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Einführung
Anja
KRUMPHOLZ-REICHEL berichtet über die erste
repräsentative Studie zur Berufsmobilität in
Deutschland, die von dem Mainzer Soziologen
Norbert F. SCHNEIDER geleitet wurde.
Mobil,
flexibel, gebunden
"Immer
mehr Menschen sind heutzutage mit dem Erfordernis
beruflicher Mobilität konfrontiert. Leitfigur der Moderne
ist der mobile Mensch - flexibel, ungebunden,
leistungsstark. Wie lässt sich dieses Bild mit dem Wunsch
nach Partnerschaft und Familie vereinbaren? Der Band
zeigt, welche Lebensformen die Betroffenen entwickeln und
wie Politik und Unternehmen die Folgen der neuen Mobilität
beeinflussen können." |
Die
Studie
im Auftrag des Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)
gäbe es nicht, wenn nicht die deutsche
Politikerelite durch den Umzug des Bundestages
von Bonn nach Berlin selbst massiv von diesem
Problem betroffen gewesen wäre.
Mobilität
als umkämpfter Wert
Mobilität
ist in unserer Gesellschaft angeblich ein
positiver Wert. Dies ist ebenso falsch wie
zutreffend. Mobilität ist in erster
Linie ein umkämpftes Terrain und der
Konflikt zwischen den Mobilitätsgegnern und
-befürwortern geht quer durch die Republik. Arbeitgeber,
die einen guten Angestellten halten möchten,
jammern genauso über die gestiegene Mobilität
wie jene Menschen, die unfreiwillig mobil sein
müssen. Wer dagegen zur exklusiven Klasse der
globalen Elite gehören möchte, für den ist
Mobilität qua Clubzugehörigkeit ein positiver
Wert.
Der Interessengegensatz von
Kapital und Arbeit
Wenn
Mobilität ein umkämpftes Terrain ist, dann
deswegen, weil zwischen den Anforderungen
der sich globalisierenden Wirtschaft und der
Mobilitätsbereitschaft der Deutschen eine
scheinbar unüberbrückbare Kluft
besteht. Entgegen der weit verbreiteten Rede vom Zerfall der Familie und
zunehmender Bindungslosigkeit, ist der Deutsche
bindungsorientierter als dies die
Familienrhetoriker behaupten. Statt ihre
Wurzeln herauszureißen - wie das der Soziologe
Ulrich BECK formuliert hat - versuchen die
Deutschen ihre Wurzeln trotz
Mobilitätsanforderungen zu
verteidigen.
Aus diesem Grunde nehmen die Deutschen Nachteile
wie Fernpendeln oder Wochenendehen
in Kauf, nur um nicht alle Wurzeln abreißen -
d.h. umziehen - zu müssen (vgl. Karin FREYMEYER & Manfred
OTZELBERGER
"In der Ferne so nah", 2000; Franziska PFEIFFER "Zwei
Karrieren - eine Liebe", 2001).
Die Interessen der
Modernisierungsverlierer bleiben
unberücksichtigt
Der Artikel
von Anja KRUMPHOLZ-REICHEL beleuchtet diesen
Aspekt jedoch mehr als einseitig. Zum einen
behandelt er das Thema Umzug aus der
Perspektive
der Modernisierungsgewinner, d.h. jener Menschen, die
freiwillig mobil sind, weil Mobilität sozialen Aufstieg
verspricht
. Zum
anderen wird mobilen Personen aus
bevölkerungspolitischer
Perspektive
ihre Kinderlosigkeit zum Vorwurf gemacht.
Nicht die
Interessen aller mobilen Personen stehen deshalb
im Mittelpunkt, sondern die Ressentiments jener,
die um ihre Rente bangen und die Interessen der
Wirtschaft, die am bindungslosen und gefügigen
(euphemistisch: flexiblen) Menschen interessiert
ist.
Und nicht zu
vergessen: die Politik. Die Studie im
Auftrag des BMFSFJ blendet das Politikversagen
aus und schiebt den Unternehmen den
schwarzen Peter zu. Entsprechend sind die
Lösungsvorschläge zum einen eliteorientiert und
zum anderen utopisch:
Mobil,
flexibel, gebunden
"Das
Entscheidende ist: Mobile Menschen müssen
stärker motiviert werden, umzuziehen. Hier
könnten Unternehmen ansetzen und
beispielsweise dabei helfen, dass die Partner
der mobilen Personen am neuen Wohnort auch
Arbeit finden." |
Diese
Forderung
nach Förderung der Paar- bzw. Familienmobilität
hat bereits der Fernliebende Ulrich BECK Anfang
der 90er Jahre formuliert.
Das ganz normale Chaos der Liebe
"Bislang
wird mit großer Selbstverständlichkeit davon ausgegangen,
daß Mobilität individuelle Mobilität ist. Die Familie, und
mit ihr die Frau, zieht mit. Die damit aufbrechende
Alternative: Berufsverzicht der Frau (mit allen
Langzeitkonsequenzen) oder
»Spagatfamilie« (als erster Schritt zur Scheidung), wird
den Eheleuten als persönliches Problem zugeschoben.
Demgegenüber wären partnerschaftliche Formen der
Arbeitsmarktmobilität zu erproben und zu
institutionalisieren. Nach dem Motto: wer den (die) eine(n)
will, muß auch dem (der) anderen eine Beschäftigung
verschaffen. Das Arbeitsamt müßte eine Berufsberatung und
- vermittlung für Familien organisieren. Auch die
Unternehmen (der Staat) müßten die
»Werte der Familie« nicht nur beschwören, sondern durch
partnerschaftliche Beschäftigungsmodelle (möglicherweise
über mehrer Betriebe hinweg) sichern helfen. Parallel wäre
zu prüfen, ob in bestimmten Bereichen nicht bestehende
Mobilitätszwänge abgebaut werden könnten (etwa im
akademischen Teilarbeitsmarkt). Auf derselben Linie liegt
die soziale und rechtliche Anerkennung von Immobilität aus
familial-partnerschaftlichen Gründen. Für die Bemessung
der Zumutbarkeit von Arbeitsplatzwechseln müßten auch die
Gefährdungen der Familie mit aufgenommen werden."
(1990, S. 216) |
Die Umsetzbarkeit
dürfte sich jedoch auf Bereiche beschränken, in
denen hochqualifizierte Spezialisten Mangelware
und deshalb gesucht sind. Hinz und Kunz bleiben -
besonders in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit -
unberücksichtigt.
Umzugsmobilität ist kein
Königsweg
Umzugsmobilität
als den Königsweg zu beschreiben, muss
angesichts der Vielfalt mobiler
Lebensverhältnisse zynisch erscheinen. Es gibt
gute Gründe dafür, mobil zu sein und nicht
umzuziehen. Diese liegen einerseits im
beruflichen Bereich und andererseits im privaten
Umfeld.
Wehrdienst
oder Studium sind von vornherein
zeitlich begrenzte Lebensabschnitte, die meist
Mobilität erzwingen und in mobile
Lebensformen einüben. Ein Umzug ist
selten notwendig. Die Bequemlichkeit des
Elternhauses, in dem die Wäsche von der Mutter
gewaschen wird, ist neben der Clique am Heimatort
ein Grund, um das Pendeln zwischen zwei Orten
bereits als Jugendlicher zu lernen.
Berufsanfänger
wiederum werden in der Probezeit kaum
umziehen, weil die Unsicherheit der beruflichen
Perspektive dem entgegensteht .
Jene
Menschen, die aufgrund des Strukturwandels
der Wirtschaft ihren Arbeitsplatz
verlieren, nehmen oftmals einen weit entfernten
Arbeitsplatz an, in der Hoffnung, dass sie über
kurz oder lang einen näher liegenden
Arbeitsplatz finden. Gerade wer
Familie hat, möchte den Kindern oftmals einen Schulwechsel
ersparen. Pflegefälle
in der multilokalen Mehrgenerationen-Familie sind
ebenfalls Gründe, die gegen Umzüge sprechen.
Die Verfestigung von mobilen
Lebensformen als Problem
Berufsbedingte
Mobilität als eine geplante und zeitlich
begrenzte Lebensphase ist auch nicht das
Hauptproblem. Problematisch werden
Lebenssituationen, die sich aufgrund äußerer
Umstände verfestigen. Mobile
Lebensformen können sich im Kampf gegen den
sozialen Abstieg zur lang andauernden
Lebenssituation wandeln, die sich einer
befriedigenden Partnerschaft genauso
entgegenstellen wie einer Familiengründung.
Das Politikdefizit
Während
die Probleme der sozialen Aufsteiger im Interesse
der Unternehmen gelöst werden können, wird die
Masse der Betroffenen auf solche Hilfe vergebens
warten. Hier ist die Politik gefordert.
Wirtschaftspolitik
ist in diesem Sinne die beste
Familienpolitik. Wer sichere,
qualifizierte Arbeitsplätze dort schafft, wo sie
verloren gehen, der sorgt gleichzeitig für die
Verbesserung der Lage von Familien.
Die Rede von der
"Single-Gesellschaft" verstellt den
Blick
Umzugsmobilität ist
heutzutage für alle jene kein Problem, die weder einen Partner
haben, noch zu versorgende Familienangehörige oder kinderlos
sind. Im mittleren Erwachsenenalter sind das jedoch - entgegen
dem Gerede von der
"Single-Gesellschaft" - die Wenigsten
.
Die Gesellschaft der
Doppelverdiener erfordert den Ausbau der
Dienstleistungsgesellschaft
In der
paar- und familienorientierten Gesellschaft
bleibt die Mobilitätsbereitschaft
eingeschränkt, wenn nicht mehr die traditionelle
Kernfamilie, in der die Frau Vollzeitmutter ist
und ihrem Ehemann überall hin folgt - die
Normalfamilie ist, sondern die Doppelverdienerehe
bzw. -familie. Soll die Mobilität unter
diesen modernen Bedingungen erhöht werden, dann ist der Ausbau
der Dienstleistungsgesellschaft unumgänglich
. Die
Politik muss dafür dann die notwendigen Rahmenbedingungen
schaffen.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
"Die
Rede von der »Single-Gesellschaft«
rechtfertigt gegenwärtig eine Demografiepolitik, die
zukünftig weite Teile der Bevölkerung wesentlich
schlechter stellen wird. In zahlreichen Beiträgen, die
zumeist erstmals im Internet veröffentlicht wurden,
entlarvt der Soziologe Bernd Kittlaus gängige
Vorstellungen über Singles als dreiste Lügen. Das Buch
leistet damit wichtige Argumentationshilfen im neuen
Verteilungskampf Alt gegen Jung, Kinderreiche gegen
Kinderarme und Modernisierungsgewinner gegen
Modernisierungsverlierer." |
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