|
Vorbemerkung
Die
Entwicklung der Lebenserwartung gilt Demografen und Ökonomen
neben der
Entwicklung der Geburten in Deutschland als das
gesellschaftliche Hauptproblem des demografischen Wandels.
Insbesondere die Rentenversicherung und die Krankenversicherung
sowie die Pflegeversicherung (Stichworte: Pflegebedarf bzw.
Pflegenotstand) erscheint in einer
Gesellschaft der Langlebigen
als bedroht. Spätestens seit Ende der 1970er Jahre wird das
Rentensystem aufgrund der steigenden Altenlast immer wieder vor
dem Kollaps gesehen. Leistungseinschnitte oder
Privatisierungen gelten Neoliberalen bzw. Nationalkonservativen
als einzige Möglichkeit, um die Sozialversicherungssysteme zu
retten. Dabei bleiben die zentralen Fragen außen vor: Was
bedeutet der Anstieg der Lebenserwartung überhaupt für unsere
Gesellschaft? Nicht demografische Aspekte, sondern
nicht-demografische Aspekte wie der medizinische und
technologische Fortschritt, die Gesundheit jüngerer und älterer
Menschen, infrastrukturelle und arbeitsmarktstrukturelle
Veränderungen sind in der hier vertretenen Sicht bedeutender.
Die Zukunft
Deutschlands könnte also ganz anders aussehen als dies die
üblichen Prognosen behaupten. Diese Bibliografie widmet sich
deshalb in erster Linie jenen Fragen, die gewöhnlich eher
vernachlässigt werden, weil sie nicht von mächtigen
Interessensgruppen vorangetrieben werden.
Tabelle: Entwicklung der ferneren Lebenserwartung
65-Jähriger
(in Jahren) |
Jahr |
Männer |
Frauen |
Deutschland |
West |
Ost |
Deutschland |
West |
Ost |
1950 |
12,98 |
12,81 |
13,40 |
13,92 |
13,67 |
14,52 |
1955 |
12,57 |
12,46 |
12,89 |
14,03 |
13,91 |
14,33 |
1960 |
12,19 |
12,14 |
12,33 |
14,24 |
14,23 |
14,27 |
1965 |
12,23 |
12,22 |
12,26 |
14,84 |
14,94 |
14,58 |
1970 |
11,92 |
11,93 |
11,89 |
14,83 |
14,99 |
14,38 |
1975 |
12,10 |
12,15 |
11,95 |
15,31 |
15,56 |
14,61 |
1980 |
12,75 |
12,98 |
12,03 |
16,25 |
16,69 |
14,92 |
1985 |
13,30 |
13,56 |
12,38 |
16,95 |
17,45 |
15,30 |
1990 |
13,98 |
14,26 |
12,77 |
17,63 |
18,03 |
16,07 |
1995 |
14,69 |
14,86 |
13,88 |
18,55 |
18,77 |
17,63 |
2000 |
15,72 |
15,85 |
15,17 |
19,50 |
19,61 |
19,05 |
2005 |
16,71 |
16,82 |
16,29 |
20,22 |
20,29 |
19,93 |
2010 |
17,47 |
17,58 |
17,09 |
20,69 |
20,75 |
20,46 |
2015 |
17,67 |
17,75 |
17,33 |
20,84 |
20,83 |
20,88 |
|
Quelle:
Marc Luy,
lebenserwartung.info (Stand:04.06.2016)
|
Die weltweit 25 Länder mit dem
höchsten Anteil an 65-Jährigen und Älteren im Jahr 2015 und
2050:
(vgl.
US Census
Bureau (2016) An Aging World: 2015, S.10)
Land |
2015 |
2050 |
Japan |
Rang 1 |
Rang 1 |
Deutschland |
Rang 2 |
Rang 19 |
Italien |
Rang 3 |
Rang 15 |
Griechenland |
|
Rang 8 |
Finnland |
|
|
Schweden |
|
|
Bulgarien |
|
Rang 6 |
Österreich |
|
Rang 18 |
Belgien |
|
|
Estland |
|
Rang 7 |
Portugal |
|
Rang 16 |
Dänemark |
|
|
Frankreich |
|
|
Slowenien |
|
Rang 5 |
Kroatien |
|
Rang 22
|
Ungarn |
|
Rang 21 |
Tschechien |
|
Rang 24 |
Niederlande |
|
|
Schweiz |
|
|
Kanada |
|
|
Spanien |
|
Rang 14 |
Großbritannien |
|
|
Serbien |
Rang 23 |
Rang 25 |
Lettland |
Rang 24 |
Rang 13 |
Puerto
Rico |
Rang 25 |
Rang 17 |
Südkorea |
|
Rang 2 |
Hongkong |
|
Rang 3 |
Taiwan |
|
Rang 4 |
Herzegovina |
|
Rang 9 |
Litauen |
|
Rang 10 |
Polen |
|
Rang 11 |
Rumänien |
|
Rang 12 |
Slowakei |
|
Rang 20 |
Ukraine |
|
Rang 23 |
Kommentierte Bibliografie (Teil 1: 2001 -
2004)
2001
KIRKWOOD, Tom (2001): Wir sind aufs Leben programmiert, nicht
aufs Sterben.
Schöne neue Alten-Welt (1):
Als Hundertfünfzigjährige werden wir Triumphe der biologischen
Revolution feiern,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v.21.04.
Die FAZ lässt den
britischen Gerontologen KIRKWOOD in einer Serie über die
veränderten Bedingungen des Alterns zur Wort kommen.
Während der Spiegel von
"Greisenstaat" und dem
"Aussterben der
Deutschen" (seit den 1970er Jahren
immer mal wieder das Thema) berichtet, setzt dem die FAZ
mit dieser Serie positive Utopien über das Altern entgegen.
Die Titelgeschichte des
österreichischen Nachrichtenmagazins Profil liefert
dazu die richtigen Kosmetika, damit mann/frau auch mit 150
noch gut aussieht (Profil Nr.17 v. 23.04.2001).
MAYER,
Kurt-Martin (2001): Permanent verrechnet.
Die steigende
Lebenserwartung bringt Versicherer in die
Bredouille. Eine neue Hochrechnung soll helfen,
in: Focus Nr.17 v. 23.04.
Besonders neu ist
diese Erkenntnis nicht. Der
Bevölkerungswissenschaftler
Herwig BIRG hat z.B.
in einem WDR-Interview vom 13.07.2000 auf
diesen Sachverhalt hingewiesen. Es ist
deshalb seit längerem bekannt, dass
nicht die Kinderlosen das Hauptproblem
des Prozesses sind, der mit
"Geburtenrückgang" eigentlich
falsch bezeichnet ist. Vielmehr ist die
Erhöhung der Lebenserwartung die Ursache
für die ständig niedriger werdende
Geburtenrate.
Zumindest
in den alten Bundesländern hat sich die
Anzahl der Geburten
seit 1978 erhöht.
In den neuen Bundesländern gab es
aufgrund des politischen Umbruchs einen
Einbruch bei den Geburtenzahlen, die in
den gesamtdeutschen Darstellungen der
Geburtenrate unsichtbar bleibt (Hier
wäre ein Ost-West-Lastenausgleich
notwendig).
Wer also
andauernd das Aussterben der Deutschen
beschwört hat, der suchte nur einen
Sündenbock. Wenn sich nämlich die
Lebenserwartung erhöht, dann heißt
dies, dass sich bei gleich bleibender
Geburtenzahl die Altersstruktur
verschiebt. Die junge Generation muss
also verstärkt Kinder gebären, um
diesen Effekt zu kompensieren. Wenn dies
aber der Fall ist, dann müssen zur
Finanzierung der Familienpolitik alle
herangezogen werden. Dies ist
aber nicht das einzige Problem der
Statistik. Das Gravierendere ist die
unzureichende Berücksichtigung der
Lebenslaufperspektive.
2002
LUY, Marc (2002): Warum Frauen länger leben. Erkenntnisse
aus einem Vergleich von Kloster- und Allgemeinbevölkerung,
Materialien zur Bevölkerungsforschung, Heft 106, Bundesinstitut
für Bevölkerungsforschung
MUSSLER, Werner
(2002): Der Alterungsprozeß bremst langfristig das
Wirtschaftswachstum.
Anteil der
Erwerbstätigen sinkt. Ungewisse Entwicklung der
Arbeitsproduktivität. Geburtenrate müsste steigen,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 27.07.
BBO. (2002): Der
demographische Wandel zwingt den Staat zum Sparen.
Steuereinnahmen brechen ein. Bundesländern macht vor allem die
Beamtenversorgung zu schaffen. Wenig Entlastung durch
Riester-Rente,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 30.07.
Der Beitrag fasst
lediglich die Sicht des neoliberalen Lobbyisten Bernd RAFFELHÜSCHEN
zusammen. Das Sozialsystem soll angeblich vor dem Kollaps stehen -
was uns schon seit Mitte der 1970er Jahre erzählt wird. 2050 sollen
nur noch ca. 70,4 Millionen Menschen in Deutschland leben wird uns
eine Bevölkerungsvorausberechnung als letzte Wahrheit verkündet. Vor
diesem Hintergrund erklärt uns RAFFELHÜSCHEN das neoliberale Mantra,
dass die Schere sich zwischen Ausgaben und Einnahmen immer weiter
öffnet. Dagegen gäbe es nur ein einziges Mittel: eine drastische
Senkung der Staatsausgaben. Dank Maastricht Vertrag lässt sich der
Schwarze Peter auf die EU schieben. Ziel dieser Austeritätspolitik
ist es die Staatskasse unter Druck zu setzen. Insbesondere die
Beamtenversorgung wird uns als Problem beschrieben:
"So werden sich beispielsweise
die Versorgungskosten Nordrhein-Westfalens von heute 4,1
Milliarden Euro bis 2020 auf 7,4 Milliarden Euro erhöhen. Knapp 50
Prozent des Landeshaushalts wird dann für Personal ausgegeben.
Jetzt sind es 42,5 Prozent. Der Altersaufbau der Beamten
entspricht jetzt schon dem Aufbau, der für die gesamte Bevölkerung
2030 zu erwarten ist."
Die Riester-Rente wird als
Schritt in die richtige Richtung bezeichnet:
"Für den Eckrentner mit 45
Beitragsjahren, der mit 65 Jahren in den Ruhestand geht, sinkt die
staatliche Rente von 70 Prozent des durchschnittlichen
Nettoeinkommens bis 2030 auf effektiv 63,3 Prozent. (...). Hätten
die Deutschen vor der Rentenreform insgesamt über die Lebenszeit
summierte Nettoansprüche an den Staat vom Dreifachen des
Bruttoinlandsprodukts (BIP) gehabt, so betrage der Faktor nach der
Riester-Reform nur noch 2,7",
will uns RAFFELHÜSCHEN mit seiner
speziellen Begabung für die Nennung von Horrorzahlen beeindrucken.
KISSLER,
Alexander (2002): Abstieg ins Nirgendwo.
Die Erfindung des Alters,
in: Süddeutsche Zeitung v.
16.09.
KISSLER
setzt die
kulturpessimistische SZ-Serie über die demografische Zeitenwende
fort. Er kennt nur zwei Modelle des Alterns. Für das weibliche,
unbescheidene Modell steht Trude UNRUH von den Grauen und für
das männliche, bescheidene Modell findet KISSLER nur den
römischen Konsul Vestricius Spurinna. Wo das enden muss ist für
KISSLER ebenfalls klar: in der Gerontokratie!
CARSTENSEN, Laura L.
(2002): Ein Triumph der Kultur.
Die
Diskussionen übers Altern werden viel zu negativ geführt, meint
die amerikanische Psychologin Laura Carstensen - und plädiert
für eine neue Perspektive,
in: Tagesspiegel v. 27.09.
KRAMM, Jutta (2002):
Demographie.
Die
geriatrische Gesellschaft,
in: Berliner Zeitung v. 19.10.
SERINGHAUS, Peter
(2002): Selbstbewusste Senioren.
Die Sicht
aufs Alter beginnt sich zu wandeln,
in: Saarbrücker Zeitung v. 02.11.
LACHMANN, Günther (2002): Wie funktioniert eine alternde
Konsumgesellschaft?
Die Alten
müssen in Zukunft länger und mehr arbeiten und werden eine
wichtige Zielgruppe mit neuen Ansprüchen und Möglichkeiten,
in: Welt am Sonntag v. 10.11.
Die Werbewirtschaft
hat sich wohlklingende
Begriffe wie "Best
Ager", "Golden Generation" oder auch "Silver Surfer" für die
jungen Alten ausgedacht.
Die längere Lebensarbeitszeit soll ihnen mit Konsum versüßt
werden. Das
Problem ist nur: Die Massenarbeitslosigkeit wird erst in
frühestens 10 - 20 Jahren spürbar zurückgehen - wenn überhaupt.
Bis
dahin dient eine Ausweitung der Lebensarbeitszeit nur der
problemloseren Durchsetzbarkeit des Niedriglohnsektors.
BAIER, Tina (2002):
Im Land der Greise.
SZ-Tagesthema Sozialversicherung: Die Überalterung der
Bevölkerung birgt gesellschaftliche Sprengkraft,
in: Süddeutsche Zeitung v. 15.11.
WÜLLENWEBER, Walter (2002): Die Last mit den Alten.
Konflikt der Generationen. Die
Jungen klagen an! Rentenbeiträge, Krankenversicherung, Steuern -
die Belastung wird unerträglich. Ihre Eltern hinterlassen ihnen
einen hochverschuldeten, abgewirtschafteten Staat. Gleichzeitig
bedienen sie sich rücksichtslos weiter. Eine zornige Abrechnung,
in: Stern Nr.48 v. 21.11.
Walter WÜLLENWEBERs
Ausgangslage ist simpel:
"Es
geht um die entscheidende Auseinandersetzung der kommenden
Jahre: Ihr gegen uns. Ihr, das sind vor allem die Jahrgänge
von Helmut Kohl (1930) bis Gerhard Schröder (1944). Und wir,
das sind die Babyboomer und ihre kleinen Geschwister,
geboren zwischen Ende der 50er und Anfang der 70er Jahre.
Ihr verabschiedet euch gerade in den Ruhestand. Wir sind
dabei, den Laden zu übernehmen".
Danach rechnet WÜLLENWEBER die Sünden der 68er- und
Flakhelfer-Generation auf, um ihnen "Generationen-Egoismus"
vorzuwerfen, denn die "Goldene Generation" hat dafür gesorgt,
dass gerade ihre und NUR ihre Generation nicht von Altersarmut
bedroht ist. Am
Ende steht ein läppischer Appell über den die angesprochenen
Generationen nur lächeln werden:
"Wir kämpfen gegen den Abstieg in die zweite Liga.
Und dabei brauchen wir eure Hilfe, euren letzten, euren
ersten, euren einzigen Dienst an uns. Erstens: Arbeitet
länger! Vergesst den Schwachsinn mit dem Vorruhestand und
zahlt noch ein paar Jahre in das System ein. Zweitens:
Haltet euch raus! Stellt euch nicht weiter quer bei allen
Reformen. (...). Ihr werdet aber nicht nur bei der Rente
abgeben müssen, sondern überall. Auch im Gesundheitswesen,
in dem ihr die meisten Kosten verursacht, können wir euch
nur noch das Notwendige bezahlen. (...). Und wenn euch die
neuen Regeln mal weh tun, dann rennt nicht gleich zur Demo
vors Brandenburger Tor. Denn eins ist klar: Alle Regierungen
zittern vor euch. Ihr seid so viele, wenn ihr nur böse
guckt, knicken die Warmduscher in der Politik sofort ein.
Ihr habt auch in Zukunft noch die absolute
Verhinderungsmacht. Aber bitte, wendet sie nicht an.
Verkneift euch das.
Probiert einfach mal etwas komplett Neues: Seid fair!"
WÜLLENWEBER ist zudem vorzuwerfen, dass er keine wirklichen
Alternativen aufzeigen kann. Seine
neoliberalen Forderungen führen noch bevor der von ihm
befürchtete Generationenkonflikt akut werden kann, - nämlich
erst in 20-30 Jahren - zur
Rückkehr der Klassengesellschaft,
d.h. die soziale Ungleichheit INNERHALB einer Generation wird
ungleich höher werden als die Ungleichheit ZWISCHEN den
Generationen, die WÜLLENWEBER hier beschwört.
Nur wenn
soziale Gerechtigkeit UND Generationengerechtigkeit
berücksichtigt werden, ist ein Zusammenleben jenseits des
Kriegs zwischen Klassen und Generationen auch in Zukunft
möglich.
BONDE, Bettina (2002): Die Alten sind ein Segen.
Deutschland fürchtet die Vergreisung. Doch viele Branchen können
sich über die Rentner freuen,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 24.11.
Bettina BONDE hat Sönke JENS
vom Forschungsinstitut PROGNOS in Basel aufgesucht. Gemäß ihrer
aktuellen Studie profitieren Versicherungen, Freizeit- und
Gesundheitsbranche sowie der Maschinenbau vom Rentnerparadies
Deutschland.
SEIDL, Claudius (2002): Pro.
Altern macht jünger,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 08.12.
ZIELKE, Anne
(2002): Contra.
Jünger des Alters,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 08.12.
TAZ-DOSSIER "Glück
im Alter - aber wie?"
in: TAZ
v. 13.12.
TIMM, Tobias (2002): Trau' keinem unter Sechzig.
Warum die
Überalterung Deutschland verjüngen wird,
in: Süddeutsche Zeitung v. 17.12.
Tobias TIMM darf
im Greisenblatt etwas Positives über die alternde Gesellschaft
(in der Diktion der gescholtenen Generationen der Postmoderne:
vergreisende Gesellschaft) schreiben und ein wenig die
SZ-Serie zur Zeitenwende
kritisieren:
"In der gegenwärtigen
Diskussion scheint es abwegig, in der »demographischen
Zeitenwende« eine positive Entwicklung zu sehen. Vielleicht
liegt es an den Klagenden, die mit ihren dreißig, vierzig
Jahren anscheinend schon »zu alt« sind, um Utopien zu
entwickeln. Oder waren die Generationen der Postmoderne, die
nun so laut jammern, schon immer zu alt, um nach
Alternativen zum Bestehenden zu suchen? Zwingen die
eklatanten demographischen Veränderungen nicht dazu,
utopisch zu denken?"
WIESCHE, B. aus der
(2002): Die Angst vor der Einsamkeit des Alters,
in: Kölner
Stadt-Anzeiger v. 20.12.
"Eine Viertel
der Kölner Bevölkerung, etwa 250 000 Menschen, sind älter
als 60 Jahre. Ihr Hauptproblem ist nicht etwa materielle
Armut - die überwiegende Mehrheit hat ein gutes Einkommen -
sondern die
Gefahr der Vereinsamung. Betroffen
sind vor allem Alleinstehende, Verwitwete und Kinderlose",
behauptet WIESCHE. Die Sozialstatistik
und -forschung weis da anderes zu berichten.
SCHLAFFER, Hannelore (2002): Krankheit und Schönheit.
Unsystematisches über das Alter
und das Altern,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 21.12.
Im Gegensatz zur
SZ-Serie reduziert SCHLAFFER die
Altersbilder nicht auf ihren demografischen Aspekt der
Alterslast, sondern zeigt die (männliche) Linie des
würdevollen Alters auf:
"Was beim Adeligen der
Vorrang von Geburt und Tradition der Familie macht, die ihn,
ob klug, ob dumm, über die Normalität erheben, erreicht der
Bürger durch seine Biographie, die je länger, umso
aristokratischer wirkt. Nachdem der Adel weitgehend
entmachtet worden ist, schafft sich das Bürgertum im
19. Jahrhundert seinen eigenen Adel im grossen alten Mann.
Die Biographie wird zur Lieblingslektüre, weil sie immer
aufs Neue Nobilitierungen vornimmt. Von Goethe bis zu
Churchill, Adenauer und de Gaulle reicht die Epoche der
Altersaristokratie.
Im «Tod des Tizian»
fasst Hofmannsthal die Verklärung der Altersschönheit in
Poesie. Nicht nur der neunzigjährige Tizian ist schön,
alles, was er erblickt, verwandelt sich in Schönheit. Mit
dieser Altersschönheit inspiriert er die Jugend und lebt so
in ihr auf ewig:
Die aber wie der Meister
sind, die gehen, Und Schönheit wird und Sinn, wohin sie
sehen."
SCHMIDT, Volker
(2002): Alles von meinem Geld.
Wo
verprassen unsere Alten eigentlich ihren Reichtum? Die Recherche
eines jungen Neiders,
in: Frankfurter Rundschau v. 28.12.
FR (2002): Menschen
im 21. Jahrhunderts.
Nach der
Krise werden wir nicht nur anders aussehen, sondern auch andere
sein. Fünf schriftliche Versuche, den Menschen von morgen ins
Bild zu bringen,
in: Frankfurter Rundschau v. 31.12.
Nicht um
Menschen, sondern um soziale Typen wie Unternehmer, Rentner,
Angestellte, Studentinnen und Arbeitslose geht es den Autoren:
"Zur Zeit
erzeugt das Glück des Rentners noch Neid. Aber wir wären ja
blöd, wenn wir nicht lernten, das Glück und die Freiheit des
Alters als Errungenschaft zu schätzen. Außerdem wird sich
zeigen, dass sich das Glück des Rentners zu einem Teil an
unserem Unglück nährt. Weil wir voll Neid auf ihn schauen, muss
er ja geradezu denken, dass gerade er es noch geschafft hat,
dass er der letzte sein wird, der sein Alter sorgenfrei genießen
kann. Von wegen. Noch nie haben wir uns so auf den Ruhestand
gefreut wie heute" schreibt ALZ zum Rentnerproblem.
2003
taz-Dossier:
Deutsche, wollt ihr ewig leben?
Arbeit,
Rente, Gesundheit: Der Nation gehen die Jungen aus. Ein Dossier
zum demografischen Wandel der Gesellschaft |
KNIPPHALS, Dirk (2003): Alter, mach kein Stress!
taz-Dossier: Was heisst das: Alt
sein im Jahr 2030?
Wie alt bin ich, wenn
ich alt bin? Jedenfalls sicher nicht so alt, wie es mein Großvater
einmal war,
in: TAZ v. 13.09.
DRIBBUSCH, Barbara (2003): Richtig alt werden.
taz-Dossier: Was heisst
das: Alt sein im Jahr 2030?
Fürs
Altwerden gibt es zahlreiche Rollenmodelle. Entschen Sie selbst,
welches zu Ihnen passt,
in: TAZ v. 13.09.
OTTO, Annett (2003): Warum Frauen länger
leben - noch.
Eine
aufschlussreiche Studie über die Lebenserwartung von Nonnen und
Mönchen,
in: Berliner Zeitung v. 20.09.
Annett OTTO
bringt die Studie des Demografen Mark LUY auf einen knappen
Nenner: "Gleichberechtigung ist offenbar lebensgefährlich".
GERMIS, Carsten (2003): "Warum nicht bis 75 arbeiten?"
100
Jahre alt zu werden ist bald die Regel, sagt die
Bevölkerungswissenschaft. Ein Gespräch mit James W. Vaupel,
Direktor am Max-Planck-Institut für demographische
Forschung in Rostock,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v.
05.10.
SCHLAFFER, Hannelore (2003): Das Alter. Ein Traum von
Jugend, Frankfurt a/M: Suhrkamp Verlag
HALTER, Hans & Kathrin HECHT (2003): Land
der 100-jährigen Frauen.
In welchen
Regionen lebt sich's am längsten? Sterben Arme früher als
Reiche? Welche Berufe verkürzen, welche verlängern das Leben?
Bevölkerungsforscher haben die steigende Lebenserwartung der
Deutschen untersucht und sind dabei auf verblüffende
Unterschiede gestoßen,
in: Spiegel Nr.44 v. 27.10.
"Statistisch gesehen
macht es einen beträchtlichen Unterschied, ob man ledig,
verheiratet, verwitwet oder geschieden ist.
Wer verheiratet ist, lebt am längsten. Die Erklärung:
Verheiratete Personen haben in der Regel ein sozial
stabiles Umfeld und legen deshalb auch mehr Wert auf ihre
Gesundheit. Die psychische Stabilität der
Durchschnittsfamilie vermindert den Stress. Der geordnete
Alltag mit seinen regelmäßigen Essens- und Schlafenszeiten
ist offenbar eine gesunde Lebensweise",
schreiben die Autoren. Keinen
Moment lang zweifeln die Journalisten an dem Ansatz, dass
der Familienstand entscheidend sei. Es spricht jedoch vieles
dafür, dass die Heterogenität der unterschiedlichen
Lebensverhältnisse nicht genügend berücksichtigt wird. Liest
man weiter dann heißt es dort:
"Lebensverlängernd wirkt die Ehe auf beide Geschlechter.
Der Tod des Partners jedoch trifft die Männer härter.
Während Witwen ihre Ehepartner um viele Jahre überleben,
sterben verwitwete Männer ihren Frauen oft schnell
hinterher. »Übersterblichkeit« nennen die Statistiker das
und führen es auf die verbreitete Hilflosigkeit der
Ehemänner im verwaisten Haushalt zurück."
Nach dieser Erklärung müssten in Zukunft
allein wohnende Männer, die gelernt haben einen Haushalt zu
führen, einen Vorteil haben. Hier zeigt sich, dass
generationenspezifische Besonderheiten nicht berücksichtigt
werden.
"Die gesicherte Tatsache, dass
ledige und geschiedene Menschen die niedrigste
Lebenserwartung haben, öffnet den Spekulationen Tür und
Tor. Meist sind die finanziellen Rahmenbedingungen
Geschiedener unterdurchschnittlich, der
Stress bei der
neuen Partnersuche große und der
Alkoholverbrauch beträchtlich",
schreiben die Autoren
weiter. Nimmt man hinzu, dass "Einkommen (der)
einflussreichste Bestimmungsfaktor für die Lebenserwartung"
ist, dann kommt der Klassenzugehörigkeit die entscheidende
Bedeutung zu. Sowohl
unter Singles als auch unter Verheirateten gibt es in dieser
Hinsicht große Unterschiede. Für
Berlin
heißt es:
"In
Kreuzberg sterben die Männer circa fünf Jahre früher als
in Zehlendorf, die Frauen ungefähr drei Jahre früher. Ganz
generell gilt: In Bezirken mit einer ungünstigen
Sozialstruktur - viele Arbeitslose und allein Erziehende -
lebt es sich kürzer."
KAUBE, Jürgen (2003): Biodemograph,
in: Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 11.12.
Jürgen KAUBE porträtiert
James W. VAUPEL, den Direktor des Max-Planck-Instituts für
demographische Forschung in Rostock. VAUPEL beschäftigt sich
u.a. mit der Lebenserwartung der Generation Golf. Er
beschreibt sie als "Generation der Hundertjährigen". Die
Folgen dieser Langlebigkeit für die Gesellschaft sind
ebenfalls Thema.
2004
VAUPEL, James W. (2004): Deutschlands größte Herausforderung.
Wider
die demografische Ignoranz: Unsere Lebensläufe und die unserer
Kinder werden sich ändern, weil das Leben länger dauern wird,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 08.04.
Der US-amerikanische
Demograf James W. VAUPEL, der an der Universität Rostock
Honorarprofessor ist, gibt sich erstaunlich selbstkritisch:
"Im Gegensatz zur
begrenzten Zahl konstruktiver Beiträge ist ein Großteil
der jüngsten Diskussion über die Bevölkerungsentwicklung
geprägt von Übertreibungen, Schreckensszenarios,
uniformierten Spekulationen und Fatalismus".
VAUPEL wirbt für eine
verstärkte demografische Forschung.
Im Gegensatz zu Herwig BIRG formuliert VAUPEL das
Kinderlosenproblem wesentlich vorsichtiger:
"Vermutlich haben
sich manche jüngere Deutsche noch nicht gänzlich gegen
Kinder entschieden, sondern schieben ihren Kinderwunsch
lediglich auf, weshalb die zukünftigen Geburtenraten etwas
steigen und durchschnittlich 1,5 oder 1,6 Kinder pro
Familie betragen könnten. Allerdings bleibt ein Viertel
der jungen Deutschen bis zum Alter von fünfzig Jahren
kinderlos, während drei Viertel die notwendige Zahl von
zwei Kindern erfüllen."
VAUPEL, Jahrgang 1945
und selbst ein später Vater, kennt die Probleme offenbar aus
eigener Erfahrung und ist deshalb aufgeschlossener als
unsere deutschen Bevölkerungswissenschaftler. Während
Sozialpopulisten behaupten, dass nur schnelle Reformen gute
Reformen seien, behauptet VAUPEL, dass das Zeitfenster für
Reformen länger offen sei:
"Es gibt einen
zeitlichen Spielraum für die Reformen. Der Umbau sollte
zwar umgehend beginnen, kann sich aber auf die nächsten
Jahrzehnte erstrecken."
VAUPEL hofft, dass
rege Forschung politische Entscheidungsfindung erleichtert.
Man würde sich wünschen, dass deutsche
Bevölkerungswissenschaftler ebenfalls selbstkritischer wären
und nicht ihr Heil in Demagogie suchen würden. Langfristig
führt dies zu einem Glaubwürdigkeitsverlust. Spätestens wenn
die Geburtenrate stärker steigt, als von unseren
Bevölkerungswissenschaftlern behauptet, wird man sie zur
Rede stellen. Und dann können sie sich nicht mehr damit
herausreden, dass dies nicht vorhersehbar war!
DRIBBUSCH, Barbara (2004): Nicht alle Frauen leben länger.
SPD-Fraktion entscheidet heute über Unisex-Tarife bei
Riester-Rente. Gutachten: Jetzige Praxis verfassungswidrig,
in: TAZ v. 27.04.
Barbara DRIBBUSCH
berichtet über das Gutachten der Augsburger Arbeitsrechtlerin
Marita KÖRNER im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, das der
DGB vorstellte und in dem es um die Einführung von
Unisex-Tarifen bei der Riester-Rente geht. DGB, Grüne und
Teile der SPD, z.B. Renate SCHMIDT sind gemäß DRIBBUSCH für
die Einführung von Unisex-Tarife. Finanzpolitiker haben
dagegen Vorbehalte und wollen nur neue Vorsorgeprodukte zu
Unisex-Tarifen verpflichten.
GÜNTNER, Joachim (2004): Hinfällige Jugend.
Zweierlei Lebenserwartung für Alt und Jung?
in: Neue Zürcher Zeitung v. 16.06.
Joachim GÜNTNER zweifelt die Praxis der linearen
Fortschreibung von Trends in der Demographie an.
Die ständig
steigende Lebenserwartung könnte sich als Irrtum der Demografen
herausstellen, behauptet GÜNTNER unter Berufung auf eine
WHO-Gesundheitsstudie:
"Schon
Kinder haben Alterskrankheiten. Die heutigen Jugendlichen könnten
zur ersten Generation werden, die vor ihren Eltern stirbt. Zum Krieg
der Generationen taugen diese Kombattanten nicht. Und die gängige
Idee, Wohlstandsbürger würden immer älter, könnte sich als
Fehlinterpretation einer historischen Ausnahmesituation erweisen."
GÜNTNER sieht - wie Paul NOLTE - einerseits sozioökonomische Faktoren wirken:
"Es
ist nicht ganz einfach, die besorgniserregenden Befunde der WHO mit
der Zukunftsmusik biowissenschaftlich argumentierender Demographen
zu einer schlüssigen Vision zu verquirlen. Die einen erklären
schlecht ernährte Jugendliche zu Frühsterblichen, die anderen
propagieren eine weitere Vermehrung der über Hundertjährigen. Beides
kann stimmen - nur eben für verschiedene Gruppen. Wie bei der
Bildungsstudie PISA stehen auch hier wieder Kinder aus sozial
schwachen und Migrantenfamilien auf der Verliererseite. Die
Scheidelinie zwischen unterschiedlichen Lebensspannen wäre demnach
sozioökonomisch bestimmt und nicht etwa durch die Zugehörigkeit zu
bestimmten Generationen. Junge stürben nicht deswegen früher, weil
sie ausgerechnet heutzutage jung sind, sondern weil sie arm,
missachtet, deklassiert und verwahrlost aufwachsen."
Andererseits
existieren gemäß GÜNTNER jedoch auch einzigartige historische
Faktoren, die die Single-Generation zu "Glückskindern der
Geschichte" werden lässt:
"Wir
hatten eine begünstigte Jugend. Bewegung bekamen wir genug, denn die
Strasse gehörte noch uns, nicht wie heute den Autos, und wir
streunten frei herum. Der flexible Kapitalismus war noch nicht
erfunden, die Arbeitszeiten der Eltern waren berechenbar, die
Mahlzeiten regelmässig. Die Politik liess Schulen und Badeanstalten
noch nicht verkommen. Fernsehprogramme, die uns zu Stubenhockern
hätten machen können, waren noch kein Problem. Mangel und Überfluss
waren in unserem Dasein gerade richtig dosiert. Als Glückskinder der
Geschichte haben viele von uns jetzt die Chance, erstaunlich alt zu
werden."
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