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Neubau-Gentrification in ehemaligen
Industriegebieten und auf städtischen Brachen
Im Gegensatz
zu dieser klassischen Form der Gentrification in
Altbauquartieren steht die Neubau-Gentrification. Andrej HOLM
geht von einem sehr weiten Verdrängungsbegriff aus, wenn er auch
die Umnutzung von Wohngebäuden als Büros mitberücksichtigt. Der Kampf der
Lebensstile wie er bei HARTMANN zum Ausdruck kommt, greift hier
zu kurz, denn die Auswirkungen von Neubauprojekten auf die
Sozialstruktur ergeben sich durch die Verknappung des Bodens für
alternative Nutzungen und nicht allein dadurch, dass
statusniedere Bewohner durch statushöhere Bewohner verdrängt
werden.
Wir Bleiben Alle!
"Insbesondere Entwicklungsprojekte in ehemaligen
Haufen- oder Industrieanlagen, aber auch die räumliche
Ausdehnung von innenstädtischen Büronutzungen sind typisch für
diese Entwicklungen. Oftmals wird argumentiert, dass ein Neubau
von Wohnungen in vormals unbewohnten Gebieten keine Verdrängung
verursache. Doch die Umwandlung ehemaliger Industriebauten in
luxuriöse Lofts oder auch die Errichtung sogenannter Townhouses
auf städtischen Brachen haben einen nur scheinbar
verdrängungsneutralen Charakter. Zum einen werten spektakuläre
Neubauten auch die umliegenden Wohnviertel auf, insbesondere,
weil die in unmittelbarer Nachbarschaft realisierten
Bodenwertrenditen die Begehrlichkeiten anderer Eigentümer_innen
wecken. Zum anderen verschärfen sie die Schließung
innerstädtischer Wohnungsmärkte für ärmere Haushalte, da sich
der Anteil preiswerter Wohngelegenheiten in den betroffenen
Gebieten reduziert."
(2010, S.14f.)
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Supergentrification - Aufwertung
bereits aufgewerteter Viertel
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Berlin
Prenzlauer Berg; Foto: Bernd Kittlaus 2014 |
Neubauten im
Luxuswohnbereich werden gemäß HOLM vor allem in bereits
aufgewerteten Wohnvierteln errichtet.
Wir Bleiben Alle!
"Die aktuelle Welle von Luxuswohnprojekten in den
Aufwertungsgebieten der Ostberliner Innenstadt, aber auch die
Pläne für das »Bernhard-Nocht-Quartier« in Hamburg-St. Pauli,
stehen exemplarisch für diesen Trend. In Berlin-Mitte und Teilen
von Prenzlauer Berg übersteigen die Neubauanträge mittlerweile
die Anzahl der Modernisierungsaktivitäten in Bestandswohnungen.
Die Pläne für eine Hochhausbebauung auf dem Gelände des
bisherigen Universitätscampus Bockenheim in Frankfurt am Main
zeigen, dass selbst bereits gentrifizierte Wohnviertel nicht als
Schutzzonen für erweiterte Aufwertungsdynamiken anzusehen sind."
(2010, S.15)
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Bei HARTMANN
führt Gentrifizierung - auch Super-Gentrifizierung - immer zum
vollständigen Austausch der Bewohner.
Wir müssen leider draussen bleiben
"Es ist die
letzte Stufe der ökonomischen Vertreibung, wenn selbst
die Profiteure der Gentrifizierung aus dem Viertel
weichen müssen. Aufwertungsprozesse, die in bereits
aufgewerteten Quartieren stattfinden, nennt man
Supergentrifizierung. Das bedeutet, dass selbst die
gut verdienende Mittelschicht verdrängt wird - durch
wirklich Reiche. Es folgt über kurz oder lang ein
vollständiger Austausch Statusniederer durch eine
ranghöhere Bevölkerung. Es ist das Gegenteil einer
sozialverträglichen Mischung, wie sie die Stadtpolitik
eigentlich garantieren müsste."
(2012, S.128)
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Aber sind
Aufwertungsprozesse tatsächlich immer erfolgreich? Und betreffen
Aufwertungen immer ein ganzes Viertel? Und müssen immer alle
Phasen eines Aufwertungsprozesses durchlaufen werden?
Alternativszenen und Künstler sind keine notwendige
Voraussetzung von Aufwertungsprozessen
Die
Neubau-Gentrification bzw. Super-Gentrification zeigen, dass die
Pionierphase keine notwendige Voraussetzung für
Aufwertungsprozesse in Vierteln ist.
Wir Bleiben Alle!
"Die sonst für Gentrifications-Prozesse so typischen
Pionierphasen der symbolischen Aufwertung werden bei (...)
Neubauprojekten übersprungen. Immobilienwirtschaftliche
Inwertsetzungen und städtische Aufwertungsstrategien zeigen
dort, dass die Rolle von Künstler_innen und Alernativen in den
Gentrifications-Diskursen oft überschätzt werden und diese eher
Begleiterscheinungen und Katalysatoren von Aufwertungsprozessen
als deren Ursache sind."
(2010, S.16)
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HARTMANN
beschreibt die letzte Phase des Aufwertungsprozesses
folgendermaßen:
Wir müssen leider draussen bleiben
"Lebensstile
markieren soziale Unterschiede. Innerhalb des selben
sozialen Milieus zu leben, verspricht Sicherheit. Den
Wohn- und Lebensraum nur mit seinesgleichen teilen zu
müssen, ist deshalb das wichtigste Verkaufsargument.
Den hohen Preis, den Menschen dafür bezahlen, um unter
ihresgleichen zu bleiben, nannte der französische
Soziologe Pierre Bourdieu »Extrakosten für räumliche
Distinktionsprofite«"
(2012, S.132)
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HOLM
beschreibt den Gentrifizierungsprozess in vier Phasen
(vgl. HOLM 2010, S.31ff.). Dabei dient ihm Sharon ZUKINs
Beschreibung der Aufwertung des New Yorker Künstlerviertel SoHo
in ihrem Buch
Loft-Living als Beispiel für die Verwandlung von
kulturellem in ökonomisches Kapital im Sinne der Kapitaltheorie
von Pierre BOURDIEU. Bei der Wohnortwahl sehr einkommensstarker
Bevölkerungsgruppen können solche sozialen Distinktionsprofite
durchaus eine Rolle spielen, dagegen
werden sie im Allgemeinen überbewertet
. Künstler- bzw. Szeneviertel stellen jedoch
nur einen bestimmten Typus von Stadtvierteln dar.
Nicht
alle Viertel durchlaufen einen vollständigen
Gentrifizierungsprozess
Der
vollständige Austausch einer Bevölkerung eines Viertels im Sinne
einer Verdrängung ist eher die große Ausnahme als die Regel.
Wir Bleiben Alle!
"Nicht jede Aufwertung durchläuft die spektakulären
Verwandlungen ehemaliger Armenviertel in exklusive Enklaven des
Reichtums. Nicht einmal jedes Szeneviertel fällt zwangsläufig
der weiteren Gentrification anheim und viele Aufwertungsprozesse
bleiben auf halbem Wege stecken, ohne dass es zu einer
vollständigen Verdrängung der früheren Bewohnerschaft kommt."
(2010, S.16)
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Aber selbst
wenn Aufwertungsprozesse nicht alle Phasen durchlaufen, hat dies
Folgen für die Bewohnerschaft. HOLM beschreibt in diesem
Zusammenhang die symbolische Gentrifizierung des Quartiers
Nordneukölln, das auch als Kreuzkölln bezeichnet wird, weil es
an den Berliner Stadtteil Kreuzberg angrenzt.
Berlin-Kreuzberg und Hamburg St. Pauli beschreibt HOLM als
Viertel, die durch ein Nebeneinander von Aufwertungstendenzen
und Beharrungstendenzen gekennzeichnet sind. Insbesondere
Alternativszenen bzw. Subkulturen und Künstler können sich auch
als widerspenstig erweisen. Der Umgang mit dem Hamburger
Gängeviertel zeigt aber zugleich, dass Künstler als Teil der
umworbenen kreativen Klasse (Richard FLORIDA) allein durch ihre
Stellung in der neuen Wissensökonomie Einfluss auf die Stadtpolitik nehmen können, die
anderen Bevölkerungsgruppen verwehrt bleibt. Davon zeugt das
Buch
Gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle von Christoph TWICKEL:
Gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle
"Die Besetzer und Supporter des Gängeviertels
rekrutieren sich ausgerechnet aus jenem bohemistischen Milieu,
um das laut Richard Florida Metropolen heute besonders werben
müssen, wenn sie wirtschaftlich oben mitspielen wollen. Nicht
zuletzt deshalb fasst die Politik die neuen Häuserkämpfer in
Hamburg mit Samthandschuhen an. Die Räumung des Gängeviertels
wäre ein Imageschaden für eine Stadt, die sich in bunten
Broschüren gerne als »pulsierende Metropole« für »Kulturschaffende
aller Couleur« anpreist. Zu Zeiten, in denen eine kreative
Boheme das Umfeld für Unternehmensansiedlungen schaffen soll,
kann keine Stadt Bilder von vollverschalten Räumkommandos
gebrauchen, die »Kreative« aus Altbauten schleifen."
(2010, S.79)
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Der
Stadtsoziologe Andrej HOLM sieht deshalb in der "Floridarisierung"
der Stadtpolitik das freundliche Gesicht der unternehmerischen
Stadt:
Wir Bleiben Alle!
"Eine beliebte Form unternehmerischer
Stadtpolitik ist die Creative-City-Orientierung. Ausgehend von
den Thesen des kanadischen Stadtplaners Richard Florida
versuchen viele Städte für die sogenannte »Kreative Klasse«
attraktive Wohn-, Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen.
Als kreative Klasse zählen dabei prinzipiell alle »Leistungsträger_innen«
der neuen wissensbasierten Wirtschafts- und
Dienstleistungsbereiche. Angestellte in PR-Agenturen und
Wissenschaftler_innen in Forschungslabors werden dabei von
Richard Florida ebenso ur kreativen Klasse gezählt wie
Kulturproduzierende. (...) Wie in den klassischen
unternehmerischen Orientierungen geht es den Städten um die
Herstellung einer besonderen Anziehungskraft für die umworbene
Gruppe. Spätestens seit der Jahrtausendwende versuchen hunderte
Großstädte weltweit sich als Creative Cities ein neues
Image zu geben."
(2010, S.43)
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In
Deutschland wurden die Thesen von Richarda FLORIDA zur Kreativen
Klasse und ihre Bedeutung für die Großstädte erst im Jahr 2007
in den Medien breiter diskutiert und in Form von Städte- und
Regionenrankings popularisiert. Drei Jahre später spricht
Philipp OEHMKE im Spiegel-Artikel
Stadt der Gespenster anlässlich der Besetzung des
Hamburger Gängeviertels durch Künstler davon, dass Städte, die sich
wie die "Talentstadt" Hamburg als Creative Cities entworfen
haben, nun ein Problem haben. Was also ist von der Gentrifizierungskritik zu halten? HARTMANN sieht darin
lediglich ein
Mittelschichtphänomen, bei dem es um die Interessen
verschiedener Lebensstilgruppen an einem Viertel geht.
Wir müssen leider draussen bleiben
"In den Medien
wird beharrlich das Feindbild der
»Pornobrillen-Träger«, der bugaboo-schiebenden Supermütter und der
Latte-Macchiato trinkenden »Öko-Schwaben« bemüht, um
die
»Yuppisierung« und das »Bionade-Biotop« des Prenzlauer Bergs zu monieren
oder zu belächeln. Doch dass gerade diese Klischees
sich im Mainstream-Diskurs so durchgesetzt haben,
belegt nur, dass die Gentrifizierung im Prenzlauer
Berg längst abgeschlossen ist. »Das hat viel mit dem
Selbstbezug der Mittelschicht zu tun, die dort ja
mittlerweile vor allem lebt. Wenn es die Mittelschicht
betrifft, dann kommt es in die Medien - denn dort
arbeiten ja ebenfalls Angehörige der Mittelschicht«,
meint der Sozialwissenschaftler Andrej
Holm. Oft gehören gerade die Pioniere der
Gentrifizierung zu deren späteren Kritikern (...).
»Und ihnen fallen vor allem die kulturellen
Veränderungen auf«, sagt der 42-Jährige, der sich mit
Stadterneuerung und Aufwertungsprozessen beschäftigt.
Er (...) kennt die Entwicklung im Prenzlauer Berg gut.
Die Sanierung hat Holm unter anderem im
Forschungsprojekt »Veränderte Bedingungen der
Stadterneuerung - Beispiel Ostberlin« mit untersucht,
unter der Leitung seines Doktorvaters, des
Stadtsoziologen Hartmut Häußermann. Mittlerweile, so
hat Holm beobachtet, kommt die Gentrifizierungs-Kritik
aus den Reihen von saturierten Protestlern:
»Nachbarschaftsinitiativen thematisieren heute eher
die Lebensqualität als den Vertreibungseffekt durch zu
hohe Mieten«, kritisiert er. Schließlich haben die
Bewohner, die wegen eines bestimmten Images an den
Prenzlauer Berg oder in ein anderes aufgewertetes
Viertel wie Mitte, Kreuzberg oder Friedrichshain
gezogen sind, hohe Ansprüche an ihr Wohnumfeld und die
Infrastruktur im Viertel. Sie zahlen ja nicht nur für
ihre Wohnung, sondern für ihr Lebensgefühl und ihren
Lifestyle."
(2012, S.117f.)
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Dass es bei
der Gentrifizierungskritik um ein Mittelschichtphänomen geht,
ist nichts Neues. Bereits in den 1980er Jahren - wie weiter oben
bereits angedeutet - ging es um die Deutungshoheit über
Gentrifizierungsprozesse. 1990 beschrieb der Soziologe Sighard NECKEL die
Politik der Lebensstile, so ein Essay
wiederveröffentlicht in dem Band
Die Macht der Unterscheidung.
NECKEL beschreibt darin die Auseinandersetzungen zwischen Punks
und Yuppies in Berlin-Kreuzberg bzw. Schöneberg als Ausdruck
kinderloser Lebensstile der neuen Mittelschicht
. So einfach ist
die Sachlage jedoch mittlerweile nicht mehr, denn das Viertel
Prenzlauer Berg ist eher ein Beispiel für einen neuen Akteur auf
dem Felde des Gentrifizierungungsprozesses: junge Familien, die
aufgrund der Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht mehr an
den Stadtrand ziehen wollen, sondern in den innenstadtnahen
Wohngebieten wohnen bleiben oder dort sogar hinziehen. Dieses
Phänomen wurde zwar bereits 1993 von Monika ALISCH in dem Buch
Frauen und Gentrification beschrieben, wird aber bis
heute eher tabuisiert. HARTMANN ist hier auch keine Ausnahme,
sondern sie macht es sich zu einfach, wenn sie den Modebegriff
"Wutbürger" benutzt, um Kritik an der Gentrifizierung mundtot zu
machen.
Wir müssen leider draussen bleiben
"Berlin scheint
die Hauptstadt der »Dagegen-Politik« zu sein. So
nannte der Spiegel im August 2010 Bürgerproteste, die
eher Privatinteressen in den Blick nehmen als das
Allgemeinwohl. »Wutbürger«, nannte Dirk Kurbjuweit
solche Leute. Man kann dies kaum als einen Erfolg für
die Demokratie feiern. Im Gegenteil: Das Politische
ist privat geworden in der neoliberalen
Konsumgesellschaft, deren Mitglieder selbst für die
Ausgestaltung ihres Lebens zuständig sind. Menschen
finden sich nur dann zu losen, flexiblen
Gemeinschaften, zu Zielgruppen zusammen, wenn sie
zufällig dasselbe Lifestylekonzept teilen."
(2012, S.123)
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HOLM
beschreibt Gentrifizierung dagegen als neues Leitmotiv der
Stadtentwicklung, denn im Gegensatz zum Beginn der 1980er Jahre,
als die Träger der Gentrifizierung als Kinderlose beschrieben
wurden, sind nun Doppel-Karriere-Familien die erwünschten Träger
der Reurbanisierung. Damit sind neue Konflikte vorprogrammiert,
z.B. in Form von Mütterkriegen. Dafür steht das Feindbild
Latte-Macchiato-Mutter, das als typische Prenzlauer Berg-Mutter
gilt. Antje SCHMELCHER sieht darin in ihrem Buch Feindbild
Mutterglück einen Angriff auf die Wahlfreiheit und den Zwang
zur Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft.
Feinbild Mutterglück
"Das
Berliner Stadtmagazin Zitty veröffentlichte eine Liste
mit Berlins beliebtesten Feindbildern. Darunter die »Übermutti«.
Wofür wird sie gehasst? Weil sie stillt, strickt und kocht und
sich öffentlich mit ihrem Kind zeigt. Und vor allem: »Ihr
Becken gebar den Heiland von morgen, ihre Bedürfnisse haben
Vorrang, ihr Kinderwagen hat Vorfahrt.«
Ich fand mich wieder in Comics, Zeitungsartikeln und der
Frauen-Ratgeberliteratur: Als böse Mutter, Ehrgeizmutter,
Übermutter, Latte-Macchiato-Mutter und als Karikatur."
(2014, S.201)
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Die Debatte
um den Ausbau
der öffentlichen Kinderbetreuung - insbesondere die
Krippenbetreuung für unter 3-Jährige - ist nicht etwa ein
Beispiel für den Kampf der Lebensstile zwischen Kinderlosen und
Eltern, der in Medien gerne inszeniert wird, sondern deutet auf
konträre Infrastrukturinteressen und Familienideale von Müttern hin.
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