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Die Tournee
"Evelyn
Harder. Sie war auch mal verheiratet gewesen. »Mein Mann war
auch in der Branche, ein ganz Fixer, ich hab das mal sehr
bewundert. Der schrieb eine Riesenserie in drei Tagen, immer
unter Strom, aber auf Zeile, solange er funktionierte. Einer
von diesen Jungs, die sehr schnell ausgebrannt sind. Wir
hatten ja auch ein Kind, meine Tochter, sie geht in England
zur Schule, und mein Mann ist völlig kaputtgegangen in
diesem Männerjournalismus. Teurer Schnaps, schnelle Wagen,
schnelle Mädchen, schnelles Geld. eine Serie, die nie
aufzuhören schien, und dabei innerlich ganz leer, eine
Hülse. (...).«"
(2007, S.171) |
Stil ist die letzte
Revolution
Im aktuellen Sonderheft
der Zeitschrift Merkur zum Thema
Kein Wille zur Macht
hat der Popjournalist Ulf POSCHARDT und Chefredakteur des neuen
People-Magazins Vanity Fair in seinem Beitrag Berlin als
"Laufstall für Zurückgebliebene" bezeichnet. Berlin ist für
POSCHARDT das Paradebeispiel einer Stadt, die seit der
Naziherrschaft durch das Kleinbürgertum definiert sei. Es fehlte
dort gemäß POSCHARDT bis in die jüngste Vergangenheit hinein ein
Bürgertum, das den sittlichen und vor allem ästhetischen Verfall
stoppen konnte.
Stil ist die letzte Revolution
"Im
Westen verliessen nach Blockade und Mauer Menschen und
Familien mit Zukunft die Stadt. Dafür begann die Invasion
der Kriegsdienstverweigerer und Gastarbeiter. Doch nicht die
randalierenden Linken und die fremdelnden Anatolier
verantworteten den Niedergang der Stadt, sondern das
übriggebliebene Klein- und Kleinstbürgertum, das nirgendwo
trister und größenwahnsinniger daherkam als in Berlin."
(August 2007, Heft 700, S.852) |
Die Deutschen seien das
Volk der Kleingärtner. Die Verachtung des Kleinbürgers ist
kennzeichnend für die Elite der Berliner Republik. Uncool und
spießig, bar jeglicher Ästhetik fehlt ihm der Wille
mitzuspielen.
Ausgerechnet
im Berlin Mitte der 1980er Jahre beginnt Jörg FAUSERs letzter - leider
unvollendet gebliebener Roman Die Tournee. Mitten in der
Schrebergartenidylle von Buckow treffen wir auf Harry Lipschitz,
einen der vier Hauptfiguren des Deutschland-Romans. Die SPD ist
nach dem Machtverlust in Bonn in der Krise und Harry, der erst mit 53 Jahren seine
Junggesellen-Existenz aufgegeben hat und seit 4 Jahren das Leben
eines typischen Kleinbürgers führt, will es nochmals wissen. Er
ist ein Vertreter der alten SPD der Vor-Schröder-Ära, einer aus
der alten Garde, ein Einzelkämpfer, ein Einzelgänger gar. Einer,
der sich in der Grauzone bewegt. Wenn die Partei ihn braucht,
dann ist er da.
Für
FAUSER ist dieser ästhetisch unscheinbare, uncoole Lipschitz
der Mann, der es richten soll. "Er, das ausrangierte alte Eisen,
ist die moralische Kraft" heißt es in den Notizen zum Roman. Wir
werden es nie wissen, wie sich der Showdown in einem deutschen
Kurort abspielen sollte, aber eines ist gewiss: nicht auf die
coolen Lifestyle-Typen, die heute die Berliner Republik
bevölkern, kommt es an, sondern FAUSERs Herz schlägt für einen
Typus, der äußerlich zwar einem der gehassten Kleinbürger von
POSCHARDT zum Verwechseln ähnlich sieht, aber nichtsdestoweniger
Haltung besitzt. Eine Haltung, die den Erfolglosen heutzutage
abgesprochen wird.
Was
FAUSER jedoch von den altbackenen Moralisten der Bonner Republik
unterscheidet, das ist die Verwendung popkultureller Stilmittel.
FAUSER gelingt der Spagat zwischen spannender Unterhaltung und
anspruchsvoller Mentalitätsgeschichte.
Eine Tournee durch die Bonner Republik
Für das Westdeutschland
der 1980er Jahre stehen im Roman Die Tournee exemplarisch
die Frontstadt Berlin sowie die Großstädte München und
Frankfurt. München
wurde in den vergangenen Jahren gerne als großbürgerlicher
Gegenpol zu Berlin beschrieben. Bücher wie Hier spricht
Berlin (2003) und Schaut auf diese Stadt (2007) belegen den
Konkurrenzkampf zweier Stadtkulturen um die einzig wahre
Urbanität.
Für
München steht im Roman zum einen das Gärtnertorviertel, in dem
Guido Franck eine Galerie führt, die durch seine Scheidung in
der Existenz gefährdet ist. Zum anderen ist es der Sitz einer
neuen Lifestyle-Zeitschrift, deren Chefin Evelyn Harder ist. Der
Name ist Lesern des Krimis Das Schlangenmaul ein Begriff
. Es
ist eines der Markenzeichen von FAUSER, dass er seinen Figuren
über lange Zeit treu ist. Er entwickelt seinen Figuren-Kosmos in
dem Roman konsequent weiter, sodass FAUSER-Kenner auf ihre
Kosten kommen. Heinz
Harder also, der ausgebrannte Männerjournalist, dessen Episode
als Bergungsexperte für außergewöhnliche Fälle im Krimi Das
Schlangenmaul beschrieben wird, hat sich ins Ausland
abgesetzt und seine Ex-Frau Evelyn hat den Umbruch zur
Postmoderne in den 1980ern Jahren genutzt, um weiter ihren Weg zu
gehen, wie wir aus einer Beschreibung von Vicky Borchers-Bohne,
einer ehrgeizigen Journalistin aus der Single-Generation,
die in Frankfurt lebt, und eine Reportage über das
Tournee-Theater schreiben möchte:
Die Tournee
"Vicky
fand Evelyn Harder unwiderstehlich: diese Frau hatte zwar,
das wußte man ja, als Modeschnepfe angefangen, aber nach
zehn Jahren harter Arbeit saß sie jetzt quasi als
Chefredakteurin einer Lifestyle-Zeitschrift von 200 000
Auflage, steigend, da und hatte die goldenen Jahre vor sich,
die ganz großen Blätter, die ganz hohen Auflagen, die
wirklich wichtigen Leute in London, Paris, New York.
Unheimlich intensiv, dachte Vicky, ihre ganz doch so coole
Ausstrahlung: man merkt, diese Frau muß sich in ihrem Laden
von keinem Mann mehr etwas sagen lassen."
(2007, S.170) |
FAUSER ist 1944 geboren
und damit Angehöriger der 68er-Generation. Aber wie kein anderer
aus dieser Generation, hat er ein Gespür für die Umbrüche in
seiner Generation entwickelt. 1986
als FAUSER an der ersten Fassung des Romans schrieb, da erschien
mit Risikogesellschaft die erste Popularisierung der
Individualisierungsthese des Soziologen Ulrich BECK. Aber erst
mit dem Bestseller Das ganz normale Chaos der Liebe wurde
der Begriff Single-Gesellschaft zum Allgemeingut
.
Obwohl
die allein lebende Karrierefrau erst im Zusammenhang mit der
Generation Golf entdeckt wurde, hat single-generation.de
aufgezeigt, dass sich ihr Durchbruch bereits in der
Single-Generation vollzog
. Mit
Evelyn Harder und Vicky Borchers-Bohne hat FAUSER dieser
Entwicklung in der Medienbranche
,
frühzeitig Ausdruck verliehen.
Guido
Franck, der Galerist vom Gärtnertorviertel, steht für eine
Frühform des Lebensunternehmers, einer der sich ständig neu
erfindet. Durch seine Scheidung ist seine Existenz als Galerist
gefährdet. Franck, der auch eine Kolumne für die Zeitschrift von
Evelyn Harder schreibt, ist das, was Ingo NIERMANN in seinem
Buch Minusvisionen beschrieben hat:
Minusvisionen
"Seit
Jahren wächst in Deutschland die Zahl der Unternehmen. Noch
schneller wächst die Zahl der Insolvenzen. Der unsichere
Arbeitsmarkt drängt immer mehr Menschen, sich selbst
anzustellen, trotz ungenügender Finanzierung. Wer scheitert,
hat es wenigstens versucht. Eine Zeitlang darf man handeln,
als würden dann die Träume wahr. Je versponnener die
Geschäftsidee, desto größer der Gewinn, wenn sie gelingt.
Wenn nicht, verspricht nur ein neues Unternehmen den
baldigen Ausgleich der Verluste. Doch wie oft läßt sich der
Neuanfang wiederholen?"
(aus: Klappentext, 2003) |
Franck hat jedoch anders
als in Zeiten des New Economy-Booms, Probleme das Startkapital
für sein Unternehmen aufzubringen. Aber Neuanfänge sind Franck
in Fleisch und Blut übergegangen. Mit 14 hat er seinen Vater
verloren und ist in einem Frauenhaushalt aufgewachsen. Mit 28
beerbt er überraschend seine Tante und macht sich mit dem ganzen
Geld auf eine Weltreise, die - anders als geplant - in Istanbul
endet. Danach kehrt er zurück, heiratet die Tochter eines
Geschäftsmannes. Damit beginnt seine Unternehmerkarriere. Gegen
jeden Rat plant er nun eine völlige Neuorientierung. Trotz allen
Risiken. Seine Vorstellungen beschreibt er folgendermaßen:
Die Tournee
"»(...)
Eine Konzentration auf das Wesentliche. Die konzentrierte
Arbeit mit wenigen, starken Talenten. Den Durchbruch.«
»Das hört sich sehr gut an. Aber auch sehr gewagt. Hohe
Investitionen, hohes Risiko.«
»Ach wissen Sie, wenn man nichts riskiert, ist man in diesem
Geschäft am falschen Platz. In Ihrem sicher auch! Ich mache
das ja auch gar nicht mit einem Kunsthändler-Bewußtsein. Ich
bin ein Partner des Künstlers, scheitert er, so scheitern
wir beide. Man muß ein Spieler sein, sonst ist die Kunst
eine Buchhaltung des Bestehenden. (...)«"
(2007, S.42) |
Um seine idealistischen
Vorstellungen umsetzen zu können, lässt er sich auf einen
Heroin-Deal mit dem zwielichtigen Charles Kuhn ein. Dieser
Handlungsstrang entwickelt sich im Laufe des Romans zu einer
Krimiposse, in der ein Postpunk und die Galerieszene auf
unnachahmliche Weise beschrieben wird.
FAUSER
beschreibt hier eine Umbruchphase im Kunstmarkt, wie sie erst
wieder nach dem Zusammenbruch der New Economy und der
Zeitschriftengründung Monopol von Florian ILLIES und
Amelie von HEYDEBRECK im Kunstmarkt entstanden ist. Francks
Finanzberater warnt ihn: "Geh aus dem Kunstmarkt raus (...) Da
wird heute das große Geld gemacht, Guido, und wo das große Geld
gemacht wird, werden die kleinen Leute totgetrampelt."
Charles
Kuhn ist ein Typ, der aussieht wie ein Yuppie, aber ein
euro-asiatischer Krimineller ist. Seine außerordentliche
Wandlungsfähigkeit zeigt sich in einer Episode, die sich in
Frankfurt abspielt. Ausgerechnet zum Zeitpunkt des Evangelischen
Kirchentags, trifft Kuhn dort ein. Um noch ein Hotelzimmer zu
bekommen, muss er sich als Pfarrer einer exotischen
Kirchengemeinde ausgeben.
Wie FAUSER diese Kirchentag-Stimmung in Frankfurt einfängt,
gehört zum Besten des Romanfragments. FAUSER ist ein Ethnologe des
Alltags, das wird hier besonders deutlich. Jan BÜRGER, einer der
beiden Herausgeber des Romanfragments, beschreibt die
Arbeitsweise von FAUSER, die sich von seiner Anfangszeit
unterscheidet:
Die Tournee
"Jede
Kleinigkeit in der Tournee entspricht der
historischen Wirklichkeit, und doch ist das Ganze Fiktion.
Mit Tophane und Rohstoff literarisierte er die
eigene Vergangenheit, beim Schreiben der Tournee
kehrte er das Verhältnis gewissermaßen um: Er suchte die
Schauplätze auf und begab sich in Situationen, die er zum
Schreiben brauchte. Zuerst war da ein erzählerischer
Einfall; damit er in die Tat umgesetzt werden konnte, mußten
die passenden Erfahrungen nachgeholt werden."
(2007, S.235) |
Charles Kuhn hat ein
feines Gespür für die speziellen Notlagen seiner Opfer. Ob es
Guido Franck ist, oder die alternde Schauspielerin Natascha
Liebling, die im Mittelpunkt des vierten Handlungsstranges
steht, der dem Roman zugleich seinen Titel gibt.
Natascha
Liebling steht mit 41 Jahren an einem Tiefpunkt ihrer
Schauspielkarriere. Die Theatertour mit einem Boulevardstück
versteht sie als letzte Chance. FAUSERs Mutter war eine
Schauspielerin, d.h. er wusste wovon er schrieb. Dennoch
begleitete er eine damals aktuelle Tournee mit Doris KUNSTMANN,
um das Milieu so realistisch wie möglich darstellen zu können.
Im
Herbst 1986 erscheint in der Zeitschrift TransAtlantik
der Essay Die Wunde der Komödianten, in dem FAUSER das
Prinzip einer solchen Tournee erläutert: "Tourneetheater, heißt
es in der Branche, das ist Startheater. Und wenn der Star nicht
auftritt, fällt die Vorstellung aus. Und die Abendkasse." Der
Essay ist im Buch nachzulesen, sodass der Leser nachvollziehen
kann, was den Reporter FAUSER vom Romanautor FAUSER
unterscheidet.
Mancher
ist der Meinung, dass Frank SCHIRRMACHER die Methusalem-Debatte
erfunden habe. Tatsächlich aber war bereits Mitte der 1980er Jahre
der demografische Wandel ein Thema. Die Last wird zu groß
titelte der Spiegel und in einer mehrteiligen Serie wird
die Frage gestellt Den Alterskassen ein Baby schenken?
Nichts davon hinterlässt in FAUSERs Roman seine Spuren (Gott sei
dank!) und dennoch ist die Älterwerden ein zentrales Thema.
Single-generation.de hat diese Thematik einer Gesellschaft
der Langlebigen ausführlich an anderer Stelle erörtert
.
Harry
Lipschitz, der Berliner SPD-Genosse ist ein Mann von 50 Jahren,
der vor kurzem das Focus-Cover zierte. Und auch die Frau
um 40 - also Natascha Liebling - wurde auch nicht von
Claudius SEIDL ("schöne junge Welt") entdeckt
. Bereits im
November 1984 zierte sie einen Spiegel-Titel
Die Frau um 40
"Die Krise in der Lebensmitte ist auch aus anderem
Grund allgegenwärtig: Spätestens ab Vierzig beginnen jene
Frauen gegen den Trend zu leben, für die bisher feststand,
daß Jugend und Schönheit unauflöslich miteinander verbunden
sind.
»Ich bin unsichtbar geworden«, klagt eine attraktive und
gebildete Hamburgerin. Wenn sie ein Restaurant betritt,
dreht sich niemand mehr nach ihr um. Das herrschende
Schönheitsideal, dem sie so lange gehuldigt haben, wird für
diese Frauen zur Bedrohung: Sie fühlen sich über Nacht als
Muster ohne Wert.
Daß die Krise zugleich auch Chance ist, aus vorgefertigten
Frauenrollen und tradierten Schönheitsklischees
auszubrechen, das führt bislang nur eine Minderheit vor."
(Marion Schreiber im Spiegel Nr.48 v.
26.11.1984)
schöne junge Welt
"Die
Grenzen der Jugend haben sich innerhalb von nur dreißig
Jahren, in jenem Zeitraum also, den man früher »eine
Generation« genannt hätte, um mehr als zehn Jahre nach
hinten verschoben. Wenn eine Frau von 45 die Rolle spielen
kann, die einst für eine 27jährige gedacht war, wenn zwei
Mittvierziger zu den Helden einer Geschichte werden, die
einst für Menschen deutlich unter vierzig geschrieben wurde,
dann taugen die alten Biographie-Baupläne nichts mehr, und
die Lebenskalender müssen neu justiert werden."
(2005, S.19) |
Wenn FAUSER die deutsche
Provinz mit seinen Kurstädten identifiziert, dann nimmt er damit
sozusagen die Jahrtausendwende vorweg. Es ist noch kein halbes
Jahrzehnt her, da wurden uns die Kurstädte von den Medien als
unsere Zukunft vorgeführt. Überall sei sozusagen bald Bad Orb,
Bad Wildungen, usw. Welch
ein Gesellschaftspanorama! In allen vier ausgearbeiteten
Handlungssträngen hat FAUSER Themen aufgegriffen, die aktueller
denn je sind.
Sich den Fauser-Kosmos erschließen
So mancher könnte nach
diesem Romanfragment ein neuer FAUSER-Fan geworden sein. Der
Berliner Alexander Verlag hat dem Autor dankenswerter
Weise eine 9 bändige Edition gewidmet. Der 9. Band liegt mit der
Tournee vor. Es steht aber noch ein umfangreicher
Essayband aus (Band 8 der Edition), auf den man jetzt schon
gespannt sein darf .
FAUSER
war ein Multitalent und lange vor Michel HOUELLEBECQ hat er die
Grenze zur Musikbranche überschritten. Für den deutschen Sänger
Achim REICHEL hat er Rocktexte verfasst. Der Spieler und
Boxer Kutte sind seine größten Erfolge gewesen. Auch in
der Tournee spielen der Spieler und der Boxer eine Rolle.
Vielleicht überrascht uns
Achim REICHEL ja noch mit weiteren FAUSER-Songs. In der
empfehlenswerten FAUSER-Biografie Rebell im Colahinterland
haben Matthias PENZEL und Ambros WAIBEL den FAUSER-Kosmos und
seinen Autor ausführlich gewürdigt. Gemäß der Biografie gibt es
noch unveröffentlichte Texte, u.a. einen mit dem bezeichnenden
Titel Die Tournee. Es bleibt jedoch offen, ob es dabei um
eine Theatertournee geht, oder um ein Konzerttournee. So
begleitete FAUSER auch den Rockmusiker mehrmals auf einer Tour.
Alles Rohstoff
"Matthias
Penzel und Ambros Waibel gehen in ihrer hervorragend
recherchierten, spannenden, allemal würdigen Biografie
»Rebell im Cola-Hinterland» ihrem Hausheiligen denn auch
nicht auf den Leim. Sie erzählen skrupulös und detailreich
sein Leben, das mit einem Spaziergang auf der Autobahn am
17. Juli 1987, ausgerechnet an seinem 43. Geburtstag ein
frühes und legendenträchtiges Ende nimmt, machen aber
nicht den Fehler, das Werk auf die Vita zu reduzieren.
Vielmehr beharren sie immer wieder mit guten Beispielen
auf dem vielseitigen Stilisten, begnadeten Melancholiker,
eben dem Künstler."
(Frank Schäfer in der taz vom
13.07.2004) |
Fazit: Jörg Fausers Stimme fehlt schmerzlich in
der Berliner Republik. Das wird nach diesem letzten,
unvollendeten Roman deutlich
Was würde Jörg FAUSER
heute schreiben? Wir wissen es nicht, aber eines scheint sicher.
Er würde diejenigen, die in unserer Gesellschaft erfolglos
bleiben, nicht verachten, sondern über ihr würdevolles Scheitern
schreiben. Da unsere Eliten einschließlich der so genannten
Volksparteien, ein gutes Drittel der Gesellschaft abgeschrieben
haben, bildet sich hier ein gefährliches Vakuum. Abgehängtes
Prekariat ist noch der schmeichelhafteste Ausdruck. Andere
sprechen von Überflüssigen. "Die Gesellschaft reißt auseinander.
Und das ist gut so" schreibt Ulf POSCHARDT dazu.
Es
fehlt heute jemand wie Jörg FAUSER, der prekäre Situationen
beschreiben kann, so dass die Menschen sich darin wieder finden
und verstanden fühlen können. Jemand der noch weiß, dass
Erfolglosigkeit nicht identisch ist mit unwertem Leben. Jemand,
der die Ängste vor dem Absturz ernst nimmt und dieses Feld nicht
den Rechten überlässt. Jemand, der die Menschen dort abholt, wo
sie stehen. Engagierte Literatur kann spannend und unterhaltsam
sein, das hat FAUSER gezeigt.
FAUSER
hat das prekäre Leben jenseits der Festanstellung beschrieben,
lange bevor es durch die New Economy zum Massenschicksal wurde.
Viele Phänomene, die heute die Berliner Republik umtreiben,
haben ihren Ursprung in den 1980er Jahren. FAUSER hatte das
richtige Gespür für das was an den damaligen Moden Bestand hat.
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