der industriellen Revolution das Manchester Sachsens. (...) So wurde die Stadt reich, das Jugendstil- und Gründerzeitviertel Kaßberg nordwestlich der Innenstadt zeugt noch heute vom einstigen Ruhm. Dort sieht es ein wenig aus wie in Leipzig oder Berlin, was eigentlich nur heißt, dass die Häuser bewohnt sind von Menschen, die irgendwas mit Medien machen. Der Brühl aber liegt im Osten der Stadt, (...) wo die Industriekultur stattfindet und der touristische Stadtplan vom Informationszentrum endet",

beschreibt Pia VOLK die Industriestadt in ihrem vom aktuellen Musikexpress-Titel inspirierten Reisebericht, bei dem der KUMMER-Clan nicht fehlen darf. Es ist die Zeit, als der Club Atomio aus der Brühl vertrieben wird, "den einzigen Chemnitzer Club, der über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist". Am Sonnenberg wird ein alternativer Club angepriesen.

2015

BBSR (2015): Unterschiede zwischen Stadt und Land vergrößern sich.
BBSR legt Studie zur Entwicklung der Städte und Gemeinden vor,
in: Pressemitteilung Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung v. 13.08.

HAUSER, Jan (2015): Chemnitz lockt die Gründer.
Nach der Wende zogen die Menschen aus der Stadt weg. Aber jetzt wächst sie wieder. Fachkräfte finden Arbeit und Jungunternehmer genügend Raum,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 01.10.

"Chemnitz braucht den Zuzug. Nach der Wende hat die Stadt 60.000 Einwohner verloren. Die Prognosen sahen eine schrumpfende Stadt voraus, doch jetzt wächst Chemnitz wieder. Seit 2009 ziehen mehr Menschen in die Stadt, als diese verlassen. (...). Chemnitz, früher Karl-Marx-Stadt, hat die Wende aus eigener Kraft geschafft. Die Arbeitslosenquote liegt leicht unter 9 Prozent",

berichtet Jan HAUSER fast ein Jahrzehnt, nachdem Inge KLOEPFER in der FAS unkritisch über die Prognosen der neoliberalen Bertelsmann Stiftung berichtete. Diese hatte für Chemnitz und andere ostdeutsche Großstädte den Demographietyp der "schrumpfenden und alternden ostdeutschen Großstädte" entworfen. Auch das neoliberale Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung sah 2006 Chemnitz von 2004 bis 2020 mit einem Bevölkerungsrückgang von fast 20 Prozent schrumpfen. Deren Daten stammten vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung.

2016

SLUPINA, Manuel/DAMM, Theresa/KLINGHOLZ, Reiner (2016): Im Osten auf Wanderschaft. Wie Umzüge die demografische Landkarte zwischen Rügen und Erzgebirge verändern, Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, Januar

STREIT, Matthias (2016): "The better Berlin".
Neue Immobilien-Studie: Warum Leipzig und Dresden stetig attraktiver werden,
in:
Handelsblatt v. 18.05.

Matthias STREIT berichtet über den Wohnmarktreport von CBRE und Vonovia, in dem 29 Städte mit mehr als 200.000 Einwohner untersucht wurden. Während Leipzig und Dresden unter den 10 Städten mit den höchsten Mietpreissteigerungen zwischen 2012 und 2015 geführt werden, gehört Chemnitz zu den 10 Städten mit den niedrigsten Mietpreissteigerungen.

PSOTTA, Michael (2016): Nicht nur die Metropolen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 20.05.

Michael PSOTTA stellt uns den neuen Wohnungsmarktreport 2016 von CBRE und Vonovia vor, der die 30 "wichtigsten" deutsche Städte untersucht hat und sie in 5 Kategorien eingeteilt hat. Chemnitz wird in die Gruppe der Trendumkehrer eingeordnet, die

"vor kurzem noch als die klassischen Verlierer galten (...). Ihnen wird bescheinigt, nach teilweise schmerzhaften Anpassungsprozessen die Umkehr bewältigt zu haben. Auch die Wohnungsmärkte normalisieren sich dort, wenn auch meist noch auf niedrigem Niveau."

HANDELSBLATT-Serie: Prognos Zukunftsatlas 2016 (Teil 4)

MÖTHE, Alexander (2016): Gründerstolz und Vorurteil.
In Chemnitz hat sich abseits der Ost-Metropolen wie Leipzig eine lebhafte Start-up- und Technologieszene entwickelt. De Prognos Zukunftsatlas bescheinigt dem ehemaligen Karl-Marx-Stadt eine höchst kapitalistische Dynamik,
in:
Handelsblatt v. 02.06.

Alexander MÖTHE ist angetreten, um Vorurteile über Chemnitz zu zerstreuen, die Neoliberale in die Welt gesetzt haben.

"Die Einwohnerzahl wächst wieder, und zwar besonders im wichtigen Bereich der 18- bis 29-Jährigen. Vor der Wende lebten noch gut 300.000 Menschen in Chemnitz, auf dem Tiefpunkt 2011 waren es nur noch 240.000. Seit acht Jahren läuft inzwischen das Programm »Chemnitz zieht an«, das (...) die Bewohnerzahl wieder auf 248.000 getrieben hat. Das fünfte Jahr in Folge wächst die Stadt",

macht MÖTHE Stadtmarketing mit Zensus-Korrekturen, die 2011 zu einem Einwohnerverlust von ca. 3.000 Menschen führten. Ohne diese Korrektur würde Chemnitz bereits seit 2009 wachsen, was natürlich nicht so schön zum Märchenerfolg des Chemnitzer Stadtmarketing passen würde wie MÖTHEs statistischer Taschenspielertrick.

Das Stadtporträt betont vor allem die Start-up-Szene und die Bausubstanz, die sich zur Gentrifizierung eignet. Die Subkulturszene wird lediglich erwähnt, obwohl deren Zugpferd Kraftklub jenen Mythos verkörpert, den uns MÖTHE präsentiert:

"Die regionale Bindung und Verwurzelung ist ein Schlüsselelement, der Zuzug nach Chemnitz nachweislich häufig ein Zurück-Zug von Chemnitzern, die nach der Wende in anderen Bundesländern ihr Glück gesucht haben."

Zahlen liefert uns MÖTHE zu diesem Pathos nicht.

EMPIRICA (2016): Schwarmverhalten in Sachsen. Eine Untersuchung zu Umfang, Ursache, Nachhaltigkeit und Folgen der neuen Wanderungsmuster im Auftrag der Sächsischen Aufbaubank, des Verbands der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Sachsen, und des Verbands sächsischer Wohnungsgenossenschaften. Endbericht

Chemnitz wird von Empirica zu den vier sächsischen Schwarmstädten gezählt, obwohl es der ursprünglichen Definition einer Schwarmstadt nicht entspricht, was folgendermaßen begründet wird:

"Chemnitz steigt von 165 auf 198, Leipzig von 335 auf kaum mehr fassbare 441, Dresden von 263 auf 280. Chemnitz verfehlte damit zwar knapp den Schwellenwert einer Kohortenwachstumsrate von 200, ab der nach empirica- Definition Chemnitz als eine Schwarmstadt gelten würde, nichtsdestotrotz soll Chemnitz aufgrund der minimalen Differenz im Folgenden zur Kategorie der Schwarmstadt gezählt werden." (S.9f.)

FISCHER, Konrad & Bert LOSSE (2016): Bajuwarische Glückseligkeit.
Exklusivstudie: Welche Stadt hat die größte Wirtschaftskraft, welche entwickelt sich dynamisch? Wo werden Unternehmen hofiert und wer rüstet sich am besten für das digitale Zeitalter? Der große Städtetest der WirtschaftsWoche zeigt: Der deutsche Süden ist vorn und baut seinen Vorsprung aus,
in: WirtschaftsWoche
Nr.41 v. 30.09.

LOBENSTEIN, Caterina (2016): Der Zug ist abgefahren.
Deutschlands teuerste Bahnstrecke wird nach 25 Jahren fertig. Sie sollte das Land einen - und hat es geteilt,
in:
Die ZEIT Nr.44  v. 20.10.

"Um München und Berlin in Rekordzeit zu verbinden, werden etwa die thüringischen Städte Weimar und Jena vom Fernverkehr abgeknapst. Keine schrumpfenden Käffer, sondern wichtige Zentren des Ostens, in denen Bevölkerung und Wirtschaft wachsen. Sie gehören demnächst zu jenen mittelgroßen Städten, in denen fast nur Bummelzüge halten. So wie Chemnitz (250.000 Einwohner), Krefeld (220.000) oder Zwickau (100.000)", jammert LOBENSTEIN.

PEZZEI, Kristina (2016): Eine Stadt wacht auf.
Dem Chemnitzer Immobilienmarkt passiert das, womit niemand mehr gerechnet hat: Er gewinnt an Dynamik. Investoren schielen vor allem auf denkmalgeschützte und damit steuerlich attraktive Sanierungsfälle,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 16.12.

Chemnitz ist ins Visier der Investoren geraten, weil in den Nachbarstädten Leipzig und Dresden renditeträchtige Bauobjekte zur Neige gehen:

"Es gibt zahlreiche Gründerzeithäuser, Fabrikgebäude und Direktorenvillen aus der Blütezeit von Maschinenbau und Textilwirtschaft. Sie stehen größtenteils unter Denkmalschutz - und das macht sie für Anleger wegen der Abschreibungsmöglichkeiten interessant."

Zur Attraktivität trägt gemäß PEZZEI auch die sozio-demografische Entwicklung bei:

"Vor wenigen Jahren (...) kehrte sich der Trend um: Die Arbeitslosenzahlen sanken zwischen 2010 und 2015 um mehr als 27 Prozent, die Quote lag zuletzt bei um die 8 Prozent. Die Bevölkerung wächst leicht, die Kaufkraft legt zu."

Der Beitrag von PEZZEI kann als Mosaikstein in der symbolischen Gentrifizierung von Chemnitz betrachtet werden. Dabei geht es nicht unbedingt - wie Barbara LANG das für Berlin-Kreuzberg beschrieben hat -  um die Aufwertung eines einzelnen Stadtteils, sondern um die Herstellung eines Stadtimages als Voraussetzung der Attraktivitätssteigerung einzelner Stadtquartiere.

2017

HOYER, Niklas u.a. (2017): Der Traum von mehr Raum.
Immobilienatlas 2017: Der Immobilienboom steuert aufs Finale zu. Unser Ranking der 50 größten Städte zeigt, wo der Kauf noch lohnt,
in:
WirtschaftsWoche Nr.7 v. 10.02.

BBSR (2017): Deutschland altert unterschiedlich.
Freiburg im Breisgau und Heidelberg haben die jüngste Bevölkerung,
in: Pressemitteilung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung
v. 22.05.

Tabelle: Bevölkerungsentwicklung 2000 - 2015 in den sächsischen Landkreisen und kreisfreien Städten
Landkreis bzw. kreisfreie Stadt Bevölkerungsverluste
bzw. - Gewinne
2000-2015 (in %)
Bevölkerungsanteil der
über-65 Jährige (in %)
Chemnitz (kreisfreie Stadt) - 16,20 % 26,69 %
Quelle: BBSR 22.05.2017 Übersicht für alle 405 Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland

WENDT, Alexander (2017): In diesen Städten lebt Deutschlands Zukunft.
Ein Ranking der 30 größten Kommunen überrascht: Ost-Metropolen schließen zur Spitze auf. Die Liste der Leuchttürme und Verlierer zeigt auch, wo die Risiken für den Wirtschaftsstandort liegen,
in:
Focus Nr.38 v. 16.09.

Der Focus veröffentlicht das HWWI/Berenberg-Städteranking der 30 einwohnerstärksten Städte in Deutschland. Leipzig belegt Rang 2, Dresden Rang 4, während Chemnitz den vorletzten Platz vor Gelsenkirchen belegt.

FABRICIUS, Michael (2017): Traumrenditen in der Provinz.
Die Mieten steigen, die Kaufpreise sind niedrig: Ostdeutschland wird für Anleger interessant,
in:
Welt v. 21.10.

LOSSE, Bert & Katharina MATHEIS (2017): Prinzip Darmstadt.
Exklusivstudie: Der große WirtschaftsWoche-Städtetest zeigt, wo es sich in Deutschland am besten arbeiten, leben und investieren lässt - und welche Faktoren für den Erfolg einer Stadt entscheidend sind,
in: WirtschaftsWoche
Nr.49 v. 24.11.

 
     
 
       
   

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Update: 10. Oktober 2019