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Debatte

 
       
   

Wahlanalyse: Landtagswahl in Sachsen 2019

 
       
   

War der Sieg der CDU in Sachsen ein Erfolg oder ein Pyrrhussieg der kosmopolitischen Milieus?

 
       
     
       
   
     
 

Einführung

Der Landtagswahlkampf der CDU begann bereits nach der Bundestagswahl 2017, als der amtierende Ministerpräsident Michael KRETSCHMER zum Nachfolger von Stanislaw TILLICH ausgerufen wurde. Die Schlagzeilen lauteten Plötzlich Ministerpräsident (Handelsblatt 19.10.2017), Sächsischer Befreiungsschlag (FAZ 19.10.2017). Der Spiegel bezeichnete dies als Betriebsunfall:

Der Betriebsunfall

"Kretschmer steht für die Niederlage der heimischen CDU bei der Bundestagwahl. Auch weil er als Generalsekretär seiner Partei die Kampagne maßgeblich gesteuert hat. Nach verlorenen Wahlen sind für gewöhnlich die Generalsekretäre die Ersten, die ihren Kopf hinhalten müssen. (...). Doch nun wird der große Wahlverlierer befördert.
Nach Lage der Dinge gab es nur einen Mann, der Tillichs Wunschnachfolger hätte verhindern können: Bundesminister Thomas de Maizière"
. (Andreas Wassermann & Steffen Winter im Spiegel v. 21.10.2017)

Die taz bezeichnete den Vorgang als Turbokarriere:

Fleisch vom Fleische der Sachsen-CDU

"Nun soll (...) mit Kretschmer jemand die Dresdner Staatskanzlei übernehmen, der nicht einmal ein politisches Mandat hat. Ein Amt hat er zwar - seit 2005 ist er Generalsekretär der sächsischen CDU, aber im Landtag saß er nie. Stattdessen ab 2002 im Bundestag, das dürfte man getrost eine Turbokarriere nennen. (...).
Bei der Bundestagswahl holte ein No-Name von der AfD seinen Görlitzer Wahlkreis".
 (Anja Maier, taz v. 20.10.2017)

Was war bei der Bundestagswahl in Sachsen am 24. September 2017 geschehen? Die CDU wurde hauchdünn bei den Zweitstimmen von der AfD überholt und lag mit 26,9 % hinter der stärksten Partei, die auf 27,0 % der Stimmen kam. Michael KRETSCHMER, der damalige sächsische Generalsekretär der CDU, wurde in seinem Wahlkreis 157 Görlitz vom AfD-Direktkandidaten vernichtend geschlagen. KRETSCHMER verlor 18,2 % seiner Erststimmen gegenüber der Bundestagswahl 2013 und kam nur noch auf 31,4 %. Sein AfD-Kontrahent dagegen kam aus dem Stand heraus auf 32,4 %. Die AfD konnte sogar die Wahlkreise 156 Bautzen I und 158 Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gewinnen. So etwas gelang außer der CDU nur noch der Linkspartei, die im Wahlkreis 153 Leipzig II erfolgreich war. Von den 16 sächsischen Wahlkreisen, die 2013 noch alle die CDU - teils sogar mit absoluter Mehrheit - gewonnen hatte, gingen nun 4 verloren. Das war eine ziemliche Schmach für die lange Zeit absolutistisch regierende CDU. Noch größer war die Schmach für den damaligen Innenminister Thomas de MAIZIÈRE, der nur auf 36,7 % der Erststimmen kam. Das war weniger als die AfD-Direktkandidatin Frauke PETRY, die mit 37,4 % gewann. 2013 hatte de MAIZIÈRE im Wahlkreis 155 Meißen noch mit der absoluten Mehrheit von 53,6 % gewonnen. Es ist also kein Wunder, dass der Innenminister sich vor dem Amt eines Ministerpräsidenten drückte.

Die Stärkung des ländlichen Raums als neue Chefsache

Angesichts der CDU-Schmach bei der Bundestagswahl 2017 war Michael KRETSCHMER zum Erfolg verdammt. Stefan LOCKE feierte ihn in der FAZ als jüngsten Ministerpräsidenten. Eines der Hauptprobleme der Leuchtturm-CDU, deren neoliberales Motto "Die Starken stärken" hieß, ist die Schulpolitik:

Der Bauch hat das Wort

"1000 Schulen hat Sachsen seit 1990 wegen des Geburtenknicks geschlossen und dann den Zug verpasst, als ab 2010 die Kinderzahlen wieder stiegen. Seit einem Jahr will die Regierung gegensteuern".
 (Bernhard Honnigfort, Frankfurter Rundschau v. 13.11.2017)

Dem neoliberalen Zeitgeist, dessen Musterknabe Sachsen war, ist es geschuldet, dass die Infrastruktur zurückgebaut und am Personal gespart wurde. Sachsen ist vom Lehrermangel besonders stark betroffen, aber das Thema konnte - wie viele andere - vom linksliberalen Mainstream nicht wirklich kritisiert werden, denn oberstes Gebot war das Anti-AfD-Bündnis, dessen Kosten erst in den nächsten Jahren wirklich sichtbar werden wird.

Seit der Niederlage bei der Bundestagswahl, wurde zudem die Stärkung des ländlichen Raums zur CDU-Chefsache erklärt. Drohende Massenentlassungen stellten deshalb einerseits eine Gefahr da, boten andererseits aber auch Möglichkeiten zur Profilierung. Der Fall Siemens stand deshalb im Mittelpunkt des medialen Interesses. Stefan LOCKE schreibt in der FAZ zu geplanten Entlassungen in der ostsächsischen Grenzstadt Görlitz:

Machtlos gegen den Umbruch

"In Görlitz geht es um 950 Arbeitsplätze (...). (E)s ist das größte Siemens-Werk im Osten und zugleich so etwas wie eine Lebensversicherung für Deutschlands östlichste Stadt. Die Dimension der Entscheidung verdeutlicht eine simple Rechnung der IG Metall. Sollte das Werk schließen, stiege die Arbeitslosigkeit in der Stadt von zwölf auf 24 Prozent. Görlitz hatte nach 1990 bereits eine Welle der Deindustrialisierung hinter sich".
(FAZ v. 18.11.2017)

Ob es nun um die "Abgehängten", um "abgehängte Regionen" oder "bedrohte Regionen" ging, war Gegenstand weitschweifiger Mainstream-Debatten. Das änderte aber nichts daran, dass es in jedem Fall um die Stärkung des ländlichen Raums gehen sollte. Damit sollte ein weiterer Erfolg der AfD verhindert werden, deren Stärke insbesondere den deindustrialisierten Gebieten in Ostdeutschland zugeschrieben wurde. Nach der Bundestagswahl schwärmten die kosmopolitischen Reporter der Mainstreammedien aus, um sich dort auf die Suche nach den Gründen für den AfD-Erfolg zu machen. Die sächsischen AfD-Hochburgen waren insbesondere jene, in denen die AfD-Kandidaten ein Direktmandat gewannen.

Typisch für die Faktenhuberei der Medien war der Versuch, die Erfolge bzw. Misserfolge der AfD mit einzelnen "neoliberalen Kennzahlen" zu belegen oder zu widerlegen. Beispielhaft dafür war der Artikel Zukunftsangst wählt rechts von Stephan KAUFMANN. Auf Länderebene wollte KAUFMANN mittels Arbeitslosenquoten und Armutsquote einen Zusammenhang mit dem AfD-Zweitstimmenniveau bei der Bundestagswahl 2017 herstellen, weil dies offensichtlich nicht zusammenpasste, heißt es deshalb:

Zukunftsangst wählt rechts

"Wie Menschen wählen, hängt nur zu einem Teil von ihrer objektiven wirtschaftlichen Lage ab. Wichtig ist, wie sie ihre Lage subjektiv bewerten und ob sie eher pessimistisch in die Zukunft sehen. Und schließlich zählt, welche Ursachen sie für ihre Lage sehen und welchen Schluss sie daraus ziehen - ob sie beispielsweise ihr Gerechtigkeitsgefühl eher mit einer Vermögensteuer oder einer Zuwanderungsobergrenze befriedigt sehen.".
(Frankfurter Rundschau v. 02.10.2017)

Die "objektive Lage", das ist der einzige Maßstabe, den unsere kosmopolitischen Eliten gelten lassen. Davon wird die "gefühlte Lage" derjenigen unterschieden, die die falsche Partei wählen, denn die Nichtwähler sind unseren Eliten gleichgültig. Nichtwähler gefährden ihre Macht nicht. In dem Maße jedoch wie die Nichtwähler zur AfD überlaufen, ist das unseren Eliten nicht mehr gleichgültig. Daraus lässt sich ein Lernziel ermitteln: Die AfD ist derzeit die einzige Partei, die Ohnmachtgefühle in Selbstwirksamkeit umwandeln kann, das ist die große Attraktivität dieser Partei für die so genannten "Protestwähler", die mit den etablierten Parteien - aus unterschiedlichen Gründen - abrechnen wollen.

Der linksliberale Mainstream als notwendige Stütze des beliebten, aber schwachen CDU-Ministerpräsidenten

Michael KRETSCHMER ist auf das Wohlwollen im linksliberalen Mainstream angewiesen, wenn eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen werden soll. Zu diesem zählt sich auch die Linkspartei, wenngleich sie von der CDU wenig gelitten ist. Ihre Parteizeitung Neues Deutschland lobt KRETSCHMER, weil er die "landestypischen" Probleme anzugehen verspricht:

Der humpelnde Freistaat

"Kretschmer (...) sieht (...) eine »sächsische Komponente«: eine eklatante Unzufriedenheit mit der Landespolitik in Fragen von Schule und innerer Sicherheit, aber auch wegen der Vernachlässigung des ländlichen Raumes."
(Hendrik Lasch, Neues Deutschland v. 02.10.2017)

KRETSCHMER erhält von den kosmopolitischen Medien einen Vertrauensvorschuss. Nach der Ernennung zum Ministerpräsidenten am 13. Dezember 2017 spricht die FAZ vom Menetekel Sachsen und dass KRETSCHMER schaffen muss, was kaum zu schaffen ist. Drei Monate später titelt die FAZ: Kretschmer rennt. Peter CARSTENS zählt in dem Artikel die Defizite auf, die zu beseitigen sind:

Kretschmer rennt

"Lange rühmte sich die Landespolitik, mit billigsten, nur angestellten Lehrern die besten Ergebnisse zu erzielen. Doch immer mehr junge Pädagogen machen da nicht mehr mit. Inzwischen wandert die Hälfte der sächsischen Absolventen in Bundesländer ab, wo sie verbeamtet werden. Hunderte Leerstellen in den Klassenzimmern werden mit Quereinsteigern und Aushilfen gefüllt. In diesem Jahr sind es sechzig Prozent der Neulehrer (...) Darüber wuchs über Jahre eine Riesen-Elternwut im ganzen Land. (...). Bald werden auch Sachsens Lehrer verbeamtet.
(...).
(W)as nützt es, wenn in Leipzig die Künstlerkolonien blühen, in Dresden die Beamtenschaft flaniert und in Chemnitz der Maschinenbau wieder floriert, solange in kleineren Städten wie Bautzen, Görlitz, Plauen oder Zwickau die Leute wegziehen, die Bahnverbindungen abreißen und drumherum in den Kleinstädten und Gemeinden, die Postämter schließen oder die freiwillige Feuerwehr eingeht? Denn dort wohnt die Mehrheit der Sachsen."
(FAZ v. 04.03.2018)

Die neue "Dialog"-Kultur von KRETSCHMER wird vom Wohlwollen des linksliberalen Mainstreams begleitet. Anne HÄHNIG zeichnet in der ZEIT ein wohlwollendes Porträt des "Zuhörers" KRETSCHMER ("Kampf gegen die Wut", 22.03.2018). Doch KRETSCHMER muss sich nicht nur beim linksliberalen Mainstream beliebt machen, sondern will auch diejenigen wieder zurückholen, die zur AfD abgewandert sind. So titelt etwa die SZ: Debakel mit Hut (24.08.2018). Nach den Vorfällen in Chemnitz schreibt die FAZ dann: "Er macht viele Fehler, aber er verdient dennoch Unterstützung. Denn Sachsen sollte nicht aufgegeben werden" (Peter CARSTENS, 29.08.2018). Die Zeitung Neues Deutschland sieht ein Auseinandertrifften zwischen der Ministerpräsidentenbeliebtheit und der Partei:

Und immer noch ein Magenschwinger

"Kretschmer (versucht sich) in schonungsloser Analyse von Fehlern. Von denen muss sich die CDU etliche ankreiden lassen: den dramatischen Lehrermangel in den Schulen, der ebenso der Preis für eine rigiden Sparkurs war wie die personell ausgedünnte Polizei. Im Freistaat, der sich gern als ostdeutsches Musterland feiert, gibt es viele Dörfer, in denen Ärzte, Busse und schnelles Internet fehlen. (...). Kretschmer (...) weiß, dass die Zeit gegen ihn läuft: Landtagswahl ist in einem Jahr, das 1,7 Milliarden Euro schwere Lehrerpaket greift frühestens in drei Jahren. (...). Seine Partei (...) profitiert nicht davon, dass er mit dem Füllhorn über Land zieht: Sie rutschte in Umfragen auf inzwischen nur noch 30 Prozent ab. Die AfD liegt derweil nur noch fünf Prozentpunkte zurück, zudem wird nicht ausgeschlossen, dass sie viele Wahlkreise gewinnt - gerade in Ostsachsen, wo auch der Regierungschef sich um ein Landtagsmandat bewirbt. Es drohen viele weitere Magenschwinger".
(Hendrik Lasch, Neues Deutschland v. 31.08.2018)

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung geht sogar noch weiter. Christine KEILHOLZ sieht die CDU-Parteibasis bereits erodiert und erklärt damit die Milde mit dem rechten Rand:

Auf tönernen Füßen

"Seine Sachsen-CDU ist zu weiten Teilen gar keine CDU, sie besteht in großen Teilen aus einer Phalanx von parteilosen Mandatsträgern, die für die CDU in Stadt- und Gemeinderäten sitzen. (...). Mehr als die Hälfte der CDU-Mandatsträger sind nicht in der CDU: 3835 Abgeordnete stellt die Partei in Kommunen und Kreisen - aber 2108 von ihnen gehören der Union nicht an. (...). Das bedeutet: die CDU hat nicht genug Kraft, AfD-Sympathisanten zur Ruhe zu bringen - und sie hat nicht den Mut, sie aus der Partei von Kurt Biedenkopf hinauszuwerfen.
Nur vor diesem Hintergrund lässt sich verstehen, warum Michael Kretschmer im eigenen Land als strammer Konservativer auftritt. Er würde sonst womöglich Hunderte von CDU-Abgeordneten in die Arme der AfD treiben."
(FAS v. 31.08.2018)

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Michael KETSCHMER vor der Landtagswahl in einer schwachen Position ist: Er ist einerseits auf das Wohlwollen des linksliberalen Mainstreams angewiesen und andererseits sitzt ihm die eigene Parteibasis im Nacken. Das ist der Stand rund ein Jahr vor der Landtagswahl 2019.

Der linksliberale Mainstream stärkt die CDU und schwächt damit die eigenen Parteien

Ein taz-Artikel ist typisch für das Denken der KRETSCHMER-Unterstützer jenseits der CDU: Scheitert Kretschmer, scheitert viel mehr heißt die Schlagzeile (taz, 08.09.2018). Es ist der Grundtenor des Anti-AfD-Bündnisses von Rot-Rot-Grün. Und er beschränkt sich keineswegs auf die Landesebene, sondern die Mobilmachung gegen die AfD ist vergleichbar mit einem dauerhaften Ausnahmezustand. Dauererregung wird zum Modus des Anti-AfD-Bündnisses. Es werden nun Symbolkämpfe auf allen politischen Ebenen ausgefochten, in denen die AfD ihre Unterlegenheit demonstriert werden soll.

Beispielhaft stehen dafür die Oberbürgermeisterwahlen in der AfD-Hochburg Meißen mit dem Theologen Frank RICHTER als Hoffnungsträger (siehe FAZ 15.08.2018, Welt 11.09.2018, ND 13.09.2018, FAZ 22.09.2018,). Das Ziel wird erreicht: Die AfD unterliegt, aber zum Preis, dass der CDU-Kandidat als lachender Dritter gewinnt. Der AfD-Kandidat ist zum zweiten Wahlgang nicht mehr angetreten, sondern hat dem CDU-Kandidaten das Feld überlassen. Das hätte dem Anti-AfD-Bündnis eine Warnung sein können, aber dort feierte man sich lieber (z.B. ND 25.09.2018).

Das gleiche Spiel ereignet sich bei der Oberbürgermeisterwahl in der AfD-Hochburg Görlitz (siehe ND 18.04.2019, Welt 08.05.2019). In Görlitz wurde jedoch der Preis solcher Bündnisse für Rot-Rot-Grün deutlich. Die Linkspartei nominierte im ersten Wahlgang eine aussichtslose Kandidatin und sorgte dadurch dafür, dass die aussichtsreiche Grünen-Kandidatin sich zugunsten des CDU-Kanidaten zurückzog:

Görlitzer Wahl bewegt Hollywood

"Die Linke hatte mit der kommunalpolitisch unerfahrenen Kulturmanagerin Jana Lübeck eine eigene Kandidatin nominiert, die indes abgeschlagen bei 5,5 Prozent landete. (...). Bereits die Hälfte der Stimmen hätten Schubert zu Platz 2 verholfen, hieß es aus deren Umfeld."
(Hendrik Lasch, Neues Deutschland v. 13.06.2019)

Die Parteizeitung der Linkspartei sieht das dagegen anders: Es hätte dann kein Duell zwischen Grün und AfD gegeben, sondern der CDU-Kandidat hätte weitergemacht. Das alles ist letztlich Spekulation, nur zeigt dies wie leicht ein Anti-AfD-Bündnis auseinanderbrechen könnte, wenn der Schaden für die Bündnispartner zu groß wird. Im Fall Görlitz fühlten sich die Grünen benachteiligt, bei der Landtagswahl trifft es dann die Linkspartei besonders hart. Fünf Tage später titelt Neues Deutschland: Antifa heißt CDU wählen (Robert D. MEYER 18.06.2019). Für Stefan LOCKE in der FAZ ist der symbolische Sieg in Görlitz kein Grund zum Aufatmen für die CDU, die den Erfolg ganz allein für sich reklamieren wollte. In der Welt kritisiert der konvertierte Alt-68er Thomas SCHMID, dass solche Anti-AfD-Bündnisse eines "permanenten antipopulistischen Ausnahmezustands" bedürfen, der letztlich die Mobilisierbarkeit reduziert (Welt 18.06.2019). Rund einen Monat später, zum Wahlauftakt, wurde mit Siemens eine Absichtserklärung unterzeichnet, nach der in Görlitz ein Zentrum für Wasserstofftechnologie entstehen soll. Joe KAESER und Siemens sowie Michael KRETSCHMER werden damit zu Rettern im gefährdeten Ostsachsen stilisiert (vgl. FAZ 16.07.2019). Am 23. Juli sieht dann Hendrik LASCH das Ende der Bewährung für KRETSCHMER gekommen. Die Linkspartei nimmt Görlitz zum Anlass, um KRETSCHMER dort den Kampf anzusagen:

Ende der Bewährung

"Eine wichtige Rolle dürfte auch die Frage spielen, ob er seinen Wahlkreis direkt gewinnt.
Kretschmer hat sich entschieden, dorthin zu gehen, wo es weh tut: in seine Heimatstadt Görlitz, wo er 2017 sein Bundestagsmandat verlor. Es ist ein Ritt auf der Rasierklinge. Bei Stadtrats- und Europawahl lag die CDU in Görlitz jeweils hinter der AfD. Und selbst bei der Wahl des Oberbürgermeisters im Juni hatte CDU-Bewerber Octavian Ursu gegen AfD-Mann Sebastian Wippel im zweiten Wahlgang (...) nur deshalb die Nase vorn, weil Grüne, Linke und Wählervereinigungen ihn unterstützten.
Am 1. September fordert Wippel im Kampf um einen Landtagssitz Kretschmer heraus. Und weil die CDU nach dem Sieg bei der OB-Wahl durch eklatante Undankbarkeit gegenüber den Unterstützern glänzte, fällt diesmal auch der Flankenschutz für Kretschmer aus. Die Linke etwa hat angekündigt, sich im Wahlkreis Görlitz diesmal besonders ins Zeug zu legen".
(Neues Deutschland v. 23.07.2019)

Das jedoch ist nur Augenwischerei. In den Umfragen (Stand: 02.07.2019) steht die Linke bei 15 %. Zwischen 06. und 22. August wird sie sogar mit 16 % gehandelt. Danach geht es aber wieder bergab. Die AfD stand damals mit 26 % am Zenit ihrer Umfragen-Beliebtheit. Bei der CDU ging es jedoch damals von 26 % auf 32 % hinauf. Keine andere Partei legte in dieser Zeit ähnlich stark zu. Die hoch gehandelten Grünen konnten da nicht mithalten. Es gab in dieser Schlussphase des Wahlkampfes nur zwei Fragen:

1. Kann sich die CDU gegen die AfD als stärkste Kraft jenseits der 30 Prozent behaupten und
2. Gewinnt Michael KRETSCHMER sein Direktmandat im Wahlkreis 58 Görlitz 2.

Diese in den Mainstreammedien vorgegebene Linie bestimmte den Wahlkampf, denn davon sollte das Schicksal des Ministerpräsidenten abhängen.

Die Linkspartei setzt auf Direktmandate in den Großstädten und vernachlässigt den ländlichen Raum

Im April nominierte die Linkspartei ihre Listenbewerber für die Landtagswahl. Hendrik LASCH galt damals in deren Parteizeitung noch der Listenplatz 21 als sicher:

Die Balance bleibt doch gewahrt

"Nach Platz 12 (...) wurde dem Listenvorschlag nicht mehr in jedem Fall gefolgt. Platz 14 errang der dort zunächst nicht berücksichtigte, für seinen unorthodoxen Politikstil bekannte Hochschulpolitiker René Jalaß; die Leipzigerin Jule Nagel, die 2014 das einzige Direktmandat für ihre Partei geholt hatte, kam auf Platz 15. Ihre Befürworter betonten, dass beide bei der CDU »Schaum vor dem Mund« verursachten. Auf Platz 13 steht Antonia Mertsching, die in entwicklungspolitischen Netzwerken arbeitet und ihre Entscheidung für die Linke damit begründet, dass man »die Roten grüner, aber die Grünen nicht roter machen« könne. (...). Platz 19 erkämpfte mit der Finanzexpertin Verena Meiwald erneut eine Abgeordnete, die es zunächst nicht auf den Listenvorschlag geschafft hatte. Dadurch rutschte Marion Junge als erste Vertreterin aus Bautzen auf Platz 21.
Auch dieser gilt angesichts aktueller Prognosen, welche die Linke bei 17 Prozent sehen, als sicher."
(Neues Deutschland v. 15.04.2019)

Tatsächlich war dann bei der Landtagswahl Platz 13 der letzte sichere Listenplatz. Die Kommunalwahlen und die Europawahl im Mai galten den Parteien in Sachsen als Testwahl für die bevorstehende Landtagswahl. Im Artikel Stimmungstest vor der Landtagswahl wird das Aufgebot der Linkspartei für die Kommunalwahlen aufgelistet:

Stimmungstest vor der Landtagswahl

"Für die CDU geht es um die Rolle als stärkste Kraft, für die Linke unter anderem um politischen Einfluss in den drei Großstädten. (...).
In den Landkreisen und Kommunen hat die Linke weniger Einfluss, abgesehen von Hochburgen wie Bennewitz bei Leipzig, wo sie 2014 auf sagenhafte 51,2 Prozent kam und neun der 16 Gemeinderäte stellt, oder Lugau im Erzgebirge, wo sie 31 Prozent erreichte. Bei den Wahlen der Kreistage fuhr man mit knapp 20 Prozent das beste Ergebnis in Zwickau ein. Insgesamt errang die Partei vor vier Jahren 1.200 Mandate, davon 793 in Gemeinderäten und 204 in den Kreistagen und Stadträten der drei kreisfreien Städte. Auf dieser Ebene hatten 782 Bewerber für die Partei kandidiert; jetzt sind es 730, sagt Tilman Loos, Sprecher des Landesverbandes. Für die Gemeinderäte gehen 1.200 Kandidaten ins Rennen, 2014 waren es noch 1388 gewesen. (...).
Bürgermeisterwahlen finden parallel zur Kommunalwahl in nur 13 Städten und Gemeinden statt. In Görlitz (...) in den ehemaligen Kreisstädten Döbeln, Werdau sowie Aue, wo nach der Fusion mit dem benachbarten Bad Schlema erstmals ein Verwaltungschef bestimmt wird. (...) So gut wie sicher hat die Partei den Rathausposten im Urlauberort Gohrisch in der Sächsischen Schweiz"

(Neues Deutschland v. 14.05.2019)

Die Anzahl der Linkspartei-Kandidaten ist also gegenüber den letzten Wahlen bereits geschrumpft. Das besondere Augenmerk der Partei liegt dabei auf Dresden, Leipzig und Chemnitz. Diese Sicht findet sich sogar noch am 22. August bei der FAZ wieder:

Schwester Agnes und der Ostfaktor

"Vor allem in den Großstädten gewinnt sie junge Leute. In Leipzig gewann sie schon vor fünf Jahren ein Direktmandat - die anderen 59 holte wie stets die CDU. Diesmal sieht die Partei Chancen, in Leipzig, Chemnitz und Dresden mehrere Wahlkreise direkt zu gewinnen. Für eine Koalition mit SPD und Grünen aber würde es nicht reichen".
(Stefan Locke & Markus Wehner, FAZ v. 22.08.2019)

Zu dieser Zeit sahen die Wahlkreisprognose-Webseiten election.de und wahlkreisprognose.de noch in den folgenden Wahlkreisen Chancen für die Linkspartei:

  WK 11 Chemnitz 2 WK 28 Leipzig 2 WK 29 Leipzig 3 WK 33 Leipzig 7
Election.de (24.08.2019) Susanne Schaper Juliane Nagel Adam Bednarsky -
Wahlkreisprognose.de (23.08.2019) - Juliane Nagel Adam Bednarsky Franz Sodann

LOCKE & WEHNER machen sich lustig über den Aktionismus der Linkspartei im ländlichen Raum:

Schwester Agnes und der Ostfaktor

"Der Nossener Marktplatz ist morgens um 10 Uhr gähnend leer, aber das ficht die Wahlkämpfer der Linken nicht an. (...).
Deren sächsischer Landesverband ist mit 8.000 Mitgliedern immer noch der größte im Osten - und der einzige, der noch nie regiert hat. (...). (I)n Sachsen führten die Dominanz der CDU und die Schwäche der SPD dazu, dass für die Partei nur der Platz der größten Oppositionspartei blieb. Nach Lage der Dinge wird sie diesen Status nach der Wahl am 1. September an die AfD abgeben".
(Stefan Locke & Markus Wehner, FAZ v. 22.08.2019)

Das soll wohl heißen, dass die Linkspartei in Verschwendung schwelgt, statt ihre personellen Mittel effizient einzusetzen. Die Kleinstadt Nossen liegt im Landkreis Meißen, einer AfD-Hochburg. Bei der Stadtratswahl im Mai konnte die Linkspartei nur einen einzigen Sitz der 23 Sitze gewinnen. Eigentlich hätten 26 Sitze verteilt werden sollen, aber 3 Sitze blieben unbesetzt, weil die AfD mit zu wenig Bewerbern angetreten war (Mehr zum verunglückten Wahlkampf der Linkspartei im ländlichen Raum hier und hier).     

Die Kommunalwahlen in Sachsen führten zu einem erdrutschartigen Sieg der Alternative für Deutschland

Am 26. Mai sind für Sachsen die Kommunalwahlen entscheidender als die Europawahl, denn sie sind ein Stimmungstest für die bevorstehende Landtagswahl. Aus der folgenden Tabelle sind die Machtverschiebungen in den 10 sächsischen Kreistagen ersichtlich:

Tabelle: Sitzverteilung in den 10 Kreistagen im Freistaat Sachsen 2019 (Veränderung zu 2014)
Kreistag Gesamt CDU AfD Linke SPD Grüne
Erzgebirgskreis 98 32 (- 12) 21 (+ 14) 11 (- 5) 5 (- 3) 5 (+ 2)
Mittelsachsen 98 28 (- 15) 22 (+ 18) 11 (- 5) 9 (- 3) 5 (+ 1)
Vogtlandkreis 86 27 (- 6) 17 (+12) 11 (- 3) 9 (- 5) 5 (+ 2)
Zwickau 98 30 (- 10) 19 (+ 14) 14 (- 6) 7 (- 3) 6 (+ 2)
Bautzen 98 29 (- 16) 29 (+ 28) 10 (- 8) 8 (- 3) 5 (+ 2)
Görlitz 86 23 (- 14) 27 (+ 20) 8 (- 6) 4 (- 3) 5 (+ 1)
Meißen 86 27 (- 12) 23 (+ 16) 9 (- 5) 5 (- 3) 7 (+ 3)
Sächsische Schweiz/Osterzgebirge 86 26 (- 11) 25 (+ 17) 9 (- 4) 4 (- 2) 6 (+ 2)
Leipzig 86 20 (- 14) 19 (+ 17) 11 (- 7) 12 (- 3) 6 (+ 4)
Nordsachsen 80 23 (- 11) 16 (+ 16) 8 (- 5) 13 (- 4) 4 (+ 2)
Gesamt 902 265 (-121) 218 (+ 172) 102 (- 54) 76 (- 32) 54 (+ 21)
Quelle: wahlen.sachsen.de; eigene Berechnungen

Die AfD und die Grünen können ihre Mandate erhöhen. Die AfD vervierfacht fast die Anzahl ihrer Mandatsträger, die Grünen können sie fast verdoppeln. Dagegen verlieren CDU, SPD und Linkspartei rund ein Drittel ihrer Mandate. Für die linke Oppositionspartei, die nie an einer sächsischen Regierung beteiligt war, ist das besonders schlimm. Sie wurde nicht für schlechte Regierungsarbeit im Land abgestraft, sondern büßte für ihre Rolle als Protestpartei ein. Diese alarmierenden Anzeichen eines Funktionsverlustes im Parteiensystem überspielte die Linkspartei ("Keine Zeit fürs Wundenlecken"), denn schließlich sah sie ihre neue Funktion als notwendiges Mitglied des Anti-AfD-Bündnisses. Diese Funktion bestand jedoch in Sachsen weitgehend nur noch im Überflüssigsein.

Tabelle: Sitzverteilung in den Stadträten der drei Großstädte im Freistaat Sachsen 2019 (Veränderung zu 2014)
Großstadt Gesamt CDU AfD Linke SPD Grüne
Chemnitz 60 13 (- 2) 11 (+ 8) 10 (- 5) 7 (- 5) 7 (+ 2)
Dresden 70 13 (- 7) 12 (+ 7) 12 (- 3) 6 (- 3) 15 (+ 4)
Leipzig 70 13 (- 6) 11 (+7) 15 (- 3) 9 (- 4) 15 (+ 4)
Gesamt 200 39 (-15) 34 (+ 22) 37 (- 11) 22 (- 12) 37 (+ 10)
Quelle: Daten der Großstädte; Eigene Berechnungen

In der Großstadt Chemnitz verlor die Linkspartei ein Drittel ihrer Mandate und musste damit die meisten Verluste hinnehmen, denn 2014 hatte sie wie die CDU noch 15 Mandate. Zehn Jahre zuvor war sie in Chemnitz als PDS zum einzigen Mal stärkste Partei geworden.

In der Landeshauptstadt Dresden musste die Linkspartei nicht so viele Mandatsverluste hinnehmen wie in Chemnitz, doch Rot-Rot-Grün hat dort 2 Mandate weniger als 2014. Einzig in Leipzig kommt Rot-Rot-Grün auf eine Mehrheit von 39 Sitzen.

Betrachtet man die drei sächsischen Großstädte, dann liegt selbst dort die AfD kaum noch hinter den Parteien des linksurbanen Milieus. Es wäre also verfehlt, die AfD in den Großstädten nicht ernst zu nehmen.

In den Mainstreammedien wurde der Wahlerfolg der AfD jedoch nicht an den vergangenen Kommunalwahlen gemessen, sondern im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 und zur zeitgleich stattfindenden Europawahl. Dadurch konnte man sich einreden, dass die AfD nun schlechter dastehe als damals. Solche Schönfärberei rächt sich jedoch sehr schnell. Beispielhaft dafür ist der Neues Deutschland-Artikel von Hendrik LASCH, der die Linkenwähler jenseits der "Latte-macchiato-Linken" ausmachte:

(K)eine rote Insel im schwarz-blauen Meer

"Zwar erzielte die Partei im Szeneviertel Connewitz mit 40,6 Prozent ihr Rekordergebnis. Insgesamt seien aber »sowohl unsere alternativen als auch unsere traditionellen Milieus angesprochen« worden, so im Plattenbauviertel Grünau. Während in vergleichbaren Quartieren in Dresden und Chemnitz die AfD stärkste Kraft wurde, lag in Grünau die Linke mit 30 Prozent vorn.
(...).
In Paunsdorf etwa, einem Viertel, das mit Grünau vergleichbar ist, lag das Ergebnis unter 20 Prozent, in dörflichen Randbezirken noch deutlich darunter. Der Vorteil Leipzigs sei, räumt Bednarsky ein: »Wir können das anderswo kompensieren«".
(Neues Deutschland v. 11.06.2019)

Adam BEDNARSKI, der Leipziger Linken-Chef, sah sich schon als Wahlsieger in seinem Wahlkreis. Single-generation.de wies damals jedoch darauf hin, dass der Wahlkreis 29 Leipzig 3, wo BEDNARSKY antritt, weit mehr umfasst als das Plattenbauviertel Grünau, nämlich: Großzschocher, Burghausen-Rückmarsdorf, Grünau-Mitte, Grünau-Nord, Grünau-Ost, Grünau-Siedlung, Hartmannsdorf-Knautnaundorf, Kleinzschocher, Knautkleeberg-Knauthain, Lausen-Grünau, Miltitz und Schönau. Tatsächlich war es dann mit der Kompensierbarkeit nicht mehr weit her, wie weiter unten gezeigt wird.

Initiativen wie Sachsen#umkrempeln waren verzweifelte Versuche, die eigene Größe zu verklären (vg. "Ein sichtbarer Gegenentwurf", ND 26.06.2019).

Noch im Juli wird die Linkspartei in der Wochenzeitung Der Freitag zur ostdeutschen Volkspartei stilisiert:

Der Genosse mit dem Punk

"Sie sitzt sehr häufig in den Stadträten, stellt fünf Oberbürgermeister und Oberbürgermeisterinnen in Ostdeutschland und verfügt über eine zweistellige Anzahl von Sitzen in allen Landtagen, in Sachsen derzeit 27 von 126. Mit knapp 8.000 Mitgliedern ist Sachsens Linke größer als AfD, Grüne und FDP zusammen. Solche Präsenz kennt die Partei nur hier."
(Felix Schilk & Konstantin Nowotny im Freitag Nr.28 v. 11.07.2019)

Doch nach den Kommunalwahlen sieht das schon ganz anders aus:

Der Genosse mit dem Punk

"Bei den vergangenen Kommunalwahlen verloren sie in Sachsen im Vergleich zu 2014 fast ein Drittel ihrer kommunalen Mandate, bei der Europawahl knapp sieben Prozent - die stärksten Verluste seit 1990, »ein Warnsignal«, so Katja Kipping in Chemnitz, »wir stecken in einer existenziellen Krise«. Kippings Bundestags-Wahlkreis liegt in Dresden. Und das in einer hochpolitischen Zeit: Die Wahlbeteiligung bei Europawahlen stieg in Sachsen 2019 gegenüber 2014 um knapp 26 Prozent. Die AfD kam auf 25, die Grünen auf 10, die Linke auf 11,7 Prozent. Letztere hatte bei den Landtagswahlen 2014 noch 19 Prozent geholt, letzte Umfragen sehen sie dieses Mal bei 15."
(Felix Schilk & Konstantin Nowotny im Freitag Nr.28 v. 11.07.2019)

Das "Warnsignal" von dem KIPPING spricht, scheint in der Linkspartei niemand richtig ernst genommen zu haben, denn die Umfragen sagten ja 15 Prozent voraus. Dass die Linkspartei bei der Landtagswahl noch unter ihrem Europawahlergebnis in Sachsen (11,7 %) bleiben würde, das wollte damals niemand wahrhaben. SCHILK & NOWOTNY weisen aber darauf hin, dass das Hauptproblem der Linkspartei in ihrer Schwäche im ländlichen Raum liegt:

Der Genosse mit dem Punk

"Bei den Kommunalwahlen im Mai wurde sie in der größten Stadt des Freistaates stärkste Kraft. Vor zwei Jahren zog der Leipziger Grundschullehrer Sören Pellmann per Direktmandat in den Bundestag (...). Eine »linke Insel« im »rechten Sachsen« ist Leipzig dennoch nicht. (...).
Die Partei hat noch einen weiteren Feind: den Tod. Sachsen ist alt, und Sachsen ist vor allem Fläche. Allein der deindustrialisierte Erzgebirgskreis verfügt über mehr Wahlberechtigte als Leipzig, die zehntgrößte Stadt Deutschlands. Dort gehen der Linken die Stammwähler verloren. Jeder vierte Sachse ist 65 Jahre und älter. 2007 hatte die Partei hier noch 5.000 Mitglieder mehr als heute: 13.000. Hauptproblem der Linken ist das Fehlen der mittleren Jahrgänge, die den demografischen Verlust ausgleichen könnten - jene Wendegeneration, die nach 1989 wegging oder heute oft bei Pegida marschiert und überdurchschnittlich häufig AfD wählt".
(Felix Schilk & Konstantin Nowotny im Freitag Nr.28 v. 11.07.2019)

Der Aktionismus der Linkspartei im ländlichen Raum hat das Problem der Partei noch offensichtlicher gemacht.   

Die Entscheidung des Landeswahlausschusses ein Glücksfall für das kosmopolitische Milieu?

Als am 5. Juli der Landeswahlausschuss bekannt gibt, dass die AfD in Sachsen nur mit 18 Listenbewerbern zur Landtagswahl antreten darf, scheint das den Interessen des kosmopolitischen Milieus in die Hände zu spielen. Gelebte Demokratie mit eklatanten formalen Fehlern titelt die FAZ tags darauf. Robert D. MEYER, der die Antifa-Sicht vertritt, hofft, dass "sich Bewerber in stark umkämpften Wahlkreisen absprechen, um einen Erfolg der Rechtsaußenpartei zu verhindern" (ND 06.07.2019). Tatsächlich gab es dann Webseiten, die das taktische Wählen als Mittel zum Kleinhalten der AfD propagierten. Andere Seiten wiederum, z.B. election.de, markierten jene Wahlkreise, in denen der AfD-Direktkandidat nicht durch die Liste abgesichert war. In diesen Wahlkreisen hätte die AfD nicht gewinnen dürfen, denn dort erhöhte ein Sieg die Anzahl der Sitze im Parlament.

Über die Konsequenzen eines solchen Verhaltens wurde längere Zeit eher nicht diskutiert. Die ZEIT-Schlagzeile hieß: Regelverstöße könnten die Partei im Herbst die Hälfte ihrer Mandate kosten. Darin hieß es aber gleichzeitig:

Mehr Bürokratie wagen

"Michael Kretschmer (...) versucht seit Monaten, die Debatten im Land wegzulenken von der AfD. Jetzt dominiert sie doch wieder alles. Ihre Selbstvermarktung als Opfer wird gestärkt. So, sagt Jochen Rozek, Professor für Verwaltungsrecht an der Universität Leipzig, wolle es das Gesetz: »Die AfD muss den Ausgang der Wahl abwarten, kann erst danach im Wahlprüfungsverfahren beim Landtag Einspruch einlegen.« (...). Wie das spätere Verfahren im Prüfungsausschuss ausgehen wird, ist aus Rozeks Sicht derzeit nicht absehbar (...). Es sei jedenfalls denkbar, dass die Faktenlage auch zugunsten der Partei ausgelegt werden könne, sagt Rozek. Das würde wahrscheinlich Neuwahlen bedeuten".
(Anne Hähnig in Die Zeit Nr.29 v. 11.07.2019)

Sollten also Neuwahlen in Kauf genommen werden, die nachträglich den Erfolg delegitimierten und der Demokratie letztlich mehr schadeten? Erst im Spiegel erschien am 13. Juli ein Interview, in dem die Juraprofessorin Sophie SCHÖNBERGER (Beitrag für das Verfassungsblog) die Entscheidung des Landeswahlausschusses massiv kritisierte:

"Unprofessionell"

"Weil die Landtagswahl, so wie es aussieht, nun in jedem Fall demokratischen Schaden nehmen wird. Da sich die Nichtzulassung der AfD-Liste jetzt nicht mehr korrigieren lässt, droht die Legitimität des Landtags zu erodieren, wenn später festgestellt wird, dass der Landeswahlausschuss hier falsch entschieden hat. Das schwächt die demokratischen Institutionen und nährt die Verschwörungstheorien und den Opfermythos der AfD."
(Sophie Schönberger im Spiegel-Interview v. 13.07.2019)

Keine zwei Wochen später korrigierte dann das sächsische Verfassungsgericht - wider Erwarten - die Entscheidung des Wahlausschusses und erhöhte die Zahl der zugelassenen Listenbewerber der AfD von 18 auf 30. Damit schien die Gefahr von Neuwahlen - angesichts der damaligen Prognosen für die AfD - gebannt. Kurz darauf erklärt der grüne Wahlrechtsexperte Wilko ZICHT in der taz, dass die Kürzung der Liste ein Fehler war und taktisches Wählen Linken und Grünen eher schadet:

"Die AfD-Liste hätte nicht gekürzt werden dürfen"

"Ich denke, es wird die Runde machen, in welchen Wahlkreisen man der AfD durch strategische Wahl eines aussichtsreichen Gegenkandidaten einen Sitz wegnehmen kann. Der Haken daran ist, dass es der CDU Überhangmandate bescheren könnte. Die werden in Sachsen nicht voll ausgeglichen. Wer eine Regierung ohne CDU und AfD will, der nähert sich dem Ziel dann nur minimal. Es gibt nur wenige potenzielle AfD-Wahlkreise, in denen Grüne oder Linke eine Chance haben."
(taz v. 25.07.2019)

Das Ergebnis der Landtagswahl wird dieser Sicht dann Recht geben. Erst fast eine Woche später, kommt das auch bei der Linkspartei-Zeitung an ("Taktik schadet der AfD nicht mehr"), wobei ausgerechnet der Grünen-Direktkandidatin Paula PIECHOTTA (Wahlkreis 28 Leipzig 2) solches Ansinnen zugeschrieben wird, die dann dort der einzigen Leipziger Direktmandats-Gewinnerin der Linkspartei unterlag.

In der folgenden Übersicht sind die zugelassenen AfD-Listenbewerber sowie die 15 Wahlkreisgewinner der AfD ersichtlich:

Übersicht: Gewählte AfD-Listenbewerber (1-30) und Gewinner der 15 AfD-Direktmandate (Namen sieh hier)
Listen-
Nr.
Zugelassene AfD-Listenbewerber Wahlkreis als Direktwahl-Kandidat Erststimmen-
anteil (Differenz
Zweitstimme)
Wahlkreis-
Gewinner
1 URBAN, Jörg 56 Bautzen 5 36,4 % (+/- 0) nein
2 ZWERG, Jan-Oliver Aldo 50 Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 3 35,0 % (+ 1,2 %) ja
3 KEILER, Joachim Michael 45 Dresden 5 17,8 % (+ 1,5 %) nein
4 WENDT, André 42 Dresden 2 27,8 % (+ 2,3 %) nein
5 WIPPEL, Sebastian 58 Görlitz 2 37,9 % (+/- 0) nein
6 GAHLER, Torsten 17 Erzgebirge 5 32,0 % (+ 0,6 %) nein
7 BEGER, Mario 38 Meißen 2 38,0 % (+ 2,1 %) ja
8 WEIGAND, Rolf 19 Mittelsachsen 2 33,7 % (+ 1,5 %) ja
9 HENTSCHEL, Holger 33 Leipzig 7 22,2 % (+ 0,7 %) nein
10 JOST, Martina 44 Dresden 4 21,6 % (+ 0,9 %) nein
11 TEICHMANN, Ivo 51Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 4 36,7 % (- 0,2 %) ja
12 PESCHEL, Frank 52 Bautzen 1 38,2 % (+ 1,4 %) ja
13 KEIL, Wolfram Klaus 7 Zwickau 3 30,0 % (+ 1,3 %) nein
14 DRINGENBERG, Volker Götz 11 Chemnitz 2 26,5 % (+ 0,3 %) nein
15 HÜTTER, Carsten 37 Meißen 1 34,3 % (+ 1,9 %) ja
16 ZICKLER, Hans-Jürgen 47 Dresden 7 21,7 % (+ 1,4 %) nein
17 LUPART, Ulrich Willi 2 Vogtland 2 30,7 % (+ 2,8 %) nein
18 KELLER, Tobias Martin 32 Leipzig 6 19,7 % (+ 0,7 %) nein
19 PRANTL, Thomas 16 Erzgebirge 4 33,1 % (+ 1,2 %) nein
20 BARTH, André 49 Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 2 33,7 % (+ 0,7 %) nein
21 ULBRICH, Roland Walter Hermann 34 Nordsachsen 1 28,8 % (+ 1,5 %) nein
22 PENZ, Romy 18 Mittelsachsen 1 33,4 % (+ 1,3 %) nein
23 HAHN, Christopher 6 Zwickau 2 29,8 % (+ 1,5 %) nein
24 DORNAU, Jörg 25 Leipzig Land 3 29,5 % (+ 0,1 %) nein
25 KÜHNE, Jörg Steffen 31 Leipzig 5 10,3 % (+ 0,1 %) nein
26 KUMPF, Mario 59 Görlitz 3 38,4 % (+ 1,2 %) ja
27 MAYER, Norbert Otto 48 Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 1 30,2 % (- 2,1 %) nein
28 HEIN, René 40 Meißen 4 27,1 % (+ 0,4 %) nein
29 OBERHOFFNER, Jens kein x x
30 WIESNER, Alexander 28 Leipzig 2 13,2 % (+ 0,2 %) nein
31 x 1 Vogtland 1 30,0 % (+ 1,5 %) ja
32 x 15 Erzgebirge 3 34,4 % (+ 1,0 %) ja
33 x 21 Mittelsachsen 4 31,7 % (+ 1,5 %) ja
34 x 36 Nordsachsen 3 33,3 % (+ 1,0 %) ja
35 x 39 Meißen 3 33,5 % (+ 0,7 %) ja
36 x 54 Bautzen 3 31,9 % (+ 0,4 %) ja
37 x 55 Bautzen 4 34,7 % (+ 0,8 %) ja
38 x 57 Görlitz 1 36,6 % (+ 1,2 %) ja
39 unbesetzt      
Quelle: wahlen.sachsen.de; eigene Berechnungen

Acht der 15 Wahlkreisgewinner erhöhten die Anzahl der Sitze der AfD im sächsischen Landtag. Ein Sitz der AfD bleibt unbesetzt. Mit nur 30,0 % konnte die AfD einen der wichtigen Wahlkreise gewinnen (1 Vogtland 1). Die Differenz zwischen Erst- und Zweitstimme zeigt die Beliebtheit eines Direktkandidaten an. So bekam z.B. Ulrich Willi LUPART (2 Vogtland 2) 2,8 % mehr Stimmen als seine Partei, während Norbert Otto MAYER mit 2,1 % unter dem Wert seiner Partei blieb. Die beiden Kandidaten zeigen die Pole der Beliebtheit an. Dabei ist zu beachten, dass die AfD in 23 weiteren Wahlkreisen angetreten ist, die verloren wurden und damit die Direktkandidaten nicht in den Landtag eingezogen sind. 

Die Werte-Union und Hans-Georg Maaßen: Schadete das Engagement der CDU oder stärkte es die AfD?

Anfang August erregten sich die Mainstreammedien über das Engagement von Hans-Georg Maaßen für die CDU. Ein Auftritt im Wahlkreis 40 Meißen 4, in dem Matthias RÖßLER als CDU-Direktkandidat ohne Listenabsicherung antrat, empörte besonders: Apokalyptischer Reiter (FAZ 03.08.2019) oder Stimmung wie bei der AfD (TAZ 03.08.2019) waren einige der Schlagzeilen.

Apokalyptische Reiter

"(D)as hier ist keine AfD-Schau, sondern eine CDU-Wahlkampfveranstaltung, zu der Sachsens Landtagspräsident Matthias Rößler nach Radebeul in seinen Wahlreis eingeladen hat. (...).
Seit 1990 hat er hier sechs Mal das Direktmandat für die CDU gewonnen. (...).
(V)iele Leute (...) wollen sich (...) nicht mehr von der früher durchaus bewährten CDU-Erfolgsrhetorik (...) einlullen lassen. Das weiß auch Matthias Rößler, sonst hätte er nicht zu der Veranstaltung mit der »Werte-Union« geladen, einer Splittergruppe innerhalb der CDU, die das konservative Profil der Partei wieder schärfen will - und die erst bekannt ist, seit Hans-Georg Maaßen in ihrem Namen durch die Lande zieht und mit pointierten Aussagen für Aufsehen sorgt. Das will Rößler, der nicht Mitglied der Werte-Union ist, nutzen. (...). Will er zum siebten Mal in den Landtag einziehen, muss er diesen Wahlkreis gewinnen. Auf der Landesliste seiner Partei hat er keinen Platz mehr erhalten und sich deshalb entschlossen zu kämpfen",

(FAZ v. 03.08.2019)

schreibt Stefan LOCKE. Der Wahlkreis 40 war der einzige der vier Wahlkreise im Landkreis Meißen, bei dem nicht die AfD, sondern die CDU das Direktmandat gewann. Die Veranstaltung hat der CDU also zumindest nicht geschadet. Matthias RÖSSLER blieb zwar mit 29,4 % der Erststimmen um 2,4 % hinter dem Zweitstimmenergebnis der CDU zurück, lag aber 1,9 % vor dem AfD-Kandidaten (27,5 %).

Im Wahlkreis trat zudem der SPD-Minister Martin DULIG an, der mit 17,4 % der Erststimmen auf Platz 3 landete. Das Erststimmenergebnis lag um 8,8 Prozent über dem Zweitstimmenergebnis. DULIG erhielt also doppelt so viele Stimmen wie seine Partei, die SPD (8,6 Prozent). Es kann also davon ausgegangen werden, dass viele taktische Wähler aus dem Anti-AfD-Bündnis dem SPD-Kandidaten ihre Stimmen gaben. Man kann dies letztlich als Scheitern dieses Bündnisses betrachten, denn die AfD wurde zwar verhindert, aber Rot-Rot-Grün wurde dadurch weiter geschwächt.

Die folgende Tabelle zeigt die politische Lage in den vier Wahlkreisen im Landkreis Meißen nach der Landtagswahl 2019:

Parteiplatzierungen

WK 37 Meißen 1

WK 38 Meißen 2

WK 39 Meißen 3

WK 40 Meißen 4

  Erststimme Zweitstimme Erststimme Zweitstimme Erststimme Zweitstimme Erststimme Zweitstimme
Wahlkreissieger AfD (36,2%) 34,3 % (+ 1,9 %) AfD (40,1 %) 38,0 % (+ 2,1 %) AfD (34,2 %) 33,5 % (+ 0,7 %) CDU (29,4 %) 31,8 % (- 2,4 %)
Zweitplatzierter CDU (29,3 %) 30,5 % (- 1,2 %) CDU (32,2 %) 30,9 % (+ 1,3 %) CDU (31,2 %) 31,0 % (+ 0,2 %) AfD (27,5 %) 27,1 % (+ 0,4 %)
Drittplatzierter Linke (12,8 %) 9,2 % (+ 3,6 %) Linke (8,5 %) 7,6 % (+ 0,9 %) SPD (10,1 %) 7,0 % (+ 3,1 %) SPD (17,4 %) 8,6 % (+ 8,8  %)
Viertplatzierter SPD (5,0 %) 6,4 % (- 1,4 %) SPD (6,3 %) 6,1 % (+ 0,2 %) Linke (8,3 %) 7,8 % (+ 0,5 %) Grüne (9,2 %) 10,1 % (- 0,9 %)

Im Wahlkreis 37 Meißen 1 trat die Spitzenkandidatin der Grünen Katja MEIER und der CDU-Promi Geert MACKENROTH an. Die FAZ stellte die Situation für den CDU-Kandidaten folgendermaßen dar:

Noch ist Wahlkreis 37 nicht verloren

"Im Landkreis Meißen, zu dem der Wahlkreis 37 gehört, stimmten bei der Europawahl 31 Prozent für die AfD und knapp 24 Prozent für die CDU. Und bei der Bundestagswahl gaben in dem Gebiet, das dem Landtagswahlkreis entspricht, rund 37 Prozent der Wähler ihre Erststimme dem CDU-Kandidaten Thomas de Mazière. Der eher unbekannte Carsten Hütter konnte mit rund 30 Prozent ebenfalls ein starkes Ergebnis vorweisen. Jetzt tritt Hütter gegen den langjährigen Landtagsabgeordneten Geert Mackenroth von der CDU an. (...).
Carsten Hütter ist ein fünffacher Familienvater aus dem Ruhrgebiet, er hat einen Meisterbrief als Kraftfahrzeugmechaniker und könnte gerade durch sein betont besonnenes Auftreten für Mackenroth gefährlich werden. (...). Mackenroth, der aus Kiel stammt, erinnert gerne an (...) die guten Kontakte - schließlich sitzt der Jurist schon seit einem Jahrzehnt als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises 37 im Landtag. In den Jahren 2004 bis 2009 war er sogar Justizminister in Sachsen. Hütter hingegen präsentiert sich als Kandidat für einen Neuanfang",
(FAZ v. 31.07.2019)

schreibt Tobias SCHRÖRS. Der Promi-Status hat der CDU nichts genützt, sondern MACKENROTH verlor sein Direktmandat gegen den AfD-Nobody, zog aber über Listenplatz 17 - als einer von 4 CDU-Listenbewerber - dennoch wieder in den Landtag ein. Die grüne Spitzenpolitikerin Katja MEIER ("Katja aus der Platte"), Platz 1 der Landesliste, musste im Wahlkreis nicht gewinnen. Sie schnitt mit 4,3 % kaum besser ab als ihre Partei (4,1 %). Die Medienberichte porträtierten MEIER auch nicht als Direkt- sondern als Spitzenkandidatin (vgl. ND 06.08.2019, TAZ 27.08.2019).

Der Wahlkreis 38 Meißen 2 stand nicht im Fokus der Medienberichterstattung. Diesem Umstand dürfte es zu verdanken sein, dass der AfD-Kandidat dort immerhin 2,1 % mehr Erst- als Zweitstimmen erhielt und mit 40,1 % das höchste Ergebnis im Landkreis Meißen erzielte. Der AfD-Sieg in Meißen 1 und 2 brachte der AfD keinen Zugewinn, weil beide Kandidaten auch durch die Listenplätze 1 bis 30 abgesichert waren.

Dagegen stand der Wahlkreis 39 Meißen 3 besonders im Fokus der Medien, denn dort trat der Prominente Frank RICHTER für die SPD an. RICHTER profilierte sich vorher bereits als Oberbürgermeisterkandidat in Meißen als Gesicht des Anti-AfD-Bündnisses (siehe weiter oben). Entsprechend fokussierten Porträts besonders oft den Theologen (z.B. ND 16.08.2019, FAZ 25.08.2019, SZ 02.09.2019). Der Hauptgrund für das mediale Interesse war jedoch, dass dieser Wahlkreis für die AfD besonders wichtig war, denn er erhöhte die Anzahl der Landtagssitze der AfD, trotz Listenkürzung. Aus der folgenden Tabelle sind die 15 gewonnenen AfD-Direktwahlmandate ersichtlich:

Übersicht: Gewinner der 15 AfD-Direktmandate
Wahlkreis Name des AfD-Gewinners Listenplatz 1-30 Election-
Prognose
30.08.2019
Wahlkreisprognose.de-
Prognose
23.08.2019
Wahlkreisprognose.de-
Prognose
30.08.2019
1 Vogtland 1 SCHAUFEL, Dietmar Frank nein CDU AfD CDU
15 Erzgebirge 3   THUMM, Thomas nein CDU CDU CDU
19 Mittelsachsen 2 WEIGAND, Rolf ja CDU AfD CDU
21 Mittelsachsen 4

KUPPI, Lars

nein CDU CDU CDU
36 Nordsachsen 3 PETZOLD, Gudrun nein CDU CDU CDU
37 Meißen 1 HÜTTER, Carsten ja CDU AfD CDU
38 Meißen 2 BEGER, Mario ja AfD AfD CDU
39 Meißen 3 KIRSTE, Thomas nein CDU AfD CDU
50 Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 3 ZWERG, Jan-Oliver Aldo ja AfD AfD AfD
51 Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 4 TEICHMANN, Ivo ja AfD AfD CDU
52 Bautzen 1 PESCHEL, Frank ja CDU AfD CDU
54 Bautzen 3 SCHREYER, Timo nein CDU CDU CDU
55 Bautzen 4 SCHWIETZER, Doreen nein CDU AfD CDU
57 Görlitz 1 KUHNERT, Roberto nein CDU CDU CDU
59 Görlitz 3 KUMPF, Mario ja AfD AfD CDU
Quelle: wahlen.sachsen.de

Die 8 grün markierten Wahlkreise waren für die AfD wichtig, weil sie die Zahl der AfD-Sitze um 8 weitere Mandate erhöhten. In einer Wahlanalyse von Neues Deutschland wird der Werte-Union ein Misserfolg bescheinigt:

An Kenia führt kein Weg vorbei

"Vertreter der Werte-Union, die Stimmung gegen ein Bündnis mit den Grünen macht, (erlitten) Niederlagen. So verloren Abgeordnete wie Sebastian Fischer, Frank Heidan und Geert Mackenroth (...) ihre Wahlkreise an Konkurrenten von der AfD. Mackenroth zog am Ende immerhin als einer von vier CDU-Politikern über die Liste in den Landtag ein. Der bisherige Landtagspräsident Matthias Rößler (...) lag in seinem Wahlkreis Meißen 4 mit nur 710 Stimmen vorn. Er hatte für eine CDU-Minderheitenregierung geworben."
(Hendrik Lasch, Neues Deutschland v. 03.09.2019)

Frank HEIDAN trat im Wahlkreis 1 Vogtland 1 an, den er 2014 gewonnen hatte, und blieb 0,2 % hinter dem AfD-Gewinner zurück. Dieser Wahlkreis war für die AfD wichtig, weil er die Anzahl der Sitze im Landtag erhöhte. Dies ist insofern bitter, da die CDU in diesem Wahlkreis stärkste Partei wurde und dennoch nicht das Direktmandat gewinnen konnte. Das zeigt auch, dass das Ziel der CDU stärkste Partei in Sachsen zu bleiben nicht unbedingt damit identisch ist, die AfD in die Schranken zu verweisen.

Die Neue Zürcher Zeitung brachte am 10. August  zwei CDU-Politiker gegen KRETSCHMER in Stellung, die für eine Minderheitenregierung votierten. Der Bericht spielte in den Wahlkreisen der CDU-Direktkandidaten Falk HAUDE (15 Erzgebirge 3) und Steve ITTERSHAGEN (19 Mittelsachsen 2), deren Standpunkte jedoch im Unklaren blieben, weil nur Politiker wie Michael NICKEL von der "Aktion Linkstrend stoppen" und die Bundestagsabgeordnete von Mittelsachsen, Veronika BELLMANN ihre Meinung vertraten.

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zählt ITTERSHAGEN zum Dunstkreis der Werte-Union:

Maaßen schadete der CDU

"Nimmt man Brandenburg hinzu, war der ehemalige Verfassungsschutzpräsident in insgesamt sechs Wahlkreisen im Einsatz. Bis auf einen ist die Union in all diesen Wahlkreisen gescheitert. Nur der sächsische Landtagspräsident Rößler konnte sein Mandat verteidigen. (...). Die anderen drei sächsischen Abgeordneten verloren ihr Mandat an die AfD. (...). Zwei (...) CDU-Direktkandidaten (...) sind Steve Ittershagen aus Freiberg und Jens Michel aus der sächsischen Schweiz. Beide haben immer wieder mit einer AfD-Koalition kokettiert. (...) Sowohl Michel als auch Ittershagen verloren ihr Direktmandat an die AfD."
(Livia Gerster, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 08.09.2019)

Livia GERSTER stellt bei ihrer "Analyse" den CDU-Hardlinern jedoch nur 3 Gewinner von Wahlkreisen mit überdurchschnittlichen Ergebnissen gegenüber: Michael KRETSCHMER (58 Görlitz 2), Stephan MEYER (60 Görlitz 4) und Sören VOIGT (3 Vogtland 3). Wie sieht es aber aus, wenn man die Ergebnisse in den Wahlkreisen genauer betrachtet? Die folgende Tabelle zeigt das Abschneiden der Direktkandidaten im Vergleich mit dem Jahr 2014:

Tabelle: Das Abschneiden der CDU-Direktkandidaten in Sachsen, die mit der Werte-Union in Verbindung gebracht wurden
CDU-Direktkandidat
(Mediennennung)

Wahlkreisergebnisse für den Direktkandidaten 2019

Landesergebnis CDU
 

Wahlkreisergebnisse für den Direktkandidaten 2014
Wahlkreis
(Platzierung)
Erststimmen-
anteil des
Kandidaten
Zweitstimmen-
anteil der Partei
im Wahlkreis
Differenz
Erst-/Zweit-
stimme
2019
(Differenz
Wahlkreis)
2014
(Differenz
Wahlkreis)
Erststimmen-
anteil des
Kandidaten
Zweitstimmen-
anteil der Partei
im Wahlkreis
Differenz
Erst-/Zweit-
stimme
HEIDAN, Frank
(FAS; ND)
1 Vogtland 1
(2)
29,8 % 31,6 % - 1,6 % 32,1 %
(- 0,6 %)
39,4 %
(- 3,1 %)
33,1 % 36,3 %  - 3,2 %
ITTERSHAGEN, Steve
(NZZ, FAS)
19 Mittelsachsen 2
(2)
32,1 % 32,1 % +/- 0 % 32,1 %
(+/- 0)
 
39,4 %
(+ 3,2 %)
 
42,3 % 42,6 % - 0,3 %
MACKENROTH, Geert
(ND)
37 Meißen 1
(2)
29,3 % 30,5 % - 1,2 % 32,1 %
(- 1,6 %
 
39,4 %
(+ 0,2 %)
 
39,0 % 39,6 % - 0,6 %
FISCHER, Sebastian
(FAS; ND)
38 Meißen 2
(2)
32,2 % 30,9 % + 1,3 % 32,1 %
(- 1,2 %)
 
39,4 %
(+ 2,6 %)
 
41,4 % 42,0 % - 0,6 %
RÖßLER, Matthias
(FAS; ND)
40 Meißen 4
(1)
29,4 % 31,8 % - 2,4 % 32,1 %
(- 0,3 %)
 
39,4 %
(- 0,7 %)
 
35,2 % 38,7 % - 3,5 %
MICHEL, Jens
(FAS)
51 Sächsische
Schweiz/
Osterzgebirge 4
(2)
33,6 % 31,5 % + 2,1 % 32,1 %
(- 0,6 %)
39,4 %
(+ 2,9 %)
 
42,9 % 42,3 % + 0,6 %
Quelle: wahlen.sachsen.de; eigene Berechnungen

Alle sechs Direktkandidaten der CDU hatten ihren Wahlkreis 2014 zwar gewonnen. Bei genauerer Betrachtung zeigen sich jedoch Unterschiede. So lag das Wahlkreisergebnis der CDU 2014 nur in vier der sechs Wahlkreise über dem Landesdurchschnitt. Die Beliebtheit der Direktkandidaten war damals in 5 von 6 Wahlkreisen niedriger als die Beliebtheit der CDU. 2019 war dies nur in 4 von 6 Wahlkreisen der Fall. Fünf der sechs Kandidaten konnten ihre Beliebtheit bei den Wählern zwischen 2014 und 2019 steigern (Differenz Erst-/Zweitstimme). Fünf der sechs AfD-Wahlkreisgewinner im Jahr 2019 konnten außerdem von ihrem Sieg nicht profitieren, da sie auch über die Landesliste in den Landtag eingezogen wären.  

Auf der Webseite von Zukunft Sachsen, die verspricht Klarheit zu schaffen, haben 56 Direktkandidaten der CDU eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen, was eine Tolerierung durch die AfD bei einer Minderheitsregierung nicht ausschließt. Vier Kandidaten haben nicht geantwortet. Dort kann dann zumindest überprüft werden, inwiefern sich die CDU-Politiker an ihre Aussagen gehalten haben.  

Die AfD gewann zwar 15 der 60 Direktmandate, wurde aber nur in 11 Wahlkreisen stärkste Partei. In 6 Wahlkreisen gewann die AfD das Direktmandat, obwohl sie dort nicht stärkste Partei war. Diese gehörten allesamt zu jenen Wahlkreisen, die die Sitzzahl der AfD erhöhten. Aus der folgenden Tabelle sind diese Wahlkreise ersichtlich:

Wahlkreis Name des AfD-Gewinners Listenplatz 1-30 Stärkste
Partei
1 Vogtland 1 SCHAUFEL, Dietmar Frank nein CDU
15 Erzgebirge 3   THUMM, Thomas nein CDU
21 Mittelsachsen 4

KUPPI, Lars

nein CDU
36 Nordsachsen 3 PETZOLD, Gudrun nein CDU
55 Bautzen 4 SCHWIETZER, Doreen nein CDU
57 Görlitz 1 KUHNERT, Roberto nein CDU

In den Wahlkreisen 56 Bautzen 5 und 58 Görlitz 2 wurde die AfD zwar stärkste Partei, konnte jedoch das Direktmandat nicht gewinnen, sondern unterlag den CDU-Direktkandidaten. Diese beiden Wahlkreise standen im Mittelpunkt des medialen Interesses, weil dort symbolische Kämpfe ausgefochten wurden. In Bautzen 5 war der AfD-Spitzenkandidat Jörg URBAN angetreten und in Görlitz 2 ging es um den Sieg des Ministerpräsidenten Michael KRETSCHMER. Hier stellt sich deshalb auch die Frage, ob solche symbolischen Kämpfe nicht ein zu hoher Preis waren und nur das wirkliche Ausmaß der Erodierung der CDU kaschieren sollten.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Ob MAAßEN der CDU schadete, ist je nach Standpunkt unterschiedlich zu bewerten. Der Verlust des Direktmandats hat in erster Linie den jeweiligen CDU-Kandidaten geschadet. Für KRETSCHMER war es dagegen eher ein Glücksfall, denn dadurch hat er in seiner eigenen Partei weniger Widersacher, die gegen seine Linie einer Koalition mit SPD und Grünen opponieren können. Diejenigen, die bei der CDU für eine Koalition mit der AfD bzw. für eine Minderheitsregierung sind, haben es nun schwerer.  

Der emotional aufgeladene, symbolische Kampf um Wahlkreis Görlitz 2

Der gemeinsame Tenor der Anti-AfD-Medien war: Verliert Michael KRETSCHMER seinen Wahlkreis noch einmal, dann hat er keine Chancen weiterhin Ministerpräsident in Sachsen zu bleiben. Die Parteizeitung der Linkspartei behauptete am 23.07.2019 sich in KRETSCHMERs Wahlkreis besonders ins Zeug zu legen, um den Sieg zu verhindern (siehe weiter oben).

Michael KRETSCHMER trat im Wahlkreis 58 Görlitz 2 an, das ist einer von vier Wahlkreisen im Landkreis Görlitz. Zum Wahlkreis 58 gehört die Stadt Görlitz sowie die Gemeinden Königshain, Markersdorf, die Stadt Reichenbach/O.L. und Vierkirchen. Bei den Kommunalwahlen im Mai bekam die CDU und AfD folgende Stimmenanzahl im jetzigen Wahlkreis Görlitz 2:

Tabelle: Stimmenanteil von AfD und CDU im Wahlkreis Görlitz 2 bei der Kommunalwahl 2019
Gemeinde CDU AfD
Görlitz, Stadt 16.896 22,0 % 23.603 30,8 %
Königshain 433 16,4 % 341 20,9 %
Markersdorf 782 11,6 % x x
Reichenbach/Oberlausitz 1.334 17,3 % 1.722 22,3 %
Vierkirchen x x x x
Gesamtzahl der Stimmen 19.445   25.666  
Quelle: wahlen.sachsen.de

Diese Sachlage schien für die AfD zu sprechen. Dennoch sah wahlkreisprognose.de (Stand 19.07.2019) den Wahlkreis sicher in Händen der CDU. Offenbar wurde dort KRETSCHMER ein Amtsbonus eingeräumt. Bei den anderen drei Wahlkreisen des Landkreises (57, 59 und 60) stehen dagegen die Chancen für die AfD besser, schrieb single-generation.de anlässlich des Artikels von Hendrik LASCH (ND 23.07.2019). Nicht nur LASCH, sondern auch Michael BARTSCH will von Anti-AfD-Bündnissen nichts wissen:

Heimatflair zum Wahlkampfstart

"(I)m 20 Kilometer entfernten Görlitz, wo er Stadtrat war, lauern mit den Direktkandidaten Sebastian Wippel (AfD) und Franziska Schubert (Grüne) zugleich die Hauptkonkurrenten der CDU.
Nur ein stilles Bündnis von Links bis Union verhinderte im Juni AfD-Wippel als Görlitzer Oberbürgermeister. Solche Bündnisse »Alle gegen die AfD« aber sind weder in Görlitz noch sonst in Sachsen in Sicht. (...).
Kretschmer (...) grenzt sich heftig von der AfD, vorsichtiger von den Grünen ab".
(taz v. 24.07.2019)

Bei den Listenstimmen lag die AfD im Wahlkreis knapp vor der CDU und wurde damit stärkste Partei im Wahlkreis. Bei den Erststimmen wurde KRETSCHMERs Niederlage dann nur durch die Stützung durch die linksliberalen Parteianhänger verhindert, was sich an der Differenz zwischen Direkt- und Listenstimmen im Wahlkreis ablesen lässt. Die folgende Tabelle zeigt die Differenzen zwischen Listen- und Direktstimmen auf:

Tabelle: Stimmensplitting bei den Parteien im Wahlkreis 58 Görlitz 2 bei der Landtagswahl 2019
Wahlkreis 58 Görlitz 2 CDU CDU-AfD-
Differenz
AfD Linke Grüne SPD FDP Freie
Wähler
Die Partei
Anteil Listenstimmen 35,2 % - 2,7 % 37,9 % 6,3 % 8,0 % 4,6 % 2,5 % 1,4 % 1,4 %
Anteil Direktstimmen   45,8 % + 7,9 % 37,9 % 4,0 % 7,2 % 1,5 % 1,2 % 1,0 % 1,2 %
Differenz der Stimmenanteile + 10,6 %   0,0 % - 2,3 % - 0,8 % - 3,1 % - 1,3 % - 0,4 % - 0,2 %
Quelle: wahlen.sachsen.de; eigene Berechnungen

Bei dieser Betrachtung bleiben Wählerwanderungen zwischen den Parteien unbeachtet. Wenn also Wähler 2014 die Linkspartei mit der Zweitstimme gewählt haben, 2019 ihre Zweitstimme nun aber der CDU gegeben haben, dann wird das mit dieser Betrachtung des Stimmensplittings nicht berücksichtigt.

Infratest dimap hat solche Wählerwanderungen nicht auf der Ebene der Wahlkreise, sondern nur auf der Landesebene erhoben. So hat z.B. die Linkspartei gemäß Infratest dimap 24.000 Wähler an die CDU und sogar 26.000 an die AfD verloren. Diese Zahlen stellen einen Wanderungssaldo dar. So sind z.B. 30.000 Linken-Wähler zur CDU abgewandert. Umgekehrt aber sind auch 6.000 CDU-Wähler zur Linkspartei abgewandert. Zwischen der Landtagswahl 2014 und 2019 hat die Linkspartei 85.170 Stimmen verloren (2014: 309.581; 2019: 224.411). Die Zahlen von Infratest dimap stellen bereits gerundete Zahlen dar.

Das Stimmensplitting zeigt, dass die CDU vom Koalitionspartner SPD am meisten gestützt wurde, aber auch Linksparteiwähler stützten KRETSCHMER oft. Am wenigsten beteiligten sich Grünen-Wähler an der Stützung des Ministerpräsidenten. Das liegt sicherlich an den Vorfällen bei der Oberbürgermeisterwahl in Görlitz, bei der die grüne Direktkandidatin Franziska SCHUBERT und ihre Wähler Demütigungen hinnehmen mussten. Ohne die 6,2 % der Stimmen aus dem Lager von Rot-Rot-Grün hätte KRETSCHMER nur einen Vorsprung von 1,7 % vor dem AfD-Kandidaten gehabt. Nur ein breites kosmopolitisches Bündnis, das über Rot-Rot-Grün hinausging, hat also KRETSCHMER den Sieg in Görlitz gerettet. "Linksliberalen" galt KRETSCHMER als alternativloser CDU-Ministerpräsident (ZEIT 01.08.2019), weshalb ihm vieles verziehen wurde.

Der symbolischer Kampf um die stärkste Partei

CDU und AfD wollten beide stärkste Partei in Sachsen werden. Dieser symbolische Kampf verdeckte die Tatsache, dass es für die AfD - aufgrund der Listenkürzung - viel bedeutender war, möglichst viele Wahlkreise zu gewinnen, die ihre Sitzzahl im Landtag erhöhten. Im Jahr 2014 gewann die CDU noch 59 der 60 Wahlkreise. 2019 konnte sie dagegen nur noch 41 Wahlkreise gewinnen. Aus der folgenden Tabelle ist ersichtlich wie sich die politischen Machtverhältnisse zwischen 2014 und 2019 verschoben haben:

Tabelle: Unterschied beim Erst- und Zweitstimmensieg bei der Landtagswahl im Jahr 2014/2019
Jahr Landtagswahl CDU AfD Grüne Linke SPD
2014 Anteil der Direktmandate 59 0 0 1 0
Anteil als stärkste Partei im Wahlkreis 60 0 0 0 0
2019 Anteil der Direktmandate   41 15 3 1 0
Anteil als stärkste Partei im Wahlkreis 47 11 2 0 0
Quelle: wahlen.sachsen.de

Die Tabelle zeigt, dass der symbolische Kampf um die stärkste Partei, bei dem nur die Zweitstimmenwerte in den Blick kommen, die wirkliche Schwäche der CDU kaschiert. Direktmandate haben in der Politik ein höheres Ansehen als Listenmandate, weil sie direkt vom "Volk" legitimiert sind. Bei Listenmandaten stehen dagegen die Parteiinteressen im Vordergrund.

Allheilmittel Personalisierung?

In der letzten Woche vor der Landtagswahl wurden in den Mainstreammedien die Spitzenkandidaten bzw. Zugpferde der jeweiligen Parteien in den Vordergrund gerückt. Die CDU war jedoch bereits zuvor zur Einmann-Show geworden.

Der Dauerredner

"Auf dem schwarzen Kombi, mit dem Kretschmers Leute durch das Land reisen, steht in großen Buchstaben »Team Kretschmer«, jeder soll wissen, er ist unterwegs. Nur die Partei steht nirgends. Die Aufschrift ist nicht mal in der Parteifarbe Orange, sondern in Grün",
(taz v. 30.08.2019)

schreibt Christina SCHMIDT in ihrem ausschweifenden und wohlwollenden Porträt in der taz (30.08.2019), in dem lediglich seine Rücksichtnahme gegenüber den Rechtsextremen angeprangert wird. Dagegen werden die Versäumnisse der CDU unter Generalsekretär KRETSCHMER entschuldigt und der große Druck durch die AfD geleugnet, wenn es heißt:

Der Dauerredner

"Zu wenig Lehrer? Die Regierungskoalition beschließt deren Verbeamtung, um Lehrer aus anderen Bundesländern anzulocken. Verwaltungen sind überlastet? Es gibt mehr Geld. Mehr Polizisten. Programme zur Digitalisierung. Das sind nicht immer die besten Ideen und auch nicht alle von Kretschmer, sein Koalitionspartner, die SPD gestaltet mit. Der Druck der Opposition auch. Demokratie eben."
(taz v. 30.08.2019)

KRETSCHMER und die CDU sind Getriebene der AfD. Wer dies leugnet, der verkennt den Ernst der Lage.

Im Kabinett KRETSCHMER stellt die SPD drei Minister und die CDU sieben. Während die CDU einzig auf den Ministerpräsidenten setzt, hat die SPD versucht die Minister in den Vordergrund zu rücken, wobei lediglich zwei der drei Minister als geeignet empfunden wurden: Zum einen Martin DULIG, der Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr im Freistaat ist. In den Medien wurde jedoch nur seine Funktion als Wirtschaftsminister hervorgehoben. Verkehr und Arbeit waren offensichtlich nicht seine Stärke. Daneben war nur Petra KÖPPING, die Staatsministerin für Gleichstellung und Integration, gefragt. Auch sie wurde reduziert, aber auf die Integration. Ihr Buch Integriert doch erst mal uns! galt bei Erscheinen als Buch der Stunde, weil es der ostdeutschen Seele schmeichelte. Neben DULIG und KÖPPING galt nur noch Frank RICHTER als Zugpferde der SPD, die das Gesicht der Partei repräsentierten. Keiner der drei SPD-Politiker konnte seinen Wahlkreis gewinnen.

Die Beliebtheit eines Direktkandidaten zeigt der Unterschied zwischen Zweit- und Erststimme, sowie das Ergebnis gemessen an dem sachsenweiten Parteiergebnis an. Die SPD erreichte in Sachsen nur 7,7 Prozent der Zweitstimmen. DULIG war im Wahlkreis 40 Meißen 4 angetreten. Die Partei lag dort bei 8,6 Prozent der Listenstimmen. DULIGs Erststimmenanteil lag noch einmal 8,8 Prozent darüber (siehe auch hier). Frank RICHTER trat im Nachbarkreis 39 Meißen 3 an. Das Listenstimmenergebnis lag bei unterdurchschnittlichen 7,0 Prozent. RICHTER bekam 3,1 Prozent mehr (siehe auch hier). Petra KÖPPING trat im Wahlkreis 24 Leipzig Land 2 an und schnitt dort schlechter als DULIG, aber besser als RICHTER ab. Bei den Zweitstimmen kam die SPD dort auf 10,7 %. KÖPPING lag noch 5,8 Prozent darüber. Aus der folgenden Tabelle sind die Spitzenkandidaten der etablierten Parteien sowie Medienlieblinge ersichtlich:

Tabelle: Die Wirkung der Personalisierung bei den etablierten Parteien bei der Landtagswahl 2019
Partei Spitzenkandidaten &
Medienlieblinge
(Funktion)
Listen-
platz
Wahlkreisergebnisse für den Direktkandidaten 2019 Wahlkreis-
zweit-
stimmen-
ergebnis
2014
Landesergebnis
der Partei
2019
(Differenz
Wahlkreis)
Wahlkreis
(Platzierung)
Erststimmen-
anteil des
Kandidaten
Zweitstimmen-
anteil der Partei
im Wahlkreis
Differenz
Erst-/Zweit-
stimme
CDU KRETSCHMER, Michael
(Ministerpräsident)
1 58 Görlitz 2 (1) 45,8 % 35,2 % + 10,6 % 38,4 % 32,1 % (3,1 %)
SPD   DULIG, Martin
(sächsischer Minister)
1 40 Meißen 4 (3) 17,4 % 8,6 % + 8,6 % 13,8 % 7,7 % (+ 0,9 %)
KÖPPING, Petra
(sächsische Ministerin)
2 24 Leipzig Land 2 (3) 16,5 % 10,7 % + 5,8 % 16,4 % 7,7 % (+ 3,0 %)
RICHTER, Frank
(parteiloser Direktkandidat)
7 39 Meißen 3 (4) 10,1 % 7,0 % + 3,1 % 12,1 % 7,7 % (- 0,7 %)
Linke GEBHARDT, Rico
(Fraktionsvorsitzender)
1 14 Erzgebirge 2 (3) 12,8 % 9,2 % + 3,6 % 19,0 % 10,4 % (- 1,2 %)
SCHAPER, Susanne
(stellv. Fraktionsvorsitzende)
2 11 Chemnitz 2 (3) 19,0 % 14,0 % + 5,0 % 25,0 % 10,4 % (+ 3,6 %)
NAGEL, Juliane
(1. linke Direktmandatgewinnerin)
15 28 Leipzig 2 (1) 27,4 % 20,0 % + 7,4 % 25,1 % 10,4 % (+ 9,6 %)
Grüne MEIER, Katja
(Landtagsabgeordnete)
1 37 Meißen 1 (7) 4,3 % 4,1 % + 0,2 % 3,1 % 8,6 % (- 8,5 %)
GÜNTHER, Wolfram
(Landtagsabgeordneter)
2 22 Mittelsachsen 5 5,2 % 4,5 % + 0,7 % 3,2 % 8,6 % (- 4,1 %)
Quelle: wahlen.sachsen.de; eigene Berechnungen

Die Beispiele zeigen, dass das Spitzenkandidatenkonzept vor allem der stärksten Partei nützt, in diesem Fall der CDU. Auch Minister von Juniorpartnern wie der SPD können profitieren, wenn sie zugleich Medienlieblinge sind. Dagegen nützen Kandidaten mit Prominentenstatus wie Frank RICHTER eher wenig.

Bei der Linkspartei schnitt der Spitzenkandidat Rico GEBHARDT schlechter ab als Susanne SCHAPER , die stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Dies mag daran liegen, dass SCHAPER in einem Wahlreis antrat, der für die AfD nicht zu den wichtigen gehörte, während GEBHARDT in einem umkämpften AfD-Wahlkreis antrat. Das Beispiel Juliane NAGEL zeigt, dass populäre Direktkandidaten der Partei am meisten nützen. NAGEL strahlte auch auf das Zweitstimmenergebnis aus, das fast doppelt so hoch lag wie das landesweite Linksparteiergebnis.

Bei den Grünen funktionierte das Spitzenkandidatenkonzept am schlechtesten. Bei beiden Kandidaten lag das Parteiergebnis unter dem Landesdurchschnitt und auch bei den Erststimmen konnten die beiden Kandidaten nicht überzeugen. Katja aus der Platte, wie die Spitzenkandidatin in den Medien bezeichnet wurde, musste nicht einmal in einem für die AfD wichtigen Wahlkreis antreten, im Gegensatz zu Wolfram GÜNTHER, der in den Medien im Schatten von MEIER stand.

Vergleicht man die Ergebnisse mit der Landtagswahl 2014, dann haben jedoch einzig die Spitzenkandidaten der Grünen in den Wahlkreisen das Parteiergebnis erhöhen können.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass - je nach Wahl des Vergleichsmaßstabes - die Bewertungen des Spitzenkandidatenkonzeptes bzw. der Wirkung personalisierter Wahlkämpfe durchaus unterschiedlich ausfallen kann. Auf alle Fälle lenkt die Personalisierung den Fokus auf die Beliebtheit eines Kandidaten und weg von den Inhalten, für die die jeweiligen Parteien stehen. Diese Wahlkampfstrategie kann dazu führen, dass die Unterscheidbarkeit der Parteien leidet oder aber das Parteiimage auf markante Begriffe und Slogans reduziert wird. So gelten die Grünen z.B. als Klimaschutz- und Anti-AfD-Partei. Solange dieser Markenkern nicht angekratzt ist, kann die Partei davon profitieren. Die Linkspartei jedenfalls konnte sich weder als Protestpartei, noch als Partei der sozialen Gerechtigkeit erfolgreich darstellen. Die AfD hat dagegen die Rolle der Protestpartei erfolgreich übernommen.

Die Grünen als Wahlsieger und die damit verbundenen Probleme

Neben der AfD gelten die Grünen, die sich als Gegenspieler der AfD positionierten, als Wahlgewinner in Sachsen. Schon früh wurden die Grünen als möglicher Koalitionspartner der CDU gehandelt und Rot-Rot-Grün als unerreichbares Ziel fallengelassen. So schreibt z.B. Hendrik LASCH:

Grüne Könige von Sachsen

"Den Umfragen zufolge ist als Alternative zu Schwarz-Blau derzeit in Sachsen nur ein Drei- oder gar Viererbündnis von CDU, SPD und Grünen sowie eventuell der FDP möglich. Dass die Ökopartei sich dafür wappnet, zeigt der völlige Verzicht auf Anti-CDU-Rhetorik in ihrem Wahlprogramm. Während es noch im August 2018 in einem Beschluss hieß, man wolle bei der Landtagswahl »die Macht der CDU brechen«, fehlen solche Passagen jetzt".
(Neues Deutschland v. 15.04.2019)

Bei den Kommunalwahlen konnten dann die Grünen als einzige Partei neben der AfD an Stimmen zulegen (siehe weiter oben). Ab Mitte August galten die Grünen dann in Sachsen als Machtfaktor. LOCKE & WEHNER schreiben in der FAZ vom 16.08.2019:

Das grüne Jawort

"Nach Lage der Dinge (...) brauchen Union und SPD, die in Dresden regieren, nach dem 1. September die Grünen dringend als Partner. In Umfragen gibt es eine hauchdünne Mehrheit für eine solche nach den Landesfarben von Kenia benannte Koalition - es ist die einzige realistische Mehrheit jenseits von CDU und AfD sowie CDU und Linken."
(Stefan Locke & Markus Wehner, FAZ v. 22.08.2019)

Auch das Handelsblatt stimmt fünf Tage später in diesen Chor ein ("Grüne werden im Osten zum Machtfaktor", 21.08.2019). Mit dem Erfolg wachsen jedoch auch die Probleme, die sich aus der Positionierung der Grünen ergeben: Die Durchsetzung von Klimaschutzzielen könnte angesichts der Positionierung gegen die AfD bei Koalitionsgesprächen zum Knackpunkt der Verhandlungen werden. Die CDU besitzt immer noch das Druckmittel einer Minderheitsregierung. In der taz vom 31.08.2019 heißt es dazu:

Zwischen Euphorie und Angst

"Noch kniffliger ist es in Sachsen. Dort hat Schwarz-Rot keine Zukunft, weil CDU und SPD wohl stark verlieren werden. Die Grünen müssten beiden zur Mehrheit verhelfen, auch um die starke AfD von der Macht fernzuhalten. Eine Kenia-Koalition, wie sie auch in Sachsen-Anhalt regiert. Habeck bezeichnet es bei der Klausur des Bundesvorstand in Dresden als »reale Gefahr«, dass sich eine CDU-Minderheitsregierung von der AfD tolerieren lässt. Die Grünen stehen unter enormem Druck, sie sind zum Regieren verdammt. Und das wird wehtun."
(Ulrich Schulte, taz v. 31.08.2019)

Es könnte also sein, dass die Grünen in Sachsen ihre Ziele beim Kohleausstieg und Klimaschutz dem Primat des Fernhaltens der AfD von der Macht opfern müssen. Das aber bedroht längerfristig ihre Glaubwürdigkeit. Es deutet einiges darauf hin, dass die Grünen den Klimaschutz opfern werden, um sich als Retter der Demokratie in Sachsen zu inszenieren. Stefan LOCKE schreibt dazu in der FAZ:

Im Freistaat beginnt die Koalitionssuche

"Sachsen Grünen zeigten sich (...) zu einer Zusammenarbeit mit der CDU grundsätzlich bereit. Als Bedingung für eine Koalition nannte Landesvorstandssprecherin Christin Melcher jedoch einen »kulturellen Aufbruch« für Sachsen. »Wir wollen (...) die Chance nutzen, einen wirklich demokratischen Aufbruch zu ermöglichen.«"
(Stefan Locke, FAZ v. 03.09.2019)

Zu den inhaltlichen Unvereinbarkeiten kommt ein enormer Zeitdruck hinzu, der den Spielraum für gewinnbringende Verhandlungen für SPD und Grüne massiv einschränkt:

Im Freistaat beginnt die Koalitionssuche

"Allzu viel Zeit können sich die potentiellen Koalitionäre nicht lassen. Der Landtag muss spätestens am 1. Oktober zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommen. Binnen vier Monaten muss dann ein Ministerpräsident gewählt sein, anderenfalls kommt es zu Neuwahlen."
(Stefan Locke, FAZ v. 03.09.2019)

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass SPD und Grüne in einer sehr schwierigen Lage sind. Sie sind zum Regieren verdammt, wenn sie die AfD von der Macht fernhalten wollen. Ist also die CDU der strahlende Sieger in Sachsen?

Die CDU kann es sich nicht leisten, die Erwartungen der Wähler erneut zu enttäuschen

Michael KRETSCHMER hat im Wahlkampf ein sehr gefährliches Spiel mit den Erwartungen der Wähler gespielt. Vor allem in den ländlichen Räumen hat er hohe Erwartungen an eine bessere Zukunft geweckt. Er hat sich z.B. abhängig von Zusagen von Großkonzernen wie Siemens gemacht, z.B. in Görlitz. In der FAZ beschreibt Kim Björn BECKER, wie die Hoffnungen von KRETSCHMER geweckt wurden und schreibt dem eine wahlentscheidende Wirkung zu. BECKER stellt dem Wahlverlierer Matthias REUTER im Wahlkreis 59 Görlitz 3 den Wahlsieger Marko SCHIEMANN im Wahlkreis 56 Bautzen 5 gegenüber:

Abgehängt in Sachsen

"Seit der Wende sitzt (Marko) Schiemann für die CDU im sächsischen Landtag, Wahlkreis Bautzen 5, nordwestlich von Görlitz 3 gelegen. Bei den Landtagswahlen hat er den Wahlkreis immer direkt gewonnen, sechsmal hintereinander. Schiemann, der Erststimmenkönig. Doch in diesem Jahr sah es so aus, als würde er vom Thron gestoßen. Sein Gegenkandidat, Sachsens AfD-Chef Jörg Urban, schien (...) kaum zu bezwingen. Die Lage war ähnlich prekär wie nebenan im Görlitzer Umland, im Frühjahr bekam die AfD bei der Europawahl in Bautzen deutlich mehr Stimmen als die CDU. Doch hier zeigte sich, wie stark die CDU auf den letzten Metern noch aufholen konnte. In Bautzen gaben am Sonntag fast 33.000 Sachsen ihre Stimme ab. Schiemann bekam genau 526 Stimmen mehr als Urban."
(FAZ v. 03.09.2019)

BECKER begründet den Sieg von SCHIEMANN mit seinem Wahlauftritten zusammen mit Michael KRETSCHMER und der Wirkung von Zusagen für Infrastrukturprojekte, die auch Arbeitsplätze in der Region schaffen sollen. Dies wird folgendermaßen beschrieben:

Abgehängt in Sachsen

"Michael Kretschmer (...). Mit ihm war Schiemann kurz zuvor im Bautzener Werk von Bombardier, einem kanadischen Hersteller von Flugzeugen und Zügen. Vor drei Jahren sollte es geschlossen werden, doch das Unternehmen konnte umgestimmt werden. »Ich stehe an der Seite der Arbeitnehmer, ich komme aus einer Arbeiterfamilie«, ruft Schiemann in die Menge. Kretschmer (...) nimmt (...) das Thema Bombardier wieder auf - eine Erfolgsgeschichte, die sie hier so dringend brauchen in der Lausitz. »Ich freue mich, dass die 30 Straßenbahnen, die wir in Dresden gerade bestellt haben, hier gebaut werden«, sagt Kretschmer. Doch da ist nicht nur Bombardier. Seit Jahren setzt sich Schiemann auch dafür ein, dass die Autobahn 4, die von Westen über Dresden und Bautzen bis nach Görlitz führt, in Teilen von vier auf sechs Spuren ausgebaut wird. Das wissen die Leute hier. »Wir haben grünes Licht bekommen«, sagt Kretschmer. »Der Ausbau kostet 1,2 Milliarden Euro, dafür brauchen wir 40 bis 50 Ingenieure. Und wir wollen sie nach Bautzen bringen zum Planen.«"
(FAZ v. 03.09.2019)

KRETSCHMER steht für solche kostspieligen Versprechungen, die Arbeitsplätze und Infrastruktur in die von der CDU jahrzehntelang vernachlässigten ländlichen Regionen bringen sollen. Doch ob er liefern kann, ist bei vielen Versprechungen ungewiss. Ihm könnte es wie Helmut KOHL und seinen blühenden Landschaften gehen. Großkonzerne wie Siemens oder Bombardier bleiben in strukturschwachen Regionen nur, wenn es profitabel ist. Staatliche Großaufträge und massive Subventionen sind deshalb das Mittel der Politik. Was aber, wenn der Abschwung droht und staatliche Mittel nur noch begrenzt zur Verfügung stehen?

Sachsen setzt verstärkt auf das Auto und Straßenbau. E-Mobilität soll vorgaukeln, dass damit dem Klimaschutz Genüge geleistet wird. Doch es bestehen Zweifel hinsichtlich der Reichweiten, der Lade-Infrastruktur, Arbeitsplatzerhalt oder der Nachfrage. Eine Woche vor den Wahlen lancierte die taz eine Reportage, in dem das Zwickauer VW-Werk gefeiert wurde, in dem "Industriegeschichte" geschrieben werden soll:

Zukunft made in Sachsen

"Im VW-Werk am Rande des Erzgebirges schreiben die Sächsinnen und Sachsen Industriegeschichte: Der Autobauer läutet hier das Ende der Ära des Verbrennungsmotors ein. Der Konzern baut die konventionelle Fabrik zum weltweiten Vorzeigestandort für die Produktion von E-Fahrzeugen um. Zwickau wird zum Modell für das neue Zeitalter, in das VW und die deutsche Autoindustrie im Vergleich zur chinesischen Konkurrenz mit erheblicher Verspätung aufbrechen. (...).
Etwa 8.000 Menschen arbeiten bei Volkswagen in Zwickau, außerdem Tausende bei Zulieferern in der Umgebung. Das 90.000 EinwohnerInnen zählende Zwickau besteht aus vielen kleinen Ortschaften, Das VW-Werk wirkt, als wäre es eine von ihnen. (...). Volkswagen investiert hier 1,2 Milliarden Euro:
Allerdings: Für den Bau von E-Autos werden etwa ein Drittel weniger Beschäftigte benötigt (...). Doch VW wird deshalb niemanden entlassen. Dafür soll die Produktion ausgeweitet werden. Statt wie bisher zwei sollen künftig sechs Modelle vom Band rollen. Statt 1.350 Autos sollen künftig täglich 1.500 produziert werden.
(...).
Unter 30.000 Euro soll ein VW kosten, der mit voll aufgeladenen Batterien rund 330 Kilometer weit kommt - das wäre etwa die Entfernung von Zwickau in die VW-Zentrale nach Wolfsburg. (...). Der ID.3 First mit einer Reichweite von 420 Kilometern soll 40.000 Euro kosten.
Vom Werk bis in die Zwickauer Innenstadt dauert es mit dem Auto eine gute Viertelstunde. Am Hauptmarkt zeugen sanierte alte Häuser von früherem Wohlstand. Neben der Autoproduktion war der Kohleabbau lange prägend für die Stadt. Der Hauptmarkt ist ein beschaulicher Ort. Hier steht das Rathaus, daneben ein Café mit Terrasse, das um 18 Uhr schließt, gegenüber ein Eiscafé. Bänke auf dem Platz laden zum Verweilen ein.
Die offizielle Arbeitslosenquote in Zwickau gehört mit 4,3 Prozent zu den niedrigsten in Sachsen. (...). Das ist nahezu Vollbeschäftigung"
.
(Anja Krüger, taz v. 23.08.2019)

Ein Ausbau der Bahninfrastruktur wäre die bessere Alternative. Doch Schwarz-Grün ist nicht dafür bekannt, dass hier die Prioritäten liegen. Die Linkspartei könnte sich hier profilieren, doch sie ist außen vor und auch viel zu schwach.

Die Landkreise Görlitz, Bautzen und Zwickau stehen - neben Meißen - stellvertretend für jene Regionen, in denen die AfD besonders hohe Wahlerfolge erzielt, und in denen durch Versprechungen der stärkeren Förderung die Wähler von der AfD abgehalten werden sollen. Doch ist das so einfach?

Aus der folgenden Tabelle ist die politische Lage in den fünf Wahlkreisen des Landkreises Bautzen nach der Landtagswahl 2019 ersichtlich:

Parteiplatzierungen

WK 52 Bautzen 1

WK 53 Bautzen 2

WK 54 Bautzen 3

WK 55 Bautzen 4

WK 56 Bautzen 5
  Erststimme Zweitstimme Erststimme Zweitstimme Erststimme Zweitstimme Erststimme Zweitstimme Erststimme Zweitstimme
Wahlkreissieger AfD (38,2%) 36,8 %
(+ 1,4 %)
CDU (39,8 %) 35,8 %
(+ 4,0 %)
AfD (31,9 %) 31,5 %
(+ 0,4 %)
AfD (34,7 %) 33,9 %
(+ 0,8 %)
CDU (38,0 %) 33,0 %
(+ 5,0 %)
Zweitplatzierter CDU (38,1 %) 34,6 %
(+ 3,5 %)
AfD (30,4 %) 31,0 %
(- 0,6 %)
CDU (31,5 %) 32,3 %
(- 0,7 %)
CDU (32,4 %) 33,5 %
(- 1,1 %)
AfD (36,4 %) 36,4 %
(+/- 0 %)
Drittplatzierter Linke (7,7 %) 6,8 %
(+ 0,9 %)
Linke (10,4 %) 8,0 %
(+ 2,4 %)
FDP (13,5 %) 7,8 %
(+ 5,7 %)
Linke (12,6 %) 10,7 %
(+ 1,9 %)
Linke (8,4 %) 7,7 %
(+ 0,7 %)
Viertplatzierter SPD (5,5 %) 5,7 %
(- 0,2 %)
FDP (6,0 %) 6,4 %
(- 0,4 %)
Linke (8,5 %) 7,8 %
(+ 0,7 %)
FW (8,0 %) 4,0 %
(+ 4,0 %)
FDP (5,8 %) 4,4 %
(+ 1,4 %)

Im Landkreis Bautzen hatten die FDP und die Freien Wähler, die in Sachsen nicht in den Landtag einziehen konnten, eine starke Bastion. Im Wahlkreis 54 Bautzen 3 trat der FDP-Spitzenkandidat Holger ZASTROW an, der von allen Direktkandidaten des Landkreises das Erststimmenergebnis, das am höchsten über dem Zweitstimmenergebnis der Partei lag, erreichte. ZASTROW übertraf damit auch das Ergebnis des "Erststimmenkönigs" der CDU.

In Bautzen konnte die AfD zwei der 8 Wahlkreise gewinnen, die ihre Sitzzahl im Landtag erhöhten. Den Wahlkreis 53 Bautzen 2 konnte die AfD jedoch nicht gewinnen. Ein Sieg hätte dazu geführt, dass die AfD alle 39 Sitze im Landtag hätte belegen können. Dieser Wahlkreis stand jedoch nicht im Mittelpunkt des Medieninteressens

Dagegen stand der Wahlkreis 56 Bautzen 5, in dem der AfD-Spitzenkandidat antrat, im Fokus der Medien. Hier wurde lediglich ein symbolischer Kampf ausgefochten, den die CDU nur knapp gewann. BECKER schildert das Duell zwischen SCHIEMANN und URBAN folgendermaßen:

Abgehängt in Sachsen

"Die ersten Ergebnisse kamen aus der Gemeinde Kubschütz, da gewann er mit sieben Stimmen Vorsprung. Kurz danach kam Hochkirch, wo er verlor, aber immer noch lag Schiemann zwei Stimmen vorne. In Doberschau-Gaußig lief es gar nicht, 118 Stimmen Rückstand auf den AfD-Kandidaten Urban. In Malschwitz hat Schiemann wieder gewonnen, sein Rückstand schrumpfte auf 15 Stimmen. Dann Bautzen, ein großer Erfolg, plus 813 Stimmen. Zum Schluss verliert Schiemann noch einmal in Großdubrau, aber der Vorsprung reicht - 526 Stimmen mehr als die AfD, das Mandat ist ihm sicher."
(FAZ v. 03.09.2019)

In der Kreisstadt Bautzen, die gemäß BECKER entscheidend zum Sieg des CDU-Direktkandidaten beitrug, lag das Erstimmenergebnis 5,2 % über dem der Partei. Der Vorsprung vor der AfD betrug jedoch nur 3,7 %. Nimmt man an, dass die kosmopolitischen Milieus den CDU-Kandidaten gestützt haben, dann hätten SPD (2,0 %) und Grüne (1,0) mit 3,0 Prozent den Großteil zum CDU-Sieg beigetragen. 10 % der Wähler haben der FDP und den Freien Wählern ihre Erststimmen gegeben, die beide nicht in den Landtag einzogen. Das Erststimmenergebnis lag 2,9 % über dem Stimmenanteil der beiden Parteien. Diese "verschenkten" Stimmen haben ebenfalls vor allem der CDU genützt.

Fazit: Bei solchen symbolischen Kämpfen, die im Mittelpunkt der Medienberichterstattung stehen, stellt sich immer die Frage, ob der Preis nicht zu hoch war und letztlich das Anti-AfD-Bündnis geschwächt wurde. Meist stehen die Versprechungen in keinem Verhältnis zum Wahlerfolg. Enttäuschte Erwartungen wiegen am Ende jedoch viel schwerer. Kann die sächsische Regierung also nicht liefern, dann hat das nicht nur Konsequenzen für das Bundesland selber, sondern strahlt weit darüber hinaus aus. Die Wähler halten sich bei ihrem Wahlverhalten nicht unbedingt an die politischen Verantwortlichkeitsgrenzen. So zitiert BECKER den CDU-Wahlverlierer REUTER folgendermaßen:

Abgehängt in Sachsen

"»Viele Leute bringen die Themen durcheinander, sie fragen nach der Rentenpolitik, für die der Bund zuständig ist, und ärgern sich über schlechte Straßen, worum sich die Gemeinden kümmern müssen.« Zur Landespolitik gehören dafür die typischen Felder Bildung. Innere Sicherheit und Kultur."
(FAZ v. 03.09.2019)

An solchen "fehlerhaften" Zuschreibungen sind jedoch die Wahlkampfstrategien der Parteien keineswegs unschuldig, sondern sie werden von allen Parteien - nicht nur von der AfD - gefördert. Oder warum treten sonst Bundes- und Kommunalpolitiker der eigenen Parteien bei den Landtagswahlkämpfen auf? Sich darüber zu beklagen, dass dann die Menschen politische Zuständigkeitsbereiche ignorieren, ist scheinheilig. So bald solche Ignoranz der eigenen Partei dient, wird das gerne mitgenommen!

Die Suche nach Mehrheiten jenseits der AfD wird die Koalitionsgespräche bestimmen

Im neuen sächsischen Landtag gehören die komfortablen Mehrheiten der CDU in den vergangenen Jahrzehnten der Vergangenheit an. 2014 sah die Sitzverteilung im sächsischen Landtag noch folgendermaßen aus:

Tabelle: Sitzverteilung im sächsischen Landtag nach der Wahl 2014
Gesamtzahl der Sitze Regierung Opposition
CDU SPD Linke Grüne AfD
126 59 18 27 8 14
Gesamtzahl der Regierung

77

 
Gesamtzahl der Opposition   49
Gesamtzahl der Opposition Rot-Grün contra AfD 35

14

Quelle: wahlen.sachsen.de; eigene Berechnungen

Die Regierungskoalition hatte 2014 mit 77 Sitzen eine Mehrheit von 14 Sitzen. Bei einer so genannten "Kenia"-Koalition von CDU-Grünen-SPD sieht die Sitzverteilung folgendermaßen aus:

Tabelle: Sitzverteilung im sächsischen Landtag nach der Wahl 2019
Gesamtzahl der Sitze "Kenia"-Regierung Opposition
CDU Grüne SPD Linke AfD
119 45 12 10 14 38
Gesamtzahl der Regierung

67

 
Gesamtzahl der Opposition   52
Quelle: wahlen.sachsen.de; eigene Berechnungen

Die Mehrheit ist von 14 um die Hälfte auf 7 Sitze zusammengeschrumpft und das bei drei statt zwei Parteien. Die AfD ist zudem die größte Oppositionspartei und die Linkspartei stark geschwächt, was eine eigenständige Profilierung in der Opposition enorm erschwert. Alternativen zur Kenia-Koalition wären einzig eine CDU-Minderheitsregierung oder eine CDU-AfD-Koalition, die mit 83 Sitzen eine komfortable Mehrheit hätte. Eine solche Koalition wurde jedoch vor der Wahl ausgeschlossen. Aus diesem Grund kommt bei den Koalitionsverhandlungen der Beschaffung der Mehrheiten größere Priorität zu als den Inhalten, denn alle drei Parteien stehen unter Erfolgsdruck.

Die einzige bislang existierende Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt gilt vielen als wenig erfolgreiches Projekt und zeigt die Schwächen einer solchen Koalition. 

Ein Ausblick auf die Wahl in Thüringen

In Thüringen stellt die Linkspartei seit 2014 ihren einzigen Ministerpräsidenten eines Bundeslands. Dort besteht bereits eine Drei-Parteien-Koalition von Linkspartei, SPD und Grünen mit einer hauchdünnen Mehrheit von einem einzigen Sitz. Die Linkspartei möchte dort bei den Landtagswahlen Ende Oktober den Erfolg der SPD in Brandenburg und der CDU in Sachsen wiederholen und als stärkste Partei weiterhin den Ministerpräsidenten stellen. Die Linkspartei hofft dabei auf eine ähnliche Aufholjagd in der Schlussphase des Wahlkampfes wie in Brandenburg und Sachsen. Ob sich diese Hoffnungen erfüllen, ist ungewiss.

Die unpopuläre und sehr spät abgesagte Kreisgebietsreform hat der CDU Möglichkeiten zur Profilierung zugespielt. In Brandenburg konnte sich Dietmar WOIDKE die Absage zuschreiben, während die Linkspartei den Schaden davon trug. Ob das Bodo RAMELOW ebenso gelingt, ist eine wichtige Frage. Die Umfragen sehen derzeit die Linkspartei vorne. Die AfD könnte auf ähnlich hohe Werte wie in Brandenburg kommen und damit ihr Wahlergebnis aus dem Jahr 2014 verdoppeln. Die Medien versuchen seit Langem den Spitzenkandidaten Björn HÖCKE zu dämonisieren und die AfD auf den völkischen Flügel zu reduzieren. Ob dies die AfD in Thüringen klein zu halten vermag, ist eine entscheidende Frage.

Gelänge es der Linkspartei in Thüringen nicht, stärkste Partei zu bleiben und weiterhin den Ministerpräsidenten stellen zu können, dann wäre das eine existenzielle Krise für die Partei. Sie könnte dann im Osten ähnlich bedeutungslos werden wie die SPD. Einzig die CDU könnte - gemäß den Umfragen - die Linkspartei als stärkste Partei in Thüringen ablösen. Nur wenn die Grünen die Schwäche der SPD kompensieren können, könnte es für eine Drei-Parteien-Koalition reichen, denn derzeit ist eine Erweiterung der jetzigen Koalition mit der FDP wenig wahrscheinlich. Sie ist weder in Brandenburg noch in Sachsen in den Landtag eingezogen und scheitert wahrscheinlich auch in Thüringen an der Fünf-Prozent-Hürde. Für die Linkspartei steht also in Thüringen sehr viel auf dem Spiel.

Thüringen, das in 17 Landkreise und 6 kreisfreie Städte untergliedert ist, ist wie Brandenburg in 44 Wahlkreise aufgeteilt (Karte siehe hier). Nur von der CDU, der Linkspartei, den Grünen und der FDP treten Direktkandidaten in allen Wahlkreisen an.         

Fazit. Der AfD den Nimbus der Protestpartei zu entreißen, ist eine wichtige Aufgabe, die vernachlässigt wird

Der Osten könnte eine Pionierrolle für den zukünftigen Parteienwettbewerb im Westen spielen. Dem Osten wird zwar ein größeres Potenzial an rechtsextremen Tendenzen in der Bevölkerung zugesagt. Doch darauf lässt sich die Rolle der AfD im Parteienwettbewerb nicht reduzieren. Das Image der Partei, die Politiker der etablierten Parteien zum Handeln zwingen zu können, ist ein ebenso starkes Motiv, die AfD zu wählen. Nach der Hartz-Reform konnte diese Rolle noch die Linkspartei übernehmen, doch diese Zeiten sind vorbei.

Ob die AfD ihren Nimbus als Protestpartei, mit der bislang zur Ohnmacht verdammte Wähler ein Gefühl der Selbstwirksamkeit zurückerlangen können, behalten kann, wird entscheidend für den weiteren Erfolg dieser Partei sein. Solange es keine überzeugende Alternative zur AfD jenseits der etablierten Parteien gibt oder die kosmopolitischen Milieus die durch den progressiven Neoliberalismus  entstandene Repräsentationslücke nicht schließen können bzw. wollen. So lange wird die AfD ihre Rolle unangefochten weiter spielen können. Viele Wähler erwarten von der AfD gar keine Problemlösungskompetenz, sondern sehen in der Partei lediglich einen Motor, der die erstarrten Verhältnisse im Parteiensystem aufzubrechen vermag. Die Reaktion der etablierten Parteien bestärkt sie zudem noch in diesem Glauben.

Für Rot-Rot-Grün war der Landtagswahlkampf in Sachsen auf alle Fälle eine fatale Niederlage oder wie es im taz-Artikel Letzter Warnschuss zusammengefasst wird:

Letzter Warnschuss

"Bei der SPD-Wahlparty (...) raunt eine Fraktionsmitarbeiterin: »Rot-Rot-Grün hat zusammen knapp weniger Stimmen als die AfD mit ihren 27,5 Prozent!« Addiert man die irrelevanten 4,5 Prozent der FDP und die 3,4 Prozent der auch als Auffangbecken für halbrechte Parteienausreißer fungierenden Freien Wähler zu CDU und AfD hinzu, so haben nahezu drei Viertel der sächsischen Wähler zumindest nicht progressiv gewählt."
(Daniel Schulz, Michael Bartsch, Stefan Reinecke, taz v. 03.09.2019)

Ob der jetzige Sieg der CDU in Sachsen letztlich ein Erfolg oder ein Pyrrhussieg des kosmopolitischen Milieus ist, das wird sich auch im Laufe dieser sächsischen Legislaturperiode erweisen müssen. Die Gefahr des Scheiterns ist angesichts der kostspieligen Wahlkampfversprechungen groß. Erneute Enttäuschungen sind da vorprogrammiert. Davon könnte die AfD profitieren, wenn weiterhin Alternativen fehlen. Letztlich hat sich das kosmopolitische Milieu jetzt nur teuer weitere Zeit erkauft. Ob diese sinnvoll genutzt wird, ist deshalb  entscheidend.         

Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte

"Dies ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt. Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
          
 Es wird aufgezeigt, dass sich die nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen.
          
 Die Rede von der "Single-Gesellschaft" rechtfertigt gegenwärtig eine Demografiepolitik, die zukünftig weite Teile der Bevölkerung wesentlich schlechter stellen wird. In zahlreichen Beiträgen, die zumeist erstmals im Internet veröffentlicht wurden, entlarvt der Soziologe Bernd Kittlaus gängige Vorstellungen über Singles als dreiste Lügen. Das Buch leistet damit wichtige Argumentationshilfen im neuen Verteilungskampf Alt gegen Jung, Kinderreiche gegen Kinderarme und Modernisierungsgewinner gegen Modernisierungsverlierer."

 
     
 
       
   

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webmaster@single-generation.de Erstellt: 17. September 2019
Update: 17. September 2019