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Kommentierte Bibliografie

 
       
   

Die Entwicklung der Lebenserwartung in Deutschland

 
       
   

Die Debatte um den Anstieg der Lebenserwartung, die Gesundheit Älterer, die Unterschiede der Sterblichkeit und ihre Bedeutung für die Sozialsysteme (Teil 7)

 
       
   

Die Chronologie der Debatte

 
       
   
     
 

Vorbemerkung

Die Entwicklung der Lebenserwartung gilt Demografen und Ökonomen neben der Entwicklung der Geburten in Deutschland als das gesellschaftliche Hauptproblem des demografischen Wandels. Insbesondere die Rentenversicherung und die Krankenversicherung sowie die Pflegeversicherung (Stichworte: Pflegebedarf bzw. Pflegenotstand) erscheint in einer Gesellschaft der Langlebigen als bedroht. Spätestens seit Ende der 1970er Jahre wird das Rentensystem aufgrund der steigenden Altenlast immer wieder vor dem Kollaps gesehen. Leistungseinschnitte oder Privatisierungen gelten Neoliberalen bzw. Nationalkonservativen als einzige Möglichkeit, um die Sozialversicherungssysteme zu retten. Dabei bleiben die zentralen Fragen außen vor: Was bedeutet der Anstieg der Lebenserwartung überhaupt für unsere Gesellschaft? Nicht demografische Aspekte, sondern nicht-demografische Aspekte wie der medizinische und technologische Fortschritt, die Gesundheit jüngerer und älterer Menschen, infrastrukturelle und arbeitsmarktstrukturelle Veränderungen sind in der hier vertretenen Sicht bedeutender. Die Zukunft Deutschlands könnte also ganz anders aussehen als dies die üblichen Prognosen behaupten. Diese Bibliografie widmet sich deshalb in erster Linie jenen Fragen, die gewöhnlich eher vernachlässigt werden, weil sie nicht von mächtigen Interessensgruppen vorangetrieben werden.

Kommentierte Bibliografie (Teil 7: 2018)

2018

GENTRUP, Anne & Friederike KRIEGER (2018): Kürzer leben.
Zu viel Fett, zu wenig Bewegung: Kommt die Trendwende bei der Lebenserwartung?
in:
Süddeutsche Zeitung v. 15.01.

GENTRUP & KRIEGER lassen die Interessenvertreter der Versicherungswirtschaft zu Wort kommen, die natürlich nichts von einer Trendwende bei der Lebenserwartung in Deutschland wissen wollen. Die Interpretation von Fakten - so zeigt der Artikel - ist abhängig von den Interessen. Hätte man Verbraucherschützer zu Wort kommen lassen oder unabhängige Experten, dann wäre der Artikel informativer gewesen. Der aktuelle Rentenversicherungsbericht 2017 geht bereits von einer Verlangsamung des Anstiegs der Lebenserwartung aus. Für die Lebensversicherer wäre dagegen ein solcher Trend profitabel, weil sich für sie steigende Profite aus der Kluft zwischen tatsächlicher und prognostizierter Lebenserwartung ergeben.  

HENNING, Ulrike (2018): Gewonnene Jahre.
Gute Nachrichten aus der Geriatrie: Die gesunde Lebensphase lässt sich ausdehnen,
in:
Neues Deutschland v. 22.02.

Ulrike HENNING verficht in ihrem Artikel die These von der Kompression der Morbidität, d.h.

"Die Phase schwerer Krankheiten wird dabei verkürzt, im Gegenzug bleibt Autonomie bis ins hohe Alter erhalten, es werden gesunde und behinderungsfrei Lebensjahre gewonnen."

Dabei beruft sie sich u.a. auf den Barmer Pflegereport 2017 von Heinz ROTHGANG u.a. (vgl. 2017, S. 122ff.), der die altersbedingte Pflegewahrscheinlichkeit positiver einschätzen soll als frühere Pflegereports. Angesichts der Stagnation bei der ferneren Lebenserwartung in Deutschland erscheint die optimistische Sicht eher weniger begründet.

ROSSBACH, Henrike (2018): Beliebt und teuer.
Rente mit 63: Mehr als 600.000 Arbeitnehmer haben die Möglichkeit seit 2014 genutzt,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 26.02.

"Im ersten Jahr gab es demnach gut 151.000 Rentenzugänge in der Kategorie »Besonders langjährige Versicherte«, 2015 waren es gut 274.000 und 2016 noch einmal mehr als 225.000. Zwar fallen in diese Statistik auch abschlagfreie Rentenzugänge nach früherem Recht, so dass die Zahlen nicht alleine der Rente mit 63 zuzurechnen sind. Das Gewicht der Neuregelung aber wird anhand der Zahlen aus dem Jahr ihrer Einführung deutlich: Während bis zum Stichtag 1. Juli 2014 nur knapp 15.000 langjährig Versicherte abschlagsfrei in Rente gingen, waren es in der zweiten Jahreshälfte und damit zu den Bedingungen der neuen Rente mit 63 gut 136.000",

berichtet Henrike ROSSBACH über die Rente ab 63, denn das Renteneintrittsalter steigt von Geburtsjahrgang zu Geburtsjahrgang an, sodass 1964 Geborene erst mit 65 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen können. Dies zeigt sich auch am faktischen Renteneintrittsalters, das durch die Rente ab 63 nur zeitweise einen geringen Einbruch erlebt hat:

"Demnach stieg das faktische Renteneintrittsalter (viele Arbeitnehmer scheiden vor der Regelaltersgrenze aus dem Beruf aus, auch wenn damit Renteneinbußen verbunden sind) bei Männern zwischen 2000 und 2013 kontinuierlich von 62,2 auf 64,1 Jahre. 2014 aber, dem Einführungsjahr für die Rente mit 63, gab es einen ersten leichten Rückgang auf 64 Jahre, 2015 einen weiteren auf 63,9 Jahre. 2016 blieb es dabei, für 2017 werden die Zahlen erst im Sommer veröffentlicht. Bei den Frauen ist die Entwicklung ähnlich",

behauptet ROSSBACH. Betrachtet man die Zahlen der Deutschen Rentenversicherung (vgl. Rentenversicherung in Zeitreihen, Stand: Oktober 2017, S.137), dann stagnierte 2014 das faktische Renteneintrittsalter von Männern und Frauen bei Herausrechnung des Einflusses der neuen Mütterrente bei 64,1 Jahren. Nur 2015 sank es auf 64,0 Jahre, um 2016 wieder auf 64,1 Jahre zu steigen.

Dass Fachkräfte verloren gehen, ist kein Argument gegen die Rente ab 63, sondern dafür, weil dadurch für jüngere Menschen die Chancen auf eine bessere Bezahlung steigen. Bei der Kritik an der Rente ab 63 ist eine große Portion Heuchelei dabei.

Die Kosten der Rente ab 63 sind zudem wesentlich geringer als z.B. die Mütterrente. Die SZ droht für Herbst einen Bericht über die Auswirkungen der Rente ab 63 an. Dabei lassen sich die Auswirkungen aufgrund fehlender statistischer Datenerhebungen gar nicht beziffern, sondern nur schätzen, was je nach ideologischer Präferenz durchaus verschieden gesehen werden kann.

Die DRV Rheinland und Westfalen haben bereits erste Antragszahlen für das Jahr 2017 veröffentlicht. Immerhin fast ein Viertel der abschlagsfreien Rente wurde von Frauen beantragt. Dieser Anteil dürfte sich bei den jüngeren Frauenjahrgängen weiter erhöhen. Zudem profitieren die älteren Frauen von der Mütterrente.

Letzte Woche hat bereits das neoliberale DIW die Rente ab 63 mit fragwürdigen Argumenten (prognostizierter Anstieg des Altenquotienten) ins Visier genommen.

HAGELÜKEN, Alexander (2018): Die Rente muss warten.
Immer mehr Bundesbürger überlegen, den Eintritt in den Ruhestand zu verschieben, auch über die bisherige Altersgrenze hinaus. Denn sie haben Angst vor Altersarmut,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 08.03.

Alexander HAGELÜKEN nutzt die Umfrage Demographischer Wandel: Wahrnehmungen und Einschätzungen der Bevölkerung des konservativen Meinungsforschungsinstitut im Auftrag der neoliberalen Privatstiftung Bertelsmann, die den Erfolg der medialen Berieselung in Sachen Demografischer Wandel herausfinden sollte. Die Interviews wurden vom 07. - 19. Oktober 2017 durchgeführt, fanden also noch im Vorfeld der Jamaika-Sondierungen statt. Er greift sich dazu folgenden Aspekt heraus:

"Immer mehr Deutsche sind entschlossen, im Alter länger zu arbeiten. Jeder Achte will über die bisherige Ruhestandsgrenze hinaus seinen Beruf ausüben. Der Anteil derjenigen, die später in Rente gehen wollen, hat sich damit seit 2002 mehr als verdoppelt. (...).
Der Grund dafür ist, dass die Sorge vor der Altersarmut wächst. Zwei von drei Deutschen sehen in der Alterung der Gesellschaft vor allem Gefahren. So erwarten 80 Prozent von ihnen mehr arme Rentner und höhere Beiträge an die Rentenkasse. (...).
Die Umfrage zeigt nun, dass die Deutschen beginnen, anders über einen späteren Ruhestand zu denken."

Die Verdopplung des Anteils, der länger arbeiten möchte, ist der Tatsache geschuldet, dass 2002 lediglich 6 Prozent dies wollten und nun 12 Prozent.

Dass die Gefahren der Alterung betont werden, liegt an der medial einseitigen Berieselung und daran, dass die Geburtenentwicklung pessimistisch eingeschätzt wird. Bezeichnend ist, dass selbst der Autor der Broschüre nicht zwischen Geburtenrate und Geburtenzahlen richtig trennt:

"Davon, dass sich der demographische Wandel bzw. dessen Folgen langfristig dadurch abschwächen, dass die Geburtenrate in Deutschland wieder steigt, geht die Bevölkerung eher nicht aus. Zwar nehmen immerhin 39 Prozent der Bevölkerung an, dass die Zahl der Geburten in den nächsten Jahren eher wieder steigen wird, die Mehrheit geht aber davon aus, dass sich hier in naher Zukunft nicht viel ändern wird (42 Prozent) oder die Zahl der Geburten sogar weiter zurückgeht (14 Prozent; Schaubild 20)." (2018, S.28)

Geburtenrate und Geburtenzahlen sind zwei unterschiedliche Aspekte, die nicht durcheinander gebracht werden dürfen. Nach der Entwicklung der Geburtenrate wurde gar nicht gefragt! Die Frage lautete nämlich:

"Was glauben Sie, wie sich die Zahl der Geburten in Deutschland in den nächsten Jahren entwickeln wird: Wird die Geburtenzahl in den nächsten Jahren eher steigen oder eher sinken oder wird sich da nicht viel ändern?"

Nur 14 Prozent gehen von einem Sinken der Geburtenzahlen aus. 42 Prozent sind der Meinung, dass sich hier nicht viel ändert. Wie es langfristig aussieht, wurde gar nicht gefragt. Es wird zudem mit unbestimmten Mengenbegriffen gearbeitet. Was aber ist viel bei der Geburtenrate bzw. bei den Geburtenzahlen? Es geht bei der Erhebung nicht darum zu fragen, ob die Vorstellungen realistisch sind, sondern nur darum, ob die Bevölkerung die mediale Berieselung richtig verstanden hat. Die Folgen des demografischen Wandels sind bereits fest vorgegeben und lesen sich folgendermaßen:

"Durch eine in Deutschland seit Jahrzehnten niedrige Geburtenrate – deutlich unterhalb der Reproduktionsrate von 2,1 Geburten je Frau – und einer gleichzeitig steigenden Lebenserwartung wächst der Anteil älterer Menschen im Vergleich zum Anteil jüngerer immer weiter an. Die Auswirkungen dieser Veränderungen stellen die Gesellschaft vor große Herausforderungen, beispielsweise im Bereich der Alterssicherung, der Gesundheitsversorgung oder auf dem Arbeitsmarkt, wo ein Fachkräftemangel befürchtet wird bzw. schon spürbar ist." (2018, S.1)

Diese Unterstellungen zu Ursachen und Auswirkungen werden als Faktum präsentiert. Es besteht hinsichtlich der Erhöhung des Renteneintrittsalters im Grunde nur ein Kommunikationsproblem, das im Artikel von HAGELÜKEN folgendermaßen beschrieben wird:

"Der Psychologe glaubt, dass den Bürgern die Vorteile längeren Arbeitens angesichts deutlich längerer Lebenserwartung besser erklärt werden müssten als bislang."

DESTATIS (2018): Lebenserwartung für Jungen und Mädchen steigt weiter an,
in:
Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts v. 26.03.

"Die Lebenserwartung in Deutschland ist erneut angestiegen: Sie beträgt nach der auf die aktuellen Sterblichkeitsverhältnisse bezogenen Sterbetafel 2014/2016 für neugeborene Jungen 78 Jahre und 4 Monate und für neugeborene Mädchen 83 Jahre und 2 Monate. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, erhöhte sich die Lebenserwartung im Vergleich zur vorherigen Sterbetafel 2013/2015 für neugeborene Jungen und Mädchen um jeweils etwa 2 Monate.
Auch für ältere Menschen hat die Lebenserwartung weiter zugenommen. Nach der Sterbetafel 2014/2016 beläuft sich zum Beispiel die sogenannte fernere Lebenserwartung von 65-jährigen Männern mittlerweile auf 17 Jahre und 10 Monate. Für 65-jährige Frauen ergeben sich statistisch 21 weitere Lebensjahre. Im Vergleich zur vorherigen Sterbetafel 2013/2015 hat die fernere Lebenserwartung in diesem Alter damit bei den Männern um 1 Monat und bei den Frauen um 2 Monate zugenommen.
Auf der Ebene der einzelnen Bundesländer weist Baden-Württemberg bei beiden Geschlechtern die höchste Lebenserwartung Neugeborener auf: Für Jungen beträgt sie hier 79 Jahre und 6 Monate, für Mädchen 84 Jahre. Die niedrigsten Werte weisen mit 76 Jahren und 4 Monaten Jungen in Sachsen-Anhalt und mit 82 Jahren und 3 Monaten Mädchen im Saarland auf", meldet das Statistische Bundesamt.

MPIDR (2018): Wer arm ist, ist weniger gesund. Aber warum?
in: Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung v. 26.03.

"In ihren Berechnungen konnten die Forscher bestätigen, dass sozioökonomischer Status und Gesundheit direkt miteinander zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen - ein geringer sozioökonomischer Status geht meist mit einer schlechteren gesundheitlichen Verfassung einher, während Menschen mit einem höheren sozioökonomischem Status im Schnitt gesünder sind. Sie haben auch bestätigen können, dass der sozioökonomische Status sich über den Lebensverlauf hinweg verfestigt. Vor allem aber stellten sie fest, dass bei dem Übergang von Kindheit zu Erwerbsalter beide möglichen Kausalitätsrichtungen - also sowohl »social causation« (sozioökonomischer Status beeinflusst die Gesundheit), als auch »health selection« (Gesundheit beeinflusst den sozioökonomischen Status) - gleich wichtig waren. Interessanterweise blieb diese Situation aber nicht bestehen, sondern ändert sich beim Übergang vom Erwerbsalter zum hohen Alter. Hier überwiegt eindeutig der Einfluss des sozioökonomischen Status auf die Gesundheit. Mögliche Erklärungen seien, dass das Auftreten von Gesundheitsproblemen im Alterungsprozess ganz besonders abhängig von sozialen Faktoren ist, und dass sich bei Bezug von Rente die Gesundheit weniger auf den sozioökonomischen Status auswirken könne, so Hoffmann",

fasst die Pressemitteilung die Ergebnisse der Studie Pathways between socioeconomic status and health: Does health selection or social causation dominate in Europe? zusammen.

SIEVERS, Stefan (2018): Rentner in Arbeit.
Zahl der Beschäftigten im höheren Alter steigt,
in:
Frankfurter Rundschau v. 26.03.

Stefan SIEVERS berichtet über die kleine Anfrage der Grünen zu Probleme beim Übergang in den Ruhestand. Der Dritte Bericht zur Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre. Deren Status wird im Bundestag-Dokumentensystem immer noch als nicht beantwortet geführt (Stand: 28.03.2018). Mit Bezug auf den Spiegel zitiert SIEVERS aus der Antwort der Bundesregierung. Online heißt es beim Spiegel:

"Rund 1,42 Millionen Rentner gingen im Jahr 2016 in Deutschland einer Beschäftigung nach. Im Jahr 2000 hatte ihre Zahl noch bei 539.000 gelegen."

SIEVERS spricht einmal von Über-65-Jährigen und ein anderes Mal , dann von jenen jenseits der Altersgrenze, obwohl beides keineswegs identisch ist, wenn Vergleiche über den Zeitraum ab 2000 angestellt werden. Der steigende Anteil von Über-65-Jährigen, die arbeiten, lässt sich auch auf die Erhöhung des Renteneintrittsalters zurückführen, was bei SIEVERS unberücksichtigt bleibt. 

RÖSER, Sarna (2018): Die große Koalition saugt die Jungen aus.
Gastbeitrag: Deutschland muss die Rentenpolitik ändern. Nur politischer Druck wird CDU und CSU sowie die SPD dazu bringen, neue Wege zu beschreiten,
in:
Frankfurter Rundschau v. 27.03.

Sarna RÖSER, Lobbyistin der Jungen Unternehmer, möchte keine neuen Wege gehen, sondern setzt auf die Privatisierung der Rente und die Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung. Das wird unter die Leerformel "Generationengerechtigkeit" subsumiert. Notwendig soll das angeblich durch die demografische Entwicklung werden.

"Im Jahr 2035 - das ist nur eine halbe Generation entfernt - wird ein Viertel der deutschen Bevölkerung älter als 67 Jahre sein. Die durchschnittliche Rentenbezugsdauer wird dann mehr als zwanzig Jahre betragen. Die staatlichen Kosten für die Altersabsicherung werden sich von derzeit knapp 300 auf 600 Milliarden Euro im Jahr 2035",

erzählt uns RÖSER im Brustton der Überzeugung, als ob das bereits jetzt sicher feststehe.  Bis 2035 sind es 17 Jahre. Man muss nur 17 Jahre zurück gehen, also ins Jahr 2001, um festzustellen, dass wenig von dem eingetroffen ist, was damals zur demografischen Entwicklung und zur Rentenentwicklung fabuliert wurde. Die versprochen Renditen der privaten Altersvorsorge haben sich in Wohlgefallen aufgelöst und die Anbieter der Altersvorsorge jammern uns stattdessen die Ohren voll, weil sie ihre Versprechungen am liebsten nicht gemacht hätten. Weil sich die demografische Entwicklung partout nicht an die Prognosen gehalten hat, wurde inzwischen ein "demografisches Zwischenhoch" erfunden, um die Blamage der Fehlprognose zu verschleiern. Das Zwischenhoch soll angeblich bis maximal 2025 halten. Sollte das nicht der Fall sein, wird man wohl ein neues demografisches Zwischenhoch dafür verantwortlich machen, das sich aus dem Nichts ergeben hat.

Weil ein solcher Rückblick die Argumentation zum Zusammenbruch bringen würde, stilisiert RÖSER die Babyboomer lieber zu den Gewinnern der Rentenpolitik:

"Von der Rentenpolitik (...) profitieren (...) die Jahrgänge 1955 bis 1965, die sogenannten Babyboomer. Es handelt sich dabei um Jahrgänge, die mehrheitlich geschlossene Erwerbsbiografien vorweisen können und noch ganz andere Möglichkeiten hatten, für das Alter anzusparen."

Warum gerade die Jahrgänge 1955 (1,1 Millionen) bis 1965 (1,32 Millionen) von RÖSNER den Babyboomern zugerechnet werden, hat nichts mit Fakten zu tun, sondern ergibt sich aus der  der Argumentationslogik. In den Jahren 1966 bis 1968 wurden jeweils mehr Kinder geboren als im Jahr 1955.

Die Generation Golf (Jahrgang 1965 - 1975) stilisierte sich Anfang des Jahrtausends bekanntlich zur Verlorenen Generation und wurde dabei von den Mainstreammedien kräftig unterstützt. Als Gewinner der Bildungsexpansion und des Ausbaus des Wohlfahrtsstaats gelten dem Soziologen Berthold VOGEL die Jahrgänge bis Mitte der 1950er Jahre.

Möglichkeiten für das Alter anzusparen, gibt es erst seit 2001. Die damaligen hohen Renditen, die RÖSNER fabuliert, fielen der Inflation und dem Kaufkraftverlust zum Opfer. Ob die Generationen, die nach 1970 geboren wurden, zu den Verlierern zählen werden, das ist keineswegs ausgemacht.

Fazit: Die Demografie ist nicht unser Schicksal und die Entwicklung der Renten hängt keineswegs allein vom demografischen Wandel ab. Entscheidungen sollten getroffen werden, wenn sie erforderlich sind und nicht etwa als Vorgriff auf eine angeblich vorherbestimmte Zukunft. Der Versuch den Renteneintritt an die Lebenserwartung zu koppeln ist der Versuch durch postdemokratische Elemente die demokratische Willensbildung auszuhebeln.     

NEIßE, Wilfried (2018): Rente schützt vor Arbeit nicht.
Lebenserwartung steigt auch in Brandenburg weiter an - und mit ihr die Altersarmut,
in: Neues Deutschland v. 03.04.

WENIG; Mirko (2018): Rente - Frauen zahlen im Schnitt 27,6 Jahre in Rentenkasse ein,
in: versicherungsbote.de v. 06.04.

Mirko WENIG berichtet über die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei zur Entwicklung der Altersrenten in Deutschland

DRIBBUSCH, Barbara (2018): Milchschäumen mit 67.
Debattereihe Zukunft der Arbeit: Immer mehr Leute jenseits der 60 arbeiten, auch noch im Rentenalter. Ist das nun gut oder schlecht? Kommt drauf an. Das soziale Gefälle ist groß,
in: TAZ v. 16.04.

Barbara DRIBBUSCH wendet sich gegen eine Stabilisierung des Rentenniveaus, weil Ältere ihre Rente durch Erwerbsarbeit aufbessern sollen. Lediglich für Menschen mit gesundheitlichen Problemen und "KleinrentnerInnen" sieht DRIBBUSCH andere Möglichkeiten vor:

"Das neue Programm mit bezahlten Jobs für Langzeitarbeitslose, das sie Groko plant, sollte vor allem Menschen über 55 Jahren mit gesundheitlichen Einschränkungen zugutekommen. Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente sind bereits beschlossen. Auch eine Aufstockung für KleinrentnerInnen mit langer Berufsbiografie wäre ein richtiges Signal."

Im Grunde ist DRIBBUSCH nicht mehr weit von den neoliberalen Hardlinern entfernt, die weitere Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente ablehnen, weil sie die vorhandenen Verbesserungen als ausreichend empfinden. Zu einer Erhöhung des Renteneintrittsalters schweigt DRIBBUSCH genauso wie zur privaten Altersvorsorge. 

LOSSAU, Norbert (2018): Der übersehene Faktor für ein langes Leben.
Reiche Menschen kommen leichter an Medikamente und bessere Therapien als arme. Trotzdem ist Wohlstand kein Garant für ein langes Leben. Bildung sei wichtiger sagt Sozialstatistiker Wolfgang Lutz aus Österreich,
in: Welt v. 05.05.

Der Artikel zeigt wie mit wissenschaftlichen Studien Verdummung betrieben werden kann. Es wird behauptet, dass zwischen Bildung und Lebenserwartung eine eindeutig kausale Beziehung besteht, während das für Einkommen und Lebenserwartung nicht gelten würde.

Die Untersuchung, die zitiert wird, ist jedoch gar nicht in der Lage dies zu belegen. Als Indikator für Wohlstand wird das BIP pro Kopf herangezogen, d.h. alle Einwohner eines Landes wird das gleiche Einkommen zugewiesen, egal wie viel jemand in diesem Land tatsächlich verdient. Es handelt sich also gar nicht um eine Kausalstudie, sondern lediglich um eine Korrelationsstudie. Eine Untersuchung, die 174 Länder vergleicht muss zwangsweise grob vereinfachen, denn wie lässt sich der Wohlstand von reichen und armen Ländern vergleichen?

"Nehmen wir Kuba. Die Lebenserwartung ist in diesem Karibikland eine der höchsten in ganz Latein- und Mittelamerika. Sie ist nach den jüngsten UN-Zahlen insbesondere sogar höher als in den USA, und zwar sowohl bei den Frauen als auch den Männern. Andererseits ist Kuba bekanntlich bettelarm, während die USA zu den reichsten Ländern der Welt zählen. Wie lässt sich das erklären? Doch wohl nun über das relativ gute Schul- und Gesundheitssystem in Kuba",

antwortet Wolfgang LUTZ. Da stellt sich die Frage, ob ein Wohlstandsmaß wie das BIP pro Kopf der Fragestellung nicht unangemessen ist und eher ein Maß für die Ungleichheit im Land erforderlich wäre. Und inwieweit ist die durchschnittliche Lebenserwartung ein angemessener Indikator? Das Maß sagt keineswegs etwas darüber aus, wie gesund das Leben in einem Land für die Mehrzahl der Menschen ist. Die 50 Prozent der Überlebenden könnten in Kuba ganz anders verteilt sein als in den USA. Der Artikel erzeugt mehr Fragen als er beantwortet!   

Einschränkend muss gesagt werden: Da die Untersuchung noch nicht einmal veröffentlicht wurde, ist eine Kritik nur anhand der Informationen des Artikels möglich.     

KOCH, Martin (2018): Der Osten holt weiter auf.
Warum sich die durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen nur ungenau prognostizieren lässt,
in: Neues Deutschland v. 24.05.

Martin KOCH skizziert die Entwicklung der Lebenserwartung von der Steinzeit an! Mit sage und schreibe 3 Prominenten will uns KOCH belegen, dass es im Mittelalter bereits viele Hochaltrige gab. Belege hat er jedoch für seine These nicht. Anlass des Berichts ist jedoch die Pressemitteilung Sterblichkeit verbesserte sich schon in der DDR es Max-Planck-Instituts für Demografische Forschung über eine Studie von Pavel GRIGORIEV.

ZWIENER, Rudolf (2018): Mehr und besser bezahlte Arbeit statt "Rente mit 70".
Modellsimulation einer erfolgreichen Wachstums- und Beschäftigungspolitik zur Bewältigung des demografischen Wandels,
in: IMK-Policy Brief v. 06.06.

Rudolf ZWIENER kritisiert, dass der Altenquotient kein angemessener Indikator für die zukünftige Entwicklung der Rentenversicherung ist. Stattdessen wird ein ökonomischer Abhängigkeitsquotient präsentiert, der bereits im April vorgestellt wurde

SIEMS, Dorothea (2018): Rente mit 69 - die Rettung?
Experten sehen in längerer Lebensarbeitszeit vier Vorteile, die das System stabilisieren sollen,
in: Welt v. 06.06.

Die Arbeitgeberlobby INSM subventioniert die deutsche Leitpresse heute durch eine ganzseitige Anzeigenkampagne. Dorothea SIEMS bedankt sich mit einem unterstützenden Artikel, der keine neue Fakten liefert, sondern nur das bekannte neoliberale Mantra liefert. Die GDV, die für die Interessen der Lebensversicherer in der Altersvorsorge steht, hat zusammen mit der Prognos AG ein Tool entwickelt, das mit einem realitätsfernen Horrorszenario operiert und mit dem die Politik eingeschüchtert werden soll.

Die heutige Pressemitteilung der GDV liefert genauso wenig wie die Pamphlete der Prognos AG genaue Hinweise zu den Annahmen der Berechnungen. Diese aber entscheiden darüber, inwieweit Berechnungen realistisch sind. Obwohl die Berechnungen der Prognos AG in der Vergangenheit schon innerhalb von 10 Jahren völlig aus dem Ruder liefen, werden hier Zahlen für 2040 genannt, d.h. für ein Zeitraum von über 20 Jahren.

Zum Tool, mit dem man angeblich "Rentenminister" spielen kann, heißt es zu den Annahmen nur:

"Basis für die Prognose ist die Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes, die bis 2060 unter anderem eine durchschnittliche Zuwanderung von 200.000 Personen unterstellt."

Offenbar sind die Macher des Tools davon überzeugt, dass die Nennung aller ihrer Annahmen der Glaubwürdigkeit der Berechnungen schaden könnte, denn sonst hätten sie die Annahmen zur Geburtenrate nicht weggelassen.

Im April hatte die Prognos AG bei Berechnungen auf die Variante 2A der 13. Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes zurückgegriffen. Die dort angenommene Geburtenrate liegt bei 1,5, obwohl die Geburtenrate bereits im Jahr 2016 bei fast 1,6 Kinder pro Frau lag. Ein Anstieg von 0,1 scheint vernachlässigbar, ist es aber nicht, denn im Jahr 2040 gehören diese Kinder zu den Berufsanfängern, wodurch sich das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentenempfängern verbessert. Das gewerkschaftsnahe IMK weist zudem heute zu Recht darauf hin, dass der Altenquotient kein brauchbarer Indikator für die zukünftige Entwicklung in der Rentenversicherung ist.

WALLRODT, Ilse (2018): Ohne Rente sehen alle ziemlich alt aus.
Bei kaum einem Thema ist so viel Ideologie im Spiel wie bei der Alterssicherung. Es ist daher schon fraglich, ob die neue Rentenkommission überhaupt eine gemeinsame Sicht dazu findet, wo die Probleme eigentlich liegen,
in: Neues Deutschland v. 07.06.

Ilse WALLRODT präsentiert erst die neoliberalen Horrorszenarien, um sie dann mit Gegenargumenten zu entkräften.

"Vertreter der Arbeitgeberseite, Teile von CDU/CSU und nahestehende Wirtschaftswissenschaftler wollen den Rentenbeginn noch weiter nach hinten schieben (...). Am weitesten gingen bislang die sogenannten Wirtschaftsweisen, die die Rente mit 71 befürworteten. Dadurch wirkt die andere Altersgrenze - 69 Jahre -, die gern genannt wird, gleich nicht mehr so unsozial."

Da irrt sich WALLRODT gewaltig. 2012 sprach der ehemalige SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang CLEMENT bereits von der Rente mit 80! Ganz abgesehen davon, dass manche die Regelaltersgrenze ganz abschaffen möchten.

SCHERFF, Dyrk (2018): Arbeiten bis 72.
Eine Kommission soll die Rentenversicherung fit für die Zukunft machen. Auch wenn viele das nicht gerne hören: Am besten wäre es, wir würden alle länger arbeiten,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 10.06.

Dyrk SCHERFF liefert keine neuen Fakten zum Thema. Wie wäre es, wenn lediglich die Menschen mit Akademikerberufen, die eine höhere Lebenserwartung haben, länger arbeiten müssten, statt dass eine Umverteilung von unten nach oben betrieben wird, wie das bei einer Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung der Fall wäre?

MÜLLER, Hans Christian (2018): Immer mehr Menschen.
Grafik des Tages: Die Weltbevölkerung wächst und wächst - zurzeit um 160 Menschen pro Minute. 2023 könnte die Marke von 8 Milliarden übersprungen werden. 2055 dann die von 10 Milliarden. Doch das Wachstum wird wohl bald langsamer: Denn noch schneller, als die Lebenserwartung wächst, sinkt wohl die Zahl der Kinder pro Erwachsenen,
in: Handelsblatt v. 03.07.

GESTERKAMP, Thomas (2018): Kampf der Angekratzten.
Maskulinismus: Im Netz klagen Männer laut über ihre Benachteiligung. Manche ihrer Beschwerden haben in der Tat einen wahren Kern,
in: Die ZEIT Nr.27 v. 05.07.

Thomas GESTERKAMP meint, dass Antifeministen bzw. Maskulisten keine relevante gesellschaftliche Bewegung darstellen, ist jedoch der Ansicht, dass ein Erstarken nur verhindert werden könne, wenn gewisse Einseitigkeiten in Sachen Gender beseitig würden.

"Seit Jahrzehnten informiert ein staatlich finanzierter Bericht über die Gesundheit von Frauen, erst seit Kurzem gibt es auch einen Bericht über Männer, trotz ihrer mehr als fünf Jahre kürzeren Lebenserwartung",

erwähnt GESTERKAMP zwar ein wichtiges Defizit, wobei die ganze Tragweite des Problems offenbar nicht begriffen wird, denn Armut und Lebenserwartung hängen eng miteinander zusammen. Dass beide Aspekte nicht zusammen gedacht wird, führt zu geradezu grotesken Debatten um Altersarmut. So sind viel mehr Frauen im Alter arm, aber nur weil sie die Männer überleben. Armut wird als das vorrangige Problem betrachtet und nicht etwa die höhere Sterblichkeit. Aus der Sicht eines neoliberalen Sozialstaatsabbau erscheint dies konsequent: Arme Tote sind kostengünstiger. Die fehlende Anprangerung dieser zynischen Denklogik ist der wahre Skandal. 

MIHM, Andreas (2018): Jeder zweite Berufstätige geht vorzeitig in Rente.
Das liegt nicht nur an körperlich anstrengenden Aufgaben,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 05.07.

Andreas MIHM präsentiert die neoliberale Lesart des Gesundheitsreport 2018 der Techniker-Krankenkasse, nach der die Berufstätigen nicht etwa wegen Krankheit und Berufsunfähigkeit aus dem Erwerbsleben ausscheiden, sondern in erster Linie, um ihren Ruhestand bei bester Gesundheit zu genießen. Prävention ist deshalb für MIHM nicht das Mittel der Wahl, um den faktischen Renteneintritt zu erhöhen, sondern saftige Abschläge für einen vorzeitigen Renteneintritt.

BALCEROWIAK, Rainer (2018): Zu krank zum Durchhalten.
Studie: Nur die Hälfte der Beschäftigten erreicht das Renteneintrittsalter berufstätig,
in: Neues Deutschland v. 05.07.

Für Rainer BALCEROWIAK ist der schlechte Gesundheitszustand vieler Beschäftigter die Hauptursache für den vorzeitigen Ruhestand, weshalb er die Sicht der TK-Krankenkasse referiert, der für mehr Prävention und die Möglichkeit aus gesundheitlichen Gründen ohne Abschläge früher in Ruhestand gehen zu können plädiert.

Die TK-Krankenkasse ist zwar die größte Krankenkasse Deutschlands, repräsentiert jedoch lediglich rund 15 % der Beschäftigten in Deutschland. Die Ergebnisse sind also alles andere als repräsentativ.

Die Tabelle 1 des Gesundheitsreports (vgl. S.52) zeigt, dass die Geburtsjahrgänge 1948 - 1951 mehr Möglichkeiten zum Bezug einer vorzeitigen Rente besitzen als die Geburtsjahrgänge ab Geburtsjahrgang 1952. Für diese bestand die Möglichkeit zum Bezug einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit gemäß § 237 SGB VI oder zum Bezug einer Altersrente für Frauen gemäß § 237a SGB VI.

BARTENS, Werner (2018): Dem ewigen Leben auf der Spur.
Im hohen Alter scheint das Sterberisiko nicht mehr anzusteigen. Lässt sich die Lebenszeit beliebig dehnen?
in: Süddeutsche Zeitung v. 06.07.

Die Schlagzeile würde man eher bei der Bildzeitung oder einem anderen Boulevardblatt vermuten und sie zeigt wie tief die Qualitätspresse schon seit Jahrzehnten gesunken ist!

"Wenn Forscher den Hochbetagten auf Okinawa, Sardinien und anderswo das Geheimnis ihrer Langlebigkeit entlocken wollen, geht es künftig womöglich nicht mehr allein darum, Extremfälle zu finden, jemanden, der den offiziell anerkannten Altersrekord von 122 Jahren und 164 Tagen bricht (...). Vielmehr erscheint es als lohnenderes Ziel zu erkunden, wie man wenigstens 105 Jahre werden kann. Von diesem Alter an, und das ist eine erstaunliche Erkenntnis, steigt das Sterberisiko nicht mehr an, sodass es - zumindest theoretisch - kaum noch Grenzen für die menschliche Lebenserwartung geben könnte",

ködert Werner BARTENS seine naiven Leser. Wer sich schon einmal Tabellen zur ferneren Lebenserwartung angeschaut hat, der weiß: ein 65-Jähriger hat eine höhere Lebenserwartung als jemand des gleichen Geburtsjahrgangs bei Geburt. Das ist wenig verwunderlich. Dass es Altersspannen gibt, in denen die Sterblichkeitsrisiken unterschiedlich hoch sind, ist wahrlich nichts Neues.

"Forscher (...) kritisieren, dass (...) in der italienischen Studie unter den fast 4.000 Probanden weniger als 100 Hochbetagte waren, die 110 Jahre oder ältere wurden. Das verwässere die Aussagekraft der Analyse",

heißt es bei BARTENS. Mehr Fakten und weniger Spekulation würde der Wissenschaftsberichterstattung gut tun!  

STALA BW (2018): In Baden-Württemberg leben etwas mehr Frauen als Männer.
Höchster Frauenanteil in Freiburg im Breisgau, geringster in Karlsruhe,
in:
Pressemitteilung des Statistischen Landesamt Baden-Württemberg v. 11.07.

Bei den 90-Jährigen und älteren gibt es fast 3mal so viele Frauen wie Männer in Baden-Württemberg. Während am 01.01.2017 in Baden-Württemberg 71.311 über 90-jährige Frauen lebten, waren es dagegen nur 24.327 über 90-jährige Männer.

"Ab der Altersgruppe der 58-Jährigen sind die Frauen ausnahmslos stärker vertreten, wobei diese zahlenmäßige Dominanz mit zunehmendem Alter immer ausgeprägter wird: Unter den 60- bis unter 80-jährigen Baden-Württembergern sind »nur« 53 % Frauen, bei den 80-Jährigen und Älteren dagegen bereits 62 % – und zwar nicht nur wegen ihrer höheren Lebenserwartung, sondern auch aufgrund der einschneidenden Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs, als erheblich mehr Männer als Frauen infolge des Krieges ums Leben kamen",

heißt es zur Dominanz der Frauen im höheren Lebensalter in der Pressemitteilung des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg. 

WIEBE, Frank (2018): Eine gefährliche Lücke im Alter.
Die Rente ist sicher, aber reicht sie auch? Das herauszubekommen erfordert eine ganze Menge Arbeit. Es eröffnet aber auch die Chance, noch mehr vorsorge zu betreiben, wenn sich ein Defizit abzeichnet,
in: Handelsblatt v. 20.07.

Die Rentenlücke ist zu klein? Kein Problem für die willfährigen Helferlein der Finanzdienstleister:

"Manchmal liest man als Richtwert, dass 80 Prozent des bisherigen Nettogehalts genug sein sollten. (...).
Wirklich? Wieso sollte man im Ruhestand auf einmal weniger Geld benötigen?"

stellt Frank WIEBE die rhetorische Frage. Achtzig Prozent? Wieso so viel, denn manche sagen gar, dass 60 Prozent des letzten Arbeitseinkommen völlig ausreicht. Wie immer ist das aber in erster Linie eine Frage, ob man glaubt, dass die gesetzliche Rente tatsächlich derart schlecht dasteht wie die Neoliberalen auf der einen und manche Vertreter der Sozialinteressen auf der anderen Seite behaupten. Wenn es um das zukünftige Rentenniveau geht, dann existiert eine merkwürdige Allianz von Interessengruppen, die jeweils aus völlig unterschiedlichen Gründen die Altersarmut dramatisiert.

"Die derzeitige Regierung verspricht, das Niveau der gesetzlichen Rente stabil zu halten. Aber wie lange schafft sie das noch?"

fragt WIEBE. Schließlich ist entscheidend, wer sich im Machtkampf durchsetzt und ob die demografische Entwicklung tatsächlich das wahre Problem der Sozialversicherung ist. Weil aber die Angst vor Altersarmut nicht groß genug zu sein scheint, wird auch noch die steigende Lebenserwartung ins Spiel gebracht:

"Die Lebenserwartung ist heute ziemlich hoch. Auch wer mit 67 in Rente geht, kann locker noch 25 oder sogar 30 Jahre leben. Laut Statistik werden heute 67-Jährige Männer im Durchschnitt 83, die Frauen sogar 86 Jahre alt."

Mit der ferneren Lebenserwartung ist das so eine Sache, denn gemäß Statistisches Bundesamt kann ein 65-jähriger Mann zwar fast 83 Jahre alt werden. Ist ein Mann jedoch 80 Jahre alt, dann kann er sogar 88 Jahre alt werden. Die Lebenserwartung wird also für die überlebenden Menschen umso höher, je älter sie werden (zumindest bis zu einem gewissen Alter). Auf der anderen Seite heißt das aber auch, dass z.B. 55-jährige Männer eine geringere Lebenserwartung haben als ein 67-Jähriger. Es besteht hinsichtlich der Länge des eigenen Lebens eine sehr große Ungewissheit für jeden Einzelnen. Von daher ist das Wissen um die durchschnittliche Lebenserwartung nur ein vager Anhaltspunkt, relevanter ist der individuelle Gesundheitszustand.

Fazit: Hinsichtlich der Rentenlücke haben wir es mit vielen unterschiedlichen Interessengruppen zu tun, die jeweils vorgeben das Beste für uns zu wollen.

STOCKER, Frank (2018): Rente mit 63 bedroht den Wohlstand.
Deutschland hat die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer zuletzt so sehr erhöht wie kein anderes Land. Doch vorzeitiger Ruhestand gefährdet dies,
in: Welt v. 24.07.

Anlässlich der PR einer Unternehmensberatung, die einen "Golden Age Index" präsentiert hat, füttert uns Frank STOCKER mit Spekulationen, statt belastbare Zahlen zu liefern.

"Profitieren kann von einer höheren Beschäftigungsquote unter älteren Bürgern (...) nicht nur der Betrieb, sondern auch die gesamte Volkswirtschaft",

behauptet STOCKER. Dass vom Wohlstand nicht alle Bürger eines Landes gleichermaßen profitieren, sollte eigentlich inzwischen überall durchgedrungen sein. Das aber heißt: "den" Wohlstand gibt es nicht. Man könnte z.B. Wohlstand auch als Lebensqualität messsen, was in der produktivistischen Sicht des Neoliberalismus unterbleibt. Zu den Wirkungen der Rente ab 63 hat der Bericht keine Zahlen, sondern nur Spekulationen zu bieten.

Das Zentrum des Artikels ist die neoliberale Praxis des Rankings, bei dem eine Rangreihe von Ländern aufgestellt wird, bei der der Spitzenreiter das Vorbild abgibt, dem die anderen gefälligst nacheifern sollen. Für die jeweilige Kennziffer wird dann ein Zusammenhang zum Wohlstand behauptet, ohne diesen zu belegen. Dieses eindimensionale Denken vernebelt uns jedoch den Verstand, weil dadurch die komplexeren Zusammenhänge aus dem Blick geraten. Musterknabe kann immer nur einer sein und manche Ziele widersprechen sich, d.h. wer auf dem einen Felde Musterknabe ist, der ist zwangsläufig auf dem anderen Felde abgehängt oder gar Schlusslicht.

Eine Grafik zeigt das angebliche Wachstumspotenzial durch arbeitende Senioren an. Die Welt hat sich aus den 32 Ländern, die PWC betrachtet hat, 13 Länder herausgesucht, wobei Deutschland Rang 8 belegt. Bei Betrachtung von 32 Ländern liegt Deutschland dagegen besser, nämlich auf Platz 16.

Fazit: Während der Neoliberalismus Diversity - Vielfalt - predigt, regiert jedoch nur Einfalt!

EV-USTORF, Anne (2018): Genug gearbeitet.
"Mit 50 Jahren höre ich auf" - das schwören vor allem erfolgreiche Menschen, die in ihrem Beruf viel Geld verdient haben. Sie wollen endlich das Leben genießen, um die Welt reisen oder etwas ganz anderes machen. Kann das gut gehen?
in: Süddeutsche Zeitung v. 28.07.

Anne EV-USTORF unterfüttert die neoliberalen Forderungen nach einer Erhöhung des Renteneintrittsalters und die Polemiken gegen die Rente ab 63 mit zwei Einzelfällen, die aufzeigen sollen, dass ein vorzeitiger Ruhestand unglücklich macht. Dumm nur, dass das nicht viele so sehen.

"Ursula Staudinger (...) hat jüngst in einer umfangreichen Vergleichsstudie mit Daten aus elf Industrieländern gezeigt, dass es ungesund ist, ohne eine Tätigkeit zu leben: Frührentner haben Staudinger zufolge sogar eine unterdurchschnittliche Lebenserwartung, selbst wenn man Vorerkrankungen herausrechnet",

erzählt uns EV-USTORF. Über das Studien-Design erfährt der Leser jedoch nichts, weshalb der Leser das nicht überprüfen kann. Die meisten Studien sind Korrelationsstudien, die keine Möglichkeiten bieten, die Ursachen der unterdurchschnittlichen Lebenserwartung zu ermitteln. Und wie will man Vorerkrankungen ausschließen? Und wer Tätigkeit mit Erwerbsarbeit verwechselt, der ist den Neoliberalen bereits in die Falle gegangen.

Fazit: Würden die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung stimmen, dann wären solche Artikel überflüssig.

EV-USTORF, Anne (2018): Riskante Freiheit.
Warum ein früher Renteneintritt der Gesundheit schaden kann,
in: Süddeutsche Zeitung v. 28.07.

Entgegen der Überschrift sieht der Heidelberger Gerontologe Andreas KRUSE den frühzeitigen Übertritt in den Ruhestand wesentlich differenzierter als Anne EV-USTORF in ihrem einseitigen Artikel:

"Er schadet dann, wenn er mit einem starken Rückgang der körperlichen, geistigen, sozialen und emotionalen Aktivität verbunden ist. Und wenn er unfreiwillig erfolgt, also einhergeht mit einer großen Verunsicherung. Wenn der frühe Renteneintritt aber selbstbestimmt geschieht und neue sinnerfüllte Aktivitäten folgen, kann das Wohlbefinden sogar zunehmen."

FERBER, Michael (2018): Von der Zeit überholte Sterbetafeln.
Demografische Entwicklung zwingt Pensionskassen zur Umstellung auf anderes Modell,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 08.08.

Michael FERBER berichtet über die propagierte Umstellung von Perioden- auf Generationensterbetafeln in der beruflichen Vorsoge. Er greift dabei auf den Bericht finanzielle Lage der Vorsorgeeinrichtungen 2017 vom 08.05.2018 zurück. Im Kapitel 4.1 Biometrische Grundlagen (Seite 22)wird auf den Stand der Entwicklung der Bilanzierung mittels der neuen Generationensterbetafeln eingegangen. Diese haben angeblich den Vorteil dass die Erhöhung der Lebenserwartung im Gegensatz zu den Periodensterbetafeln realistischer berechnet werden. Damit soll der Deckungsgrad bei Pensionskassen genauer berechnet werden können.

Da es sich bei solchen Generationensterbetafeln jedoch um Fortschreibungen vergangener Steigerungsraten der Lebenserwartung handelt, führen Verlangsamungen zu Fehleinschätzungen zu Lasten der Versicherten. Auch hier geht es darum, dass die Risiken von Falschannahmen nicht die Pensionskassen tragen sollen, sondern die Versicherten die Leidtragenden sind.    

WELT-Themenausgabe: Die Würde des Alters

DOWIDEIT, Anette (2018): Siechtum ist menschlich.
Rüstige Senioren himmeln wir an. Wer aber dement wird oder gebrechlich, wer Pflege braucht und damit auch die finanzielle Unterstützung der Solidargemeinschaft, der wird oft auf die Rolle des Kostverursachers reduziert. Wir brauchen ein Umdenken,
in: Welt v. 10.08.

Die Springer-Zeitung widmet die heutige Ausgabe dem Thema Die Würde des Alters. Der heimliche Lehrplan heißt dagegen: sozial verträgliches Ableben:

"(M)eine Oma (...), die meinen krebskranken Opa jahrlang gepflegt hatte, blühte nach dessen Tod richtig auf. Sie fing an, das bescheidene Vermögen (...) zu investieren: in Erlebnisse. (...).
Das alles ist fast 15 Jahre her, und heute ist das, was bei meiner Großmutter noch als Exotentum gegolten haben mag, der Normalfall. (...).
Meine Oma (...) war 84, als sie starb. Sie selbst hätte gesagt, sie sei »sozialverträglich abgelebt«",

erzählt uns Anette DOWIDEIT, die ihre Großmutter zur Pionierin des aktiven Unruhestands stilisiert  Siechtum, das betrifft dagegen höchstens die anderen. Das dominante Altersmodell der Gerontologie entspricht dem Möglichkeitsraum der oberen Mittelschicht bzw. der Oberschicht, aber es wird als allgemeingültiges Modell im Neoliberalismus gepredigt. In der heutigen Ausgabe der Welt lässt sich das ganze Spektrum dieser Vorstellungswelt erkennen.

FRITZ, Philipp (2018): Die alten Deutschen von Zabelkow.
In Polen spezialisieren sich Altenheime auf deutsche Bewohner. Sie locken mit guter Betreuung zu Preisen, von denen man in Deutschland nur träumt,
in: Welt v. 10.08.

SIEMS, Dorothea (2018): Arbeitende Rentner sind ihrer Zeit voraus.
1,4 Millionen Senioren sind in Deutschland berufstätig. Die meisten haben einen Teilzeitjob und Spaß an der Beschäftigung. Experten sehen bei der freiwilligen Erwerbstätigkeit viel Luft nach oben,
in: Welt v. 10.08.

Dorothea SIEMS arbeitet sich am Feinbild Linkspartei ab, bei der das Arbeiten im Rentenalter als Notwendigkeit aufgrund der Altersarmut gilt. Für SIEMS dagegen ist das Ruhestandsmodell der oberen Mittelschicht und Oberschicht ("Avantgarde") die Folie auf der die Erwerbstätigkeit im Rentenalter betrachtet wird:

"Deutlich überrepräsentiert sind die Selbständigen und deren Angehörige. (...). Dagegen verdienen sich Arbeiter oder ehemalige Angestellte im öffentlichen Dienst und Beamte eher selten etwas zu ihren Alterseinkünften hinzu",

zitiert SIEMS eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung. Und natürlich entspricht die Ideologie des Neoliberalismus den Interessen der Arbeitgeber:

"Für die Wirtschaft werden die sogenannten Silver Worker in den Zeiten des Fachkräftewandels immer wichtiger. (...) Wenn in wenigen Jahren die geburtenstarken Jahrgänge ins Rentenalter kommen, droht sich die Situation noch deutlich zu verschärfen."

Fachkräftewandel steht da tatsächlich! Wer gerade beim Schreiben an den demografischen Wandel denkt, der kann sich schon mal verschreiben. Natürlich soll es Fachkräftemangel heißen. Der Fehler zeigt jedoch, dass bereits ganz bestimmte Assoziationsketten erfolgreich unbewusst im Denken verankert worden sind.     

BOLZEN, Stefanie (2018): Angewiesen auf die Barmherzigkeit der eigenen Bürger.
Der britische Staat spart Milliarden im Sozialbudget ein. Besonders hart trifft es die Alten. Ohne Freiwillige wären diese auf sich allein gestellt,
in: Welt v. 10.08.

WELT (2018): "Die meisten Menschen wissen nicht, wie sie alt werden wollen".
Der Onkologe Ezekiel Emanuel, 61, will nicht älter als 75 Jahre werden. Danach sei kein bedeutungsvolles Leben möglich. Nicht einmal die Geburt seines Enkelkindes konnte ihn umstimmen,
in: Welt v. 10.08.

Natürlich ist der Artikel kein Aufruf zum Selbstmord mit 75 Jahren, sondern es geht darum,

"nach dem 75. Lebensjahr keine medizinischen Eingriffe mehr durchführen (zu) lassen, die allein dazu dienen, mein Leben zu verlängern".

Es handelt sich also um eine Art Fortsetzung der Hüftgelenksdebatte, die der damals junge CDU-Wilde Philipp MIßFELDER in den Nuller Jahren anstieß, nur dass der Artikel subtiler ist.

KROHN, Philipp (2018): Kritik an neuen Sterbetafeln.
Wettbewerber hinterfragen Monopol der Heubeck AG,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 15.08.

Heute ist einer der seltenen Momente, dass  Philipp KROHN die Interessen eines am "Gewinn orientierten Unternehmens" entdeckt! Dies aber auch nur, weil es sich dabei um ein marktinternes Streitthema handelt. Die Kölner Unternehmensberatung Heubeck AG, die in Deutschland ein Quasimonopol bei der Erstellung von Sterbetafeln in der betrieblichen Altersvorsorge hat, ist den international agierenden Mitkonkurrenten bei der betrieblichen Altersvorsorge, Willis Towers Watson und Mercer, ein Dorn im Auge.

Über die Hintergründe des Streits klärt KROHN jedoch nicht auf, sondern beschränkt sich auf den Zusammenhang zwischen Annahmen, die in die Sterbetafeln einfließen, und dem Rückstellungsbedarf von Unternehmen. Die Kritik läuft im Grunde darauf hinaus, dass die neuen Generationensterbetafeln höheren Rückstellungsbedarf erfordern. Mit den Annahmen zu Lebenserwartung, Sterbewahrscheinlichkeit und Invaliditätsrisiken lassen sich sozusagen diese Rückstellungen beeinflussen:

"Je nachdem, welcher Anbieter rechnet, kann schon einmal ein um 15 Prozent höherer oder niedriger Rückstellungsbedarf entstehen",

lautet die Kritik. Bei der Kritik von Verbraucherschützern, die im Interesse von Versicherten liegen, hat KROHN merkwürdigerweise Scheuklappen auf.

"»Warum arbeitet nicht die Deutsche Aktuarvereinigung die neuen Tafeln aus?«, fragt Philipp Schoepffer, Chefaktuar der Beratungsgesellschaft EY. »Sie hat weniger Interessenkonflikte als ein am Gewinn orientiertes Unternehmen.« Ein solches Vorgehen sei zum Beispiel in Großbritannien Standard",

zitiert KROHN, EY - eine global agierende Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, deren Eigeninteresse hier deutlich wird. Die Heubeck AG hat 2005 von den üblichen Periodensterbetafeln auf Generationensterbetafeln umgestellt:

"Schoepfer ist eigentlich mit dieser Neuerung weiterhin zufrieden. Das Risiko, berufsunfähig zu werden, wei damals etwas zu hoch angesetzt worden. Das aber hätte am besten eine unabhängige Organisation, wie die (...) DAV feststellen sollen. Überdies würden die Tafeln in anderen Ländern häufiger angepasst als in Deutschland - statt wie hier mit 13 Jahren Abstand im Zwei- bis Vierjahresrhythmus."

Obwohl aufgrund von Generationensterbetafeln deutlich geworden ist, dass "gut verdienende Rentner eine höhere Lebenserwartung als schlecht verdienende hätten" und "Erwerbsminderungen ab 58 Jahren wieder zurückgehen" kommt dieses Wissen in der Alterssicherung nicht zur Anwendung. Im Gegenteil verhält es sich so, dass bei der Altersvorsorge sowohl in der gesetzlichen Rentenversicherung und der nicht-gesetzlichen Altersvorsorge, eine Umverteilung von Arm zu Reich stattfindet.       

HÖFFE, Otfried (2018): Alt werden will gelernt sein.
Wir brauchen eine Kunst des Alterns. Und die Philosophie darf dazu nicht schweigen,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 25.08.

Die NZZ druckt einen Vorabzug aus dem neuen Buch Die hohe Kunst des Alterns von Otfried HÖFFE, einem der neuen Philosophen des Neoliberalismus, ab. Aus dem Arsenal der Philosophie klaubt sich HÖFFE vier Strömungen heraus, die zum Neoliberalismus am besten passen und ihm einen mitfühlenden Anstrich verpassen soll: ARISTOTELES gilt ihm als Prophet des gelungenen Lebens, Immanuel KANT soll die individuelle Ethik liefern, John STUART mit der Urform des Neoliberalismus das Allgemeinwohl stiften und ausgerechnet Friedrich NIETZSCHE soll eine Kritik negativer Altersbilder beisteuern.

Fazit: Wir verzichten lieber auf eine Philosophie des richtigen Alterns, denn wie HÖFFE richtig schreibt: Für das gute Altern benötigt man keine Philosophen und erst recht keine philosophischen Texte, die uns selektiv von HÖFFE präsentiert werden.

KROHN, Philipp (2018): Deutsche verlieren 2,7 Lebensjahre durchs Rauchen,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 04.09.

Philipp KROHN berichtet über die PR der Versicherungslobbyisten, die angeblich an den Gründen für die Entwicklung der Lebenserwartung interessiert sind. Tatsächlich fehlt jedoch der Faktor Armut, stattdessen werden lediglich Aspekte des Verhaltens ("Lifestylefaktoren") aufgeführt, die zur Verkürzung der Lebenserwartung führen sollen. Es sollte zu denken geben, dass für einzelne konkrete Verhaltensweisen, z.B. Rauchen und Fettleibigkeit, exakte Zahlen zur angeblichen Verkürzung der Lebenserwartung aufgeführt werden. Ist also ein Kettenraucher genauso gefährdet wie ein Gelegenheitsraucher? Bei der Fettleibigkeit wird lediglich eine Untergrenze des BMI angegeben, als ob es oberhalb dieser Grenze völlig belanglos wäre wie dick jemand ist und worauf dies beruht.

Fazit: Die PR zielt darauf ab, dass zukünftig der Lebensstil immer mehr zur Klassifizierung von Risikotypen herangezogen werden kann. Biopolitik wird eine solche Strategie genannt.

HERMANN, Rudolf (2018): Hat Schweden bei den Pensionen das Ei des Kolumbus gefunden?
Das sich automatisch selbst stabilisierende Rentensystem des nordischen Staats leuchtet helle - aber vor allem im Ausland,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 14.09.

KROHN, Philipp (2018): Lebensversicherern winkt Entlastung.
Bundesfinanzministerium will Kalkulation der Zusatzreserve ändern. Risikogewinne werden immer wichtiger,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 20.09.

Hinter dem Begriff "Risikogewinne" verbirgt sicht eine Sache, die zeigt wie die Versicherungswirtschaft sich zu Lasten ihrer Versicherten bereichern kann. Risikogewinne ergeben sich nämlich immer dann, wenn die "kalkulierten und tatsächlichen Kosten" auseinanderklaffen. Oder anders formuliert: wenn bei Lebensversicherungen Sterbetafeln verwendet werden, die mit einer viel höheren Lebenserwartung kalkulieren als die tatsächliche Lebenserwartung der Versicherten. Über das Ausmaß dieser Profite zu Lasten der Versicherten schweigt Philipp KROHN, denn ihm geht es einzig um die Stabilität der Lebensversicherer und nicht um die Belange der Versicherten. Als Quelle gibt er einen Zeitschriftenartikel von Hermann WEINMANN an, der sich in einer betriebswirtschaftlichen Analyse erschöpft. Die Frage, inwiefern sich die Lebensversicherer ihre Stabilität auf Kosten der Versicherten erkaufen, stellt sich in einer solchen Sichtweise erst gar nicht. Aus diesem Grund betrachtet KROHN die große Koalition als Glücksfall der deutschen Lebensversicherer.

DESTATIS (2018): Rund jede fünfte Person in Deutschland ist 65 Jahre oder älter,
in: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts v. 27.09.

"Zum 31. Dezember 2017 lebten rund 17,7 Millionen Personen ab 65 Jahren in Deutschland. Das entsprach einem Anteil von 21,4 % an der Gesamtbevölkerung. (...) Die Zahl der älteren Menschen (erhöhte sich) um 36,6 % innerhalb der letzten 20 Jahre. Zum 31. Dezember 1997 hatte es etwa 13,0 Millionen Personen der Generation 65+ gegeben. Das waren 15,8 % der Gesamtbevölkerung gewesen.
Im Ländervergleich zeigt sich die Alterung der Gesellschaft unterschiedlich stark: In Brandenburg (+67,6 %), Mecklenburg-Vorpommern (+61,1 %) und Schleswig-Holstein (+49,8 %) ist die Zahl der Seniorinnen und Senioren seit 1997 am deutlichsten gestiegen.
Die Mehrheit der älteren Menschen sind Frauen: Während etwa die Hälfte (50,7 %) der gesamten Bevölkerung weiblich ist, liegt der Frauenanteil bei den älteren Menschen derzeit bei 56,4 %. Dieser Anteil hatte Ende 1997 noch 63,0 % betragen und ist somit in den letzten 20 Jahren deutlich zurückgegangen. Es erreichen mehr Männer als früher das Seniorenalter.
Im EU-weiten Vergleich ist der demografische Wandel in Deutschland weit vorangeschritten. Der EU-Statistikbehörde Eurostat liegen bislang nur Daten zum Jahresbeginn 2017 vor. Höher als in Deutschland (21,2 %) war der Anteil der ab 65-Jährigen demnach nur in Italien (22,3 %) und Griechenland (21,5 %). Die niedrigsten Quoten hatten Irland (13,5 %) und Luxemburg (14,2 %). Der EU-Durchschnitt lag bei 19,4 %", meldet das Statistische Bundesamt.

STALA BW (2018): 290.500 Hochbetagte in Baden-Württemberg – höchste Anzahl seit Bestehen des Landes.
Zahl der 85-Jährigen und Älteren hat sich seit 1970 versechsfacht,
in:
Pressemitteilung des Statistischen Landesamt Baden-Württemberg v. 27.09.

"In Baden-Württemberg lebten am 31.12.2017 rund 290.500 Personen, die 85 Jahre oder älter waren. Zwei Drittel in dieser Altersgruppe der Hochbetagten sind Frauen (194.100) und lediglich ein Drittel Männer (96 400). Die Zahl der Hochbetagten hat damit seit 1952, dem Gründungsjahr des Südweststaats, einen neuen Höchststand erreicht und sich allein seit 1970 versechsfacht. Bis zum Jahr 2060 könnte sich deren Zahl nochmals annähernd verdreifachen (...).
Die Gründe für diese Entwicklung sind zum einen auf die Altersstruktur der Bevölkerung und zum anderen auf die stetig steigende Lebenserwartung zurückzuführen: Ein neugeborener Junge kann heute in Baden-Württemberg auf eine durchschnittliche Lebenserwartung von 79,5 Jahren hoffen, ein neugeborenes Mädchen sogar auf 84,0 Jahre. Damit liegt die Lebenserwartung Neugeborener nach Angaben des Statistischen Landesamtes um knapp 10 Jahre bei den Frauen bzw. um 11 Jahre bei den Männern höher als zu Beginn der 1970er-Jahre.
Die meisten Hochbetagten leben im Stadtkreis Stuttgart (16.000), dem einwohnerstärksten Kreis in Baden-Württemberg. Allerdings liegt deren Anteil an der Gesamtbevölkerung mit 2,5 % nur knapp im Landesdurchschnitt (2,6 %). Am höchsten ist dieser Anteil in Baden-Baden: Dort sind 3,8 % der Bevölkerung 85 Jahre oder älter, damit leben in der Kur- und Bäderstadt knapp 2.100 Hochbetagte. Am geringsten ist der Hochbetagtenanteil in den Landkreisen Tübingen, Heilbronn und Biberach mit jeweils 2,3 %. Alle Werte im Text sind auf 100 Personen gerundet", meldet das Statistische Landesamt Baden-Württemberg.

ELING, Martin (2018): Höheres Rentenalter - nicht länger tabu.
Gastkommentar: In Dänemark wird das Rentenalter an die Lebenserwartung gekoppelt. Und kaum jemand protestiert,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 28.09.

MOTTE, Laura de la (2018): Wie alt werde ich?
Lebenserwartung,
in: Handelsblatt v. 12.10.

Laura de la MOTTEs Artikel zeigt, dass die Lebenserwartung vom Statistischen Bundesamt, der GDV, der Allianz oder der Firma Heubeck durchaus unterschiedlich errechnet wird. Und noch dazu kommt, dass je nach Ausgangspunkt der Berechnung (Geburt, 65-Jährige) sich die Lebenserwartung durchaus unterschiedlich darstellt.

Fazit: Die durchschnittliche Lebenserwartung ist kaum geeignet, um die individuelle Lebenserwartung zu beurteilen. Auch Familiengeschichte oder Lebensweise sind wenig aussagekräftig. Auch die Einkommensklasse, die bei MOTTE nicht erwähnt wird oder die individuelle Krankengeschichte kann zumindest auf Tendenzen für mögliche Abweichungen hindeuten. Die Altersvorsorge ist immer auch eine Wette auf die Zukunft.

DESTATIS (2018): Lebenserwartung blieb 2015/2017 nahezu unverändert,
in: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts v. 18.10.

"Nach den Ergebnissen der aktuellen Sterbetafel 2015/2017 beträgt die Lebenserwartung für neugeborene Jungen 78 Jahre und 4 Monate, für neugeborene Mädchen 83 Jahre und 2 Monate. (D)ie Lebenserwartung von Neugeborenen (hat sich) damit im Vergleich zur vorangegangenen Sterbetafel 2014/2016 nur sehr geringfügig verändert.
Auch für ältere Menschen sind die Werte für die Lebenserwartung nahezu unverändert. Nach der Sterbetafel 2015/2017 beläuft sich zum Beispiel die noch verbleibende Lebenserwartung – die sogenannte fernere Lebenserwartung – von 65-jährigen Männern wie bereits 2014/2016 auf 17 Jahre und 10 Monate. Für 65-jährige Frauen ergibt sich nach wie vor eine fernere Lebenserwartung von 21 Jahren.
Auf der Ebene der einzelnen Bundesländer haben nach den Ergebnissen der Sterbetafeln 2015/2017 Männer in Baden-Württemberg mit 79 Jahren und 7 Monaten sowie dort lebende Frauen mit 83 Jahren und 11 Monaten nach wie vor die höchste Lebenserwartung bei Geburt. Die niedrigsten Werte weisen mit 76 Jahren und 3 Monaten weiterhin Männer in Sachsen-Anhalt sowie mit 82 Jahren und 3 Monaten Frauen im Saarland auf", meldet das Statistische Bundesamt.

BEEGER, Britta (2018): Warum Rentner weiter arbeiten.
Nicht nur des Geldes wegen,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 17.10.

Nur wenige Rentner arbeiten wegen dem Spaß an der Arbeit weiter, wobei Spaß eher mit Macht zu übersetzen ist, denn es sind in erster Linie Führungskräfte und hoch bezahlte Erwerbstätige, die weiter arbeiten. Frauen arbeiten vor allem aus finanziellen Gründen und wegen der Kontakte weiter, die der Beruf mit sich bringt.

"238.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte arbeiten schon jetzt über die derzeitige Regelaltersgrenze von 65 Jahren und sieben Monate hinaus",

lauten die Erkenntnisse einer IAB-Studie, die aus der Sicht derjenigen geschrieben ist, die eine Erhöhung des Renteneintrittsalters und die Senkung der Arbeitskosten durch ein möglichst hohes Reserveheer im Blick haben.

LIETSCH, Jultta (2018): Die Lust an der Arbeit.
Talk of the town: Der Anteil der arbeitenden RentnerInnen in Deutschland hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Viele der Erwerbstätigen tun es nicht nur, um ihre Rente aufzubessern,
in: TAZ v. 19.10.

Jultta LIETSCH, Jahrgang 1952 und tazlerin im Ruhestand, rechtfertigt sich dafür, warum sie weiterarbeitet, wobei sie auf Zahlen des Statistischen Bundesamts zurückgreift, die die gleitenden Renteneintrittsalter unberücksichtigt lässt. Dagegen greift der IAB-Kurzbericht Erwerbstätigkeit nach dem Übergang in Altersrente von Silke ANGER/Annette TRAHMS/Christian WESTERMEIER, den die FAZ vorgestern zitierte - auf die Antworten aus dem Nationalen Bildungspanel zurück, das anderen Restriktionen unterliegt.

HAGELÜKEN, Alexander (2018): Mit 67 ist nicht Schluss.
Rente,
in: Süddeutsche Zeitung v. 20.10.

Alexander HAGELÜKEN lobt den Neoliberalen Bert RÜRUP, den er als Verfechter einer weiteren schrittweisen Erhöhung des Renteneintrittsalters präsentiert. Offenbar hat HAGELÜKEN die Meldung des Statistischen Bundesamt noch nicht gelesen, wonach die fernere Lebenserwartung von 65-jährigen Männern und Frauen in Deutschland leicht gesunken ist:

Sterbetafel Männer Frauen
2012/2014 17,69 Jahre 20,09 Jahre
2014/2016 17,81 Jahre 21,03 Jahre
2015/2017 17,80 Jahre 21,00 Jahre

Von daher sollte darüber diskutiert werden, was diese Stagnation bedeutet.

SCHWENN, Kerstin (2018): 42 Prozent der Ostdeutschen gehen in "Rente ab 63".
Im Osten mehr Frührentner als im Westen. Ifo: Ursache sind Erwerbsbiographien,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 27.10.

Die zugrunde liegende Pressemitteilung Ostdeutsche gehen früher in Rente als Westdeutsche des neoliberalen Ifo-Instituts Dresden enthält nur eine Statistik und Spekulationen zu den Gründen, die von den neoliberalen Medien aber begierig aufgegriffen werden.

MICHLER, Inga (2018): Ruhestand ohne Abschläge.
42 Prozent der Ostdeutschen gehen mit 63 Jahren in Rente. Im Westen sind es nur 30 Prozent,
in: Welt v. 27.10.

Die Reichen-Zeitung behauptet gar, dass die 42 Prozent der Ostdeutschen mit 63 Jahren in Rente gehen, obwohl das gar nicht stimmt. Das suggeriert auch das neoliberale Ifo-Institut mit ihrer Statistik-Bezeichnung. Die Statistik enthält jedoch keine Zahlen für die einzelnen Geburtsjahrgänge und den Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Rente AB 63. Der Geburtsjahrgang 1952 darf z.B. erst mit 65 Jahren und 6 Monaten abschlagsfrei in Rente gehen, wenn er die Bedingungen erfüllt. Inga MICHLER nutzt die Meldung zudem um die Sicht der neoliberalen Lobbyorganisation IW Köln, des Nationalkonservativen Martin WERDING und des Beamten Bernd RAFFELHÜSCHEN unter die Leserschaft zu streuen.

GAFAFER, Tobias (2018): Die verdrängte Zeitbombe.
Der demografische Wandel stellt die Altersvorsorge vor epochale Herausforderungen. Die Schweizer Politik darf die Debatte über ein höheres Rentenalter nicht länger aufschieben. Sie sollte der Sicherung der AHV mehr Aufmerksamkeit schenken,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 27.10.

"Neben der Demografie macht der ersten Säule vor allem die Lebenserwartung zu schaffen, die innert kurzer Zeit stark gestiegen ist. Für Männer lag sie um die Jahrtausendwende bei 77 Jahren und für Frauen bei 82,6 Jahren; 2017 waren es 81,4 beziehungsweise 85,4 Jahre",

erklärt uns Tobias GAFAFER, der die steigende Lebenserwartung offensichtlich nicht als Teil des demografischen Wandels betrachtet. Der Begriff des "demografischen Wandels" wird selten definiert, sondern meist - wie bei GAFAFER - im wertenden Sinne als negative Entwicklung betrachtet. Eine solche einseitige Sicht verstellt den Blick darauf, dass jede Gesellschaft zu jedem Zeitpunkt einen demografischen Wandel, d.h. Verschiebungen in der Bevölkerungs- und Alterungsstruktur durch die demografischen Prozesse (Geburtenentwicklung, Entwicklung der Sterblichkeit und der Lebenserwartung) erfährt. Ob dieser Wandel zu positiven oder negativen Entwicklungen in spezifischen Bereichen der Gesellschaft führt, das ist eine empirische Frage, die durch die Forschung zu beantworten wäre. Diese Forschung wird jedoch nur halbherzig betrieben, weil deren Ergebnisse beliebte Vorurteile und Annahmen der Neoliberalen in Frage stellen könnten.

"Der Vergleich mit OECD-Staaten zeigt, dass die Schweiz im Rückstand ist. Im Vorsorge-Ranking des Beratungsunternehmens Mercer rutschte sie in diesem Jahr vom achten auf den elften Platz ab. Dänemark, das mit den Niederlanden regelmässig Bestnoten erhält, hat das Rentenalter an die Lebenserwartung geknüpft. Ein generell höheres Pensionsalter ist über kurz oder lang auch in der Schweiz überfällig. Denkbar sind diverse Modelle, vom dänischen Vorbild bis hin zu einer Art Schuldenbremse für die AHV",

meint GAFAFER. Internationale Vergleiche, die von Organisationen mit einem starken Eigeninteresse durchgeführt werden, sollten von den Medien eigentlich im Sinne einer Aufklärung kritisch hinterfragt werden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Sie werden viel lieber politisch für die eigene Sichtweise instrumentalisiert.

HESS, Moritz (2018): Gewünschtes und erwartetes Renteneintrittsalter in Deutschland und Europa,
in: Deutsche Rentenversicherung, Heft 3
, S.228-242

Moritz HESS beschreibt den Paradigmenwechsel von einer Politik der Frühverrentung zur Erhöhung des Renteneintrittsalters durch politische Maßnahmen in Deutschland. Er sieht Deutschland gemeinsam mit den Niederlande als Land, in dem der Anstieg des Renteneintrittsalters besondern steil nach oben ging - allen Klagen unserer Neoliberalen in den Mainstreamzeitungen zum Trotz! Sein Resümee:

"Es zeigt sich ein Anstieg des gewünschten Renteneintrittsalters in Europa für alle drei Bildungsgruppen, allerdings ist der Anstieg für die Hochgebildeten am stärksten. Weiterhin ist auch das erwartete Renteneintrittsalter gestiegen, hier am stärksten für die Arbeitnehmer mit niedriger Bildung. Wenn man das erwartete und gewünschte Renteneintrittsalter gegenüberstellt, zeigt sich, dass Personen mit niedriger Bildung signifikant früher in Rente gehen wollen, als sie dies erwarten zu tun. Hochgebildete sehen sich eher in der Lage, ihre Wünsche und Erwartungen hinsichtlich des Renteneintrittsalters in Einklang zu bringen. Die Erklärung für diesen Unterschied ist, dass Niedriggebildete eher finanzielle Zwänge als Grund für ein spätes erwartetes Renteneintrittsalter angeben, während die Hochgebildeten eher nicht materielle Gründe benennen. Die Ergebnisse stützten die Warnungen vor dem Wiedererstarken von sozialen Ungleichheiten beim Rentenübergang." (S.229)

HESS plädiert deshalb für eine Flexibilisierung des Renteneintrittsalters, bei denen die spezifischen Bedürfnisse der verschiedenen Bevölkerungsgruppen berücksichtigt werden, z.B. bildungs- oder berufsgruppenspezifische gesetzliche Renteneintrittsalter. 

MOSER, Sebastin J. & Tobias SCHLECHTRIEMEN (2018): Sozialfiguren - zwischen gesellschaftlicher Erfahrung und soziologischer Diagnose,
in: Zeitschrift für Soziologie, Heft 3
, S.164-180

"Porträts einzelner Sozialfiguren (...) tauchen vor allem dann auf, wenn gesellschaftliche Umbrüche problematisiert werden. Beispiele dafür sind: »Der Fremde« (Georg Simmel), »Der Hobo« (Nels Anderson), »Die Angestellten« (Siegfried Kracauer), »Arbeiterkinder« (Ralf Dahrendorf), »Der flexible Mensch« (Richard Sennett), »Der Tourist« (Zygmunt Baumann), »Der Künstler« (Michel Menger) oder »Der Migrant« (Thomas Nail) (...).
Sozialfiguren stellen kein ausgearbeitetes soziologisches Konzept dar. (...) Im Gegensatz zur Selbstverständlichkeit, mit der man sich auf den »Habitus« oder die »soziale Rolle« bezieht, hat die Sozialfigur noch keinen Eingang in den Kanon etablierter Kategorien gefunden. (...).
Der Ausdruck »Sozialfigur« wird in sozialwissenschaftlichen Texten - z.T. bereits im Titel - seit langem verwendet, wenn auch mit variierenden Bedeutungen und oft nur am Rande. Es ist Ralf Dahrendorf, der den Begriff ab den 1960er Jahren häufiger benutzt (...).
Seit Beginn des neuen Jahrtausends erschienen Sammelbände, in denen verschiedene Sozialfiguren zusammengestellt sind. In erster Linie wäre der von Stephan Moebius und Markus Schroer herausgegebene Band Diven, Hacker, Spekulanten. Sozialfiguren der Gegenwart (2010a) zu nennen",

schreiben MOSER & SCHLECHTRIEMEN über den Gegenstand ihres Artikels, der kein genuin soziologisches Konzept ist, sondern in der Regel zuerst in öffentlichen Diskursen, Romanen oder Filmen aufkommen (vgl. S.167). MOSER & SCHLECHTRIEMEN gehen auch auf die Bedeutung von Sozialfiguren für die Erkundung gesellschaftlicher Problemlagen ein:

"Ein neueres Beispiel sind die von Silke van Dyk und Stephan Lessenich beschriebenen »jungen Alten« (2009), zu denen seither ebenfalls mehrere empirische Studien vorliegen (vgl. etwa Niederhauser 2017). Die beiden Autoren zeigen, wie im Kontext der Krisendiagnosen einer alternden Gesellschaft und der gleichzeitigen sozialpolitischen Aktivierungspolitik die Sozialfigur der »jungen Alten« zu einem figurativen Fokus avanciert. Nun sind es nicht mehr die »neuen Alten«, die noch in den 1980er Jahren auftraten und allgemein als Problem empfunden wurden, sondern die mitunter als »Retter des Sozialen« (...) betitelte Gruppe jüngerer Alter, von denen erwartet wird, dass sie sich aktiv in die Gesellschaft einbringen." (S.176)

HONTSCHICK, Bernd (2018): Das Märchen von den teuren Alten.
Dem Gesundheitswesen unserer alternden Gesellschaft droht die Kostenexplosion. Klingt einleuchtend, ist aber falsch,
in: TAZ v. 03.11.

Bernd HONTSCHEK berichtet über die Karriere des Begriffs "Kostenexplosion" in der Debatte um den Umbau des Gesundheitswesen, die bis Mitte der 1970er Jahre zurück reicht. Als im Jahr 1998 Rot-Grün die Macht übernahm, avancierte das Buch Das Märchen von der Kostenexplosion zwar zum Bestseller, doch den Umbau des Gesundheitswesen von einer sozialstaatlichen Einrichtung zum Proficenter einer Gesundheitswirtschaft konnte das nicht stoppen. Im Gegenteil, denn der Begriff "Kostenexplosion" erhielt seine scheinbare Plausibilität durch den demografischen Wandel:

"Die immer höhere Lebenserwartung der Deutschen, die Veränderung der sogenannten Alterspyramide, die inzwischen eher einem gerupften Tannenbaum als einer Pyramide gleicht, sei dazu geeignet, die Ressourcen unseres Gesundheitswesens zu sprengen, heißt es. (M)an (spricht) von einer »Überalterung« unserer Gesellschaft".

HONTSCHICK ist ein Vertreter der Kompressionsthese, die davon ausgeht, dass sich die höchsten Kosten auf das letzte Lebensjahr konzentrieren und sich die Jahre des "gesunden Altseins" erhöhen:

"Kosten im letzten Lebensjahr (sind) bei einem 40-Jährigen im Allgemeinen deutlich höher (...) als bei einem 80-Jährigen, da man bei jüngeren Patienten naturgemäß wesentlich radikalere und invasivere, also auch teuere Therapieentscheidungen trifft",

agrumentiert HONTSCHICK. Das mag für solche Extremfälle stimmen, aber eine Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung bedeutet ja nicht, dass nun viele erst mit 80 Jahren sterben, sondern viele sterben wesentlich früher, und zwar umso ärmer sie sind. Da stellt sich die Frage, ob dieser Aspekt nicht bei den Diskussionen um Einsparungen im Gesundheitswesen unterbelichtet bleibt.

"Die Märchen von der Kostenexplosion und der Altenlawine dienen nur dazu, ein im Grunde gut funktionierendes Sozialsystem durch eine sogenannte Gesundheitsreform nach der anderen zum Abschuss freizugeben. (...). In den Gesundheitssektor hat unsere Gesellschaft bislang einen Teil ihres Reichtums investiert, zum Wohle aller. (...). Nun zieht sich der Staat zurück und macht Platz für Investoren. Des Gesundheitswesen wird zu einem Wirtschaftszweig, in dem ganz andere Gesetze gelten als in einem Sozialsystem. Die Gesundheitswirtschaft wird zur Quelle neuen Reichtums für Investoren (...). Nicht mehr der Kranke ist Gegenstand der Medizin, der Heilkunst, sondern die Krankheit ist Gegenstand eines (...) profitablen Wirtschaftsprogramms. Das ist die Konkretion der Verwandlung des Gesundheitswesens in eine Gesundheitswirtschaft",

meint HONTSCHICK, der nur die Pflegeversicherung und die Rentenversicherung durch den demografischen Wandel bedroht sieht, was jedoch lediglich den eingeschränkten Blickwinkel des Autors zeigt.

HENNING, Ulrike (2018): Auch bei der Rente im Nachteil.
Ärmere Menschen haben über alle Lebensalter eher mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen,
in: Neues Deutschland v. 21.11.

Anlässlich eines Symposiums der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina berichtet Ulrike HENNING über die Sicht von Thomas LAMPERT (Robert-Koch-Institut), Peter HAAN (DIW) und Johan MACKENBACH zum Zusammenhang von sozioökonomischen Einflüssen auf die Lebenserwartung..

PETERSDORFF, Winand von (2018): Die Lebenserwartung der Amerikaner sinkt weiter.
Ungewöhnliche Entwicklung für ein Industrieland. Immer mehr Drogentote und Selbstmorde,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 30.11.
 

 
     
 
       
     
       
   

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Update: 10. Februar 2019