2015
SCHMIDT, Christoph M. 2015),
Der demografische Wandel als große Herausforderung für
Wirtschaft und Gesellschaft - ein Überblick. In:
Franz-Xaver Kaufmann & Walter Krämer (Hg.) Die demografische
Zeitbombe. Fakten und Folgen des Geburtendefizits,
Paderborn: Ferdinand Schöningh, S.39-77
"In der zweiten Hälfte
des laufenden Jahrzehnts wird die Bevölkerungszahl deutlich
schrumpfen und gleichzeitig wird der Bevölkerungsanteil der
höheren Altersgruppen immer weiter zunehmen" (S.39),
verkündet uns Christoph
M. SCHMIDT, der in einer nur ein Jahr später erscheinenden
Publikation zum Miterfinder eines "demografischen
Zwischenhochs" werden wird. Wie kommt es zu dieser Behauptung,
die zum damaligen Zeitpunkt völlig überholt war? Der Beitrag
fußt auf einem Zahlenwerk des Sachverständigenrats aus dem
Jahr 2011 ("Herausforderungen
des demografischen Wandels"), das gemäß Anmerkungen nahezu
unverändert übernommen wurde und dem SCHMIDT angehört. Dort
wird aufgrund der Fehleinschätzungen zur
Bevölkerungsentwicklung die Kopplung des Renteneintrittsalters
an die fernere Lebenserwartung folgendermaßen empfohlen:
"So gilt es zunächst
zwingend, die vorgesehene Erhöhung des gesetzlichen
Renteneintrittsalters auf 67 Jahre im Jahr 2029 umzusetzen.
Darüber hinaus sollte eine sich an der Entwicklung der
ferneren Lebenserwartung orientierende regelgebundene
Anpassung des Renteneintrittsalters eingeführt werden. Denn
die fernere Lebenserwartung wird auch über das Jahr 2029
hinaus steigen, sodass sich die absolute Rentenbezugsdauer
weiter verlängert. Dabei sollte die regelgebundene Anpassung
zu einer Konstanz der relativen Rentenbezugsdauer führen. Das
gesetzliche Renteneintrittsalter wird dann mit der höheren
Lebenserwartung allmählich in den Jahren von 2030 bis 2060
ansteigen. Eine solche Anpassung hätte im Jahr 2045 vermutlich
ein gesetzliches Renteneintrittsalter von 68 Jahren und im
Jahr 2060 von 69 Jahren zur Folge, wobei für spezielle Berufe
besondere Lösungen geprüft werden können." (S.3)
BUNDESREGIERUNG (2015): Beitrag bleibt, Rente steigt.
Rentenversicherungsbericht 2015: Die Rentenbeiträge für 2016
bleiben voraussichtlich bei 18,7 Prozent. Die Rente könnte nach
Berechnungen des Rentenversicherungsberichts zum 1. Juli 2016 um
4,4 Prozent in den alten und um 5 Prozent in den neuen
Bundesländern steigen. Den Bericht hat das Bundeskabinett
beschlossen,
in:
bundesregierung.de v.
18.11.
Der neue
Rentenversicherungsbericht verspricht einen gleichbleibenden
Beitragssatz von 18,7 % bis 2019. Anhand der vergangenen
Rentenversicherungsberichte (RV) lässt sich sehen inwiefern
prognostizierte und tatsächliche Beitragssatzentwicklung
übereinstimmen bzw. auseinanderfallen:
Jahr |
Beitragssatz in
Prozent |
RV
2000 |
RV
2005 |
RV
2010 |
RV
2011 |
RV
2012 |
RV
2013 |
RV
2014 |
RV
2015 |
Prognostizierter Beitragssatz in Prozent |
2000 |
19,3 |
19,3 |
|
|
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2001 |
19,1 |
19,1 |
|
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2002 |
19,1 |
19,0 |
|
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2003 |
19,5 |
18,8 |
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2004 |
19,5 |
18,9 |
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2005 |
19,5 |
|
19,5 |
|
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2006 |
19,5 |
|
19,5 |
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2007 |
19,9 |
|
19,9 |
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2008 |
19,9 |
|
19,9 |
|
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2009 |
19,9 |
|
19,9 |
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2010 |
19,9 |
|
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19,9 |
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2011 |
19,9 |
|
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19,9 |
19,9 |
|
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2012 |
19,6 |
|
|
19,9 |
19,6 |
19,6 |
|
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2013 |
18,9 |
|
|
19,9 |
19,2 |
18,9 |
18,9 |
|
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2014 |
18,9 |
|
|
19,3 |
19,0 |
18,9 |
18,3 |
18,9 |
|
2015 |
18,7 |
|
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19,0 |
18,9 |
18,3 |
18,7 |
18,7 |
2016 |
|
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18,9 |
18,3 |
18,7 |
18,7 |
2017 |
|
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18,3 |
18,7 |
18,7 |
2018 |
|
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18,7 |
18,7 |
2019 |
|
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18,7 |
Lässt sich daraus etwas
über den Zusammenhang zwischen demografischem Wandel und
Beitragsfinanzierung der Rentenversicherung ablesen? Im Jahr
2000 lag der
Altenquotient bei 42,7 und ist bis 2005 um 2,8 auf 45,5
gestiegen. Bis zum Jahr 2010 ist er um 2,1 bis 47,6 gestiegen.
Dagegen ist der Beitragssatz zwischen 2000 und 2005 um 0,2 %
gestiegen, während er zwischen 2005 und 2010 um 0,4 %
gestiegen ist, obwohl der Altenquotient weniger stark
angestiegen ist. Der Zusammenhang zwischen
Beitragssatzentwicklung und demografischem Wandel ist also
weniger eng als gemeinhin behauptet wird.
Entscheidender ist die Entwicklung des Rentner-Quotienten, der
auch nicht-demografische Faktoren berücksichtigt.
Jetzt könnte eingewandt
werden, dass dabei der Bundeszuschuss nicht berücksichtigt
sei. Gemäß
Deutscher Rentenversicherung lag der Bundeszuschuss im
Jahr 1960 - also zu Zeiten des Babybooms - bei 28,8 %, während
er im Jahr 2013 bei 27,3 % lag.
Ist das Rentenniveau vom
demografischen Wandel abhängig? Auch hier spielt nicht der
Altenquotient, sondern der Rentnerquotient, d.h. das
Verhältnis von Rentenempfängern und Beitragszahlern, die
entscheidende Rolle.
Im Vergleich der
Rentenversicherungsberichte 2010 (12.
Bevölkerungsvorausberechnung) und 2015 (13.
Bevölkerungsvorausberechnung) zeigt sich, dass sich das
Verhältnis von Rentenempfängern und Beitragszahlern positiver
entwickelt hat als noch vor Jahren erwartet: Während der
Rentenversicherungsbericht 2010 für das Jahr 2015 einen
Rentnerquotienten von 0,5532 prognostiziert hatte, geht der
aktuelle Rentenversicherungsbericht von 0,5224 aus. (Differenz
von 0,03). Das erscheint nur auf den ersten Blick wenig. Im
Rentenversicherungsbericht 2005 (10.
Bevölkerungsvorausberechnung) lag der Rentnerquotient für
das Jahr 2015 noch bei 0,5809 (Differenz von 0,059). Hier
zeigt sich deutlich, dass aufgrund der
Bevölkerungsvorausberechnungen, die lediglich den
Altenquotienten fortschreiben und der Fortschreibung eines
gleichbleibenden Rentnerquotienten - wie er in den
Rentenversicherungsberichten praktiziert wird - innerhalb
eines Zeitraums von nur 10 Jahren durchaus Änderungen
stattfinden können, die das Rentenniveau beeinflussen. Weder
die Fortschreibung des Altenquotienten in
Bevölkerungsvorausberechnungen, noch jene des
Rentnerquotienten in Rentenversicherungsberichten, ermöglichen
also langfristige Voraussagen über die Rentenentwicklung.
2016
SIEVERS, Markus (2016): Trügerisches Zwischenhoch.
Noch profitiert Deutschland
von der Demografie,
in:
Frankfurter Rundschau
v. 03.08.
Markus SIEVERS heult uns
die Ohren voll, obwohl wir bereits seit einem Jahrzehnt
schrumpfen müssten und alle Sozialsysteme längst kollabiert
sein müssten, hätten die Apokalyptiker des demografischen
Wandels Recht. Wir wollen diese bevölkerungspolitische
Theologie nicht mehr hören. Jetzt sollen wir uns in einem
demografischen Zwischenhoch befinden? Haben unsere
Prognostiker dieses Zwischenhoch verschlafen oder warum
bemerkt man dies erst jetzt post hoc?
"Experten wie der
Sachverständigenrat de Wirtschaftsweisen sprechen von einem
»demografischen Zwischenhoch«, in dem sich die
Bundesrepublik entgegen der allgemeinen Wahrnehmung noch
befindet."
Ach nee? Allgemeine
Wahrnehmung? Sind damit unsere blinden Ökonomen und
Journalisten gemeint? Und wann hat man dieses "demografische
Zwischenhoch" aus dem Ärmel gezaubert?
Der Begriff findet sich
erst im Jahresgutachten 2013/14 (Bundestagsdrucksache
18/94 vom 15.11.2013), als die Ökonomen erschreckt
feststellten, dass sich der demografische Wandel nicht an die
Bevölkerungsvorausberechnungen gehalten hat, die
durchschnittlich alle 3 Jahre erneuert werden müssen, weil
sich die Realität nicht an die bevölkerungspolitisch
motivierten Annahmen der Bundesstatistiker hält.
Der Begriff findet sich
lediglich im Zusammenhang mit der Entwicklung der
Rentenzugangszahlen und damit mit den Ausgaben der
Rentenversicherung. Im Kapitel 7 des Jahresgutachtens heißt es
deshalb:
"Deutschland befindet
sich mit Blick auf die öffentlichen Finanzen derzeit
demografisch in einer besonderen Zwischenphase. Während
bereits in den Jahren unmittelbar nach der Jahrtausendwende
der Anteil der Rentner und Pensionäre an der
Gesamtbevölkerung angestiegen war und langfristig weiter
sehr deutlich zunehmen wird, waren die Zuwächse in den fünf
vergangenen Jahren spürbar geringer. Betrachtet man die
Bevölkerung im Alter von 65 Jahren und älter, so zeigt sich,
dass in den Jahren 1999 bis 2006 der jährliche Zuwachs
dieser Bevölkerungsgruppe bei durchschnittlich 404.000
Personen lag. In den Jahren 2007 bis 2018 wird er gemäß der
aktuellen Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen
Bundesamts jedoch nur bei durchschnittlich 164.000 Personen
liegen. Ab dem Jahr 2019 ist zu erwarten, dass die
jährlichen Zuwächse ansteigen (2013, S.315)."
Zwischen dem demografischen
Wandel, den Rentenzugangszahlen und den Ausgaben der
Rentenversicherung besteht jedoch gar nicht der starke
Zusammenhang, den uns SIEVERS weismachen will.
"Demographischer Wandel"
ist in diesem Zusammenhang lediglich ein ideologischer
Sündenbockbegriff. Die Frage stellt sich nämlich, ob sich die
Rentenzugangszahlen und der Anteil der 65-Jährigen und
Älteren, der vom Sachverständigenrat hier unterstellt wird,
auch in der Realität wieder findet oder ob nicht ganz andere
Faktoren ausschlaggebend für die Kostenstruktur sind.
Man darf also gespannt
sein, was in den nächsten Jahren aus dem "demografischen
Zwischenhoch" tatsächlich wird. Dem Geschwafel von Ökonomen
und Journalisten glauben wir jedenfalls schon lange nicht
mehr, sondern wir werden überprüfen inwiefern dieser
Zusammenhang tatsächlich besteht.
"Die niedrigen
Rentenzugangszahlen sind trügerisch, weil aktuell die
geburtenschwachen Jahrgänge der Nachkriegsjahre das
Rentenalter erreichen. Diese werden jedoch etwa ab dem Jahr
2020 von der Generation der Babyboomer abgelöst, so dass der
demografische Übergang dann voll zuschlagen wird",
zitiert SIEVERS aus dem
Jahresgutachten, das noch auf der 12. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes
basiert. Diese ist inzwischen bereits durch die 13.
Bevölkerungsvorausberechnung überholt, die wiederum bereits
veraltet ist. SIEVERS bombardiert uns also mit Fakten, die
längst von der Realität überholt wurden. Wo bleiben neue
Fakten?
Stattdessen jammert uns
SIEVERS die Ohren voll wegen der Rente ab 63 und der
Mütterrente, die im Zeichen dieses angeblichen "demografischen
Zwischenhochs" beschlossen wurden und deshalb fatal seien.
Die Absurdität des Begriffs
"demografisches Zwischenhoch" wird dann sichtbar, wenn es
heißt:
"Erschwerend kommt hinzu,
dass die schwarz-roten Reformen das demografische
Zwischenhoch verkürzen. Vor allem die Rente mit 63 animiert
ältere Berufstätige, früher aus dem Arbeitsleben
auszuscheiden."
Seit wann können politische
Entscheidungen die Demografie beeinflussen? Damit wird
deutlich: wir haben es hier mit einer Demografisierung
gesellschaftlicher Probleme zu tun. Nicht der demografische
Wandel, d.h. die Alterung der Bevölkerung, sondern die
Steuerung des Rentenzugangs und deren politischen Parameter
sind das Thema. Aus einem bevölkerungspolitischen Thema muss
wieder ein gesellschaftspolitisches Thema werden. Aber solche
Debatten hassen unsere Eliten, die lieber Politik per
Gutsherrenart machen möchten und deshalb den angeblichen
Sachzwang "demografischer Wandel" präsentieren.
HANDELSBLATT-Titelgeschichte:
Die Last der Demografie.
Das Bundesfinanzministerium hat
die Folgen des demografischen Wandels für die öffentlichen
Haushalte berechnen lassen. Das Ergebnis: Die alternde Bevölkerung
wird das Steueraufkommen in den nächsten Jahrzehnten dramatisch
mindern |
GREIVE, Martin & Jan HILDEBRAND (2016): Der große Steuerschwund.
Das Bundesfinanzministerium
hat die Folgen des demografischen Wandels für die öffentlichen
Haushalte berechnen lassen. Das Ergebnis: Die alternde
Bevölkerung wird das Steueraufkommen in den nächsten Jahrzehnten
dramatisch mildern,
in:
Handelsblatt v. 24.10.
GREIVE &
HILDEBRAND blähen ein nicht einmal öffentlich zugängliches
Pamphlet zur Titelgeschichte auf. Von Dramatik kann keine Rede
sein, denn die Steuereinnahmen steigen auch zukünftig. Die
Demografie ist nicht unser Schicksal, sondern die Effekte
politischer Entscheidungen sollen dem demografischen Wandel
zugeschrieben werden. Eine solche Umkehrung der Kausalursachen
wird hier als Demografisierung gesellschaftlicher Probleme
bezeichnet und ist Kennzeichen unserer Ära der Postdemokratie
und Austeritätspolitik.
GREIVE, Martin (2016): Vorsicht
Steuerfalle.
Ein interner
Regierungsbericht zeigt: Durch die Demografie werden nicht nur
die Ausgaben steigen, sondern auch die Einnahmen schwinden,
in:
Handelsblatt v. 24.10.
Martin
GREIVE zitiert aus einem unveröffentlichten, vom
Finanzministerium dem Handelsblatt zugespielten
Pamphlet, das den Titel
Herausforderungen für das Steuerrecht durch die demografische
Entwicklung in Deutschland - Analyse einer Problemstellung
trägt. Man muss dieses Pamphlet als Versuch der
Demografisierung gesellschaftlicher Probleme lesen. Es zielt
auf unerwünschte Reformbestrebungen in Sachen Rente ab. Dazu
werden dem demografischen Wandel negative Effekte
zugeschrieben, die im Grunde politische Entscheidungen waren.
Herzstück des Pamphlets ist
eine Bevölkerungsvorausberechnung, deren 3 Varianten das
Etikett "Basis", "pessimistisch" und "optimistisch" aufgeklebt
wurden. Die Basisvariante ist identisch mit der Variante 2 der
13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des
Statistischen Bundesamtes (Kontinuität bei stärkerer
Zuwanderung). Das pessimistische Szenario entspricht der
Variante 3 (relativ alte Bevölkerung), das positive Szenario
entspricht der Variante 6 (relativ junge Bevölkerung).
Problematisch ist, dass diese Bevölkerungsvorausberechnung
bereits zum Zeitpunkt ihrer Erstellung veraltet war. Dies
betrifft insbesondere die Geburtenentwicklung. Bereits im
Basisjahr 2013 lag diese über den angenommenen 1,4 Kindern pro
Frau,
mittlerweile liegt sie bei 1,5. Das Mantra von GREIVE
lautet:
"die Größe der
Arbeitnehmerschaft wie der Rentner steht für die nächsten 25
Jahre nahezu unumstößlich fest."
Dies stimmt für die
Arbeitnehmerschaft nicht, weil die Geburtenrate zu niedrig
angesetzt wurde und heute schon mehr Kinder geboren werden als
im Basisszenario angenommen. Hinzu kommt die Ungewissheit des
Wanderungssaldos. Es stimmt auch nicht für die Rentner, denn
auch die weitere Entwicklung der Lebenserwartung ist alles
andere als sicher, wie die aktuelle Sterbetafel zeigt. Der
entscheidende Satz des Artikels lautet:
"Absolut werden die
Einnahmen selbst im pessimistischen Szenario von 290
Milliarden im Jahr 2015 auf 390 Milliarden Euro im Jahr 2060
steigen."
Mit dem Pamphlet soll also
ein Popanz aufgebaut werden, um berechtigte Forderungen in
Sachen Rente zurückzuweisen. Das ist offenbar nicht so recht
gelungen. Die Lage ist besser als Neoliberale das zugeben,
denn es liegt in ihrem Interesse die Lage schlechtzureden.
Inzwischen ist der
Endbericht und der
Methodische Anhang zum Endbericht im Internet als
PDF-Datei abrufbar.
CREUTZBURG, Dietrich
(2016): Große Koalition schnürt neues Rentenpaket.
Nahles setzt höhere
Erwerbsminderungsrente auf den Arbeitsplan. Reform der
Betriebsrente wird ergänzt,
in:
Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 31.10.
Aus der nachfolgenden
Tabelle sind die von Dietrich CREUTZBURG und Peter THELEN ("Countdown
für die große Rentenreform",
Handelsblatt 31.10.2016) erwähnten restlichen
Rentenreformen dieser Legislaturperiode und ihre
Einschätzungen dazu ersichtlich:
Reformvorhaben |
Dietrich CREUTZBURG |
Peter THELEN |
Stärkung der
Betriebsrenten |
Details sollen heute
beim Rentendialog besprochen werden |
THELEN nennt eine
Reihe von Punkten, auf die sich geeinigt wurde |
Verbesserungen bei
der Erwerbsminderungsrente |
"(D)er
CDU-Sozialflügel macht sich dafür stark und will die
bisher üblichen Abschläge bei dieser Rentenart
streichen" |
"Gewerkschaften und
Sozialverbände fordern (...) den Frührentenabschlag
(...) abzuschaffen. Dazu ist die Arbeitsministerin
nicht bereit. Stattdessen wird sie wahrscheinlich
vorschlagen, die Zurechnungszeit zu erhöhen."
|
Angleichung
Ostrentenniveau |
"Widerstände der
Ost-CDU" |
"Am Freitagabend
wollten die Unionsspitzen das Streitthema eigentlich
beilegen. Doch der Versuch ist gescheitert. In der CDU
wachsen die Befürchtungen, dass am Ende weder die
Mütterrente noch die Rentenangleichung kommen werden." |
Verbesserung bei der
Mütterrente |
"kurzfristig (...)
wenig Chancen" |
Leistungen für
langjährig, erwerbstätige Niedrigverdiener |
"Freibetrag für
gesetzliche Renten" |
"Vom Projekt der
Lebensleistungsrente für langjährig Versicherte hat
(...) sich (Nahles) verabschiedet. Stattdessen will sie
Niedrigverdiener besser absichern. Zwei Optionen sind im
Gespräch: (...) Rente nach Mindestentgeltpunkten (...)
Oder ein Zuschlag auf die Grundsicherung". |
Stabilisierung bzw.
Anhebung des Rentenniveaus |
"kurzfristig (...)
wenig Chancen" |
"Längst gilt in der
Koalition, dass es eine neue Haltelinie geben muss."
|
Am Schluss erwähnt
CREUTZBURG noch einen Vorschlag der SPD-Generalsekretärin
Katarina BARLEY, die für eine Abschaffung der
Beitragsbemessungsgrenze plädiert. Dazu wird nur angemerkt,
dass unklar ist, ob dadurch auch höhere Renten für
Spitzenverdiener vorgesehen sind.
KRÄMER, Walter
(2016): Der demographische Abgrund.
Der Volkswirt: Noch immer
werden viel zu wenige Kinder geboren, um die Rentenkasse zu
stabilisieren. Die Zuwanderungswelle nützt wenig. Ein
Debattenbeitrag,
in:
Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 31.10.
Walter
KRÄMER hat als Mitherausgeber des
Pamphlets
Die demografische Zeitbombe
sein Faible für die Apokalypse unter Beweis gestellt. Nun
schwadroniert er in der FAZ über das angebliche
"demographische Desaster" den der demografische Wandel
darstellen soll. Im Gegensatz zu Thomas STRAUBHAAR, der davon
ausgeht, dass es eine relevante Schrumpfung der Bevölkerung
auch in Zukunft nicht geben wird, schwadroniert KRÄMER von
einer "starken Bevölkerungsschrumpfung". Hätte er die
vergangenen Bevölkerungsvorausberechnungen seit den 1990er
Jahren zur Kenntnis genommen, dann wäre ihm klar geworden,
dass keine der Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung auch nur
annähernd eingetroffen ist. Im Gegenteil: Deutschland hätte
schon längst schrumpfen müssen.
Mit Hinweis auf veraltete
Berechnungen des Familienfundamentalisten Martin WERDING will
KRÄMER Panik schüren. Dreist spricht er von Beitragssätzen,
deren Höhe so gewählt wurden, dass sie die Unfinanzierbarkeit
des Rentensystems suggerieren. Die Annahmen, die hinter diesen
Berechnungen stehen, werden jedoch verschwiegen. Selbst
Neoliberale wie Axel BÖRSCH-SUPAN halten die Berechnungen von
WERDING für wenig stichhaltig. Mit dem nationalkonservativen
Familienfundamentalisten Hans-Werner SINN sieht KRÄMER die
Gerontokratie drohen. Auch dafür gibt es keine Belege.
Angesichts dieser wenig
stichhaltigen Argumentation verwundert es kaum, dass KRÄMER am
Schluss nochmals kräftig die Apokalypse beschwört:
"Allenfalls eine nicht
nur moderate, sondern starke Erhöhung des Rentenalters etwa
nach der Formel »Lebenserwartung minus zwölf Jahre« könnte
verhindern, dass die Rentenlasten die nachfolgenden
Generationen erdrücken. Die Konsequenzen der
jahrzehntelangen Geburtenlücke werden drastisch sein."
Fazit: Es ist wenig
verwunderlich, dass die Wissenschaft ob solcher Demagogie
rapide an Glaubwürdigkeit verliert. Visualisiert wird der
Artikel mittels einer Bevölkerungspyramide, die Kopf steht -
was bereits für die 1970er Jahre prognostiziert wurde.
Stattdessen ging es damals der Rentenversicherung so gut wie
nie, was einmal mehr zeigt, was von
Langfristvorausberechnungen zu halten ist.
BMAS (2016): Rentenversicherungs- und Alterssicherungsbericht
2016.
Arbeiten 4.0: Arbeitsministerin Andrea Nahles will, dass die
Tarifparteien die Digitalisierung gestalten,
in:
Pressemitteilung
Bundesministerium für Arbeit und Soziales v. 30.11.
SOZIALBEIRAT (2016): Gutachten des Sozialbeirats zum
Rentenversicherungsbericht 2016 und zum Alterssicherungsbericht
2016,
in: sozialbeirat.de
v. 30.11.
OECHSNER, Thomas
(2016): Zehn Wahrheiten über die Rente.
Wie lange müssen die
Deutschen künftig arbeiten? Reicht die Alterssicherung? Ist
alles gar nicht so dramatisch, sagen die einen. Die Rente wird
ein großes Problem, sagen die anderen. Die wichtigsten Fakten
und Folgen,
in:
Süddeutsche Zeitung
v. 03.12.
Wahrheit und Lüge liegen
eng beieinander, denn bei der Rente gibt es keinen Wahrheiten,
sondern lediglich Gesetze und deren Spielräume, die immer
wieder neu ausgelotet, erweitert oder eingeengt werden können.
Thomas ÖCHSNER betrachtet
die gesetzliche Rente und die Alterssicherung einseitig aus
der Perspektive eines Verfechters der Kapitaldeckung, wodurch
es bei seinen 10 Wahrheiten zu gewissen Einseitigkeiten kommt:
1) Die Rente sinkt nicht:
Was nützt es einem Rentner, wenn Rentenkürzungen untersagt
sind und schlimmstenfalls Nullrunden möglich sind? Gar nichts!
Entscheidend ist dagegen ob Rentner gegenüber anderen
Bevölkerungsgruppen abgehängt werden und dies ist der Fall.
2) Das Rentenniveau sinkt:
Hier heißt es in neoliberaler Sicht, dass dies lediglich
bedeute, dass die Löhne stärker steigen als die Renten, was
dazu führt, dass der Lebensstandard von Rentnern mit der Zeit
immer mehr hinter dem Lebensstandard der Erwerbstätigen
zurückbleibt.
3) Altersarmut nimmt zu:
Das bestreitet nicht einmal ÖSCHNER:
"Selbst einer, der 11,60
Euro pro Stunde verdient und damit deutlich über dem
Mindestlohn von 8,50 Euro liegt, wird als Rentner zum
Sozialamt gehen müssen. Derzeit müssen drei Prozent der über
65-Jährigen von der staatlichen Grundsicherung im Alter
leben. Dieser Anteil dürfte in Zukunft deutlich zunehmen.
Auch das Armutsrisiko wird für Rentner steigen."
Das ist noch
schönfärberisch, weil weder Obdachlose noch Heimbewohner bei
dieser Rechnung mitberücksichtigt sind. Zudem kann sich
glücklich schätzen, wer arm ist und überhaupt das Rentenalter
erreicht. Das sind nur sehr wenige, weshalb die 3 Prozent die
glücklichen Überlebenden sind und die Frühverstorbenen die
Statistik besser dastehen lassen als dies der Fall wäre, wenn
Arme genauso langlebig wären wie die Nicht-Armen.
4) Der Osten ist
benachteiligt: Dieses Märchen wurde von ÖCHSNER schon öfters
widerlegt.
5) Mehr Rente bringt nicht
mehr Kinder:
"1992 beschloss die
Bundesregierung (...) das Kinderkriegen durch eine höhere
Rente für Frauen attraktiver zu machen. Statt eines
Beitragsjahres und Rentenpunkts wurden nun pro Kind drei
gutgeschrieben - selbstverständlich nicht rückwirkend. Die
Kinder sollten ja dadurch erst geboren werden",
erklärt uns ÖCHSNER die
Sicht der nationalkonservativen Bevölkerungspolitiker und
Ökonomen. In dieser Sicht sind erwerbstätige Mütter
Rabenmütter, während das Heimchen am Herd und die
traditionelle Mutter an seiner Seite propagiert wurde. Der
Ausbau der Kinderbetreuung war damals kein Thema, im
Gegenteil: im Osten wurde die Kinderbetreuung sogar
zurückgefahren. Mütter sollten gefälligst zuhause bleiben und
nicht den Männern die Jobs streitig machen. Das ging
bekanntlich schief. Das lesen wird jedoch nicht bei ÖCHSNER,
sondern ihm geht es nur darum die Mütterrente zu diffamieren,
weil ja die Kinder, die vor 1992 geboren wurden, mittlerweile
dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Warum sollte man also
solche Mütter auch noch nachträglich belohnen? Neoliberale
blicken NUR in die Zukunft: z.B. auf die Ungeborenen, die man
gegen die Geborenen gut ausspielen kann.
6) Die Riester-Rente kann
sich lohnen:
"Für den Einzelnen kann
die Riester-Rente (...) attraktiv sein, sofern sie oder er
alles richtig macht: Der Sparer muss kontinuierlich bis zur
Rente in einen kostengünstigen Vertrag einzahlen, und das
immer so, dass die maximale staatliche Förderung
herausspringt. Das lohnt sich vor allem für Kinderreiche und
Geringverdiener",
erklärt uns heute ÖCHSNER,
nachdem er uns gestern noch aufgezeigt hat, dass dies nicht
ausreicht, um den Lebensstandard zukünftig zu halten.
7) Zuwanderung löst nicht
alle Probleme: Diesen Blödsinn hat sowieso niemand behauptet.
Andererseits ist Zuwanderung nicht Zuwanderung, sondern muss
differenziert betrachtet werden - und hier leistet ÖCHSNER
keine Aufklärung, sondern schreibt gegen eine Position an, die
er zuvor als Popanz erst aufgebaut hat
8) Mit Beamten wird nicht
alles besser: ÖCHSNER ist gegen eine
Erwerbstätigenversicherung, weshalb er die Beamten und nicht
z.B. die Selbständigen oder jene oberhalb der
Beitragsbemessungsgrenze als Beispiel für seine Argumentation
herausgreift.
9) Die Deutschen müssen
länger arbeiten: Neoliberale plädieren statt für eine
Erwerbstätigenversicherung für eine Kopplung des
Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung. Dazu werden uns
neue Märchen aufgetischt:
"Das Rentenniveau würde
nicht unter 42 Prozent sinken. So könnte man - ohne
zusätzliche Steuermilliarden - das Rentenniveau auf 46
Prozent halten."
Die einzige aktuelle
Berechnung zu einer Kopplung stammt von Axel BÖRSCH-SUPAN u.a.
Nur bei einem sehr optimistischen und voraussetzungsreichen
Szenario, würde das Rentenniveau nicht unter 42 Prozent
sinken. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass dazu eine permanente
Neudefinition des Standardrentners vonnöten ist. Dies ist
gleichbedeutend mit einer impliziten Rentenkürzung, denn bei
einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren, müssten auch 47
statt 45 Beitragsjahre erreicht werden. Die Kluft zwischen Arm
und Reich würde damit noch größer werden. Dies wird uns von
ÖCHSNER wohlweislich verschwiegen.
10) Die Jüngeren sind
schlechter dran: Auch das ist keineswegs sicher, denn die
Kluft zwischen armen und reichen Rentnern ist heute schon
gewaltig, weshalb Durchschnittswerte keine Aussagekraft haben.
Die Zunahme der Millionäre unter den Rentnern wird nicht
adäquat berücksichtigt.
"Von der
Ost-West-Renten-Einheit profitieren vor allem Rentner im
Osten und rentennahe Jahrgänge",
behauptet ÖCHSNER, obwohl
noch gar kein Gesetzesentwurf vom Kabinett beschlossen wurde
und Verhandlungen noch zu Korrekturen führen könnten. Der
Wegfall der Höherbewertung bedeutet vor allem, dass
Spitzenverdiener in ostdeutschen Betrieben, die bereits durch
Tarifverträge mit westdeutschen Betrieben gleichgestellt sind,
ihre Vorteile verlieren. Hier geht es weniger um
Generationengerechtigkeit, sondern um einen Klassenkampf von
oben.
"Wenn das Rentenniveau
sinkt, dann trifft das vor allem die Jüngeren."
Warum also wehren sich
Neoliberale wie ÖCHSNER also gegen eine Stabilisierung des
Renteniveaus bei über 48 Prozent? Sie müssten im Namen der
Jungen für ein höheres Rentenniveau plädieren.
2017
RÜRUP, Bert (2017): Die vergebliche Hoffnung auf den großen Wurf.
Die nächste Bundesregierung muss
eine weitere Rentenreform auf den Weg bringen. Dabei sollte sie die
steuerliche Kofinanzierung neu regeln, der Altersarmut vorbeugen und
den Kreis der Beitragszahler ausweiten,
in:
Handelsblatt v. 08.03.
Bert
RÜRUP, einer der Architekten der Agenda 2010 auf dem Felde der
Rentenpolitik, will die gesetzliche Rentenversicherung auf die
Armenfürsorge reduzieren. Dazu polemisiert er gegen
diejenigen, die eine Stärkung der Rentenversicherung
anstreben. RÜRUP erklärt die Lebensstandardsicherung zur
Illusion und die Erhöhung des Rentenniveaus als zum
ungeeigneten Mittel, um die Altersarmut zu bekämpfen. Weder
die Linkspartei noch die Sozialverbände sehen in der
Rentenniveauerhöhung eine Bekämpfung der absoluten Armut,
sondern nur ein Mittel zur Bekämpfung der relativen Armut, was
RÜRUP unterschlägt, denn statt einer Grundsicherung im Alter
fordern sie eine Mindestsicherung ohne Bedürfnisprüfung. Aber
Polemiken zielen ja nur auf die Diffamierung des politischen
Gegners per Falschdarstellung.
Dass RÜRUP momentan gegen
eine Erhöhung des Renteneintrittsalters eintritt, darf man
getrost als Finte bezeichnen, um die eigenen Vorschläge
harmloser aussehen zu lassen. Sie sind aber das Gegenteil:
"Der erste Punkt auf der
rentenpolitischen Agenda der nächsten Bundesregierung sollte
eine Neuordnung der steuerlichen Kofinanzierung sein. (...).
Eine saubere Antwort wäre, zu einem festen prozentualen
Anteils an den Gesamtausgaben überzugehen, was dem Bund auch
mehr Mitspracherechte in der Selbstverwaltung geben würde.
(...). Der Preis dafür wäre eine Schwächung der
Beitragsäquivalenz. Im Gegenzug würde aber der Weg geebnet,
um das Alterssicherungssystem in Zeiten demografisch und
technologisch bedingter Finanzierungsschwierigkeiten auf die
Verhinderung von Altersarmut zu konzentrieren."
Das ist eine euphemistische
Umschreibung für einen Paradigmenwechsel, an dessen Ende die
gesetzlichen Rente lediglich noch eine Armenfürsorge wäre und
die Lebensstandardsicherung der kapitalgedeckten
Altersvorsorge obliegen würde.
Mit einer Festschreibung
des Bundeszuschuss auf einen festen Prozentanteil könnte die
Senkung des Rentenniveaus durch Aufbürdung von
versicherungsfremden Leistungen auf die Beitragszahler noch
reibungsloser erfolgen, ohne dass es eines "großen Wurfs"
bedürfte.
RÜRUP plädiert für die
Einbeziehung aller Selbständigen, die nicht über eigene
Versorgungswerke abgesichert sind, in die gesetzliche
Rentenversicherung. Einziger Grund: Damit könnte die
Selbstständigkeit zur Regelerwerbsform im digitalen Zeitalter
werden.
Bei RÜRUP wird deutlich,
dass die Neoliberalen nunmehr nicht mehr vorrangig auf die
Demografie als Begründung ihrer Sozialpolitik setzen, sondern
auf die Digitalisierung bzw. Roboterisierung. Dies ist darin
begründet, dass die
Demografie als Argument wegzubrechen droht oder wie es bei
RÜRUP anklingt:
"Rentenpolitik reagiert
stets auf geänderte Präferenzen und wirtschaftliche wie
demografische Rahmenbedingungen: Sie ist immer
Verteilungspolitik und stets geprägt von den sich in der
Demokratie ändernden Verteilungsnormen der wechselnden
politischen Mehrheiten. »Gerechtigkeit« ist in einer
Demokratie nun einmal die jeweilige Diagnonale im
Parallelogramm der politischen Kräfte. Geänderte
Rahmenbedingungen können in neuen amtlichen
Vorausberechnungen zur Bevölkerungsentwicklung oder
Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt bestehen."
Man kann dies dahingehend
interpretieren, dass die "Arbeitswelt 4.0" zukünftig die Rolle
der "Demografie" einnehmen könnte, sollte diese keine Handhabe
mehr zur Reform der Rentenversicherung bieten. Aber auch die
generelle Kritik am Neoliberalismus könnte den Rentenreformern
als "veränderte Gerechtigkeitsnormen" entgegenstehen.
HANDELSBLATT-Titelthema:
Gefährliches Spiel mit der Rente.
Mehr als 100 Milliarden Euro
kostet nach exklusiven Berechnungen die neue Rentenpolitik der
Regierung. Doch damit nicht genug: Die Wahlkämpfer versprechen
bereits weitere Wohltaten. Bezahlen müssen das Arbeitnehmer und
Unternehmen |
THELEN,
Peter (2017): Die Kosten der schwarz-roten Rentenpolitik.
Wahlkampf um die Rente: Neue
Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft belegen: Schon die
Rentenpolitik in dieser Legislatur belastet künftige Generationen mit
einem dreistelligen Milliardenbetrag. Dabei hat der der
Rentenwahlkampf noch gar nicht begonnen,
in:
Handelsblatt v. 14.03.
Weil sich
der SPD-Kanzlerkandidat Martin SCHULZ bislang zur
Rentenpolitik nicht konkret geäußert hat, bläst das
Handelsblatt nun Berechnungen der Arbeitgeberlobby IW Köln
zu den angeblichen Kosten des Rentenpakets 2014 zum Titelthema
auf. Basis ist das IW Policy-Paper
Kosten der schwarz-roten Rentenpolitik – eine Heuristik
von Jochen PIMPERTZ.
Die Annahmen zur Berechnung
von PIMPERTZ werden von Peter THELEN unterschlagen, sodass die
Unsicherheiten
sowohl hinsichtlich der Mütterrente als auch - insbesondere
bei der abschlagsfreien Rente ab 63 - einfach ausgeblendet
werden. Bei der Mütterrente übernimmt PIMPERTZ einfach die
impliziten Annahmen der Bundesregierung aus deren
Gesetzesentwurf, wobei diese nochmals vereinfacht werden:
"Wie hoch die nominalen
Ausgaben für die zusätzliche Anerkennung der
Kindererziehungszeiten ausfallen, lässt sich zwar nicht
anhand tatsächlicher Fallzahlen überprüfen, aber immerhin
über eine Hochrechnung der ursprünglich erwarteten
Fallzahlen mithilfe der Entwicklung des Aktuellen
Rentenwertes realitätsnäher bestimmen, als es im
ursprünglichen Gesetzentwurf dokumentiert wird.
Dazu wird – so die vereinfachende Annahme – die Entwicklung
des Aktuellen Rentenwerts West laut
Rentenversicherungsbericht 2016 ins Verhältnis gesetzt zu
dem ab 1. Juli 2014 gültigen Aktuellen Rentenwert, um so
eine Umrechnung der ursprünglichen Werte auf den jeweils
aktuellen nominalen Wert zu ermöglichen (BMAS, 2016a, 46).
Mit diesem vereinfachten Verfahren wird implizit
unterstellt, dass sich das Verhältnis der Inanspruchnahme
durch west- und ostdeutsche Rentner nicht verändert und auch
das Verhältnis der Aktuellen Rentenwerte für West- und
Ostdeutschland über die betrachtete Zeit konstant bleibt."
(2017, S.6f.)
PIMPERTZ rechnet mit dem
höheren Rentenwert (West), der am 01.07.2014 28,61 Euro
betragen hat. Ostdeutsche Mütter erhielten jedoch 2,22 Euro
weniger, sodass bereits bei dieser Annahme von überhöhten
Kosten ausgegangen wird.
Im Jahr 2016 beträgt der Abstand immer noch 1,79 Euro, die
unterschlagen werden.
Durch das
beschlossene Gesetz zur Ostrentenangleichung soll sich der
Rentenwert bis 2025 angleichen, was bei der Berechnung von
PIMPERTZ ebenfalls nicht berücksichtigt wird, stattdessen wird
die Differenz fortgeschrieben. Da die Mütterrente der
Hauptkostentreiber des Rentenpakets war, führen falsche
Annahmen zu krassen Fehlern bei den Kosten.
Bei den Kosten zur
abschlagfreien Rente ab 63 versucht THELEN die Berechnungen
des IW schönzufärben:
"Die Kosten der Rente ab
63 kann das IW nicht ganz so präzise vorhersagen. (...).
Dabei geht es um die Menschen, die seit 2014 vor Erreichen
der gesetzlichen Altersgrenze ohne den eigentlich
vorgeschriebenen Rentenabschlag von 3,6 Prozent in Rente
gingen. Der sprunghafte Anstieg der Zugänge bei der Rente
für besonders langjährig Versicherte spricht (...) dafür,
dass ohne die Abschlagsfreiheit die meisten nicht vorzeitig
in Rente gegangen wären.
2013, im Jahr vor dem Inkrafttreten der Reform, bezogen
16.197 Männer und Frauen erstmals eine Rente für langjährig
Versicherte. 2014 waren es über 151.000 und 2015 bereits
fast 275.000. Zwischen 2014 und 2017 machten laut Schätzung
des IW über 925.400 von der Möglichkeit Gebrauch,
abschlagsfrei jenseits des 63. Lebensjahrs in Frührente zu
gehen. Allein die Gewährung der Abschlagsfreiheit kostete
die Beitragszahler über 2,5 Milliarden in den vier Jahren,
davon 1,2 Milliarden Euro allein im Wahljahr 2017."
Man kann diese Darstellung
als Versuch sehen, die Anzahl der Reformgewinner künstlich zu
erhöhen. Das Jahr 2013 ist kein realistischer Maßstab, weil
viele natürlich ihren Renteneintritt aufgeschoben haben, um in
den Genuss besserer Konditionen zu kommen. Die Differenz ist
also verzerrt.
Hinzu kommt, dass die Bundesregierung in ihrem Gesetzesentwurf
für das Jahr 2017 mit 2 Milliarden Euro Kosten rechnete, das
wären also 800 Millionen Euro mehr als das
was uns THELEN nun als
sensationelles Ergebnis präsentiert.
Fazit: TEHLEN produziert in
seiner Titelgeschichte viel heiße Luft. Die Kosten der
Mütterrente werden vom IW zu hoch angesetzt und bei der
abschlagsfreien Rente ab 63 zeichnet sich eher eine geringere
Inanspruchnahme ab als vom Gesetzgeber angenommen.
STOCKER, Frank (2017): Am
demografischen Scheideweg.
Die Alterung der Bevölkerung hat
eine neue Phase erreicht. Nun drohen den Staaten Minuswachstum und
Kostenlawinen. Doch es gibt Profiteure,
in:
Welt v. 15.04.
Frank STOCKER, Jahrgang 1968, greift sich aus den
widersprüchlichen Theorien zum demografischen Wandel jene
heraus, die seiner PR am besten entspricht. Er präsentiert uns
Zahlen zur Entwicklung der Weltbevölkerung, deren Herkunft er
verschweigt:
"So wird die Zahl der
erwerbsfähigen Personen in Deutschland, also der Menschen
zwischen 15 und 65 Jahren, von 53,4 Millionen im Jahr 2014
bis 2030 auf rund fünf Millionen zurückgehen, in den
folgenden Jahren dann nochmals um über zehn Millionen."
Bei den Zahlen ist
auffällig, dass die Definition der erwerbsfähigen Bevölkerung
nicht mit der aktuellen 13. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes
übereinstimmt, die mit den Altersgrenzen 20-60, 20-65 und
20-67 Jahren operiert. Die Konsequenz der Wahl von STOCKER
ist, dass der Rückgang des Erwerbsfähigenpotenzials
dramatisiert wird, zumal Zahlen für 2060 reine
Kaffeesatzleserei ist.
STOCKER behauptet, dass der
Rückgang der Erwerbsfähigen nicht durch die Erhöhung des
Renteneintrittsalters, der Frauenerwerbsquote oder der
Zuwanderung kompensiert werden könne.
Die Möglichkeiten der
Produktionssteigerung durch Digitalisierung und
Roboterisierung bleiben also unberücksichtigt.
STOCKER macht sich die
Position der Bank of America und ihrer Ökonomin Evelyn Hermann
zu eigen, die Investitionshemmnisse auf den demografischen
Wandel zurückführt. Das passt zu STOCKERs Polemik gegen den
deutschen Sozialstaat und insbesondere der Rentenpolitik.
STOCKER verkündet "griechische Verhältnisse" in Deutschland -
und (fast) der ganzen Welt. Als Ausweg wird uns Indien
gepriesen:
"Geldanlagen in den
indischen Aktienmarkt könnten daher auch für deutsche und
europäische Anleger ein Ausweg aus der Demografiefalle in
eigenen Land oder anderen westlichen Ländern werden."
Als eine weitere
Alternative wird uns der "Silver Economy Index" der
Investmentbank Société Génèrale gepriesen, der auf
Unternehmensgröße und Wirtschaftssektoren setzt, die angeblich
vom demografischen Wandel profitieren sollen. Man fragt sich
hier höchstens, ob STOCKER für diese PR auch noch Geld
bekommt.
Fazit: Seriöser
Journalismus sieht anders aus!
PLICKERT, Philip (2017): Bremst die
Überalterung das Wirtschaftswachstum?
Ökonomen warnen vor
Stagnation - doch eine neue Studie sieht einen Ausweg durch
Automatisierung,
in:
Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 18.04.
Philip
PLICKERT verspricht Aufklärung über die Sicht der Ökonomen auf
den demografischen Wandel, ein Thema, das die Welt
bereits
am Samstag einseitig in dramatisierender Absicht
präsentiert hat.
"Bundesbankpräsident Jens
Waldmann hat vor einiger Zeit den Satz des Demographen
Herwig Birg zitiert, die Gesellschaft gleiche immer mehr
einem Ruderboot mit einer schrumpfenden Zahl an Ruderern und
immer mehr Passagieren. Viele langfristige Prognosen gehen
von künftig weniger Wachstum aus, weil die demographische
Basis ungünstiger wird."
Schon die
Ruderboot-Metapher ist mehr als albern. Seit wann sind das
Passagierschiffe? Richtiger wäre es von einer Galeere zu
sprechen, denn bei der Demografisierung gesellschaftlicher
Probleme geht es um Krieg und Ausbeutung.
"(Das) Schlagwort
»säkulare Stagnation« (ist) schon fast 70 Jahre alt. Geprägt
hat es der Keynesianer Alvin Hansen 1938 in seiner Rede als
Präsident der American Economic Association (AEA)",
erklärt uns PLICKERT die
Begriffsherkunft. Bekanntlich ist der Keynesianismus das
Gegenteil vom Neoliberalismus, was nicht verhindern konnte,
dass das Schlagwort die Seiten gewechselt hat.
"In den kommenden Jahren
gehen die Babyboomer in Rente. Das könnte die Wirtschaft
ausbremsen, so die Pessimisten. Doch eine
neue Studie des MIT-Ökonomen Daron Acemoglu und seines
Kollegen Pascual Restrepo von der Boston University stellt
diese These radikal in Zweifel. Die empirischen Daten aus
einer großen Zahl von Ländern zeigten überhaupt keinen
Zusammenhang zwischen Alterung und Wirtschaftswachstum pro
Kopf",
erklärt uns PLICKERT die
optimistische Sicht auf den demografischen Wandel. Als Ursache
wird die Kompensation des demografischen Wandels durch die
Automatisierung genannt. Zum Schluss revidiert PLICKERT diese
Sicht wieder durch eine andere Studie:
"Eine
2016 veröffentlichte Studie von Nicole Maestas (Harvard
Medical School) sowie Kathleen Mullen und David Powell
(beide Rand Corporation) kam zu einem anderen Ergebnis."
Im Gegensatz zur Welt
kann sich hier der Leser ein eigenes Bild machen, denn was die
Auswirkungen betrifft, wird der demografische Wandel gerne
ideologisch vereinnahmt.
PLICKERT, Philip
(2017): Die Alterung der Bevölkerung bremst die Wirtschaft.
Die Bundesbank erwartet deutliche
Wachstumseinbußen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 25.04.
Philip PLICKERT berichtet über den
Monatsbericht April der Bundesbank, wobei er die negativen Aspekte
der angeblichen Auswirkungen der Demografie auf das
Wirtschaftswachstum hervorhebt. Bekanntlich
sind die Auswirkungen unter den Ökonomen umstritten, wie uns PLICKERT
erst kürzlich darlegte.
RASCH, Michael
(2017): Die Alterung dämpft das Wachstum.
Deutsche Bundesbank rechnet mit deutlichem Rückgang des
Potenzialwachstums,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 26.05.
FRIESER, Michael
(2017): Unehrliche Rentendebatte.
Gastkommentar: Der demografische
Wandel ist längst noch nicht abgesagt,
in:
Handelsblatt v. 08.05.
Michael
FRIESER, der als "Beauftragter für den demografischen Wandel"
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vorgestellt wird, ist so etwas
wie der Demografiepolizist (mehr auch
hier). Welch ein Unsinn! Man kann den demografischen
Wandel nicht absagen, denn der demografische Wandel ist ein
Begleitumstand jeder Bevölkerung. Nur wer den demografischen
Wandel auf angeblich negative Aspekte reduziert, kann solch
einen Blödsinn behaupten.
FRIESER ist es gar nicht
Recht, dass die aktuellen Bevölkerungsvorausschätzungen keine
schrumpfende
Bevölkerung mehr für die nächsten Jahrzehnte erwarten lassen.
Man hatte sich schließlich seit Jahrzehnten ideologisch darauf
ausruhen können. Das neoliberale Kartenhaus wurde darauf
gebaut und nun droht es einzustürzen. Die Welt war
schon
Anfang März entsetzt über diese Wende. Weil die
Schrumpfung als Argument weggebrochen ist, muss nun die
Alterung als letztes verbliebenes Bollwerk herhalten:
"Für die Tragfähigkeit
der Sozialsysteme von Bedeutung ist der Altenquotient: Im
Jahr 2040 werden auf jeden Rentner zwei Arbeitnehmer kommen",
erklärt uns unser
Demografiepolizist. Dumm nur, dass
2015 bereits das Verhältnis der Rentner zu den Beitragszahlern
bei 1 zu 1,92 lag und dennoch ist das Rentensystem nicht
kollabiert. Der Altenquotient ist nicht aussagekräftig,
sondern einzig und allein das Verhältnis von
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit
Durchschnittslohn zu den Rentnern mit Durchschnittsrente.
Dieses aber hängt von vielen Faktoren ab - die Anzahl der
65-Jährigen und Älteren ist die Unbedeutendste davon!
HANDELSBLATT-Titelgeschichte:
Das
Milliarden-Loch.
Finanzminister Schäuble rechnet
für das kommende Jahr mit weniger Einnahmen und hohen
Zusatzausgaben. Im Budgetentwurf fehlen 8,3 Milliarden Euro. Doch
statt Sparvorschläge zu machen, melden viele Bundesminister
weitere Wünsche an
|
GREIVE, Martin & Jan HILDEBRAND (2017): Teures
Team.
Viele Minister melden neue treure
Budgetwünsche an. Kassenwart Wolfgang Schäuble wehrt sich und warnt:
Die Finanzlage ist angespannter als gedacht,
in: Handelsblatt
v. 09.02.
GREIVE &
HILDEBRAND produzieren in ihrer Titelgeschichte Das
Milliarden-Loch viel heiße Luft. Um "Wahlgeschenke" zu
verhindern, wird vom Handelsblatt immer wieder einmal
der Bundeshaushalt arm gerechnet. Und auch die Politiker
kennen dieses Spielchen zur Genüge:
"Ständig rechne sich
Schäuble arm - um dann am Ende wieder mehrere Milliarden aus
dem Hut zu zaubern, wenn es ihm gerade passt".
Auf die Fadenscheinigkeit
des Berichts weisen die Autoren deshalb auch zum Ende hin:
"Natürlich wissen auch
Schäubles Beamte, dass die Diskussion um das Haushaltsloch
2018 in Wahrheit eine Luxusdebatte ist. Die Lücke könnte
ohne weitres (...) geschlossen werden. Schäubles Leuten geht
es um etwas anderes: Sie wollen verhindern, dass im Wahljahr
Geld zum Fenster rausgeworfen wird."
Fazit: Die Titelgeschichte
hätte man sich sparen können.
Wenn es
um Steuererleichterungen für Spitzenverdiener und Reiche geht,
ist plötzlich jede Menge Geld übrig!
GREIVE,
Martin/HILDEBRAND, Jan/SIGMUND, Thomas (2017): Der nimmersatte
Staat.
Neue Zahlen des
Bundesfinanzministeriums zeigen: Bereits 3,9 Millionen Deutsche
zahlen den Spitzensteuersatz. Forderungen nach einer Entlastung
der Bürger werden immer lauter - zumal Steuereinnahmen weiter
steigen
in:
Handelsblatt v. 11.05.
Wenn es um Rentenpolitik
geht, versiegen plötzlich alle Steuereinnahmen (siehe
Titelgeschichte vom 9.
Februar), wenn es um die Entlastung der Spitzen- und
Besserverdienenden geht, dann sprudeln sie wie eine Ölquelle.
Das Handelsblatt hievt wieder den geizigen
Finanzminister auf das Cover und macht mit einer Zahl auf, die
längst kursiert: 3,9 Millionen. Damit sind jedoch keineswegs
Arbeitnehmer gemeint. Bereits am 19. April brachte das IW Köln
eine Falschmeldung, wonach 4,2 Millionen Menschen in
Deutschland den Spitzensteuersatz zahlen müssten. Die
neoliberale Presse griff das begierig auf, z.B. auch die
FAZ. Nun kommt uns also das Handelsblatt mit 3,9
Millionen. Diese Zahl ist jedoch nirgends außer beim
Handelsblatt zu finden. Die heutige FAZ liefert
niedrigere und detaillierte Angaben zum Spitzensteuersatz. Auf
n-tv heißt es dagegen:
"Nach aktuellen
Schätzungen des Bundesfinanzministeriums fallen in diesem
Jahr etwa 2,69 Millionen Steuerpflichtige unter den
Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Unter Berücksichtigung der
Zusammenveranlagung von Eheleuten betrifft dies damit 3,73
Millionen einkommensteuerpflichtige Personen."
Es wird auch nicht von
Arbeitnehmern gesprochen, d.h. auch Selbständige und
Unternehmer sind in dieser Zahl enthalten. Haushalte von
Ehepaaren werden zudem als zwei Personen gezählt.
Fazit: Was das
Handelsblatt bei der Rentenpolitik geißelt, das
praktiziert sie bei den Steuern selber: Dramatisierende
Darstellungen in Umlauf bringen. So etwas könnte man auch als
die typische neoliberale Doppelmoral in der
Medienberichterstattung bezeichnen. Dazu passt auch, dass das
Handelsblatt rechtzeitig vor der NRW die Geschichte
Das Rentner-Debakel bei Mannesmann über den
SPD-Bürgermeister in Mühlheim lanciert, bei dem es um einen
Betriebsrenten-Skandal geht. In seinem neoliberalen
Flaggschiff interessiert sich das Handelsblatt dagegen nicht
annähernd so rührend um die Interessen der Rentner. Im
Gegenteil! Die Belange der Rentner werden mit Füssen getreten.
Hauptsache die Profite der Finanzdienstleistungsbranche
stimmen.
DESTATIS (2017): Altersdurchschnitt der Bevölkerung sank 2015 auf 44
Jahre und 3 Monate,
in:
Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts v. 13.06.
"Nach 24 Jahren steter Zunahme sank das durchschnittliche
Bevölkerungsalter in Deutschland im Jahr 2015 erstmals seit der
Wiedervereinigung. Zum Ende des Jahres 2015 lag das Durchschnittsalter
aller Einwohnerinnen und Einwohner der Bundesrepublik Deutschland bei
44 Jahren und 3 Monaten. Im Vorjahr hatte es noch 44 Jahre und 4
Monate betragen.", meldet das Statistische Bundesamt.
PETER, Tobias (2017): Von 2036 an droht eine Explosion der
Altersarmut.
Studie: Weder SPD noch CDU
versprechen brauchbare Rentenreformen,
in:
Frankfurter Rundschau v. 27.06.
Die Schlagzeile spricht von
einer Explosion der Altersarmut ab 2036, eine dreiste
Irreführung, denn über die Zeit nach 2036 wird in der Studie
Entwicklung der Altersarmut bis 2036 gar nichts
ausgesagt. Zudem sind die Annahmen zur weiteren Entwicklung
fragwürdig, denn Ausgangspunkt sind veraltete Daten zur
Bevölkerungsvorausberechnung (Variante 2 der 13. koordinierte
Bevölkerungsvorausberechnung vom Frühjahr 2015). Aufgesetzt
wird auf das Jahr 2013, d.h. die positivere Entwicklung der
Rentenversicherung der letzten 3 Jahre fließt nicht in die
Annahmen ein.
"Die Schätzungen der
Übergangswahrscheinlichkeiten – bspw. die
Wahrscheinlichkeit, von Beschäftigung in Rente zu wechseln –
beruhen auf Längsschnittdaten der Erhebungsjahre 2005 bis
2013. Die Verwendung von mehr als zwei Jahren ermöglicht
aufgrund der höheren Fallzahlen präzisere Schätzungen der
Übergänge" (2017, S.24),
heißt es in der Studie,
d.h. die Änderungen durch das Flexirentengesetz, das Anfang
dieses Jahres in Kraft getreten ist, sind in den Berechnungen
nicht berücksichtigt. Die Haushaltseinkommen werden auch nicht
angemessen berücksichtigt:
"Die Stichprobe wird auf
Personen eingeschränkt, die im Ausgangsjahr 2013 in der
Altersgruppe 44–66 sind. Dies sind also Personen, die
zwischen 2014 und 2036 die Regelaltersgrenze von 67 Jahren
erreichen. Partnerinnen und Partner außerhalb dieser
Altersspanne werden mitgeführt, jedoch nur solange, bis die
Personen unserer Zielaltersgruppe 67 Jahre alt sind. Lebt
also z. B. ein 44-jähriger Mann mit einer 42-jährigen
Partnerin, dann endet die Fortschreibung, sobald der Mann 67
Jahre alt ist, auch wenn die Partnerin noch zwei Jahre unter
dieser Altersgrenze liegt." (2017, 24)
Vor allem die
Alterseinkommen von Paaren, in denen ein Partner jünger ist,
werden also unterschätzt. Die differenzielle Lebenserwartung
wird ebenfalls nicht berücksichtigt:
"Die Personen im
Ausgangsdatensatz werden bis zum 67. Lebensjahr
(einschließlich) fortgeschrieben. Ein Ausscheiden aus der
Fortschreibung erfolgt nur aufgrund des Alters; die
Sterbewahrscheinlichkeit ist bis zum Alter von 67 Jahren
annahmegemäß null." (2017, S.47)
Arme sterben in der Regel
früher und viele erreichen deshalb das angenommene
Renteneintrittsalter von 67 Jahren gar nicht. Noch
gravierender ist die Fortschreibung des Familienstandes bei
den Alleinerziehenden:
"Der Familienstand und
die Zahl der Kinder bleiben in der Fortschreibung
annahmegemäß auf ihrem Ausgangsniveau von 2013. Während
diese Annahme im letzteren Fall angesichts der Altersspanne
von 44–67 Jahren unproblematisch ist (laut der
Geburtenstatistik des Statistischen Bundesamtes sind
lediglich 0,3 % aller Geburten des Jahres 2015 auf über
44-jährige Mütter und 5,7 % der Geburten auf über 44-jährige
Väter zurückzuführen), gilt dies für den Familienstand nur
eingeschränkt. Es ist zwar noch wenig zur Dynamik und Dauer
der Alleinerziehenden- Phasen bekannt, jedoch deuten
Auswertungen von Ott, Hancioglu und Hartmann (2011) auf
Basis des SOEP 1984–2009 darauf hin, dass nur zwischen 10
und 35 % (je nach Gewichtung) der Personen länger als zehn
Jahre alleinerziehend bleiben. Das Risiko der Altersarmut
wird für die Alleinerziehenden also durch die Annahme eines
konstanten Familienstands tendenziell überschätzt. Umgekehrt
bedeutet die Annahme, dass die Armutsrisiken durch Trennung
und Scheidung nach dem 44. Lebensjahr nicht mehr erfasst
werden. Statistiken zeigen jedoch, dass in 42 % der
Scheidungen im Jahr 2013 die Frau älter als 45 Jahre alt
war; bei den Männern betrug der Anteil sogar 47 %
(Statistisches Bundesamt 2014). Die Annahme des konstanten
Familienstands ist dennoch üblich in der Literatur, da eine
Fortschreibung des Familienstands den Aufwand der Simulation
noch einmal erhöht (vgl. Heien, Kortmann und Schatz 2007).
Die Unschärfe an dieser Stelle muss bei der Interpretation
der Ergebnisse jedoch mitbedacht werden." (2017, S.47)
In keiner der
Medienberichte wird jedoch diese Problematik auch nur erwähnt,
sondern die Zahlen werden einfach als unstrittig angesehen.
Dass sich auch die Haushaltsform im ganzen Zeitraum nicht
ändert ist eine sehr fragwürdige Annahme.
Die Studie endet mit dem
Jahr 2036 und macht also keinerlei Aussagen über die weitere
Entwicklung der Altersarmut. Zum Vorgehen heißt es:
"Im Folgenden werden
zunächst die Entwicklung der Armutsrisikoquote und der
Grundsicherungsquote über die Zeit beschrieben. Dazu
gruppieren wir die Fortschreibungsperiode in vier
Intervalle: 2015–2020, 2021–2025, 2026–2030 und 2031–2036.
Wie oben beschrieben, weisen wir das Armutsrisiko für eine
bestimmte Gruppe der älteren Bevölkerung aus: Wir
beschränken uns für jedes Fortschreibungsjahr auf Haushalte,
in denen eine Person – entweder der Haushaltsvorstand oder
der Partner/die Partnerin – 67 Jahre alt ist. Diese
Definition erlaubt es, über die Jahre eine vergleichbare
Gruppe von Rentnerinnen und Rentnern abzubilden und den
Trend im Armutsrisiko zu untersuchen. Die Auswertungen
beziehen sich demnach auf die Kohorten, die zwischen 1947
und 1969 geboren wurden." (2017, S.69)
Die Altersarmut wird anhand
zweier Indikatoren gemessen: Der Armutsrisikoquote (60 % des
Medianeinkommens) und der Grundsicherungsquote. Bei der
Grundsicherungsquote wird auch die verdeckte Armut
berücksichtigt - wobei dazu auch die Vermögenswerte wie z.B.
Immobilienbesitz mitberücksichtigt werden muss. Dazu heißt es:
"Wir schreiben den
Immobilienbesitz konstant fort. Diese Annahme scheint
plausibel, da laut Analysen der Bundesbank die Quote der
Immobilienbesitzer zwischen dem 25. und 44. Lebensjahr stark
ansteigt, danach aber nur geringere Steigerungen verzeichnet
(Deutsche Bundesbank 2016)." (2017, S.45)
Der Immobilienbesitz der
67-Jährigen wird also unterschätzt. Dies gilt umso mehr, da
die jüngeren Generationen sich Immobilien eher erst im
späteren Lebensalter leisten werden. Darauf deutet zumindest
die derzeitige Situation hin.
PETER konzentriert sich im
Gegensatz zu EUBEL auf die Solidarrente, deren Eckpunkte
mindestens 35 Beitragsjahre und 10 Prozent über dem
Grundsicherungsniveau sind. Die Studie berücksichtigt zwar
diese Kriterien, aber nicht die regional differenzierten
Wohnkosten, die durch Durchschnittswerte verzerrt werden.
Hinzu kommt, dass die Stichprobe nicht ausreichend groß ist,
damit die Wirkung überhaupt geschätzt werden kann. Dies
interpretieren die Autoren dahingehend, dass nur sehr wenige
davon betroffen sein werden. Da keine Angaben zu den
Größenordnungen gemacht werden, ist der Leser nicht in der
Lage sich selber ein Bild zu machen. Nicht viel könnte heißen:
Hunderte, Tausende oder gar 10.000 und mehr.
SIEMS, Dorothea (2017): Rentner, Geld und die Gerechtigkeit.
Das Wirtschaftsforschungsinstitut
Prognos hat die Folgen der SPD-Pläne bis 2040 durchgerechnet. Und
warnt vor Ungleichheiten,
in:
Welt v. 01.07.
SIEMS, Dorothea (2017):
Deutschland droht chronische Wirtschaftsschwäche.
Als Folge der Bevölkerungsalterung
wird sich das Wachstum mehr als halbieren. Einige Faktoren können den
Sinkflug noch verhindern,
in:
Welt v. 07.07.
Die
Arbeitgeberlobbyorganisation IW Köln macht Wahlkampf für
Schwarz-Gelb. Mit ihrer
Studie
Perspektive 2035 greift sie die unter Ökonomen
umstrittene These von der Säkularen Stagnation auf, um eine
Erhöhung des Renteneintrittsalters bis 2030 auf 68 Jahre zu
fordern. Sie flankieren damit Forderungen von CDU-Politikern
nach einer Rente mit 70.
Wie absurd die naive
Fortschreibung der Vergangenheit in die Zukunft ist, zeigen
die Berechnungen der Studie:
"Die Anzahl der über
67-Jährigen wuchs von 9,6 Millionen im Jahr 1990 auf 14,5
Millionen Personen im Jahr 2015, also um rund 4,9 Millionen.
Damit lag im Jahr 2015 der Anteil der über 67-Jährigen an
der Gesamtbevölkerung bei 17,7 Prozent (1990: 12,1
Prozent)." (2017, S.15)
Obwohl also die Bevölkerung
im Alter von über 67 Jahren innerhalb von 27 Jahren um 5,6
Prozent zugenommen hat, ist dadurch nicht etwa die Wirtschaft
zusammengebrochen, sondern im Gegenteil war die
Wirtschaftslage seit 1990 nie besser. Die zugenommene
Ausbeutung der Arbeitskraft hat den Unternehmen hohe Profite
beschert, während die Arbeitnehmer Lohneinbußen hinnehmen
mussten. Mit Demografie hat das nichts zu tun, sondern mit
einer Politik zugunsten des Kapitals. Die Demografisierung
gesellschaftlicher Probleme soll davon ablenken. Bis 2035
erhöht sich der Anteil der über 67-Jährigen kaum mehr als seit
1990:
"Der Anteil der über
67-Jährigen an der Gesamtbevölkerung wächst bis 2035 von
derzeit 17,7 auf 25,8 Prozent" (2017, S.15)
Die Prognose des IW Köln
berücksichtigt den Anstieg der Geburtenrate der in den 1970er
Jahren geborenen Frauen nicht angemessen, sodass der Anteil
der unter 20-Jährigen unterschätzt wird. Hätte man den
Demografen Anfang der Jahrtausendwende geglaubt, dann müsste
Deutschland bereits seit einem Jahrzehnt schrumpfen. Bei der
Geburtenrate wurde noch in den 1990er Jahren ein Rückgang auf
1,2 als nicht unwahrscheinlich angesehen. Dies zeigt, dass
Bevölkerungsvorausberechnungen - je länger die Zeiträume sind
- keineswegs treffsicher sind.
CREUTZBURG, Dietrich & Kerstin SCHWENN
(2017): Beschäftigungsaufschwung füll Lücken der Rentenkasse.
Das Defizit dürfte sich in diesem
Jahr auf 900 Millionen Euro halbieren - der Beitragssatz bleibt
stabil,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 08.07.
Positive
Entwicklungen bei der Rentenkasse sind den Neoliberalen ein
Ärgernis, weshalb Kaffeesatzleserei betrieben werden muss, um
die Entwicklung schlecht zu reden. Nur klappt das nicht so
recht:
"Die neue
Vorausberechnung legt nun nahe, dass der Beitragssatz selbst
im Jahr 2022 nur um 0,1 Punkte auf 18,8 Prozent steigen
muss.
Die vorige Schätzung im April hatte für 2022 noch einen Satz
von 19,1 Prozent erwarten lassen."
Als das Rentenpaket 2014
beschlossen wurde, sahen die Prognosen noch düsterer aus:
"Im
Gesetzgebungsverfahren zum Rentenpaket 2014 hatte die
Regierung erwartet, dass die Reserve nur bis 2018 reichen
werde; schon 2019 hätte dann der Beitragssatz auf 19,7
Prozent steigen müssen.
Seither ist jedoch die Zahl der beitragspflichtigen
Arbeitnehmer um zwei Millionen auf 32 Millionen gestiegen,
deutlich stärker als erhofft. Allein von Januar bis Mai 2017
hat die Rentenkasse daher 89,7 Milliarden Euro an Beiträgen
eingenommen. 3,8 Milliarden Euro mehr als im
Vorjahreszeitraum."
Aufgrund politischer
Vorgaben darf die Nachhaltigkeitsrücklage einen bestimmten
Betrag nicht überschreiten, sodass dadurch die Plünderung der
Rentenkasse zu Lasten der Arbeitnehmer als Sachzwang verkauft
werden kann. So sind sowohl die Mütterrente und die
Ostrentenangleichung als gesamtgesellschaftliche Aufgaben
nicht aus Steuern finanziert worden, sondern durch die
Beiträge der Arbeitnehmer. Dieser Skandal aber wird von
CREUTZBURG & SCHWENN ausgeblendet.
Am Schluss wird auf den
Beschluss des Betriebsrentenstärkungsgesetzes, der
Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente und der
Ostrentenangleichung hingewiesen. Wie bei Neoliberalen üblich,
wird dabei der Stärkung der privaten Altersvorsorge der größte
Raum gewidmet. Die Bekämpfung der Altersarmut gilt
Neoliberalen als nachrangiges Problem.
BILD-Titelgeschichte: Neue Rentenpläne
Welcher Jahrgang bekäme am
meisten? Die große Tabelle! |
Obwohl die
Prognos-Auftragsstudie Generationengerechte Rentenpolitik?
Gewinner und Verlierer aktueller Reformvorschläge der
neoliberalen Lobbyorganisation INSM erst am Mittwoch
vorgestellt wird, hat die Bildzeitung bereits die Ergebnisse
präsentiert und die Nachrichtenagentur dts ebenfalls
Ergebnisse in Umlauf gebracht.
Die neoliberale Kampagne
richtet sich zum einen gegen die Mütterrente der CSU und zum
anderen gegen die Stabilisierung des Rentenniveaus der SPD.
Dem Leser wird durch solche Vorabinformationen in der
Öffentlichkeit die Möglichkeit genommen, die Annahmen zu
überprüfen, denn diese sind entscheidend, wenn es um
angebliche Gewinner- und Verlierergenerationen geht. Die
Mütterrente spaltet z.B. nicht nur Generationen, sondern auch
Kinderlose und Eltern, was bei den Vorabinformationen
unberücksichtigt bleibt.
EHRENTRAUT, Oliver & Stefan MOOG (2017): Generationengerechte
Rente?.
Gewinner und Verlierer
aktueller Rentenvorschläge,
in:
insm.de v. 30.08.
Das Prognos-Institut hat
die Gewinne und Verluste nur bis zum Jahr 2045 gerechnet,
während die
Bild-Zeitung die höchsten Verluste bei der
Alterssicherung beim Geburtsjahrgang 2015 sieht.
Da die Berechnungen nur bis
2045 gehen, in dem der Geburtsjahrgang 2015 erst 30 Jahre alt
ist, bleiben dessen Rentenhöhe und damit die eine Seite der
Bilanz unberücksichtigt. Oder anders formuliert: Für die
jüngeren Geburtsjahrgänge werden tendenziell nur die
Beitragslasten berücksichtigt, während die Rentenleistungen
unter den Tisch fallen.
"Als heutige Generation
betrachten wir die Geburtsjahrgänge 1915 und früher (heute
100-Jährige und älter) bis 2015 (heute
0-Jährige/Neugeborene). Zur Bestimmung der Netto-Zahllasten
in den einzelnen Szenarien werden für jeden Geburtsjahrgang
die zukünftig zu leistenden durchschnittlichen Zahlungen an
die GRV sowie die im Gegenzug empfangenen durchschnittlichen
Leistungen ermittelt" (2017, S.13),
heißt es dazu in der
Studie. Der Pferdefuß bei der Sache, offenbart jedoch die
Fußnote:
"Die zukünftig noch zu
leistenden Zahlungen bzw. noch zu empfangenden Leistungen
umfassen für jeden Jahrgang jeweils den gesamten
verbleibenden Lebenszyklus. In der Vergangenheit liegende
Zahlungen werden bei dieser Betrachtung nicht
berücksichtigt" (2017, Fn14 S.13)
Oder anders formuliert: Die
Beitragszahlungen der älteren Geburtsjahrgänge werden in der
Bilanz einfach wegdefiniert. Eine seriöse Generationenbilanz
hätte alle Beitragszahlungen und Leistungen über die gesamten
Lebensabschnitte der Geburtsjahrgänge zu betrachten, statt nur
jene zwischen 2015 und 2045.
Die Berechnungen enden
zudem merkwürdigerweise genau zu jenem Zeitpunkt, wo der
Altenquotient nach der
Variante 2-A der Bevölkerungsvorausberechnung sinkt, d.h.
ein Wendepunkt der Be- und Entlastungen in der
Rentenversicherung stattfinden würde.
Anders als die FAZ
gestern berichtete, spielt die Lebenserwartung und damit
die Rentenbezugsdauer eines Geburtsjahrgangs keinerlei Rolle,
weil lediglich der Zeitraum 2015 bis 2045 und nicht die
Lebensspannen der Geburtsjahrgänge die Berechnungsgrundlagen
sind. 2015 geborene Jungen werden ca. 78 Jahre alt, Mädchen
dagegen 83 Jahre.
Fazit: Wären die Gewinn-
und Verlustbilanzen von PROGNOS seriös, dann müssten die
Berechnungen bis 2083 durchgeführt werden, denn bis dahin
kassiert eine durchschnittlich 2015 geborene Frau
Rentenleistungen. Stattdessen bleiben die Jahre 2045 bis 2083
in den Berechnungen außen vor. Bevölkerungsvorausberechnungen
bis 2083 wären zudem nicht mehr als Kaffeesatzleserei. Die
angeblichen Generationenbilanzen sind also nichts als
Fake-News!
Die Annahmen der Prognos AG
werden in der Studie insgesamt nur rudimentär dargestellt,
sodass deren Ausblendungen nur teilweise sichtbar werden. Für
den Leser ist es deshalb nicht möglich z.B. die Umlegung der
Kosten und Leistungen auf die einzelnen Geburtsjahrgänge
nachzuprüfen. Auch das ist nicht wissenschaftlich seriös,
sondern die Konsequenz, dass mit den Berechnungen ein
Unternehmen beauftragt wurde, das in Marktkonkurrenz zu
anderen Privatinstituten steht und deshalb zentrale Annahmen
geheim gehalten werden.
Ein
Vergleich der Rentenausgaben mit früheren Prognos-Studien
zeigt zudem weitere Unplausibilitäten. Für 2015 rechnet die
jetzige Studie mit Rentenausgaben von 277,2 Mrd. Euro (vgl.
2017, S.4)). Das liegt um 32 Mrd. Euro über einer Studie vom
Januar 2017 und selbst noch fast 2 Mrd. über eine Studie vom
Oktober 2016. Auch bei den Status Quo-Szenarien für das Jahr
2040 ergeben sich gravierende Unterschiede: Während bei der
jetzigen Studie von 472 Mrd. Euro ausgegangen wird (vgl. 2017,
S.8), lagen frühere Berechnungen zwischen 450 Mrd. und 669
Mrd. Euro. Selbst innerhalb der Studie widersprechen sich die
Zahlenangaben. So werden einmal 524 Mrd. Euro für das Jahr
2045 angegeben (vgl. 2017, S.4), dann wieder 515 Mrd. Euro
(vgl. 2017, S.8). Allein diese Vergleichszahlen zeigen, dass
die Berechnung von Gewinnern und Verlierern eine gewisse
Willkür der jeweiligen Annahmen unterliegt.
SCHWENN,
Kerstin (2017): Was, wenn die Babyboomer in Rente gehen.
Höheres Rentenniveau, Mindest- und
Garantierente, aber keinesfalls Rente mit 70: Das sind die Konzepte
der Parteien für die Altersvorsorge,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 16.09.
Kerstin SCHWENN jammert uns
die Ohren voll, weil Angela MERKEL der Rente mit 70 eine
Absage erteilt hat. Deswegen kann nun nach Meinung von SCHWENN
die Rentenkommission nicht mit den neoliberalen Ökonomen von
Axel BÖRSCH-SUPAN über Lars FELD, Marcel FRATZSCHER, Michael
HÜTHER und Bernd RAFFELHÜSCHEN bis zu Reinhold SCHNABEL
besetzt werden. Das aber wäre nicht schlimm, denn dann kämen
vielleicht endlich einmal renommierte Rentenexperten wie z.B.
Gerhard BÄCKER zum Zuge. Bert RÜRUP, Architekt der Agenda
2010, zählt SCHWENN dagegen nicht zu jenen, die die Rente mit
70 unbedingt schnell umsetzen wollen.
Besonders schlimm findet
SCHWENN die gute Finanzlage, weshalb der Druck zu schnellen
Reformen fehle. Man kann das auch anders sehen, nämlich, dass
die Prognosen allzu pessimistisch waren und der demografische
Wandel nicht jene Wucht hat wie Neoliberale das jahrzehntelang
beschwört haben. Dafür spricht die dämliche Rede von einem
"demografischen Zwischenhoch", das verdecken soll, dass die
Demografen mit ihren Bevölkerungsvorausberechnungen voll
daneben lagen. Es wird endlich Zeit die Vorherrschaft der
Symbiose von nationalkonservativen Bevölkerungsdemagogen und
neoliberalen Panikmachern zu brechen, damit der demografische
Wandel endlich seriös und unvoreingenommen betrachtet werden
kann. Stattdessen schwadronieren SCHWENN & Co. über fiktive
Generationenlasten in Jahrzehnten als ob die Zukunft nicht
offen wäre.
Fazit: Der Artikel bringt
keine neuen Fakten, sondern betet schlicht das übliche
neoliberale Mantra herunter als ob sich in den letzten Jahren
nicht eine Fehlprognose an die andere Fehlprognose gereiht
hätte. Einsichtsfähigkeit? Fehlanzeige!
ÖCHSNER, Thomas (2017): Sieben gute und
sieben schlechte Jahre.
Wie geht's der gesetzlichen
Rente? Die Bundesregierung wagt in einem Bericht den Blick in
die Zukunft. Danach wird das Altersgeld um durchschnittlich gut
zwei Prozent steigen. Doch von 2024 an geht es mit den Beiträgen
abrupt abwärts,
in:
Süddeutsche Zeitung v.
22.11.
SOZIALBEIRAT (2017): Gutachten zum Rentenversicherungsbericht
2017,
in:
sozialbeirat.de v.
29.11.
Das Gutachten des
Sozialbeirats übt keine Kritik an den Annahmen zur
Bevölkerungsentwicklung. Er verdoppelt lediglich die
BMAS-Annahmen. Es müsste eigentlich erstaunen, dass lediglich
auf den Altenquotient auf Basis der 65-Jährigen, statt der
67-Jährigen verwiesen wird:
"Der Sozialbeirat hält
die genannten Annahmen grundsätzlich für nachvollziehbar und
plausibel. Im Ergebnis steigt der Altenquotient (hier
definiert als das Verhältnis der Anzahl der 65-Jährigen und
Älteren zur Anzahl der Jüngeren im Alter von 20 bis 64
Jahren) in den Vorausberechnungen etwas langsamer als
bislang und fällt im Jahr 2031 mit 49,0 Prozent um 1,2
Prozentpunkte niedriger als in der ursprünglichen Schätzung
der Basis des Jahres 2013 aus." (S.3)
Bekanntlich liegt das
Renteneintrittsalter ab 2030 bei 67 Jahren, d.h. das Gutachten
zum
Rentenversicherungsbericht 2017 rechnet die Entwicklung
schlecht. Im Rentenversicherungsbericht selber wird dagegen
gar nicht auf den Altenquotienten eingegangen, denn dieser ist
keineswegs die relevante Größe für die zukünftige
Rentenentwicklung.
Lediglich bei den Annahmen
zur Rendite der Riester-Rente wird eine weitere Variante zur
Zinsentwicklung und eine Evaluation der Entwicklung angemahnt.
Der Sozialbeirat wurde im Vorfeld der Teilprivatisierung
Anfang des Jahrtausends zu einem zahnlosen Tiger
zurechtgestutzt wie bei Diana WEHLAU ("Lobbyismus und
Rentenreform") nachgelesen werden kann.
SIEMS, Dorothea (2017): Für
Senioren lohnt sich Arbeit zu wenig.
OECD-Studie: Die Flexirente
ist nicht hilfreich. Anreize für längere Erwerbstätigkeit sind
nötig,
in:
Welt v. 06.12.
Die Neoliberale Dorothea
SIEMS bringt nur die Interessen von Wirtschaft und
Besserverdienenden zur Sprache. Altersarmut ist kein Thema.
Die drei Grafiken sind mit Rapide Alterung, Rente
wird immer teurer und Wie viel das Arbeiten im
Rentenalter bringt überschrieben, was bereits die
angeblichen Probleme der deutschen Alterssicherung suggerieren
soll.
Die Grafik Rapide Alterung
nennt als Quelle die OECD. Der OECD-Report
Pensions at a Glance 2017 wiederum verweist auf die UN
und die
World Population Prospects Revision 2017. Angegeben
wird nicht etwa der Altenquotient für 67-Jährige und Ältere,
was für 2050 der gegenwärtig gültige Rahmen wäre, sondern nur
für 65-Jährige und Ältere. In der Grafik werden nur 10 der 35
OECD-Länder dargestellt. Aus der folgenden Tabelle sind die 10
OECD-Länder mit dem höchsten Altersquotienten im Jahr 2050
ersichtlich (vgl.
OECD-Bericht 2017, S.123):
Rang |
Land |
Welt-Grafik |
Altenquotient
im Jahr 2050 |
1 |
Japan |
vorhanden |
77,8 |
2 |
Spanien |
vorhanden |
77,5 |
3 |
Griechenland |
fehlt |
73,4 |
4 |
Portugal |
fehlt |
73,2 |
5 |
Italien |
vorhanden |
72,4 |
5 |
Südkorea |
vorhanden |
72,4 |
7 |
Slowenien |
fehlt |
66,8 |
8 |
Polen |
fehlt |
60,8 |
9 |
Österreich |
fehlt |
59,4 |
10 |
Deutschland |
vorhanden |
59,2 |
Neun OECD-Länder altern
schneller als Deutschland bei dieser
UN-Bevölkerungsvorausberechnung. Entscheidend für die Alterung
im Jahr 2050 sind die Annahmen für die Geburtenentwicklung.
Die UN ist für Deutschland von folgenden Annahmen ausgegangen
(vgl.
UN 2017, S.327):
Deutschland |
Geburtenrate (TFR) |
2015
- 2020 |
1,47 |
2025
- 2030 |
1,54 |
2045
- 2050 |
1,63 |
Diese Annahmen bleiben
hinter der tatsächlichen Geburtenrate zurück. Die
Kinderzahl des Frauenjahrgangs 1973
lag in Deutschland bereits 2014, also im Alter von 41 Jahren
bei 1,54. Sollten die Geburten bis zum Ende der Gebärfähigkeit
noch genauso hoch sein wie die Frauenjahrgänge der letzten
Jahre, dann wird die endgültige Kinderzahl mindestens bei 1,57
liegen und könnte sogar 1,6 erreichen, wenn der gegenwärtige
Trend zu mehr Geburten in immer höheren Lebensaltern weiter
anhält. Aufgrund der Fehlanreize des
Elterngeldes hat
sich der Anstieg noch weiter verstärkt. Im Jahr 2006 lag der
Höhepunkt der Fruchtbarkeit
noch im Alter von 29 Jahren (Frauenjahrgang 1975), im Jahr
2007 als das Elterngeld eingeführt wurde, sprang der Höhepunkt
der Fruchtbarkeit auf das Alter von 31 Jahren (Frauenjahrgang
1976). Bei den Frauenjahrgängen 1977 - 1980 verharrte er auf
diesem Level. Für die jüngeren Frauenjahrgänge deutet sich ein
weiterer Anstieg an.
2018
BÖNKE, Timm/KEMPTNER, Daniel/LÜTHEN, Holger (2018): Wege zur
Stabilisierung des Rentensystems: Abschläge auf die Frührente sind
besser als Nullrunden,
in:
DIW-Wochenbericht Nr.8 v. 21.02.
Unter Marcel FRATSCHER ist
das DIW wieder stärker zum Hort des Neoliberalismus geworden.
Insbesondere auf dem Feld der Rentenpolitik nimmt die
Demografisierung gesellschaftlicher Probleme und die
Dramatisierung der kommenden Entwicklung ideologische Züge an.
"Eine Maßzahl für diese
Entwicklung ist der Altenquotient, der den
Bevölkerungsanteil der über 65-Jährigen ins Verhältnis zu
den erwerbsfähigen 20- bis 64-Jährigen setzt (...). Für
Deutschland dokumentiert die OECD eine Verdopplung von 16,2
Prozent im Jahr 1950 auf 34,8 Prozent im Jahr 2015 und
prognostiziert einen weiteren Anstieg auf circa 60 Prozent
bis zum Jahr 2050"
(2018, S.126),
erklären uns BÖNKE/KEMPTNER/LÜTHEN.
Das mag auf den ersten Blick erschreckend sein, weil ein
Maßstab zur Einordnung dieser Zahlen fehlt. Die Autoren
verweisen bei ihren Zahlen auf den OECD-Bericht
Pensions at a glance 2017. Auf Seite 123 befinden sich
Zahlen für andere OECD-Länder und deren Anstieg des
Altenquotienten, der aus der folgenden Tabelle ersichtlich
ist:
Land |
1950 |
2015 |
2050 |
Deutschland |
16,2 % |
34,8 % |
59,2 % |
Italien |
14,3 % |
37,8 % |
72,4 % |
Griechenland |
12,3 % |
33,0 % |
73,4 % |
Spanien |
12,8 % |
30,6 % |
77,5 % |
Japan |
9,9 % |
46,2 % |
77,8 % |
Es zeigt sich, dass andere
europäische Länder und Japan viel schneller altern als
Deutschland, wobei die Zahlen für 2050 sowieso
Kaffeesatzleserei sind. Während sich die Alterung in Japan
gegenüber 1950 bis 2050 fast verachtfachen soll, sind es in
Deutschland noch nicht einmal vier mal so viel. In Japan
vollzog sich dieser Anstieg um das Vierfache bereits zwischen
1950 und 2015. In Japan müssten sich die Rentenprobleme also
längst gezeigt haben, die Deutschland erst 2050 drohen sollen.
Neoliberale blicken dagegen auf Japan und wollen uns erzählen,
dass erst das Japan der Zukunft mit unseren heutigen Problemen
identisch sei. Das aber entspricht nicht der Faktenlage.
Außer dem Hinweis auf den
Anstieg des Altenquotienten bleibt der Artikel jeden Beleg für
ein Finanzierungsproblem schuldig. Der Hinweis auf die
"Babyboomer-Generation" genügt mittlerweile, um ein
Finanzierungsproblem zu behaupten. Auf dieser Webseite wird
dies als
Demografisierung gesellschaftlicher Probleme kritisiert.
Dahinter steht die Ideologie, dass die Frage der Problematik
gar nicht mehr erörtert werden muss, weil die zukünftige
demografische Entwicklung angeblich vorprogrammiert ist. Weder
die These von der Vorprogrammierung, noch die Tatsache, dass
die weitere Finanzierung der Renten von nicht-demografischen
Faktoren wesentlich stärker beeinflusst wird, wird noch breit
diskutiert. Dies wird auf dieser Website als das eigentliche
Problem betrachtet.
SIEMS,
Dorothea (2018): Geschenke für fünf Billionen.
SPD und Union treiben die versteckte Verschuldung in die Höhe.
Finanzexperten fordern stattdessen die Rente mit 70,
in: Welt v. 20.06.
Dorothea SIEMS betreibt heute
Gegenaufklärung im Namen der neoliberalen Lobbyorganisation
Stiftung Marktwirtschaft. Die Nennung großer Summen soll uns
einschüchtern und mithelfen den Sozialstaat weiter abzubauen.
Seriöse Berichterstattung würde den Zeitraum nennen, in dem
die fiktiven Verschuldungssummen fällig würden. Das aber
unterlässt SIEMS. Der Leser hat dadurch keinerlei Möglichkeit
die Bewertung des Artikels nachzuprüfen, sondern ist auf die
Gottheit SIEMS als Interpretationsinstanz zurückgeworfen.
Zudem soll Prominenz für die Güte der Aussagen herhalten. Die
Marke RAFFELHÜSCHEN steht für den Versuch mithilfe von
Generationenbilanzen, also fiktiven Summen zu nur unter ganz
bestimmten Annahmen fälligen Zahlungen, den Sozialabbau
unhinterfragbar zu machen.
Nimmt man sich die
Originale vor, dann wird zum einen deutlich, dass die
implizite Staatsverschuldung um 0,5 Billionen Euro von 2017
bis 2018 gesunken ist, was SIEMS verschweigt, weil es ihr
nicht ins Konzept passt. Auch auf der Website werden die
Zeiträume nicht explizit genannt. Die Bevölkerungsentwicklung
wird jedoch bis 2086, also über einen Zeitraum von 70 Jahren,
aufgeführt. Nimmt man an, dass auch die Zahlen zur impliziten
Staatsverschuldung für diesen sehr langen Zeitraum berechnet
wurden, dann schmelzen die bislang als gigantisch
wahrgenommenen Zahlen plötzlich auf normale Dimensionen
zusammen. Ein Anstieg der Rentenausgaben auf 173 % gerät dann
z.B. zu einem jährlichen Anstieg von nicht einmal 2,5 %. Bei
einer Produktivitätssteigerung von 2,5 % pro Jahr ergäbe sich
sogar keinerlei Mehrbelastung!
Fazit: Wer die Zeiträume
verschweigt, die bei Berechnungen angenommen werden, der will
nicht aufklären, sondern verdummen!
SCHWENN, Kerstin
(2018): Arbeitgeber: Rentenpläne "teuer, ungerecht,
kurzsichtig".
Scharfe Kritik an Heils
Paket. IWH-Studie: Steuerzuschuss erreicht 160 Milliarden Euro
im Jahr 2030,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 26.07.
Seit der Vorstellung des
RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetzes
bedankt sich die Arbeitgeberlobby mit ganzseitigen Anzeigen
für die Loyalität der neoliberalen Mainstreampresse, die durch
Anzeigenschwund auf solche Zuwendungen besonders angewiesen
ist. Es wundert also kaum, dass SCHWENN einen völlig
einseitigen Bericht liefert, bei dem sich die
Arbeitgeberlobbyisten BDA und INSM - kaum verwunderlich
ergänzen. Während die BDA eine Stellungnahme zum
Gesetzesentwurf mit den üblichen Argumenten abgegeben hat,
lässt sie sich von ein
INSM-Auftragsstudie ihre Sicht bestätigen. Diesmal wurde
das IWH gesponsert.
Während üblicherweise
Neoliberale behaupten, dass ihnen die Erwerbsminderungsrentner
besonders am Herzen liegen, weil hier Verbesserungen einer
Gruppe zukommen, die besondere Armutsrisiken ausgesetzt sind,
werden sie schnell zu Gegnern solcher Maßnahmen, wenn es Ernst
wird:
"Auch mit den
Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentner schieße der
Gesetzgeber über das vertretbare Maß hinaus, weil diese
danach künftig bei sonst gleicher Versicherungsbiographie
deutlich höhere Renten als Altersrentner erhielten".
Das Argument ist natürlich
pure Augenwischerei, weil auch die Verbesserungen bei der
Erwerbsminderungsrente bei den vorangegangenen Reformen mit
dem gleichen Argument hätten abgelehnt werden müssen! Meist
werden Verbesserungen aber damit abgelehnt, dass Missbrauch
unterstellt wird. Die Art der Argumentation des IWH ist nur
etwas subtiler - kommt aber auf dasselbe hinaus.
Das IWH-Gutachten arbeitet
mit völlig veralteten EUROSTAT-Daten aus dem Jahr 2017,
obgleich die Variante 2A von DESTATIS zur Verfügung gestanden
hätte. Aber offensichtlich war den Wissenschaftlern selbst
diese relativ pessimistische Bevölkerungsvorausberechnung zu
optimistisch. Es wird auch nicht mit realitätsnahen Zahlen
gearbeitet, sondern mit realitätsfernen Altersquotienten.
Schließlich soll die Entwicklung der Rentenausgaben möglichst
hoch sein, um den Interessen der Arbeitgeberlobby zu
entsprechen, denn schließlich möchte man das nächste Mal auch
wieder beauftragt werden!
SCHWENN, Kerstin
(2018):
Die Mütterrenten treffen
Steuerzahler immer härter.
Die Beiträge für die
Kindererziehungszeiten steigen in Milliardenschritten. 2019 muss
der Bundesfinanzminister schon 15,4 Milliarden Euro an die
Rentenkasse überweisen. Gleichzeitig kommen immer mehr Babys in
Deutschland auf die Welt,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 16.08.
In den Nuller Jahren
erklärte uns der neoliberale Meanstreamjournalismus, dass ohne
einen Geburtenanstieg die Sozialsysteme vor dem Kollaps
stehen. Nun, da der Geburtenanstieg da ist, erscheint er als
großes Übel.
Seit 2014 die Mütterrente
für Kinder, die vor 1992 geboren wurde, in Kraft trat, hetzen
Neoliberale gegen solche Leistungsverbesserungen für Mütter.
Nun haben Neoliberale entdeckt, dass auch die Anrechnung von
Kindererziehungszeiten bei Müttern, der Kinder 1992 und später
geboren wurden, unser Sozialsystem ruiniert!
"Die Zahl der
Neugeborenen stieg zwischen 2011 und 2016 um insgesamt 20
Prozent",
hat Kerstin SCHWENN
plötzlich entdeckt! Deutschland hat den Geburtenanstieg
verschlafen, weil den Mainstreammedien die
interessengeleiteten Bevölkerungsvorausberechnungen gut
ins Sozialabbaukonzept passten. Die Amtsstatistiker leugneten
bis vor kurzem, dass nicht nur die Anfang der 1970er Jahre
geborenen Frauen mehr Kinder bekommen. Immer noch pochen sie
darauf, dass der Geburtenanstieg einfach ausgesessen werden
kann. Das kaputt gesparte Erziehungs- und Schulsystem soll
deshalb mittels kurzsichtigen Maßnahmen auf einen kurzzeitigen
Geburtenberg reagieren. Dieser ist angeblich 2025 wieder
abgebaut. Dies könnte klappen, weil verärgerte Frauen dann
einfach wieder weniger Kinder bekommen - dank neoliberaler
Politik.
Nun wird es ganz perfide:
Nachdem FAZ & Co. in den Nuller Jahren Deutschland am
Abgrund sahen, weil zu wenig Kinder geboren wurden, kommt nun
die Kehrtwende: Deutschland steht am Abgrund, weil zu viele
Kinder geboren werden. Und wer ist schuld? Der Anstieg der
Löhne und die damit verbundene Kopplung der Bewertung von
Erziehungszeiten:
"Im Jahr 2000, dem ersten
vollen Jahr der Übernahme der »Mütterrente«, kostete dies
den Bund knapp 11,5 Milliarden Euro. (...). 2014 lag er bei
11,8 Milliarden. Euro. Von 2015 an aber sind Kostensprünge
zu beobachten (...) bis auf 15,4 Milliarden im nächsten
Jahr.
Eine Ursache dafür ist der Anstieg der Löhne in Deutschland,
an dem die Entwicklung der Erziehungsbeiträge des Bundes
anknüpft."
Anders formuliert: Die
Kopplung ans Rentenniveau wird uns als Übel beschrieben. Die
Stabilisierung des Rentenniveaus ist Neoliberalen ein Dorn im
Auge. Weshalb also das Rentenniveau nicht abschaffen?
Neoliberale wollen einen neuen Indikator einführen. Damit soll
die Alterarmutsdebatte entschärft werden. Erste Schritte
wurden bereits - ohne dass ein Aufschrei erfolgte - umgesetzt,
wie der
Beitrag von Johannes STEFFEN zeigt. Die nun ins Visier
genommenen Anrechungsmodalitäten für Kindererziehungszeiten
sind ein weiterer Schritt, um den Indikator bzw. die
Stellschraube Rentenniveau zu diffamieren. Man kann sicher
sein, dass alle Bemühungen der Neoliberalen auf das Ziel
hinauslaufen, unerwünschte Debatten zu verhindern und
geräuscharme Wege zu eröffnen, um weiteren Abbau der
Sozialleistungen vorzubereiten.
Am 22. August soll gemäß
SCHWENN das Rentenpaket vom Bundestag beschlossen werden.
FRIESER,
Michael (2018): Auf Kosten der künftigen Generationen?
Die Gegenwart: Der
demographische Wandel ist keine Floskel. Die Alterung der
Bevölkerung wirkt sich auf viele Bereiche von Gesellschaft und
Staat aus. Das ist jedoch kein Grund zu verzagen. Denn wer stets
nur negative Szenarien darstellt, der gestaltet nicht die
Zukunft. Ergreifen wir die Chancen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 03.09.
STOCKER, Frank
(2018): Wachstum trotz alternder Gesellschaft.
Obwohl der demografische
Wandel fortschreitet, kann der Wohlstand steigen - wenn
Regierung und Industrie vorsorgen,
in:
Welt v. 12.09.
"Daron
Acemoglu und Pascal Restrepo vom National Bureau of
Economic Research in den USA (...) stellten das Wachstum der
Volkswirtschaften zwischen 1990 und 2015 der jeweiligen
demografischen Entwicklung gegenüber.
Dabei erkannten sie erstaunt, dass es »entgegen einer ganzen
Reihe von Theorien, inklusive jener einer demografisch
bedingten säkularen Stagnation, keine negative Beziehung
zwischen der Alterung der Bevölkerung und einem langsameren
Pro-Kopf-Wachstum gibt«",
erzählt uns Frank STOCKER,
der den Ersatz der Ungeborenen durch Roboterisierung und
andere technologische Innovationen als Erklärung anbietet.
Möglicherweise liegt es aber an der mangelnden Erklärungskraft
der Demografie selber, die uns von Journalisten wie STOCKER
nahe gelegt wird:
"Der Jahrgang 1964
umfasst beispielsweise 1,4 Millionen Personen, die in rund
zwölf Jahren das Rentenalter erreichen. Der Jahrgang 2010,
dessen Angehörige dann 20 Jahre alt sind, umfasst jedoch
gerade mal halb so viele Menschen. Es fehlen 700.000
potenzielle Arbeitnehmer".
Das könnte man auch als
Demographismus bezeichnen, denn Jahrgänge verändern ihre
Größen durch Wanderungs- und Sterbeprozesse. Das kann man
anhand der aktualisierten Bevölkerungsvorausberechnung
ersehen. Der Geburtsjahrgang 1964 wurde im Jahr 2015 51 Jahre
alt und umfassten damals rund 1,401 Millionen Menschen. Zwölf
Jahre später werden sie 63 Jahre alt und umfassen nur noch
1,333 Millionen Menschen. Der Jahrgang 2010 wurde dagegen 2015
5 Jahre alt und umfasste rund 699.000 Menschen. 2027 werden es
jedoch voraussichtlich bereits 759.000 Menschen sein.
Fazit: Der
Verweis auf die Ungeborenen, der dem nationalkonservativen
Gedankengut zu eigen ist, vernachlässigt sowohl
Wanderungs- als auch Sterbeprozesse, die in den üblichen
Berechnungen der angeblich zukünftig fehlenden Fachkräfte
vernachlässigt werden. Die Berechnungen, die mit
Geburtsjahrängen argumentieren, verzerren unseriöserweise die
wirklichen demografischen Gegebenheiten, die in einem Land zu
einem ganz bestimmten Zeitpunkt herrschen.
SCHWENN, Kerstin & Dietrich CREUTZBURG
(2018): Koalition lässt Beitragssenkung ausfallen.
Der Rentenbeitrag kann auf
18,2 Prozent sinken - doch das Rentenpaket verhindert diese
Entlastung,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 07.11.
SCHWENN, Kerstin (2018): Rentenkassen sind
prall gefüllt.
Finanzpolster von 38
Milliarden Euro wird bald aufgezehrt,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 08.11.