[ Übersicht der Themen des Monats ] [ Homepage ]

 
       
   

Thema des Monats

 
       
   

Alleinlebende in Deutschland - Eine Einführung in die amtliche Statistik des Single-Daseins

 
       
   

Teil 3: allein lebende Frauen und Männer in den alten Bundesländern - Mythen und Fakten

 
       
     
       
   
     
 

Einführung

Im ersten Teil dieser Serie (Februar 2005) wurde aufgezeigt, dass der statistische Begriff des Alleinlebenden - wie er in der amtlichen Statistik Verwendung findet -, keineswegs jene Personengruppe erfasst, die in der Alltagssprache als Alleinlebende gelten. Nimmt man den Begriff des Alleinlebenden ernst, dann ist damit eine Person gemeint, die alleine wohnt, keinen festen Partner hat und auch keine Kinder . Im zweiten Teil (März 2005) haben wir diese statistische Unschärfe ignoriert (wir werden in späteren Teilen wieder darauf zurück kommen) und haben uns stattdessen der Verbreitung der Einpersonenhaushalte in den alten Bundesländern zugewandt, da diese im Brennpunkt der sozial- und familienpolitischen Debatte der letzten Jahre steht. Wir haben entdeckt, dass der Anteil der Bevölkerung in den Einpersonenhaushalten zwischen 1973 und 1986 - also innerhalb von nur 13 Jahren - um 5 % (9,8 % - 15 %) stieg. Von 1986 bis 2002, also innerhalb von 16 Jahren, beträgt der Anstieg dagegen nur noch 2,2 %. Das öffentliche Erregungspotential geht also keineswegs mit dem Anstieg der Einpersonenhaushalte konform . Im dritten Teil wollen wir uns nun die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Verbreitung genauer anschauen. Wir beschränken uns dabei auch wieder auf die alten Bundesländer, weil sich die aktuelle Debatte um den demografischen Wandel und die Individualisierungsthese des Münchner Soziologen Ulrich BECK auf dieses deutsche Teilgebiet konzentriert hat.

Im allgemeinen herrscht eine singlefeindliche Darstellung vor, d.h. die Daten zur Verbreitung der Einpersonenhaushalte beziehen sich nur auf die Anteile der Haushalte, aber nicht auf die Verbreitung der Personen . Eine der wenigen singlefreundlichen Darstellungen stammt von Heribert ENGSTLER, der in drei Publikationen im Auftrag des Bundesfamilienministeriums die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik beschrieben hat. Wir werden uns hier aber keineswegs auf die Deutungen von Heribert ENGSTLER stützen, sondern dessen Darstellungen auch kritisch hinterfragen.

Die Verbreitung von Frauen und Männern im historischen Vergleich

Heribert ENGSTLER hat für die Jahre 1972, 1995, 2000 und 2003 die jeweiligen Anteile von Männern und Frauen verschiedener Altersgruppen, die einen Einpersonenhaushalt führen, berechnet. Eine solch differenzierte Darstellung ist sehr selten. Meist wird nicht einmal nach Altersgruppen differenziert und wenn, dann bleiben geschlechtsspezifische Unterschiede unberücksichtigt. Wenn wir nun die Daten betrachten, dann bleibt außen vor, dass sich zum einen im Zeitraum zwischen 1972 und 2003 der statistische Begriff "Einpersonenhaushalt" geändert hat und sich zum anderen im Zuge der Wiedervereinigung auch Gebietsveränderungen ergeben haben, die Einfluss auf die Zahl der Einpersonenhaushalte hatten.

Das erste Problem, das die Aufbereitung der Daten von ENGSTLER uns bereitet, ist die Tatsache, dass für die Jahre zwischen 1972 und 1995 keine Anteile errechnet wurden, obwohl zumindest das Jahr 1990 äußerst bedeutsam gewesen wäre. Es war das Jahr, in dem der Bestseller Das ganz normale Chaos der Liebe von Ulrich BECK und Elisabeth BECK-GERNSHEIM erschien und Ulrich BECK auf dem Soziologentag schockierende Entwicklungen festgestellt hatte. Hier wurde dagegen bereits des Öfteren darauf hingewiesen, dass sich der Strukturwandel der Haushalte in Westdeutschland bereits vor 1990 vollzogen hat und deshalb bereits abgeschlossen war als die Individualisierungsthese ihre Blütezeit erlebte. Eine zentrale Frage ist deshalb, ob die Verschiebungen innerhalb verschiedener Alleinlebendengruppen die öffentliche Erregung rechtfertigen. Dieser Frage soll hier in einem ersten Anlauf nachgegangen werden.

Der Anstieg der Einpersonenhaushalte zwischen 1972 und 2003

Betrachtet man das nachstehende Schaubild, dann ist auf den ersten Blick erkennbar, dass es bereits Anfang der 70er Jahre für eine Frau  wahrscheinlicher war, in einem Single-Haushalt zu leben als für einen Mann. Im Jahr 1972 lebten 13,4 % der erwachsenen Frauen im Einpersonenhaushalt, aber nur 5,9 % der Männer. Während sich der Anteil der Männer bis zum Jahr 2003 auf 15,4 % fast verdreifachte, erhöhte sich der Anteil der Frauen gerade einmal auf 19,2 %. Der Anteil von Männern und Frauen in Single-Haushalten machte 2003 insgesamt nicht einmal ein Fünftel der erwachsenen Bevölkerung aus. In der öffentlichen Debatte kursieren dagegen Zahlen, wonach bereits jeder Dritte - in Großstädten gar jeder Zweite - Erwachsene allein lebt.  

Wenn überhaupt, so wäre also eher der extreme Anstieg männlicher Alleinlebender erklärungsbedürftig. In der Öffentlichkeit stand dagegen bis Ende der 1990er Jahre fast ausnahmslos die allein lebende Karrierefrau im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Erst in den letzten Jahren wird das männliche Alleinleben problematisiert.

Singles zwischen Freiheit und Einsamkeit

Im Artikel Der Flirt mit der Freiheit (...) wird eine neue Perspektive in die Debatte um das Single-Dasein eingebracht. In den 90er Jahren waren die Medienberichte überwiegend sozialpolitisch motiviert. (...) In dieser Titelgeschichte stehen dagegen die Geschlechterunterschiede von Singles im Mittelpunkt. [mehr]

Erklärungen für die Unterbelichtung des männlichen Alleinlebens müssten sich auch in den Verschiebungen innerhalb der Gruppe der Alleinlebenden finden lassen. Zuvor soll aber noch ein genauerer Blick auf den Anstieg der Alleinlebenden geworfen werden, um die Lücke, die sich in der obigen Darstellung auftut, zu schließen.

Es lässt sich deutlich erkennen, dass die sozial- und familienpolitische Debatte um die Alleinlebenden erst nach dem Höhepunkt des Anstiegs einsetzt. Die erste Bestandsaufnahme zur "Single-Gesellschaft" wurde für den ersten familienpolitischen Bundestagswahlkampf im Jahr 1994 erstellt. Das Gutachten des Lifestyle-Soziologen Stefan HRADIL erschien 1995 unter dem Titel Die "Single-Gesellschaft" . Hätte sich der Trend der 1970er und 1980er Jahre tatsächlich fortgesetzt, dann hätten im Jahr 2003 nicht nur 17,3 %, sondern bereits ca. 22 % der erwachsenen Bevölkerung allein gelebt. Aber selbst dann hätten wir nicht jene 70 % Anteil Einpersonenhaushalte erreicht, die Ulrich BECK im Jahr 1990 prophezeit hatte .

Verschiebungen innerhalb der Alleinlebenden zwischen 1972 und 2003

Im Jahr 1997 erschien die Publikation Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik von Heribert ENGSTLER zum ersten Mal. Im Kapitel 1.6 werden die Veränderungen bei den Einpersonenhaushalten zwischen 1972 und 1995 folgendermaßen beschrieben: 

Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik

"Die Wahrscheinlichkeit des Alleinlebens ist vor allem bei den hochbetagten Frauen, den jungen Männern und Frauen unter Dreißig und den Männern zwischen Dreißig und Mitte Vierzig gestiegen (...). 1995 lebten über zwei Drittel aller Frauen ab 75 Jahren allein im Haushalt, 1972 waren es nur jede zweite gewesen. Die besonders starke Zunahme bei den Frauen ab Mitte 70 ist zum einen auf den - gegenüber Männern stärkeren - Zuwachs an Lebenserwartung zurückzuführen. Zum anderen ist sie auch eine Folge des gestiegenen Alters der relativ vielen verwitweten Frauen der Kriegsgeneration. Diese beiden Prozesse erklären auch, warum der Anteil alleinlebender Frauen in der Altersgruppe der 55- bis 69jährigen gegenüber 1972 deutlich zurückgegangen ist."
(1997, S.54f.)

In den Veröffentlichen aus den Jahren 2003 und 2004 werden die Zahlen für die Jahre 2000 und 2003 fortgeschrieben. Hier soll deshalb nun gefragt werden, ob sich die beschriebenen Entwicklungen in den Jahren zwischen 1995 und 2003 fortgesetzt haben oder ob sich in den letzten Jahren neue Trends ergeben haben.

Verschiebungen innerhalb der Alleinlebenden zwischen 1972 und 1995

Auf dem nachstehenden Diagramm lässt sich deutlich ablesen, dass der größte Anstieg der allein lebenden Frauen zwischen 1972 und 1995 bei den Hochbetagten erfolgte.

Dann folgen die jungen 25-29jährigen Frauen sowie die 20-24jährigen Frauen. Beide Altersgruppen rekrutierten sich überwiegend aus den Post-68ern. Darunter befinden sich auch die Frauen der Generation Golf, für die Katja KULLMANN auch das Etikett Generation Ally erfunden hat. Dabei handelt sich also auch um jene Frauen, deren Gebärverhalten in den letzten Jahren im Mittelpunkt der Debatte um den Geburtenrückgang stand. Man könnte den Anstieg der allein lebenden Frauen durchaus als Beleg für die Richtigkeit der Befürchtungen ansehen . Die jungen Studentinnen und Berufsanfängerinnen wollten offenbar vermehrt allein leben. Da sich die Zahlen aber auf einen sehr langen Zeitraum beziehen, lassen diese Daten von ENGSTLER keine weitreichenden Schlüsse zu. Weiter oben haben wir ja bereits festgestellt, dass sich die größten Veränderungen bereits vor 1990 vollzogen haben. Daraus wurde auf dieser Website auch der Begriff Single-Generation abgeleitet Erst an vierter Stelle folgen die 30-34Jährigen. Es handelt sich um jene Altersgruppe, die man früher bedenkenlos zum Familienlebensalter dazu gerechnet hätte. Die Debatte um die Geburtenkrise hat jedoch gezeigt, dass gerade die Gutgebildeten die Familiengründung über dieses Alter hinausgeschoben haben. Für die Kategorie der allein lebenden Karrierefrau gilt deshalb, dass für sie das Familienlebensalter erst in der Altersgruppe der 35-44 Jährigen beginnt . Wie das Diagramm zeigt, bleibt der Anstieg in dieser Altersgruppe weit hinter dem der Männer zurück. Ein Anstieg von 4,9 % zwischen 1972 und 1995 - also innerhalb von 23 Jahren - ist alles andere als atemberaubend. Es wäre jedoch zu überprüfen, ob nicht gerade in den Jahren 1985 bis 1995 ein gravierender Anstieg zu verzeichnen war. Die Daten von ENGSTLER lassen uns hier im Stich. Wir können nur feststellen, dass wir die Befürchtungen mit den bisherigen Daten nicht widerlegen können. Die Veränderungen zwischen 1995 und 2003 könnten hier deshalb aufschlussreicher sein.

Was in der ganzen Debatte um die Single-Gesellschaft jedoch offenbar völlig ausgeblendet wurde, das ist die Tatsache, dass das männliche Alleinleben stark zugenommen hat. Dies gilt am stärksten für die Altersgruppen der 25-34Jährigen, aber auch für diejenigen im Familienlebensalter. Aber auch das Alter ist offenbar nicht mehr DIE unbestrittene Domäne der Frauen, die es bisher war.

Verschiebungen innerhalb der Alleinlebenden zwischen 1995 und 2000

Auf den ersten Blick lässt sich feststellen, dass sich überraschenderweise der Trend zu mehr älteren Alleinlebenden zwischen 1995 und 2000 nicht fortgesetzt hat. Sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern sind die Anteile zurück gegangen. Zuwächse sind nur bei den unter 70Jährigen zu verzeichnen und hier vor allem bei den Männern. Deutlich zeichnet sich ab, warum das Alleinleben im Familienlebensalter männlich geworden ist. Der Trend war ja bereits vor 1995 vorhanden. 

Die stärksten Zuwächse bei den Frauen finden wir in der Altersgruppe der 30-34Jährigen. Darunter befinden sich auch die allein lebenden Karrierefrauen der Generation Golf, aber auch noch die Frauen der Single-Generation, die hier auch insbesondere für die Zuwächse in der Altersgruppe der 35-44Jährigen verantwortlich sind. Die Zuwächse bleiben aber deutlich hinter jenen der Männer zurück. Auch diese Zahlen können die Befürchtungen weder belegen noch zerstreuen. Wir schauen uns deshalb die Veränderungen zwischen 2000 und 2003 an.

Verschiebungen innerhalb der Alleinlebenden zwischen 2000 und 2003

Die Debatte um den Geburtenrückgang hat im Zeitraum zwischen 2000 und 2003 an Schärfe zugenommen. Die Enttabuisierung der Bevölkerungspolitik fiel in diesen Zeitraum. Im April 2001 fällte das Bundesverfassungsgericht sein umstrittenes Pflegeurteil, wonach Kinderlose zu höheren Beiträgen zur Pflegeversicherung verpflichtet wurden. Die Stimmen, die ein Zurück zur traditionellen Familie forderten, wurden deutlich hörbarer. Aber es war vor allem der Einbruch der New Economy und die Jobkrise der Generation Golf, die die Bedingungen verschärften. Ein Blick auf das folgende Diagramm zeigt, dass nun der stärkste Anstieg bei den Frauen in der Altersgruppe der 20-24Jährigen zu verzeichnen war. Es handelt sich dabei um die geburtenschwachen Jahrgänge der Generation @, die in der letzten Zeit auch als Generation Praktikum bezeichnet wurde . Zuwächse gab es auch bei der Generation Golf und der Single-Generation. Es sind jedoch immer noch die Männer, die den Single-Haushalten die stärksten Zuwächse bescheren. Dies gilt insbesondere für das Familienlebensalter, aber nun auch wieder für die Rentnergeneration ab 55 Jahren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Blick auf die Veränderungen und hier insbesondere auf die Zuwächse deutlich zeigt, dass seit den 70er Jahren das Alleinleben insbesondere bei den  Männern im Trend lag.

Das Alleinleben im Familienlebensalter

Ein Blick auf die Altersgruppen der 30 - 54Jährigen soll noch einmal verdeutlichen, dass der Mythos der allein lebenden Karrierefrau relativiert werden muss.

Eindeutig dominieren die Männer das Alleinleben im Familienlebensalter. In der bedeutendsten Altersgruppe der 35-44Jährigen lebten im Jahr 2003 fast doppelt so viele Männer als Frauen alleine.

Wie sieht es aber mit den langfristigen Trends aus? Betrachtet man im nachfolgenden Diagramm die Entwicklung der Einpersonenhaushalte, dann lässt sich erkennen, dass der Trend zu Single-Haushalten bis 1989 stärker war als in den 1990er Jahren oder seit der Jahrtausendwende.

Die 35-44jährigen Alleinlebenden

Der Anstieg der 35-44jährigen Männer verlief bis Anfang der 90er Jahre unterdurchschnittlich, während er sich seit Mitte der 1990er Jahre verstärkte. Der Anstieg der 35-44jährigen Frauen erfolgte dagegen seit 1972 ungebrochen, wenngleich der Anstieg pro Jahr nur minimal ist. Es ist dieser kontinuierliche Anstieg der allein lebenden Frauen, der die schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen scheint.

Bereits Anfang der 90er Jahre hat der nationalkonservative Bevölkerungswissenschaftler Herwig BIRG den Anteil der lebenslang kinderlosen Frauen der Generation Golf (Jahrgang 1965) auf fast ein Drittel geschätzt. Diese Schätzung rechtfertigte selbst noch das Pflegeurteil des Bundesverfassungsgericht im Jahr 2001.

Im Jahr 1995 erreichte der erste Jahrgang der Generation Golf das 30. Lebensjahr. Mit über einer Million potenzieller Mütter war er über ein Drittel stärker besetzt als der letzte Generation Golf-Jahrgang 1975 . Im Jahr 2000 überschritt der Jahrgang 1965 die Grenze zu den Spätgebärenden . Inzwischen spricht der Bevölkerungswissenschaftler Jürgen DORBRITZ gar von einer Kultur der Kinderlosigkeit . Vieles deutet darauf hin, dass der "Trend zur allein lebenden Karrierefrau" keineswegs mit der Generation Golf begann, sondern bereits die Frauen der Single-Generation lebten dieses neue Muster vor. Dafür spricht, dass der Anstieg nicht erst 1995 begann, sondern sich bereits in den 1970er Jahren entwickelt hat. Im Zuge der Bildungsexpansion haben sich neue Chancen für allein lebende Frauen ergeben. Nichtsdestotrotz, es leben nicht etwa ein Drittel, sondern nur ca. 10 % der Frauen im Familienlebensalter allein. Dies bedeutet, dass entweder der Anteil der lebenslang Kinderlosen bedeutend geringer ist als die Schätzungen von Herwig BIRG annehmen oder zwei Drittel der lebenslang Kinderlosen leben nicht allein. Die Wahrheit liegt offenbar irgendwo zwischen diesen beiden Möglichkeiten.

Aktuelle Schätzungen zur lebenslangen Kinderlosigkeit des Frauenjahrgangs 1965 bewegen sich zwischen 23,3 und 32,1 % . Selbst wenn man den untersten Wert annimmt, würde der Anstieg der allein lebenden Frauen noch nicht einmal 50 % der lebenslangen Kinderlosigkeit erklären. Noch schlimmer: Es kann nicht einmal mit 100%iger Sicherheit davon ausgegangen werden, dass alle 35-44jährigen Frauen, die einen Einpersonenhaushalt führen, tatsächlich kinderlos sind. Es könnten sich darunter auch Frühgebärende befinden, deren Kinder bereits ausgezogen sind. In seltenen Fällen könnte das Kind auch bereits tot sein oder das Kind lebt beim Vater. Bisher haben wir angenommen, dass es sich bei den allein lebenden Frauen dieser Altersgruppe um Karrierefrauen handelt. Ist das aber tatsächlich der Fall? Dazu wären Betrachtungen zur Einkommenssituation und zu den Motiven des Alleinlebens im Familienlebensalter notwendig. Dies kann hier nicht geleistet werden, sondern bleibt einem weiteren Teil vorbehalten.

Lebensphasen - Liebesphasen

"Nach wie vor überwiegt eine statische Betrachtung bei der Analyse alternativer Lebensformen. In einer lebenslauftheoretischen Perspektive wird hier gezeigt, daß Lebensformen eigentlich Lebensphasen sind, die weit weniger frei gewählt werden können als in der Rede von den 'pluralisierten Lebensformen' anklingt."
(aus: Klappentext 1997)

Und nicht zuletzt wäre zu klären, inwiefern das Alleinleben überhaupt dauerhaft ist. Darüber können nur Längschnittuntersuchungen Auskunft geben, wie sie z.B. vom Deutschen Jugendinstitut in München durchgeführt worden sind. Die Ergebnisse solcher Untersuchungen zeigen, dass das Single-Dasein in den meisten Fällen nur eine Lebensphase ist, aber keine Alternative zum Paar- oder Familienleben.   

Die 30-34jährigen Alleinlebenden

Wie sieht es bei den 30-34jährigen Frauen aus? Zeigt sich hier eine Abschwächung des Alleinlebens?

Das Diagramm lässt erkennen, dass auch in dieser Altersgruppe der Trend zum Alleinleben bis zum Jahr 2003 ungebrochen ist. 2003 lebten über ein Viertel der Männer, aber nur 15 Prozent der Frauen allein. Im August 2003 forderte Susanne GASCHKE aufgrund der demographischen Lage Kein Nachwuchs, keine Rente . Der Anstieg der allein lebenden Frauen darf jedoch nicht vorschnell als Anstieg der lebenslang Kinderlosen gedeutet werden, wie das Nationalkonservative tun. Nachweisbar ist jedoch ein Aufschub der Geburten. Dieser ist aber keineswegs allein ein deutsches Phänomen, sondern auch in den meist als vorbildlich angesehenen skandinavischen Ländern, wie z.B. Schweden, lässt sich ein Aufschub der Geburten feststellen.

 Auf dieser Website wird das Versagen der Eliten angeprangert. Der Kampf zweier Eliten hat verhindert, dass eine moderne Familienpolitik betrieben wurde. Das lang andauernde Patt zwischen alter und neuer Mitte hat jede sinnvolle Familienpolitik verhindert, die den neuen Rahmbedingungen seit der Bildungsexpansion der 1970er Jahre Rechnung getragen hätte . Vielmehr wurden die Singles zu Sündenböcken gemacht. Eine Single-Rhetorik sollte belegen, dass die egoistischen Alleinlebenden schuld am Geburtenrückgang seien. Hier wird behauptet, dass diese Single-Rhetorik, die seit Anfang der 90er Jahre in steigendem Maße in Verwendung ist, zusätzlich zum Geburtenrückgang beigetragen hat. Die Single-Rhetorik hat einen genauen Blick auf das Single-Dasein verhindert. Ressentiments und nicht Fakten bestimmten die Debatte . Nationalkonservative fordern inzwischen verstärkt die Bestrafung von Kinderlosen , d.h. von potentiellen Eltern. Dieser Weg ist wenig Erfolg versprechend, weil die Gründe für den Anstieg der Alleinlebenden vielfach strukturelle Ursachen haben. Die verlängerte Ausbildungsdauer, die erschwerten Bedingungen des Jobeinstiegs und auch die Erhöhung der Lebenserwartung sind Faktoren, die sich dem Willen des Einzelnen entziehen.

Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte

"Dies ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt. Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
          
 Es wird aufgezeigt, dass sich die nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen."

Wichtige Fragen werden erst gar nicht gestellt, wenn den Alleinlebenden der Schwarze Peter zugesteckt wird. Die Zunahme von Fernbeziehungen bleibt unbemerkt, wenn das Alleinleben mit Partnerlosigkeit bzw. Bindungsunfähigkeit gleich gesetzt wird . Wer nur die Phase der Familiengründung in den Blick nimmt, der vernachlässigt die Tatsache, dass die geforderte Flexibilität und Mobilität nicht erst die Familiengründung, sondern bereits die Entstehung von dauerhaften Partnerschaften behindert . Die spätere oder verhinderte Paarbildung ist ein Thema, das noch zu selten im Mittelpunkt der Debatte steht. Und wenn, dann werden den Partnerlosen Egoismus oder Bindungsunfähigkeit vorgeworfen. Dies macht es sich entschieden zu einfach .

Die 45-54jährigen Alleinlebenden

Ein Blick auf die langfristigen Trends der 45-54jährigen Alleinlebenden zeigt, dass in dieser Altersgruppe die Zuwächse bei den Männern bedeutend höher sind als bei den Frauen. Während sich der Anteil bei den Männern mehr als verdreifacht hat, ist das Niveau bei den Frauen mehr oder weniger gleich geblieben. Es soll deshalb gefragt werden, ob sich das Alleinleben der Älteren, das bislang weiblich war, Veränderungen unterworfen ist.

Das Alleinleben im Alter

In den letzten Jahren wird die vergreisende Gesellschaft beschworen. Dies müsste sich auch bei den Alleinlebenden abzeichnen. Durch Vorruhestandsregelungen und Altersteilzeit, beginnt das Alter heute erwerbsarbeitsmäßig bereits Mitte Fünfzig, obwohl die Lebenserwartung steigt. Welche Trends zeigen sich bei den 55-64Jährigen?

Während es bei den Männern einen eindeutigen Trend zum Alleinleben im Alter zwischen 55 und 64Jahren gibt, zeigt sich bei den Frauen zwar ein Rückgang bis Mitte der 90er Jahre, der dann in einen erneuten Anstieg mündete, der aber noch nicht wieder das Niveau der 1970er Jahre erreicht hat.

Bei den 65-69Jährigen ist ein Rückgang bei den Frauen zu verzeichnen, während bei den Männern seit Mitte der 1990er Jahre ein leichter Anstieg zu verzeichnen ist. Auch für diese Altersgruppe gilt also, dass das Alleinleben im Alter männlicher wird.

Bei den 70-74Jährigen ergibt sich ebenfalls ein geschlechtsspezifisch unterschiedliches Bild. Bei den Frauen gab es noch bis in die 1990er Jahre einen leichten Anstieg, danach aber einen Rückgang. Bei den Männern gibt es einen minimalen Anstieg.

Zuletzt ein Blick auf die Hochbetagten, die gerade hinsichtlich der Pflegeversicherung im Vordergrund der sozialpolitischen Debatte stehen.

Bei den weiblichen Hochbetagten war bis Mitte der 1990er Jahre ein Anstieg zu verzeichnen, danach jedoch ein Rückgang. Tendenziell gilt das auch für die Männer, aber auf einem wesentlich geringerem Niveau. Es gibt immer noch fast dreimal so viele weibliche als männliche Hochbetagte.

Zusammenfassung und Ausblick

Es gibt bei den Alleinlebenden unterschiedliche langfristige Trends, die geschlechtsspezifisch ausgeprägt sind. Aufgrund der sozial- und familienpolitischen Debatte wurde das Schwergewicht der Betrachtung auf die Alleinlebenden im Familienlebensalter und im Alter gelegt.

Es zeigt sich, dass bei den 30-44jährigen alleinlebenden Frauen seit den 1970er Jahren Anstiege zu verzeichnen sind. Aber im Gegensatz zur öffentlichen Debatte sind es nicht die alleinlebenden Karrierefrauen, die das Alleinleben im Familienalter prägen, sondern die alleinlebenden Männer. Es wurde aufgezeigt, dass die Kultur der Kinderlosigkeit - wenn sie überhaupt existiert - keineswegs in erster Linie von den alleinlebenden Frauen repräsentiert wird.

Größtenteils unbeachtet von der Öffentlichkeit vollzieht sich dagegen ein anderer Wandel im Alleinleben. Im Vergleich zu den 1970er Jahren ist das Alleinleben insgesamt männlicher geworden. Dies liegt einerseits an den Rückgängen bei den über 55jährigen Frauen, aber auch an den Zuwächsen der Männer in allen Altersgruppen, wobei die Zuwächse bei den Männern unter 55Jahren am größten sind.

Die Beschränkung auf drei Publikationen von Heribert ENGSTLER  führte dazu, dass viele Fragen ungeklärt bleiben mussten, die im Zusammenhang mit der Debatte um den demografischen Wandel bedeutsam sind. Die Fokusierung der öffentlichen Debatte auf die weiblichen Alleinlebenden verstellt aber auf alle Fälle den Blick auf Veränderungen, die in Zukunft bedeutsamer werden könnten. Eine Familien- oder Bevölkerungspolitik, die ihre Zielgruppe vor allem bei den Alleinlebenden vermutet, verfehlt ihr Ziel. Dies gilt insbesondere, wenn - wie das die Nationalkonservativen befürworten - die Bestrafung Kinderloser in den Mittelpunkt gerückt wird.

In weiteren Folgen dieser Serie werden die Ursachen des Alleinlebens näher betrachtet. Es wurde bereits angedeutet, dass hier weniger individuelle Motive, sondern vor allem strukturelle Rahmenbedingungen wirken. Wer die Zunahme der Singles einzig beim Egoismus und bei der Bindungsunfähigkeit der Alleinlebenden sucht, der macht sich die Sache entschieden zu einfach.

 
     
 
       
       
   

Weiterführende Links

 
       
     
       
   
 
   

Bitte beachten Sie:
single-generation.de ist nicht verantwortlich für die Inhalte externer Internetseiten

 
   
 
   

[ Zum Seitenanfang ]

[ Homepage ]
 
   
 
   
© 2002-2018
Bernd Kittlaus
webmaster@single-generation.de Erstellt: 07. Januar 2007
Update: 22. November 2018